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JAHRBUCH 


DER 


KÖNIGLICH  BAYERISCHEN 

AKADEMIE  der  WISSENSCHAFTEN 


1915 


MÜNCHEN 
VERLAG  DER  K.  B.  AKADEMIE  DER  WISSENSCHAFTEN 

IN  KOMMISSION  DES  G.  FRANZ'SCHEN  VERLAGS  (J.  ROTH) 

1915 


ns 


Akademische  Buchdruckerei  von  F.  Straub  in  München. 


INHxVLT. 


III 


Satzung       ............ 

Geschäftsordnung        .......... 

Satzungen  der  Kommissionen 

Historische  Kommission  ....... 

Urkunde  über  die  Errichtung  einer  Witteisbacher  Stiftung 
für  Wissenschaft  und  Kunst      ...... 

Kommission  für  die  internationale  Erdmessung     .         .      "    . 

Satzungen  der  Stiftungen 

Savigny- Stiftung     . 

Liebig -Stiftung 

Zographos- Fonds 

Münchener  Bürgerstiftung 

Cramer-Klett- Stiftung    . 

Thereianos  -  Stiftung 

Hardy- Stiftung 

Koenigs- Stiftung  zum  Adolf  v.  Baeyer-Jubiläum 

Wilhelm  Koenigs -Stiftung  zur  Förderung   botanischer  und 

zoologischer  Forschungen  etc.   . 
Georg  Hitl'scher  Fonds 
Heinrich  v.  Brunck- Stiftung 
Karl  V.  Dapper-Saalfels-Stiftung     . 
Albert  Sarason- Stiftung 

Bewilligungen  aus  Stiftungen 

Nekrologe 

Öffentliche  Sitzung  am  20.  November  1915 

Verkündigung  der  Neuwahlen 


Seite 

1 

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53 

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57 
59 
60 
62 

66 

69 

151 

151 


IV 


Seite 


Personalstand 

Verwaltung      ..........  153 

Ehrenmitglieder,  ordentliche  und  außerordentliche  Mitglieder  155 

Auswärtige  und  korrespondierende  Mitglieder       .         .         .  1(31 

Besondere  Kommissionen 166 

Berichte  und  Protokolle  der  akademischen  Kommissionen 

Thesaurus  linguae  latinae 170 

Mittelalterliche  Bibliothekskataloge       .....  173 

Wörterbuch-Kommission           .         .                                    .         .  175 
Bericht  der  Kommission  für  Höhlenforschung  in  Bayern  in 

den  Jahren   1914/15 181 

Akademische  Medaillen 186 

Nachtrag .186 


Satzung  und  G-escliäftsordnung 

der  Kgl.  Bayer.  Akademie  der  Wissenschaften. 


Organisations-Urkunde 

der  Kgl.  Bayer.  Akademie  der  Wissenschaften 

vom  21.  März  1827. 

LUDWIG, 

von  Gottes  Gnaden  König  von  Bayern,  etc.  etc. 

Wir  haben  Uns  über  die  dermaligen  Verhältnisse  der 
Akademie  der  Wissenschaften  in  München,  welche  von  Un- 
serem höchstseligen  Regierungs- Vorfahrer  dem  Churfürsten 
Maximilian  dem  III.  nach  ihrer  ersten  Stiftung  bestätigt,*) 
und  von  Unseres  in  Gott  ruhenden  Herrn  Vaters,  des  Königs 
Maximilian  Joseph  Majestät  erneuert  und  neu  errichtet 
worden,**)  Vortrag  erstatten  lassen ,  und  verordnen,  —  auf 
den  Antrag  Unseres  Staats-Ministeriums  des  Innern  nach  Ver- 
nehmung Unseres  Staatsraths,  wie  folgt: 

I.  Die  Akademie  der  Wissenschaften  in  München  ist  ein 
unter  dem  Schutze  des  Königs  stehender  Verein  von  Gelehrten, 
um  die  Wissenschaften  zu  pflegen,  dieselben  durch  Forschungen 
zu  erweitern,  und  durch  die  vereinten  Kräfte  ihrer  Mitglieder 
Werke  hervorzubringen,  welche  die  Kraft  eines  einzelnen  Ge- 
lehrten übersteigen. 


*)  Der  Stiftungsbrief  vom  28.  März  1759. 
**)  Durch  Konstitutionsurkunde  vom  1.  Mai  1807. 
Jahrbuch  1015. 


2  Organisations-Urkunde 

IL  Die  Wirksamkeit  der  Akademie   umfaßt   das  ganze  Ge- 
biet der  allgemeinen  Wissenschaften,  insbesondere 

1.  Philosophie,  Philologie,  alte  und  neue  Literatur; 

2.  Mathematik  und  sämmtliche  Naturwissenschaften,  na- 
mentlich Physik,  Chemie,  Astronomie  und  die  ver- 
schiedenen Zweige  der  Naturgeschichte; 

3.  Geschichte,  und  zwar  vorzüglich  die  vaterländische  in 
ihrem  ganzen  Umfange,  mit  ihren  Hülfs Wissenschaften, 
jedoch  mit  Ausnahme  der  politischen  Geschichte  des 
Tages. 

Ausgeschlossen  sind  von  dem  Wirkungskreise  der  Aka- 
demie die  besonderen  positiven  Wissenschaften,  nämlich  Theo- 
logie, Jurisprudenz,  Kameralistik  und  Medicin. 

IIL  Nach  den  Hauptgegenständen  ihrer  Wirksamkeit  theilt 
sich  die  Akademie  in  drey  Klassen,  nämlich  in 

1.  die  philosophisch- philologische, 

2.  die  mathematisch-physikalische,  und 

3.  die  historische  Klasse. 

IV.  Das  Personal   der  Akademie   soll   künftig  bestehen  aus 

1.  einem  Vorstande, 

2.  drey  Klassen-Sekretären, 

3.  einer  verhältnissmässigen  Anzahl  sowohl  ordentlicher 
in  München  wohnender  Mitglieder,  als 

4.  ausserordentlicher  oder  Ehrenmitglieder,  und 

5.  einer  angemessenen  Anzahl  korrespondirender  Mit- 
glieder. 

Diejenigen  ordentlichen  Mitglieder,  welche  ihren  Wohn- 
sitz in  München  aufgeben,  treten  in  die  Reihe  der  ausser- 
ordentlichen Mitglieder  ein. 

Die  dermaligen  auswärtigen  ordentlichen  Mitglieder  be- 
halten zwar  ihre  bisherige  Stellung  zur  Akademie,  in  Zukunft 
können  jedoch  die  ausser  München  wohnenden  Individuen  nur 
in  der  Eigenschaft  ausserordentlicher  oder  Ehrenmitglieder, 
oder  korrespondirender  Mitglieder  eintreten. 


Organisations-Urkunde  3 

V.  Der  Vorstand  wird  von  sämmtlichen  ordentlichen  Mit- 
gliedern der  Akademie  aus  ihrer  Mitte  durch  Stimmenmehrheit 
gewählt,  bedarf  jedoch  zur  Ausübung  seines  Amtes  Unserer 
königlichen  Bestätigung.  Er  bekleidet  die  ihm  auf  diese  Art 
übertragene  Stelle  jederzeit  drey  Jahre,  ist  aber  jederzeit  wieder 
wählbar;  die  Funktion  des  aus  der  ersten  Wahl  hervorgehenden 
Vorstandes  wird  sich  jedoch  ausnahmsweise  nur  auf  zwey  Jahre 
erstrecken.*) 

Der  Vorstand  wacht  über  die  genaue  Beobachtung  der 
Statuten  und  die  Erfüllung  der  Pflichten  eines  jeden  Mitgliedes 
oder  Angehörigen  der  Akademie. 

Er  führt  in  den  allgemeinen  Versammlungen,  und,  so  oft 
er  es  zuträglich  findet,  auch  in  den  besonderen  oder  Klassen- 
Versammlungen  den  Vorsitz;  er  kann  ausserordentliche  Ver- 
sammlungen anordnen;  er  unterzeichnet  alle  Ausfertigungen 
der  Akademie,  und  hat  überhaupt  alle  Befugnisse,  so  wie  alle 
Verpflichtungen  eines  Collegial -Vorstandes.  Im  Falle  der  Ab- 
wesenheit oder  sonstigen  Verhinderung  überträgt  er  die  Ge- 
schäfte des  Vorstandes  einem  Klassen-Sekretär. 

VI.  Die  Klassen-Sekretäre  werden  aus  den  ordentlichen 
Mitgliedern  jeder  Klasse  und  von  denselben  durch  Stimmen- 
mehrheit gewählt;  diese  Wahl  muss  Uns  jedesmal  angezeigt 
werden,  ohne  jedoch  Unserer  Bestätigung  zu  bedürfen.  Die 
Funktionen  der  Klassen-Sekretäre  dauern  jederzeit  drey  Jahre, 
nach  deren  Abfluss  eine  neue  Wahl  statt  findet,  bey  welcher 
sie  wieder  wählbar  sind.  Die  Klassen-Sekretäre  geben  in  Ab- 
wesenheit des  Vorstandes  die  Gegenstände  dei*  Verhandlungen 
in  den  Versammlungen  ihrer  Klassen  an,  führen  das  Protokoll 
und  die  Correspondenz  der  Klasse,  nehmen  in  Empfang,  was 
besonders  an  dieselbe  gerichtet  ist,  verfassen  die  Ehren-Reden 
auf    die    der  Akademie    durch    den   Tod    entrissenen    Mitglieder 


*}  Eine  Kgl.  Verordnung  vom  22.  November  1841  bestimmt,  daß 
der  Vorstand  der  Akademie  aus  der  Mitte  der  ordentlichen  Mitglieder 
vom  König  jeweils  auf  drei  Jahre  ernannt  wird. 

1* 


4  Organisations-Ürkunde 

ihrer    Klasse,    und    redigiren    gemeinschaftlieh    die    durch    den 
Druck    bekannt   zu    machenden  Jahres-Berichte  der  Akademie. 

VII.  Die  erste  dermalige  Ernennung  der  ordentlichen 
Mitglieder  der  Akademie  wird  unmittelbar  von  Uns  aus- 
gehen, für  die  Zukunft  aber  hat  die  Akademie  ihre  Mitglieder 
durch  freie  Wahl  mit  Vorbehalt  Unserer  jedesmaligen  Be- 
stätigung zu  ersetzen.  Die  Zahl  der  ordentlichen  Mitglieder 
der  Akademie  setzen  Wir  für  die  Zukunft  für  jede  Klasse  auf 
höchstens  zwölf,  daher  im  Ganzen  mit  Einschluss  des  Vor- 
standes und  der  Klassen-Sekretäre  auf  sechs  und  dreissig 
fest.*)  Jeder,  der  künftig  als  ordentliches  Mitglied  der  Aka- 
demie aufgenommen  werden  soll,  muss  der  gelehrten  Welt 
durch  schriftstellerische  Werke  von  anerkanntem  Werthe  oder 
durch  wichtige  Entdeckungen  bekannt ,  von  unbescholtenem 
Charakter  und  in  München  wohnhaft  sein.  Im  Uebrigen  ist 
die  Wahl  ganz  frey,  und  die  Mitglieder  der  Akademie  können, 
unter  den  obigen  Voraussetzungen  aus  der  Klasse  der  Geist- 
lichkeit, der  Staatsdiener,  des  Militärstandes,  der  öffentlichen 
Lehrer  an  der  Universität  und  Studien-Anstalten  und  der  Privat- 
Gelehrten  gewählt  werden.  Die  Pflichten  der  ordentlichen  Mit- 
glieder liegen  unmittelbar  im  Zwecke  der  Anstalt,  ihre  wesent- 
liche Verbindlichkeit  besteht  in  thätiger  Mitwirkung  an  den 
Arbeiten    der  Akademie    und    ununterbrochener  Theilnahme  an 


*)  Eine  Kgl.  Verordnung  vom  20.  April  1856  bestimmte: 

I.  Jede  Klasse  der  Akademie  ist  befugt,  zwölf  ordentliche  Mitglieder 
zu  zählen,  welche  das  siebenzigste  Lebensjahr  noch  nicht  er- 
reicht haben. 
IL  Die  ordentlichen  Mitglieder  der  drei  akademischen  Klassen,  welche 
das  siebenzigste  Lebensjahr  bereits  erreicht  oder  überschritten 
haben,  behalten  alle  als  Akademiker  bisher  besessenen  Rechte 
und  Befugnisse,  sind  jedoch  nur  zu  jenen  Arbeiten  und  Dienst- 
leistungen verpflichtet,  welche  sie  nach  freiem  Entschlüsse  über- 
nehmen wollen. 

Durch  Kgl.  Verordnung  vom  13.  Juli  1869  wurde  die  Zahl  der  ordent- 
lichen Mitglieder  der  mathematisch -physikalischen  Klasse  auf  18,  die 
der  außerordentlichen  auf  12,  ferner  durch  Verordnung  vom  10.  Mai  1909 
die  Zahl  der  ordentlichen  Mitglieder  auf  24  erhöht. 


Organisations-Urkunde  5 

ihren  Berathungen.  Jedes  Mitglied  der  Akademie  hat  bey  seinem 
Eintritte  in  dieselbe  eine  von  ihm  verfasste,  des  Druckes  würdige 
Inaugural-Abhandlung  in  öffentlicher  Sitzung  zu  verlesen. 

VIII.  Zu  Ehren- oder  ausserordentlichen  Mitgliedern 
werden  solche  inländische  oder  auswärtige  Individuen  gewählt, 
welche  nach  ihren  Verhältnissen  die  Bedingungen  zu  ordent- 
lichen Mitgliedern  nicht  erfüllen,  aber  sonst  durch  Rang  oder 
andere  äussere  Verhältnisse,  verbunden  mit  wissenschaftlichen 
Kenntnissen  und  Liebe  zu  den  Wissenschaften,  zur  Beförderung 
der  Zwecke  der  Anstalt  beytragen  können.*)  Die  Akademie 
legt  ihnen  keine  Pflicht  auf,  es  steht  ihnen  frey,  den  Sitzungen 
beyzuwohnen,  und  Abhandlungen  vorzulesen,  oder  einzusenden, 
welche,  wenn  sie  des  Druckes  würdig  befunden  werden,  in  die 
Denkschriften  der  Akademie  aufzunehmen  sind. 

IX.  Zu  korrespondirenden  Mitgliedern  werden  von 
in-  und  ausländischen  Gelehrten  diejenigen  ausersehen,  welche 
durch  zweckmässige  Mittheilungen  über  wissenschaftliche  Gegen- 
stände fortwährend  der  Akademie  nützliche  Dienste  zu  leisten 
im  Stande  und  bereitwillig  sind. 

X.  Die  ausserordentlichen  sowohl,  als  die  correspondirenden 
Mitglieder  werden  von  der  Akademie  selbst  mit  Vorbehalt 
Unserer  jedesmaligen  Genehmigung  gewählt.**) 

XL  Jedem  Mitgliede  der  Akademie  steht  der  Austritt  aus 
diesem  Verein  frey;  zur  wirklichen  Ausschliessung  aber  wird 
Unsere  ausdrückliche  Sanktion  erfordert. 

XII.  Nur  jene  Mitglieder  der  Akademie,  welche  zu  öffent- 
lichen regelmässigen  Vorlesungen  an  der  Ludwig-Maximilians- 
üniversität,  an  der  polytechnischen  Schule  oder  an  anderen 
ähnlichen  Staats-Anstalten  sich  verpflichten,  können  in  Zukunft 


*)  Die  Geschäftsordnung  vom  5.  September  1866  trennt  die  Ehren- 
mitglieder von  den  außerordentlichen  Mitgliedern. 

**)  In  der  Geschäftsordnung  vom  5.  September  1866  ist  die  Höchst- 
zahl der  korrespondierenden  Mitglieder  nicht  beschränkt. 


6  Organisations-Urkunde 

aus  dem  Fond  der  Akademie  einen  ständigen  Gehalt  erhalten. 
Ausserdem  werden  Wir  dem  Vorstande  und  den  Klassen- 
Sekretären  für  die  Dauer  ihrer  Funktionen  angemessene  jähr- 
liche Remunerationen  aus  dem  der  Akademie  zugewiesenen 
Fond  bewilligen.*) 

XIII.  Dem  Vorstande  und  den  Sekretären  wird  noch  zur 
Besorgung  der  Kanzleigeschäfte  und  zur  Führung  der  Regie- 
Rechnung  ein  Aktuar  mit  einem  angemessenen  Funktions- 
Gehalte,  und  ein  Kanzley gehülfe  gegen  Taggeld  bey gegeben. 
Der  Aktuar  hat  zugleich  das  Einlaufs-Tagebuch  zu  führen, 
die  Ausfertigungen  der  Akademie  zu  besorgen,  und  die  Regi- 
stratur derselben  in  Ordnung  zu  erhalten.**) 

XIV.  Das  Staatsministerium  des  Innern  (Sektion  für  die 
Angelegenheiten  der  Kirche  und  des  Unterrichts  oder  die  hiefür 
bestimmt  werdende  Stelle,***)  dem  in  Beziehung  auf  ihre  äussere 
Thätigkeit  und  Geschäfts- Verhältnisse,  die  Akademie  als  wissen- 
schaftlicher Verein  untergeordnet  ist,  kann,  so  oft  es  für  noth- 
wendig  erachtet  wird,  das  Gutachten  der  Akademie  über  wissen- 
schaftliche Gegenstände,  welches  diese  unentgeldlich  zu  geben 
verpflichtet  ist ,  erholen ,  auch  wegen  besonderer  Beachtung 
einzelner  Gegenstände  specielle  Aufträge  an  dieselbe  erlassen, 
sowie  hinwieder  die  Akademie  berufen  ist,  wichtige  und  ge- 
meinnützige Resultate  ihrer  Forschungen  und  Beobachtungen, 
dann  begründete  Ansichten  über  wahrhaft  dringende  Bedürf- 
nisse der  im  Artikel  II  bezeichneten  Wissenschaften  dem  ge- 
nannten Staatsministerium  vorzulegen.  Auch  hat  die  Akademie 
selbst  durch  Herstellung  und  Fortführung  einer  ununterbrochenen. 


*)  Zur  Zeit  erhält  kein  Akademiker  als  solcher  einen  ständigen 
Gehalt  aus  dem  Etat  der  Akademie.  Der  Vorstand  bezieht  900  Mk., 
die  3  Klassensekretäre  je  300  Mk.  jährliche  Remuneration. 

**)  Gegenwärtig  hat  die  Akademie  einen  Syndikus,  einen  Eentamt- 
mann,  einen  Kanzleisekretär,  einen  Kassen sekretär  und  einen  Diener  für 
die  Kanzlei. 

***)  Jetzt   „Staatsministerium    des    Innern   für   Kirchen-    und    Schul- 
angelegenheiten" . 


Organisations-Ürkunde  7 

freyen,  jedoch  rein  wissenschaftlichen  Verbindung  mit  gelehrten 
Instituten  und  Gesellschaften  des  In-  und  Auslandes  die  zur 
Erreichung  ihres  Zweckes  dienlichen  Hilfsmittel  zu  vermehren. 

XV.  Die  wissenschaftliche  Thätigkeit  der  Akademie  äussert 
sich  vorzüglich  durch 

1.  Berathung, 

2.  Schrift  und  Druck, 

3.  Ermunterung. 

XVI.  Zum  Behufe  einer  freyen  wissenschaftlichen  Be- 
rathung sollen  in  gewissen  Zeiträumen  theils  ordentliche  all- 
gemeine, theils  Klassen-Sitzungen  gehalten  werden,  in 
welchen  die  von  der  allerhöchsten  Stelle  an  die  Akademie  zum 
Gutachten  gebrachten  Fragen  berathen,  die  wichtigeren  aus- 
wärtigen Correspondenz- Nachrichten  vorgelegt,  die  von  den 
einzelnen  Mitgliedern  verfassten  Abhandlungen  und  Vorträge 
gelesen ,  die  Wahlen  neuer  Mitglieder  vorgenommen ,  und 
überhaupt  alle  zur  gemeinsamen  Berathung  der  Akademie 
oder  ihrer  einzelnen  Klassen  geeigneten  Gegenstände  dis- 
cutirt  werden.*) 

XVII.  In  jedem  Jahre  sollen  zwey  öffentliche,  feyerliche 
Sitzungen  gehalten  werden,  nämlich  am  Namenstage  des  re- 
gierenden Königs  und  am  28.  März,  als  dem  Tage  der  ersten 
Stiftung  dieses  wissenschaftlichen  Vereins,  In  diesen  beyden 
festlichen  Versammlungen  sollen ,  neben  gedrängten  Rechen- 
schafts-Berichten über  das  Wirken  der  Akademie,  Abhand- 
lungen über  wissenschaftliche  Gegenstände  von  allgemeinerem 
Interesse  und  Gedächtniss-Reden  über  ausgezeichnete  verstorbene 
Mitglieder  vorgetragen  werden.**) 

XVIII.  Die  Mittheilung  durch  Schrift  und  Druck  besteht 
vorzüglich  in  der  Herausgabe 


*)  Siehe  Geschäftsordnung  vom  5.  September  1866,  Titel  ,  Sitzungen 
1  und  2'. 

**)  Siehe  Geschäftsordnung  vom  5.  September  1866,  Titel,  Sitzungen  3*. 


8  Organisations-Urkunde 

1.  der  akademischen  Denkschriften,  in  welche  die 
von  Mitgliedern  der  Akademie  verfassten  wichtigeren 
Abhandlungen  aufzunehmen,  jedoch  dieselben  zur  Er- 
leichterung des  Absatzes  in  besondere,  nach  den  ver- 
schiedenen Klassen  der  Akademie  geordnete  Hefte  zu 
vertheilen  sind; 

2.  der  Sammlung  der  für  die  vaterländische  Geschichte 
wichtigen  Urkunden,  welche  unter  dem  Namen 

^Monumenta  boica* 
bekannt,    und   unter   besonderer  Berücksichtigung    der 
Städte-Urkunden    mit    Ausdehnung    auf   geschichtliche 
Urkunden    aus    den   neuerworbenen    Gebietstheilen    des 
Königreiches  fortzusetzen  ist,  und 

3.  einer  Literatur-Zeitung  unter  geeigneter  Mit- 
wirkung anderer,  nicht  zur  Akademie  gehörender 
Gelehrten.  *) 

XIX.  Ermunternd  wirkt  die  Akademie  der  Wissenschaften 
vorzüglich 

1.  durch  Ausschreibung  wahrhaft  interessanter  wissen- 
schaftlicher Preisfragen  und  Belohnung  ihrer  gelungenen 
Lösung ; 

2.  durch  Zuerkennung  akademischer  Denkmünzen  für  ein- 
gesendete gelungene  Arbeiten. 

XX.  Indem  Wir  hierdurch  Unserer  Akademie  der  Wissen- 
schaften die  Hauptbestimmung  ihrer  künftigen  Wirksamkeit 
vorgezeichnet  haben,  tragen  Wir  derselben  auf,  eine  auf  diese 
Bestimmungen  gegründete  Geschäftsordnung  zu  entwerfen,  und 
Uns  zur  Genehmigung  vorzulegen.**) 


*)  Die  Literaturzeitung  (, Gelehrte  Anzeigen*)  hörte  im  Jahre  1860 
auf  zu  erscheinen,  an  ihre  Stelle  traten  , Sitzungsberichte",  siehe  Ge- 
schäftsordnung, Titel  „Sitzungsberichte". 

**)  Maßgebend  ist  gegenwärtig  die  Geschäftsordnung  vom  5.  Sep- 
tember 1866. 


Organisations-Urkunde  9 

Gegenwärtige  Verordnung  soll  durch  das  Regierungs- 
blatt zur  allgemeinen  Kenntniss  gebracht,  und  durch  Unser 
Staatsministerium  des  Innern  förderlich  in  Vollzug  gesetzt 
werden. 

München  am  21.  März  1827. 

Ludwig. 

Fürst  V.  Wrede.         Graf  v.  Thürheim. 

Freyherr  v.  Zentner.         v.  Maillot. 

Graf  V.  Armansperg. 

Nach  dem  Befehle 
Seiner   Majestät  des   Königs: 

Egid  V.  Kobell. 


10 


Geschäftsordnung  der  K.  Akademie  der  Wissenschaften. 

Von  Seiner  Majestät  König  Ludwig  II. 
unterm  5.  September  1866  und  5,  Januar  1884  genehmigt. 

Wahlen. 

1.  Wahlberechtigt  sind  nur  die  hier  residierenden  ordent- 
lichen Mitglieder  der  Akademie. 

2.  Zu  den  Wahlversammlungen,  sowohl  der  einzelnen  Klassen 
als  der  Gesamt- Akademie,  werden  die  ordentlichen  Mit- 
glieder durch  ein  Circular  eingeladen. 

Das   unterschriebene    Circular   gehört   zum  Akt    der 
Wahlverhandlung. 

3.  Die  Wahlen  der  Mitglieder  finden  in  zwei  aufeinander- 
folgenden Sommer-Monaten  statt. 

a)  Wahl  der  Klassensekretäre. 

1.  Die  Wahl  eines  Klassensekretärs  geschieht  alsbald  (im 
Fall  der  Erledigung  durch  Ableben  unter  dem  Vorsitz 
des  Vorstandes)  durch  relative  Mehrheit  der  Anwesenden 
in  einer  Klassensitzung  mittelst  Stimmzettel,  welche  der 
stellvertretende  Sekretär,  der  Senior  der  Klasse,  einsieht. 

2.  Nach  erfolgter  Wahl  tritt  der  Sekretär  sofort  in  seine 
Tätigkeit. 

3.  Die  Neuwahl  wie  die  Wiederwahl  wird  den  andern  Klassen- 
sekretären zur  Bekanntgabe  mitgeteilt. 

b)  Wahl  der  ordentlichen  Mitglieder. 
1.  Die  Vorschläge  zur  Ergänzung  einer  statusmässigen  Stelle 
durch    einen    einheimischen    hier    wohnenden    Gelehrten 
unterliegen  der  Vorberatung   und    alsdann  der  Entschei- 
dung der  Klasse  durch  Kugelung. 


Geschäftsordnung  1 1 

2.  Die  Gültigkeit  der  Wahl  verlangt  absolute  Stimmenmehr- 
heit von  drei  Viertel  der  eingeladenen  und  nicht  unab- 
weislich  abgehaltenen  Mitglieder. 

3.  Das  von  allen  Mitgliedern  unterschriebene  Wahlprotokoll 
wird  samt  den  schriftlichen  Vorschlägen  durch  das  Prä- 
sidium der  Gesamt-Akademie  in  allgemeiner  Sitzung  mit- 
geteilt und  diese  entscheidet  durch  absolute  Stimmenmehr- 
heit mit  Kugeln,  ohne  Rücksicht  auf  die  Zahl  der  Er- 
schienenen, über  die  Wahl. 

4.  Das  gleiche  Verfahren  gilt  bei  den  folgenden  unter  c 
und  d  aufgeführten  Wahlhandlungen. 

c)  Wahl  der  ausserordentlichen  Mitglieder. 
Die  Vorschläge   stehen  jedem    einzelnen  ordentlichen  Mit- 
glied der  Klasse  zu. 

d)  Wahl  der  auswärtigen  und  korrespondierenden 
Mitglieder, 

1.  Die  Anträge  können  gleichfalls  von  jedem  ordentlichen 
Mitgliede  der  Klasse  einzeln  gestellt  werden. 

Jeder  Vorschlag    muss   dem    Klassensekretär   vor    der 
Wahlsitzung  schriftlich  übergeben  werden. 

2.  Bei  der  Würdigung  derselben  ist,  ausser  der  selbstver- 
ständlichen Beachtung  der  Persönlichkeit,  das  Bedürfnis 
einzelner  oder  besonderer  in  der  Klasse  vertretener  Wissen- 
schaften wahrzunehmen. 

e)  Wahl  von  Ehrenmitgliedern. 

Die  Vorschläge  können  nur  vom  Vorstande  nach  Benehmen 
mit  den  Klassensekretären  an  die  Gesamt-Akademie  gebracht 
werden. 

Sämtliche  Wahlen  der  Mitglieder  unterliegen  der  könig- 
lichen Bestätigung.  Ihre  Verkündigung  erfolgt  in  öffentlicher 
Sitzung. 

Nehmen  auswärtige  oder  korrespondierende  Mitglieder 
ihren  bleibenden  Wohnsitz  hierselbst,  so  treten  jene  als  ordent- 


12  Geschäftsordnung 

liehe,  diese  als  ausserordentliche  in  ihre  Klasse  ein,  auch  in 
dem  Fall,  dass  damit  die  Normalzahl  der  Mitglieder  über- 
schritten wird. 

Sitzungen. 

1. 
Allgemeine  Sitzungen. 
Bei    Mitteilungen    von    allgemeinem    Interesse    beruft    der 
Vorstand    sämtliche   hier   wohnende   Akademiker   in   besonderer 
Einladung,  wie  gelegentlich  der  Wahl  neuer  Mitglieder. 

2. 
Klassen  Sitzungen. 

1.  Die  Sitzungen  der  drei  Klassen  werden  gleichzeitig  am 
ersten  Samstag  des  Monats  gehalten. 

2.  Eine  Verlegung  dieser  regelmässigen  Sitzung  wird  vor- 
her durch  Circular  angezeigt. 

3.  Über  die  Reihenfolge  der  Vorträge  wird  in  der  November- 
Sitzung  jeder  Klasse  Anordnung  getroffen. 

4.  Der  von  einem  Mitgliede  in  einer  Sitzung  zu  haltende  Vortrag 
soll  vor  derselben  dem  Klassensekretär  angemeldet  werden. 

5.  Die  Klasse  erledigt  in  ihren  Sitzungen  oder  in  dringen- 
den Fällen  durch  Circulare  auch  Anfragen  oder  Aufträge 
des  Staatsministeriums  oder  was  sonst  in  den  Kreis  der 
Beratung  eintritt. 

3. 

Öffentliche  Sitzungen. 

1.  Nach  Eröffnung  der  Sitzungen  (welche  an  einem  Königs- 
tage und  an  dem  Stiftungstag  der  Akademie  stattfinden*) 
durch  den  Vorstand,  erstatten  die  Klassensekretäre  Bericht 
über  die  Personal- Veränderungen  innerhalb  ihrer  Klasse. 

2.  Die  Festrede  wechselt  nach   der  Folge  der   drei  Klassen. 

Jede  Klasse  hat  rechtzeitig   den  Redner  zu  bestimmen 
und  dem  Vorstande  bekannt  zu  geben. 


*)  Gegenwärtig  wird  erstere  Mitte  November,  letztere  in  der  ersten 
Hälfte  des  Monats  März  abgehalten. 


Geschäftsordnung  13 

Denkschriften. 

Jedes  Jahr  gibt  jede  Klasse  eine  Abteilung  zu  einem 
Bande  akademischer  Denkschriften;  dieser  enthält  circa  hundert 
Bogen. 

Die  Aufnahme  der  Abhandlungen,  mögen  sie  nun  in  einer 
Sitzung  vorgetragen  oder  eingesendet  worden  sein,  hängt  von 
dem  Gutachten  der  Klasse  ab. 

Von  den  einzelnen  Abhandlungen  werden  auch  eine  Zahl 
Separat-Abzüge  ausgegeben. 

Sitzungsberichte . 

Die  Sitzungsberichte  veröffentlichen ,  was  alles  in  den 
Klassensitzungen  zum  Vortrag  kam,  sei  es  im  Auszug,  sei  es 
vollständig. 

Über  die  Aufnahme  entscheidet  die  Klasse. 

Dieselben   berichten   auch   über  die  öffentlichen  Sitzungen. 

Für  künstlerische  Beilagen,  sowohl  zu  den  Denkschriften 
als  den  Sitzungsberichten,  muss  ein  Voranschlag  gemacht  und 
die   besondere  Genehmigung   des  Vorstandes    eingeholt   werden. 

Monumenta  boica. 

Die  hiefür  eigens  niedergesetzte  Kommission  hat  die  Aus- 
wahl, die  Form  und  den  Bearbeiter  der  Urkunden  zu  bestimmen. 

Honorare. 

Für  die  Festrede  in  der  öffentlichen  Sitzung,  für  die  Ab- 
handlungen in  den  Denkschriften  und  den  Sitzungsberichten 
werden  Honorare  bezahlt. 

Übersteigt  eine  Abhandlung  in  einer  Abteilung  der  Denk- 
schriften die  Zahl  von  acht  Bogen,  in  den  Sitzungsberichten 
die  Zahl  von  drei*)  Bogen,  so  wird  für  das  Weitere  kein 
Honorar  bezahlt. 


*)  Gegenwärtig  fünf. 


14  Geschäftsordnung 

Für  die  Festrede  bleibt  ohne  Rücksicht  auf  ihren  Umfang 
das  Honorar  festgesetzt.*) 

Jetons. 

Präsenzgelder  werden  an  die  Mitglieder  der  Klasse  für 
die  Klassensitzung  und  an  die  bei  einer  öffentlichen  Sitzung 
anwesenden  Akademiker  verteilt.**) 

Ferien. 

Die  regelmässigen  Ferien  dauern  von  August  bis  Ende 
Oktober. 


*)  Dieselbe    wird    zur   Zeit   gleich    drei  Bogen    der    Denkschriften 
honoriert. 

**)  Für   die  Klassensitzungen  je   2  Mk. ,   für    die    öffentlichen    Sit- 
zungen je  5  Mk. 


15 


Satzungen  der  Kommissionen. 


Satzung  der  historischen  Commission  bei  der  königlichen 
Akademie  der  Wissenschaften. 

Ich  habe  beschlossen,  eine  Commission  für  deutsche  Ge- 
schichts-  und  Quellenforschung  bei  Meiner  Akademie  der 
Wissenschaften  nach  ähnlichen  Grundsätzen,  wie  die  natur- 
wissenschaftlich-technische Commission  zu  errichten,  und  be- 
stimme desshalb  auf  solange  Ich  nicht  anders  verfüge,  wie  folgt: 

I. 

Die  Commission  besteht  aus:  * 

1.  einem  Vorstande, 

2.  einem  Sekretär, 

3.  aus  15 — 20  ordentlichen  Mitgliedern,  von  welchen 
mindestens  drei  Mitglieder  der  historischen  Classe  der 
Akademie  sein  müssen,  die  übrigen  aber  ohne  sonstige 
Bedingung  aus  den  wissenschaftlichen  Notabilitäten 
Deutschlands  und  den  deutschen  Provinzen  der  Nach- 
barstaaten ausgewählt  werden, 

4.  einer  unbestimmten  Anzahl  ausserordentlicher  Mit- 
glieder. 

Diese  Commission  bildet  einen  integrirenden  Theil  der 
königl.  Akademie  der  Wissenschaften,  ist  daher  mit  dieser  dem 
königl.  Staatsministerium  des  Innern  für  Kirchen-  und  Schul- 
Angelegenheiten  untergeordnet. 

IL 

Der  Vorstand  leitet  in  den  Sitzungen  die  Debatte,  hält 
die  Umfrage,  gibt  zuletzt  seine  Stimme  ab,  und  hat  bei  Stimmen- 
gleichheit den  Stichentscheid. 

Er  wird  im  Falle  der  Abwesenheit  von  dem  Sekretär  ver- 
treten.    Er  muss  Mitglied  der  Akademie  sein. 


lö  Satzungen  der  Kommissionen 

Der  Sekretär  führt  das  Protokoll  und  besorgt  die  Cor- 
respondenzen.  Er  muss  ein  in  München  residirendes  ordent- 
liches Mitglied  der  Akademie  sein. 

Für  den  ersten  Fall  erfolgt  Meinerseits  die  Ernennung 
des  Vorstandes,  des  Sekretärs  und  der  ordentlichen  Mitglieder 
der  Commission  unmittelbar.  Weiterhin  hat  die  Commission 
in  der  jährlichen  Plenarsitzung  der  ordentlichen  Mitglieder  bei 
dem  Abgange  des  Vorstandes  oder  Sekretärs  oder  ordentlicher 
Mitglieder  Mir  deren  Nachfolger,  ebenso  wie  die  ausserordent- 
lichen Mitglieder  zur  Ernennung  in  Vorschlag  zu  bringen. 

III. 

Die  Commission  wird  sich  vornehmlich  mit  der  Auffindung 
und  Herausgabe  werthvollen  Quellenmaterials  für  die  deutsche 
Geschichte  in  deren  ganzen  Umfange  beschäftigen ,  soweit 
dasselbe  nicht  in  den  Bereich  bereits  bestehender  Unterneh- 
mungen fällt.  Sie  wird  ausserdem  wissenschaftliche  Arbeiten, 
die  in  diesem  Gebiete  nothwendig  oder  erspriesslich  erscheinen, 
hervorzurufen  suchen,  sie  wird  endlich  hervorragende  wissen- 
schaftliche Arbeiten  dieses  Gebietes,  welche  sonst  nicht  zur 
Publikation  gelangen  würden,  veröffentlichen. 

Sie  ist  ermächtigt,  Jedem,  der  in  ihrem  Auftrage  die 
Bearbeitung  eines  Gegenstandes  übernimmt,  die  zu  liquidirenden 
Baarausgaben  dafür  zu  vergüten ,  und  die  Arbeit  selbst  in  ge- 
eigneter Weise  zu  honoriren. 

IV. 

Zu  Michaelis  jeden  Jahres  findet  eine  Plenarsitzung  aller 
ordentlichen  Mitglieder  statt.*)  Für  die  Theilnahme  an  der- 
selben erhält  jedes  ausserhalb  Münchens  wohnende  Mitglied 
eine  Reiseentschädigung  von  200  fl. 

In  dieser  Sitzung  berichtet  der  Sekretär  über  die  Arbeiten 
und  Verwendung  der  Geldmittel  des  abgelaufenen  Jahres.  Die 
Commission  fasst  sodann  Beschluss   über   die  Arbeiten  und  den 


*)  Seit  dem  Jahre  1891  findet  die  Plenarversammlung  mit  Aller- 
höchster Genehmigung  nicht  mehr  zu  Michaelis  statt,  sondern  in  der 
Pfingstwoche. 


Satzungen  der  Kommissionen  17 

Etat  des  kommenden  Jahres.  Sie  fasst  Beschluss  über  etwaige 
Wahlen.  Wenn  bei  der  Ausführung  der  Beschlüsse  dringende 
Fälle  eine  sofortige  Entscheidung  fordern,  deren  Beschliessung 
zur  Competenz  der  Plenarsitzung  gehören  würde ,  so  kann 
darüber  durch  eine  Berathung  des  Vorstandes  und  des  Sekretärs 
in  Gemeinschaft  mit  den  in  München  anwesenden  und  den 
näher  bei  der  Sache  betheiligten  Mitgliedern  deren  Beschluss 
gefasst  werden. 

Der  Vorstand  und  sämmtliche  Mitglieder  der  Akademie, 
sowie  die  ausserordentlichen  Mitglieder  der  Commission  haben 
die  Befugniss,  der  Plenarsitzung  beizuwohnen.  Stimm-  und 
wahlberechtigt  sind  jedoch  nur  die  ordentlichen  Mitglieder  der 
Commission. 

V. 

Die  in  München  anwesenden  Mitglieder  der  Commission 
treten,  so  oft  es  einem  derselben  erforderlich  scheint,  zu  einer 
Sitzung  zusammen,  die  von  dem  Vorstande,  —  oder  in  dessen 
Abwesenheit  von  dem  Sekretär  berufen  und  geleitet  wird.  Die 
Beschlüsse  dieser  Sitzungen  werden  den  auswärtigen  Mitgliedern 
durch  den  Sekretär  mitgetheilt. 

VI. 

Die  Commission  hält  ihre  Sitzungen  in  den  Lokalitäten 
der  Akademie  der  Wissenschaften. 

VII. 

Sie  veröffentlicht  ihre  Arbeiten  in  zwanglosen  Bänden,  die 
auf  ihrem  Titel  als:  , herausgegeben  durch  die  historische 
Commission  bei  der  Königlich  bayerischen  Akademi*^  der  Wissen- 
schaften"  bezeichnet  werden. 

Die  Kosten  der  Herausgabe  werden  überall  aus  dem 
Fonde  der  Commission  gedeckt,  welchem  dagegen  der  etwaige 
buchhändlerische  Ertrag  der  Publikationen  zuwächst. 

VIII. 

Ich  bewillige  der  Commission  jährlich  die  Summe  von 
15000  fl.  aus  Meiner  Cabinettscassa. 

Aus  diesem  Fonde  werden  ausser  den  Autor-Honorarien, 
Reiseentschädigungen  und  Druckkosten  auch  die  Regieausgaben 

Jahrbuch  1915.  2 


18  Satzungen  der  Kommissionen 

für  Schreibmaterialien,  Post  [Fracht]  bestritten.  Was  von 
demselben  in  einem  Jahre  nicht  verbraucht  wird,  wächst  der 
Einnahme  des  nächsten  Jahres  zu. 

IX. 
Unter  der  Aufsicht  des  Vorstandes,  der  im  Falle  seiner 
Abwesenheit  auch  in  dieser  Beziehung  durch  den  Sekretär 
vertreten  wird,  führt  der  Cassier  der  Akademie  der  Wissen- 
schaften die  Cassa  und  Rechnung  der  Commission  gegen  eine 
jährliche  Remuneration  von  150  fl.  und  entwirft  jährlich  den 
Etat  zur  Instruktion  der  Plenarsitzung. 

X. 

Die  Plenarsitzung  hat  jährlich  über  die  Arbeiten  der 
Commission  und  die  Verwendung  ihrer  Geld-Mittel  umständ- 
lichen Bericht  zu  erstatten,  welcher  Bericht  durch  das  Staats- 
ministerium des  Innern  für  Kirchen-  und  Schulangelegenheiten 
Mir  zur  Genehmigung  in  Vorlage  zu  bringen  ist. 

XI. 

Ich  ernenne  zu  Mitgliedern  der  Commission  die  Akademiker 
von  Rudhart,  von  Spruner,  von  Sybel  und  zum  Sekretär 
derselben  den  Akademiker  von  Sybel.  Dieselben  haben  sofort 
Anträge  über  die  Ernennung  auswärtiger  Mitglieder  einzureichen. 
Nach  deren  Eingang  behalte  Ich  Mir  vor,  den  Vorstand  der 
Commission  zu  bezeichnen.  Zugleich  bestimme  Ich,  dass  die 
Commission  in  den  Kreis  ihrer  Arbeiten  und  auf  ihren  Fond 
die  Herausgabe  der  deutschen  Reichstagsakten,  wie  Ich  solche 
auf  den  Antrag  des  Professors  von  Sybel  genehmigt  habe, 
sowie  die  Arbeiten  der  seither  bestehenden  archivalischen  Com- 
mission übernehme. 

XII. 

Der  jährliche  Etat  der  Commission  ist  Mir  zur  Geneh- 
migung vorzulegen,  die  Revision  der  Rechnungen  aber,  wie 
bei  der  naturwissenschaftlich-technischen  Commission,  von  der 
k.  Rechnungskamraer  zu  führen. 

München  am  26.  November  1858. 
gez.  MAX. 


Satzungen  der  Kommissionen  1" 


Urkunde  über  die  Errichtung  einer  Wittelsbacher- 
Stiftung  für  Wissenschaft  und  Kunst. 

LUDWIG  IL, 

von  Gottes  Gnaden  König  von  Bayern, 

Pfalzgraf  bei  Rhein, 

Herzog  von  Bayern,  Franken  und  in  Schwaben  etc.  etc. 

Um  die  Allerhöchsten  Intentionen  Unseres  vielgeliebten, 
nun  in  Gott  ruhenden  Herrn  Vaters,  Seiner  Majestät  des  Königs 
Maximilian  IL  von  Bayern  im  thunlichsten  Umfange  in  ehrende 
Verwirklichung  zu  bringen  und  insbesondere  für  die  Arbeiten 
der  von  Höchstdemselben  bei  der  Akademie  der  Wissenschaften 
in  München  gegründeten  historischen  Kommission  auch  ferner- 
hin die  entsprechenden  Mittel  zu  sichern,  haben  Wir  in  Ge- 
meinschaft mit  Unseres  vielgeliebten  Herrn  Bruders,  des  Prinzen 
Otto  von  Bayern  Königlicher  Hoheit  beschlossen,  eine  allge- 
meine Landesstiftung,  zunächst  zur  Förderung  wissenschaftlicher 
Zwecke,  zu  errichten  und  verordnen  hier  wegen  was  folgt: 

I. 

Die  bezeichnete  Stiftung  führt  den  Namen  ,  Witteisbacher- 
Stiftung  für  Wissenschaft  und  Kunst" ;  sie  besitzt  die  Eigen- 
schaft einer  Landesstiftung  mit  juristischer  Persönlichkeit  und 
hat  ihren  Sitz  in  München. 

IL 

Zur  Dotation  derselben  bestimmen  Wir  und  Unseres  Herrn 
Bruders,  des  Prinzen  Otto  von  Bayern  Königliche  Hoheit  den 
Betrag  von  zusammen  sechsmal  hundert  fünfzig  tausend  Mark 
aus  dem  Nachlasse  Unseres  Höchstseligen  Herrn  Vaters. 


^^  Satzungen  der  Kommissionen 

III. 

Die  Verwaltung  des  Stiftungsvermögens  wird  der  Kassa- 
verwaltung der  Akademie  der  Wissenschaften  in  München  unter 
der  Aufsicht  des  jeweiligen  Vorstandes  der  von  Unserem  Höchst- 
seligen Herrn  Vater,  Seiner  Majestät  dem  König  Maximilian  H. 
von  Bayern  gegründeten  Kommission  für  deutsche  Geschichts- 
und Quellenforschung  oder  des  Stellvertreters  desselben  über- 
tragen. 

IV. 

Die  Renten  des  Stiftungs Vermögens  sind  bis  auf  Weiteres 
für  die  Zwecke  und  Arbeiten  der  vorgenannten  historischen 
Kommission  zu  verwenden. 

Hinsichtlich  der  Zusammensetzung  und  der  Aufgaben,  dann 
des  Geschäftsganges  und  der  sonstigen  Einrichtungen  dieser 
Kommission  verweisen  Wir  auf  die  von  Unserem  Höchstseligen 
Herrn  Vater,  dem  Könige  Maximilian  II.  von  Bayern  hierüber 
getroffenen  Bestimmungen,  deren  allenfallsige  Aenderungen  Wir 
übrigens  Uns   und  Unseren  Regierungsnachfolgern  vorbehalten. 

V. 

Für  den  Fall  die  Zwecke  der  genannten  historischen  Kom- 
mission seinerzeit  von  Uns  oder  Unseren  Regierungsnachfolgern 
als  erfüllt  erachtet  werden  sollten,  behalten  Wir  Uns  und 
Unseren  Regierungsnachfolgern  vor,  die  Renten  der  bezeich- 
neten Stiftung  anderen  wissenschaftlichen  Zwecken  oder  auch 
Zwecken  der  bildenden  Künste  zuzuwenden  und  hienach  auch 
die  Bestimmungen  über  die  Verwaltung  des  Stiftungsvermögens 
zu  ändern. 

VI. 

Unser  Staatsministerium  des  Innern  für  Kirchen-  und  Schul- 
angelegenheiten ist  beauftragt,  die  zum  Vollzuge  dieser  Stiftung 
erforderlichen  weiteren  Anordnungen  zu  treffen. 

Gegeben  zu  München,  den  23.  März  1880. 

LUDWIG. 

Dr.  von  Lutz. 


Satzungen  der  Kommissionen  *1 


Bestimmungen  über  die  Organisation  einer  Bayerischen 
Kommission  für  die  internationale  Erdmessung.*) 

§  1. 
Zur  Durchführung  der  für  die  Zwecke  der  internationalen 
Erdmessung  in  Bayern  vorzunehmenden  Arbeiten  wird  auf  die 
Dauer  derselben  eine  aus  Mitgliedern  der  mathematisch-physi- 
kalischen Klasse  der  k.  Akademie  der  Wissenschaften  bestehende 
Kommission  unter  der  Vorstandschaft  des  Generalkonservators 
der  wissenschaftlichen  Sammlungen  des  Staates  [bezw.  des  Vor- 
standes der  k.  Akademie  der  Wissenschaften]  gebildet,  welche 
den  Namen 

„K.  Bayerische  Kommission  für  die  internationale 
Erdmessung" 
führt  und  dem   k.  Staatsministerium   des   Innern   für   Kirchen- 
und  Schulangelegenheiten  untergeordnet  ist. 

§  2. 
In  dieser  Kommission  sind  die  Referate  über  astronomische, 
geodätische,  mathematische  und  physikalische  Fragen  je  einem 
Fachmanne  zu  übertragen,  und  es  ist  hierauf  von  dem  Vor- 
stande der  Kommission  sowohl  bei  der  Verteilung  der  Referate 
als  bei  den  Anträgen  auf  Wiederbesetzung  erledigter  Funk- 
tionen Rücksicht  zu  nehmen. 

§  3. 
Die  formellen  Geschäfte  der  Kommission  besorgt  ein  stän- 
diger Sekretär,    welcher  Mitglied  der  Kommission  ist,    und   auf 
Vorschlag    des    Vorstandes    von   dem    k.    Staatsministerium   des 
Innern   für  Kirchen-  und  Schulangelegenheiten  bestimmt  wird. 

*)  Ursprünglich  Kommission  für  die  europäische  Gradmessung. 


22  Satzungen  der  Kommissionen 

Derselbe  ist  in  Fällen  der  Verhinderung  des  Vorstandes  dessen 
Stellvertreter,  führt  in  den  Sitzungen  der  Kommission  das 
Protokoll*)  und  besorgt  die  Redaktion  der  Druckschriften,  welche 
die  Erdmessungskommission  herauszugeben  für  gut  findet.  Siegel 
und  Akten  der  Kommission  sind  in  seiner  Verwahrung.  Bei 
der  Aufstellung  des  ständigen  Sekretärs  wird  zugleich  dessen 
Stellvertreter  bezeichnet. 

§  4. 
Das  Kassa-  und  Rechnungswesen  wird  dem  für  das  k.  General- 
konservatorium der  wissenschaftlichen  Sammlungen  des  Staates 
und  die  k.  Akademie  der  Wissenschaften  aufgestellten  Rech- 
nungsbeamten übertragen  und  von  diesem  nach  den  für  jene 
Institute  geltenden  administrativen  Vorschriften  besorgt. 

§  5. 
Die  Mitglieder  der  Erdmessungskommission  und  deren  Vor- 
stand besorgen  die  ihnen  zukommenden  Arbeiten  unentgeltlich; 
für  auswärtige  Beschäftigungen  erhalten  dieselben  die  ihnen 
gebührenden  Taggelder  und  Reisekosten  und  für  Druck- 
schriften, welche  die  Ergebnisse  ihrer  Beobachtungen  dar- 
stellen, das  für  Abhandlungen  der  akademischen  Denkschriften 
übliche  Honorar. 

Dem  Rechnungsführer  [sowie  dem  Sekretär  der  Akademie] 
wird  von  dem  k.  Staatsministerium  des  Innern  für  Kirchen- 
und  Schulangelegenheiten  auf  den  gutachtlichen  Antrag  der 
Kommission  eine  [ihren]  Dienstleistungen  entsprechende  Re- 
muneration bewilligt**)  und  dem  Sekretär  [der  Kommission] 
durch  den  Etat  eine  Aversalsumme  zur  Bestreitung  der  Aus- 
lagen  für  Schreibgeschäfte   und  Bureaubedürfnisse    angewiesen. 


*)  Laut  Ministerialentschliessung  vom  10.  Juli  1868  ist  „in  den 
Fällen,  in  welchen  der  beständige  Sekretär  der  Kommission  als  Vorstand 
zu  fungieren  hat,  ein  Administrativ-Beamter  der  k.  Akademie  oder  des 
Generalkonservatoriums  als  Sekretär  zu  verwenden", 

**)  Diese   Remunerationen   sind   seit   dem  Jahre    1889,   bezw.    1898 
aufgehoben. 


Satzungen  der  Kommissionen  23 

§6. 

Die  Kommission  hat  darüber  zu  wachen,  dass  alle  auf 
Bayern  treffenden  Erdmessungsarbeiten  mit  möglichst  geringem 
Kostenaufwande  rechtzeitig  und  genau  nach  den  Beschlüssen 
der  allgemeinen  Konferenzen  und  der  permanenten  Kommission 
der  internationalen  Erdmessung  vollzogen  und  publiziert  werden. 

Zu  dem  Ende  hat  dieselbe 

1.  mit  der  letztgenannten  Kommission  die  erforderliche 
Korrespondenz  zu  unterhalten; 

2.  während  jedes  Winterhalbjahrs  in  einer  Sitzung  durch 
wohlerwogene  Beschlüsse  die  Arbeiten  zu  bestimmen, 
welche  im  Sommerhalbjahr  auszuführen  sind  und  die 
Summen  festzusetzen ,  welche  von  jedem  Kommissär 
gegen  vorschriftsmässige  Verrechnung  auf  die  seiner 
Leitung  unterstellten  Arbeiten  verwendet  werden  dürfen; 

3.  zu  jeder  Zeit  die  vorgelegten  Manuskripte  für  Druck- 
schriften in  der  Richtung  zu  prüfen,  ob  sie  im  Sinne 
der  obengenannten  Beschlüsse  abgefasst  und  überhaupt 
druckwürdig  sind  und  je  nach  dem  Ergebnisse  dieser 
Prüfung  die  Genehmigung  zum  Drucke  des  Manuskriptes 
zu  geben  oder  zu  versagen;  endlich 

4.  jährlich  jedesmal  im  Laufe  des  Winters  über  den  Fort- 
gang der  Erdmessungsarbeiten  in  Europa  und  Bayern 
an  das  k.  Staatsministerium  des  Innern  für  Kirchen- 
und  Schulangelegenheiten  zu  berichten  und  die  erforder- 
lichen Anträge  über  Beschickung  der  allgemeinen  und 
besonderen  Konferenzen  der  Erdmessungskommissäre 
durch  Mitglieder  der  bayerischen  Kommission  zu  stellen. 

§  7. 
Regelmässige  Sitzungen  der  Erdmessungskommission  haben 
jährlich  nur  zwei,  eine  im  Winter-  und  eine  im  Sommer-Se- 
mester stattzufinden;  in  dringenden  Fällen  kann  der  Vorstand, 
wenn  er  es  für  nötig  findet  oder  zwei  Mitglieder  es  beantragen, 
ausserordentliche  Sitzungen  halten.  Bei  allen  Abstimmungen 
über   geschäftliche  Fragen    entscheidet   einfache  Stiramenmehr- 


24  Satzungen  der  Kommissionen 

heit,  kommt  eine  solche  nicht  zu  Stande,  so  zählt  die  Stimme 
des  Vorstandes  doppelt.  In  allen  wissenschaftlichen  und  tech- 
nischen Fragen  sind  die  Konferenzbeschlüsse  und  deren  allen- 
fallsige Interpretationen  durch  die  permanente  Kommission  der 
internationalen  Erdmessung  massgebend.  Diese  Interpretationen 
sind  in  zweifelhaften  Fällen  durch  den  Vorstand  der  bayerischen 
Kommission  zu  veranlassen. 

§  8. 

Alle  Ausfertigungen  und  Berichte  der  Kommission  werden 
von  dem  Vorstande  und  dem  Sekretär,  beziehungsweise  von 
deren  Stellvertretern  unterzeichnet. 

Das  Amtssiegel  der  Kommission  trägt  das  bayerische 
Wappen  und  die  Umschrift:  ,K.  Bayerische  Kommission  für 
die  internationale  Erdmessung."  Ein  Exemplar  dieses  Siegels 
erhält  jedes  Kommissionsmitglied  zu  seinem  speziellen  dienst- 
lichen Gebrauche  für  Korrespondenzen  in  Erdmessungsangelegen- 
heiten  und  für  Verhandlungen,  welche  für  diesen  Zweck  mit 
Behörden  und  Privaten  zu  pflegen  sind. 

§  9. 
Die  bayerische  Kommission  für  die  internationale  Erd- 
messung geniesst  für  ihre  Korrespondenzen  und  ihre  mit  der 
Fahrpost  zu  versendenden  Akten  die  Postportofreiheit  auf 
Grund  der  Allerhöchsten  Verordnung  vom  23.  Juni  1829  und 
beziehungsweise  der  Artikel  26  und  47  der  Postverträge  vom 
23.  November  1867.*) 

§  10. 

Die  Assistenten,  welche  ein  Kommissär  bedarf,  werden 
von  diesem  ausgewählt  und  von  dem  Vorstand  der  Erdmessungs- 
kommission  bei  dem  vorgesetzten  k.  Staatsministerium  zur  Be- 
stätigung ihrer  Punktionen  und  Bezüge  beantragt. 

Dieselben  sind  dem  Kommissär  untergeordnet  und  erhalten 
von  diesem  ihre   von  der  Erdraessungskommission  genehmigten 


*)   Geändert   durch   Verordnung  vom   22.  Dezember  1907   (Ges.   u. 
V.  Bl.  S.  1082). 


Satzungen  der  Kommissionen  25 

Instruktionen,    wesshalb    auch    der   betreffende   Kommissär    für 
alle  Arbeiten  seiner  Assistenten  verantwortlich  ist. 

Um  sich  bei  dem  persönlichen  Verkehre  mit  Stellen,  Be- 
hörden und  Privaten  gehörig  legitimieren  zu  können,  wird 
jedem  Kommissär  auf  Antrag  des  Vorstandes  der  Erdmessungs- 
kommission  vom  k.  Staatsministerium  des  Innern  für  Kirchen- 
und  Schulangelegenheiten  und  jedem  Assistenten  auf  Antrag 
des  betreffenden  Kommissärs  von  dem  Vorstande  der  Erd- 
messungskommission  eine  Legitimationsurkunde  ausgefertigt. 

München,  den  20.  Oktober  1868. 


26 


Satzungen  der  Stiftungen. 


I. 

Satzung  der  Savigny- Stiftung. 

Bei  der  Feier,  welche  die  Juristische  Gesellschaft  zu  Berlin 
am  29.  November  1861  zum  Gedächtnisse  des  am  25.  Oktober 
desselben  Jahres  verstorbenen  kgl.  Preussischen  Staatsministers 
Dr.  Friedrich  Karl  v.  Savigny  beging,  wurde  der  Beschluss 
verkündet,  das  Andenken  des  grossen  Rechtslehrers  durch 
Gründung  einer  Stiftung  zu  ehren. 

Da  zur  Ausführung  dieses  Beschlusses  die  Summe  von 
16,436  Thlr.  Preuss.  Cour,  bereits  verfügbar  ist,  wird  nach- 
stehendes Statut  errichtet: 

I.  Zweck  der  Stiftung. 

§  1.     Der  Zweck  der  Stiftung  ist: 
in    wesentlicher    Berücksichtigung   der   Bedürfnisse    der  Gesetz- 
gebung und  der  Praxis 

1.  wissenschaftliche  Arbeiten   auf  dem  Gebiete  des  Rechts 
der  verschiedenen  Nationen  zu  fördern, 

namentlich  solche,  welche  das  römische  Recht  und 
die  verschiedenen  Germanischen  Rechte  sowohl  für  sich 
als  auch  im  Verhältniss  zu  einander  behandeln, 

ferner  solche,  welche  die  von  Savigny  begonnenen 
Untersuchungen  in  seinem  Sinne  weiterführen; 


Satzungen  der  Stiftungen  27 

2.  besonders  befähigte  Rechtsgelehrte  in  den  Stand  zu 
setzen ,  die  Rechtsinstitutionen  fremder  Länder  durch 
eigene  Anschauung  kennen  zu  lernen  und  darüber  Be- 
richte oder  weitere  Ausführungen  zu  liefern. 

2.  Befähigung  zur  Theilnahme. 

§  2.  Die  Befähigung  zur  Theilnahme  an  den  Vortheilen, 
welche  die  Stiftung  behufs  der  Förderung  ihres  Zweckes  ge- 
währt, ist  an  keine  Nationalität  gebunden. 

3.  Rechte  der  Stiftung. 

§  3.  Die  Stiftung  besitzt  unter  dem  Namen  „Savigny- 
Stiftung"  die  Rechte  einer  Korporation  und  führt  in  ihrem 
Siegel  das  Wappen  der  Familie  v.  Savigny.  Sie  hat  ihren 
Sitz  in  Berlin  und  ihren  Gerichtsstand  bei  dem  kgl.  Stadt- 
gerichte daselbst. 

4.  Stiftungs-Vermögen. 

§  4.  Das  Kapital- Vermögen  der  Stiftung  wird  aus  den 
bisher  gesammelten  Beiträgen  und  aus  den  künftig  eingehenden 
Zuwendungen  gebildet,  sofern  der  Geber  nicht  eine  andere 
Bestimmung  über  die  Art  der  Verwendung  treffen  sollte. 

Das  Kapital- Vermögen  der  Stiftung  darf  niemals  ange- 
griffen werden. 

§  5.  Für  die  Zwecke  der  Stiftung  werden  nur  die  Zinsen 
des  Kapital-Vermögens  verwendet. 

5.  Kuratorium  der  Stiftung. 

§  6.  Die  Stiftung  wird  durch  ein  Kuratorium  von  sechs 
Personen  vertreten. 

Das  Kuratorium  wird  bei  seiner  Gründung  aus  zwei  Mit- 
gliedern der  kgl.  Akademie  der  Wissenschaften  zu  Berlin,  zwei 
Mitgliedern  der  juristischen  Fakultät  der  kgl.  Friedrich-Wilhelms- 
Universität  daselbst  und  zwei  Mitgliedern  der  juristischen  Ge- 
sellschaft daselbst  gebildet,  welche  von  diesen  Körperschaften, 
beziehungsweise  von  der  juristischen  Gesellschaft  gewählt  werden. 


28  Satzungen  der  Stiftungen 

Die  Legitimation  der  von  der  juristischen  Gesellschaft  ge- 
wählten zwei  Mitglieder  wird  dadurch  geführt,  dass  die  von 
der  Akademie  und  der  Fakultät  gewählten  vier  Mitglieder  des 
Kuratoriums  die  Wahl  derselben  als  giltig  anerkennen. 

§  7.  Scheidet  ein  Mitglied  aus  dem  Kuratorium  aus,  so 
erfolgt  die  Neuwahl  von  derjenigen  Körperschaft,  von  welcher 
die  Stelle  des  ausgeschiedenen  Mitgliedes  bei  der  Gründung 
des  Kuratoriums  besetzt  worden  war.  —  Ein  gleiches  Wahl- 
recht steht  in  gleichem  Umfange  der  juristischen  Gesellschaft 
zu  Berlin  zu.  In  Beziehung  auf  die  Prüfung  der  Legitimation 
der  von  der  letzteren  gewählten  Mitglieder  findet  auch  bei 
Neuwahlen  die  Vorschrift  des  §  6  Alinea  3  des  Statuts  An- 
wendung. 

Ist  dieses  Wahlrecht  innerhalb  eines  von  dem  Kuratorium 
zu  bestimmenden  angemessenen  Zeitraumes  nicht  ausgeübt 
worden,  so  ergänzt  sich  das  Letztere  durch  Kooptation  aus  der 
Zahl  der  in  Berlin  wohnenden  Rechtsverständigen.  Es  müssen 
jedoch  stets  zwei  Mitglieder  im  Kuratorium  sitzen ,  welche 
weder  der  Akademie  noch  der  Universität  angehören. 

Ueber  jeden  Wahlakt  des  Kuratoriums  wird  eine  notarielle 
Urkunde  aufgenommen. 

§  8.  Das  Kuratorium  legitimiert  sich  als  Vertreter  der 
Stiftung  durch  ein  Attest  des  kgl.  Polizei-Präsidiums  zu  Berlin 
darüber,  dass  das  Kuratorium  der  Stiftung  zur  Zeit  aus  den 
im  Atteste  genannten  Personen  besteht. 

Das  Kuratorium  hat  die  Befugniss,  einen  Syndikus  aus 
seiner  Mitte  zu  wählen  und  diesem  General-  und  Spezialvoll- 
macht cum  facultate  substituendi  zu  ertheilen,  auch  für  ein- 
zelne Rechtsgeschäfte  oder  Prozesse  Jemand,  sei  derselbe  Mit- 
glied des  Kuratoriums  oder  nicht,  unter  Beilegung  sämtlicher 
Rechte,  welche  dem  Vertreter  einer  abwesenden  Partei  zu- 
stehen, zu  bevollmächtigen. 

§  9.  Das  Kuratorium  wählt  aus  seiner  Mitte  einen  Vor- 
sitzenden, dessen  Name  durch  eine  von  dem  Kuratorium  zu 
bestimmende  Berliner,  Wiener  und  Münchener  Zeitung  ver- 
öffentlicht wird. 


Satzungen  der  Stiftungen  29 

Der  Vorsitzende  repräsentirt  die  Stiftung  in  allen  ausser- 
gerichtlichen  Angelegenheiten.  Die  Zahlungs-Anweisungen  an 
die  Kasse  der  Stiftung  bedürfen  jedoeh  der  Unterschrift  des 
Vorsitzenden  und  zweier  Mitglieder  des  Kuratoriums. 

§  10.  Die  Beschlüsse  des  Kuratoriums  werden  durch 
Stimmenmehrheit  seiner  Mitglieder  gefasst. 

Bei  Stimmengleichheit  gibt  die  Stimme  des  Vorsitzenden 
den  Ausschlag. 

Lässt  der  Vorsitzende  schriftlich  abstimmen,  so  muss  die 
schriftlich  zu  formulirende  Frage  jedem  Mitgliede  zur  Er- 
klärung vorgelegt  werden,  und  steht  es  dann  in  der  Befugniss 
jedes  Einzelnen,  über  die  Frage  eine  mündliche  Berathung  und 
Abstimmung  zu  beantragen. 

Zu  einem  giltigen  Beschlüsse  des  Kuratoriums  auf  Grund 
mündlicher  Abstimmung  ist  die  Anwesenheit  von  mindestens 
drei  Mitgliedern  erforderlich. 

§  11.  Das  Kuratorium  hat  für  die  zinsbare  und  deposital- 
mässig  sichere  Anlegung  des  Stiftungsvermögens  Sorge  zu 
tragen. 

Die  Documente  der  Stiftung  sind  bei  einer  mit  Deposital- 
verwaltung  verbundenen  öffentlichen  Anstalt  zu  deponiren. 

Die  Kasse  der  Stiftung  wird  durch  einen  vom  Kuratorium 
hiermit  zu  beauftragenden  öffentlichen  Kassen beamten  geführt. 
Diesem  wird  nach  erfolgter  Rechnungslegung  alljährlich  die 
Decharge  durch  das  Kuratorium  ertheilt. 

§  12.  Das  Kuratorium  stellt  nach  einem  sechsjährigen 
vom  1.  Januar  1863  ab  zu  berechnenden  Turnus  die  Zinsen- 
masse nach  Abzug  der  Verwaltungskosten  in  runder  Summe 
folgenden  drei  Akademien  zu  den  Zwecken  der  Stiftung  (§1) 
zur  Verfügung  und  zwar  die  Zinsenmassen 

1.  des  ersten  und  zweiten  Jahres  der  kaiserlichen  Akademie 
der  Wissenschaften  zu  Wien, 

2.  des  dritten  und  vierten  Jahres    der   kgl.  Akademie   der 
Wissenschaften  zu  München, 

3.  des    fünften    und    sechsten   Jahres    der    kgl.    Akademie 
der  Wissenschaften  zu  Berlin. 


30  Satzungen  der  Stiftungen 

§  13.  Von  demjenigen  Zeitpunkte  an,  wo  das  Kapital- 
Vermögen  der  Stiftung  die  Summe  von  Dreissigtausend  Thalern 
Preuss.  Cour,  erreicht  haben  wird,  tritt  ein  dreijähriger  Turnus 
unter  den  genannten  Akademien  in  der  angegebenen  ßeihen- 
folge  ein. 

§  14.  Der  Geschäftsgang  bei  dem  Kuratorium  wird  durch 
die  anliegende  Geschäftsordnung  geregelt. 

§  15.  Zu  einer  Abänderung  der  Geschäftsordnung  ist  die 
Zustimmung  von  wenigstens  vier  Mitgliedern  des  Kuratoriums 
erforderlich. 

6.  Der  Wirkungskreis  der  Akademien. 

§  16.  Die  Akademie,  welcher  die  Zinsenmasse  nach  Vor- 
schrift des  §  12  zur  Verfügung  gestellt  ist,  hat  die  Wahl,  aus 
derselben 

1.  ein  in  Druck  oder  in  Schrift  ihr  vorliegendes  Werk  zu 
prämiiren, 

2.  eine  Preisaufgabe  zur  Konkurrenz  auszuschreiben, 

3.  ein  Reisestipendium  zu  ertheilen, 

4.  die  zur  Ausführung  einer  rechtswissenschaftlichen  Arbeit 
erforderlichen  Geldmittel  zu  gewähren. 

Dem  freien  Ermessen  der  Akademie  bleibt  überlassen,  ob 
sie  die  ihr  zur  Verfügung  gestellte  Zinsenmasse  zu  einem  und 
demselben  Unternehmen  oder  zu  verschiedenen  Zwecken  (Nr.  1 
bis  4)  verwenden  will. 

Auch  die  Zinsenraassen  mehrerer  Jahre  können  mit  Ein- 
willigung der  betheiligten  Akademien  für  ein  und  dasselbe 
Unternehmen  bestimmt  und  verwendet  werden. 

Ordentlichen  einheimischen  Mitgliedern  der  konferirenden 
Akademie  dürfen  weder  Preise  noch  Reisestipendien  ertheilt 
werden. 

Die  wissenschaftlichen  Arbeiten  ad  1.  2.  4.,  sowie  die 
Reiseberichte  ad  3.  müssen  in  Lateinischer,  Deutscher,  Eng- 
lischer, Französischer  oder  Italienischer  Sprache  abgefasst  sein. 

§  17.  Beabsichtigt  die  Akademie  ein  bereits  vollendetes 
Werk    zu    prämiiren    (§16  Nr.  1),   so    hat    dieselbe   innerhalb 


Satzungen  der  Stiftungen 


31 


eines  Jahres,  von  dem  Zeitpunkte  an  gerechnet,  wo  ihr  die 
Zinsenmasse  zur  Verfügung  gestellt  ist,  diese  Prämiirung  aus- 
zusprechen und  dem  Kuratorium  unter  üebersendung  des  Werkes 
sowie  des  die  Prämiirung  motivirenden  Gutachtens  die  Zahlungs- 
anweisung zu  ertheilen. 

Schriften,  welche  schon  länger  als  vier  Jahre  vor  dem 
Beschlüsse,  ein  Werk  zu  prämiiren,  durch  den  Druck  veröffent- 
licht worden,  sind  von  der  Prämiirung  ausgeschlossen. 

Die  Auszahlung  der  ganzen  Prämie  für  ein  Werk,  welches 
im  Manuscripte  vorliegt,  darf  erst  nach  der  Veröffentlichung 
des  Werkes  durch  den  Druck  erfolgen. 

§  18.  Stellt  die  Akademie  eine  Preisaufgabe  (§  16  Nr.  2), 
so  veröffentlicht  sie  innerhalb  eines  Jahres,  von  dem  Zeitpunkte 
an  gerechnet,  wo  ihr  die  Zinsenmasse  zur  Verfügung  gestellt 
ist,  in  ihren  Organen  und  in  den  ihr  geeignet  erscheinenden 
öffentlichen  Blättern  das  Thema,  die  Bedingungen  der  Kon- 
kurrenz und  den  Zeitpunkt  der  Ablieferung  der  Arbeiten,  setzt 
auch  das  Kuratorium  hiervon  in  Kenntniss. 

An  dem  auf  diesem  Zeitpunkt  der  Ablieferung  zunächst 
folgenden  21.  Februar  oder  in  der  demnächst  folgenden  Ge- 
samtsitzung verkündet  die  Akademie  das  Resultat  der  Kon- 
kurrenz-Ausschreibung, sowie  den  Namen  des  Verfassers  der 
gekrönten  Preisschrift  und  ertheilt  demnächst  dem  Kuratorium 
bei  üebersendung  der  Preisschrift  und  des  die  Preisertheilung 
motivirenden  Gutachtens  die  Zahlungsanweisung. 

Die  Auszahlung  der  ganzen  Prämie  erfolgt  auch  in  diesem 
Falle  erst  dann,  wenn  die  Veröffentlichung  der  Preisschrift 
durch  den  Druck  bewirkt  wird. 

Ist  die  Preisaufgabe  nach  dem  Urtheile  der  Akademie 
nicht  gelöst,  so  steht  es  in  ihrer  Befugniss,  dieselbe  Aufgabe 
nochmals  zur  Konkurrenz  auszuschreiben. 

§  19.  Bewilligt  die  Akademie  ein  Reisestipendium  (§  16 
Nr.  3),  so  wird  dieser  Beschluss  innerhalb  eines  Jahres,  von 
dem  Zeitpunkte  an  gerechnet,  wo  ihr  die  Zinsenmasse  zur 
Verfügung  gestellt  ist,  spätestens  am  nachfolgenden  21.  Februar 
oder  in  der  demnächst  folgenden  Gesamtsitzung  verkündet  und 


32  Satzungen  der  Stiftungen 

steht  es  in  der  Befugniss  der  Akademie,  dem  Perzipienten  eine 
bestimmte  Anweisung  zu  ertheilen.  Der  diesfällige  Beschluss 
unter  Angabe  der  Zahlungsmodalitäten  ist  dem  Kuratorium 
zur  Ausführung  mitzutheilen.  Die  Akademie  wird  Massregeln 
treffen  oder  durch  das  Kuratorium  treffen  lassen,  welche  die 
Veröffentlichung  des  Reiseberichtes  möglichst  sichern. 

§  20.  Entscheidet  sich  die  Akademie  dafür,  die  Zinsen- 
masse ganz  oder  zum  Theile  einem  Rechtsgelehrten  zur  Aus- 
führung einer  bestimmten  wissenschaftlichen  Arbeit  zu  ge- 
währen (§16  Nr.  4),  so  ist  sie  verpflichtet,  über  den  Plan  der 
Arbeit  vom  Verfasser  eine  Vorlage  zu  erfordern,  von  dem 
Fortgange  des  Unternehmens  sich  in  Kenntniss  zu  erhalten 
und  die  Veröffentlichung  des  Resultates  der  Forschungen  mög- 
lichst zu  sichern. 

Dem  Kuratorium  wird  bei  Mittheilung  der  gemachten 
Vorlagen  und  der  in  der  Angelegenheit  von  der  Akademie 
gefassten  Beschlüsse  die  Zahlungs-Anweisung  ertheilt. 

§  21.  Verfügt  die  Akademie  an  dem  21.  Februar  oder 
in  der  demselben  zqnächst  folgenden  Gesammtsitzung  (§§  18 
bis  19)  nicht  über  die  ihr  zur  Verfügung  gestellte  Zinsen- 
masse oder  macht  sie  nicht  innerhalb  des  einjährigen  Zeit- 
raumes von  dem  ihr  nach  §  17  resp.  §  20  zustehenden  Rechte 
Gebrauch ,  ein  bereits  vollendetes  Werk  zu  prämiiren ,  be- 
ziehungsweise einem  Rechtsgelehrten  zur  Ausführung  einer 
wissenschaftlichen  Arbeit  die  Mittel  zu  überweisen,  oder  er- 
klärt sie  nicht  innerhalb  gleicher  Frist  dem  Kuratorium,  dass 
sie  von  dem  Rechte  des  §  16  Alinea  3  Gebrauch  mache,  so 
ist  die  Masse  der  ferneren  Verfügung  der  Akademie  entzogen. 
Diese  verfallenen  Massen  werden  einem  besonders  zu  ver- 
waltenden Fonds  der  Stiftung  zugeschrieben,  dessen  Zinsen 
zur  Deckung  der  Druckkosten  für  die  prämiirten  Werke  gleich- 
zeitig mit  der  Zinsenmasse  des  Kapital- Vermögens  (§  12)  der 
Akademie  zur  Verfügung  gestellt  werden. 

Die  von  der  Akademie  nicht  zum  Druck  angewiesenen 
Zinsen  des  Druckkostenfonds  werden  zum  Kapitale  dieses  Fonds 
geschlagen. 


Satzungen  der  Stiftungen  33 

§  22.  Abänderungen  dieses  Statuts  bedürfen,  ausser  der 
Bestätigung  der  Staatsbehörde,  der  Zustimmung  der  drei  Aka- 
demien und  des  Kuratoriums  der  Stiftung. 

So  beschlossen  zu  Berlin,  den  27.  März  1863, 
Das  Gründungs-Comite  der  Savigny-Stiftung: 

V.  Bernuth.     v.  Bethmann-Hollweg. 

Borchardt.     Bornemann.     Dr.  Bruns.     Dr.  Dove. 

Dr.  Gneist.     Dr.  Heydemann.     Dr.  Homeyer. 

Meyen.     Freiherr  v.   Patow.     Dr.  Richter. 

Dr.  Rudorff.     Graf  v.  Schwerin.     Simson. 

Volkmar.      Graf  v.  Wartensleben. 


Auf  Grund  vorstehender  Statuten  ist  die  hiesige  Savigny- 
Stiftung  durch  die  Allerhöchste  Ordre  vom  20.  v.  Mts.,  welche 
wörtlich,  wie  folgt,  lautet: 

„Auf  Ihren  Bericht  vom  18.  ds.  Mts.  will  Ich  der 
, Savigny-Stiftung  zu  Berlin  auf  Grund  ihres  wieder 
, beifolgenden  Statuts  de  dato  Berlin  den  27.  März 
,1863  hiermit  Meine  landesherrliche  Genehmigung 
„  er  th  eilen" 
Salzburg,  den  20.  Juli  1863. 

Gez.  WILHELM. 

Gez.  V.  Mühler. 

,An  den  Minister  der  geistlichen,  Unter- 
richts- und  Medicinal- Angelegenheiten* 

landesherrlich  genehmigt  worden. 

Berlin,  den  6.  August  1863. 

(L.  S.) 

Der  Minister  der  geistlichen,  Unterrichts- 
und Medicinal-Angelegenheiten. 
In  Vertretung:  Lehnert.*) 

*)  Die  drei  Akademien  zu  Berlin,  München  und  Wien  haben  durch 
Beschlüsse    vom    23.  April,    bezw.  6.  und  7.  Mai  1863    die   ihnen  in  der 
Satzung  zugedachten  Funktionen  dauernd  übernommen.    Das  Kuratorium 
der  Stiftung  konstituierte  sich  zu  Berlin  am  29.  Dezember  1863. 
Jahrbuch  1915.  3 


34  Satzungen  der  Stiftungen 

Durch  das  Kuratorium  der  Savigny- Stiftung  sind  in  den 
Jahren  1886  und  1887  folgende  Zusätze  zum  Statut  gemacht 
und  von  den  drei  beteiligten  Akademien ,  sowie  von  Staats- 
aufsichtswegen von  dem  K.  Preussischen  Minister  der  geist- 
lichen, Unterrichts-  und  Medizinal -Angelegenheiten  genehmigt 
worden: 

1.  Zusatz  zu  §  16.  „Die  verfügende  Akademie  ist  be- 
rechtigt auf  Antrag  des  Kuratoriums  die  Zinsenmasse  bis  zu 
einem  Fünftel  zur  Unterstützung  periodischer  Publikationen, 
welche  zu  den  Zwecken  der  Savigny -Stiftung  in  Beziehung 
stehen,  zu  verwenden." 

2.  Zusatz  zu  §  20.  ^Für  die  Ausführung  der  Arbeit  in 
der  von  der  beteiligten  Akademie  zu  bestimmenden  Form  hat 
dieselbe  einen  Termin  festzusetzen  und  ist  berechtigt,  denselben 
auf  höchstens  zwei  Jahre  zu  verlängern.  Von  der  Verlängerung 
ist  das  Kuratorium  zu  benachrichtigen. 

Ist  kein  Termin  festgesetzt,  so  gilt  als  solcher  der  Schluss 
des  fünften  Jahres  nach  demjenigen  Jahre,  in  welchem  der 
Auftrag  erteilt  worden  ist.  Erfolgt  die  Ausführung  innerhalb 
der  bezeichneten  Frist  nicht,  so  werden  die  noch  nicht  er- 
hobenen Beträge  dem  Fonds  der  Stiftung  zugeführt." 


II. 
Revidierte  Satzung  der  Liebig-Stiftung.*) 

Allerhöchst    genehmigt    laut   Entschliessung    des   K.    Staatsministeriums 
des  Innern   für  Kirchen-   und   Schulangelegenheiten   vom    9.  April  1892 

Nr.  5303. 

§   1- 
Die    Stiftung  hat  den  Zweck,    das  Andenken    an   den  Be- 
gründer der  Landwirtschafts-Wissenschaft  auf  dem  Gebiete  der 
Naturforschung 


*)  Die  Stiftung  wurde  begründet  mit  einem  von  praktischen  Land- 
wirten und  Freunden  der  Landwirtschaft  für  Justus  von  Liebig  gesam- 
melten Ehrengeschenk  im  Betrag  von  15200  Gulden.     Die  Bestimmungen 


Satzungen  der  Stiftungen  35 

Justus  von  Liebig 
dauernd  zu  erhalten  und  zu  ehren. 

Dieselbe  wurde  am  9.  August  1873  landesherrlich  be- 
stätigt, hat  juristische  Persönlichkeit  und  steht  unter  dem 
Schutze  der  bayerischen  Staatsverfassung. 

§2. 
Der   Stiftungszweck    soll    durch    öffentliche    Anerkennung 
hervorragender    Leistungen    in    Beziehung    auf    die    Landwirt- 
schaft und  zwar: 

1.  wissenschaftlicher  Leistungen, 

2.  sonstiger  erfolgreicher  Bestrebungen  überhaupt  erreicht 
werden. 

Ausserdem  können  die  aus  der  Stiftung  fliessenden ,  zu 
solchen  Anerkennungen  nicht  verbrauchten  Mittel  auch  behufs 
Anregung  und  Förderung  zur  Landwirtschaft  in  Beziehung 
stehender  wissenschaftlicher  Arbeiten,  Publikationen  oder  son- 
stiger Unternehmungen  Verwendung  finden. 

§  3. 

Die  öffentlichen  Anerkennungen  erfolgen  entweder  auf 
Grund  des  Erlasses  von  Preisausschreiben  über  wissenschaft- 
liche Fragen  oder  ohne  Preisbewerbung  nach  freiem  Ermessen 
des  Kuratoriums  der  Liebig -Stiftung. 

Bewerbungen ,  welche  nicht  durch  ein  Preisausschreiben 
veranlasst  wurden,  sind  unzulässig. 

§  4. 
Die  Auszeichnungen  bestehen: 

1.  in  Medaillen  von  Gold,  Silber  oder  Bronce, 

2.  in  Ehrengeschenken   in   Geld,    nicht    unter   fünfhundert 
Mark  deutscher  Währung. 


über  die  Verwendung  dieses  Geschenks  für  eine  Liebig  -  Stiftung  und 
über  den  Zweck  derselben  wurden  noch  von  Liebig  selbst,  kurz  vor 
seinem  Tode,  getroffen.  Zur  Zeit  ist  das  Stiftungskapital  auf  47700  M. 
angewachsen. 

3* 


36  Satzungen  der  Stiftungen 

§  5. 
Die  Verleihung  einer  Medaille  in  Gold  schliesst  ein  Greld- 
Ehrengeschenk  aus.    Mit  letzterem  dagegen  ist  die  Bewilligung 
der  silbernen  oder  broncenen  Medaille  verbunden ,    welche  aber 
auch  für  sich  allein  verlieren  werden  können. 

§  6. 
Die  Zahl  der  gleichzeitigen  Inhaber  der  goldenen  Me- 
daille ist  auf  acht  beschränkt,  so  dass  nach  Erfüllung  dieser 
Zahl  eine  weitere  Verleihung  nur  nach  dem  Tode  eines  In- 
habers derselben  erfolgen  kann.  Nur  deutsche  oder  Deutsch- 
Oesterreicher  sind  befähigt,  solche  zu  erlangen. 

§  7. 
Bei  einer  Konkurrenz  um  Preise,  welche  in  Folge  des- 
fallsiger  Ausschreiben  verliehen  werden ,  sollen  nur  wissen- 
schaftliche Arbeiten  zulässig  sein,  die  in  deutscher  Sprache 
abgefasst  sind;  die  Verleihung  der  Preise  dagegen  ist,  inso- 
ferne  nicht  die  goldene  Medaille  in  Frage  steht  (§  6),  an  eine 
Nationalität  nicht  gebunden. 

§  8. 
Ueber  die  Einkünfte   aus   dem  Stiftungs-Kapital  im  Sinne 
der  entsprechenden  Bestimmungen  verfügt  das  Kuratorium  der 
Lieb  ig -Stiftung. 

§9. 
Dieses  Kuratorium  soll  bestehen: 

1.  aus    dem    Präsidenten    der    k.    Akademie    der    Wissen- 
schaften in  München; 

2.  aus  dem  Sekretär  der  mathematisch-physikalischen  Klasse 
derselben  Akademie; 

3.  aus  einem  weiteren  Mitgliede  dieser  Klasse; 

4.  aus  den  Inhabern  der  goldenen  Lie big-Medaille; 

5.  aus  einem  Lehrer  der  Volkswirtschaft  an  der  Universität 
oder  der  technischen  Hochschule  München; 

6.  aus    einem    derselben  Universität   oder  einer  der  beiden 
andern    Hochschulen    Münchens    (der    technischen    und 


Satzungen  der  Stiftungen  37 

tierärztlichen)  an  gehörigen  Vertreter  eines  landwirtschaft- 
lichen oder  zur  Landwirtschaft  in  naher  Beziehung 
stehenden  Faches; 
7.  aus  einem  Nachkommen  Justus  von  Liebigs  in  männ- 
licher Linie,  wofern  dessen  männliche  Descendenz  diese 
Vertretung  wünscht  und  dem  Kuratorium  die  betreffende 
Person  schriftlich  bezeichnet.  Dieselbe  wird  von  den 
majorennen  männlichen  Familien-Mitgliedern  auf  Lebens- 
dauer durch  Stimmenmehrheit  gewählt. 

§  10. 

Die  in  München  wohnenden  Mitglieder  des  Kuratoriums 
bilden  den  Lokal-Ausschuss,  welcher  die  laufenden  Geschäfte 
zu  besorgen  hat. 

Der  Präsident  der  Akademie  der  Wissenschaften  in  München 
führt  als  solcher  den  Vorsitz  im  Kuratorium,  der  Sekretär  der 
mathematisch  -  physikalischen  Klasse  vertritt  denselben;  den 
Schriftführer  wählt  der  Vorsitzende  aus  den  Mitgliedern  des 
Lokal-  Ausschusses. 

§  11. 
Das  unter  §  9.  3.  erwähnte  Mitglied  der  Akademie  und 
der  unter  §  9.  5.  erwähnte  Lehrer  der  Volkswirtschaft  sowie 
das  unter  §  9.  6.  erwähnte  Mitglied  einer  der  drei  Hoch- 
schulen Münchens  wird  auf  Vorschlag  des  Vorsitzenden  von  dem 
Lokal-Ausschuss  gewählt. 

§  12. 
Der  Lokal  -  Ausschuss  sowie  das  Plenum  des  Kuratoriums 
treten  in  Folge  besonderer  Einladung  des  Vorsitzenden,  welcher 
die  Gegenstände  der  Verhandlungen  anzufügen  sind,  nach  Be- 
dürfnis zusammen,  um  über  die  Erreichung  der  Zwecke  der 
Stiftung  zu  beraten. 

§  13. 
Jedes  Mitglied  des  Kuratoriums   ist    berechtigt,   schriftlich 
oder  mündlich  Anträge  zu  stellen,  und  der  Vorsitzende  ist  ver- 
pflichtet, diese  zur  Beratung  und  nach  Massgabe  des  §  14  zur 
Abstimmung  zu  bringen. 


38  Satzungen  der  Stiftungen 

§  14. 

In  allen  Fällen,  in  welchen  die  Erfüllung  des  Stiftungs- 
zweckes (§  2)  in  Frage  steht,  fasst  der  Lokal-Ausschuss  keine 
bindenden  Beschlüsse;  derselbe  formuliert  und  begutachtet 
zunächst  nur  die  eingekomraenen  Vorschläge  und  unterbreitet 
sie  dann  den  auswärtigen  Mitgliedern  zur  schriftlichen  Ab- 
stimmung. 

Zur  Vornahme  derselben  wird  den  auswärtigen  Mitgliedern 
von  dem  Vorsitzenden  eine  Präklusivfrist  gesetzt,  nach  deren 
fruchtlosem  Verlaufe  die  Stimmenabgabe  nicht  mehr  zulässig 
ist.  Stimmen,  welche  nicht  bestimmt  mit  „Ja"  oder  „Nein" 
lauten,  werden  nicht  gezählt. 

Die  definitive  Abstimmung  des  Lokal-Ausschusses  erfolgt 
erst  nach  Eingang  der  Abstimmung  der  auswärtigen  Mitglieder. 

Der  definitive  Beschluss  des  Kuratoriums  verlangt  zwei 
Dritteile  der  von  den  auswärtigen  und  einheimischen  Mitgliedern 
abgegebenen  Stimmen. 

§  15. 
Das  Kuratorium  wird  nach  Aussen  durch  den  Vorsitzenden 
desselben  vertreten.     Derselbe  hat  die  Beschlüsse,  so  weit  solche 
von    weiterem    Interesse    für    das   Publikum    sind,    bekannt    zu 
machen. 

§  16. 
Verleihungen  von  Medaillen  der  Liebig- Stiftung  oder 
von  Ehrengeschenken  (resp.  Zuerkennungen  von  Preisen  in 
Folge  von  Ausschreibungen)  oder  Unterstützungen  von  Unter- 
nehmungen aus  derselben  sind  der  deutschen  Landwirtschafts- 
Gesellschaft,  so  lange  diese  besteht,  zur  Proklamierung  bei 
derselben  mitzuteilen.  Ausserdem  werden  solche  durch  die 
Presse  zur  öffentlichen  Kenntnis  gebracht. 

§  17. 
Die  Stiftung  domiziliert  in  München  und  führt  den  Namen 
Liebig- Stiftung. 


Satzungen  der  Stiftungen  39 

§  18. 
Das  Vermögen  der  Stiftung  besteht: 

1.  aus  einem  von  BVeunden  der  Sache  gespendeten  Ehren- 
geschenke von  dreissigtausend  Mark; 

2.  aus  etwaigen  Schenkungen,   welche  in  der  Absicht  ge- 
macht werden,  den  Grundstock  der  Stiftung  zu  erhöhen. 

Die  Verwaltung  des  Stiftungsfonds  geschieht  durch  den 
Lokal -Ausschuss  und  die  Kassaverwaltung  der  K.  Akademie 
der  Wissenschaften  nach  den  Normen,  welche  für  diese  Kassa- 
verwaltung gegeben  sind. 

Die  Kassa- Kuratel  und  die  Rechnungs-Revision  hat  die 
K.  Rechnungskammer. 

§  19. 
Das  Stiftungsvermögen  soll  pupillarisch,  wo  möglich  hypo- 
thekarisch angelegt  und  darf  in  keinem  Falle  dauernd  ver- 
mindert werden;  es  soll  eine  jährliche  Rente  von  mindestens 
1200  Mark  abwerfen.  Tritt  durch  unvermeidliche  Ereignisse 
eine  Schmälerung  dieser  Rente  ein,  so  ist  die  Verwendung 
dieser  Stiftungsrente  ganz  oder  teilweise  zu  sistieren,  bis  die 
Normalrente  wieder  erreicht  ist. 

§  20. 

Aenderungen  an  diesem  Statut,  wenn  einzelne  Bestimmungen 
bei  der  Ausführung  auf  Schwierigkeiten  stossen,  oder  wenn  die 
Zeitverhältnisse  solche  erfordern  sollten,  hat  das  Kuratorium 
das  Recht  jederzeit  vorzunehmen;  dieselben  können  jedoch 
nur  dann  bewirkt  werden,  wenn  mindestens  zwei  Drittel  der 
Mitglieder  des  Kuratoriums  zustimmen. 

Jede  Abänderung  des  Statuts  bedarf  der  königlichen  Ge- 
nehmigung. 


40  Satzungen  der  Stiftungen 

III. 

Satzung  des  Zographos-Fonds  zur  Förderung  des  Studiums 
der  griechischen  Sprache  und  Literatur 

beschlossen   von    der  philos.-philol.  Klasse    der   K.  bayer.  Akademie   der 

Wissenschaften  in  der  Sitzung  vom  3.  Februar  1877,  bezw.  vom  6.  März 

1886,   genehmigt   vom   K.  Staatsministerium   durch  Entschliessung  vom 

10.  Februar  1877,  bezw.  vom  27.  Mai  1886. 

§    1. 

Das  von  Herrn  Christakis  Zographos  geschenkte  Kapital 
im  Betrage  von  25000  Francs  oder  20000  Mark  wird  den 
für  die  Anlage  von  Stiftungsgeldern  massgebenden  Vorschriften 
entsprechend  in  Wertpapieren  angelegt,  welche  dem  Kassier 
der  K.  Akademie  der  Wissenschaften  zur  Aufbewahrung  zu 
übergeben  sind. 

§  2. 

Die  Beschlussfassung  über  die  Art  der  ersten  Anlage  des 
Kapitals  und  über  die  Wiederanlage  etwa  heimbezahlt  werdender 
Kapitalbeträge  steht,  vorbehaltlich  der  im  §  1  gezogenen 
Schranken,  dem  Vorstande  der  K.  Akademie  der  Wissenschaften 
in  Gemeinschaft  mit  den  Klassen-Sekretären  zu;  jedoch  darf 
dabei  eine  Herabminderung  des  Kapitals  unter  den  Nominal- 
wert nicht  stattfinden,  welchen  dasselbe  zur  Zeit  aufweist  oder 
im  betreffenden  Zeitpunkte  zufolge  einer  etwa  inzwischen  ein- 
getretenen Admassierung  aufweisen  wird. 

§  3. 
Sollte  durch  irgend  welchen  Unglücksfall  eine  Vermin- 
derung des  Kapitals  eintreten,  so  sind  die  aus  ihm  fliessenden 
Renten  so  lange  zu  dessen  Wiederergänzung  zu  verwenden, 
bis  dasselbe  wieder  auf  seinen  ursprünglichen  Nominalbetrag 
gebracht  ist,  und  hat  so  lange  jede  anderweitige  Verwendung 
derselben  zu  unterbleiben. 

§  4. 
Der  Kassier  der  K.  Akademie  der  Wissenschaften  hat  nicht 
nur  für  die  gehörige  Aufbewahrung  der  Wertpapiere  zu  sorgen, 


Satzungen  der  Stiftungen  41 

sondern  auch  die  Ziehungslisten  in  Bezug  auf  diese  zu  über- 
wachen und  die  fälligen  Zinsen  rechtzeitig  zu  erheben.  Werden 
Papiere  des  Fonds  zur  Heimbezahlung  gezogen  oder  ander- 
weitig gekündigt,  so  hat  er  hievon  dem  Vorstande  der  K.  Aka- 
demie und  den  Klassensekretären  sofort  Anzeige  zu  machen 
und  auf  die  ihm  gemäss  eines  nach  §  2  gefassten  Beschlusses 
erteilte  Weisung  für  die  Erhebung  und  Wiederanlage  der  Be- 
träge zu  sorgen.  Auch  hat  derselbe  jährlich  über  den  Stand 
des  Fonds  und  die  für  denselben  bezogenen  Einnahmen  und 
Ausgaben  schriftliche  Rechnung  zu  stellen,  von  deren  Ergebnis 
in  der  nächstfolgenden  Sitzung  der  philos.-philol.  Klasse  Mit- 
teilung zu  machen  ist,  nachdem  dieselbe  zuvor  durch  den  Vor- 
stand der  Akademie  und  die  Klassensekretäre  geprüft  worden 
sein  wird. 

§  5. 
Die  Verwendung  der  Renten  des  Kapitals  erfolgt,  nach 
Abzug  der  auf  dessen  Verwaltung  erlaufenden  Kosten  (s.  §  10) 
und  vorbehaltlich  der  im  §  3  gesetzten  Einschränkung  derart, 
dass  alle  zwei  bis  vier  Jahre,  je  nach  dem  Umfang  oder  der 
Schwierigkeit  der  Aufgabe,  ein  dem  jedesmal  verfügbaren 
Rentenbetrage  möglichst  entsprechender  Preis  ausgeschrieben 
beziehungsweise  zuerkannt  wird  für  die  Bearbeitung  eines 
Themas,  welches  dem  Gebiete  der  Sprache,  Literatur,  des 
öffentlichen  und  Privat-Lebens  der  Griechen  im  Altertum  oder 
im  Mittelalter  entnommen  ist.  Von  dem  zuerkannten  Preise 
wird  ein  Teil  sofort  nach  der  Zuerkennung,  der  Rest  aber  erst 
dann  zahlbar,  wenn  der  Verfasser  für  die  Druck -Veröffent- 
lichung genügende  Sicherheit  geboten  hat;  die  ziffermässige 
Ausscheidung  der  beiden  Beträge  bleibt  von  Fall  zu  Fall  dem 
Beschlüsse  der  philos.-philol.  Klasse  vorbehalten. 

§  6. 
Sowohl   die  Wahl   der  Preisaufgaben   als  die  Zuerkennung 
der  Preise  erfolgt  durch  den  Beschluss  der  philos.-philol.  Klasse 
nach    einfacher  Mehrheit    der  in    der    betreffenden  Sitzung  an- 
wesenden ordentlichen  Mitglieder  auf  Grund  eines  vorgängigen 


42  Satzungen  der  Stiftungen 

Berichtes,  welchen  ein  von  ihr  gewähltes  Comite  erstattet  haben 
wird.  Sowohl  die  gestellten  Preisaufgaben  als  die  zuerkannten 
Preise  sollen  namens  der  Gesarat-Akademie  an  ihrem  Stiftungs- 
Feste  verkündet  und  in  einigen  der  gelesensten  Blätter  öffent- 
lich ausgeschrieben  werden. 

§  7. 

Konkurrenzfähig  sind  Arbeiten,  welche  entweder  in  deutscher 
oder  in  lateinischer  oder  in  griechischer  Sprache  geschrieben 
sind.  Dieselben  müssen  an  Stelle  des  Namens  des  Verfassers 
ein  Motto  tragen,  welches  an  der  Aussenseite  eines  raitfolgenden, 
den  Namen  des  Verfassers  enthaltenden,  verschlossenen  Couverts 
wiederkehrt.  Der  unerstreckliche  Einsendungs-Termin  ist  der 
31.  Dezember  desjenigen  Jahres,  mit  welchem  die  Bewerbungs- 
frist abläuft. 

§  8. 

Die  philos.-philol.  Klasse  wählt  aus  ihrer  Mitte  auf  drei 
Jahre  das  Comite,  dem  sie  die  Berichterstattung  über  die  ein- 
gelaufenen Arbeiten  und  die  Vorschläge  der  neu  zu  stellenden 
Preisaufgaben  überträgt.  Sie  wird  in  ihrer  dem  Stiftungstage 
der  Akademie  zunächst  vorangehenden  Sitzung  diesen  Bericht 
und  diese  Vorschläge  entgegennehmen  und  über  die  betreffenden 
Fragen  Beschluss  fassen.  Das  Ergebnis  hievon  ist  sofort  dem 
Vorstande  der  Akademie  mitzuteilen. 

§  9- 
Glaubt  die  Klasse  keiner  der  eingelaufenen  Arbeiten  den 
Preis  zuerkennen  zu  können,  oder  sind  solche  überhaupt  nicht 
eingelaufen,  so  hat  dieselbe  sofort  darüber  Beschluss  zu  fassen, 
ob  der  demzufolge  unverwendet  bleibende  Rentenbetrag  zu 
weiteren  Preis- Ausschreibungen  verwendet  oder  aber  zum  Kapital 
geschlagen  werden  soll. 

§  10. 
Die  eigentlichen  Regiekosten,  Briefporti,  Zeitungs-Inserate, 
ferner  angemessene  Remunerationen  für  den  Kassier,   sowie  für 
die  jedesmaligen  Preisrichter,  sind  auf  Rechnung  der  laufenden 
Renten  zu  tragen. 


Satzungen  der  Stiftungen  43 

IV. 

Münchener  Btirgerstiftung  bei  der  Kgl.  bayerischen 
Akademie  der  Wissenschaften. 

Von  dem  Wunsche  geleitet,  dem  derzeitigen  Präsidenten 
der  Kgl.  bayerischen  Akademie  der  Wissenschaften,  Max 
von  Pettenkofer,  Ehrenbürger  der  Stadt  München  und  Be- 
sitzer der  goldenen  Bürgermedaille ,  einen  bleibenden  Beweis 
der  Verehrung  und  des  Dankes  für  sein  gemeinnütziges  Wirken 
zu  geben,  hat  sich  eine  Anzahl  von  Münchener  Bürgern  und 
Firmen  zu  dem  Zwecke  vereinigt,  ein  Kapital  zu  sammeln 
und  der  Kgl.  Akademie  der  Wissenschaften  zur  Verfügung  zu 
stellen,  um  daraus  eine  , Münchener  Bürgerstiftung  bei  der 
Kgl.  bayerischen  Akademie  der  Wissenschaften*    zu    errichten. 

Nachdem  die  gezeichneten  und  eingezahlten  Beträge  die 
Summe  von  70000  M.  überschritten  haben,  wurde  durch  den 
Präsidenten  und  die  drei  Klassensekretäre  Namens  der  Gesamt- 
akademie beschlossen,  der  zu  errichtenden  Stiftung  folgendes 
Statut  zu  geben: 

Satzung   der  IVlünchener  Bürgerstiftung  bei   der  Kgl.  bayerischen 
Akademie  der  Wissenschaften. 

Landesherrlich   bestätigt  laut  Entschliessung   des  K.  Staatsministeriums 
des   Innern    für  Kirchen-   und   Schulangelegenheiten   vom  8.  Juni  1896 

Nr.  8510. 

§    1. 
Aus    Spenden    Münchener   Bürger   und  Firmen    wird    eine 
Stiftung  errichtet  unter  dem  Namen  ,  Münchener  Bürgerstiftung 
bei  der  Kgl.  bayerischen  Akademie  der  Wissenschaften". 

§  2. 
Zweck  der  Stiftung  ist,  aus  den  Zinsen  dieses  der  Kgl.  Aka- 
demie zur  Verfügung  gestellten  Kapitals  Forschungen  auf  dem 
Gebiet  derjenigen  Wissenschaften  zu  veranlassen  und  zu  unter- 
stützen ,  welche  in  der  mathematisch  -  physikalischen  Klasse 
Vertretung  finden. 


44  Satzungen  der  Stiftungen 

§  3. 
Das  Stiftungsvermögen  wird  gebildet:  durch  die  bereits 
eingezahlten  Geldbeträge,  ferner  durch  künftige,  dem  gleichen 
Zwecke  gewidmete  Spenden,  endlich  durch  nicht  aufgebrauchte, 
zum  Kapital  geschlagene  Zinsen.  —  Sollte  durch  unvorher- 
gesehene Ereignisse  eine  Verminderung  des  Kapitals  eintreten, 
so  muss  dasselbe  aus  den  jährlichen  Renten  wieder  auf  seine 
vorige  Höhe  gebracht  werden. 

§  4. 

Anlage  und  Verwaltung  des  Stiftungsvermögens  erfolgt 
durch  die  Kassenverwaltung  der  Kgl.  Akademie  der  Wissen- 
schaften nach  den  für  die  übrigen  akademischen  Stiftungen 
geltenden  Vorschriften. 

§  5. 

lieber  die  Verwendung  der  jährlichen  Zinsen  des  Stiftungs- 
vermögens zu  dem  in  §  2  bezeichneten  Zweck  entscheidet  eine 
Kommission,  welche  aus  dem  Präsidenten  der  Kgl.  Akadmie,  dem 
Sekretär  der  matbem. -physikalischen  Klasse  und  drei  weiteren, 
auf  je  drei  Jahre  gewählten  Mitgliedern  dieser  Klasse  besteht. 

§  6. 
Die  Namen  der  Bürger  und  Firmen,  welche  für  die  Mün- 
chener Bürgerstiftung  einen  Betrag  von  mindestens  1000  M. 
(eintausend  Mark)  gespendet  haben ,  werden  zum  ehrenden 
Gedächtnis  auf  einer  in  den  Räumen  der  Kgl.  Akademie  anzu- 
bringenden Tafel  verzeichnet. 

§  7. 
Aenderungen  dieses  Statuts  sind  nur  auf  Antrag  der  mathe- 
matisch-physikalischen Klasse    durch    einmütigen  Beschluss    des 
Präsidenten    der  Kgl.  Akademie   und   der  drei  Klassensekretäre 
und  mit  Allerhöchster  Genehmigung  zulässig, 

München,  den  25.  April  1896. 

Der   Präsident   der    Kgl.   bayer.  Akademie    der    Wissenschaften 
Dr.  M.  V.  Pettenkofer. 

Die  Sekretäre  der  philos.-philol.,   math.-physikal.  und 

historischen  Klasse 

W.  Christ.       Carl  Voit.       C.  A.  Cornelius. 


Satzungen  der  Stiftungen  45 

V. 

Cramer-Klett-Stiftung  bei  der  Kgl.  bayerischen  Akademie 
der  Wissenschaften. 

Bestrebt  dem  Beispiel  seines  verewigten  Vaters  nachzueifern, 
welcher  durch  seine  Stiftungen  für  das  Gewerbemuseum  in 
Nürnberg  und  für  die  Kgl.  technische  Hochschule  in  München 
seinen  Gemeinsinn  bekundet  hat,  zugleich  auch  beseelt  von  dem 
Wunsche ,  dem  derzeitigen  Präsidenten  der  Kgl.  bayerischen 
Akademie  der  Wissenschaften,  Dr.  Max  von  Pettenkofer, 
ein  Zeichen  seiner  Verehrung  zu  geben,  hat  Herr  Theodor 
Freiherr  von  Cramer-Klett,  erblicher  Reichsrat  der  Krone 
Bayern,  unter  dem  21.  Oktober  1896  durch  Vermittlung  Seiner 
Exzellenz  des  Kgl.  Staatsministers  des  Innern  für  Kirchen-  und 
Schulangelegenheiten,  Herrn  Dr.  Robert  Ritter  von  Landmann, 
der  Kgl.  Akademie  der  Wissenschaften  ein  Kapital  von  60000Mark 
zur  Verfügung  gestellt,  damit  daraus  eine 

Cramer-Klett-Stiftung 

begründet  werde,  deren  Satzungen  im  allgemeinen  den  Satzungen 
der  im  April  dieses  Jahres  begründeten  Münchener  Bürgerstiftung 
entsprechen  sollen. 

Demnach  haben  der  Präsident  und  die  drei  Klassensekretäre 
Namens  der  Gesamtakademie  am  13.  November  1896  folgendes 
Statut  verabredet  und  beschlossen ,  welches  von  dem  Stifter 
am  23.  November  1896  in  Rom  gebilligt  und  unter  dem 
13.  Dezember  1896  landesherrlich  bestätigt  worden  ist: 

Satzung  der  Cramer-Klett-Stiftung  bei  der  Kgl.  bayerischen 
Akademie  der  Wissenschaften. 

§  1- 
Mit  einem  von  Herrn  Theodor  Freiherrn  von  Cramer- 
Klett,  erblichen  Reichsrat  der  Krone  Bayern,  zur  Verfügung 
gestellten  Kapital  von  60000  Mark  wird  eine  Stiftung  errichtet 
unter  dem  Namen  „Cramer-Klett-Stiftung  bei  der  Kgl.  bayer. 
Akademie  der  Wissenschaften". 


46  Satzungen  der  Stiftungen 

Zweck  dieser  Stiftung  ist,  mit  den  jährlichen  Zinsen  des 
Kapitals,  soweit  diese  nicht  zur  Vermehrung  des  Kapitals  selbst 
bestimmt  sind,  wissenschaftliche  Forschungen,  vorzugsweise  auf 
dem  Gebiete  der  Naturwissenschaften,  zu  veranlassen  und  zu 
unterstützen. 

§  3. 

Zur  Erhöhung  des  Stiftungskapitals  soll  mindestens  ein 
Zehntel  der  jährlichen  Zinsen  verwendet  werden. 

§  4. 
Anlage    und   Verwaltung    des    Stiftungsvermögens    erfolgt 
durch    die    Kassaverwaltung    der    Kgl.   Akademie    der  Wissen- 
schaften   nach    den    für    die    übrigen    akademischen   Stiftungen 
geltenden  Vorschriften. 

§  5- 
Ueber  die  Verwendung  der  jährlichen  Zinsen  des  Stiftungs- 
vermögens zu  den  in  §  2  und  §  3  bezeichneten  Zwecken  ent- 
scheidet eine  Kommission ,  welche  aus  dem  Präsidenten  der 
Kgl.  Akademie,  dem  Sekretär  der  mathematisch-physikalischen 
Klasse  und  drei  weiteren,  auf  je  drei  Jahre  gewählten  Mit- 
gliedern dieser  Klasse  besteht. 

§  6. 

Aenderungen  dieses  Statuts  sind  nur  auf  Antrag  der 
mathematisch-physikalischen  Klasse  durch  einmütigen  Beschluss 
des  Präsidenten  der  Kgl.  Akademie  und  der  drei  Klassensekretäre 
und  mit  Allerhöchster  Genehmigung  zulässig. 

München,  den  13.  November  1896. 

Der  Präsident  der  Kgl.  b.  Akademie  der  Wissenschaften 
Dr.  M.  V.  Pettenkofer. 

Die  Sekretäre  der  philos.-philol.,  math.-physikal.  und 

historischen  Klasse 

W.  Christ.     Carl  Voit.     C.  A.  Cornelius. 


Satzungen  der  Stiftungen  47 

VI. 

Satzung  der  Thereianos-Stiftung  zur  Förderung  der 
alt-  und  mittelgriechischen  Studien. 

Festgesetzt  in   der  Sitzung  der  philosophisch-philologischen   Klasse   der 
kgl.  bayer.  Akademie  der  Wissenschaften  am  5.  Februar  1898.    Genehmigt 
vom  kgl.  Staatsministerium  des  Innern  für  Kirchen-  und  Schulangelegen- 
heiten am  18.  Mai  1898   Nr.  7716. 

§  1- 
Der  am  15.  Mär/  1897  in  Triest  verstorbene  Gelehrte 
Dr.  Dionysios  Thereianos  bat  durch  testamentarische  Ver- 
fügung vom  18. /30.  Juli  1895  die  kgl.  bayer.  Akademie  der 
Wissenschaften  zur  Universalerbin  seines  Wertnachlasses  ein- 
gesetzt, um  damit  nach  Erfüllung  der  legataren  Auflagen 
einen  Fonds  zur  Förderung  der  alt-  und  mittelgriechischen 
Studien  zu  begründen. 

§  2. 
Der  Gesamtnachlass  betrug  nach  amtlicher  Schätzung 
162  844  Gulden  15  Kreuzer  österreichischer  Währung.  Nach 
Wegfertigung  der  testamentarischen  einmaligen  Auflagen,  der 
Erbschaftssteuern  und  sonstigen  Kosten  der  Nachlassbehandlung 
sind  verblieben: 

in  Wertpapieren  nach  dem  Kurswerte     258920  M.  60  Pf. 
und  im  Baren  8387     „     51     „ 

sohin  ein  Gesamtvermögen  von  262308  M.   11  Pf. 

dessen  jährliches  Zinserträgnis  nach  Auszahlung  zweier  auf 
Lebenszeit  gewährten  Leibrenten  im  Betrag  von  jährlich  1200 
Gulden  und  1000  Gulden  ö.  W.  für  die  Zwecke  des  Thereianos- 
Fonds  zu  verwenden  ist. 

§  3. 
Das  Fondskapital   besteht   in  Wertpapieren    und  wird  von 
der  Kassa   der  kgl.  bayer.  Akademie    der  Wissenschaften  nach 
den    für   die   übrigen   akademischen  Stiftungen    und  Fonds  be- 
stehenden Vorschriften  verwaltet. 


48  Satzungen  der  Stiftungen 

§4. 

Massgebend  ist  für  die  Verwendung  der  verfügbaren  Mittel 
der  Wille  des  Stifters,  den  derselbe  in  seinem  Testament  in 
nachfolgender  Weise  kundgegeben  hat: 

„Ich  vermache  der  kgl.  bayer.  Akademie  der  Wissenschaften 
mein  Vermögen,  damit  aus  den  Zinsen  desselben  alljährlich 
beim  Stiftungsfeste  Preise  zu  1000  oder  2000  Frcs.  verteilt 
und  ausserdem  wissenschaftliche  Unternehmungen  unterstützt 
werden. 

Ueber  die  Zahl  der  Preise  und  über  die  Höhe  der  zur 
Unterstützung  wissenschaftlicher  Unternehmungen  zu  verwen- 
denden Summen  entscheidet  nach  den  jeweiligen  Bedürfnissen 
die  Akademie,  doch  muss  jedes  Jahr  wenigstens  ein  Preis  ver- 
teilt werden.  Sowohl  die  zu  prämiierenden  Arbeiten,  als  die 
zu  unterstützenden  Unternehmungen  müssen  der  Geschichte, 
Sprache,  Literatur  oder  Kunst  der  Griechen,  von  den  ältesten 
Zeiten  bis  zur  Eroberung  Konstantinopels  durch  die  Türken, 
angehören.  Sowohl  die  Preise  als  die  sonstigen  Unterstützungen 
sollen  nur  an  bayerische  oder  auch  an  griechische  Gelehrte 
gegeben  werden." 

§5. 

Ueber  die  Verwendung  der  Mittel  des  Thereianos-Fondes 
beschliesst  die  philosophisch-philologische  Klasse  der  Akademie 
alljährlich  in  einer  dem  Stiftungsfeste  vorausgehenden  Sitzung 
auf  Grund  von  Vorschlägen  einer  von  ihr  gewählten  Kommission. 
Die  Entscheidung  erfolgt  durch  absolute  Majorität  der  in  der 
betreffenden  Sitzung  anwesenden  ordentlichen  Mitglieder  und 
wird  von  dem  Präsidenten  der  Akademie  in  der  öffentlichen 
Sitzung  des  Stiftungsfestes  bekannt  gegeben.  Die  erste  Ver- 
kündigung findet  an  dem  Stiftungsfeste  des  Jahres  1899  statt. 

§  6. 

Zur  Vorbereitung  der  Anträge   über  die  Verwendung  der 

Mittel  wählt  die   philosophisch-philologische  Klasse  auf  je  drei 

Jahre   eine  Kommission    von   fünf  Mitgliedern   aus  ihrer  Mitte. 

Dieselbe    kann    nach    Bedürfnis    jederzeit    auf   Anregung    der 


Satzungen  der  Stiftungen  49 

philosophisch  -  philologischen  Klasse  durch  ein  von  der  histo- 
rischen Klasse  zu  wählendes  sechstes  Mitglied  ergänzt  werden. 
Die  Kommission  wählt  aus  ihrer  Mitte  einen  Vorsitzenden  mit 
dem  Recht  des  Stichentscheides  bei  Stimmengleichheit, 

§  7. 
Aus  den   Mitteln  des  Thereianos  -  Fonds  werden   zur  För- 
derung der  Studien  auf  dem  Gebiete  der  Geschichte,   Sprache, 
Literatur  oder  Kunst  der  Griechen  im  Altertum  und  Mittelalter 

a)  Preise  erteilt, 

b)  Unterstützungen  für  wissenschaftliche  Unternehmungen 
gewährt. 

§  8. 
Preise  im  Betrag  von  800  oder  1600  Mark  sind  in  Aus- 
sicht genommen  für  wissenschaftlich  wertvolle  Schriften  baye- 
rischer, das  ist  in  Bayern  geborener  oder  dauernd  in  Bayern 
domizilierender  Gelehrter  und  Gelehrter  griechischer  Natio- 
nalität. Ausser  Konkurrenz  bleiben  Schriften  der  ordentlichen 
und  damit  stimmberechtigten  Mitglieder  der  philosophisch-philo- 
logischen Klasse  der  bayerischen  Akademie.  Preise  werden  nur 
erteilt  für  Schriften,  die  zu  dem  im  §  7  bezeichneten  Arbeits- 
gebiet gehören  und  im  nächstvorausgehenden  oder  einem  der 
10  vorausgehenden  Jahre  erschienen  sind. 

§  9. 
Jedes  Jahr  ist  mindestens  ein  Preis  zu  erteilen.  Für  Preis- 
erteilung überhaupt  können  jährlich  nicht  mehr  als  3200  Mark 
verwendet  werden.  Was  von  diesem  Höchstmass  für  Preise 
nicht  ausgegeben  wird,  kann  durch  Beschluss  der  philosophisch- 
philologischen Klasse  zur  Unterstützung  wissenschaftlicher  Un- 
ternehmungen in  dem  durch  §  7  bezeichneten  Gebiete  ver- 
wendet werden. 

§  10. 
Unterstützungen  wissenschaftlicher  Unternehmungen  werden 
nur   gewährt   auf  Grund   der  Vorlage   eines   genauen  Arbeits- 
jahrbuch 1915.  4 


50  Satzungen  der  Stiftungen 

planes  und  unter  der  Voraussetzung  eines  eingehenden,  nach 
dem  Abschluss  des  Unternehmens  an  die  Akademie  zu  erstat- 
tenden Berichtes.  In  Betracht  kommen  nur  Unternehmungen, 
welche  sich  auf  Geschichte,  Sprache,  Literatur  oder  Kunst  der 
Griechen  im  Altertum  und  Mittelalter  beziehen  und  von  einem 
bayerischen  oder  griechischen  Gelehrten  ausgeführt  oder  doch 
geleitet  werden.  Ueber  die  Zeit  der  Auszahlung  der  Unter- 
stützungssumme ist  für  jeden  einzelnen  Fall  ßeschluss  zu  fassen. 

§  n. 

Diejenigen  Erträgnisse  des  Fondskapitals,  welche  in  einem 
Jahre  für  die  beiden  bezeichneten  Zwecke  und  etwaige  Ver- 
waltungskosten nicht  zur  Verwendung  kommen,  sind  nach 
jedesmaligem  Beschluss  der  philosophisch-philologischen  Klasse 
entweder  für  das  nächste  Jahr  zu  reservieren  oder  zu  dem 
Fondskapital  zu  schlagen.  Die  Stellung  eines  Mitgliedes  der 
Kommission  gilt  als  Ehrenamt  und  wird  nicht  honoriert. 

§  12. 
Eine  Aenderung  der  Statuten  kann  nur  auf  Antrag  der 
philosophisch  -  philologischen  Klasse  und  des  Präsidiums  der 
Akademie  durch  Entschliessung  des  kgl.  bayer.  Staatsmini- 
steriums des  Innern  für  Kirchen-  und  Schulangelegenheiten 
erfolgen. 

Kgl.  bayer.  Akademie  der  Wissenschaften. 

M.  V.  Pettenkofer,  Präsident. 

V.  Christ,     C.  V.  Voit,     Friedrich, 
Klassensekretäre. 


Satzungen  der  Stiftungen  51 

VII. 

Satzung  der  Hardy-Stiftung  bei  der  Kgl.  Bayerischen 
Akademie  der  Wissenschaften. 

Landesherrlich  bestätigt  laut  Entschliessung  des  Kgl.  Staats ministeriums 
des   Innern    für  Kirchen-   und   Schulangelegenheiten    vom    7.  Juli    1905 

Nr.  13828. 

§  1. 
Der  am  10.  Oktober  1904  zu  Bonn  verstorbene  Univer- 
sitätsprofessor a.  D.  Dr.  Edmund  Hardy  hat  durch  rechts- 
gültiges Testament  vom  28.  Oktober  1901  die  Königlich  Baye- 
rische Akademie  der  Wissenschaften  zur  Erbin  seiner  Hinter- 
lassenschaft eingesetzt  mit  der  Bestimmung,  daraus  abzüglich 
einiger  Vermächtnisse  eine  Stiftung  für  indologische  Studien 
zu  errichten. 

§2. 

Das  Stiftungsvermögen  besteht 
in  Wertpapieren  zum  Kurswerte  von       71347  M.   80  Pf. 

in  Barem 38    „    50    „ 

somit  in  einem  Gesamtvermögen  von        71386  M.   30  Pf. 
und    wird    von    der   Kassaverwaltung   der   K.   Bayer.  Akademie 
der   Wissenschaften    nach    den    für    die   übrigen    akademischen 
Stiftungen  und  Fonds  bestehenden  Vorschriften  verwaltet. 

§  3. 
Massgebend  ist  für  die  Verwendung  der  verfügbaren  Mittel 
der  Wille  des  Stifters,  den   er  in  seinem  Testament  in   nach- 
folgender Weise  kundgegeben  hat: 

„Der  Zinsertrag  soll  alljährlich  am  9.  Juli  entweder 
a)  zur  Unterstützung  eines  jungen  Gelehrten,  gleichviel 
welchem  deutschen  Bundesstaat  er  angehören  mag,  der 
seine  Universitätsstudien  bereits  vollendet  hat,  behufs 
Fortsetzung  seiner  Fachstudien,  oder  b)  zu  Preisen  für 
vorliegende,  wissenschaftliche  Leistungen  oder  c)  zur  Unter- 
stützung wissenschaftlicher  Unternehmungen  verwendet 
werden,  —   alles  jedoch  unter  Beschränkung  auf  das  Ge- 

4* 


52  Satzungen  der  Stiftungen 

biet  der  Indologie  in  dem  Umfang  dieses  Begriffes,  wie 
er  wissenschaftlich  anerkannt  wird. 

„Die  Verleihung  eines  Preises  für  gedruckte  Werke 
ist  auf  solche  zu  beschränken,  die  im  Laufe  der  letzten 
drei  Jahre,  vom  Verleihungstermin  an  gerechnet,  erschienen 
sind.  In  diesem  Falle,  aber  auch  nur  in  diesem  allein, 
soll  die  Zugehörigkeit  oder  Nichtzugehörigkeit  des  Ver- 
fassers zu  einem  deutschen  Bundesstaat  keinen  Unterschied 
begründen. 

„Bei  der  K.  Bayer.  Akademie  der  Wissenschaften  soll 
es  stehen,  im  Falle,  dass  es  sich  um  eine  wissenschaftliche 
Reise  oder  um  Unterstützung  grösserer  wissenschaftlicher 
Unternehmungen  handelt,  auch  über  den  Zinsertrag  von 
zwei  oder  mehreren  aufeinander  folgenden  Jahren  kraft 
eines  einmaligen  Beschlusses  zu  verfügen.  Für  die  Ver- 
längerung über  das  dritte  Jahr  hinaus  soll  es  jedoch  eines 
erneuten  Beschlusses  bedürfen. 

„Die  Verwendung  des  Jahresertrages  der  Hardy-Stif- 
tung  soll  jedesmal  an  einer  geeigneten  Stelle  bekannt 
gegeben  werden. 

„Wenn  Verhältnisse  irgendwelcher  Art  die  Inanspruch- 
nahme der  Zinserträge  der  Stiftung  für  ihren  eigentlichen 
Zweck  der  Förderung  der  Indologie  ausschliessen,  so  bleibt 
es  der  K.  Bayer.  Akademie  der  Wissenschaften  anheim- 
gegeben, sie  für  andere  Zweige  der  orientalischen  Forschung, 
jedoch  unter  Bevorzugung  solcher  Zweige,  welche  sich  mit 
der  Indologie  berühren,  entsprechend  zu  verwenden." 

§  4. 
Über  die  Verwendung  der  Mittel  der  Hardy- Stiftung  be- 
schliesst  die  philosophisch -philologische  Klasse  alljährlich  in 
ihrer  Juli-Sitzung  auf  Grund  von  Vorschlägen  einer  zu  diesem 
Zweck  eingesetzten  Kommission.  Diese  besteht  aus  dem  Prä- 
sidenten der  Akademie,  dem  Klassensekretär,  zwei  Mitgliedern 
der  philosophisch-philologischen  und  einem  Mitglied  der  histo- 
rischen Klasse,  welche  jeweils  auf  drei  Jahre  gewählt  werden; 


I 


Satzungen  der  Stiftungen  53 

doch   soll   unter   allen  Umständen   der  Vertreter   der  Indologie 
dieser  Kommission  angehören. 

§  5. 
Diejenigen  Erträgnisse  des  Stiftungsvermögens,  welche  in 
einem  Jahre  für  den  bezeichneten  Zweck  und  etwaige  Verwal- 
tungskosten nicht  zur  Verwendung  kommen,  sind  nach  jedes- 
maligem Beschluss  der  Klasse  entweder  für  das  nächste  Jahr 
zurückzubehalten  oder  zu   dem  Stiftungsvermögen  zu  schlagen. 

§  6. 
Änderungen  dieser  Satzung  sind  nur  auf  Antrag  der  philo- 
sophisch-philologischen Klasse  und  des  Präsidiums  der  Akademie 
mit  Allerhöchster  Genehmigung  zulässig. 

Der   Präsident    der    Kgl.  Bayer.  Akademie    der  Wissenschaften 

V.  Heigel. 

Die  Sekretäre  der  philos.-philol.,   math.-phys.  und  historischen 

Klasse 
Kuhn.  V.  Veit.  Friedrich. 


VIIT. 

Satzung   der  Koenigs  -  Stiftung  zum  Adolf  von  Baeyer- 
Jubiläum   zur  Förderung  wissenschaftlicher   chemischer 

Forschungen. 

Landesherrlich  bestätigt  laut  Entschliessung  des  Kgl.  Staatsministeriums 
des  Innern  für  Kirchen-  und  Schulangelegenheiten  vom  4.  Dezember  1905 

Nr.  26449. 

§    1. 
Der  ausserordentliche  Professor  an  der  Universität  München 
Dr.  Wilhelm  Koenigs  hat  bei  der  Königlich  Bayerischen  Aka- 


54  Satzungen  der  Stiftungen 

demie  der  Wissenschaften  mit  einem  Kapital  von  50000  Mark 
eine  Adolf  von  Baeyer-Jubiläums-Stiftung  zur  Förderung 
wissenschafblicher  chemischer  Forschungen  errichtet. 

§  2. 
Zweck    der   Stiftung    ist,    aus    den   Zinsen    des   Stiftungs- 
vermögens  wissenschaftliche  chemische  Forschungen   zu   unter- 
stützen. 

§  3. 
Das    Stiftungsvermögen    wird    gebildet    durch    die    bereits 
eingezahlte   Summe   von   50000  Mark,    ferner   durch   künftige, 
dem  gleichen  Zweck  gewidmete  Spenden,  endlich   durch  nicht 
aufgebrauchte  zum  Kapital  geschlagene  Zinsen. 

§  4. 
Anlage    und   Verwaltung    des    Stiftungsvermögens    erfolgt 
durch    die    Kassaverwaltung    der    Kgl.    Bayer.    Akademie    der 
Wissenschaften   nach    den   für    die   übrigen   akademischen  Stif- 
tungen geltenden  Vorschriften. 

§  5. 
Die  Entscheidung  über  die  jährliche  Vergebung  der  Zinsen 
wird  einer  Kommission  übertragen,  welche  besteht  aus  dem 
Präsidenten  der  Kgl.  Bayer.  Akademie  der  Wissenschaften, 
dem  Sekretär  der  mathematisch-physikalischen  Klasse  und  den- 
jenigen ordentlichen  Mitgliedern  dieser  Klasse,  welche  Ver- 
treter der  Chemie  sind. 

§  6- 
Gesuche   um  Bewilligung  von  Geldmitteln   aus   den  Zinsen 
der  Stiftung   sind    an    den    Sekretär    der   mathematisch -physi- 
kalischen Klasse    zu   richten,    welcher  sie   der  Kommission    zur 
Entscheidung  vorlegt. 

§  7. 
Sitzungen   der   Kommission    finden    wenigstens    einmal   im 
Jahre  statt.     Die   Einladungen   hiezu   ergehen   vom   Präsidium. 
Bei  Stimmengleichheit  entscheidet  die  Stimme  des  Präsidenten. 


Satzungen  der  Stiftungen  55 

§  8. 
Eine  Änderung  dieser  Statuten   kann   nur  auf  Antrag  der 
in   §  5    bezeichneten    Kommission   und    nur    mit    Allerhöchster 
Genehmigung  erfolgen. 

Der  Präsident  der  Kgl.  Bayer.  Akademie  der  Wissenschaften 

V.  Heigel. 

Die  Sekretäre  der  philos.-philoL,  math.-phys.  und  historischen 

Klasse 
Kuhn.       V.  Voit,       Friedrich. 


IX. 

Satzung  der  Wilhelm-Koenigs-Stiftung  zur  Förderung 

botanischer  und  zoologischer  Forschungen  und 

Forschungsreisen. 

Landesherrlich  bestätigt  laut  Entschliessung  des  Kgl.  Staatsministeriums 
des  Innern  für  Kirchen-  und  Schulangelegenheiten  vom   25.  April  1907 

Nr.  7754. 

§1. 

Die  Erben  des  verstorbenen  Professors  der  Chemie  an  der 

Kgl.  Universität  München  Dr.  Wilhelm  Koenigs  stellten  im 
Sinne  des  Verstorbenen  der  Königlich  Bayerischen  Akademie 
der  Wissenschaften  die  Summe  von  50000  Mark  zur  Verfügung, 
deren  Zinsen  Verwendung  finden  sollen  zur  Förderung  bota- 
nischer und  zoologischer  Forschungen  und  Forschungsreisen. 

§  2. 
Die  Entscheidung  über  die  Vergebung  der  Zinsen  wird 
einer  Kommission  übertragen,  welche  besteht  aus  dem  Prä- 
sidenten der  Kgl.  Bayer.  Akademie  der  Wissenschaften,  dem 
Sekretär  der  mathematisch -physikalischen  Klasse  und  je  einem 
Vertreter  der  Botanik  und  der  Zoologie,  welche  von  der 
mathematisch-physikalischen  Klasse  zu  wählen  sind. 


56  Satzungen  der  Stiftungen 

§  3. 

Die  Vorschläge  über  die  Verwendung  der  Stiftungszinsen 
gehen  von  den  beiden,  nach  §  2  gewählten  Vertretern  der 
Botanik  und  Zoologie  aus,  wobei  in  der  Regel  abwechselnd 
die  eine  und  die  andere  der  beiden  Disziplinen  berücksichtigt 
werden  sollen. 

§  4. 

Die  Vergebung  der  Zinsen  findet  alle  zwei  Jahre  statt. 
Doch  kann  in  besonderen  Fällen  auf  einstimmigen  Beschluss 
der  Kommission  auch  in  der  Zwischenzeit  über  die  vorhandenen 
Zinsen  verfügt  werden. 

Nicht  verwendete  Zinsen  werden  zum  Kapital  geschlagen. 

§  5. 

Die  mit  Hilfe  der  Koenigs  -  Stiftung  erworbenen  oder 
gesammelten  Objekte  (Naturalien  und  Instrumente)  sind  den 
botanischen  oder  zoologischen  Sammlungen  des  Staates  zu 
übergeben. 

§  6. 

Wer  aus  der  Koenigs  -  Stiftung  eine  Bewilligung  erhält, 
hat  der  Kommission  über  die  Verwendung  der  Mittel  Bericht 
zu  erstatten. 

§  7. 

Anlage  und  Verwaltung  des  Stiftungsvermögens  erfolgt 
durch  die  Kassaverwaltung  der  Kgl.  Bayer.  Akademie  der 
Wissenschaften  nach  den  für  die  übrigen  —  nicht  in  das 
Depot  der  Bank  gegebenen  —  Stiftungsgelder  geltenden  Vor- 
schriften. 

Der   Präsident   der    Kgl.   Bayer.  Akademie    der  Wissenschaften 

V.  Heigel. 

Die  Sekretäre  der  philos.-philol.,  math.-phys.  und  historischen 

Klasse 
Kuhn.  V.  Voit.         Poehlmann. 


Satzungen  der  Stiftungen  57 

X. 

Satzung  des  Georg  Hitrschen  Fonds  zur  Förderung 
der  Medaillenkunst. 

Bestätigt  durch  Entschliessung  des  Kgl.  Staatsministeriums  des  Innern 
für  Kirchen-   und  Schulangelegenheiten   vom   22.  Januar  1909   Nr.  1424. 

§  1- 
Herr  Privatier  Georg  Hitl  in  München  hat  dem  Kgl.  Ge- 
neralkonservatorium der  wissenschaftlichen  Sammlungen  des 
Staates  die  Summe  von  15000  Mark  schenkungsweise  mit  der 
Bestimmung  überwiesen,  dass  deren  Zinsen  Verwendung  finden 
sollen  zur  Förderung  der  modernen  Medaillenkunst. 

.       ,  .  ^^' 

Die  Entscheidung    über   die  Vergebung    der   Zinsen    trifft 

eine  Kommission,  die  aus  dem  Generaldirektor  der  wissen- 
schaftlichen Sammlungen  des  Staates,  dem  Schenker,  zwei 
Künstlern  und  zwei  Sachverständigen  besteht.  Einer  der  letz- 
teren hat  der  Direktor  oder  ein  Beamter  des  Münzkabinettes 
zu  sein. 

Die  Mitglieder  der  Kommission  werden  vom  General- 
direktor im  Einvernehmen  mit  dem  Stifter  und  dem  Direktor 
des  Münzkabinettes  gewählt.  Spätere  Ergänzungen  trifft  die 
Kommission  selbst. 

Die  Kommission  wählt   aus  ihrer  Mitte   den  Vorsitzenden. 

Die  Kommission  tritt  alljährlich  mindestens  einmal  bis 
spätestens  20.  Dezember  zusammen.  Die  Einberufung  geschieht 
durch  das  K.  Generalkonservatorium.  Die  Beratung  findet  im 
K.  Münzkabinett  statt. 

§  3. 
Die  jährlichen  Zinsen  können  Verwendung  finden: 
a)  alljährlich  als  Preis  für  die  hervorragendste  Leistung 
auf  dem  Gebiet  der  modernen  Medaillenkunst  während 
des  verflossenen  Jahres. 

Zu    diesem  Zweck   wird   alljährlich   das  K.  General- 
konservatorium zur  Einsendung   von  einschlägigen  Ar- 


58  Satzungen  der  Stiftungen 

beiten  an  das  K.  Münzkabinett  München  bis  zum  1.  De- 
zember öffentlich  einladen.  Hierbei  können  berück- 
sichtigt werden  nur  fertige  Medaillen  oder  plastische 
Medaillenmodelle,  ferner  auch  in  Stahl  geschnittene, 
sowohl  negative  wie  positive  Stempel.  Übersteigt  das 
Modell  die  projektierte  Grösse  der  Medaille,  so  ist  diesem 
bei  der  Einsendung  eine  photographische  Verkleinerung 
im  beabsichtigten  Durchmesser  beizufügen, 

b)  für  Erteilung  eines  Auftrags. 

Die  Bestimmung  des  Vorwurfs  für  die  Medaille  bleibt 
der  Kommission  vorbehalten,  kann  aber  auch  dem  freien 
Ermessen  des  zu  beauftragenden  Künstlers  anheim- 
gestellt werden. 

Für  Preise  und  Aufträge  kommen  nur  in  Betracht  bayerische 
oder  in  Bayern  lebende  Künstler. 

§  4. 
Nicht  verwendete  Zinsen  werden  angesammelt  und  gelangen 
spätestens    alle   drei  Jahre,    vom    Datum    dieser   Satzungen    ab 
gerechnet,  zur  Verwendung. 

§  5. 

Anlage  und  Verwaltung  des  Fondsvermögens,  das  gemäss 
Entschliessung  des  K.  Staatsministeriums  des  Innern  für  Kirchen- 
und  Schulangelegenheiten  vom  12.  November  1908  Nr.  23963 
als  gesondertes,  staatliches  Zweckvermögen  anzusehen  ist,  er- 
folgt durch  die  Kassaverwaltung  der  Königlich  Bayerischen 
Akademie  der  Wissenschaften  nach  den  für  die  Verwaltung 
von  Stiftungsgeldern  geltenden  Vorschriften. 

München,  den   18.  Januar  1909. 

Der  Generaldirektor  der  wissenschaftlichen  Sammlungen 

des  Staates: 

V.  Heigel. 

Der  Direktor  des  K.  Münzkabinetts: 

Habich. 


Satzungen  der  Stiftungen  ^9 

X[. 

Satzung  der  Heinrich  v.  Brunck-Stiftung. 

Landesherrlich  bestätigt  laut  Entschließung  des  Kgl.  Staatsministeriums 
des  Innern  für  Kirchen-  und  Schulangelegenheiten  vom  22.  Oktober  1909 

Nr.  26067. 

§  1- 
Der  Geheime  Kommerzienrat  Dr.  Heinrich  von  Brunck 
in  Ludwigshafen  am  Rhein  errichtet  bei  der  Königlich  Baye- 
rischen Akademie  der  Wissenschaften  mit  einem  Kapital  von 
50000  Mark  eine  „Heinrich  von  Brunck-Stiftung"  zur 
Förderung  wissenschaftlich-chemischer  Forschungen. 

§  2. 

Zweck  der  Stiftung  ist  die  Verwendung  der  Zinsen  des 
Stiftungsvermögens  zur  Unterstützung  wissenschaftlich-chemi- 
scher und  physikalisch-chemischer  Forschungen. 

Die  Bewilligung  der  Mittel  erfolgt  jährlich,  jedoch  ist  für 
den  Fall  des  Auftretens  eines  größeren  Bedarfs  eine  Über- 
tragung von  einem  Jahr  auf  das  andere  zulässig. 

§3. 

Anlage  und  Verwaltung  des  Stiftungsvermögens  erfolgt 
durch  die  Kassaverwaltung  der  Königlich  Bayerischen  Aka- 
demie der  Wissenschaften  nach  den  für  die  „Koenigs-Stiftung" 
geltenden  Vorschriften. 

§4. 

Die  Entscheidung  über  die  Vergebung  der  Mittel  wird  einer 
Kommission  übertragen,  welche  besteht  aus  dem  Präsidenten 
der  Königlich  Bayerischen  Akademie  der  Wissenschaften,  dem 
Sekretär  der  mathematisch-physikalischen  Klasse  und  denjenigen 
ordentlichen  Mitgliedern  dieser  Klasse,  welche  Vertreter  der 
Chemie  und  der  physikalischen  Chemie  sind. 

§  5. 
Gesuche    um    Bewilligung    von   Geldmitteln    sind    an    den 
Sekretär    der    mathematisch-physikalischen    Klasse    zu    richten, 
welcher  sie  der  Kommission  zur  Entscheidung  vorlegt. 


60  Satzungen  der  Stiftungen 

§  6. 
Sitzungen    der   Kommission   finden    wenigstens   einmal   im 
Jahre  statt.     Die  Einladungen  hierzu  ergehen  vom  Präsidium. 
Bei  Stimmengleichheit  entscheidet  die  Stimme  des  Präsidenten. 

§  7. 
Eine  Änderung  dieser  Statuten  kann  nur  auf  Antrag   der 
in    §  4   bezeichneten    Kommission    und    nur    mit   Allerhöchster 
Genehmigung  erfolgen. 

Der   Präsident   der   Kgl.   Bayer.  Akademie   der  Wissenschaften 

V.  Heigel. 

Die  Sekretäre  der 
Philos.-philol.  Math.-physikal.  Histor.  Klasse 

Kuhn.  V.  Goebel.  v.  Poehlmann. 


XII. 

Satzung  der  Karl  von  Dapper- Saalfels -Stiftung 
für  biologische  Studien  in  München. 

Landesherrlich   bestätigt   laut  Entschließung  des  K.  Staatsministeriums 
des  Innern  für  Kirchen-  und  Schulangelegenheiten  vom  23.  September  1913 

Nr.  24 126. 

1.  Aus  einer  von  dem  K.  Hofrat,  Großherzoglich  Olden- 
burgischen Geheimen  Medizinalrate  und  K.  Preußischen 
Professor  Dr.  med.  Karl  von  Dapper-Saalfels  in  Kis- 
singen gespendeten  Summe  wurde  von  S.  K.  Hoheit  Prinz 
Ludwig  der  Betrag  von  50,000  Mark  der  mathematisch- 
physikalischen Klasse  der  K.  Akademie  der  Wissenschaften 
für  biologische  Studien  zur  Verfügung  gestellt.  Die  K. 
Akademie  der  Wissenschaften  widmet  diesen  Betrag  für 
die    Errichtung    einer    selbständigen    Stiftung    mit    dem 


Satziin<?en  der  Stiftungen  61 

Namen     „Karl    von    Dapper-Saalfels-Stiftung    für 
biologische  Studien  in  München". 

2.  Die  Verwaltung  dies&r  Stiftung  steht  der  K.  Bayerischen 
Akademie  der  Wissenschaften  in  München  zu,  die  Ent- 
scheidung über  die  Verwendung  der  Zinsen  wird  einer 
Kommission  übertragen,  welche  besteht  aus  dem  Präsi- 
denten der  K.  Bayerischen  Akademie  der  Wissenschaften, 
dem  Sekretär  der  mathematisch -physikalischen  Klasse 
und  den  Vertretern  der  Biologie  in  der  Klasse. 

3.  Unterstützt  werden  können  aus  den  Zinsen  der  Stiftung 
sowohl  wissenschaftliche  Untersuchungen  auf  dem  Gebiete 
der  Anatomie,  Anthropologie,  Botanik,  Physiologie,  speziell 
Stoffwechsellehre  und  Balneologie  und  Zoologie,  als  auch 
Studienreisen,  indes  keine  Sammelreisen. 

4.  Die  Gesuche  sind  vor  1.  Dezember  jedes  Jahres  an  den 
Klassen  Sekretär  zu  richten.  Die  Sitzung  der  Kommission 
findet  im  Dezember  statt. 

5.  Über  die  mit  Unterstützung  der  Stiftung  ausgeführten 
Untersuchungen  ist  der  Klasse  ein  Bericht  vorzulegen. 
Mit  Stiftungsraitteln  gesammelte  Objekte  oder  aus  Stif- 
tungsmitteln angeschaffte  Apparate  sind  einer  bayerischen 
Staatssammlung  oder  einem  bayerischen  wissenschaftlichen 
Staatsinstitut  zu  überweisen. 

6.  Nicht  verwendete  Zinsen  werden  zum  Kapital  geschlagen. 

7.  Anlage  und  Verwaltung  des  Stiftungsvermögens  erfolgt 
durch  die  Kassenverwaltung  der  K.  Bayerischen  Akademie 

•   der  Wissenschaften  nach  den  für  Stiftungsgelder  geltenden 
Vorschriften. 

Die  Kassenkuratel  und  die  Rechnungsrevision  hat  die 
K.  Rechnungskammer. 

München,  den  5.  September  1913. 

K.  Akademie  der  Wissenschaften. 

Heigel 

Präsident. 


62  Satzungen  der  Stiftungen 


XIII. 

Satzung  der  Albert  Samson- Stiftung 
bei  der  K.  Bayerischen  Akademie  der  Wissenschaften. 

Landesherrlich  genehmigt  laut  Entschließung  des  K.  Staa,tsministeriums 
des  Innern  für  Kirchen-  und  Schulangelegenheiten  vom  25.  Juli  1915 

Nr.  15550. 

Gemäß  den  testamentarischen  Bestimmungen  des  Rentners 
Albert  Samson  vom  19.  Juli  1905  und  dem  darin  enthaltenen 
Vermächtnis  errichtet  die  K.  Bayerische  Akademie  der  Wissen- 
schaften eine  Stiftung,  die  den  Namen 

„Albert  Samson-Stiftung" 
trägt. 

§  2. 
Der  Zweck  der  Stiftung  ist  wissenschaftliche  Erforschung 
und  Begründung  der  Moral  des  Einzelmenschen  und  der  gesell- 
schaftlichen Moral  an  der  Hand  der  Ergebnisse  der  Natur-  und 
Geschichtsforschung,  sowie  besonders  der  experimentellen  Psy- 
chologie, ferner  Feststellung  der  Folgerungen  aus  den  Ergeb- 
nissen dieser  Forschung  für  das  Leben  des  Einzelmenschen 
und  das  Gesellschaftsleben;  insbesondere  die  Erforschung  des 
Ursprunges,  der  urgeschichtlichen  und  weiteren  geschichtlichen 
Entwicklung  der  Moral  und  der  einzelnen  Moralgesetze,  die 
Erforschung  des  Einflusses  der  körperlichen  und  geistigen  Ver- 
anlagung des  Menschen,  des  Einflusses  der  Bodenbeschaffenheit, 
der  topographischen  und  meteorologischen  Verhältnisse,  ferner 
die  Erforschung  des  Einflusses  der  Kultur,  der  Erziehung,  der 
Arbeit,  der  wirtschaftlichen  Bedingungen  derselben,  der  Er- 
nährung und  ähnlicher  Verhältnisse;  endlich  die  Feststellung 
und  Unterstützung  der  Folgerungen  aus  den  Ergebnissen  der 
obigen  Forschungen  für  die  physische  und  sittliche  Lebens- 
haltung der  Einzelmenschen  sowie  für  das  Gemeinschaftsleben. 


Satzungen  der  Stiftungen  60 

Dogmatische,  speziell  dogmatisch-philosophische  oder  theo- 
logische Moralbegründungen  sind  ausgeschlossen  und  können  nur 
als  Gegenstände  der  Geschichtsforschung  in  Betracht  kommen. 

§  3. 
Die    Akademie    der   Wissenschaften    widmet    der   Stiftung 
auf  Grund    des  Vermächtnisses   Albert   Samsons    die    Summe 
von  nominell   552,700  Mark,    die    derzeit   in    3^2^/0 igen   und 
4^ folgen  bayerischen  Staatspapieren  angelegt  sind. 

§  4. 

Die  Verwaltung  und  auch  die  Ausrichtung  der  Stiftung 
obliegen  einem  besonderen  Vorstande,  für  dessen  satzungs- 
gemäße Zusammensetzung  der  Präsident  der  K.  Akademie  zu 
sorgen  hat. 

Der  Vorstand  besteht  aus  12  ehrenamtlichen  Mitgliedern, 
von  denen  7  der  zweiten  (mathematisch -physikalischen)  und 
5  der  ersten  und  dritten  (philosophisch  -  philologischen  und 
historischen)  Klasse  angehören. 

Von  Amtswegen  sind  Vorstandsmitglieder:  der  Präsident 
der  Akademie  und  die  drei  Klassensekretäre. 

Die  übrigen  Mitglieder  werden  von  den  Klassen  durch 
einfache  Stimmenmehrheit  auf  je  fünf  Jahre  gewählt. 

Gehört  der  Präsident  der  ersten  oder  dritten  Klasse  an, 
so  wählt  die  zweite  Klasse  aus  ihren  der  Biologie  angehörigen 
Mitgliedern  6  Vertreter  in  den  Vorstand,  die  erste  und  dritte 
Klasse  wählen  je  ein  Mitglied. 

Gehört  der  Präsident  der  zweiten  Klasse  an,  so  wählt  diese 
nur  5  Biologen  in  den  Vorstand. 

Sind  zur  Zeit  der  Ernennung  eines  neuen  Präsidenten  aus 
der  2.  Klasse  6  Vorstandsmitglieder  (außer  dem  Klassensekretär) 
vorhanden,  so  scheidet  ein  Vorstandsmitglied  der  2.  Klasse 
durch  das  Los  aus.  Die  1.  und  3.  Klasse  wählen  in  diesem 
Falle  noch  ein  weiteres  Mitglied  in  den  Vorstand. 

Der  Vorstand  wählt  seinen  Vorsitzenden  und  dessen  Stell- 
vertreter aus  seinen  naturwissenschaftlichen  Mitgliedern.  Er 
setzt   die  Geschäftsordnung   fest  und    bestellt  die  für  die  Ar- 


64  Satzungen  der  Stiftungen 

beiten  etwa  erforderlichen  wissenschaftlichen  und  technischen 
Hilfskräfte.  Er  kann  auch  der  Akademie  nicht  angehörige  Sach- 
verständige mit  beratender  Stimme  zu  seinen  Sitzungen  heran- 
ziehen. Ihm  unterliegt  die  Prüfung,  ob  die  vorgeschlagenen 
Forschungen  mit  dem  Zweck  der  Stiftung  übereinstimmen. 

Der  Vorsitzende  des  Vorstandes  oder  sein  Stellvertreter 
vertritt  in  Gemeinschaft  mit  einem  anderen  Vorstandsmitglied 
die  Stiftung  nach  Außen. 

§  5. 

Die  Verwendung  der  Mittel  erfolgt  nach  Anhörung  der 
Klassen  in  der  Weise,  daß  mit  der  Hälfte  des  jährlich  für  die 
Stiftungszwecke  zur  Verfügung  stehenden  Betrages  Arbeiten 
aus  dem  Studiengebiet  der  mathematisch-physikalischen  Klasse, 
mit  der  anderen  Hälfte  solche  aus  dem  Studiengebiet  der  philo- 
sophisch-philologischen und  der  historischen  Klasse  unterstützt 
werden. 

Mit  Zustimmung  der  Majorität  der  Vorstandsmitglieder 
aus  der  mathematisch  -  physikalischen  Klasse  kann  aber  auch 
ein  größerer  Betrag  als  die  Hälfte  für  Arbeiten  aus  dem  Ge- 
biete der  beiden  anderen  Klassen  und  ebenso  mit  Zustimmung 
der  Majorität  der  Vorstandsmitglieder  aus  der  1.  und  3.  Klasse 
ein  größerer  Betrag  als  die  Hälfte  für  Arbeiten  auf  dem  Ge- 
biete der  2.  Klasse  verwendet  werden. 

§  6. 

Für  die  Erreichung  des  Stiftungszweckes  darf  niemals  das 
Hauptkapital  angegriffen  werden.  Falls  die  Stiftungsmittel 
durch  das  Arbeitsprogramm  eines  Jahres  nicht  aufgebraucht 
werden,  sind  sie  zur  Bildung  einer  Rücklage  für  Zwecke  der 
Stiftung  zu  verwenden. 

Für  das  sich  dadurch  bildende  Rücklagekapital  und  die 
davon  aufkommenden  Zinsen  sollen  dieselben  Anordnungen, 
welche  bezüglich  des  Stiftungskapitals,  dessen  Zinsen  und  deren 
Verwendung  getroffen  werden,  in  Geltung  treten,  jedoch  mit 
der  Ausnahme,  daß  zu  größeren  Unternehmungen  und  For- 
schungen   auch    das    Kapital    nach   Anhörung   der   Klassen    in 


Satzungen  der  Stiftungen  6  5 

Angriff  genommen  werden  darf.  Behufs  leichterer  Flüßig- 
machung  darf  die  Anlage  der  Rücklage  nur  in  besten  zins- 
tragenden Börsenpapieren  erfolgen. 

Erst  wenn  die  Rücklage  den  Betrag  von  100,000  Mark 
—  einhunderttausend  Mark  —  erreicht  hat,  fließen  die  nicht 
zur  Verwendung  gelangten  Überschüsse  dem  Kapitalfonds  der 
Stiftung  zu. 

Auch  von  anderen  Schenkern  sollen  Mittel  zur  Vergröße- 
rung der  Stiftung  angenommen  werden. 

Zweck  und  Name  der  Stiftung  bleibt  jedoch  derselbe. 

Die  Namen  und  Gaben  der  Schenker  werden  in  den  Jahres- 
berichten veröffentlicht. 

.Etwaige  Verluste  des  Hauptkapitals  sind  aus  der  Rück- 
lage und  falls  diese  nicht  ausreicht,  aus  den  Jahreszinsen  zu 
ersetzen  bis  das  Stiftungskapital  wieder  auf  seine  ursprüng- 
liche Höhe  gebracht  und  der  Rücklage  der  ihr  entnommene 
Betrag  wieder  zugeführt  ist. 

§  7. 
Die  Verwaltungskosten,   einschließlich  der  Entlohnungen, 
werden  aus  den  Jahreszinsen  bestritten. 

§  8. 

Im  Übrigen  erfolgt  die  Verwaltung  des  Stiftungs Vermögens 
nach  den  hiefür  einschlägigen  jeweiligen  Bestimmungen. 

Die  Kassenkuratel  und  die  Rechnungsprüfung  werden  der 
K.  Rechnungskammer  überwiesen. 

Die  Stiftungsaufsicht  im  übrigen  kommt  dem  K.  Staats- 
ministerium des  Innern  für  Kirchen-  und  Schulangelegen- 
heiten zu. 

München,  den  17.  Juni  1915. 

K.  Akademie  der  Wissenschaften. 
Crusius 
Präsident. 

Die  Sekretäre  der  philos-philol.,  math.-phys.  und  histor.  Klasse 
Kuhn.  V.  Goebel.  Marcks. 


Jahrbuch  1915. 


66  Bewilligungen  aus  den  Stiftungen 


Die    sonst    im    März    stattfindende    öffentliche    Sitzung 
fiel  wegen  des  Krieges  aus. 


Aus  den  Stiftungen  der  Akademie  erfolgten  nachstehende 
Zuwendungen: 

1.  Thereianos-Stiftung: 

ein  Preis  von  800  Jt  an  den  Direktor  des  Nationalmuseums 
Dr.  Balerios  Stai's  in  Athen  für  seine  archäologischen  For- 
schungen und  Veröffentlichungen; 

ein  Preis  von  800  Ji  an  den  Ephoros  der  Altertümer  der 
Akropolis  und  von  Attika  Dr.  Antonios  Keramopoullosin  Athen 
für  seine  epigraphischen  und  archäologischen  Untersuchungen; 

an  Dr.  Apostolos  Arbanitopoullos  in  Volo  zur  weiteren 
Bearbeitung  von  Thessalischen  Inschriften  1000  Jl\ 

an  Dr.  Nikos  A.  Bees  aus  Athen,  z.  Z.  in  Berlin,  zur  Fort- 
setzung seiner  Arbeiten  über  die  Handschriften  der  Meteüren- 
Klöster  1000  Jt\ 

an  Prof.  Dr.  Leopold  Wen g er  in  München  für  die  Kosten 
eines  Index  zu  den  griechischen  Novellen  Justinians    1000  Jl. 

2.  Aus  den  Zinsen  des  Mannheimer  akademischen 
Reservefonds: 
an    die   Mineralogische    Sammlung    des    Staates    zur   An- 
schaffung   eines   Röntgenapparates    (der   während    des   Krieges 
für  Sanitätszwecke  zur  Verfügung  gestellt  wurde)  3600  Jt\ 

an  das  K.  Münzkabinett  zur  Anschaffung  eines  seltenen 
syrakusanischen  Goldgepräges  3000  JC\ 


Bewilligungen  aus  den  Stiftungen  67 

an  die  Anthropologisch  -  prähistorische  Sammlung  zum  An- 
kauf der  Ausbeute  von  Grabungen  des  Herrn  Rentamtmanns 
Praunholz   500  Jl-, 

an  den  K.  Botanischen  Garten  als  Zuschuß  zum  Ankauf 
der  Algensammlung  Reinbold  für  das  Kryptogamenherbarium 
2000  JC. 

3.  Münchener  Bürger-Stiftung: 

zur  Beschaffung  eines  Röntgenapparates  (der  während 
des  Krieges  für  Sanitätszwecke  zur  Verfügung  gestellt  wurde) 
3700  jH. 

4.  Cramer-Klett-Stiftung: 

an  die  Anthropologisch  -  prähistorische  Sammlung  des 
Staates  zu  Höhlenforschungen  in  Bayern    1000  M. 

5.  Koenigs-Stiftung  zum  Adolf  von  Baeyer-Jubiläum: 

an  den  Universitätsprofessor  Dr.  Heinrich  Wieland  zu 
Untersuchungen  über  tierische  Gifte  und  Oxydationsfermente 
1500  Ji', 

zur  Beschaffung  eines  Röntgenapparates  für  das  Chemische 
Laboratorium  des  Staates  (der  während  des  Krieges  für  Sanitäts- 
zwecke zur  Verfügung  gestellt  wurde)    3300  JC. 

6.  Heinrich  von  Brunck-Stiftung: 

an  das  Chemische  Laboratorium  des  Staates  zur  Beschaffung 
von  Büchern  zu  chemischen  Forschungen   500  JC. 

7.  Karl  von  Dapper-Saalfels-Stiftung: 

an  die  Zoologische  Sammlung  des  Staates  zu  Untersuchungen 
über  die  Verbreitung  von  Vogelformen  in  den  Gebirgen  süd- 
lich des  karaibischen  Meeres   950  M; 

an  Universitätsprofessor  Dr.  Ferdinand  Henrich  in  Er- 
langen zur  Untersuchung  von  Quellen  und  Gesteinen  Bayerns 
auf  Radioaktivität    800  JC. 

5* 


68  Bewilligungen  aus  den  Stiftungen 

8.  Georg  Hitl-Fonds  zur  Förderung  der  Medaillen- 
kunst: 

an  den  Wirtschaftlichen  Verband  der  bildenden  Künstler 
(Abteilung  München)  zur  Unterstützung  notleidender  Medaillen- 
künstler Bayerns    1085  M. 

9.  Aus  den  für  das  Jahr  1915  verfügbaren  Mitteln 
der  Savigny-Stiftung: 

an  die  Redaktion  der  Zeitschrift  der  Savigny-Stiftung  zur 
Unterstützung  ihres  Honorarfonds   600  Ji\    , 

an  die  Kommission  der  K.  Preuß.  Akademie  der  Wissen- 
schaften für  Herausgabe  des  „Deutschen  Rechtswörterbuches" 
als  Beitrag  zu  dessen  Kosten   2200  Jl', 

an  Universitätsprofessor  Dr.  Ludwig  Wahrmund  in  Prag 
zur  Unterstützung  seines  Quellenwerks  zur  Geschichte  des 
Römisch -kanonischen  Prozesses  im  Mittelalter    2400  JC. 

10.  Aus  den  Renten  der  Hardystiftung: 

zur  Fortführung  des  Indischen  Teiles  der  „Orientalischen 
Bibliographie"   an  Prof.  L.  Scherman    600  eA 


69 


Nekrologe. 

Philosophisch  -  philologische  Klasse. 

Am  17.  Oktober  1914  starb  das  ordentliche  Mitglied,  der 
Professor  der  Philosophie  an  der  Universität,  Theodor  Lipps.  Er 
war  am  28.  Juli  1851  zu  Wallhalben  in  der  Rheinpfalz  geboren, 
bezog  1867  die  Universität  Erlangen,  dann  Tübingen  und 
Utrecht,  um  Theologie  und  Philosophie  zu  studieren,  und 
promovierte  1874  in  Bonn  mit  einer  Dissertation  über  Herbarts 
Ontologie,  in  der  sich  sein  Talent  zu  scharfsinniger  Beurteilung 
fremder  Lehren  bereits  deutlich  aussprach.  In  Bonn  habilitierte 
er  sich  1877  für  Philosophie,  wurde  dort  1884  zum  außer- 
ordentlichen Professor  ernannt,  1890  als  ordentlicher  nach 
Breslau  berufen  und  1894  der  Nachfolger  Stumpfs  in  München, 
wo  er  bis  etwa  1909  eine  große  und  segensreiche  Wirksam- 
keit entfaltet  hat.  Mitten  aus  starker  Produktivität  heraus 
wurde  er  durch  eine  langwierige  Krankheit  zur  unfreiwilligen 
Muße  verurteilt.  Viele  literarische  Aufgaben,  die  er,  in  rast- 
loser Entwicklung  und  Wandlung  seiner  Gedanken  begriffen, 
sich  vorgenommen  hatte,  mußten  unerfüllt  bleiben.  Nicht  nur 
die  zahlreichen  Schüler,  die  er  durch  seine  ungewöhnlich  ein- 
drucksvolle Rede  und  seine  gründliche  kritische  Prüfung  ihrer 
Arbeiten  zu  fesseln  und  zu  fördern  wußte,  nicht  nur  die  Fach- 
genossen,  die  seine  scharfe  und  klare  Dialektik,  seine  tief- 
dringenden und  feinen  Analysen,  seine  vom  Geiste  der  Sach- 
lichkeit, Vorurteilslosigkeit  und  Selbständigkeit  beherrschten 
Untersuchungen  hoch  ge wertet  haben,  sondern  auch  weite 
Kreise  der  Gebildeten,  die  in  ihm  einen  unbestechlich  auto- 
nomen, für  jede  bedeutende  Erscheinung  des  öffentlichen  Lebens 
interessierten,  zu  sicherer  und  überzeugender  Beurteilung  fähigen 
und  fertigen  Denker  und  Redner  verehrten,  sie  alle  vereinigen 
sich  in  dem  schmerzlichen  Bedauern,  daß  Th.  Lipps  den  Schau- 
platz hat  verlassen  müssen,  auf  dem  ihm  großzügige  Forschung, 
fruchtbare  pädagogische  Tätigkeit,  aufklärende  und  charakter- 


70  Nekrologe 

volle  Wirksamkeit  und  die  Begründung  einer  angesehenen  und 
tüchtigen  Philosophenschule  gelungen  war.  Außerordentliches 
Mitglied  unserer  Akademie  wurde  er  1896,  ordentliches  1899. 
Ein  fast  vollständiges  Verzeichnis  seiner  Schriften  enthält  der 
Almanach  von  1909. 

Der  Psychologie  im  weitesten  Sinne  hat  seine  Lehens- 
arbeit gehört.  Die  1883  erschienenen  „Grundtatsachen  des 
Seelenlebens"  waren,  wie  die  Vorrede  sagt,  nicht  als  Abschluß, 
sondern  als  erster  Ruhepunkt  seiner  psychologischen  Forschung 
gemeint.  Dieses  Buch  suchte  der  Philosophie  dadurch  einen 
besonderen  Inhalt  zu  geben,  daß  es  sie  zur  Einzelwissenschaft 
machte,  indem  es  sie  (wie  einst  Hume,  dessen  Treatise  on  Human 
Nature  Lipps  später  in  ausgezeichneter  deutscher  Übersetzung 
und  mit  trefflichen  erläuternden  und  kritischen  Anmerkungen 
herausgab)  als  Geisteswissenschaft  oder  Wissenschaft  der  inneren 
Erfahrung  kennzeichnete  und  sie  damit  der  Naturwissenschaft 
koordinierte.  Die  Psychologie  wurde  zur  Grunddisziplin,  auf 
der  Logik,  Ethik  und  Ästhetik  mit  den  daran  sich  anknüpfen- 
den Disziplinen,  schließlich  auch  die  Metaphysik  basieren. 
Lipps  ist  durch  dies  Programm,  das  er  im  Grunde  bis  zuletzt 
festgehalten  und  durchgeführt  hat,  ein  Hauptvertreter  des 
Psychologismus  unserer  Zeit  geworden.  Selbst  als  er  die 
Ansprüche  dieser  Richtung  unter  dem  Eindruck  der  Logischen 
Untersuchungen  von  Husserl  einzuschränken  für  notwendig 
hielt,  hat  er  eine  Fassung  gefunden,  die  ihr  ein  gewisses  Recht 
immer  noch  zuerkannte.  Auch  die  Gebote  der  theoretischen, 
praktischen  und  ästhetischen  Vernunft  werden,  so  sagte  er 
jetzt,  im  individuellen  Bewußtsein  vorgefunden,  mag  auch  ihre 
Geltung  eine  überindividuelle  sein.  Somit  gehört  ihre  Be- 
schreibung und  Zergliederung  zur  beschreibenden  und  zer- 
gliedernden Psychologie.  Schließlich  macht  die  ganze  Logik 
und  Erkenntnislehre,  Ethik  und  Ästhetik  einen  Teil  dieser 
Psychologie  aus.  Daß  diese  Disziplinen  auf  Psychologie  sich 
„gründen"  (wie  er  früher  behauptet  hatte),  ist  damit  ausge- 
schlossen. Sie  sind  vielmehr  in  ihr  enthalten  oder  werden  von 
ihr  vorausgesetzt. 


Nekrologe  7 1 

Mit  der  Bezeichnung  des  Psychologismus  ist  nicht  gesagt, 
daß  Lipps  zugleich  Konszientialist  gewesen  wäre.  Im  Gegenteil, 
er  hat  mit  besonderem  Nachdruck  auf  die  Notwendigkeit  hin- 
gewiesen,  unbewußte  Vorgänge  anzunehmen,  die  die  Be- 
ziehungen zwischen  den  Bewußtseinsinhalten  und  den  Formen, 
in  die  sie  gegossen  erscheinen,  überall  vermitteln,  wie  es  in 
den  „Grundtatsachen"  heißt.  Sie  müssen  zur  Herstellung  einer 
lückenlosen  Gesetzmäßigkeit  zwischen  den  Bewußtseinstatsachen 
postuliert  werden.  Was  sie  an  sich  sein  mögen,  ob  physiolo- 
gische Prozesse  oder  unbekannte  Lebensäußerungen  eines  beson- 
deren seelischen  Wesens,  bleibt  dahingestellt.  Die  Seele  ist  der 
Psychologie  nichts  als  der  Träger  oder  der  zusammenfassende 
Ausdruck  für  die  erkannten  seelischen  Wirkungen.  Bei  dieser 
Auffassung  bleibt  es  im  wesentlichen  auch  später.  Die  Psycho- 
logie hat,  wie  die  letzte  Darstellung  in  der  3.  Auflage  des 
Leitfadens  der  Psychologie  (1909)  sagt,  die  Aufgabe,  als  er- 
klärende Disziplin  einen  Kausalzusammenhang  des  psychisch 
Realen  „denkend  herzustellen,  als  „Substruktion"  oder  „Unter- 
bau" für  die  Begreiflichmachung  der  in  der  Erfahrung  ge- 
gebenen Bewußtseinserlebnisse  der  individuellen  Iche,  d.  h.  es 
ist  ihre  Aufgabe,  einen  Kausalzusammenhang  des  Realen  her- 
zustellen, und  in  ihm  in  gesetzmäßiger  Weise  die  Bewußtseins- 
erlebnisse einzufügen,  und  so  auch  zwischen  diesen,  durch  jenen 
Zusammenhang  des  Realen  hindurch,  eine  kausale  Beziehung 
zu  stiften."  Erklärende  Psychologie  wird  hier  auch  die  Wissen- 
schaft genannt,  „welche  das  Gegründetsein  von  individuellen 
Bewußtseinserlebnissen  in  einer  Seele,  oder  welche  diese  Er- 
lebnisse als  einer  Seele  eignend,  betrachtet."  „Sie  ist  die 
„Wissenschaft"  von  der  Seele  und  den  seelischen  „Er- 
scheinungen"." Da  diese  Seele  der  realen  Welt  angehört, 
so  darf  sie  auch  als  Substanz  bezeichnet  werden.  Diese  ener- 
gische Vertretung  eines  psychologischen  Realismus  verdient 
um  so  mehr  hervorgehoben  zu  werden,  als  sie  einer  verbreiteten 
Ansicht  widerspricht,  nach  der  das  im  Bewußtsein  Vorgefundene, 
durch  innere  Wahrnehmung  Feststellbare  einfach  mit  dem 
Psychischen  zusammenfällt.    Th.  Lipps  gehört  zu  den  wenigen 


72  Nekrologe 

Psychologen,  die  erkannt  haben,  daß  auch  im  Bereich  ihrer 
Wissenschaft  Dasein  und  Bewußtsein  nicht  dasselbe  sind,  daß 
auch  hier  Reales  und  Phänomenales  auseinandergehalten  werden 
müssen,  daß  die  Ergebnisse  der  wissenschaftlichen  Psychologie 
sich  nicht  mit  den  Tatsachen  der  Selbstbeobachtung  decken, 
daß  die  innere  Wahrnehmung  ebenso  wenig  Psychologie  treibt 
oder  ist,  wie  die  äußere  Wahrnehmung  Naturwissenschaft. 

Dem  Konszientialismus  aber  stand  er  auch  für  die  Außen- 
welt nicht  näher.  Daß  es  ein  Natur  reales  gibt,  dafür  ist 
er  besonders  eindringlich  in  dem  4.  Heft  des  I.  Bandes  der 
Psychologischen  Untersuchungen  (1907)  eingetreten.  Hier  wendet 
er  sich  gegen  die  bei  manchen  naturwissenschaftlichen  Er- 
kenntnistheoretikern beliebte  Auffassung  der  Naturobjekte  als 
Komplexe  von  Empfindungen,  als  Bewußtseinsinhalte.  Viel- 
mehr sind  die  Naturerscheinungen  das  in  Wahrnehmungsinhalten 
Gegebene.  Inhalt  und  der  in  ihm  gedachte  Gegenstand 
sind  zu  unterscheiden,  und  der  hier  gemeinte  Naturgegenstand 
ist  ein  objektiv  Wirkliches,  das  ein  eigenes,  vom  Bewußtsein 
unabhängiges  Dasein  hat.  „Die  naturwissenschaftliche  Er- 
kenntnis ist  die  Erkenntnis  der  Gesetzmäßigkeit  des  Physischen." 
Schon  in  den  „Grundtatsachen"  waren  Naturwissenschaft  und 
Psychologie  auf  das  gleiche  Material  bezogen  worden.  Aber 
dies  Material  tritt  „für  uns  in  ein  doppeltes  System  von  Be- 
ziehungen, das  der  objektiven  vom  Subjekt  unabhängig  ge- 
dachten Beziehungen  des  Vorgestellten  unter  sich,  und  das 
System  der  Beziehungen,  in  das  die  Vorstellungen  als  unsere 
subjektiven  Zustände  zu  einander  und  zum  ganzen  seelischen 
Wesen  treten."  Mit  dieser  Scheidung  war  er  der  Vorläufer 
eines  Mach  und  Avenarius  geworden,  ohne  damit  in  deren 
antimetaphysische  Richtung  hineinzugeraten. 

Zu  einer  umfassenden  Darstellung  der  Metaphysik  ist 
es  freilich  bei  ihm  nicht  gekommen.  Immerhin  enthalten  seine 
naturphilosophischen  Abhandlungen  und  der  Schluß  des  Leit- 
fadens der  Psychologie  in  der  1.  Auflage  (1903)  metaphysische 
Ausführungen,  die  die  Grundzüge  eines  aktualistischen  Spiri- 
tualismus und  Panentheismus  erkennen  lassen.    In  den  „Grund- 


Nekrologe  «3 

Zügen  der  Logik"  (1893)  findet  sich  auch  ein  näherer  Hinweis 
auf  die  Aufgaben,  die  er  der  Metaphysik  gestellt  sah.  Es  muß 
hiernach  „dem  menschlichen  Geiste  unverwehrt  bleiben",  über 
die  Grenzen  der  einzelwissenschaftlichen  Erkenntnis  hinaus  „ein 
Reich  des  Möglichen  oder  Denkbaren  sich  aufzurichten,  das 
seinem  Bedürfnis  nach  Einheit  und  Vollständigkeit  des  Welt- 
bildes genügen  kann."  „Es  ist  aber  auch  diese  Weltbetrach- 
tung von  der  Erfahrung  und  der  auf  ihr  beruhenden  Erkenntnis 
nicht  unabhängig",  sie  schöpft  vielmehr  ihren  Denkinhalt  daraus. 
Sichtung  der  Denkmöglichkeiten  ist  die  oberste  Pflicht  aller 
Metaphysik.  Die  eindringende  Analyse  der  Begriffe  ist  dafür 
erstes  Erfordernis. 

In  der  grundlegenden  Abhandlung  über  „Inhalt  und  Gegen- 
stand; Psychologie  und  Logik"  (1905)  wird  die  Metaphysik 
als  „Grundwissenschaft"  bezeichnet  und  mit  der  reinen  Be- 
wußtseinswissenschaft gleichgesetzt.  Diese  ist  „die  Wissenschaft 
vom  Bewußtsein  und  seinen  Gegenständen",  die  „vom  indi- 
viduellen Bewußtsein  und  seinen  Gegenständen"  ausgeht  und 
„zum  reinen  Bewußtsein  und  seinem  Gegenstande  führt;  mit 
einem  historischen  Ausdruck,  die  Kritik  der  reinen  denkenden, 
wertenden  und  wollenden  oder  der  theoretischen  und  der  prak- 
tischen Vernunft."  Sie  gilt  Lipps  auch  als  „Psychologie  der 
unmittelbaren  Erfahrung.  Dieser  erweist  sich  das  reine  Be- 
wußtsein schließlich  als  eines  mit  der  Welt  der  Gegenstände." 
„Wie  die  Grundlage  aller  Wissenschaften,  so  ist  diese  Wissen- 
schaft insbesondere  auch  die  Grundlage  der  empirischen  Psycho- 
logie .  .  .  Und  das  individuelle  Bewußtsein  ist  es,  in  dem 
das  reine  gefunden  wird."  Es  gibt  hiernach  eine  subjektiv 
intuitive  „Wissenschaft  von  den  Tätigkeiten  und  Akten  des 
Ich",  die  der  empirischen  Psychologie  ebenso  gegenübergestellt 
werden  kann,  wie  die  Geometrie  der  Physik. 

Zur  Durchführung  eines  Psychologismus,  der  vor  keiner 
philosophischen  Aufgabe  halt  zu  machen  brauchte,  bedurfte  es 
freilich  einer  besonderen  Psychologie,  eben  derjenigen,  die 
Lipps  selbst  in  seinem  Leitfaden  am  vollständigsten  heraus- 
gearbeitet hat.    Diese  will  nicht  mit  der  Physiologie  Hand  in 


74  Nekrologe 

Hand  arbeiten,  sie  hält  sich  nicht  mit  Einzeluntersuchungen 
über  Sinneswahrnehmung,  Aufmerksamkeit  und  Gedächtnis  auf, 
wie  sie  die  experimentelle  Psychologie  ausführt.  Ihr  Ziel  ist 
vielmehr  das  Verständnis  der  seelischen  Erscheinungen  in  ihrer 
Gesamtheit  und  Eigentümlichkeit  und  die  Einsicht  in  die  Ge- 
setze, die  unser  entwickeltes  Denken,  Fühlen  und  Wollen  be- 
herrschen und  dadurch  einen  normativen  Einfluß  auf  das  Ver- 
halten bei  logischer,  ethischer  und  ästhetischer  Betätigung 
gewinnen.  So  können  Logik,  Ethik  und  Ästhetik  als  Wissen- 
schaften betrachtet  werden,  die  das  Seelenleben  unter  den 
Gesichtspunkt  bestimmter  idealer  Ziele  oder  Aufgaben  stellen 
und  den  Mechanismus  der  Erreichung  dieser  Ziele  ergründen. 
So  wird  die  Logik  zu  einer  Lehre  von  den  Formen  und  Ge- 
setzen des  auf  Erkenntnis  gerichteten  Denkens,  die  Ethik  zu 
einer  Lehre  von  den  Formen  und  Gesetzen  des  auf  Verwirk- 
lichung des  Guten  gerichteten  Wollens,  die  Ästhetik  zu  einer 
Lehre  von  den  Formen  und  Gesetzen  des  auf  das  Schöne  und 
die  Kunst  gerichteten  Verhaltens,  insbesondere  Fühlens.  Darum 
kann  sich  eine  Abhandlung  „Vom  Fühlen,  Denken  und  Wollen" 
(1902,  2.  Aufl.  1907)  als  ein  Abriß  der  Psychologie  darstellen 
und  eine  erkenntnistheoretische  Untersuchung  „Bewußtsein  und 
Gegenstände"  (I.  Bd.  der  Psych ol.  Untersuch.  1.  Heft)  in  Be- 
trachtungen über  den  Zusammenhang  des  Bewußtseinslebens 
münden. 

Dieser  Psychologie  mußte  die  innere  (und  zwar  rück- 
schauende) Beobachtung  als  das  wichtigste  Erkenntnismittel 
gelten.  Aber  auch  das  Experiment  und  die  Messung  psychi- 
scher Vorgänge  werden  anerkannt.  „Ein  Gebiet  wertvollster 
Arbeit  ist,  wie  ich  denke,  damit  erschlossen,  das  die  Psycho- 
logie, soweit  es  geht,  auszudehnen  verpflichtet  sein  wird.  Und 
es  unterliegt  keinem  Zweifel,  daß  weitere  Ausdehnung  möglich 
ist."  Mit  diesen  Worten  aus  den  „Grundtatsachen"  stimmen 
die  des  Leitfadens  über  denselben  Gegenstand  im  wesentlichen 
überein.  Nur  wird  hier  zwischen  einem  eigentlich  psycho- 
logischen oder  inneren  und  einem  äußeren  Experiment  unter- 
schieden.    Jenes  wird    als   ein   besonderer  Vorzug  der  Selbst- 


Nekrologe  75 

beobachtung  anerkannt.  Es  „besteht  im  Hervorrufen  von  Vor- 
stellungen oder  Gedanken,  im  beliebigen  Sichvergegenwärtigen 
von  allerlei  Erlebnissen,  im  inneren  Variieren,  im  Hinzunehmen 
von  Bestandteilen,  andererseits  im  Abstrahieren,"  Über  das 
äußere  Experiment  sind  die  Darlegungen  im  Leitfaden  natur- 
gemäß eingehender  und  spezieller,  als  in  den  Grundtatsachen. 
Hervorzuheben  ist  hier  nur,  „daß  die  experimentelle  Psycho- 
logie überhaupt  ihre  Anwendung  unbedingt  finden  soll,  wo 
sie  dieselbe  der  Natur  der  Sache,  d.  h,  der  gestellten  Frage 
nach  finden  kann."  Der  Zusatz:  „Man  kann  experimentie- 
render Psychologe  sein  nur  in  dem  Maße,  als  man  vorher 
ohne  das  Experiment  zum  Psychologen  geworden  ist,  oder 
in  dem  Maße,  als  man  die  Kunst  der  Selbstbeobachtung  und 
des  Schließens  aus  ihren  Ergebnissen  .  .  .  gelernt  hat"  enthält 
nur  eine  Warnung  vor  mechanischem,  gedankenlosem  Experi- 
mentieren, nicht  aber  eine  Ablehnung  der  experimentellen  Me- 
thode als  solcher.  Die  prinzipielle  Stellung  von  Lipps  ist 
vielmehr  immer  die  gleiche  einer  rückhaltlosen  Anerkennung 
gewesen.  Um  so  mehr  ist  es  zu  bedauern,  daß  er  dort,  wo 
das  äußere  Experiment  mit  seiner  exakten  Variation  der  Reize 
und  Umstände,  mit  seiner  Mannigfaltigkeit  von  geschulten 
Versuchspersonen  und  seinem  unwissentlichen  Verfahren  von 
größtem  Vorteil  gewesen  wäre,  bei  seiner  Untersuchung  der 
geometrisch  -  optischen  Täuschungen  und  der  Durchführung 
seiner  Theorie  der  ästhetischen  Mechanik,  keinen  ausreichenden 
Gebrauch  davon  gemacht  hat. 

Im  Einzelnen  fällt  auf,  daß  in  den  „Grundtatsachen",  wie 
bei  Herbart,  die  Vorstellungen  ganz  in  den  Vordergrund  treten. 
Wille  und  Gefühl  erscheinen  als  Bewußtseinsreflexe,  die  unter 
gewissen  näher  zu  bestimmenden  Umständen  das  nach  seinen 
Gesetzen  ablaufende  Vorstellungsleben  begleiten.  Vorstellungs- 
verhältnisse und  Vorstellungsbeziehungen  bilden  das  Zentrum 
des  ganzen  Buches.  Die  Vorstellungen  werden  als  die  einzigen 
bewegenden  Kräfte  im  seelischen  Leben  bezeichnet.  Daneben 
wird  auf  zahlreiche  Vermögen,  Dispositionen  oder  die  der  Re- 
produktion zu  Grunde  liegenden  Spuren,  wie  bei  Beneke,  hin- 


76  Nekrologe 

gewiesen.  Zu  letzteren  werden  auch  Dispositionen  von  oder 
zu  Beziehungen  gerechnet.  All  das  kann  ebensowenig  wahr- 
genommen werden,  wie  die  seelischen  Tätigkeiten,  aus  denen 
Bewußtseinsinhalte  hervorgehen.  „Ja  nicht  einmal  von  einem 
Subjekt,  dem  wir  den  Hergang  [der  Erzeugung  von  Bewußt- 
seinsinhalten] anheften  und  die  Erzeugung  aufbürden  könnten, 
vermögen  wir  etwas  in  uns  zu  empfinden."  Das  ist  doch 
später  nicht  unwesentlich  anders  geworden.  Lipps  hat  zwar 
auch  jetzt  noch  die  Gefühle  als  Bewußtseinssymptome  des 
Verhältnisses  zAvischen  dem  einzelnen  seelischen  Geschehen 
(Empfinden,  Wahrnehmen,  Vorstellen  u.  dgl.)  und  der  in  der 
Seele  vorhandenen  Bereitschaft,  ein  solches  stattfinden  zu 
lassen,  bestimmt.  Aber  sie  haben  ein  viel  größeres  und  selbst- 
ständigeres Interesse  gefunden  und  werden  als  Ichzuständlich- 
keiten  von  den  auf  ein  Nicht -Ich  bezogenen  Empfindungen 
abgelöst.  Das  Tätigkeitsgefühl  ist  zum  Grundgefühl  geworden. 
Auch  gibt  es  ein  unmittelbar  erlebtes  Ich,  das  in  allen  Be- 
wußtseinserlebnissen miterlebt  wird.  Demnach  ist  auch  das 
Tätigkeitsgefühl  als  die  allgemeinste  Zuständlichkeit  des  Ich 
in  allen  Erlebnissen  gegeben.  In  der  Lehre  von  der  Mehr- 
dimensionalität  der  Gefühle  berührt  sich  Lipps  mit  Wundt. 
Aber  freilich,  von  Lust  und  Unlust  abgesehen,  sind  die  Di- 
mensionen bei  beiden  ganz  verschieden. 

Von  einzelnen  Tatsachen  sind,  außer  der  Raum  Wahrneh- 
mung, dem  Weberschen  Gesetz  und  den  akustischen  Erschei- 
nungen, dem  Einfühlungsprozeß,  der  Hypnose  und  Suggestion, 
sowie  den  Einheiten  und  Relationen  eingehendere  Unter- 
suchungen von  Lipps  gewidmet  worden.  Die  erstgenannten 
haben  in  den  Psychologischen  Studien  (1885,  2.  Aufl.  1905), 
die  Einfühlung  in  zahlreichen  Abhandlungen,  besonders  im 
II.  Bande  der  Psychologischen  Untersuchungen,  die  Einheiten 
und  Relationen  in  der  gleichnamigen  Schrift  vom  Jahre  1902, 
Hypnose  und  Suggestion  in  unseren  Sitzungsberichten  v.  J. 
1897  eine  gesonderte  Behandlung  erfahren. 

Die  Logik  untersucht  das  Denken  unter  dem  Gesichts- 
punkt der  Erkenntnis,   d.  h.   einer  objektiv  notwendigen  Ord- 


Nekrologe  •  ' 

nung  von  Objekten  des  Bewußtseins.  Das  Denken  ist  liier 
somit  objektiv  bedingtes  Vorstellen,  d.  b,  ein  solches,  das  sich 
nur  durch  die  in  den  Objekten  selbst  liegende  Nötigung  (oder 
Forderung)  leiten  läßt.  Das  Objektive  ist  das  Kennzeichen 
alles  Logischen  im  Gegensatz  zu  dem  lediglich  Psychologischen. 
Die  objektive  Notwendigkeit  des  Vorstellens  aber  hat  einen 
verschiedenen  Sinn,  je  nachdem  es  sich  um  formale  oder  ma- 
teriale  Erkenntnis  handelt.  Dort  ist  sie  „Notwendigkeit  des 
Vorstellens  im  Sinne  der  Unmöglichkeit,  das  Vorgestellte  über- 
haupt durch  ein  anderes  zu  ersetzen,  hier  Notwendigkeit  des 
Vorstellens  im  Sinne  der  Unmöglichkeit,  es  durch  ein  anderes 
zu  ersetzen,  wenn  nicht  zugleich  das  Bewußtsein  der  objektiven 
Wirklichkeit  des  Vorgestellten  in  sein  Gegenteil  umschlagen 
soll."  Für  diesen  Unterschied  wird  ausdrücklich  auf  Humes 
wesentlich  übereinstimmenden  Gegensatz  zwischen  der  Erkennt- 
nis der  Beziehungen  zwischen  Vorstellungen  und  der  Erkennt- 
nis der  Beziehungen  zwischen  Tatsachen  verwiesen.  Dagegen 
deckt  er  sich  nicht  mit  dem  Gegensatz  des  a  priori  und  des 
a  posteriori.  Es  gibt  vielmehr  nach  Lipps  auch  materiale 
Urteile  a  priori. 

Die  ästhetische  und  die  ethische  Betrachtung  führen 
auf  den  gleichen  Gegenstand,  das  höchste  Gute.  Aber  jene 
ist  rein  kontemplativ,  indem  sie  von  der  objektiven  Wirklich- 
keit ihrer  Gegenstände  absieht.  Die  ethische  dagegen  ist 
praktischer  Natur,  indem  sie  sich  auf  die  Wirklichkeit  und 
die  Realisierung  der  Zwecke  im  Zusammenhang  der  Wirklich- 
keit bezieht.  Beide  verhalten  sich  einigermaßen  wie  formale 
und  materiale  Erkenntnis.  Objektiv  gültig  sind  ethische  und 
ästhetische  Urteile,  wenn  sie  gegenüber  allem  dem,  was  auf 
Gemüt  und  Willen  zu  wirken  vermag,  standhalten,  also  nichts 
uns  nötigen  kann,  das  vollzogene  Urteil  wieder  zu  verurteilen. 
Dabei  besteht  die  gleiche  Gesetzmäßigkeit,  wie  bei  den  Er- 
kenntnisurteilen. Wir  haben  das  Bewußtsein  der  Nötigung, 
was  wir  wollen,  allgemein  zu  wollen  und  das  Wollen,  das 
wir  nicht  verallgemeinern,  zu  verurteilen.  In  den  populär 
gehaltenen    „Ethischen    Grundfragen"    (1899,    3.  Aufl.    1912) 


78  Nekrologe 

wird  das  die  Treue  gegen  sich  selbst  genannt.  Die  „Forderung 
der  allumfassenden  Gesetzmäßigkeit  des  Wollens  kann  als  das 
oberste  Sittengesetz  bezeichnet  werden,"  Hier  tritt  eine  große 
Verwandtschaft  mit  Kants  Ethik  zu  Tage,  von  der  Lipps  sagt, 
sie  sei  in  ihren  Grundgedanken  wahr,  weil  sie  auf  tiefster 
psychologischer  Einsicht  beruhe.  Eine  neue  Wendung  voll- 
zieht sich  in  den  späteren  Darstellungen  insofern,  als  von 
den  Gegenständen  gesagt  wird,  daß  sie  fordern,  in  dieser  oder 
jener  Weise  erkannt  und  gewertet  zu  werden,  und  als  das 
Ich,  das  diesen  Forderungen  nachkommt,  als  das  ideale  dem 
empirischen  Ich  gegenübergestellt  wird.  Das  objektiv  gefor- 
derte Wollen  oder  das  Sollen  ist  das  Wollen,  in  dem  der  ob- 
jektive Wert  das  Bestimmende  ist.  Endgültiger  objektiver 
Wert  aber  ist  der  Wert  für  das  ideale  Ich.  Der  absolute 
Wertmaßstab  und  der  einzig  unbedingte  Wert  ist  der  Wert 
des  idealen  Ich  oder  der  Wert  des  ganzen  Menschen.  Mit 
Kants  gutem  Willen  ist  nichts  Anderes  gemeint,  als  das  ideale 
Ich  oder  der  Mensch.  In  der  ästhetischen  Wertung  ist  es  nur 
ein  Teil  dieses  Ich,  das  im  Spiegelbild  sich  und  sein  sich 
Auswirken  wertet. 

Unter  den  sog.  Norm  Wissenschaften  ist  die  Ästhetik  von 
Lipps  ^m  meisten  gepflegt  und  am  vollständigsten  bearbeitet 
worden.  Nachdem  bereits  1891  „der  Streit  über  die  Tragödie" 
und  „Ästhetische  Faktoren  der  Raumanschauung"  eine  speziel- 
lere Wendung  zu  ästhetischen  Problemen  angekündigt  hatten, 
sind  1898  „Komik  und  Humor"  und  die  schon  erwähnte  Raum- 
ästhetik gefolgt.  Im  letztgenannten  Buch  wird  ästhetische 
Freude  als  beglückendes  Sjmpathiegefühl  bezeichnet  und  damit 
auf  die  sympathische  Einfühlung  zurückgeführt.  Die  sodann 
in  zwei  stattlichen  Bänden  erschienene  große  „Ästhetik"  (1903, 
1906),  die  leider  ein  Torso  geblieben  ist,  brachte  die  auf  diesem 
Gebiet  zur  Reife  gediehenen  Forschungen  zu  einer  abschließen- 
den Darstellung.  Sie  ist  gewiß  nicht  ein  in  formaler  Hinsicht 
vollkommenes  System,  aber  die  sachlich  genommen  einheit- 
lichste Ästhetik,  die  wir  haben.  Ein  großer  Zug  in  sich  zu- 
sammenhängenden Denkens   beherrscht  sie.     In   ihrem  Mittel- 


Nekrologe  •" 

punkt  steht,  obwohl  auch  Formprinzipien  auf  der  Basis  der 
Einheit  in  der  Mannigfaltigkeit  aufgestellt  werden,  die  Theorie 
der  Einfühlung,  desjenigen  Prozesses,  von  dem  Lipps  allen 
ästhetischen  Wert  und  Unwert  in  Natur  und  Kunst  abhängig 
machte.  Es  kann  zweifelhaft  sein,  ob  diesem  Vorgang  die 
schlechthin  grundlegende  Bedeutung  zukommt,  die  Lipps  ihm 
für  das  ästhetische  Verhalten  zuschreibt.  Aber  nirgends  ist 
er  eindringender  und  umfassender  behandelt  worden,  als  in 
seiner  Ästhetik  und  den  ihr  vorausgegangenen  und  nachge- 
folgten Einzeluntersuchunffen.  Weit  über  das  ästhetische  Ge- 
biet  hinaas  galt  er  ihm  als  das  wichtigste  Mittel  zur  Erkenntnis 
des  Seelenlebens  fremder  Iche,  als  eine  der  Korrektur  be- 
dürftige und  fähige  „Selbstobjektivation"  auf  Grund  von  ent- 
sprechenden Wahrnehmungen.  Auch  als  eine  Grundlage  für 
die  Möglichkeit  sozialer  Beziehungen,  Berechtigungen  und 
Verpflichtungen  wird  die  Einfühlung  von  Lipps  gewürdigt. 

Gewiß  ist  Lipps  durch  Anregungen,  die  er  empfing,  be- 
fruchtet worden.  Hume,  Kant  und  Herbart  haben  aus  älterer, 
Lotze,  Helmholtz,  Wundt  und  Husserl  aus  neuester  Zeit  einen 
größeren  Einfluß  auf  ihn  geübt.  Aber  er  war  eine  zu  selb- 
ständige Natur,  um  bloß  aufzunehmen  oder  sich  anzuschließen. 
Die  vereinheitlichende  Kraft  seines  Denkens  bewährte  sich  nicht 
nur  in  der  einfügenden  und  gestaltenden  Apperzeption  der 
Gedankengänge,  denen  sein  Geist  entgegenkam,  sondern  auch 
in  der  schärferen  oder  milderen  Ablehnung  derjenigen,  die  ihm 
unrichtig  oder  widersprechend  erschienen.  Er  war  einer  der 
hervorragendsten  Kritiker  unter  den  Philosophen  unserer  Zeit. 
Das  zeigt  sich  sowohl  in  den  zahlreichen  polemischen  Partien 
seiner  Schriften,  als  auch  in  seinen  Literaturberichten  und 
Einzelbesprechungen.  Die  Antithese  gehörte  zur  Entwicklung 
seiner  Ideen  fast  ebenso  sehr  wie  die  These.  Aber  auch  er 
selbst  hielt  sich  stets  für  neue  Wendungen  offen  und  konnte 
es  ertragen  und  begrüßen,  wenn  ernstlicher  Gegensatz  auch 
im  Kreise  seiner  Schüler  laut  wurde.  So  hat  er  keine,  auf 
bestimmte  seiner  Lehrmeinungen  eingeschworene  Schule  be- 
gründet  und    doch    die  Art  seines   klaren    und    eindringenden. 


80  Nekrologe 

durch  die  Forderungen  der  Gegenstände  bestimmten  Denkens 
für  Viele  fruchtbar  zu  machen  gewußt.  Er  hat  mehr  durch 
die  Methode  seines  Forschens  und  durch  das  Vorbild  einer 
rastlos  fortschreitenden  und  tätigen,  vornehmen  und  an  sich 
selbst  die  höchsten  Ansprüche  stellenden  Persönlichkeit,  weniger 
durch  den  ihm  eigentümlichen  Gesichtspunkt  der  Betrachtung 
oder  durch  Einzelergebnisse  seiner  Arbeit  schulebildend  gewirkt. 

0.  Külpe. 

Am  18.  April  1914  starb  zu  Steglitz  bei  Berlin  das  kor- 
respondierende Mitglied  Professor  Dr.  Karl  Zeumer.  Es  sind 
vornehmlich  drei  große  Leistungen,  die  ihm  einen  ausgezeich- 
neten Platz  unter  den  Philologen  wie  unter  den  Rechtshisto- 
rikern sichern,  seine  kritischen  Ausgaben  der  Formelsamm- 
lungen im  fränkischen  Reich  (1882,  1886),  der  Lex  Curiensis 
(1889)  und  der  Leges  Wisigothorum  (1902),  alle  drei  in  den 
Momenta  Germaniae  erschienen.  Jede  von  ihnen  bietet  den 
Text  zum  ersten  Mal  auf  Grundlage  des  gesamten  handschrift- 
lichen Materials.  Stücke,  die  früher  ganz  oder  doch  zu  einem 
beträchtlichen  Teil  unbekannt  waren,  sind  hier  dem  Forscher 
zugänglich  gemacht.  Gelehrte  Einleitungen,  kritische  und 
sachlich  erläuternde  Anmerkungen,  eingehende  Register  er- 
leichtern das  Benützen  der  Texte,  soweit  dies  nur  im  Beruf 
eines  Herausgebers  liegen  kann.  Scharfsinn  und  Fleiß,  beide 
auf  Schritt  und  Tritt  unübertrefflich,  haben  so  drei  große  Auf- 
gaben —  man  wird  wohl  sagen  dürfen,  für  immer  —  bewältigt. 
Kleinere,  doch  darum  nicht  weniger  beachtenswerte  Arbeiten 
gingen  nebenher.  Hier  kann  von  ihnen  nicht  weiter  gesprochen 
werden,  ebensowenig  von  den  andern,  mit  denen  sich  Zeumer 
nach  Beendigung  jener  großen  Editionen  auf  die  Reinigung  und 
geschichtliche  Erläuterung  deutscher  Rechtsdenkmäler  des  Mittel- 
alters geworfen  hat.  Aber  nicht  unterlassen  darf  die  philo- 
logische Klasse,  seine  literargeschichtlichen  Verdienste  aus- 
drücklich hervorzuheben.  Der  ersten  Periode  seines  Schaffens 
verdanken  wir  eine  sehr  wesentliche  Vervollständigung  unserer 
Kenntnis  der  Werke  Notkers  des  Stammlers,  der  zweiten  den 


Nekrologe  8 1 

Nachweis  der  ümrilälinien  des  literarischen  Bildes  Eykes  von 
Repkow,  des  ersten  großen  Prosaschriftstellers  in  deutscher 
Sprache. 

Zeumer  war  in  zwei  Dritteln  seines  Studienganges,  näm- 
lich als  Jurist  und  Philolog,  Autodidakt.  Nur  geschichtliche 
Studien  hatte  er  hinter  sich,  als  er  im  Jahre  1878  Hilfs- 
arbeiter bei  den  Momenta  Germaniae  wurde.  Aber  seinen 
Doktor  jur.  h.  c,  der  ihm  1886,  und  die  juristische  Professur 
in  Berlin,  die  ihm  1890  verliehen  wurde,  hat  er  reichlich 
verdient.  Die  Zähigkeit  des  Willens,  die  ihm  diese  Erfolge 
verschafft  hat,  bewährte  er  überhaupt  sein  ganzes  Leben  hin- 
durch. Krankheit  und  widrige  äußere  Verhältnisse  hielten 
seine  Ausbildung  in  der  Jugend  auf.  Frühzeitig  büßte  er  ein 
Auge  ein.  Das  andere  erblindete  bei  seinen  Editionsarbeiten. 
Aber  Jahr  für  Jahr  hat  er  dann  noch  Abhandlungen,  ja  sogar 
neue  Editionen  diktiert.  Es  wäre  ihm  nicht  möglich  gewesen 
ohne  die  treue  Hilfe  seiner  Frau,  doch  auch  nicht  ohne  die 
Energie  seines  Geistes.  von  Amira. 

Am  27.  Mai  1914  starb  zu  Paris  das  korrespondierende 
Mitglied  Konstantinos  Sathas.  Geboren  im  Jahre  1842  zu  Gala- 
xidi  in  Lokris  wandte  er  sich  schon  in  jungen  Jahren  der 
Erforschung  der  Geschichte  und  der  Literatur  Griechenlands 
im  Mittelalter  und  in  der  neueren  Zeit  zu.  Außer  zahlreichen 
Einzeluntersuchungen  verdanken  wir  ihm  eine  Geschichte 
Griechenlands  unter  der  Türkenherrschaft  (Athen  1869)  und 
eine  Geschichte  des  Patriarchats  von  Konstantinopel  im  16. 
Jahrhundert  (Athen  1870),  in  andern  Werken  legte  er  die 
Entwickelung  der  neugriechischen  Literatur  dar.  Er  versuchte 
auch  zum  ersten  Mal  die  Geschichte  des  griechischen  Theaters 
im  Mittelalter  zu  schreiben  und  erwarb  sich  dauernde  Ver- 
dienste durch  seine  zahlreichen  Ausgaben  mittelalterlicher  grie- 
chischer Texte  und  Urkunden.  Heisenberg. 

Am  30.  Juni  1914  starb  das  korrespondierende  Mitglied 
Georges  Perrot,  ständiger  Sekretär  der  Academie  des  inscriptions 
et  helles -lettres  zu  Paris.     Schon  frühzeitig  zur  Leitung  der 

Jahrbuch  1916.  6 


82  Nekrologe 

französischen  Schule  in  Athen  berufen,  dann  vor  allem  durch 
eine  in  vielfachen  Beziehungen  erfolgreiche  Forschungsreise 
nach  Bithynien  und  Galatien  bekannt  geworden,  gewann  er 
in  seinen  Stellungen  an  den  wichtigsten  wissenschaftlichen 
Anstalten  Frankreichs  bedeutenden  Einfluß  auf  die  Ausgestal- 
tung der  archäologischen  Forschung.  Die  von  ihm  in  Gemein- 
schaft mit  dem  Architekten  Gh.  Chipiez  unternommene,  auf 
breitester  Grundlage  aufgebaute  Kunstgeschichte  des  Altertums 
zeigt  eine  bewundernswürdige  umfassende  Verwertung  aller 
bisher  gewonnenen  Ergebnisse  der  Forschung;  obwohl  schon 
bis  zum  achten  starken  Bande  vorgeschritten,  war  das  monu- 
mentale Werk  leider  noch  weit  von  seinem  Abschluß  entfernt, 
als  sein  unermüdlicher  Verfasser  die  Feder  für  immer  nieder- 
legte. Wolters. 

Am  19.  Juli  1914  starb  zu  Berlin  im  dreiundachtzigsten 
Jahre  das  auswärtige  Mitglied  Professor  Dr.  Alexander  Conze, 
kurz  nach  der  Rückkehr  von  einer  letzten,  dem  Abschluß  seiner 
großen  Sammlung  attischer  Grabmäler  gewidmeten  Studienreise 
nach  Athen,  in  ungebrochener  Kraft  schlicht  und  stark  tätig, 
fast  bis  zum  letzten  Augenblick.  Als  akademischer  Lehrer 
und  als  Organisator  der  wissenschaftlichen  Arbeit,  sowohl  am 
Berliner  Museum  als  am  Kaiserlichen  Archäologischen  Institut, 
hat  er  der  Forschung  in  maßgebender  Weise  die  Wege  ge- 
wiesen und  geebnet  und  einer  Auffassung  zum  Siege  verholfen, 
welche  alles,  was  die  menschliche  Hand  in  feste  sichtbare  Form 
gebracht  hat,  in  seiner  geschichtlichen  Bedingtheit  und  Be- 
deutung zu  verstehen  sucht,  von  der  befestigten  Burganlage 
bis  zur  Inschriftstele  und  vom  primitiven  Tongefäß  bis  zum 
Tempelbau  und  zum  Götterbild.  Die  umfassende  Sammlung 
ganzer  Reihen  gleichartiger  Denkmäler  oder  aller  Denkmäler 
eines  Gebietes  und  die  bis  in  alle  Einzelheiten  vordringende 
und  das  Ganze  wieder  aufbauende  Erforschung  ganzer  Städte 
wie  Pergamon  oder  ganzer  Heiligtümer  wie  Saraothrake  sind 
ebenso  bezeichnend  für  diese  weitausgreifende  Anschauung  von 
den  Aufgaben  der  Archäologie,  wie  die  planmäßige  Organisation 


Nekrologe  83 

der  Ausgrabungstätigkeit  auf  heimischem  Boden.  In  einem 
langen  arbeitsreichen  Leben  hat  Conze  diese  Anschauung  wirk- 
sam vertreten,  stets  mit  einer  ihm  selbstverständlichen  Unter- 
ordnung der  Person  unter  die  Sache,  die  er  von  allen  erwartete, 
vor  allem  aber  von  sich  selbst,  und  mit  einer  gütigen  Hilfs- 
bereitschaft, die  ihm  seine  Genossen  dankbar  erwiderten. 

Wolters, 

Am  15.  Dezember  1914  starb  zu  Würzburg  das  korre- 
spondierende Mitglied  Professor  Dr.  Martin  von  Schanz.  Zahl- 
reiche Untersuchungen  zur  historischen  Grammatik  der  grie- 
chischen Sprache  wurden  von  ihm  angeregt.  Mit  besonderer 
Vorliebe  wandte  er  sich  dem  Studium  der  Werke  Piatons  zu, 
von  denen  er  mehrere  kritische  und  erklärende  Ausgaben  vor- 
legte. Die  Früchte  weit  ausgreifender  Studien  enthält  seine 
groß  angelegte  Geschichte  der  römischen  Literatur  von  den 
ältesten  Zeiten  bis  zum  Beginn  des  Mittelalters,  die  er  leider 
nicht  mehr  ganz  vollenden  konnte.  Heisenberg. 


Mathematisch  -  physikalische  Klasse. 

Am  2.  November  1914  ist  Heinrich  Burkhardt,  ordentlicher 
Professor  der  Mathematik  an  der  Technischen  Hochschule  zu 
München  und  ordentliches  Mitglied  der  mathematisch -physi- 
kalischen Klasse  unserer  Akademie  einem  schweren  Leiden, 
gegen  das  die  Kunst  der  Arzte  vergeblich  ankämpfte,  das  die 
treue  Sorge  der  Gattin  nur  zu  lindern  vermochte,  erlegen. 

Wir  betrauern  in  dem  allzufrüh  Dahingegangenen  einen 
hochbegabten,  erfolgreichen,  unermüdlich  tätigen  Gelehrten 
von  umfassendem  Wissen  und  reicher  Bildung  und  beklagen, 
daß  sein  Tod  den  Abschluß  größerer  weitangelegter  litera- 
rischer Arbeiten,  an  denen  er  in  den  letzten  Jahren  seines 
Lebens  mit  zäher  Ausdauer  tätig  war,  abgebrochen  hat. 

Heinrich  Burkhardt  wurde  am  15.  Oktober  1861  zu 
Schweinfurt  als  Sohn  des  dortigen  Bezirksgerichtsassessors 
Burkhardt  geboren.    Schon  in  früher  Jugend  (1867)  verlor  er 


84  Nekrologe 

den  Vater.  Die  Mutter,  eine  Tochter  des  Ansbacher  Hof- 
apothekers Heyde  zog  in  ihre  Vaterstadt  zurück  und  widmete 
sich  hier  ganz  der  Erziehung  ihrer  Kinder,  ihres  Sohnes  und 
seiner  jüngeren  Schwester,  Schon  früh  trieb  den  stillen,  in 
sich  gekehrten  Knaben  der  Eifer  zu  lesen  und  zu  lernen  zu 
den  Büchern,  aus  deren  Inhalt  er  dann  wieder  die  Schwester 
belehrte.  Von  den  Spielen  seiner  Altersgenossen  blieb  er  fern. 
Auf  dem  Ansbacher  Gymnasium  war  er  ein  musterhafter  Schüler, 
der  sich  allen  Lehrgebieten  mit  gleichem  Fleiße  und  mit  größter 
Gewissenhaftigkeit  widmete.  Doch  trat  schon  dort  seine  be- 
sondere Neigung  zur  Mathematik  hervor,  für  deren  Studium 
er  in  Siegmund  Günther  einen  verständnisvollen  Lehrer  fand. 
Gleichwohl  begann  er  —  nach  ausgezeichnet  bestandenem  Exa- 
men ins  Maximilianeum  in  München  aufgenommen  —  mit  dem 
Studium  der  Jurisprudenz,  dem  Wunsche  seiner  Verwandten 
folgend.  Aber  bald  gab  Neigung  und  Begabung  den  Aus- 
schlag und  er  widmete  sich  an  Universität  und  Technischer 
Hochschule  ganz  der  Mathematik.  Die  letzten  Semester  ver- 
brachte er  in  Berlin  und  Göttingen,  wo  er  sich  unter  Weier- 
strass  und  Schwarz  weiterbildete.  Nach  Ablegung  der  Lehr- 
amtsprüfung (1884)  trat  er  in  den  Jahren  1884  —  87  als  Assi- 
stent für  Mathematik  an  der  Technischen  Hochschule  in  Mün- 
chen in  das  Lehramt  ein. 

Hier  entstand,  unter  A.  Voss'  Leitung  Burkhardts  erste 
wissenschaftliche  Arbeit,  mit  der  er  1887  promovierte,  eine 
Untersuchung  der  „Beziehungen  zwischen  der  Invari- 
antentheorie binärer  Formen  und  der  Theorie  alge- 
braischer Integrale  und  ihrer  Umkehrungen". 

Ausgehend  von  der  Darstellung  der  Covarianten  der  bi-  _ 
quadratischen  Form  als  (Weierstrassscher)  elliptischer  Funk-  ^| 
tionen  werden  auch  die  Covarianten  binärer  Formen  w***"  Ord- 
nung durch  die  Coefficienten  gewisser  Reihenentwicklungen 
der  oberen  Grenze  von  Integralen  ausgedrückt,  die  aus  dem 
Abbildungsproblem  geradliniger  Polygone  auf  den  Kreis  be- 
kannt sind. 

Andererseits   beschäftigten    ihn    hier,    auf  Dycks  Veran- 


Nekrologe  85 

lassung,  algebraische  Studien  und  im  besonderen  die  Frage,  in 
wie  weit  die  Ruffinischen  Untersuchungen  zur  Gruppen- 
theorie dem  systematischen  Ausbau  bei  Cauchy  vorgearbeitet 
haben.  Indem  Burkhardt  hier  die  vorausgehenden  Arbeiten 
von  Waring,  Lagrange  und  Vandermonde  mit  einbezieht  und 
dann  die  Ruffinischen  eingehend  analysiert,  die  in  der  Tat 
viel  weiter  reichen,  als  man  bisher,  von  der  umständlichen 
Darstellung  abgeschreckt,  herausgelesen  hatte,  zeigt  sich  zum 
ersten  Male  sein  Sinn  für  historische  Studien,  zu  denen  er 
wegen  seiner  Gründlichkeit,  seiner  Beharrlichkeit,  sich  auch 
durch  spröden  Stoff  durchzuarbeiten,  wie  seines  kaum  fehl- 
greifenden Gedächtnisses  wegen  in  seltener  Weise  befähigt  war. 
1887  siedelte  Burkhardt  nach  Göttingen  über,  angezogen 
von  Felix  Klein  s  umfassender  wissenschaftlicher  Tätigkeit, 
an  der  er  seine  Schüler  und  jüngeren  Freunde  teilnehmen 
ließ  und  als  Mitarbeiter  heranzog.  Damals  war  Klein  mit  der 
Übertragung  und  Erweiterung  der  Weierstrassschen  a- Funk- 
tion in  Definition  und  Entwicklungen  auf  die  hyperelliptischen 
Gebilde  beschäftigt,  die  er  auch  im  Sommer  1887  und  Winter 
1887/88  zum  Gegenstand  seiner  Vorlesungen  machte.  Da  war 
es  ihm  willkommen,  in  Burkhardt  einen  jungen,  bei  Weier- 
strass  geschulten  Mathematiker  zu  finden,  dem  er  die  exakte 
Ausarbeitung  und  Ergänzung  seines  Gedankenganges,  wie  er 
ihn  selbst  in  den  beiden  Abhandlungen  über  hyperelliptische 
Sigmafunktionen  (Mathematische  Annalen,  Band  27  und  32) 
niedergelegt,  übertragen  konnte.  So  entstanden  zunächst  die 
„Beiträge  zur  Theorie  der  hyperelliptischen  Sigma- 
funktionen" (Math.  Annalen,  Band  32),  in  denen  er  die  von 
Klein  für  die  Behandlung  dieser  Funktionen  aufgestellten  Ge- 
sichtspunkte ins  Einzelne  durchführte  und  sich  dabei  ebensowohl 
zur  Präzision  der  Definition  und  in  den  Beweisen  der  von 
Weierstrass  ausgebauten  Schlußweise  bediente,  als  er  für  die 
anschauungsmäßige  Darlegung  die  Riemannschen  Vorstellungen 
in  Anspruch  nahm.  Unmittelbar  an  Kleins  im  Winter  1887/88 
gehaltene  Vorlesung  knüpfen  die  „Grundzüge  einer  all- 
gemeinen Systematik  der  hyp  er  elliptischen  Funktionen 


86  Nekrologe 

I.  Ordnung"  an  (Math.  Annalen,  Band  35,  1889).  Sie  geben 
eine  Klassifikation  hyperelliptischer  Funktionen  im  engen  An- 
schluß an  die  „ Stufeneinteilung "  der  elliptischen  Funktionen 
mit  Anwendung  auf  die  speziellen  Probleme  der  Teilung  und 
der  Transformation.  Die  Fruchtbarkeit  der  gewonnenen  Metho- 
den darzutun,  hat  dann  Burkhardt  in  den  „Untersuchungen 
aus  dem  Gebiete  der  hyperelliptischen  Modulfunk- 
tion en"  (Math.  Annalen,  Band  36,  37  u.  41,  1889-92)  An- 
wendungen verschiedener  Richtung  gegeben,  die  sich  im  wesent- 
lichen um  das  Problem  der  Multiplikatorgleichung  gruppieren. 
Kleinere  Aufsätze,  auch  über  Fragen  der  mathematischen  Physik, 
die  gelegentlich  in  den  Göttinger  Nachrichten  und  in  den 
Mathematischen  Annalen  in  jener  Zeit  erschienen,  zeugen  von 
dem  vielseitig  angeregten  Verkehr,  der  sich  in  Göttingen  den 
jungen  Mathematikern  darbietet. 

Im  November  1889  hatte  sich  Burkhardt  dort  die  venia 
legendi  erworben  und  von  da  ab  eine  mannigfaltige  Lehrtätig- 
keit ausgeübt,  die  sich  zunächst  auf  grundlegende  Vorlesungen 
(Differential-  und  Integralrechnung,  analytische  und  synthe- 
tische Geometrie),  dann  aber  auch  auf  spezielle  Gebiete  der 
Algebra  (Galoissche  Theorie),  der  Axiomatik,  der  Funktionen- 
theorie und  der  Geschichte  erstreckte. 

Weiterhin  beschäftigten  ihn  vergleichende  Studien  über 
neuere,  von  den  Astronomen  angewandte  Methoden  der  Störungs- 
theorie, die  er  in  einem  Aufsatz  „Über  einige  mathema- 
tische Resultate  neuerer  astronomischer  Untersuchun- 
gen, insbesondere  über  irreguläre  Integrale  linearer 
Differentialgleichungen"  (Math.  Kongreß,  Chicago  1893) 
niederlegte. 

Von  beträchtlichem  Einfluß  für  Burkhardts  Entwicklung 
in  eben  dieser  Richtung  ist  dann  ein  halbjähriger  Aufenthalt, 
Winter  1893/94,  in  Paris  geworden,  wo  er  besonders  den  Vor- 
lesungen von  Poincare,  Tisserand  und  Picard  folgte.  Eine 
kleine  Vorlesung  „Über  die  Konvergenz  der  in  der  Physik 
und  Astronomie  gebräuchlichen  Entwickelungen",  die  er  im 
darauffolgenden  Sommer   abhielt,    zeugt  von   der  gewonnenen 


Nekrologe  87 

Vorliebe  für  dieses  Grenzgebiet,  die  weiter  noch  in  einer  Reihe 
wertvoller  Doktordissertationen  zu  Tage  tritt,  zu  denen  er  in 
Zürich  und  München  die  Anregung  gab. 

In  ganz  besonderem  Maße  aber  wird  Burkhardts  spätere 
Tätigkeit  von  da  ab  beeinflußt  und  bestimmt  von  seiner  Teil- 
nahme an  einem  Unternehmen,  das,  im  Jahre  1905  begonnen, 
weiterhin  eine  große  Zahl  deutscher  Mathematiker  und  eine 
Reihe  von  ausländischen  in  seinen  Bannkreis  zog,  die  Heraus- 
gabe der  Encyklopädie  der  mathematischen  Wissen- 
schaften. Damals  sollte  zunächst  die  Bearbeitung  der  reinen 
Mathematik  in  die  Wege  geleitet  werden  und  mit  Franz  Meyer 
wurde  Burkhardt  von  der  Akademischen  Kommission  zum  Re- 
dakteur des  zweiten,  der  Analysis  gewidmeten  Bandes  aus- 
ersehen, wozu  er  sich,  dank  einer  ungewöhnlichen  Belesenheit, 
Sicherheit,  Gedächtnistreue  und  Gewissenhaftigkeit  in  ganz 
besonderem  Maße  eignete  und  bewährte.  Er  hat  die  Arbeit 
mit  der  Pflichttreue  übernommen,  die  er  für  alle  Aufgaben 
und  Forderungen  hatte,  die  er  als  notwendig  erkannte.  Aber 
ihre  Durchführung  ist  ihm,  gerade  bei  seinen  Anlagen  und 
Eigenschaften  nicht  leicht,  ja  bisweilen  drückend  geworden; 
hat  er  doch  damals  ebensowenig  wie  irgend  ein  anderer  der 
Beteiligten  die  Größe  des  Unternehmens  überschaut  und  die 
Summe  der  Arbeit  ermessen,  die  bewältigt  werden  mußte. 
Burkhardt  besaß  nicht  die  Leichtigkeit,  zunächst  in  groben 
Umrissen  zu  disponieren  und  dann  im  Einzelnen  das  Wich- 
tigste auszubauen,  minder  Wichtiges  bei  Seite  zu  lassen,  son- 
dern er  ist  stets  Schritt  um  Schritt,  sichernd  und  kritisch 
prüfend  vorgegangen.  Seine  Gewissenhaftigkeit  hat  ihn  ge- 
zwungen, nicht  nur  den  Hauptweg  der  historischen  Entwicke- 
lung  zu  verfolgen,  sondern  er  ist  auch  allen  Seitenstraßen 
und  Gäßchen  und  den  Sackgassen  und  Irrwegen  getreulich 
nachgegangen.  So  schreibt  er  in  dem  sogleich  noch  näher 
zu  bezeichnenden  Referat  über  die  „Entwickelungen  nach 
oszillierenden  Funktionen  und  Integration  der 
Differentialgleichungen  der  mathematischen  Phy- 
sik":   „Es  werden  viele  Benutzer  finden,  daß  ich  den  Leuten 


88  Nekrologe 

dritten  und  vierten  Ranges,  wohl  auch  der  absoluten  Torheit 
zuviel  nachgegangen  bin;  ich  möchte  demgegenüber  dreierlei 
zu  bedenken  geben.  Einmal  würde  man  ein  ganz  falsches 
Bild  von  dem  Zustand  der  Mathematik  und  Physik  in  früheren 
Zeiten  erhalten,  wenn  man  nur  die  Auffassung  der  ersten 
Meister  darstellen  wollte;  viele  Erscheinungen  sind  nur  zu 
verstehen,  wenn  man  sich  klar  macht,  wie  lange  es  dauert, 
bis  solche  Auffassungen  in  weiteren  Kreisen  nicht  nur  äußer- 
lich akzeptiert,  sondern  auch  innerlich  aufgenommen  werden. 
Zweitens  ist  gerade  auf  unserem  Gebiete  wohl  zu  beachten, 
daß  manche  mathematische  Untersuchung  eines  physikalischen 
Problems,  die  auf  physikalisch  oder  mathematisch  unzutref- 
fenden Voraussetzungen  beruht  und  also  zunächst  zu  ver- 
werfen sein  würde,  doch  die  Veranlassung  zur  Entwicklung 
von  Methoden  gewesen  ist,  die  dann  für  andere  Probleme  sich 
nützlich  erwiesen  haben.  So  sind  z.  B.  die  Untersuchungen 
von  Legendre  und  Laplace  über  die  Anziehung  der  EUipsoide 
voll  von  Fehlschlüssen,  aber  an  ihnen  hat  sich  die  Lehre  von 
den  Kugelfunktionen  entwickelt.  Und  endlich  mag  doch  viel- 
leicht hie  und  da  jemand  vor  einer  Torheit  bewahrt  werden, 
wenn  er  sieht,  daß  sie  schon  vor  ihm   begangen  worden   ist." 

An  dieser  Stelle,  wie  an  so  mancher  anderen  seiner  Ar- 
beiten, zeigt  sich,  wie  gewissenhaft  Burkhardt  stets  die  Art 
und  Abgrenzung  seiner  Darstellung  durchdacht  hat  und  sie 
läßt  auch  den  feinen  Humor  erkennen,  mit  dem  er  besonders 
im  Vortrag  und  Gespräch  seine  Betrachtungen  zu  beleben  wußte, 
mit  dem  er  sich  auch  über  manche  trübe  und  sorgenvolle  Stunde 
seines  Lebens  hinweggeholfen  hat. 

Die  ersten  Aufsätze,  die  Burkhardt  für  die  Enzyklopädie 
geschrieben,  der  später  in  den  zweiten  Band  eingereihte,  zu- 
sammen mit  Franz  Meyer  verfaßte  Probeartikel  zur  „Potential- 
theorie, Theorie  der  Laplace-Poissonschen  Differen- 
tialgleichung", dann  insbesondere  der  Aufsatz  über  „End- 
liche diskrete  Gruppen"  (im  ersten  Bande)  und  über  „Kon- 
tinuierliche Transformationsgruppen"  (im  zweiten  Bande, 
zusammen  mit  L.  Maurer)  sind  Muster  einer  knappen  präzisen 


Nekrologe  89 

Darstellung,  in  denen  Burkhardt  den  von  der  Redaktion  jeweils 
für  die  einzelnen  Artikel  eng  bemessenen  Umfang  gewissenhaft 
einhielt  und  ausnützte.  Auch  späterhin  hat  er,  trotz  des  über- 
reichen Stoffes,  der  sich  ihm  bei  Behandlung  der  oszillierenden 
Funktionen,  wie  der  trigonometrischen  Reihen  und  Integrale 
darbot,  versucht,  an  dieser  knappen  Form,  die  seiner  Eigenart 
entsprach,  festzuhalten;  dagegen  hat  er  eine  breitere  Darstel- 
lung der  Materie  in  anderem  Rahmen  in  dem  oben  genannten, 
der  Deutschen  Mathematiker -Vereinigung  erstatteten  Bericht 
gewählt. 

Schon  ehe  nämlich  der  Gedanke  der  Herausgabe  einer 
Enzyklopädie  der  mathematischen  Wissenschaften  aufgetreten, 
hatte  die  Deutsche  Mathematikervereinigung  den  Plan  gefaßt, 
ausführliche  wissenschaftliche  Referate  über  zusammenhängende 
Gebiete  der  mathematischen  Forschung  zu  veröffentlichen.  Solche 
Referate  erschienen  jetzt  recht  eigentlich  als  die  Vorarbeit  kor- 
respondierender Darstellungen  in  der  Enzyklopädie.  So  hat 
auch  Burkhardt,  als  er  für  die  Enzyklopädie  die  Artikel  über 
trigonometrische  Reihen  und  verwandte  Entwickelungen  über- 
nahm, zunächst  die  ungemein  ausgebreitete  und  überall  zer- 
streute Literatur  über  den  Gegenstand  in  dem  schon  genannten 
ausführlichen  Bericht  im  10.  Bande  der  Veröffentlichungen  der 
Deutschen  Mathematiker -Vereinigung  zusammengefaßt.  Dabei 
galt  es  dort  insbesondere  auf  die  verschiedenen  astronomischen, 
physikalischen,  geophysikalischen,  physiologischen  und  tech- 
nischen Fragestellungen  einzugehen,  deren  Lösung  mit  Hilfe 
solcher  Reihenentwickelungen  geschieht.  Burkhardt  hat  zum 
ersten  Mal  den  Versuch  gemacht,  „in  dieses  Chaos  wenigstens 
einigen  Überblick  zu  bringen".  Je  weiter  die  Arbeit  vordringt, 
um  so  schwieriger  erscheint  sie  ihm  bei  der  Vielseitigkeit  der 
zu  übersehenden  Gebiete.  Denn  die  ursprüngliche  Absicht, 
wesentlich  nur  auf  die  Integration  der  Differentialgleichungen 
der  mathematischen  Physik,  nicht  aber  auf  die  Grundlagen  für 
ihre  Aufstellung  einzugehen,  ließ  sich  nicht  durchführen.  „Da- 
bei wird  man",  schreibt  er,  , freilich  fragen,  warum  übernimmst 
Du  etwas,   wozu  Du   nicht  vollständig  ausgerüstet  bist?     Ich 


90  Neki'ologe 

kann  nur  antworten,  weil  es  gemacht  werden  mußte  und  es 
sonst  niemand  gemacht  hat".  Diese  Überzeugung  hat  Burk- 
hardt  immer  wieder,  trotz  vielseitigster  neuer  Aufgaben  —  er 
war  inzwischen,  1897,  Ordinarius  an  der  Universität  Zürich 
geworden  —  zu  seiner  Darstellung  zurückgeführt,  die  er  im  Jahre 
1908  abschloß:  Das  Referat  war  zu  einem  großen  zweibändigen 
Werke  geworden.  Die  Unmenge  der  darin  besprochenen  Ar- 
beiten mag  damit  bezeichnet  sein,  daß  es  über  9000  literarische 
Zitate  aufweist.  Burkhardt  war  sich  wohl  bewußt,  daß  mit 
dieser  ungeheueren  Arbeit  nicht  die  volle  Aufgabe  einer  syste- 
matischen Darstellung  der  Gebiete  nach  ihrer  spezifisch  mathe- 
matischen Seite  gelöst  sein  konnte,  aber  er  hat  die  wichtigste 
Vorarbeit  dazu  geleistet,  auf  welche  nun  nach  den  verschie- 
denen Richtungen  der  Theorie  und  Anwendungen  hin  Einzel- 
darstellungen fußen  konnten.  „Daß  der  Enzyklopädieartikel 
von  C.  Müller  über  die  Differentialgleichungen  der  Elastizitäts- 
theorie eine  viel  klarere  Darstellung  geben  konnte,  als  sie  bei 
mir  zunächst  vorliegt,  wird  niemand  Wunder  nehmen,  der  aus 
eigener  Erfahrung  weiß,  welchen  Unterschied  es  bei  solchen 
historischen  Arbeiten  macht,  ob  bereits  Vorarbeiten  vorliegen 
oder  nicht."  Vor  allem  hat  Burkhardt  seine  eigenen  Enzy- 
klopädieartikel über  „Trigonometrische  Interpolation" 
(Mathematische  Behandlung  periodischer  Naturerscheinungen) 
und  über  „Trigonometrische  Reihen  und  Integrale"  an- 
geschlossen. Hier  tritt  im  Gegensatz  zu  jenem  Referat  die 
analytische  Durchführung  der  Fragestellungen  hervor,  dagegen 
die  Beziehung  zu  den  Anwendungen  zurück.  Der  letzte  Auf- 
satz bricht  mit  dem  Jahre  1850  ab,  ohne  einen  eigentlichen 
Abschluß  zu  bieten;  aber  Burkhardt  mochte  fühlen,  daß  er 
seiner  Leistungsfähigkeit  ein  bestimmtes  Ziel  stecken  müsse, 
daß  seine  Kraft,  die  er  immer  erneut,  in  selbstloser  Hingabe 
an  die  Vollendung  gewendet,  zu  Ende  ging.  Er  mußte  wün- 
schen und  hoffen,  daß  jüngere  Schultern  die  Weiterführung 
übernehmen  würden,  wo  dann  gerade  die  Darstellung  der 
neueren  Untersuchungen  dieses  Gebietes  von  besonderem  Inter- 
esse ist.    Noch  eine  andere  wichtige  Sache  ist  die  Herstellung 


Nekrologe  91 

eines  ausführlichen  Sachregisters  für  das  von  der  Mathematiker- 
Vereinigung  herausgegebene  Werk  —  ein  Verzeichnis  der  in 
demselben  besprochenen  Abhandlungen  liegt,  von  Burkhardts 
Gattin  nach  seinen  Anweisungen  angefertigt,  fast  druckfertig 
vor  —  die  erst  die  volle  Bedeutung  der  geleisteten  Arbeit  zur 
Geltung  bringen  wird. 

Mit  der  Übersiedelung  an  die  Züricher  Universität  begann 
eine  fruchtbringende  und  vielseitige  Lehrtätigkeit,  in  der  es 
galt,  bei  einer  kleinen  Zahl  von  Lehrkräften  die  Vorlesungen 
den  Bedürfnissen  der  Studierenden  der  Naturwissenschaften 
anzupassen,  sie  aber  ebenso  für  die  Kandidaten  der  Mathe- 
matik und  Physik  zu  organisieren,  bei  diesen  zudem  den  In- 
teressen der  künftigen  Lehrer  und  den  Zielen  des  gelehrten 
Unterrichtes  in  gleichem  Maße  gerecht  zu  werden.  Wie  Burk- 
hardt  den  Unterricht  für  die  jungen  Chemiker  und  Mineralogen 
zurechtlegte,  ist  aus  seinen  „Vorlesungen  über  die  Ele- 
mente der  Differential-  und  Integralrechnung  und 
ihre  Anwendung  zur  Beschreibung  von  Naturerschei- 
nungen" zu  ersehen.  Durch  Auswahl  und  Anordnung  des 
Stoffes  wird  die  Einführung  des  Grenzwertes  für  die  Ableitung 
der  Differentiationsregeln  verschoben  und  an  seine  Stelle  zu- 
nächst eine  etwas  künstliche  Rechenregel  von  allzugeringer 
Reichweite  gesetzt.  Mochte  der  so  geschaffene  Ausweg  auch 
ihn  selbst  wenig  befriedigen,  so  war  Burkhardt  doch  eine  zu 
empfindsame  Gelehrtennatur,  als  daß  er  sich  zu  einem  anderen 
Kompromiß,  einer  auf  gröbere  Anschauung  berechneten  Eresko- 
malerei,  hätte  verstehen  können.  Später,  als  Burkhardt  an  die 
Technische  Hochschule  in  München  (im  Jahre  1908  als  Nach- 
folger von  Braunmühl)  übergesiedelt  war,  sah  er  sich  auf  eine 
neue  Art  genötigt,  praktischen  Anforderungen,  wie  sie  dort 
der  Techniker  an  die  Ausgestaltung  der  mathematischen  Vor- 
lesungen stellt,  zu  genügen;  da  aber  mit  einem  klar  vorge- 
zeichneten Weg.  War  dort  neben  der  inhaltlichen  auch  die 
zeitliche  Beschränkung  allzugroß,  so  konnten  jetzt  geometrische 
und  mechanische  Anschauungen  ausführlich  und  sorgfältig  zur 
Entwickelung   der  Grundlagen  benützt  werden,   die  Aufgaben 


92  Nekrologe 

der  Näherungsrechnung,  denen  schon  in  jenem  Buche  beson- 
dere Beachtung  geschenkt  war,  einen  breiteren  Raum  bean- 
spruchen. So  hat,  bei  aller  Neigung  für  abstraktere  Denk- 
weise, Burkhardt  doch  der  ihm  an  der  technischen  Hochschule 
gebotene  größere  Rahmen  seiner  Unterrichtstätigkeit  hohe  Be- 
friedigung gewährt. 

Schon  im  Jahre  1896,  noch  in  der  Göttinger  Zeit,  hatte 
Burkhardt  vom  Verlag  von  Veit  die  Aufforderung  erhalten, 
ein  kurzes  „Lehrbuch  der  elliptischen  Funktionen"  zu 
schreiben.  Bei  der  Anlage  desselben,  bei  der  die  Riemannschen 
Vorstellungsweisen  die  Grundlage  für  die  Anordnung  bilden, 
die  neueren  Entwickelungen,  wie  sie  die  Theorie  der  Modul- 
funktionen einerseits,  die  Weierstraßschen  Formulierungen  an- 
dererseits darbieten,  sich  anschließen  sollten,  sah  sich  Burk- 
hardt bald  in  die  Notwendigkeit  versetzt,  die  Grundlagen  für 
diesen  Aufbau  in  einem  besonderen  Werke,  als  eine  „Ein- 
führung in  die  Theorie  der  analytischen  Funktionen 
einer  komplexen  Veränderlichen"  voranzustellen,  das 
1897  erschien.  Und  hier  wieder  ergab  sich,  bei  dem  Anlaß 
einer  Neubearbeitung,  der  Wunsch,  die  aus  der  Theorie  der 
reellen  Veränderlichen  und  ihrer  Funktionen  benötigten  Sätze 
gesondert  in  breiterer  Ausführung  darzulegen.  So  entstand 
dann  (1907)  Burkhardts  „Algebraische  Analysis",  die  ge- 
rade jene  Lücke  ausfüllt,  die  zwischen  den  in  der  Mittelschule 
zum  Teil  ohne  feste  Grundlage,  mehr  durch  das  mechanische 
Ausführen  von  Rechenregeln  erworbenen  Kenntnissen  und 
jenem  konsequenten  System  der  Arithmetik  und  Algebra  be- 
steht, wie  es  die  heutige  Funktionentheorie  zum  Ausgangs- 
punkt nehmen  muß.  In  den  einleitenden  Worten  zu  diesen  drei 
Teilen  seiner  „Funktionentheoretischen  Vorlesungen* 
hat  Burkhardt  seine  Anschauungen  über  eine  zweckmässige 
Einführung  in  die  moderne  Analysis  dargelegt.  „Die  Rie- 
mannschen geometrischen  Vorstellungsweisen  sind  durchweg 
in  den  Vordergrund  gestellt;  dabei  wird  aber  versucht,  unter 
angemessener-  Einschränkung  der  Voraussetzungen  diejenige 
Schärfe   der  Beweisführung  zu  erreichen,    die    niemand   mehr 


Nekrologe  ^^ 

entbehren  kann,  dem  einmal  in  der  Schule  von  Weierstrass 
die  Augen  geöffnet  sind."  Niemand  aber  war  geeigneter  als 
Burkhardt,  gerade  ein  solches  Programm  durchzuführen  und 
so  sind  diese  Vorlesungen  ein  fundamentales  Lehrbuch  ge- 
worden, das  in  seiner  knappen,  feindurchdachten,  präzisen 
Darstellung,  in  seiner  Anschaulichkeit,  in  seiner  sicheren,  aber 
reiche  Ausblicke  gewährenden  Begrenzung  allseitige  Anerken- 
nung und  weiteste  Verbreitung  gefunden  hat. 

So  anregend  und  vielseitig,  namentlich  auch  durch  die 
Beziehung  zwischen  Universität  und  Polytechnikum,  sich  die 
Tätigkeit  in  Zürich  gestaltet  hatte  —  auch  die  Gründung 
eines  eigenen  Heims  mit  der  Tochter  des  Historikers  Bü- 
dinger  fällt  in  diese  Periode  —  Burkhardt  ist  doch  gern  an 
die  Münchener  Hochschule  übergesiedelt,  an  die  Stätte  seiner 
ersten  Studien  und  in  den  Kreis  alter  Freunde  und  Studien- 
genossen. 

Hier  aber  hat  ihm  die  kargende  Gunst  des  Schicksals 
nur  noch  eine  kurze  Frist  arbeitsfroher  Jahre  gewährt.  Da 
hat  er  an  den  Interessen  der  Hochschule,  an  ihren  orga- 
nisatorischen Fragen  regen  Anteil  genommen,  den  wissen- 
schaftlichen Arbeiten  seiner  Schüler  die  beste  Fürsorge  zuge- 
wendet, hat  auch  außerhalb  seines  eigensten  Gedankenkreises 
technische  Fragen,  wie  sie  sich  im  Umgang  mit  den  Kollegen 
darboten,  in  der  ihm  eigenen  Vielseitigkeit  und  Klarheit  durch- 
geführt, seiner  Hauptarbeit  an  der  Encyklopädie  noch  manche 
feinsinnige  Abhandlung  verwandten  Inhalts  zugefügt,  der  An- 
erkennung, die  ihm  (1909)  durch  Aufnahme  in  die  Akademie 
der  Wissenschaften  zu  Teil  wurde,  sich  aufrichtig  gefreut. 
Dann  aber  hat  der  schwankende  Gesundheitszustand  der  Gattin, 
eigene  Beschwerden,  der  Zwang  umfangreicherer  Verpflich- 
tungen, wie  sie  der  Betrieb  der  größeren  Hochschule  mit  ihren 
mannigfachen  Prüfungen  mit  sich  brachte,  nicht  zuletzt  die 
immer  drückender  empfundenen  Arbeiten  an  der  Encyklopädie 
den  rechten  Arbeitsmut  und  die  ursprüngliche  Schaffenskraft 
nicht  mehr  recht  aufkommen  lassen.  Ganz  allmählich  machten 
sich  die  Anzeichen  eines  schweren  inneren  Leidens  bemerkbar. 


94  Nekrologe 

bei  dessen  Fortschreiten  er  wohl  empfand,  daß  er  entsagen 
müsse  und  daß  die  geistige  Spannkraft,  die  er  bis  zuletzt  be- 
wahrte, dem  ungleichen  Kampfe  unterliegen  werde.  Sein 
Pflichtbewußtsein,  die  Sorge  um  die  Gattin,  Anteil  für  die 
Freunde,  die  Kollegen  und  Schüler,  der  Gedanke  an  die  über- 
nommenen wissenschaftlichen  Arbeiten  hielten  ihn  noch  auf- 
recht. Er  hat  seine  Pflichten  erfüllt  bis  ans  Ende  mit  der 
Einfachheit,  Wahrhaftigkeit  und  Treue,  die  sein  ganzes  Wesen 
bezeichnet  hat. 

Have  pia  anima. 

Have  anima  Candida. 

V.  Dyck. 

Verzeichnis  der  Veröffentlichungen 
von  Heinrich  Burkhardt.  f  i) 

1.  Inaugural-Dissertation :  Beziehungen  zwischen  der  Invariantentheorie 
und  der  Theorie  algebraischer  Integrale  und  ihrer  Urakehrungen. 
München  1886.    (26  S.) 

Veröffentlichungen  in  verschiedenen  Zeitschriften: 

2.  Beiträge  zur  Theorie  der  hyperelliptischen  Sigmafunktionen.  Math. 
Ann.  32  (1888),  381-442. 

3.  Grundzüge  einer  allgemeinen  Systematik  der  hyperelliptischen  Funk- 
tionen 1.  Ordnung.  Nach  Vorlesungen  von  F.  Klein.  Math.  Ann.  35 
(1889),  189—296. 

4.  Über  eine  elliptische  Multiplikatorgleichung.  Göttinger  Nachrichten 
(1889),  553-  557. 

5.  Zur  Theorie  der  Jacobischen  Gleichungen  40.  Grades,  welche  bei  der 
Transformation  3.  Ordnung  der  Thetafunktionen  von  zwei  Veränder- 
lichen auftreten.     Göttinger  Nachrichten  (1890),  376-382. 

6.  Untersuchungen  aus  dem  Gebiet  der  hyperelliptischen  Modulfunk- 
tionen.    Erster  Teil.     Math.  Ann.  36  (1890),  371-434. 

7.  Untersuchungen  aus  dem  Gebiet  der  hyperelliptischen  Modulfunk- 
tionen.    Zweiter  Teil.     Math.  Ann.  38  (1891),  171-224. 

8.  Die  Anfänge  der  Gruppentheorie  und  Paolo  Ruffini.  Zeitschr.  f.  Math, 
und  Phys.  37  (1892),  Supplement,  119-159; 

auch  italienisch: 
Paolo  Ruffini  e  i  primordii  della  teoria  dei  gruppi.    Annali  di  Mat.  (2) 
22  (1894),  175-212. 


^)  Nach  der  von  Herrn  Liebmann  im  Jahresbericht  der  Deutschen 
Mathematiker -Vereinigung  veröffentlichten  Liste. 


Nekrologe  95 

9.  Über  einen  fundamentalen  Satz  der  Lehre  von  den  endlichen  Gruppen 
linearer  Substitutionen.     Math.  Ann.  41  (1892),  309-312. 

10.  Untersuchungen  aus  dem  Gebiete  der  hyperelliptischen  Modulfunk- 
tionen.    Dritter  Teil.     Math.  Ann.  41  (1892),  313-343. 

11.  Zur  Reduktion  des  Problems  der  27  Geraden  der  allgemeinen  Fläche 
dritter  Ordnung  auf  das  Transformationsproblem  der  hyperellip- 
tischen Funktionen  p  =  2.     Göttinger  Nachr.  1892,  1 — 5. 

12.  Über  Funktionen  von  Vectorgrößen ,  welche  selbst  wieder  Vector- 
größen  sind,  eine  Anwendung  invariantentheoretischer  Methoden 
auf  eine  Frage  der  mathematischen  Physik.  Göttinger  Nachrichten 
(1893),  155—159. 

Dasselbe  auch,  erweitert,  unter  demselben  Titel.    Math.  Ann.  43 
(1893),  197-215. 

13.  Über  die  Darstellung  einiger  Fälle  der  automorphen  Primformen 
durch  spezielle  Thetareihen.     Math.  Ann.  42  (1893),  185-214. 

14.  Sur  les  fonctions  de  Green  relatives  ä  un  domaine  d'une  dimension. 
Soc.  math.  de  France.   Bull.  22  (1894),  71—75. 

15.  Beiträge  zu  den  Untersuchungen  über  die  Grundlagen  der  Geometrie. 
Göttinger  Nachrichten  (1895),  114-118. 

16.  Über  einige  mathematische  Resultate  neuerer  astronomischer  Unter- 
suchungen, insbesondere  über  irreguläre  Integrale  linearer  Differen- 
tialgleichungen.    Chicago,  Math.  Congr.  I  (1875),  13—34. 

17.  Zur  Theorie  der  linearen  Scharen  von  Punktaggregaten  auf  algebra- 
ischen Kurven.     Göttinger  Nachrichten  (1896),  267—274. 

18.  Über  Vectoranalysis.     Deutsche  Math.  Ver.  5  (1897),  43  —  52. 

19.  Mathematisches  und  naturwissenschaftliches  Denken.  Antrittsvor- 
lesung in  Zürich,  gehalten  am  6.  November  1897.  Beilage  zur 
Allgemeinen  Zeitung  vom  22.  November  1897. 

Wieder  abgedruckt:    Deutsche  Math.  Ver.  11  (1902),  49—57. 

20.  Sur  le  principe  de  correspondance.  Paris,  C.  R.  126  (1898,  1), 
1854-1856. 

21.  Bemerkungen  über  das  Rechnen  mit  Grenzwerten  und  Irrational- 
zahlen.    Zürich,  Naturf.  Ges.  46  (1901),  178-184. 

22.  Über  Differentialgleichungen  (Auszug  aus  einem  Brief  an  G.  v.  Esche- 
rich).    Monatshefte  f.  Math.  12  (1901),  290—298. 

23.  Über  Reihenentwicklungen  nach  oscillierenden  Funktionen.  Deutsche 
Math.  Ver.  12  (1903),  563—565. 

24.  Wie  man  vor  Zeiten  rechnete.  (Rathausvortrag,  gehalten  in  Zürich 
den  14.  November  1904.)  Zeitschr.  f.  math.  u.  naturw.  Unterr.  36 
(1904),  9-  20. 

25.  Zu  den  Funktionen  des  elliptischen  Zylinders.  Deutsche  Math.  Ver. 
15  (1906).  445. 


96  Nekrologe 

26.  Über  Interpolation  durct  Exponentialfunktionen.  Göttinger  Nach- 
richten (1907),  160-162. 

27.  Zur  Theorie  der  trigonometrischen  Reihen  und  der  Entwicklung 
nach  Kugelfunktionen.    München,  Akad.  Ber.  39  (1909),  Nr.  10  (23  S.). 

28.  Über  den  Gebrauch  divergenter  Reihen  in  der  Zeit  von  1750—1860. 
Math.  Ann.  70  (1911),  169-206. 

Vorher  bereits  erschienen  in:  Gratulationsschrift  zum  60.  Ge- 
burtstag von  A.  Pringsheim.     Leipzig  1910,  p.  41  -78. 

29.  Untersuchungen  von  Cauchy  und  Poisson  über  Wasserwellen.  Mün- 
chen, Akad.  Ber.  42  (1912),  97-120. 

30.  Zur  Geschichte  der  Interpolation  durch  Exponentialfunktionen  (ge- 
meinsam mit  R.  Kleeberg).     Bibl.  Math.  (3)  13  (1913),  150-153. 

31.  Mathematische  Miszellen  aus  der  Vorlesungspraxis.  Deutsche  Math. 
Ver.  22  (1913),  221—226. 

32.  Zur  Theorie  der  Gammafunktion,  besonders  über  ihre  analytische 
Darstellung  für  große  Werte  des  Arguments.  München,  Akad. 
Ber.  43  (1913),  383-396. 

33.  Über  Funktionen  großer  Zahlen,  insbes.  über  die  näherungsweise  Be- 
stimmung entfernter  Glieder  in  den  Reihenentwicklungen  der  Theorie 
der  Keplerschen  Bewegung.     München,  Akad.  Ber.  44  (1914),  1  — 11. 

34.  Schwingungen  unter  den  Einfluß  einer  dem  Quadrat  der  Geschwin- 
digkeit proportionalen  Dämpfung.  Zeitschr.  f.  Math.  u.  Phys.  63 
(1914),  303—311. 

Gesondert  erschienene  Werke  und  Abhandlungen: 

35.  Bernhard  Riemann  (Vortrag  bei  der  am  20.  Juli  1891  vom  math. 
Verein  zu  Göttingen  veranstalteten  Feier  der  25.  Wiederkehr  des 
Todestages).     Göttingen  1891  (12  S.). 

36.  Funktionentheoretische  Vorlesungen,  I.  Teil.  Einführung  in  die 
Theorie  der  analytischen  Funktionen  einer  komplexen  Veränder- 
lichen.    Leipzig  1897  (213  S.). 

Bei  den  drei  weiteren  Auflagen  (zweite  1904,  dritte  1908,  vierte 
1912)  heißt  der  Haupttitel:  Funktionentheoretische  Vorlesungen, 
ersten  Banden  zweites  Heft:    Einfühi-ung  etc. 

37.  Funktionentheoretische  Vorlesungen,  ersten  Bandes  erstes  Heft:  Alge- 
braische Analysis.     Leipzig  1903  (196  S.);  2.  Auflage  1903. 

38.  Funktionentheoi-etische  Vorlesungen,  II.  Teil:  Elliptische  Funktionen. 
Leipzig  1899  (373  S.);  2.  Auflage  1906. 

39.  Vorlesungen  über  die  Elemente  der  üiflferential-  und  Integralrech- 
nung und  ihre  Anwendung  zur  Beschreibung  von  Naturerscheinungen. 
Leipzig  1907  (252  S.). 


Nekrologe  97 

Literaturbericht  für  die  Deutsche  Mathematiker- 
Vereinigung: 

40.  Entwicklungen  nach  oszillierenden  Funktionen  und  Integration  der 
Differentialgleichungen  der  mathematischen  Physik.  Jahresberichte 
der  Deutschen  Mathematiker -Vereinigung,  X.  Band,  1901—1908, 
(S.  1-1804). 

Berichte  in  der  Enzyklopädie  der  mathematischen 
Wissenschaften: 

41.  Potentialtheorie  (Theorie  der  Laplace-Poissonschen  Differentialglei- 
chung), gemeinsam  mit  Fr.  Meyer  (1896'.  Math.  Enzykl.  Bd.  III  (39  S.). 

42.  Endliche  diskrete  Gruppen  (1698).     Math.  Enzykl.    Bd.  I  (18  S.). 

43.  Kontinuierliche  Transformationsgruppen  (gemeinsam  mit  L.  Maurer) 
(1900).     Math.  Enzykl.    Bd.  II    (35  S.). 

44.  Trigonometrische  Interpolation  (Mathematische  Behandlung  perio- 
disch"r  Naturerscheinungen)  (1914).     Math.  Enzykl.   Bd.  II  (52  S.). 

45.  Trigonometrische  Reihen  und  Integrale  bis  etwa  1850  (mit  Beiträgen 
von  L.  Berwald,  A.  Rosenthal  und  R.  Kleeberg)  (1914).  Math.  Enzykl. 
Bd.  II  (236  S.). 

Besprechungen: 
40.  E.  Picard,  Traite  d' Analyse,  T.  1  (1891),  T.  2  (1893).    Gott.  gel.  Anz. 
189  t,  Nr.  5,  365-374. 

47.  W.  Wundt,  Logik.  Eine  Untersuchung  der  Prinzipien  der  Erkenntnis 
und  der  Methoden  wissenschaftlicher  Forschung.  2  Bände,  2.  Aufl. 
1893—1894.  Vierteljahr?chrift  für  wissenschaftliche  Philosophie  19 
(1895),  S.  408-423. 

48.  Zahlreiche  Referate  im  Jahrbuch  der  Fortschritte  der  Mathematik 
in  den  Jahrgängen  22-25  (1890-1897). 

Die  Sektion  für  Zoologie  und  Anatomie  der  math. -physi- 
kalischen Klasse  hat  im  verflossenen  Jahre  den  Verlust  zweier 
ihrer  korrespondierenden  Mitglieder  zu  beklagen.  Am  Anfang 
des  Jahres  schied  der  Professor  der  Zoologie  und  vergleichenden 
Anatomie,  Geheimrat  Dr.  K.  Chun,  infolge  eines  schweren  Herz- 
leidens aus  dem  Leben. 

Karl  Chun,  Sohn  des  Rektors  der  Frankfurter  Weiß- 
frauenschule, wurde  am  1.  Oktober  1852  in  Höchst  a.  M.  ge- 
boren; er  genoß  seine  Ausbildung  auf  dem  alten  Frankfurter 
Gymnasium,  welches  er  Ostern  1872  verließ,  um  sich  in  Göt- 
tingen naturwissenschaftlichen  und  mathematischen  Studien  zu 

Jahrbuch  1915.  7 


98  Nekrologe         ^^^^^^^^^^^^^^^^ 

widmen.  Schon  während  seiner  Gymnasialzeit  wurde  sein  Inter- 
esse für  Biologie  durch  die  Vorträge  der  Professoren  am  Sencken- 
bergischen  Museum  Lucae,  Noll,  Geyler  und  von  Fritsch 
und  durch  eifrigen  Besuch  der  naturwissenschaftlichen  Samm- 
lungen dieses  Museums  wachgerufen.  Dies  bestimmte  ihn  sich 
der  Zoologie  zuzuwenden  und  zu  dem  Zweck  Göttingen  mit 
Leipzig  zu  vertauschen,  wo  damals  Leuckart  eine  außer- 
gewöhnlich erfolgreiche  Lehrtätigkeit  entfaltete.  Nachdem  er  in 
Leipzig  promoviert  und  bald  darauf  in  Göttingen  sein  Examen 
als  Oberlehrer  für  beschreibende  Naturwissenschaften,  Chemie, 
Physik  und  Mathematik  abgelegt  hatte,  bot  sich  ihm  Gelegen- 
heit, ein  Jahr  an  der  zoologischen  Station  in  Neapel  zu  ar- 
beiten und  sich  mit  der  Untersuchung  der  Rippenquallen  zu 
befassen,  deren  monographische  Bearbeitung  er  auf  Veranlassung 
des  Direktors  der  Station,  Anton  Dohrn  übernahm  und  im 
Jahr  1880  zu  Ende  führte.  Sie  eröffnete  in  würdiger  Weise  die 
Reihe  der  umfangreichen  Untersuchungen,  welche  die  zoologische 
Station  in  Neapel  unter  dem  Titel  ,  Flora  und  Fauna  des  Golfs 
von  Neapels"  veröffentlicht.  Nachdem  er  noch  ein  Jahr  Assistent 
am  zoologischen  Institut  Marburg  gewesen  war,  kehrte  er  nach 
Leipzig  zurück,  um  sich  daselbst  im  Jahr  1878  für  Zoologie 
zu  habilitieren.  Gleichzeitig  übernahm  er  die  Assistentenstelle 
am  zoologischen  Institut  und  trat  dabei  in  enge  freundschaft- 
liche Beziehungen  zu  seinem  Lehrer  Leuckart,  dessen  Lieb- 
lingsschüler er  gewesen  ist  und  dessen  Nachfolger  er  1898 
wurde,  nachdem  er  zuvor  die  Professur  der  Zoologie  von 
1882—1891  in  Königsberg,  von  1891—1898  in  Breslau  be- 
kleidet hatte. 

Eine  große  Rolle  im  Leben  Chuns  spielten  seine  häufigen 
Aufenthalte  am  Meer  und  seine  Beschäftigung  mit  der  pela- 
gischen  Organismen  weit  desselben.  Wiederholt  war  er  ein 
Gast  in  der  zoologischen  Station  von  Neapel,  wo  er  auch  Ge- 
legenheit hatte,  seine  Lebensgefährtin,  die  Tochter  Karl  Vogts, 
kennen  zu  lernen.  Von  Neapel  aus  besuchte  er  Messina  und 
Corsica.  Während  seiner  Königsberger  Zeit  benützte  er  einen 
Winteraufenthalt  auf  den  kanarischen  Inseln  zu  ausgedehnten 


Nekrologe  9Ö 

zoologischen  Untersuchungen.  Indem  er  auf  diese  Weise  die 
Methoden  der  pelagischen  Fischerei  nicht  nur  kennen  lernte, 
sondern  auch  vervoUkommete  und  sich  mit  den  wissenschaft- 
lichen Problemen  der  Meeresforschung  vertraut  machte,  be- 
reitete er  sich  auf  sein  größtes  Lebenswerk,  die  Deutsche 
Tiefsee-Expedition  vor,  deren  Programm  er  mit  der  ihm 
eigenen  begeisterten  und  begeisternden  Beredsamkeit  auf  der 
Braunschweiger  Versammlung  Deutscher  Naturforscher  und 
Arzte  im  Jahre  1897  entwickelte.  Gestützt  auf  die  allgemeine 
Zustimmung,  welche  er  auf  dieser  Versammlung  und  ferner  seitens 
seiner  Fachkollegen  gefunden  hatte,  konnte  er  sich  an  die  Reichs- 
regierung mit  der  Bitte  wenden,  ihm  die  für  die  Forschungs- 
reise nötigen,  sehr  beträchtlichen  Mittel  zur  Verfügung  zu 
stellen.  Da  sowohl  die  Reichsregierung,  wie  die  Hamburg- 
Amerika-Linie,  welche  das  Schiff  „Valdivia"  zur  Verfügung 
stellte  und  an  ihm  die  für  seine  wissenschaftlichen  Aufgaben 
nötigen  Umbauten  vornahm ,  das  größte  Entgegenkommen 
zeigten,  konnte  er  schon  am  1.  August  1898,  begleitet  von 
einem  auserwählten  Stab  jüngerer  Zoologen,  Botaniker,  Ozeano- 
graphen  und  Zeichner,  unter  der  Leitung  vortrefflicher  See- 
offiziere, die  Ausfahrt  von  Hamburg  antreten.  Im  Frühjahr 
1899  kehrte  die  Expedition  mit  einer  über  alle  Erwartungen 
reichen  Ausbeute  zurück,  und  nun  trat  an  Chun  die  Aufgabe 
heran,  neben  seiner  akademischen  Tätigkeit  an  der  Universität 
Leipzig,  welche  er  nach  seiner  Rückkehr  begann,  sich  den 
aus  der  Expedition  erwachsenen  Arbeiten  zu  widmen  und  die 
wissenschaftliche  Verwertung  der  Ausbeute  zu  organisieren. 
Dies  geschah  unter  Hilfe  zahlreicher  Mitarbeiter  in  dem  großen, 
wundervoll  ausgestatteten  Werk:  „Wissenschaftliche  Ergeb- 
nisse der  deutschen  Tiefsee-Expedition  auf  dem  Dampfer  Val- 
divia",  an  welchem  er  sich  selber  durch  die  Bearbeitung  der 
Tintenfische  beteiligte.  Leider  ist  es  ihm  nicht  vergönnt  ge- 
wesen, den  Abschluß  des  gesamten  Werks,  von  dem  bisher  20, 
den  größten  Teil  der  Ausbeute  behandelnde  Bände  erschienen 
sind,  zu  erleben;  ebensowenig  gelang  es  ihm  den  zweiten  Teil 
seiner  Cephalopoden- Monographie   abzuschließen.     Die  letzten 


1 00  Nekrologe 

Jahre  seines  Lebens  wurden  durch  schweres  Leiden,  unter 
dem  auch  seine  Arbeitsfähigkeit  zu  leiden  hatte,  getrübt. 
Ln  November  1908  erfuhr  er  durch  ein  von  der  Wand  herunter- 
fallendes Hirschgeweih  eine  Verletzung,  in  deren  Gefolge  sich 
eine  langwierige,  sein  Leben  wiederholt  gefährdende  Krankheit 
entwickelte.  Kaum  hatte  er  diese  Gefahren  überwunden,  als 
sich  ein  rasch  zunehmendes  Herzleiden  ausbildete,  welchem  er 
am  IL  April  1914  zum  Opfer  fiel. 

Durch  seine  intensive  Beschäftigung  mit  der  Meeresfauna 
wurde  Chun  veranlaßt,  sich  eingehender  mit  der  horizontalen 
und  vertikalen  Verbreitung  des  Planktons  zu  befassen.  Im 
Gegensatz  zu  Agassiz  verfocht  er  mit  Glück  die  Auffassung, 
daß  die  im  Wasser  schwebenden  Tiere  alle  Schichten  des  Meeres 
bevölkern ,  wenn  auch  nicht  mit  gleicher  Häufigkeit.  Am 
reichsten  entwickelt  im  Bereich  der  Schichten,  in  denen  ein- 
dringendes Licht  die  Existenz  des  Phytoplankton,  der  Nähr- 
quelle jeglichen  Lebens,  ermöglicht,  nimmt  die  Menge  der 
Tiere  nach  den  größten  Meerestiefen  zu  ab,  ohne  aber  in 
irgend  einer  Zone  ganz  zu  verschwinden.  Weiter  gelangte  er 
zu  der  allerdings  noch  viel  umstrittenen  Ansicht,  daß  arktische 
und  antarktische  pelagische  Fauna  sich  erheblich  von  der  inter- 
mediären Fauna  wärmerer  Klimazonen  unterscheiden,  unter 
einander  aber  durch  Gemeinsamkeit  einer  Anzahl  von  Arten 
übereinstimmen,  eine  Übereinstimmung,  die  er  durch  die  An- 
nahme zu  erklären  suchte,  daß  durch  die  niederen  Temperaturen 
des  Tiefenwassers  und  durch  Meeresströmungen  ein  Forraen- 
austausch  ermöglicht  werde. 

Im  übrigen  vertrat  Chun  sowohl  in  seinen  eigenen  Arbeiten 
als  auch  in  den  meisten  Arbeiten,  zu  denen  er  seine  zahlreichen 
Schüler  anregte,  die  systematisch-biologische  Richtung  in 
der  Zoologie,  welche  die  mannigfachen  Anpassungen  der  Tiere  an 
ihre  Lebensbedingungen  zu  erklären  und  den  kausalen  Zusam- 
menhang zwischen  Bau  und  Funktion  der  Organe  aufzudecken 
sucht;  er  schloß  sich  in  dieser  Hinsicht  der  Arbeitsweise  seines 
Lehrers  Leuckart  an,  mit  Avelchem  ihn  Gleichartigkeit  der 
wissenschaftlichen  Neigungen  und  Begabung  aufs  engste  verband. 


Nekrologe  101 

Seiner  meisterhaften  Monographie  der  Rippenquallen  folgten 
seine  Bearbeitungen  der  Siphonophoren  und  seine  unter  dem 
Namen  Atlantis  zusammengefaßten  Untersuchungen  über 
die  Anpassungen  der  Planktonorganismen  an  ihre  Umgebung, 
sowie  zahlreiche  kleinere  Veröffentlichungen.  Rücksichtlich 
der  Siphonophoren  vertrat  er  im  Gegensatz  zu  Haeckel 
den  einheitlichen  Charakter  und  die  systematische  Zusammen- 
gehörigkeit der  Ordnung,  indem  er  auf  entwicklungsgeschicht- 
lichem und  vergleichend  anatomischem  Weg  auch  für  die 
Disconanthen  Haeckels  den  gleichen  Aufbau  nachwies, 
wie  er  für  die  übrigen  Siphonophoren  gilt.  Aus  der 
„Atlantis"  verdienen  besonders  hervorgehoben  zu  werden  einer- 
seits das  Kapitel,  welches  die  Schwebevorrichtungen  plank- 
tonischer Tiere  behandelt,  andererseits  der  Abschnitt  über  die 
Anpassungen  des  Arthropodenauges  an  die  Helligkeitsgrade, 
welche  in  den  verschiedenen  Tiefenhorizonten  des  Meeres 
herrschen.  In  letzterer  Hinsicht  fand  Chun  ein  ausgezeich- 
netes Untersuchungsobjekt  in  den  Augen  der  ScMzopoden,', 
er  kam  dabei  zu  folgenden  Resultaten.  Die  Schizopoden 
besitzen  zum  Teil  ein  gleichförmig  kugeliges  Facettenauge; 
es  sind  das  die  oberflächlich  schwimmenden  Arten.  Bei  Zu- 
nahme der  Tiefe  des  Aufenthaltsorts  sondert  sich  jedes  Auge 
in  zwei  Teile,  ein  den  gewöhnlichen  Bau  fortführendes  Seiten- 
auge und  ein  für  die  Abnahme  der  Lichtintensität  eingerichtetes 
Stirnauge,  letzteres  ausgezeichnet  durch  enorme  Verlängerung 
der  Augenkeile  und  Armut  des  Retinapigments,  wodurch  eine 
bessere  Ausnutzung  des  Lichts  ermöglicht  wird.  Je  mehr 
sich  der  Charakter  von  Dunkeltieren  ausprägt,  umso  mehr 
breitet  sich  das  Stirnauge  auf  Kosten  des  Seitenauges  aus,  bis 
wir  zu  Formen  gelangen,  bei  denen  das  Seitenauge  nicht  mehr 
vorhanden  ist. 

Wenn  die  Beschäftigung  mit  der  pelagischen  Tierwelt 
den  größten  Teil  der  wissenschaftlichen  Tätigkeit  Chuns  aus- 
gefüllt hat,  so  kam  das  daher,  daß  sie  in  hervorragender 
Weise  seinen  Neigungen  entsprach.  Chun  war  neben  seiner 
wissenschaftlichen    Begabung    eine    Künstlernatur,    welche    in 


102  Nekrologe  ^^1 

der  getreuen  Wiedergabe   der  Formenschönheit   der  Plankton-j 
tiere   ihre   Befriedigung    fand;    er    war    ein    Meister    der    Be-| 
Schreibung  und  der  bildlichen  Darstellung.     Seine   Tafeln   der! 
Cienophoren  gehören   zu   dem  Schönsten,   Avas   in  der  Zoologie! 
in  Bezug   auf  Tafelschmuck   geleistet   worden   ist.     Beide   Be-I 
gabungen    kamen    ihm    auch    in    seiner    akademischen    Lehr- 
tätigkeit zugute.     Er   war   ein   glänzender  Redner,    der   durch 
die  Lebhaftigkeit  seiner  Schilderungen   seine  Hörer   in   außer- 
gewöhnlicher  Weise    zu   fesseln,    durch    Zeichnungen    an    der 
Tafel  das  Gesagte    vorzüglich    zu    erläutern    und    durch   geist- 
reiche Auffassung  des   Stoffs  anregend   auf  den   engeren  Kreis 
seiner  Schüler   zu  wirken   wußte.      Kein   Wunder    daher,    daß 
die  letzteren   auch  außerhalb   des  Instituts  in   regem  Verkehr 
mit   ihrem   Lehrer  standen   und  ihn   als  einen    zweiten    Vater 
verehrten,    wie   dies   bei    der  Feier   seines   60.    Geburtstags   zu 
lebhaftem  Ausdruck  kam. 

Gleiches  Ansehen  genoß  Chun  im  Kreise  seiner  Fach- 
genossen und  seiner  Universitätskollegen.  Für  seine  Universitäts- 
stellung war  von  Wichtigkeit,  daß  er  kein  einseitiger  Fach- 
gelehrter war,  sondern  an  allen  Fragen  des  Universitätslebens 
den  lebhaftesten  Anteil  nahm.  Er  war  ein  tätiges  Mitglied 
des  Ausschusses,  welcher  sich  die  Förderung  der  Leibesübungen 
der  Studierenden  und  damit  die  kräftigere  Entwicklung  unserer 
akademischen  Jugend  zur  Aufgabe  gestellt  hat.  Als  Leipzig 
sein  500  jähriges  Stiftungsfest  feierte,  unterzog  er  sich,  obwohl 
noch  an  den  Folgen  seiner  Verletzung  schwer  leidend,  der 
mühsamen  Aufgabe,  den  historischen  Festzug  zu  organisieren 
und  löste  dieselbe  in  glänzendster  Weise.  Da  er  mit  diesem 
lebhaften  Sinn  für  das  allgemeine  Interesse  in  außergewöhn- 
licher Weise  die  Gabe  der  Repräsentation  besaß,  wurde  ihm 
schon  nach  verhältnismäßig  kurzem  Aufenthalt  in  Leipzig  im 
Jahr  1907  das  verantwortungsvolle  Amt  des  Rektors  der 
Universität  übertragen.  Durch  die  Art  seiner  Amtsführung 
hat  er  das  Vertrauen,  welches  seine  Kollegen  ihm  entgegen- 
brachten, vollauf  gerechtfertigt.  Sein  allzu  früher  Tod  wurde 
daher  allgemein  als  ein  schwerer  Verlust  empfunden,  besonders 


Nekrologe  103 

von  der  Universität  Leipzig  und  der  Königlichen  sächsischen 
Gesellschaft  der  Wissenschaften,  in  vs^elcher  er  seit  dem  Jahre 
1906  die  Stelle  eines  Sekretärs  der  mathematisch-physikalischen 
Klasse  bekleidete.  An  der  Trauer  dieser  beiden  wissenschaftlichen 
Anstalten  nimmt  auch  unsere  Akademie  lebhaften  Anteil. 

Hartwig. 

Eduard  Suess  war  ein  Mann  von  durchaus  eigenartigem 
und  selbständigem  Wesen.  Er  entstammte  einer  alten  pro- 
testantischen Familie  Sachsens  und  sein  Vater  war  österreichi- 
scher Industrieller.  Er  war  geboren  am  20.  August  1831  in 
London,  kam  zu  seiner  Ausbildung  auf  die  technische  Hoch- 
schule nach  Prag  und  dann  nach  Wien.  1852  wurde  er  Custos- 
Adjunkt  am  K.  Mineralienkabinett,  1857  a.  o.  Professor  für 
Paläontologie  an  der  Wiener  Universität  und  1862  in  gleicher 
Eigenschaft  für  Geologie.  1867  erhielt  er  die  ordentliche  Pro- 
fessur für  Geologie,  welche  er  bis  zum  Jahre  1901  inne  hatte. 
1898  bis  1911  war  er  Präsident  der  Akademie  der  Wissen- 
scliaften  und  starb  in  seinem  83.  Lebensjahre  am  26.  April  1914. 

Von  Haus  aus  zum  Erwerbsleben  bestimmt,  sollte  er  auf 
der  technischen  Hochschule  in  Prag  sich  darauf  vorbereiten, 
aber  seine  Neigung  zu  der  Naturwissenschaft  trat  sogleich 
hervor.  Schon  in  seinem  20.  Lebensjahre  veröffentlichte  er 
eine  Arbeit  über  die  böhmischen  Graptolithen,  die  hauptsäch- 
lich deshalb  bemerkenswert  ist,  weil  sich  in  ihr  bereits  der  für 
Sueß  so  bezeichnende  Trieb,  dem  engen  Gebiet  der  Einzel- 
beobachtung weite  Gesichtspunkte  abzugewinnen,  deutlich  kund 
gibt.  Weshalb  er  sich  zunächst  gerade  der  Versteinerungs- 
kunde zugewandt  hat,  ist  nicht  bekannt,  doch  erscheint  es 
wahrscheinlich,  daß  das  Halbdunkel,  in  das  damals  die  Palä- 
ontologie noch  gehüllt  war,  auf  ihn  einen  besonderen  Reiz 
ausübte.  Seine  nun  folgenden  Brachiopodenstudien  und  ebenso 
die  mit  Oppel  zusammen  verfertigte  Arbeit  über  die  Äquiva- 
lente der  Köessener  Schichten  in  Schwaben  (1856)  fanden 
allgemeinen  Anklang.  Sueß  war  Autodidakt.  Seiner  großen 
Begabung    und    Lust   zur    akademischen    Lehrtätigkeit   fehlten 


104  Nekrologe  ^IHH^^^H 

die  formalen  Vorbedingungen,  weshalb  er  sich  als  Privat- 
dozent an  der  Universität  Wien  nicht  habilitieren  konnte. 
Trotzdem  wurde  er  1857  durch  den  Einfluß  Haidingers  zum 
a.  o.  Professor  für  Paläontologie  ernannt.  Damit  begann  eine^ 
Periode  von  44 jähriger  Dauer,  die  sowohl  für  ihn  als  Lehrer, 
als  auch  für  seine  Zuhörer  ein  ungewöhnliches  Ausmaß  von 
wissenschaftlicher  Anregung  und  Förderung  brachte.  Seine 
neuen  Ideen  pflegte  er  so,  wie  sie  in  ihm  langsam  entstanden, 
hier  vorzutragen,  oft  jahrelang  bevor  er  sie  in  ausgereifter 
Form  veröffentlichte.  Im  Vortrag  wie  in  seinen  Schriften 
hatte  er  die  gleiche  Darstellungsweise  und  den  gleichen  Stil, 
formvollendet  und  bestrickend.  Aber  nur  höchste  Aufmerk- 
samkeit konnte  den  Sinn  seiner  Worte  ganz  zu  erfassen  hoffen. 
Er  gab  aus  der  Fülle  seiner  Ideen  so  manche  grundlegende 
Anregung,  deren  weitere  Ausarbeitung  er  anderen  gerne  über- 
ließ. So  z.  B.  veröffentlichte  er  über  die  systematische  Auf- 
fassung der  Ammoniten  1865  eine  kleine  Schrift;  es  waren 
Leitmotive,  die  dann  aber  zunächst  von  einigen  seiner  Schüler 
weiter  verfolgt  wurden  und  schließlich  zu  jener  Flut  von  Am- 
monoideen-Arbeiten führten,  an  denen  er  selbst  sich  nicht 
weiter  beteiligte,  weil  er  sich  inzwischen  längst  anderen  Ge- 
bieten zugewandt  hatte.  Mehr  als  die  ausschließlich  paläonto- 
logischen fesselten  ihn  bald  die  stratigraphisch  -  paläonto- 
logischen Themata,  wie  z.  B.  die  Gliederung  der  österreichi- 
schen Tertiärablagerungen  (1866)  und  die  der  Trias-  und 
Jurabildungen  in  den  Ostalpen  (1867-68);  und  das  führte 
ihn  weiter  bis  zu  den  großen  geologischen  Problemen  der 
Entstehung  der  Alpen  (1875)  und  endlich  zu  dem  des  Baues 
und  der  Entstehung  der  ganzen  Erde,  dem  er  in  seinem 
Meisterwerke,  im  „Antlitz  der  Erde"  (1883—1909)  eine  Dar- 
stellung gab,  die  in  der  geologischen  Literatur  einzig  dasteht. 
Alle  ähnlichen  Versuche  früherer  Autoren  treten  diesem  Werke 
gegenüber  in  den  Schatten,  Es  übertrifft  sie  sowohl  durch 
den  Ideenreichtum  als  auch  durch  seine  kunstvolle  Form  und 
selbst,  wenn  es  nach  Jahren  in  vielen  Punkten  durch  den 
Fortschritt  der   geologischen  Forschungen   überholt  sein  wird, 


Nekrologe  105 

wird  es  doch  noch  als  der  erste  großzügige  Versuch,  den  Ge- 
samtbau der  Erdkruste  verstehen  zu  lernen  und  dem  Endziel 
der  Geologie  zuzustreben,  bewundert  werden.  Seine  wissen- 
schaftlichen Arbeiten,  die  sich  auf  einen  Zeitraum  von  über 
60  Jahren  verteilen,  bekunden  eine  fortgesetzte  Steigerung, 
die  dadurch  bedingt  ist,  daß  Sueß  sein  Arbeitsgebiet  beständig 
erweiterte  und  vertiefte  bis  zum  letzten  Augenblick.  Er  ge- 
hörte zu  den  Glücklichen,  denen  selbst  im  höchsten  Alter  das 
Altern  erspart  blieb.  A.  Rothpletz. 

Am  5.  Juni  1914  starb  das  korrespondierende  Mitglied 
Ludimar  Hermann,  Professor  der  Physiologie  an  der  Universität 
Königsberg. 

Ludimar  Hermann  Avurde  am  21.  Oktober  1838  in  Berlin 
geboren.  Die  Studienzeit  verbrachte  er  in  der  Heimatstadt, 
wo  ihn  die  Vorlesungen  der  Physiologen  Johannes  Müller 
und  du  Bois-Reymond  besonders  anzogen.  Seine  Neigung 
für  die  Physiologie  entwickelte  sich  stetig  weiter.  Er  wurde 
Famulus  bei  du  Bois-Reymond,  assistierte  Pflüger  bei 
den  Vorlesungen  und  praktizierte  bei  Hoppe- Seyler,  dem 
späteren  Leiter  des  physiologisch-chemischen  Laboratoriums  in 
Straßburg.  Nach  der  Promotion,  die  auf  Grund  einer  physio- 
logischen Dissertation  über  den  Tonus  der  Skelettmuskeln  er- 
folgte, und  nach  dem  Bestehen  des  Examen  rigorosum  im 
Jahre  1860  ließ  er  sich  zunächst  als  praktischer  Arzt  nieder, 
arbeitete  aber  stets  experimentell  und  literarisch  auf  dem  Ge- 
biet der  Physiologie.  Nach  kurzer  Unterbrechung  seiner  Tätig- 
keit durch  den  Schleswig  -  Holsteiner  Krieg,  in  dem  er  sich 
als  Arzt  auszeichnete,  gab  er  seine  Praxis  auf  und  habilitierte 
sich  1865  in  Berlin.  Bald  darauf  war  er  ein  Semester  lang 
Assistent  von  du  Bois-Reymond.  In  dieser  Zeit  dürfte  sich 
die  Meinungsverschiedenheit  mit  seinem  früheren  Lehrer  ent- 
wickelt haben,  die  später  zu  einem  heftigen  wissenschaftlichen 
Streit  führte.  Die  Lösung  der  unerquicklichen  Verhältnisse, 
die  für  Hermann  dadurch  entstanden,  brachte  im  Jahre 
1868  ein  Ruf  nach  Zürich    als  Vertreter   der  Physiologie.     In 


106  ^'^^I^V         Nekrologe  ^^^V^ 

dieser  Stellung  war  er  bis  1884  in  ununterbrochener  reger 
Arbeit  tätig.  1884  wurde  er  nach  Königsberg  berufen.  Hier 
war  er  1902/03  Rektor  der  Universität.  Bald  nach  seinem 
70.  Geburtstag  erkrankte  er  an  Carcinom.  Mit  staunenswerter 
Energie  überwand  er  die  Folgen  einer  tiefeingreifenden  Opera- 
tion und  erfüllte,  trotzdem  eine  fast  vollständige  Erblindung 
seine  Leiden  noch  vergrößerte,  die  Pflichten  seines  Amtes, 
bis  zum  Jahr  1913,  in  dem  er  von  seinem  Lehramt  zurücktrat. 
Ein  Rezidiv  der  heimtückischen  Krankheit  setzte  seinem  Leben 
ein  Ende. 

Hermann  war  einer  der  vielseitigsten  und  fruchtbarsten 
Physiologen.  Es  ist  unmöglich  seine  gesamte  wissenschaft- 
liche Tätigkeit  auch  nur  oberflächlich  in  dem  engen  Rahmen 
eines  Nekrologes  zu  schildern.  Nur  seiner  wichtigsten  Lei- 
stungen kann  hier  gedacht  werden.  Seine  Hauptarbeitsrichtung 
erstreckte  sich  auf  das  Gebiet  der  Nerven-  und  Muskelphysio- 
logie, vor  allem  auf  die  elektrischen  Erscheinungen  am  Nerven 
und  Muskel,  weiter  auf  die  Theorie  der  Stimmbildung  und 
schließlich  auf  die  physiologische  Akustik. 

Von  du  Bois-Reymond  war  die  Grundlage  für  unsere 
Kenntnis  der  elektrischen  Erscheinungen,  die  sich  am  Nerven 
und  Muskel  abspielen,  gelegt  worden.  Zunächst  hatte  er  die 
schon  von  Mateucci  behauptete  Tatsache,  daß  sich  ein  künst- 
licher Querschnitt  des  Nerven  oder  Muskels  negativ  gegenüber 
der  unversehrten  Oberfläche  verhält,  durch  eine  folgerichtig 
ausgebildete  Methodik  sicher  gestellt.  Er  führte  diese  Er- 
scheinung auf  die  Anwesenheit  von  Molekeln  zurück,  die  in 
der  Längsrichtung  des  Nerven  oder  Muskels  eine  elektromoto- 
rische Kraft  besitzen.  Sie  sollten  vorgebildet,  die  elektro- 
motorische Kraft  also  schon  vor  der  Anlegung  des  Quer- 
schnitts vorhanden  sein.  Gewisse  Einzelerscheinungen,  vor 
allen  das  Verschwinden  der  elektromotorischen  Gegensätze  an 
den  natürlichen  Enden  der  Fasern  bereiteten  der  du  Bois- 
Reymondschen  Hypothese  Schwierigkeiten,  die  ihn  zu  einigen 
Hilfsannahmen  von  verwickelt  aufgebauten  Molekeln  nötigten. 
Hermann    wandte    sich    gegen    die    tatsächlichen    Grundlagen 


Nekrologe  107 

der  du  Bois-Reymondschen  Aufstellung  und  damit  auch  gegen 
seine  Theorie.  Er  leugnete  die  Präexistenz  der  elektromoto- 
rischen Gegensätze  und  behauptete,  daß  sie  erst  durch  das 
Anlegen  des  Querschnittes  selbst  erzeugt  würden.  Dadurch 
sollte  ein  Absterben  der  lebenden  Substanz,  die  sogenannte 
Demarkierung,  hervorgerufen  werden,  die  veränderte  Substanz 
sollte  sich  negativ  gegenüber  der  unveränderten  verhalten. 
Durch  diese  Kritik,  die  er  noch  als  Assistent  des  Berliner 
physiologischen  Instituts  übte,  kam  er  in  unversöhnlichem 
Gegensatz  zu  dem  berühmten  Mann.  Eine  Reihe  von  sorg- 
fältig durchgeführten,  zum  Teil  sehr  schwierigen  Versuchen, 
bestätigte  zunächst  die  Tatsache,  daß  die  unverletzte  Nerven- 
und  Muskeloberfläche  stromlos  ist.  Weiter  glaubte  er  durch 
genaue  Zeitmessungsmethoden  ermittelt  zu  haben,  daß  der 
Demarkationsstrom  nicht  sofort  nach  dem  Durchschneiden 
vorhanden  ist,  sondern  eine  gewisse  Zeit  zur  Entwicklung 
braucht.  Die  Entwicklungszeit,  die  neuerdings  von  Garten 
nochmals  genauer  bestimmt  wurde,  ist  jedoch  so  kurz,  daß  ihre 
Existenz  nicht  als  sicherer  Beweis  für  die  Hermannsche  An- 
nahme von  der  Demarkation  bzw.  dem  Absterben  der  lebenden 
Substanz  an  dem  Querschnitt  angesehen  werden  kann.  Es  ist 
schwer  anzunehmen,  daß  die  eigentlichen  Absterbeprozesse  so 
rasch  einsetzen.  So  ist  auch  in  der  neueren  Zeit  die  Her- 
mannsche Anschauung  durch  andere  Deutungsversuche  ver- 
drängt worden.  Im  Anschluß  an  eine  von  Ostwald  ausge- 
sprochene Idee  führt  man  die  elektromotorischen  Kräfte  auf 
Differenzen  in  der  Salzzusammensetzung  verschiedener  Schichten 
zurück,  welche  die  Eigenschaften  von  semipermeablen  Mem- 
branen besitzen.  Man  baut  also  die  neuere  Anschauung  auf 
die  Lehre  der  physikalischen  Chemie  auf.  In  diesen  Ver- 
suchen ist  schon  das  Unbefriedigende  in  der  Hermannschen 
Anschauung  zum  Ausdruck  gebracht.  Sie  ist  keine  Theorie 
in  dem  Sinn,  wie  sie  die  Physiologie  erstreben  muß,  nämlich 
eine  Zurückführung  auf  physikalische  oder  chemische  Prinzi- 
pien, ja  schließlich  kann  man  sagen,  daß  die  du  Bois-Rey- 
mondsche  Molekulartheorie   im  Prinzip   eher   dieser   Forderung 


108  Nekrologe  ^^^11 

Genüge  leistet.  Nur  ist  du  Bois-Reymond  bei  dem  Aus- 
denken seiner  Moleküle  zu  willkürlich  verfahren.  Es  sind 
keine  Moleküle,  wie  sie  der  Physiker  oder  der  Chemiker  kennt, 
sondern  vitale  Moleküle,  sozusagen  zurechtgeschnitten  für  den 
Hausgebrauch  des  Physiologen.  Die  du  Bois-Reymondsche 
Molekulartheorie  umschreibt  eigentlich  nur  die  Tatsachen  in 
einer  Sprache,  die  zu  seiner  Zeit  sehr  geläufig  war.  Wenn 
man  die  kleinen  Teilchen  beliebig  bilden  und  kombinieren 
kann,  ohne  ihre  Berechtigung  an  der  Hand  der  streng  phy- 
sikalischen Theorien  prüfen  zu  müssen,  kann  man  durch  sie 
dem  Ganzen  jede  beliebige  Eigenschaft  erteilen.  Es  erscheint 
gewiß  nicht  ausgeschlossen,  daß  eine  Molekulartheorie  wieder 
einmal  hier  Geltung  erhalten  könnte,  aber  nur  eine  solche, 
die  auf  der  Grundlage  der  neueren  physikalischen  Anschauung 
über  den  Aufbau  des  Stoffes  aus  Atomen,  Elektronen  und 
komplizierteren  Elementargebilden  aufgestellt  ist.  In  dem 
Kampf  zwischen  der  Anschauung  du  Bois-Reymonds  und 
derjenigen  Hermanns  kann  man  vielleicht  so  einen  Reflex 
von  dem  allgemeinen  erkenntnistheoretischen  Zwiespalt  er- 
kennen, der  mit  wechselndem  Erfolg  der  beiden  Richtungen 
seit  langer  Zeit  die  Naturwissenschaften  durchzieht.  Der 
Widerspruch  Hermanns  gegen  die  Molekular theorie  von  du 
Bois-Reymond  entsprang  wohl  zum  Teil  der  damals  auf 
allen  Gebieten  der  Naturwissenschaften  wachsenden  Abneigung 
gegen  die  Molekulartheorien  überhaupt,  die  sich  auf  die  Er- 
folglosigkeit vieler  derartiger  recht  unbekümmert  aufgestellter 
Konstruktionen  gründete.  Die  Molekulartheorien  wurden  durch 
eine  Betrachtungsreise  verdrängt,  die  ihr  Endziel  in  der  klaren 
und  geordneten  Beschreibung  der  Erscheinungen  erblickte.  In 
der  neuesten  Zeit  ist  dann  wieder  der  Rückschlag  eingetreten. 
Wenn  man  die  Frage  nach  der  Richtigkeit  der  Molekular- 
theorien ganz  außer  Acht  läßt,  so  scheint  es  fast,  als  ob  sie 
für  die  logische  Entwicklung  der  Gedanken  und  für  die  Lust 
am  Ausdenken  am  geeignetsten  wären.  Denn  selbst  ganz 
naive  Konstruktionen  haben  sich  besonders  in  der  Biologie 
oder    Physiologie    heuristisch    sehr   wertvoll    erwiesen.     So   ist 


Nekrologe  109 

vielleicht  auch  Hermann  gerade  durch  das  Problematische 
der  du  Bois-Reymondschen  Theorie  zum  Widerspruch  gereizt 
worden  und  der  Kampf  der  Meinungen,  der  sich  entsponnen  hat, 
hat  eine  Reihe  für  die  Auffassung  der  Lebensvorgänge  wich- 
tige Tatsachen  gefördert,  von  denen  eine  große  Anzahl  von 
Hermann  selbst  in  mühevollen  und  mit  strenger  Kritik  durch- 
geführten Versuchen  aufgefunden  worden  ist. 

Für  die  Fortentwicklung  der  Lehre  von  der  tierischen 
Elektrizität  war  von  noch  größerer  Bedeutung  die  klare  For- 
mulierung der  elektrischen  Erscheinungen,  die  bei  der  Tätig- 
keit des  Nerven,  der  Erregung,  auftreten,  durch  Hermann. 
Er  stellte  das  Gesetz  des  Aktionsstromes  auf. 

Die  experimentellen  Unterlagen  waren  hauptsächlich  durch 
du  Bois-Reymond  und  Bernstein  geliefert  worden.  Beide 
Forscher  waren  aber  in  der  Enkenntnis  gehemmt,  durch  die 
Meinung  du  Bois-Reymonds,  daß  die  elektrischen  Gegen- 
sätze schon  bei  dem  ruhenden  Organ  vorhanden,  die  Er- 
scheinungen während  der  Tätigkeit  integrierend  mit  dem 
Ruhestrom  verbunden  seien.  Hermann  faßte  die  gesamten 
Erscheinungen,  die  während  der  Erregung  auftreten,  in  dem 
einfachen  Satz  zusammen  „die  erregte  Stelle  verhält  sich  ne- 
gativ gegenüber  der  unerregten ".  Aus  dieser  Regel  lassen 
sich  alle  Einzelerscheinungen  ableiten.  Hermann  hat  sofort 
die  zwei  Hauptformen  als  diphasische  und  monophasische 
Aktionsströme  bezeichnet.  Der  erstere  zeigt  sich,  wenn  die 
Elektroden  an  zwei  unversehrten  Stellen  des  Nerven  liegen, 
der  letztere,  wenn  eine  von  ihnen  an  einem  künstlichen  Quer- 
schnitt angebracht  ist.  Der  Satz  hat  sich  in  der  Folge  so 
bewährt,  wie  Hermann  selbst  vielfach  auch  für  die  im  Körper 
befindlichen  Organe  gezeigt  hat,  daß  man  ihn  selbst  dann  als 
giltig  annehmen  muß,  wenn  wie  bei  dem  Herzen  die  Anord- 
nung der  Muskelfasern  eine  bis  jetzt  noch  nicht  vollständig 
aufgelöste  Verwicklung  der  Erscheinungen  erzeugt.  Hermann 
ist  noch  einen  Schritt  weiter  gegangen  bei  der  Bildung  seiner 
Regel.  Er  hat  seine  Meinung  über  die  Entstehung  des  Ruhe- 
stromes mit  derjenigen  für  die  Entstehung  des  Aktionsstromes 


110  Nekrologe 

verwoben  in  die  sogenannte  Alterationstheorie,  nach  der  die 
alterierte  Substanz,  ob  sie  nun  durch  Absterben  oder  Erres-ung: 
verändert  wird,  sich  negativ  gegenüber  der  unveränderten  ver- 
hält. Wenn  er  auch  diese  Annahme  auf  eine  Reihe  von  Er- 
scheinungen, die  am  Nerven  oder  Muskel  beobachtet  worden 
sind,  besonders  auf  die  von  ihm  betonte  Ähnlichkeit  der  Toten- 
starre und  der  natürlichen  Konstraktion  des  Muskels  stützen 
kann,  so  sind  die  Begriffe  Erregungen  und  Absterben  doch 
so  wenig  geklärt,  als  daß  man  durch  ihre  Heranziehung  be- 
friedigt sein  könnte.  Man  wird  sich  nicht  damit  zufrieden 
geben  können,  dals  ein  physiologischer  Vorgang  durch  einen 
eigentlich  noch  dunkleren  erklärt  wird.  Es  ist  selbstverständ- 
lich, daß  einen  so  gut  mathematisch  und  physikalisch  gebil- 
deten Kopf  wie  Hermann  diese  Anschauungen  nicht  voll 
befriedigen  konnten,  so  viele  Anerkennung  sie  gefunden  haben 
und  so  oft  sie  nachgesprochen  worden  sind.  Er  hat  wieder- 
holt Versuche  gemacht,  sie  durch  physikalische  Hypothesen  zu 
ersetzen.  Dazu  diente  ihm  vor  allen  die  Ausbildung  der  Lehre 
von  den  Kernleitern.  Schon  Mateucci  hatte  eine  Kombination 
von  metallischen  und  flüssigen  Leitern  aufgefunden,  die  eine 
Reihe  der  am  Nerven  beobachteten  elektrischen  Erscheinungen 
zeigt,  den  sogenannten  Kernleiter.  Hermann  zeigte,  daß 
wichtige  elektrische  Phänomene  des  Nerven  vollständig  am 
Kernleiter  reproduzierbar  sind.  Auf  der  anderen  Seite  aber 
ergab  die  von  Hermann  entwickelte  Theorie  des  Kernleiters, 
die  zu  einer  der  Differentialgleichung  für  die  Wärmeleitung 
analogen  Beziehung  führte,  daß  wohl  eine  an  einer  Stelle  des 
Kernleiters  gesetzte  elektrische  Veränderung  sich  mit  einer 
gewissen,  relativ  geringen,  Geschwindigkeit  über  den  Kernleiter 
fortpflanzen  kann,  daß  aber  diese  Wellen,  ähnlich  wie  die 
Wärmewellen,  keine  konstante  Geschwindigkeit  und  außerdem 
ein  sehr  starkes  Dekrement  besitzen,  was  den  Beobachtungen 
der  Aktionsströme  nicht  entspricht.  Es  muß  also  noch  irgend 
ein  Vorgang  bei  dem  Nerven  stattfinden,  der  an  dem  Kern- 
leiter nicht  möglich  ist.  Hermann  hat  früher  chemische 
Veränderuntjen   an  der  Grenze   zwischen  Hülle  und  Kern  ver- 


Nekrologe  111 

antwortlich  gemacht,  später  hat  er  zugleich  mit  ähnlichen 
Erklärungsversuchen  von  Hoorweg  und  M.  Cremer  darauf 
hingewiesen,  daß  durch  die  Annahme  einer  starken  aber  nur 
schwer  erklärbaren  Selbstinduktion  statt  der  Wärmegleichung 
die  Wellengleichung  resultiert.  Eine  abschließende  rein  physi- 
kalische Theorie  der  Leitung  der  Erregung  im  Nerven  ist 
also  bis  jetzt  noch  nicht  gegeben  worden.  Das  erste  Auf- 
treten einer  elektrischen  Veränderung,  die  durch  den  Reiz 
bewirkt  wird,  hat  Hermann  überhaupt  nicht  in  den  Kreis 
seiner  Betrachtungen  gezogen.  Hierfür  hat  Nerst  seine  The- 
orie aufgestellt,  die  aber  noch  wesentlicher  Modifikationen  be- 
darf, um  wichtige  Erscheinungen  zu  erklären.  Jedenfalls  hat 
Hermann  in  diesem  Gebiet  der  Physiologie  so  bedeutsam  ein- 
gegriffen, daß  sein  Name  stets  mit  ihm  verbunden  bleibt. 
Wenn  die  Theorien  naturgemäß  nicht  abgeschlossen,  sondern 
in  Fluß  sind,  so  bleiben  doch  die  von  Hermann  in  einer 
Fülle  von  höchst  sorgfältigen,  kaum  antastbaren  Versuchen,  er- 
zielten Ergebnisse  für  alle  Zeiten  von  grundlegender  Bedeutung. 
Ein  weiteres  Lieblingsgebiet  von  Hermann  war  die  Bil- 
dung der  Vokale  und  Konsonanten.  In  sinnreicher  Weise 
wandte  er  den  Phonographen  an,  um  die  schon  früher  haupt- 
sächlich von  Helmholtz  vertretene  Anschauung  neu  zu  stützen, 
daß  jedem  Vokal  ein  oder  wenige  charakteristische  Töne  zu- 
kommt, deren  Höhe  von  dem  eigentlichen  Stimmton  relativ 
unabhängig  bleibt.  Er  nannte  diese  charakteristischen  Töne 
Formanten.  Die  Existenz  dieser  Formanten  stellte  er  durch 
photographische  Registrierung  der  Vokalsschwingungen,  ferner 
durch  Analyse  der  Phonographenkurven  fest.  Daß  sie  für  den 
Charakter  der  Vokale  notwendig  sind,  bewies  er  dadurch,  daß 
er  einen  reproduzierenden  Phonographen,  auf  dessen  Walze 
ein  Vokal  registriert  war,  mit  verschiedener  Geschwindigkeit 
laufen  ließ.  Bei  starker  Abweichung  der  Geschwindigkeit  von 
der  bei  dem  Ansprechen  wirkenden,  wurde  der  Charakter  des 
Vokals  vollständig  vernichtet.  Künstliche  Vokalsynthesen,  die 
Hermann  auf  Grund  der  von  ihm  gewonnenen  Registrierung 
vornahm,   bestätigten  die  Richtigkeit  der  Helmholtzschen  und 


112  Nekrologe 

seiner  Anschauung.  Der  Formantton,  der  unharmonisch  zu  dem 
Stiramton  sein  kann,  ist  nach  Hermann,  wie  auch  schon 
frühere  Autoren  angenommen  hatten,  der  Eigenton  der  je 
nach  der  Natur  des  Vokals  geformten  Mundhöhle.  Nicht 
sehr  einfach  ist  die  Erregung  des  Eigentons  zu  erklären. 
Hermann  nimmt  anders  wie  Helmholtz  an,  daß  die  durch 
Anblasen  der  Mundhöhle  erfolgt,  „daß  der  Mundresonator  in 
jeder  Periode  des  Stimmklanges  einmal  auf  kurze  Zeit  vom  Ex- 
spirationsstrom  angeblasen  wird".  Wohl  durch  diese  Unter- 
suchungen ist  Hermann  zu  neuen  Anschauungen  über  die 
Schallwahrnehmungen  gekommen.  Auf  Grund  einer  Reihe 
von  vorher  bekannten  Tatsachen  und  neuen  Versuchen  ver- 
wirft er  die  Helmholtzsche  Resonatorentheorie.  Vor  allem  sind 
die  Tartinischen  Töne  nicht  durch  die  Resonatorentheorie  er- 
klärbar, aber  auch  nicht  die  von  Hermann  selbst  untersuchten 
Unterbrechungstöne.  Hermann  sieht  sich  daher  genötigt, 
die  Annahme  zu  machen,  daß  das  Gehörorgan  jede  Rhythmik 
als  Ton  zur  Empfindung  bringt,  auch  wenn  der  Rhythmus 
auf  einen  Resonator  nicht  wirken  kann.  Er  leugnet  nicht, 
daß  resonatorenartige  Apparate  im  Ohr  vorhanden  sein  könnten. 
Aber  ihre  Existenz  reicht  nicht  aus,  die  verschiedenen  Phäno- 
mene der  Schallempfindungen  zu  erklären.  Wenn  die  Her- 
mannsche  Kritik  der  Helmholtzschen  Theorie  sich  schließlich 
als  richtig  erweisen  sollte,  so  würde  im  gewissen  Sinn  das 
Fehlschlagen  des  Helmholtzschen  Deutungsversuches  zu  be- 
dauern sein.  Es  ist  das  Zugeständnis,  daß  wir  eine  wirkliche 
Erklärung  des  physiologischen  Vorganges  noch  nicht  einmal 
begonnen  haben.  Hermann  faßt  das  Resultat  seiner  Kritik 
selbst  so  auf,  wenn  er  sagt,  „es  fehlt  also  noch  an  einem 
befriedigenden  Verständnis  des  musikalischen  Hörens."  Man 
wird  aber  doch  noch  nicht  das  Bestreben  aufgeben  dürfen,  dem 
Element  aller  Schwingungsvorgänge,  der  einfachen  harmoni- 
schen Schwingung,  seine  prinzipielle  Bedeutung  zu  sichern. 

Es  gibt  fast  kein  Gebiet  der  Physiologie  mit  dem  sich 
Hermann  in  wissenschaftlichen  Untersuchungen  nicht  be- 
schäftigt hätte.     Bei   aller  Universalität,   die   sonst   leicht  von 


Nekrologe  1 1 3 

Problem  zu  Problem  hetzt,  nur  dazu  verleitet,  an  der  Ober- 
fläche zu  bleiben,  war  Hermann  nirgends  dilettantisch,  son- 
dern immer  kritisch,  durchdringend  sorgfältig  und  inter- 
essant. Aus  vielen  Untersuchungen  spricht  sein  mathematisch 
hervorragend  geschulter  Geist.  Die  Neigung  für  die  Mathe- 
matik hat  ihn  wiederholt  dazu  geführt,  Vorlesungen  über  die 
Grundzüge  der  Differential-  und  Integralrechnung  für  Medizin- 
studierende zu  halten.  Wenn  man  sich  auch  über  den  blei- 
benden Erfolg  derartiger  Belehrungen  nicht  täuschen  darf,  so 
haben  sie  zweifellos  ein  gewisses  Interesse  und  auch  einen 
gewissen  Rfspekt  vor  dieser  Wissenschaft  bei  den  Zuhörern 
erreicht.  Es  sind  aber  nicht  bloß  physikalische  Probleme,  die 
Hermann  behandelt  hat.  Wer  sein  bekanntes  Lehrbuch  der 
Physiologie  durchgearbeitet  hat,  weiß,  daß  Hermann  auch 
in  der  physiologischen  Chemie  originelle  Anschauungen  ent- 
wickelt hat.  In  seine  ganze  Denkweise  sind  chemische  Vor- 
stellungen tief  eingedrungen.  Er  war  ja  Schüler  von  Hoppe- 
Seyler.  Maßgebend  hierfür  ist  auch  sein  Eintritt  in  die  Wissen- 
schaft mit  der  Arbeit  über  den  Stoffwechsel  der  Muskeln 
gewesen.  Sie  war  mitbestimmend  für  die  Aufstellung  seiner 
Alterationstheorie.  Muskelstarre  und  Muskelkontraktion  sind 
nach  ihm  ähnliche  Vorgänge.  Von  der  Klarheit  des  Denkens 
auch  auf  diesem  Gebiet  zeigt  besonders  seine  Anschauung  über 
die  Verdauungsvorgänge.  Er  ist  einer  der  ersten  gewesen,  der 
sie  als  hydrolytische  Spaltungen  charakterisiert  hat.  Noch 
moderner  mutet  seine  Auffassung  über  den  Zweck  dieser  Spal- 
tung an,  den  er  so  angibt:  „Die  Spaltung  erfolgt  vielleicht 
nicht  ausschließlich  im  Interesse  der  Resorption,  sondern  sie 
liefert  auch  ein  geeigneteres  Material  für  die  assimilatorischen 
Synthesen;  etwa  wie  zum  Drucken  eines  Buches  der  Satz 
schon  gedruckter  Bücher  nicht  verwendbar  wäre,  wenn  er  nur 
in  Wörter,  statt  in  die  einzelnen  Buchstaben,  zerlegt  ist." 
Unwillkürlich  wird  man  daran  erinnert,  daß  Adolf  Fick,  dessen 
Arbeitsrichtung  vorzugsweise  sich  auf  die  physikalische  Seite 
der  Physiologie  erstreckte,  höchst  eigenartige  und  fruchtbare 
Gedanken  über  den  Chemismus  im  Organismus  entwickelt  und 

Jahrbuch  1915.  8 


114  Nekrologe 

damit   wiederholt    in    die    Stoffwechsellehre    entscheidend    ein- 
gegriffen hat. 

Die  Vielseitigkeit  Hermanns  zeigt  sich  besonders  in 
seinem  Lehrbuch  der  Physiologie,  das  in  vielen  Auflagen  ge- 
druckt worden  ist.  Es  ist  bei  den  jüngeren  Medizinern  wegen 
seiner  Kürze,  vielleicht  auch  wegen  der  Schärfe  der  Deduktion 
und  der  hohen  Ansprüche  an  die  Vorkenntnisse  in  der  Physik 
und  der  Chemie  nicht  gerade  beliebt.  Aber  um  so  mehr  bietet 
es  dem  Fachmann  eine  Fülle  von  Anregungen.  Es  ist  weit 
mehr  als  eine  Kompilation  und  mit  vielen  originellen  Gedanken 
durchsetzt.  Die  gründliche  Kenntnis  des  Gesamtgebietes  machte 
Hermann  auch  in  erster  Linie  berufen,  das  bekannte  Hand- 
buch der  Physiologie  im  Zusammenwirken  mit  bedeutenden 
deutschen  Physiologen  seiner  Zeit  und  den  lange  Jahre  hin- 
durch von  ihm  allein  verfaßten  Jahresbericht  herauszugeben. 
Das  Verschwinden  der  markanten  Persönlichkeit  Her- 
manns vom  Schauplatz  des  Lebens  hat  eine  klaffende  Lücke 
in  die  Reihe  der  Physiologen  Deutschlands  gerissen,  die  nur 
schwer  auszugleichen  ist.  £^       j 

Adolf  Lieben  wurde  am  3.  Dezember  1836  in  Wien  ge- 
boren. Er  wurde  in  den  Elementar-  und  Mittelschulfächern 
zu  Hause  unterrichtet  und  bezog  schon  in  jungen  Jahren  die 
Hochschule  seiner  Vaterstadt,  in  der  Absicht,  sich  den  Natur- 
wissenschaften und  im  besonderen  der  Chemie  zu  widmen.  Er 
hörte  bei  Redtenbacher  und  Schrötter,  aber  wie  viele  junge 
Chemiker  jener  Zeit  zog  auch  ihn  der  Ruf  Bunsens  nach 
Heidelberg,  wo  er  im  Jahre  1857  den  Doktorgrad  erwarb.  Zur 
weiteren  Ausbildung  begab  sich  dann  Lieben  zu  längerem 
Aufenthalt  nach  Paris  in  die  Meisterschule  der  organischen 
Chemie  von  Würtz.  Die  Societe  chimique  de  France"  fand 
damals  in  dem  jungen  österreichischen  Chemiker  einen  ihrer 
Mitbegründer.  Nach  einer  kurzen  Abschweifung  in  die  che- 
mische Industrie  —  Lieben  wurde  auf  Empfehlung  von  Dumas 
in  der  Fabrik  von  Kühlmann  in  Lille  angestellt  —  kehrte  er 
zur  Wissenschaft  zurück,   habilitierte    sich   im  Jahre  1861    in 


Nekrologe  115 

Wien  und  wurde  im  Jahre  1863  auf  Vorschlag  von  Cannizzaro, 
den  er  im  Würtzschen  Laboratorium  kennen  gelernt  hatte  und 
der  anläßlich  des  Karlsruher  Kongresses  (1861)  auf  ihn  auf- 
merksam geworden  war,  nach  Palermo  als  Vizedirektor  des 
dortigen  Universitätslaboratoriuras  berufen.  Vier  Jahre  später 
kam  er  als  Nachfolger  von  Piria  nach  Turin  und  von  dort 
1871  in  sein  Heimatland  zurück  durch  einen  Ruf,  den  die 
deutsche  Universität  in  Prag  an  ihn  ergehen  ließ.  Vom  Jahre 
1875  an  bis  1906,  bis  zur  Erreichung  der  gesetzlichen  Alters- 
grenze, lehrte  und  forschte  er  dann  in  Wien,  wo  er,  noch  bis 
an  sein  Lebensende  in  stetem  Kontakt  mit  seiner  Wissenschaft, 
am  6.  Juni  1914  starb. 

Liebens  Arbeiten  bewegen  sich  fast  ausschließlich  auf 
dem  Gebiet  der  organischen  Chemie.  An  der  experimentellen 
Begründung  der  zu  Beginn  seiner  Tätigkeit  mächtig  aufstreben- 
den Strukturchemie  hat  er  wichtigen  Anteil  genommen  durch 
systematischen  Aufbau  der  einfachsten  Alkohole.  Neben 
manchem  experimentellen  Befund,  der  heute  zu  den  Elementen 
der  organischen  Chemie  gehört,  verdankt  man  ihm  die  bekannte 
Jodoformreaktion  des  Methylalkohols.  Sein  eigentliches 
Lebenswerk,  dem  er  mit  außerordentlicher  Liebe  und  Gründ- 
lichkeit nachgegangen  ist,  war  das  Studium  der  Aldolkon- 
densation,  einer  interessanten,  den  aliphatischen  Aldehyden 
eigentümlichen  Verkettungsreaktion,  die  von  Lieben  in  vor- 
bildlicher Weise  bearbeitet  wurde.  Von  den  wenigen  Arbeiten, 
welche  die  große  Zahl  seiner  Abhandlungen  über  dieses  Thema 
unterbrechen,  ist  besonders  bemerkenswert  die  Untersuchung 
und  Konstitutionsermittlung  der  Chelidonsäure.  Die  aus- 
gezeichnete Lehrtätigkeit  Liebens  prägt  sich  in  der  großen 
Zahl  hervorragender  Schüler  aus.  Hier  seien  nur  genannt: 
Paternö,  Balbiano,  Kachler,  Skraup,  Auer  von  W^els- 
bach,  Zeisel,  Hailinger,   Natterer,  Vortmann. 

Wieland. 


116  Nekrologe  m 

Veit  Brecher  Wittrock  entstammte,  wie  er  dem  Verfasser 
mitteilte,  einer  aus  Holstein  nach  Schweden  eingewanderten 
Familie.  Er  wurde  geboren  am  5.  Mai  1839  in  Holm  (Dals- 
land).  1857  bezog  er  die  Universität  Upsala,  wo  er  auch  eine 
Zeitlang  als  Lehrer  für  Botanik,  Zoologie  und  englische  Sprache 
an  einer  Privatschule  wirkte.  1866  habilitierte  er  sich  dort 
als  Dozent  der  Botanik,  wurde  1871  Extraordinarius  und  siedelte 
im  selben  Jahre  als  Professor  an  die  Stockholmer  Hochschule 
über.  In  der  Landeshauptstadt  bekleidete  er  zugleich  auch 
wichtige  Verwaltungsämter.  So  war  er  1879 — 1904  Inten- 
dant der  botanischen  Abteilung  des  „Naturhistorischen  Reichs- 
museums",  und  seit  lo79  Vorstand  des  „hortus  Bergianus" ; 
auch  als  Abgeordneter  der  zweiten  Kammer  des  schwedischen 
Reichstags  war  er  1888 — 90  tätig. 

Von  diesen  Ämtern  wurde  besonders  von  Bedeutung  die 
Vorstandschaft  des  „hortus  Bergianus".  Dieser  Garten  war  all- 
mählich durch  das  Wachstum  der  Stadt  so  wertvoll  geworden, 
daß  sein  Verkauf  die  Anlage  eines  neuen  großen  wissenschaft- 
lichen Instituts  ermöglichte.  Dieses  zu  einem  in  jeder  Beziehung 
ganz  vortrefflichen  ausgestaltet  zu  haben,  ist  Wittrocks  eigen- 
stes Verdienst.  Er  war  nicht  nur  der  wissenschaftliche  Leiter 
sondern  auch  sein  eigener  Garteninspektor. 

1885  wurde  die  Verlegung  nach  „Frascati"  durchgeführt. 
An  einem  landschaftlich  reizvollen  Platz  am  Mälarsee  wurde 
mit  feinem  Verständnis  ein  eigenartiger,  sehr  lehrreicher  Garten 
errichtet,  von  dessen  umfangreicher  wissenschaftlicher  Tätigkeit 
mehrere  Bände  der  „Acta  horti  Bergiani"  Zeugnis  geben.  Dort 
konnte  man  Wittrock,  der  früher  viel  gereist  war,  aber  seit 
1885  Schweden  wohl  kaum  mehr  verlassen  hat,  und  sich  immer 
mehr  zum  „Original"  entwickelte,  inmitten  seiner  „Iconotheca 
botanica"  —  einer  Sammlung  von  etwa  4000  Botanikerbildern  — 
jederzeit  in  eifrigster  Tätigkeit  antreffen. 

Auch  im  Hochsommer  war  er  (weil  er,  wie  er  sich  aus- 
drückte, zu  den  „Kaltblütern"  gehöre)  von  zwei  Pelzmänteln 
umhüllt;  seine  Nahrungsaufnahme  beschränkte  sich  auf  ein 
Minimum.    Trotzdem  erreichte  er  ein  hohes  Alter.     Am  5.  Mai 


Nekrologe  117 

1914  wurde  unter  reger  Teilnahme  seiner  Freunde  und  Ver- 
ehrer sein  75.  Geburtstag  gefeiert.  Am  1.  September  desselben 
Jahres  starb  er. 

Seine  wissenschaftliche  Tätigkeit  bewegte  sich  hauptsäch- 
lich auf  dem  Gebiete  der  Algologie,  dem  des  Artbegriffes  und 
der  Prinzipien  der  Systematik  und  dem  der  Geschichte  der 
Botanik. 

Auf  allen  diesen  Gebieten  hat  er  Vortreffliches  geleistet, 
am  wichtigsten  sind  wohl  seine  Arbeiten  auf  dem  zweitgenannten 
geworden.  Hier  können  nur  kurz  einige  Hauptpunkte  hervor- 
gehoben werden. 

Algologische  Untersuchungen  sind  in  Schweden  seit  der 
ersten  Hälfte  des  vorigen  Jahrhunderts  mit  Vorliebe  gepflegt 
worden.  Angeregt  wohl  von  dem  älteren  Areschoug  hat  auch 
Wittrock  sich  auf  diesem  Gebiete  zunächst  betätigt.  Ab- 
gesehen von  zahlreichen  Beiträgen  zur  systematischen  Kennt- 
nis von  Algenformen  (Oedogoniaceen ,  Zygnemaceen  u.  a.), 
waren  besonders  seine  Untersuchungen  über  die  vorher  so  gut 
wie  unbekannten  Pithophoraceen  wichtig  (1876). 

Die  schöne  Abhandlung  über  die  Flora  des  ewigen  Schnees 
und  Eises  lehrte  eine  überraschend  große  Anzahl  von  Algen 
kennen,  die  unter  Bedingungen  leben,  die  auf  den  ersten  Blick 
als  Negation  pflanzlichen  Lebens  erscheinen.  Seine  Unter- 
suchungen zur  Art-Frage  waren  zugleich  auch  für  Aufklärung 
von  Problemen,  die  sich  auf  den  Ursprung  der  Kulturpflanzen 
beziehen,  wichtig.  So  gelang  es  ihm  in  seinen  „Violastudien" 
nicht  nur  den  Polymorphismus  von  V.  tricolor  aufzuklären, 
sondern  auch  die  Entstehung  der  Kulturformen  durch  Ba- 
stardierung (aus  drei  Arten)  nachzuweisen  —  eine  Unter- 
suchung, auf  welche  in  den  Erörterungen  über  die  Mutations- 
theorie vielfach  Bezug  genommen  wurde. 

Eine  andere  ausgedehnte  Untersuchungsreihe  bezog  sich 
auf  Linnaea  borealis  und  in  seinem  Versuchsgarten  wuchsen 
noch  eine  Anzahl  anderer  Pflanzen  (Salvia  pratensis,  Stellaria 
media  u.  a.),  die  er  in  ähnlicher  Weise  zu  bearbeiten  gedachte. 


118 


Nekrologe 


Seine  Fähigkeit,  das  prinzipiell  Wichtige  kurz  und  gena 
in  Worten  wiederzugeben,  kam  ihm  auch  für  seine  historischen! 
Studien  zugute.     Nicht  nur  schilderte  er  z.  B.  Linnes  Bedeu 
tung  für  die  Botanik  mit  besonderer  Liebe,  die  Ausführungen, 
die  er  den  von  ihm  veröffentlichten  Botanikerbildern  beigab,  sin 
auch  eine  Geschichte  der  Botanik  in  nuce,  wie  denn  das  ganze 
Unternehmen  in  einer  so  unhistorischen  Zeit  wie  der  unsrigen 
als  ein  besonders  dankenswertes  bezeichnet  werden  muß. 

Nur  eine  große  Energie  und  ein  besonderes  Geschick  in 
der  Ausnützung  der  Zeit  konnte  eine  so  reiche  Tätigkeit  er- 
möglichen, wie  sie  Wittrock  vergönnt  war. 

Goebel 


Am  5.  November  1914  starb  der  Senior  der  deutschen 
Zoologen  wirklicher  Gelieimer  Rat  August  Weismann,  Professor 
emeritus  der  Zoologie  an  der  Universität  Freiburg  i.  B.,  seit 
dem  Jahr  1884  Mitglied  unserer  Akademie.  Mit  ihm  schied 
einer  der  hervorragendsten  und  zugleich  sympathischsten  Ver-j 
treter  der  biologischen  Wissenschaften  aus  dem  Leben. 

August  Weismann  wurde  am  17.  Januar  1834  in  Frank- 
furt a.  M,  als  Sohn  eines  Gymnasialprofessors  geboren.  Durcl 
die  künstlerischen  Neigungen  seiner  Eltern,  besonders  seinei 
Mutter,  welche  selbst  eine  ausübende  Malerin  war,  wurde  dasi 
Herz  des  heranwachsenden  Knaben  mit  lebhaftem  Kunst-1 
Interesse  erfüllt,  welches  durch  häufigen  Besuch  des  Staedel- 
schen  Instituts  und  Teilnahme  an  dem  daselbst  erteilten  Zeichen- 
unterricht wirksame  Förderung  erfuhr  und  auch  dem  gereiften 
Mann  bis  zu  seinem  Lebensende  treu  blieb.  Dasselbe  wandte 
sich  später  vor  allem  der  Musik  zu,  für  welche  sowohl  Weis- 
mann selbst  wie  seine  spätere  Gemahlin  eine  hervorragende 
Begabung  besaßen  und  die  ihm  in  den  schweren  Stunden  lang- 
jährigen Leidens  eine  Trösterin  wurde.  Frühzeitig  wurde  auch 
das  Interesse  für  Naturwissenschaften  rege.  Noch  als  Gym- 
nasiast sammelte  Weismann  Schmetterlinge,  Käfer  und  Pflanzen 
und    erwarb    sich    systematische   Kenntnisse,    welche   ihm    bei 


Nekrologe  1 1  ö 

seinen  späteren  wissenschaftlichen  Untersuchungen  zur  De- 
szendenztheorie von  großem  Vorteil  wurden.  Vorübergehend 
wurden  diese  biologischen  Neigungen  infolge  der  Vorträge 
des  Professors  Böttger  am  Senckenbergischen  Institut  zu 
Gunsten  der  exakten  Wissenschaften,  vor  allem  der  Chemie, 
in  den  Hintergrund  gedrängt,  so  daß  Weismann,  als  es  galt 
nach  bestandenem  Abiturienten-Examen  sich  für  einen  Lebens- 
beruf zu  entscheiden,  geneigt  war  Chemie  zu  studieren.  Die 
Notwendigkeit  sich  für  ein  Brotstudium  zu  entscheiden,  führte 
aber  zur  Wahl  der  Medizin,  wobei  der  Rat  des  öfters  nach 
Göttingen  kommenden  Wo  hier  maßgebend  war.  Immerhin 
wirkten  die  chemischen  Neigungen  noch  längere  Zeit  nach 
und  waren  Ursache,  daß  Weismann  in  Göttingen  sich  an 
der  Lösung  einer  chemisch-physiologischen  Preisarbeit  (über 
die  Entstehung  der  Hippursäure  im  Harn  der  Pflanzen- 
fresser, 1857)  beteiligte  und  sogar  später  ein  Jahr  lang  Assi- 
stent am  chemischen  Institut  zu  Rostock  wurde,  wo  er  aber- 
mals eine  chemische  Preisaufgabe  löste  (Über  den  Salzgehalt 
der  Ostsee,  1858). 

Nach  Abschluß  seiner  medizinischen  Studienzeit  in  Göttingen 
und  zwei  Jahren  Assistententätigkeit  an  der  Klinik  und  dem 
chemischen  Laboratorium  in  Rostock  kehrte  Weis  mann  1858 
nach  seiner  Vaterstadt  Frankfurt  zurück,  um  sich  als  prak- 
tischer Arzt  niederzulassen ,  ohne  jedoch  in  seiner  neuen 
Tätigkeit  Befriedigung  zu  finden;  und  so  benutzte  er  die 
Muße,  welche  ihm  seine  Praxis  gönnte,  zu  mikroskopisch- 
biologischen Untersuchungen  über  den  Bau  der  Muskulatur, 
welche  ihn  zur  Unterscheidung  zweier  Typen  des  Muskel- 
gewebes führten.  Beim  Ausbruch  des  französisch-italienischen 
Kriegs  gegen  Österreich  trat  er  als  Militärarzt  in  die  badische 
Armee  ein,  nahm  aber,  als  Deutschland  in  den  Krieg  nicht  ver- 
wickelt wurde,  Urlaub,  um  in  den  österreichischen  Lazaretten 
Oberitaliens  tätig  zu  sein  und  nach  dem  Friedensschluß  eine 
Reise  nach  den  wichtigsten  Kunststätten  Oberitaliens  zu  unter- 
nehmen. Diese  Reise  wurde  für  seine  Zukunft  insofern  be- 
deutungsvoll,   als  er  in   Genua   freundschaftliche  Beziehungen 


120  Nekrologe 

zur  Familie  Gruber  anknüpfte  und  später  die  Tochter  des 
Hauses  als  treue   verständnisvolle  Lebensgefährtin   heimführte. 

Nach  Frankfurt  zurückgekehrt,  entschloß  sich  Weismann 
sich  ganz  der  Zoologie  zu  widmen;  zu  dem  Zweck  verbrachte 
er  einige  Monate  in  Paris  am  Jardin  des  Plantes  und  später 
kurze  Zeit  in  Grießen  im  Laboratorium  Leuckarts  mit  selb- 
ständigen Arbeiten  beschäftigt.  Seinem  Entschluß  wurde  er 
auch  nicht  untreu,  als  er  Gelegenheit  hatte  Leibarzt  des  Erz- 
herzogs Stephan  zu  werden,  welcher  auf  seinem  Schloß 
Schaumburg  a.  d.  Lahn  in  größter  Zurückgezogenheit  lebte. 
Im  Gegenteil,  die  reiche  Muße,  welche  ihm  seine  Stellung  bot, 
benutzte  er,  um  seine  zoologischen  Kenntnisse  auszubauen  und 
seine  ersten  umfangreicheren  Untersuchungen  speziell  zoolo- 
gischen Inhalts  (Über  die  Entwicklungsgeschichte  der  Insekten) 
zu  beginnen  und  der  Hauptsache  nach  auch  abzuschließen. 

Nach  zweijähriger  Tätigkeit  in  Schaumburg  legte  Weis- 
mann seine  Stelle  als  Leibarzt  nieder  und  habilitierte  sich 
am  Anfang  des  Jahres  1863  für  Zoologie  in  der  medizinischen 
Fakultät  der  Universität  Freiburg  i.  B.  Für  seine  Wahl  des 
Orts  war,  wie  er  selbst  sagt,  der  „bezaubernde  Eindruck" 
maßgebend,  den  „das  stille  liebliche,  im  Grün  seiner  Reben 
eingebettete  Städtchen  mit  seinem  lindenbepflanzten  Wall, 
den  klaren  „Bächle"  in  den  Straßen  und  dem  prächtig  ernsten 
stimmungsvollen  Münster  auf  ihn  machte".  3  Jahre  später 
wurde  er  außerordentlicher  Professor;  1874  wurde  er  zum 
ordentlichen  Professor  der  Zoologie  in  der  philosophischen 
Fakultät  ernannt,  als  erster,  welcher  diese  vordem  nicht  exi- 
stierende Stellung  bekleidete.  Er  ist  diesem  seinem  Wirkungs- 
kreis bis  zum  Jahr  1911  treu  geblieben,  wo  die  zunehmende 
Bürde  des  Alters  ihn  veranlaßte,  von  seiner  so  außergewöhnlich 
erfolgreichen  Lehrtätigkeit  zurückzutreten.  Von  dem  ihm  so 
teuer  gewordenen  Freiburg  hat  ihn  nur  der  Tod  trennen  können. 
Gleichwohl  hatte  es  ihm  nicht  an  Gelegenheit  gefehlt,  den  in 
den  ersten  Jahrzehnten  seiner  Lehrtätigkeit  sehr  bescheidenen 
Wirkungskreis,  der  erst  in  späteren  Jahren  durch  den  außer- 
ordentlichen Aufschwung  der  Universität  sich   zu  einem  glän- 


Nekrologe  121 

zenden  gestaltete,  gegen  Stellungen  an  größeren  Universitäten 
einzutauschen.  Von  den  an  ihn  ergangenen  Rufen  nach 
Breslau,  Bonn  und  München  war  besonders  der  letztere  für 
ihn  sehr  verlockend  gewesen,  da  die  Stadt  für  seine  viel- 
seitigen künstlerischen  Interessen,  vor  allem  für  seine  Liebe 
zur  Musik  ein  starker  Anziehungspunkt  war. 

In  die  erste  Zeit  seiner  Tätigkeit  als  Privatdozent  in 
Freiburg  fiel  ein  harter  Schicksalsschlag,  welcher  auch  für 
die  Richtung,  die  Weismanns  wissenschaftliche  Tätigkeit 
genommen  hat,  von  großer  Bedeutung  geworden  ist.  Im 
Sommer  1864,  während  der  Leitung  eines  mikroskopischen 
Kurses,  wurde  er  plötzlich  von  einem  schweren  Augenleiden 
befallen,  welches  ihm  auf  viele  Jahre  das  Arbeiten  mit  dem 
Mikroskop  unmöglich  machte  und  ihn  zwang,  auch  das  Lesen 
und  Schreiben  einzuschränken.  Es  begann  für  den  Erkrankten 
eine  Leidenszeit,  so  daß  er  wiederholt  vor  die  Frage  gestellt 
war,  ob  er  nicht  ganz  auf  seine  zoologische  Laufbahn  ver- 
zichten solle.  Nach  2  jähriger  völliger  Unterbrechung  der 
Lehr-  und  Arbeitstätigkeit  in  den  Jahren  1870/1871,  die  er 
zum  Teil  in  Italien  verbrachte,  konnte  Weismann  zunächst 
seine  Vorlesungen  und  vom  Jahr  1874  ab  —  nach  10  jähriger 
Unterbrechung  —  auch  wieder  die  mikroskopischen  Arbeiten 
beginnen.  Immerhin  blieben  die  Augen  der  Schonung  be- 
dürftig und  nach  weiteren  10  Jahren  war  der  Zustand  wieder 
so  ungünstig,  daß  er  zwar  die  mikroskopischen  Präparate 
seiner  Schüler  kontrollieren,  aber  auf  eigene  mikroskopische 
Untersuchungen  gänzlich  verzichten  mußte.  Im  letzten  Jahr- 
zehnt seines  Lebens  war  er  sogar  darauf  angewiesen,  sich 
vorlesen  zu  lassen.  Es  ist  begreiflich,  daß  diese  Verhältnisse 
auch  auf  die  Entwicklung  von  Weismanns  wissenschaftlicher 
Arbeitsweise  ihren  Einfluß  ausüben  mußten.  Er  wurde  genötigt, 
mehr  in  die  methodische  geistige  Durcharbeitung  des  Materials 
als  in  die  Sammlung  neuer  Beobachtungen  den  Schwerpunkt 
seiner  wissenschaftlichen  Tätigkeit  zu  verlegen.  Diese  Arbeits- 
weise wurde  noch  weiter  durch  den  Charakter  der  damaligen 
Zeit  begünstigt.     Es   war   die  Zeit,   in   welcher  die  Darwin- 


122  Nekrologe 

sehe  Theorie,  wenige  Jahre  vorher  veröffentlicht,  im  Mittel- 
punkt des  wissenschaftlichen  Interesses  stand  und  ihren  Sieges- 
lauf begann.  Weis  mann  gehörte  zu  den  ersten,  welche  die 
große  Bedeutung  der  neuen  Theorie  in  ihrer  ganzen  Trag- 
weite erkannten  und  nicht  nur  für  die  Abstammungslehre  im 
weiteren  Sinn,  sondern  auch  für  die  besondere  Form,  welche 
ihr  Darwin  durch  seine  Selektionstheorie  gegeben  hat,  mit 
aller  Entschiedenheit  eintraten.  In  die  Zeit  seines  ersten 
schweren  Augenleidens  fallen  daher  außer  einigen  Veröffent- 
lichungen, welche  auf  vorausgegangene  mikroskopische  For- 
schungen Bezug  haben,  nur  zwei  kleinere  Schriften,  welche 
bestimmt  waren  die  Berechtigung  der  Darwinschen  Theorie 
nachzuweisen  und  sie  gegen  die  Migrationstheorie  M.  Wagners 
zu  verteidigen. 

Als  nach  10 jähriger,  mit  bewundernswerter  Geduld  er- 
tragener Krankheit  eine  erfreuliche  Besserung  im  Zustand 
seiner  Augen  Weis  mann  gestattete  von  neuem  mit  eigenen 
wissenschaftlichen  Arbeiten  zu  beginnen,  war  es  das  rückhalts- 
lose Eintreten  für  die  Selektionstheorie  und  die  außergewöhnliche 
Schärfe  und  Konsequenz,  mit  der  er  alle  mit  dem  Darwinismus 
zusammenhängenden  Fragen  durchdachte,  welche  für  seine 
gesamte  weitere  Arbeitsweise  charakteristisch  wurden.  So 
erschienen  eine  Reihe  Epoche  machender  Werke  und  kürzerer 
und  längerer  Aufsätze,  welche  den  bis  dahin  nur  wenig  hervor- 
getretenen Gelehrten  in  kurzer  Zeit  in  die  Zahl  der  ersten 
lebenden  Zoologen  stellten  und  seinem  Namen  eine  weit  über 
die  Fachkreise  und  sein  engeres  Vaterland  hinausreichende 
Berühmtheit  verliehen. 

Die  Reihe  seiner  Untersuchungen  eröffneten  seine  Studien 
zur  Deszendenztheorie,  welche  durch  ein  glückliches  Zu- 
sammenwirken von  Experiment  und  Beobachtung  ganz  neues 
Licht  über  den  Saisondimorphismus  der  Schmetterlinge,  über 
die  Gesetzmäßigkeit  in  der  Entwicklung  der  Raupenzeichnungen 
und  die  merkwürdigen  Erscheinungen  der  Axolotlverwand- 
lung  verbreiteten.  Ihm  galt  es  durchzuführen,  daß  die  Um- 
bildung der  Arten  durch  kleine,  durch  die  Zuchtwahl  befestigte 


Nekrologe  123 

Abänderungen  erfolge.  Besonders  glücklich  war  er  dabei  in 
der  Erklärung  der  Metamorphose  des  Axolotl,  welche  bis 
dahin  allgemein  wenn  auch  mit  Unrecht  geradezu  als  ein 
Schulbeispiel  der  sprunghaften  Variation  gegolten  hatte.  Weis- 
mann wies  nach,  daß  die  Metamorphoso  des  kiementragenden 
Axolotl  zum  Salamander  ähnlichen  Amhlystoma  kein  Neuerwerb 
sei,  sondern  eine  Rückkehr  zur  normalen  Entwicklungsweise, 
daß  es  sich  dagegen  um  eine  Entwicklungshemmung  handele, 
wenn  der  Axolotl  vielfach  zu  einer  Zeit,  in  welcher  er  noch 
die  Kiemen  besitzt,  geschlechtsreif  werde. 

Eine  weitere  Bestätigung  der  Zuchtwahllehre  erblickte 
Weismann  in  den  Portpflanzungserscheinungen  der  Daphniden. 
Auch  hierbei  wurde  durch  gewissenhafte  Beobachtung,  metho- 
dische Züchtung  und  experimentelle  Untersuchung  ein  reiches 
empirisches  Material  gewonnen  und  in  scharfsinniger  Weise 
ausgenutzt,  um  die  Entstehung  der  zyklischen  Fortpflanzung 
dieser  Tiere  zu  erklären.  Weismann  kommt  zum  Schluß, 
daß  der  Übergang  der  parthenogenetischen  Fortpflanzung  zur 
geschlechtlichen  Fortpflanzung  nicht  unmittelbar  von  den 
äußeren  Existenzbedingungen  abhänge,  sondern  Folge  einer 
konstitutionellen  erblichen  Beschaffenheit  sei,  welche  durch 
den  Kampf  ums  Dasein  herangezüchtet  wurde. 

Unter  dem  Einfluß  der  mitgeteilten  Untersuchungen  ent- 
wickelte sich  Weismann  immer  mehr  zu  einem  Gegner  der 
Lamarckistischen  Lehre,  daß  die  Anpassung  der  Organismen 
an  ihre  Umgebung  von  dieser  selbst  bestimmt  werde,  indem 
der  Wechsel  der  Existenzbedingungen  die  Organe  entweder 
unmittelbar  oder  vermöge  ihrer  veränderten  funktionellen  In- 
anspruchnahme umgestalte.  Hierbei  wurde  er  auf  die  Probleme 
der  Vererbung  geführt,  welche  ihn  während  der  letzten  Dezennien 
seines  Lebens  fast  vollkommen  beschäftigten;  er  entwickelte 
eine  Theorie  der  Vererbung,  welche  er  mit  einem  bewunderns- 
werten Scharfsinn  und  großer  Konsequenz  nach  allen  Richtungen 
ausbaute.  Zu  einer  derartigen  theoretischen  Forschungsweise 
hatte  er  um  so  mehr  Veranlassung,  als  die  erneute  Zunahme 
seines  Augenleidens    ihn    immer  mehr    zwang    die  eigene   Be- 


124  Nekrologe 

obachtungstätigkeit  einzuschränken  und  für  diese  Beschränkung 
seiner  Forschertätigkeit  in  der  Förderung  theoretischer  An- 
schauungen Ersatz  zu  suchen. 

Die  Grundlage  dieser  Vererbungstheorie  ist  die  Lehre  von 
der  Kontinuität  des  Keimplasma,  die  Lehre,  daß  in  den 
Geschlechtszellen,  wie  auch  andere  Forscher  zum  Teil  schon 
vor  ihm  auseinandergesetzt  haben,  eine  besondere  Vererbungs- 
substanz, das  „ Keim pl asm a",  enthalten  sei;  dieses  werde  von 
einer  Generation  auf  die  nächstfolgende  übertragen,  da  ja  die 
Geschlechtszellen  eines  vielzelligen  Organismus  durch  Teilung 
die  Geschlechtszellen  der  folgenden  Generation  liefern,  wie  sie 
selbst  durch  Teilung  von  den  Geschlechtszellen  der  voraus- 
gegangenen Generation  entstanden  sind.  Weismann  formulierte 
auf  Grund  dieser  Lehre  einen  Gegensatz  zwischen  den  Geschlechts- 
zellen einerseits,  welche,  indem  sie  seit  den  Anfängen  des  Lebens 
eine  von  Generation  zu  Generation  fortlaufende  Reihe  bilden, 
potentiell  unsterblich  seien,  und  den  dem  Tod  früher  oder 
später  verfallenden  Körperzellen  andererseits.  In  seiner  Mono- 
graphie „Die  Entstehung  der  Sexualzellen  der  Hydromedusen" 
führt  er  an  einer  bestimmten  Tiergruppe  durch,  daß  diese 
Differenzierung  von  „somatischen"  Zellen  und  Geschlechtszellen 
je  nach  den  Arten  bald  früher  bald  später  erkennbar  werde. 
Da  den  Frotozoen  vermöge  ihrer  Einzelligkeit  der  Gegensatz 
zwischen  Soma  und  Geschlechtszellen  noch  fehle,  seien  diese 
im  gleichen  Sinn  wie  die  Geschlechtszellen  der  vielzelligen 
Tiere  unsterblich. 

Auf  Grund  dieser  scharfen  Unterscheidung  von  Geschlechts- 
und Körperzellen  leugnete  Weismann  die  Möglichkeit,  daß 
Veränderungen  der  Körperzellen,  wie  sie  durch  den  Einfluß 
der  Umgebung  oder  den  verschiedenen  Gebrauch  der  Organe 
hervorgerufen  werden,  gleichsinnige  Veränderungen  an  den 
Geschlechtszellen  und  durch  deren  Vermittelung  an  den  von 
den  Geschlechtszellen  abstammenden  Tochterorganismen  veran- 
lassen können.  Er  wurde  damit  immer  mehr  zum  Hauptgegner 
der  Lehre  von  der  Vererbung  erworbener  Eigenschaften, 
welche    die   Voraussetzung    des    Lamarekismus   ist,    und    zu 


Nekrologe  125 

einem  radikalen  Verteidiger  der  Selektionslehre,  welche  er  in 
zahlreichen  Schriften,  vor  allem  in  seinen  , Vorträgen  über 
die  Deszendenztheorie"  und  in  seinem  Werk  „Die  Allmacht 
der  Naturzüchtung"  gegen  die  zunehmende  Zahl  ihrer 
Gegner  verteidigte.  In  diesem  Kampf  gegen  die  Lehre  von 
der  Erblichkeit  erworbener  Eigenschaften  hat  Weismann 
sich  ein  sehr  großes  Verdienst  erworben,  welches  auch  von 
denen,  welche  seine  Ansichten  nicht  teilen,  rückhaltlos  an- 
erkannt wird.  Ihm  gebührt  das  Verdienst,  in  überzeugender 
Weise  dargetan  zu  haben,  daß  die  vielen  in  der  Literatur 
lange  Zeit  aufgeführten  Beispiele  für  die  Existenz  erworbener 
Eigenschaften,  namentlich  für  die  Erblichkeit  von  Verstüm- 
melungen, ein  völlig  unzureichendes  Beweismaterial  seien. 
Damit  ergab  sich  die  Notwendigkeit,  mit  neuen  exakten 
Methoden,  vor  allem  mit  Hilfe  des  Experiments  die  ungeheuer 
wichtige  Frage  zu  prüfen. 

Den  Abschluß  von  Weismanns  Vererbungstheorie  bildet 
seine  , Determinantenlehre",  welche  einerseits  die  Frage 
nach  der  Konstitution  der  Erbsubstanz  zu  beantworten  sucht, 
andererseits  die  Frage,  in  welcher  Weise  die  Erbsubstanz  im 
Lauf  der  Ontogenie  sich  entfaltet  und  Ursache  wird,  daß  die 
anfänglich  gleichen  oder  gleich  aussehenden  Embryonalzellen 
sich  differenzieren  und  das  Material  der  verschiedenen  Organ- 
anlagen liefern. 

Weismann  faßt  in  seiner  Determinantenlehre  den  Orga- 
nismus als  ein  Mosaik  von  Eigenschaften  auf,  dem  im  Keim 
ein  Mosaik  von  Anlagen  entspricht.  Jede  Eigenschaftsanlage 
besitzt  in  dem  Keimplasma  ein  materielles  Substrat  in  Form 
eines  kleinsten  Teilchens;  diese  Träger  der  Eigenschaftsanlagen 
sind  die  Determinanten  oder  Iden;  sie  sind  nach  Weismann 
entsprechend  den  auch  von  anderen  Seiten  entwickelten  Lehren 
in  den  Chromosomen  enthalten,  welche  Anhäufungen  von  Iden, 
Idanten  sind.  Indem  sich  im  Lauf  der  Embryonalentwicklung 
die  Determinanten  auf  dem  Wege  „erbungleicher  Teilung" 
auf  die  einzelnen  Zellgruppen  verteilen,  lösen  sie  in  ihnen 
Differenzierungsvorgänge    aus    und    werden   Ursache,    daß    die 


126  Nekrologe 

im  Keim  präformierte,  aber  unseren  Sinnen  nicht  wahrnehm- 
bare Verschiedenartigkeit  zum  Ausdruck  gelangt. 

Mit  seiner  Theorie  der  Vererbung  verband  Weismann 
die  Frage  nach  dem  Wesen  und  der  Bedeutung  der  Be- 
fruchtung. Im  Befruchtungsprozeß  der  vielzelligen  Tiere 
und  Pflanzen  sind  zwei  Vorgänge  kombiniert:  1.  die  Entwick- 
lungserregung, vermöge  deren  das  bis  dahin  entwicklungs- 
unfähige Ei  die  Möglichkeit  gewinnt  sich  zu  teilen  und  einen 
neuen  Organismus  zu  liefern,  2.  die  Vereinigung  der  im  Ei 
enthaltenen  mütterlichen  mit  der  vom  Spermatozoon  gelieferten 
väterlichen  Erbmasse,  ein  Vorgang,  für  welchen  Weismann  den 
neuen  Namen  „Amphimixis"  eingeführt  hat.  Nach  Weis- 
mann ist  das  Wesentliche  an  der  Befruchtung  die  Amphimixis. 
In  ihr  erblickt  er  einen  wichtigen  Faktor  für  die  Entstehung 
neuer  Arten.  Denn  indem  bei  der  Befruchtung  eine  neue 
Kombination  von  Eigenschaften  eintrete,  nämlich  der  vom 
Vater  stammenden  mit  denen  der  Mutter,  werde  die  nötige 
Variabilität  herbeigeführt,  deren  die  Natur  bedürfe,  um  auf 
dem  Weg  der  Auslese  neue  Arten  zu  erzeugen. 

Die  hier  versuchte  kurze  Skizze  von  Weismanns  wich- 
tigsten Forschungen  wird  es  verständlich  machen,  daß  jahr- 
zehntelang seine  Anschauungen  der  Gegenstand  lebhaftester 
Erörterungen  gewesen  sind,  und  sein  Name  auch  außerhalb  der 
engeren  Kreise  der  Fachgenossen  sich  hohen  Ansehens  erfreute. 
Viel  hat  dazu  auch  beigetragen,  daß  er  eine  fest  in  sich 
geschlossene  wissenschaftliche  Persönlichkeit  war,  welche  in 
ganz  außergewöhnlicher  Weise  es  verstand,  sich  in  ein  Problem 
zu  vertiefen.  Auch  wer  ihn  nicht  kannte,  mußte  aus  seinen 
Werken  das  Gefühl  gewinnen,  daß  alle  seine  Lehren  der  Aus- 
fluß einer  ernsten,  auf  reicher  Gedankenarbeit  beruhenden 
Überzeugung  waren.  In  dieser  mit  großer  Lehrbefähigung 
gepaarten  Überzeugungstreue  ist  der  große  Lehrerfolg  bedingt, 
welchen  er  trotz  der  durch  sein  Augenleiden  bedingten  Schwierig- 
keiten bei  der  heranwachsenden  Jugend  hatte.  In  seinen  Vor- 
lesungen über  Deszendenztheorie  vereinigte  er  Angehörige  der 
verschiedensten   Fakultäten.      Sein   Institut    war    der   Sammel- 


Nekrologe  127 

punkt  zahlreicher  Spezialschüler,  aus  deren  Zahl  eine  Reihe 
unserer  tüchtigsten  Zoologen  hervorgegangen  sind.  Wenigen 
Zoologen  sind  so  reiche  wissenschaftliche  Ehrungen  zuteil 
geworden,  an  denen  sich  Bayern  durch  seine  Ernennung  zum 
auswärtigen  Mitglied  unserer  Akademie  und  durch  die  Verleihung 
des  Maximiliansordens  für  Kunst   und  Wissenschaft  beteiligte. 

Hartwig. 

Nils  Christofer  Duner,  geboren  am  21.  Mai  1839  in  Bille- 
berga  (Provinz  Schonen),  Schweden,  wo  sein  Vater  Pfarrer 
war,  wurde  nach  bestandenem  Abiturientenexamen  1855  Student 
in  Lund,  wo  er  1862  den  Doktorgrad  erwarb.  Bereits  1858 
wurde  er  als  Extra- Assistent  an  der  Sternwarte,  und  1859  am 
Physikalischen  Institut  in  Lund  angestellt.  1862  wurde  er 
dann  zum  ordentlichen  Assistenten  und  1864  zum  Observator 
der  Lunder  Sternwarte  ernannt.  Am  30.  September  1887  er- 
folgte seine  Ernennung  zum  a.  o.  Professor  der  Astronomie  an 
der  Universität  Lund.  Schon  im  folgenden  Jahr  wurde  er 
aber  nach  Upsala  als  ordentlicher  Professor  an  der  Universität 
und  Direktor  der  Sternwarte  berufen.  In  dieser  Stellung  blieb 
er,  bis  er  1909  als  Emeritus  in  den  Ruhestand  trat.  Die  letzten 
Jahre  verlebte  er  zuerst  in  Upsala  und  siedelte  später,  Ende 
September,  1914  nach  Stockholm  über. 

In  den  letzten  Monaten  waren  seine  Kräfte  etwas  herab- 
gemindert, doch  konnte  er  noch  im  August  eine  Reise  nach 
Helgum  im  nördlichen  Schweden  vornehmen,  wo  er  die  totale 
Sonnenfinsternis  beobachtete.  Ungefähr  zur  Zeit  seiner  Über- 
siedlung nach  Stockholm  verschlimmerte  sich  seine  Krankheit 
aber  plötzlich,  und  nach  einigen  Wochen,  am  10.  November 
1914,  verschied  er. 

Von  den  zahlreichen  wissenschaftlichen  Arbeiten  Duners 
mögen  hier  nur  einige  der  wichtigsten  erwähnt  werden.  Nach- 
dem der  große  Refraktor  der  neuen  Sternwarte  in  Lund  im 
Jahre  1867  aufgestellt  worden  war,  begann  Dunör  eine  syste- 
matische Beobachtung  der  Doppelsterne  nebst  einer  eingehenden 
Diskussion  der  älteren  Beobachtungen.     Die  Resultate  dieser 


128  Nekrologe 

umfassenden  Arbeiten  sind  in  der  1876  veröffentlichten  Ab- 
handlung „Mesures  micrometriques  d'etoiles  doubles,  faites  a 
l'Observatoire  de  Lund,  suivies  de  notes  sur  leurs  mouvements 
relatifs"  vereinigt.  Diese  Abhandlung,  bekanntlich  eine  der 
Hauptquellen  für  die  Kenntnis  der  Doppelsterne,  stellte  Duner 
in  die  erste  Reihe  der  Doppelsternforscher. 

Nach  Beendigung  dieser  Arbeit  widmete  sich  Duner  u.  a. 
dem  Studium  der  Fixsternspektra.  Er  unternahm  eine  syste- 
matische genaue  Untersuchung  der  Spektra  der  rötlichen  und 
roten  Sterne  (dritte  Vogelsche  Klasse).  Die  hauptsächlichsten 
Resultate  dieser  Untersuchungen  faßte  er  in  der  bekannten 
Arbeit  „Sur  les  etoiles  ä  spectre  de  la  troisieme  classe"  (1884) 
zusammen. 

Die  vielleicht  hervorragendste  Arbeit  Duners  war  seine 
auf  spektroskopischem  Wege  nach  dem  Dopplerschen  Prinzipe 
ausgeführte  Untersuchung  über  die  Rotation  der  Sonne.  Die 
im  Jahre  1891  veröffentlichte  Abhandlung  „Recherches  sur 
la  rotation  du  Soleil"  enthält  die  Ergebnisse  seiner  in  Lund 
ausgeführten  Messungen.  Mehrere  Jahre  später  nahm  er  in 
Upsala  diese  Arbeit  wieder  auf,  diesmal  in  Verbindung  mit 
0.  Bergstrand.  Diese  späteren  Untersuchungen  über  die 
Sonnenrotation,  die  der  Hauptsache  nach  eine  Bestätigung  der 
in  Lund  erlangten  Resultate  lieferten,  sind  in  der  Abhandlung 
„Über  die  Rotation  der  Sonne,  zweite  Abhandlung"  (1906) 
veröffentlicht. 

Schließlich  seien  unter  den  übrigen  Arbeiten  Duners  hier 
nur  erwähnt  seine  in  Gemeinschaft  mit  F.  Engström  aus- 
geführten Zonenbeobachtungen  der  Sterne  zwischen  35"  und 
40  "^  Deklination  für  den  Katalog  der  Astronomischen  Gesell- 
schaft und  seine  Entdeckungen  und  Untersuchungen  betreffend 
den  Lichtwechsel  der  veränderlichen  Sterne,  insbesondere  der 
Algolsterne  Y  Cygni  und  Z  Herculis.  In  den  Astr.  Nachr. 
hat  er  eine  große  Menge  von  Mitteilungen  über  verschiedene 
Themata  veröffentlicht. 

In  den  Jahren  1861  und  1864  nahm  Duner  an  den 
schwedischen  Expeditionen   nach  Spitzbergen    teil,    wo   er  mit 


*  Nekrologe  129 

A.  E.  Norde uskiöld  vorbereitende  Untersuchungen  anstellte 
betr.  die  Möglichkeit  zur  Ausführung  einer  Gradmessung  in 
jenen  nördlichen  Gegenden.  Durch  Zusammenwirken  von 
Schweden  und  Rußland  kam  diese  Gradmessung  später  tat- 
sächlich zur  Verwirklichung,  und  als  Mitglied  der  schwedischen 
Gradmessungskommission  machte  sich  Duner  um  die  Förderung 
derselben  sehr  verdient. 

Nachdem  Dunör  die  Leitung  der  Upsalaer  Sternwarte 
übernommen  hatte,  gelang  es  ihm,  eine  durchgreifende  Ver- 
besserung der  Sternwarte  und  ihrer  instrumenteilen  Aus- 
rüstung: zu  erwirken.  Er  interessierte  sich  lebhaft  für  die 
Einführung  der  photographischen  Methoden  in  die  Astronomie, 
und  der  durch  ihn  beschaffte  große  Refraktor  von  36  cm 
Öffnung  wurde  mit  einem  photographischen  Rohr  von  33  cm 
Öffnung  versehen.  Durch  die  von  Duner  erwirkten  Ver- 
besserungen und  Neuanschaffungen  wurde  die  Upsalaer  Stern- 
warte zum  größten  und  modernsten  astronomischen  Institut 
Schwedens  gemacht. 

Als  Lehrer  zeichnete  sich  Duner  besonders  durch  den 
aufopfernden  Eifer  und  das  lebhafte  Interesse  aus,  mit  welchen 
er  sich  der  rein  persönlichen  Leitung  der  Studien  und  der 
Förderung  der  wissenschaftlichen  Arbeiten  seiner  Schüler 
widmete.  Dadurch  und  durch  seinen  festen  Charakter  und 
seine  liebenswürdige  Persönlichkeit  erwarb  er  sich  in  hohem 
Maße  die  Ergebenheit  und  die  Dankbarkeit  aller  seiner  Schüler 
und  Mitarbeiter. 

Am  wissenschaftlichen  Verkehr  nahm  Dun^r  hervor- 
ragenden und  wirksamen  Anteil.  Er  war  eines  der  stiftenden 
Mitglieder  der  Astronomischen  Gesellschaft,  und  er  gehörte 
seit  vielen  Jahren  dem  Vorstand  dieser  Gesellschaft  an.  Er 
war  ein  fleißiger  Teilnehmer  der  Astronomenversammlungen, 
und  auch  auf  den  astrophotographischen  Kongressen  und  bei 
der  Organisation  der  Arbeiten  für  die  internationale  photo- 
graphische Himmelskarte  entwickelte  er  eine  fruchtbare  Wirk- 
samkeit. Seine  großen  wissenschaftlichen  Verdienste  ver- 
schafften ihm  übrigens  die  Mitglied-  oder  Ehrenmitgliedschaft 

Jahrbuch  1915.  9 


lt5U  Nekrologe  »^^^^^^H 

vieler  Akademien  und  gelehrter  Gesellschaften.  So  war  er] 
Korrespondent  der  Berliner  und  Münchener  Akademie  der] 
Wissenschaften.  Noch  sei  festgestellt,  daß  Dun^r  ein  warmer j 
Freund  deutschen  Wesens  war  und  niemals  diese  seine  Ge-I 
sinnung  verbarg.  Noch  kurz  vor  seinem  Tode  schrieb  er  an] 
eines  unserer  Mitglieder  warme  Worte  in  diesem  Sinne,  die' 
unvergessen  zu  bleiben  verdienen. 
Nach  einem  in  den  A.  N.  erschienenen  Nekrologe  von  0.  Bergstrand. 

Johann  Wilhelm  Hittorf.  Ende  des  vergangenen  Jahres  hat 
unsere  Akademie  ihr  ehrwürdigstes  Mitglied  auf  dem  Gebiete 
der  exakten  Wissenschaften  verloren,  Wilhelm  Hittorf,  ge- 
boren in  Bonn  am  27.  März  1824,  gestorben  in  Münster  am 
28.  November  1914,  den  seiner  Zeit  vorauseilenden  Physiker, 
zugleich  den  ersten  und  vornehmsten  Vertreter  der  physikali- 
schen Chemie,  zu  einer  Zeit,  da  es  diese  Wissenschaft  weder 
dem  Namen  noch  dem  Wesen  nach  gab,  und  da  ihre  Zukunft 
wesentlich  auf  der  eigenartigen  Verknüpfung  des  physikalischen 
und  chemischen  Gedankens  beruhte,  welche  der  Lebensgang 
und  die  Arbeitsweise  in  Hittorf  entwickelt  hatte. 

Sein  Leben  ist  schnell  erzählt,  es  zeichnet  sich  unter  den 
bescheidenen  und  eingeschränkten  Lebensläufen  der  Gelehrten 
jener  Zeit  durch  einen  besonderen  Grad  von  Einförmigkeit 
und  Bescheidenheit  aus.  Er  studierte  in  Bonn  und  fand  an 
dem  Mathematiker  Plücker,  der  aber  damals  schon  zur  Physik 
übergegangen  war,  einen  hingebenden  Lehrer  und  Förderer. 
Mit  seiner  Hilfe  konnte  er  experimentell  arbeiten,  was  ihm 
bei  der  Abfassung  seiner  Doktor  -  Dissertation  (Über  Kegel- 
schnitte) noch  nicht  vergönnt  war;  er  veröffentlichte  als  Erst- 
lingsarbeit eine  Abhandlung:  Über  die  Oxydierung  des  Platin 
auf  galvanischem  Wege,  also  bereits  ein  Thema  elektrochemi- 
schen Inhalts!  Auf  einen  ähnlichen  Gegenstand  bezog  sich 
sein  Habilitationsvortrag  1847,  durch  den  er  nominell  Privat- 
dozent in  Bonn  wurde,  der  aber  in  Wirklichkeit  die  Grund- 
lage für  seine  Lehrtätigkeit  in  Münster  bilden  sollte.  Li  Münster 
war   an   der  ehemals  fürstbischöflichen  Universität,   damaligen 


Nekrologe  131 

Akademie,  die  Professur  sowohl  für  Physik  wie  für  Chemie 
zu  besetzen.  Beide  wurden  dem  23  jährigen,  von  Bonn  her 
gut  empfohlenen  Privatdozenten  Hittorf  übertragen,  mit  einem 
Gehalt  von  350  Talern  und  einem  jährlichen  Institutsetat  von 
50  Talern.  Hittorf  ist  seiner  Professur  und  der  Stadt  Münster 
treu  geblieben;  er  hat  hier  67  Jahre  lang  gewirkt,  seit  1852 
als  Extraordinarius,  seit  1856  als  Ordinarius  für  Physik  und 
Chemie,  fortgesetzt  unter  stärkster  Inanspruchnahme  seiner 
Zeit  und  Kraft  für  Lehr-  und  Institutszwecke.  Erst  1877 
konnte  er  die  chemische  Professur  an  einen  Nachfolger  ab- 
geben und  sich  auf  die  Physik  -  Professur  beschränken,  die  er 
1889  nach  erreichtem  65.  Lebensjahr  ebenfalls  aufgab,  unter 
der  Nachwirkung  einer  nervösen  Depression,  auf  deren  Gründe 
wir  zurück  kommen.  Bei  der  geistigen  Spannkraft,  die  er 
bald  wieder  erlangte,  konnte  er  noch  1900,  während  des  Über- 
ganges der  Professur  von  Ketteier  auf  Heyd weiller,  vertretungs- 
weise eingreifen.  Bei  Gelegenheit  der  Naturforscher-Gesellschaft 
1912  in  Münster  hatte  ich  die  Ehre  und  Freude,  ihn  in  seinem 
schönen  geräumigen  Haus  zu  besuchen,  das  er  sich  in  einer 
gartenreichen  Villengegend  Münsters  erbaut  hatte  und  das  er  als 
Junggeselle  zusammen  mit  seiner  Schwester  bewohnte.  Damals 
noch  machte  der  88  Jährige  den  Eindruck  der  vollkommensten 
geistigen  Frische,  sein  schöner  Charakterkopf,  mehr  von  west- 
fälischem wie  von  rheinischem  Schnitt,  prägte  Geist  und  Energie 
aus,  nur  im  Gehen  war  er  behindert  und  konnte  deshalb  auch 
nicht  an  der  damaligen  Versammlung  teilnehmen.  Erst  kurz 
vor  seinem  Tode  hat  seine  geistige  Kraft  nachgelassen. 

Sein  Lebensabend  brachte  ihm  Anerkennung  und  Ehren 
in  reicher  Fülle,  unter  Anderem  den  Orden  pour  le  merite, 
das  Ehrenpräsidium  der  deutschen  Bunsengesellschaft,  die  Mit- 
gliedschaft der  meisten  Akademien.  Der  unsrigen  gehört  er 
seit  1896  an.  Zum  90.  Geburtstag  verlieh  ihm  Münster  das 
Ehrenbürgerrecht,  das  er  sich  durch  wiederholte  erfolgreiche 
Vertretung  der  Universitätswünsche  Münsters  an  den  zustän- 
digen Berliner  Steilen  reichlich  verdient  hatte.  Aber  während 
seiner  eigentlichen  Schaffenszeit  hat  es  ihm  an  jeder  Anerken- 


132  Nekrologe  ^^1 

nung,  fast  au  jeder  Beachtung  gefehlt.  Einen  einzigen  Ruf, 
an  dje  Universität  Bern,  hat  er  1856  erhalten  und  abgelehnt, 
weil  er  in  Münster  zum  Ordinarius  befördert  wurde.  Seine 
lonenarbeiten  haben  wenigstens  Widerspruch  hervorgerufen; 
er  mußte  sie  verteidigen  nicht  nur  gegen  die  drückende  Auto- 
rität des  alten  Berzelius,  auch  gegen  Bunsen  und  eine  ganze 
Reihe  von  Physikern.  Dagegen  wurde  die  andere  große  Gruppe 
seiner  Arbeiten,  diejenigen  über  die  Gasentladungen,  in  Deutsch- 
land während  Dezennien  totgeschwiegen,  weil  die  Wissenschaft 
für  diesen  Gegenstand  noch  nicht  reif  war.  Die  Einleitung  zu 
dieser  Untersuchungsreihe,  eine  zusammen  mit  seinem  Lehrer 
Plücker  verfaßte  Arbeit,  erschien  ursprünglich  in  den  eng- 
lischen PhilosophicalTransactions  1  ff.  Die  großen  Hauptarbeiten 
Hittorfs  von  1869  bis  1884  stehen  unter  dem  Titel  „Die  Elek- 
trizitätsleitung der  Gase"  in  den  Poggendorfschen  Annalen. 
Hittorfs  Beobachtungen  sind  viel  zuverlässiger  und  seine  Er- 
klärung derselben  viel  sorgfältiger  als  die  zehn  Jahre  später 
veröffentlichten  eindrucksvollen  Darstellungen  von  Crookes, 
gegen  welchen  Hittorf  sein  Eigentum  verteidigen  mußte  (An- 
nalen 1879,  Bd.  7,  pag.  607);  und  noch  heute  nennt  man  in 
England  Crookessche  Röhren,  was  man  bei  uns  Geißler-Röhren 
nennt  (nach  dem  Bonner  Glasbläser)  und  was  eigentlich  Plücker- 
Röhren  (nach  dem  Auftraggeber  des  Glasbläsers)  oder  Hittorf- 
Röhren  heißen  sollte  (nach  demjenigen,  der  die  Mannigfaltig- 
keit der  Erscheinungen  in  ihnen  wesentlich  geklärt  hat). 

Zu  diesem  Mangel  an  litterarischen  Erfolgen  kamen  Schwie- 
rigkeiten politischer  Art.  Der  Kulturkampf  erschwerte  auch 
die  Wirksamkeit  Hittorfs  empfindlich.  War  doch  sein  Labo- 
ratorium in  dem  alten  Jesuitenkollegium  untergebracht,  dessen 
Geist  in  jener  Zeit  gewaltsam  aufgestachelt  wurde,  und  war 
doch  andrerseits  Hittorf  als  liberaler  Katholik  bekannt,  der 
eine  Adresse  an  Döllinger  unterschrieben  hatte  und  bei  Be- 
rufungen sich  nicht  an  die  (für  Münster  ursprünglich  unum- 
gängliche) katholische  Konfession  kehren  wollte.  Jedenfalls 
haben  diese  jahrelangen  konfessionellen  Reibungen  —  zusammen 
mit  Überarbeitung  und  Überbürdung  im  Laboratorium,  in  dem 


Nekrologe  133 

er  keine  Art  von  Hilfskraft  hatte  —  beigetragen  zu  einem 
vorübergehenden  nervösen  Zusammenbruch.  Den  letzten  Stoß 
hierbei  scheint  ihm  aber  bezeichnenderweise  ein  wissenschaft- 
liches Moment  versetzt  zu  haben:  Es  war  das  Eindringen  der 
Maxwellschen  Theorie,  welche  Hittorf  nicht  assimilieren  konnte. 
War  es  die  Allgemeinheit  und  Abstraktheit  des  Inhalts  oder 
war  es  die  mathematische  Form,  Hittorf  empfand  dieselben 
Schwierigkeiten,  die  wohl  die  meisten  Physiker  der  älteren  Ge- 
neration damals  bei  Maxwells  Treatise  hatten,  aber  mit  krank- 
haft gesteigerter  Heftigkeit.  Stundenlang  brütete  er  über  dem 
ihm  unverständlichen  Buche,  verließ  vorzeitig  das  Theater,  um 
zu  seinem  Maxwell  zurückzukehren,  und  nahm  auf  eine  Harz- 
reise, die  ihm  seine  Freunde  als  Gegenmittel  gegen  Maxwell 
verschrieben  hatten,  heimlich  den  Maxwell  mit.  (Nach  den 
Lebenserinnerungen  von  Frau  Adelheid  Sturm,  geb.  Deinhardt 
und  nach  der  gerade  erschienenen  trefflichen  Biographie  seines 
Nachfolgers  Heydweiller  in  der  Physikalischen  Zeitschrift  1915, 
an  die  wir  uns  auch  sonst  anschließen.)  Wie  rührend  ist  die 
fassungslose  Bescheidenheit  Hittorfs  gegenüber  einer  Theorie, 
die  wir  heute  in  der  durch  Hertz  geklärten  Darstellung  jedem 
Studenten  lehren  können!  Hoffen  wir,  daß  es  Hittorf  in 
späteren  Jahren  zum  Bewußtsein  gekommen  ist  und  zur  Ge- 
nugtuung gereicht  hat,  daß  seine  eigenen  früheren  Arbeiten 
über  das  Glimmlicht  bereits  weit  über  die  Maxwellsche  Theorie 
hinausgingen,  daß  er  in  ihnen  bereits  die  Elemente  der  Elek- 
tronentheorie erarbeitet  hatte,  die  berufen  war,  die  Maxwell- 
sche Theorie  abzulösen  und  weiterzubilden! 

In  der  Tat  hatte  Hittorf  in  seinen  „Strahlen  des  Glim- 
mens"  (wir  sagen  heute  nach  dem  Vorgange  Goldsteins  „Ka- 
thodenstrahlen") weitaus  als  erster  die  freien  Elektronen  dar- 
gestellt und  eingehend  untersucht,  also  die  Quellen  der  elek- 
trischen Kraftlinien,  während  die  Maxwell-Faradaysche  Theorie 
nur  die  Ausbreitung  der  elektrischen  Kraftlinien  studierte  und 
die  Aufmerksamkeit  von  ihren  Quellen  ablenkte.  Von  diesen 
„Glimmlichtstrahlen"  wies  er  die  gradlinige  Ausbreitung  und  die 
Schattenbildung  nach,  ihre  Fluoreszenzwirkung  am  Glase,  ihre 


134  Nekrologe  '^H 

zerstäubende  Wirkung  auf  Metalloberflächen  und,  als  entschei- 
dendes und  unterscheidendes  experimentelles  Kennzeichen,  das 
später  zur  Massenbestimmung  der  Elektronen  führen  sollte, 
ihre  Ablenkbarkeit  durch  den  Magneten.  Jeder  Punkt  der 
Kathode  wird,  so  beschreibt  Hittorf  seine  Strahlen,  zur  Spitze 
eines  Strahlenkegels;  jeder  Strahl  desselben  verhält  sich  wie 
ein  unendlich  dünner,  geradliniger,  gewichtsloser,  steifer  Strom- 
faden, der  an  der  Kathode  befestigt  ist  und,  was  seine  Rich- 
tung betrifi't,  aus  der  Umgebung  in  die  Kathode  fließt,  ent- 
sprechend dem  negativen  Vorzeichen  der  Elektronenladung. 
Hittorf  konnte  bereits  den  Spannungsverlauf  in  der  Röhre,  das 
Kathodengefälle,  meßend  verfolgen  und  die  Charakteristik  der 
Röhre  (die  Strom -Spannungs- Kurve)  entwerfen.  Zu  seineu 
Versuchen  diente  ihm  zuletzt  eine  Hochspannungsbatterie  aus 
2400  Bunsenelementen ,  die  er  eigenhändig  ohne  Hilfsmittel 
an  Geld  oder  Arbeitskräften  hergestellt  hatte.  Durch  die 
Wärmewirkung  der  von  dieser  Batterie  erzeugten  Kathoden- 
strahlen brachte  er  Iridium,  eines  der  wärmebeständigsten 
Metalle,  zum  Schmelzen. 

Durch  diese  Arbeiten  wurde  Hittorf  der  Vater  des  frucht- 
barsten Zweiges  der  modernen  Physik,  der  Konvektions-  und 
weiterhin  der  Wellenstrahlungen.  Es  bleibt  noch  die  andere 
Hauptreihe  seiner  Arbeiten  zu  besprechen,  durch  die  er,  wie 
eingangs  erwähnt,  der  Begründer  der  physikalischen  Chemie 
wurde.  Es  sind  dieses  die  Untersuchungen  „Über  die  Wande- 
rung der  Ionen  während  der  Elektrolyse".  Die  Vorstellung 
der  Ionen  und  ihrer  Konvektion  war  bereits  durch  Faraday 
geschaffen ;  aber  die  Größe  ihrer  Geschwindigkeit  war  unbe- 
kannt. Hittorf  lehrte  diese  Größe  durch  die  Überführungs- 
zahlen zu  messen,  zeigte  daß  sie  für  die  positiven  und  nega- 
tiven Ionen  verschieden  sei,  bewies  die  ausnahmslose  Gültig- 
keit des  Ohmschen  Gesetzes,  für  die  elektrolytische  nicht 
minder  wie  für  die  metallische  Leitung  (dieses  im  Gegensatz 
zu  Bunsen),  und  erkannte  endlich  die  wahre  chemische  Natur 
der  Ionen  als  Metall  und  Säurerest  (im  schweren  Wider- 
spruch gegen  die  herrschenden  Theorien  von  Berzelius).    Daß 


Nekrologe  135 

das  Kation  scheinbar  nicht  immer  als  Metall  zum  Vorschein 
kommt,  führte  er  auf  sekundäre  oxydierende  Prozesse  zurück, 
deren  Wichtigkeit  er  betonte.  Zugleich  erkannte  er  (16  Jahre 
vor  Guldberg  und  Waage)  die  Natur  der  chemischen  Gleich- 
gewichte in  einem  Sonderfall  und  untersuchte  beim  Selen  die 
Bedingungen  eines  Umwandlungspunktes.  Es  war  ihm  be- 
schieden, gegen  Ende  des  vorigen  Jahrhunderts,  als  die  von 
ihm  gestreute  Saat  in  der  aufblühenden  physikalischen  Chemie 
bereits  reiche  Früchte  trug,  auf  diese  Fragen  nochmals  zurück- 
zukommen. 

Die  deutsche  Physik  und  Chemie  ist  sich  heutzutage  voll 
bewußt,  was  sie  der  Lebensarbeit  Hittorfs  zu  danken  hat  und 
die  Münchener  Akademie  wünscht  durch  diese  Zeilen  Zeugnis 
dafür  abzulegen,  wie  hoch  sie  die  Ehre  schätzt,  ihn  als  Mit- 
glied geführt  zu  haben.  A.  Sommerfeld. 


Arthur  v.  Auwers  wurde  am  12.  September  1838  in  Göt- 
tingen geboren,  wo  sein  Vater  als  verabschiedeter  Rittmeister 
die  Stelle  eines  Üniversitäts-Stallmeisters  inne  hatte.  Schon 
im  zartesten  Kindesalter  verlor  er  zuerst  die  Mutter,  dann  den 
Vater.  Nachdem  er  die  Volksschule  und  die  ersten  Klassen 
des  Gymnasiums  in  Göttingen  besucht  hatte,  wurde  er  von 
seinem  Vormund  in  das  rühmlichst  bekannte  Gymnasium  in 
Schulpforta  (Thüringen)  gebracht,  aus  dem  so  viele  ausge- 
zeichnete Männer  hervorgegangen  sind.  Nach  bestandener  Ab- 
solutorialprüfung  bezog  er  die  Universitäten  Göttingen  und 
Königsberg,  um  sich  einer  früh  erwachten  Neigung  folgend 
dem  Studium  der  Astronomie  zuzuwenden.  1859  wurde  er 
Assistent  der  Sternwarte  in  Königsberg,  wo  er  1862  den  Doktor- 
grad erlangte.  Wenige  Monate  später  erfüllten  sich  seine 
schon  in  Schulpforta  entstandenen  Wünsche,  indem  er  die 
Tochter  eines  seiner  Lehrer  heimführte  und  einen  Bund  schloß, 
der  das  Glück  seines  Lebens  wurde.  Zugleich  übersiedelte  er 
nach  Gotha,  um  bei  Hansen  als  Volontär  zu  arbeiten.  Schon 
im  August  1866    erfolgte    seine   Berufung   als   Astronom    und 


136 


Nekrologe 


Mitglied  der  Akademie  der  Wissenschaften  in  Berlin.  Hier 
bot  sich  ihm  die  Möglichkeit  dar,  in  fast  völlig  ungebundener 
Weise  wissenschaftlicher  Arbeit  zu  leben,  und  so  traten  auch 
in  Zukunft  Wünsche  nach  einer  Veränderung  in  ihm  nicht 
hervor,  und  er  blieb  bis  zum  Lebensende  in  seiner  Stellung. 
Hier  verliefen  ihm  in  ruhiger  und  emsiger  Arbeit  die  Jahre, 
nur  dreimal  durch  große  wissenschaftliche  Reisen  unterbrochen: 
in  den  Jahren  1874  und  1882  zur  Beobachtung  des  Venus- 
durchganges in  Luxor  (Ägypten)  und  Punta  Arenas  (Südamerika), 
1889  einer  Verabredung  mit  seinem  Freunde  Grill  folgend  nach 
dem  Kap  zur  Beobachtung  des  Planeten  Victoria  zum  Zwecke 
einer  Parallaxenbestimmung  mit  dem  Heliometer.  Auwers 
erfreute  sich  im  allgemeinen,  trotz  mancher  kleinen  Schwan- 
kungen, einer  festen  Gesundheit  bis  in  die  letzten  Jahre,  und 
unter  relativ  guten  Umständen  konnte  er  1912  das  50jährige 
Doktorjubiläum  feiern  und  sich  der  vielfachen  Sympathiekund- 
gebungen und  Ehrungen  erfreuen,  die  ihm  von  seinen  Kollegen, 
Fachgenossen  und  den  vielen  gelehrten  Körperschaften,  deren 
Mitglied  er  gewesen,  entgegengebracht  wurden.  Sein  Landes- 
herr verlieh  dem  hochverdienten  Manne  bei  dieser  Gelegenheit 
den  erblichen  Adel.  Seitdem  nahmen  aber  die  körperlichen 
Beschwerden  zu,  wenn  auch  Perioden  besseren  und  schlechteren 
Befindens  wechselten,  und  so  kam  schließlich  die  Nachricht 
von  Auwers'  sanftem  Hinscheiden  am  24.  Januar  1915  nicht 
unerwartet.  Seine  ihm  vor  53  Jahren  angetraute  treue  Lebens- 
gefährtin und  drei  Söhne,  welche  sich  in  angesehenen  Stel- 
lungen befinden,  standen  trauernd  an  der  Bahre  des  Heim- 
gegangenen. 

Tiefere  Neigung  und  Begabung  für  die  exakten  Wissen- 
schaften pflegen  sich  sehr  oft  schon  in  ganz  jungen  Lebens- 
jahren zu  ofi^enbaren.  So  darf  es  nicht  verwundern,  wenn 
Auwers  schon  am  Gymnasium  sich  mit  astronomischen  Studien 
beschäftigte.  Merkwürdig  aber  und  für  sein  ganzes  Wesen 
bezeichnend  ist  es,  daß  seine  astronomischen  Interessen  schon 
in  den  ersten  Anfängen  nach  ganz  bestimmter  Richtung  wiesen 
und  daß  er  im  großen  und  ganzen  dieselbe  Richtung  auch  in 


I 


Nekrologe  137 

der  Folgezeit  festhielt.  Wenn  er  schon  mit  16  Jahren  „W.  Her- 
schels  Verzeichnis  von  Nebelflecken  und  Sternhaufen"  be- 
arbeitete, so  entsprang  diese  erst  später  (1862)  veröffentlichte 
Erstlingsarbeit  im  Grunde  genommen  demselben  Bemühen,  von 
welchem  Auwers  auch  späterhin  mit  gesteigertem  Erfolge  fast 
ausschließlich  geleitet  wurde:  vorhandene  Ortsbestimmungen 
am  Himmel  durch  möglichst  eingehende  Bearbeitung  nutzbar 
zu  machen.  Mit  welcher  Energie  und  unermüdlichen  Arbeits- 
kraft Auwers  auf  diesem  Gebiete  mehr  als  ein  halbes  Jahr- 
hundert lang  der  Astronomie  die  gröMen  Dienste  leistete,  ist 
den  Fachgenossen  zu  bekannt,  als  daß  es  nötig  wäre,  im  ein- 
zelnen daran  zu  erinnern.  Aber  es  ist  nicht  möglich,  diese  Ver- 
dienste hervorzuheben,  ohne  seine  Neubearbeitung  der  Bradley- 
schen  Fixsternbeobachtungen  zu  nennen  und  der  Arbeiten  von 
Auwers  zu  gedenken,  die  sich  um  dieses  Hauptwerk  gruppieren 
und  die  eine  Versicherung  der  erhaltenen  Eigenbewegungen 
liefern  sollten  und  geliefert  haben:  Neureduktion  der  Kataloge 
von  T.  Mayer,  Pond,  Piazzi  usw.  sowie  zuletzt  der  älteren 
in  Greenwich  unter  Bradley  angestellten  Beobachtungen.  Den 
Schlußband  dieser  letzteren  umfangreichen  Arbeit  konnte  Auwers 
noch  kurz  vor  seinem  Tode  der  Öffentlichkeit  übergeben  und 
so  nach  dieser  Richtung  sein  Lebenswerk  vollenden.  Mehrere 
Jahre  früher  konnte  er,  auf  alle  diese  Untersuchungen  gestützt, 
seinem  Fundamentalkatalog  die  letzten  Korrektionen  erteilen 
und  damit  ein  System  für  stellare  Ortsbestimmungen  aufstellen, 
das  eine  Homogenität  und  Sicherheit  besitzt,  die  wohl  kaum 
überboten  werden  kann.  —  Als  typische  Repräsentanten  von 
Auwers'  hervorragenden  Arbeiten,  die  sich  mit  Einzelproblemen 
beschäftigen,  müssen  seine  Untersuchungen  über  die  veränder- 
lichen Eigenbewegungen  von  Procyon  und  Sirius  erwähnt  werden. 
Ein  geradezu  enormes  Material  verarbeitend  liefern  diese  den 
Abschluß  von  Betrachtungen,  die  Bessel  in  seinen  letzten 
Jahren  begonnen,  die  dann  von  C.  A.  F.  Peters  fortgesetzt 
worden  waren.  Auwers  konnte  die  Resultate  von  Peters  in 
endgültiger  Weise  bestätigen,  wonach  die  merkwürdigen  Zweifel, 
die  der  Besselschen  Entdeckung  entgegengestellt  worden  waren, 


138  Nekrologe 

als  durchaus  unbegründet  zu  bezeichnen  sind.  Die  Entdeckung 
des  Siriusbegleiters  hat  ja  kurz  vor  dem  Erscheinen  der  Auwers- 
schen  Untersuchung,  die  damals  bereits  abgeschlossen  war,  auch 
jene  belehrt,  die  rechnerischen  Resultaten  nicht  die  gebührende 
Würdigung  zuerkennen  wollen. 

Die  Venusdurchgänge  1874  und  1882  waren  mit  Vorteil 
für  eine  Bestimmung  der  Sonnenparallaxe  nur  in  nichteuro- 
päischen Ländern  zu  beobachten.  Daß  sich  hierbei  das  Deutsche 
Reich  durch  Aussendung  kostspieliger  Expeditionen  in  hervor- 
ragender Weise  beteiligt  hat,  war  in  erster  Linie  dem  Eintreten 
von  Auwers  zu  danken,  der  die  maßgebenden  Kreise  für  die 
Sache  interessierte  und  die  überaus  umfänglichen  Vorarbeiten 
ausführte  und  leitete.  Mit  nicht  genug  anzuerkennender  Hin- 
gabe hat  er  alle  Einzelheiten  der  Ausrüstungen,  die  den  Beob- 
achtern mitzugebenden  Instruktionen,  die  Feststellung  der  Ar- 
beitsprogramme angeordnet,  und  wenn  alles  programmäßig  ver- 
laufen ist,  so  darf  ein  erheblicher  Teil  des  Verdienstes  ihm 
zugesprochen  werden.  Und  als  dann  alle  Beobachtungsergeb- 
nisse in  einem  riesigen  Materiale  vorlagen,  übernahm  er  ihre 
Bearbeitung  und  führte  sie  in  dem  Zeitraum  1882  —  1898  zu 
einem  guten  Ende,  und  es  braucht  kaum  hinzugefügt  zu  werden, 
in  mustergültiger  Weise.  So  entstand  das  große  6  starke  Bände 
umfassende  Werk  über  die  beiden  Venusdurchgänge,  welches 
ein  glänzendes  Zeugnis  abgibt  für  die  gründliche  und  weit- 
sichtige Arbeitsweise  des  Verfassers.  Trotzdem  hat  ihm  das 
Werk  wohl  einige  Enttäuschungen  gebracht;  denn  für  die 
Kenntnis  des  Wertes  der  Sonnenparallaxe  hat  es  nicht  die  Be- 
deutung erlangt,  die  von  seinem  Verfasser  wohl  erhofft  worden 
war.  Wir  wissen  jetzt,  daß  es  nicht  anders  sein  konnte,  auch 
wenn  die  photographische  Praxis  im  Jahre  1874  (1882  wurde 
nicht  photographiert)  ebensoweit  gewesen  wäre  wie  jetzt  und 
wenn  auch  größere  Heliometer  zur  Anwendung  gekommen 
wären,  als  damals  möglich  war.  Aber  das  Werk  hat  doch  in 
anderer  Beziehung  auch  jetzt  noch  einen  großen  Wert  für  die 
praktische  Astronomie.  Es  ist  nach  der  vortrefflichen  Be- 
arbeitung durch  Auwers   die   größte  und  beste  Dokumenten- 


Nekrologe  139 

Sammlung  über  die  Vorteile  und  Nachteile,  die  das  Heliometer 
gegenüber  anderen  Meßinstrumenten  besitzt. 

Wohl  durch  die  Beschäftigung  mit  den  Venusdurchgängen, 
wobei  sich  eine  überaus  große  Zahl  von  Ausmessungen  der 
Sonnenscheibe  als  Nebenresultat  ergab,  wurde  Auvvers  ver- 
anlaßt, die  Gestalt  dieser  Scheibe  zu  untersuchen  und  zwar 
mit  Hinzuziehung  eines  geradezu  ungeheuren  Materials  von 
Durchgangsbeobachtungen.  Es  gelang  ihm  so,  ein  Resultat 
von  bleibendem  Werte  festzustellen,  das  er  mit  einer  Sicher- 
heit, die  wohl  bis  dahin  nicht  erreicht  worden  war,  aussprechen 
konnte:  die  verschiedenen  Sonnendurchmesser  sind  nicht  um 
mehr  als  etwa  On  voneinander  verschieden.  Die  Sonnenscheibe 
zeigt  also  keine  meßbare  Abweichung  von  der  Kreisform. 
Ebenso  sind  zeitliche  Veränderungen  nicht  nachweisbar;  die 
Veränderungen,  welche  bisher  manchmal  beobachtet  worden 
sind,  verschwinden  bei  einer  sorgfältigen  Reduktion  der  Mes- 
sungen. 

In  seinen  jungen  Jahren  war  Auwers  ein  eifriger  und 
umsichtiger  Beobachter,  wie  u.  a.  seine  wertvollen  Parallaxen- 
bestimmungen mit  dem  Königsberger  Heliometer  bezeugen. 
Seit  seiner  Berufung  nach  Berlin  war  ihm  aber  die,  wie  er 
sich  oft  äußerte,  liebe  und  ansprechende  Beobachtungstätigkeit 
erschwert,  da  er  nur  über  kleine  Fernrohre  frei  verfügen  konnte. 
Wo  er  es  aber  für  wichtig  hielt,  hat  er  die  vorhandenen 
Schwierigkeiten  überwunden.  So  hat  er  sich,  um  das  Zonen- 
unternehmen der  Astronomischen  Gesellschaft  zu  fördern,  ent- 
schlossen, die  Berliner  Zone  15"— 20"  selbst  zu  beobachten  und 
hat  die  keineswegs  kurzweilige  Arbeit  mit  der  ihm  eigenen 
Energie  nicht  nur  am  Fernrohr  durchgeführt,  sondern  auch 
die  Reduktion,  und  zwar  in  vorbildlicher  Weise,  geliefert,  die 
durch  die  Hinzufügung  von  allen  bemerkbaren  Eigenbewegungen 
einen  erhöhten  W^ert  erlangt  hat. 

Alle  Arbeiten  von  Auwers  zeichnen  sich  durch  große 
Sorgfalt  und  Gewissenhaftigkeit  aus.  Er  scheute  keine  Mühe, 
um  Beobachtungen  selbst  von  untergeordneter  Bedeutung  durch 
eine   schärfere  Bearbeitung  nutzbar  und   mit  einem   angemes- 


140  Nekrologe 

senen  Gewicht  stimmberechtigt  zu  machen.  Neue  theoretische 
Gesichtspunkte  oder  hypothetische  Annahmen  vermied  er  fast 
ängstlich,  für  ihn  galt  es  nur,  die  zahlenmäßigen  Tatsachen 
festzustellen,  wie  sie  sich  in  den  gewissermaßen  gereinigten 
Beobachtungen  darstellen.  Bei  dieser  Arbeitsrichtung  war  es 
ziemlich  natürlich,  daß  das  Bedürfnis,  mit  der  jüngeren 
astronomischen  Generation  Fühlung  zu  nehmen,  bei  Auwers 
stark  zurücktrat,  namentlich  insoweit  ein  solches  Bedürfnis 
durch  Vorträge,  Vorlesungen,  Unterweisungen  usw.  befriedigt 
werden  kann.  Nur  ganz  ausnahmsweise  und  nur  in  jüngeren 
Jahren  hat  er  deshalb  von  der  Berechtigung,  an  der  Berliner 
Universität  Vorlesungen  zu  halten,  Gebrauch  gemacht.  Er 
selbst  mag  wohl  in  späteren  Jahren  die  hierdurch  entstandene 
Isolierung  manchmal  bedauert  haben. 

Man  würde  die  Verdienste  von  Auwers  um  die  Astro- 
nomie ganz  unvollständig  würdigen,  wenn  man  nur  seine 
wissenschaftlichen  Arbeiten  hervorheben  würde.  Das  Zustande- 
kommen vieler  gemeinschaftlicher  wissenschaftlicher  Unter- 
nehmungen, ebenso  wie  von  Arbeiten  einzelner,  die  eine 
Unterstützung  nach  irgend  einer  Richtung  nötig  hatten,  sind 
aufs  engste  mit  seinem  Namen  verknüpft,  sei  es,  daß  er  die 
nötige  Hilfe  von  den  maßgebenden  Stellen  verschaffte,  sei  es, 
daß  er  in  der  selbstlosesten  Weise  selbst  mit  Hand  anlegte 
und  oft  eine  wenig  angenehme  und  große  Arbeitslast  auf  sich 
nahm.  Was  er  gelegentlicli  der  Aussendung  der  deutschen 
Venusexpeditionen  geleistet  hat,  welche  Unsumme  von  Arbeit 
ihm  als  dem  Vorsitzenden  der  betreffenden  Kommission  zu- 
gefallen war,  die  er  mit  einer  bis  ins  kleinste  gehenden  Um- 
sicht und  Sorgfalt  vollführte,  kann  nur  der  ganz  beurteilen, 
der  selbst  in  der  einen  oder  anderen  Weise  an  dem  Unter- 
nehmen beteiligt  war.  Ein  überaus  stark  ausgebildetes  Pflicht- 
gefühl bildete  den  Grundzug  von  Auwers'  Wesen.  Eine  ein- 
mal übernommene  Verpflichtung  bis  zum  Ende  durchzuführen, 
galt  ihm  als  ein  sittliches  Gebot,  dem  er,  wenn  nötig,  mit 
Anspannung  aller  seiner  Kräfte  zu  folgen  als  selbstverständlich 
betrachtete.    Da  er  weiter  über  ein  nicht  gewöhnliches  Organi- 


I 


Nekrologe  141 

sationstalent  und  eine  hervorragende  Geschäftsgewandtheit 
verfügte,  so  war  es  ganz  natürlich,  daß  er  in  allen  gemein- 
schaftlich mit  anderen  auszuführenden  Unternehmungen,  Be- 
ratungen usw.  in  vorderste  Reihe  gestellt  wurde  und  sehr  oft 
den  alles  belebenden  Mittelpunkt  bildete.  Was  ihm  z.  B,  die 
„Astronomische  Gesellschaft",  deren  Mitbegründer,  Schriftführer 
(1865  —  74)  und  Vorsitzender  (1881  —  90)  er  gewesen,  verdankt, 
kann  nicht  in  wenigen  Worten  ausgedrückt  werden.  Es  mag 
nur  daran  erinnert  werden,  wie  seiner  Mitarbeit  und  dem 
energischen  Nachdruck,  mit  dem  er  als  Leiter  des  Zonen- 
unternehmens die  daran  beteiligten  Beobachter  und  Bearbeiter 
antrieb  und  mahnte  —  was  diesen  mitunter  sogar  unbequem 
war  —  es  in  erster  Linie  zu  verdanken  ist,  wenn  das  Zonen- 
unternehmen fast  bis  zum  völligen  Abschluß  gebracht  werden 
konnte.  Auch  die  „Astronomischen  Nachrichten*  haben  Grund, 
den  Namen  Auwers  in  besonderen  Ehren  zu  halten.  Wer 
weiß,  ob  dieses  für  die  Astronomie  unersetzlich  gewordene 
Organ  ohne  Unterbrechung  bis  zum  heutigen  Tage  hätte 
erscheinen  können,  wenn  nicht  Auwers  in  einem  höchst 
kritischen  Moment  eingetreten  wäre  und  einen  hoffentlich  für 
lange  Zeiten  ausreichenden  Schutz  gegen  alle  widrigen  Zufällig- 
keiten geschaffen  hätte.  Freilich  war  ihm  dies  nur  möglich, 
weil  er  sich  im  Laufe  der  Jahre  eine  ziemlich  einzig  dastehende 
autoritative  Stellung  zu  schaffen  und  einen  Einfluß  zu  gewinnen 
wußte,  dem  sich  oft  die  höchsten  Behörden  in  Deutschland 
fügten.  Daß  dies  so  gekommen  ist,  ist  leicht  erklärlich.  Denn 
schon  bei  flüchtiger  Begegnung  erschien  dieser  schweigsame 
Mann,  dem  man  fast  jedes  Wort  abringen  mußte,  als  eine 
hervorragende  Persönlichkeit  von  ebenso  entschiedenem  Willen 
als  vornehmem  Charakter.  Man  erlangte  sofort  die  Gewißheit, 
von  ihm  ein  wohlbegründetes  Urteil  zu  erhalten,  bei  dem  es 
keine  persönlichen  Rücksichten  gab,  vielmehr  nur  die  Sache 
in  Frage  kam,  und  dieser  erste  Eindruck  wurde  bei  näherem 
Verkehr  nur  verstärkt.  So  konnte  es  nicht  fehlen,  daß  seine 
Meinung  auch  in  allen  astronomischen  Dingen,  die  z.  B.  eine 
staatliche  Entscheidung  erforderten,  von  maßgebender  Bedeutung 


142  Nekrologe 

sein  mußte.  Es  gereicht  ihm  zur  höchsten  Ehre,  daß  man 
auch  nicht  einen  Fall  anführen  kann,  in  dem  er  seinen  Ein- 
fluß in  einer  seiner  vornehmen  Gesinnung  widersprechenden 
Weise  geltend  gemacht  hätte,  selbst  dann,  wenn  man  vielleicht 
seiner  Meinung  nicht  beistimmen  konnte. 

Bei  den  meisten  Entscheidungen,  die  in  den  letzten  Jahr- 
zehnten in  Deutschland  und  besonders  in  Preußen  im  Interesse 
der  Astronomie  getroffen  wurden,  und  es  ist  gewiß  sehr  viel 
in  dieser  Richtung  geschehen,  war  Auwers  der  Anreger, 
Förderer  und  gewissenhafte  und  sachkundige  Berater,  und  so 
haben  die  Astronomen  und  insbesondere  die  deutschen  allen 
Grund,  den  Verlust  dieses  ausgezeichneten  Mannes  tief  zu 
beklagen  und  seinen  Namen  stets  in  dankerfüllter  Erinnerung 
zu  behalten.  H.  Seeliger. 


J 


Historische  Klasse. 


Die  historische  Klasse  hat  im  Berichtsjahre  1914/15  an 
korrespondierenden  Mitgliedern  R.  Koser  und  G.  Preuss  ver- 
loren. Reinhold  Koser  (geb.  7.  Februar  1852,  gest.  25.  August 
1914)  war  in  seiner  Generation  der  nach  Leistungen  und 
Wesensart  vornehmste  und  bezeichnendste  Vertreter  preußisch- 
geschichtlicher Forschung  und  Darstellung;  die  von  seinen 
Lehrern  überkommene  Tendenz  kleindeutsch-preußischer  Be- 
trachtung hatte  er  in  reiner  Sachlichkeit  überwunden,  die 
Eigenart  des  märkischen  Bodens  aber  spricht  aus  allen  seinen 
Schriften  wie  sie  aus  seiner  Persönlichkeit  sprach;  sie  hat 
ihn  zum  klassischen  Geschichtsschreiber  Friedrichs  des  Großen 
gemacht.  Unserer  Akademie  gehörte  er  seit  1901,  der 
historischen  Kommission  seit  1898  an.  Georg  Friedrich  Preuß 
(geb.  12.  April  1867,  gefallen  auf  dem  östlichen  Kriegsschau- 
platze am  3.  November  1914),  zuerst  (1904)  als  Münchener 
Privatdozent  außerordentliches,  später,  als  Breslauer  Professor, 
korrespondierendes  Mitglied  der  Klasse,  ist  schon  in  seinem 
Werke  über  Wilhelm  von  Oranien  und  das  Haus  Witteisbach 


Nekrologe  143 

von  dem  bayerischen  Boden,  von  dem  seine  Arbeit  hier  ausge- 
gangen war,  immer  mehr  in  die  Weite  der  allgemeinen  Ge- 
schichte hinausgelenkt;  der  Tod  des  gedankenreichen  und 
w^armherzigen  Mannes  hat  lebendige  Hoffnungen  vor  der  Zeit 
geknickt.  ^) 

Unter  den  Münchener  ordentlichen  Mitgliedern,  deren 
Scheiden  wir  zu  beklagen  haben,  ist  das  eine,  Robert  von  Pöhlmann, 
trotz  seiner  62  Jahre  ebenfalls  um  vieles  zu  früh  gestorben. 
Er  ist  seiner  ganzen  Laufbahn  nach  Bayer,  seinem  von  ihm 
selbst  so  bewußt  empfundenen,  inneren  Wesen  nach  ins- 
besondere Franke  gewesen,  ein  stolzer  Nürnberger.  Er  hat 
von  Erlangen  aus  als  korrespondierendes  (1887),  in  München 
als  außerordentliches  (1900)  und  ordentliches  (1901)  Mitglied 
und  seit  1907  als  Sekretär  der  historischen  Klasse  der  Aka- 
demie zugehört  und  gedient  und  seit  1902  eine  Anzahl  seiner 
charakteristischen  Äußerungen  in  ihren  Schriften  erscheinen 
lassen  (vgl.  den  Almanach  von  1909,  S.  364  ff.,  für  das  Frühere 
und  für  das  Ganze  seiner  wissenschaftlichen  Persönlichkeit 
und  Leistung  den  unten  gedruckten  Nekrolog  seines  Nach- 
folgers Ulrich  Wilcken),  zuletzt  seine  Weltanschauung  des 
Tacitus:  in  ihnen  wie  in  seiner  persönlichen  Mitwirkung  über- 
strömend von  Leben  und  Geist,  von  menschlicher  Liebens- 
würdigkeit und  von  feurigem  Bekennertum.  Er  ist  auf  der 
Höhe  seiner  Kraft  und  mitten  aus  der  miterlebten  Gegenwart 
durch  den  Tod  weggerissen  worden. 

Eine  fast  schon  entschwundene  Vergangenheit  dagegen 
schien  Ludwig  von  Rockinger  zu  verkörpern,  längst  bevor  er 
am  24.  Dezember  1914,  wenige  Tage  vor  der  Vollendung 
seines  90.  Jahres,  als  Senior  unserer  Klasse  und  Akademie, 
starb.  Rockinger  stammte  aus  dem  alten  Bayern;  am  29.  De- 
zember 1824  als  Sohn  eines  Hoflakaien  des  Kronprinzen  Lud- 
wig zu  Würzburg  geboren,   selber  ein  Pate  des  Kronprinzen, 

*)  Über  Koser  siehe  0.  Hintzes  Nachrufe  in  der  Historischen  Zeit- 
schrift und  in  den  Abhandlungen  der  Berliner  Akademie,  über  Preuß 
die  von  Ziekursch  und  Kaufmann  in  der  Chronik  der  Universität  Breslau. 


144  Nekrologe 

übersiedelte  er  schon  im  nächsten  Jahre  mit  seinen  Eltern  im 
Gefolge  des  Königs  Ludwig  nach  München  und  blieb  lebens- 
lang Münchener.  Er  studierte  klassische  und  als  Schüler 
seines  Verwandten  Schmeller  deutsche  Philologie  und  dann, 
als  Lebeusberuf,  Jurisprudenz;  er  wurde,  durch  den  Zwang 
des  Erwerbes,  in  seiner  Jugend  eine  Weile  lang  als  Landtags- 
stenograph nach  Stuttgart  geführt,  später  (1869)  ein  Jahr  lang 
durch  den  Archivdienst  nach  Würzburg,  stets  strebte  er  nach 
München  zurück.  Er  hätte  gewünscht,  juristischer  Professor 
zu  werden;  der  Gang  seiner  Studien  führte  ihn  ebenso  logisch 
zum  Archiv,  und  in  dessen  Laufbahn  ist  er  seit  1853  eben- 
mäßig aufgestiegen,  bis  er  1889  Reichsarchivdirektor  wurde; 
Krankheit  zwang  ihn  bereits  1895  zum  Rücktritt.  Er  hat 
sich  nebenher  1856  in  der  juristischen  Fakultät  der  Universität 
für  bayerische  und  deutsche  Rechtsgeschichte  als  Privatdozent 
niedergelassen,  ohne  den  ersehnten  Erfolg,  er  ließ  sich  1865 
streichen.  In  der  philosophischen  Fakultät  trat  er  1873,  als 
Honorarprofessor,  mit  einem  Lehrauftrag  für  Paläographie  und 
bayerische  Geschichte,  wieder  ein  und  hat  in  ihr  bis  1896 
gelesen.  Die  Akademie  wählte  ihn  1856  zum  außerordentlichen, 
1868  zum  ordentlichen  Mitglied  der  historischen  Klasse.  Er 
hat  vielmals  in  der  Akademie  vorgetragen  und  in  ihre  Schriften 
geschrieben  und  mehreren  ihrer  Kommissionen  lange  mit- 
arbeitend angehört  (Monumenta  Boica:  er  gab  Band  39 — 44 
selber  heraus;  Aventin;  Historische  Kommission;  Vertretung 
bei  der  Zentraldirektion  der  Monumenta  Germaniae).  Seine 
Schriften  schied  er  1909  (im  Almanach  der  Akademie  S.  375  ff.) 
in  sechs  Gruppen:  mittelalterliche  Formelbücher,  bayerische  und 
pfälzische  Geschichte,  bayerische  Rechtsgeschichte,  fränkische 
Geschichte  und  Rechtsgeschichte,  deutsche  Rechtsbücher  im 
Mittelalter,  Verschiedenes  (dabei  Archivalisches).  Hilfswissen- 
schaften und  Reehtsgeschichte  stehen  dabei  im  Vordergrunde, 
wie  sie  es  auch  in  seiner  Lehrwirksamkeit  taten.  Er  hat, 
60  Jahre  hindurch,  eine  lange  Reihe  von  Arbeiten  veröffent- 
licht, viele  davon  in  unseren  Abhandlungen  und  Sitzungs- 
berichten.    Sie  konvergierten  auf  ein  doppeltes  Ziel:  kritische 


Nekrologe  145 

Ausgaben  der  mittelalterlichen  bayerischen  Landesgesetzgebung 
einerseits,  des  Schwabenspiegels,  zu  dem  die  altbayerische  Rechts- 
geschichte ihn  hingeführt  hatte,  anderseits.  Der  Historische 
Verein  von  Oberbayern  hat  ihn  (1888)  mit  der  ersten,  die 
Wiener  Akademie  ihn  (1871)  mit  der  zweiten  Aufgabe  betraut. 
Für  beide  hat  er  weitausgreifende,  tiefeindringende,  schwer- 
flüssige, gelehrte  und  wichtige  Vorarbeiten  geleistet  und  ver- 
öffentlicht, vornehmlich  zur  Geschichte  und  Gestaltung  der 
Texte.  Zum  Abschluß  hat  er  keines  der  beiden  großen  und 
schwierigen  Werke  gebracht;  die  Natur  der  weitschichtigen 
Aufgaben  selber,  im  Verein  mit  persönlichen  Schicksalen,  hat 
ihn  daran  verhindert.  Er  hinterließ  auch  so  ein  stattliches 
Erbe  eines  langen  Forscherlebens.  Ihn  selber  aber  hat  der 
halbe  Mißerfolg  seiner  Arbeit  und  lange  Kränklichkeit  wohl 
in  die  Einsamkeit  zurückgetrieben,  in  der  er,  ehedem  gesellig, 
witzig  und  naturfroh,  seine  späteren  Jahre  verbrachte:  mitten 
in  der  Großstadt,  auf  die  er  fremd  und  kritisch  hinuntersah, 
ein  Einsiedler,  auch  äußerlich  merkwürdig  fremdartig,  ein 
uralter  Mann,  der  mit  der  Gegenwart  nichts  mehr  zu  schaffen 
hatte  und  in  den  Tagen  seiner  Jugend  und  mehr  noch  den 
Jahrhunderten  seiner  Rechtsquellen  eigentlich  lebte.  Er  verließ 
jahrelang  sein  Zimmer  nicht  mehr  und  las  jahrelang  keine 
Zeitung,  bis  der  Weltkrieg  ihn  wieder  in  den  Zusammenhang 
des  Heute  hineinhob.  Aber  einsam  hat  er  sich  zur  Ruhe 
bestatten  lassen,  und  auch  die  Vorarbeiten  und  Aufzeichnungen, 
die  er  noch  besaß,  hat  er  verbrannt,  nur  die  für  den  Schwaben- 
spiegel seiner  Auftraggeberin,  der  Wiener  Akademie,  über- 
wiesen. Sein  Amtsnachfolger  F.  L.  von  Baumann,  der  ihn 
nur  so  kurz  überleben  sollte,  hat  ihm  in  der  Archivalischen 
Zeitschrift,  I.  Bd.  3.  Folge,  S.  276—293,  eine  eingehende 
Darstellung  gewidmet,  auf  deren  Angaben  dieser  Nachruf  fußt. 

E.  Marcks. 


Jahrbuch  1915.  10 


146  Nekrologe  ^H 

Bald  nach  Kriegsbeginn,  am  27.  September  1914,  hat  die 
Akademie  durch  den  Tod  Robert  von  Pöhlmanns  eines  ihrer  ver- 
dienstvollsten Mitglieder,  die  historische  Klasse  ihren  Sekretär 
verloren. 

Geboren  am  31.  Oktober  1852  zu  Nürnberg,  hat  Pöhl- 
mann  sich  schon  als  Schüler  des  „Alten  Gymnasiums*  seiner 
Vaterstadt  für  das  historische  Studium  entschieden.  Wie  er 
in  einer  autobiographischen  Skizze  vor  nicht  langem  erzählt 
hat,  lockte  ihn  die  Geschichte  als  die  Wissenschaft,  die  „recht 
eigentlich  dazu  berufen  ist,  den  Menschen  von  den  Fiktionen 
der  Vergangenheit,  vom  Wahn  der  Jahrtausende  zu  befreien". 
Im  Anfang  seiner  Studien  hat  er  die  mittelalterliche  und  neuere 
Geschichte  bevorzugt.  So  war  hier  in  München  Giesebrecht 
sein  Führer.  Doch  hat  er  gelegentlich  auch  Heinrich  Brunn 
als  seinen  „unvergeßlichen  Lehrer"  bezeichnet.  In  Göttingen 
hatte  Waitz  den  größten  Einfluß  auf  ihn,  in  dessen  Schule 
denn  auch  seine  Dissertation  über  den  Römerzug  Heinrichs  VII. 
(1875)  heranreifte.  Aber  die  entscheidende  Richtung  auf  das 
Gebiet,  das  sein  eigentliches  Arbeitsfeld  werden  sollte,  hat  ihm 
Wilhelm  Röscher,  der  Nationalökonom,  gegeben.  Er  ist  es 
gewesen,  der,  wie  Pöhlmann  später  dankbar  bekannt  hat, 
seiner  ganzen  Lebensarbeit  „Richtung  und  Ziele"  gegeben  hat. 
So  ist  es  vor  allem  die  moderne  Sozial-  und  Wirtschafts- 
geschichte gewesen,  der  Pöhlmann  ein  ganz  besonderes  Studium 
zuwendete. 

Von  dieser  Basis  aus  unternahm  er  es,  die  Preisaufgabe 
über  die  Wirtschaftspolitik  der  Florentiner  Renaissance  zu  lösen, 
die  die  Jablonowskische  Gesellschaft  gestellt  hatte.  Nach  ein- 
gehenden Archivstudien,  die  ihn  namentlich  auch  in  die  Archive 
von  Florenz,  Pisa  und  Mailand  führten,  gewann  er  1878  den 
Preis  mit  seinem  Buch  über  die  Wirtschaftspolitik  der  Floren- 
tiner Renaissance,  das  noch  vor  nicht  langem  von  fachmän- 
nischer Seite  als  „Pöhlmanns  prächtige  Jugendarbeit"  von 
neuem  anerkannt  worden  ist. 

Unmittelbar  danach  trat  die  nach  diesen  Vorläufern  über- 
raschende Wendung  zur  Antike  ein.    Schon  im  folgenden  Jahr, 


Nekrologe  147 

1879,  legte  er  eine  feinsinnige  Studie  über  „Hellenische  An- 
schauungen über  den  Zusammenhang  von  Natur  und  Geschichte" 
vor  und  habilitierte  sich  hiermit  in  Erlangen,  und  zwar  für 
das  Fach  der  alten  Geschichte,  und  von  nun  an  hat  er  seine 
ganze  Kraft  der  Erforschung  des  Altertums  gewidmet.  Dieser 
Übergang  besagte  bei  ihm  aber  nicht  ein  Abstreifen  seiner 
früheren  Interessen,  sondern  Pöhlmann  hat  auch  fernerhin, 
wenn  er  die  alte  Geschichte  behandelte,  immer  gleichzeitig  die 
spätere  Entwicklung  bis  zur  Gegenwart  vor  Augen  gehabt. 
Er  hat  eine  Hauptaufgabe  seines  Lebens  gerade  darin  erblickt, 
die  von  der  modernen  Forschung,  im  besonderen  der  modernen 
Sozial-  und  Wirtschaftsgeschichte  gewonnenen  Ergebnisse,  die 
dort  erprobten  Methoden  und  Fragestellungen  auch  auf  die 
Antike  anzuwenden  und  für  sie  nutzbar  zu  machen.  In  wie 
enger  Fühlung  er  auch  nachher  noch  mit  der  modernen  For- 
schung geblieben  ist,  zeigt  allein  schon  die  Tatsache,  daß  er 
noch  in  späteren  Jahren  es  unternehmen  konnte,  die  22.  -  24. 
Neuauflage  von  Roschers  „Grundlagen  der  Nationalökonomie" 
zu  bearbeiten  (1896 — 1906).  So  hat  Pöhlmann  durch  seinen 
Ausgangspunkt  von  der  modernen  Geschichtsforschung  unter  den 
Vertretern  der  alten  Geschichte  unserer  Zeit  einen  ganz  eigenen 
Platz  eingenommen.  Wohl  gibt  es  auch  andere  Forscher  auf 
diesem  Gebiet,  die  sich  mit  der  wirtschaftlichen  und  gesell- 
schaftlichen Entwicklung  des  Altertums  eingehend  und  erfolg- 
reich beschäftigen,  aber  für  Pöhlmann  ist  charakteristisch, 
daß  für  ihn  dabei  die  moderne  Sozial-  und  Wirtschaftsgeschichte 
den  Ausgangspunkt  bildete,  wie  denn  auch  seine  Schriften  da- 
durch ihren  eigenen  Stil  haben,  daß  sie  ganz  mit  der  modernen 
Terminologie  operieren. 

Die  erste  Frucht  dieser  Methodenübertragung  war  die 
Studie  über  ,Die  Anfänge  Roms"  (1881),  in  der  er  im  beson- 
deren die  Ergebnisse  der  modernen  siedlungsgeschichtlichen 
Forschungen  für  dies  Problem  zu  verwerten  bestrebt  war.  Es 
folgte  1884  sein  Buch  über  „Die  Übervölkerung  der  antiken 
Großstädte,  im  Zusammenhang  mit  der  Gesamtentwicklung 
städtischer  Zivilisation"  —  wiederum  die  preisgekrönte  Lösung 

10* 


148  Nekrologe  ^H 

einer  von  der  Jablonowskischen  Gesellschaft  gestellten  Auf- 
gabe. Auch  hier  zeigte  Pöhlmann  wieder,  wie  es  ihm  nicht 
auf  ein  Zusammentragen  des  toten  Stoffes,  sondern  auf  ein 
lebendiges  Verstehen  bis  auf  den  Grrund  ankam.  Recht  cha- 
rakteristisch für  seine  Arbeitsweise  ist  es,  wie  er,  um  zu  einer 
klaren  Vorstellung  und  Würdigung  der  antiken  baupolizei- 
lichen Vorschriften  über  die  Stockwerkshöhe  zu  kommen,  die 
modernen  Polizeiverordnungen  von  Berlin,  Wien  und  Paris 
heranzog.  So  zeigte  er  schon  in  dieser  vortrefflichen  Studie, 
wie  er  durch  die  Fragestellungen,  die  er  der  modernen  Entwick- 
lung entnahm,  die  oft  spröde  antike  Tradition  zu  beleben  verstand. 

War  dieses  Thema  ihm  von  anderer  Seite  gestellt  worden, 
so  ging  er  nun  daran,  sich  selbst  für  seine  Lebensarbeit  große 
Pläne  zu  entwerfen.  Anfangs  dachte  er  an  eine  „Soziale  Ge- 
schichte Griechenlands",  und  ein  interessantes  Bruchstück  aus 
den  Vorarbeiten  liegt  uns  vor  in  seiner  Abhandlung  „Aus  dem 
hellenischen  Mittelalter.  Zum  sozial-  und  wirtschaftsgeschicht- 
lichen Verständnis  der  homerischen  Welt"  (Aus  Altertum  und 
Gegenwart  P  S.  139  ff.).  Aber  dieser  Plan  wurde  zurück- 
gedrängt durch  einen  anderen,  dessen  Ausführung  sein  Haupt- 
werk darstellt,  die  „Geschichte  des  antiken  Kommunismus  und 
Sozialismus"  (1893 — 1901).  Es  spricht  für  die  Anerkennung, 
die  sich  Pöhlmann  für  seine  Arbeitsmethode  erkämpft  hatte, 
daß  schon  nach  wenigen  Jahren  eine  Neuauflage  dieses  zwei- 
bändigen Werkes  nötig  wurde.  Ihr  gab  er,  um  den  Zusammen- 
hang mit  den  Problemen  unserer  Zeit  noch  schärfer  hervor- 
treten zu  lassen,  nunmehr  den  Titel:  „Geschichte  der  sozialen 
Frage  und  des  Sozialismus  in  der  antiken  Welt"  (1912). 

Hiermit  hatte  er  ein  außerordentlich  wichtiges  Problem 
der  alten  Geschichte  herausgegriffen,  das  in  dieser  umfassenden 
Weise  noch  nicht  behandelt  worden  war.  Was  Pöhlmann 
bietet,  ist  eine  Geschichte  der  sozialen  Bewegungen  und  der 
sozialistischen  Ausgleichsbestrebungen  in  Hellas  und  Rom.  Nach 
einer  eingehenden  Darstellung  der  realen  Erscheinungen  ver- 
weilt er  mit  besonderer  Liebe  bei  den  theoretischen  Reform- 
vorschlägen   der    Philosophen.     Die    Analyse    und    historische 


I 


Nekrologe  149 

Würdigung  der  platonischen  Staatsideale  im  Lichte  der  mo- 
dernen Staats-  und  Sozialwissenschaft  steht  im  Mittelpunkt 
des  Werkes.  Auch  wer  nicht  überall  zustimmen  kann,  wird 
zugeben  müssen,  daß  hier  eine  großzügige  Arbeit  vorliegt. 

Außer  diesem  Hauptwerk  liegen  noch  mehrere  Einzelunter- 
suchungen vor,  die  nach  derselben  Methode  Probleme  der  an- 
tiken Sozial-  und  Wirtschaftsgeschichte  behandeln.  Im  be- 
sonderen sei  auf  die  vortreffliche  Würdigung  von  Tiberius 
Gracchus  als  Sozialreformer  hingewiesen. 

Über  seine  Methode  hat  sich  Pöhlmann  mehrfach  ge- 
äußert, so  in  einem  Aufsatz  „Zur  Methodik  der  Geschichte 
des  Altertums"  und  auch  in  seinen  großen  Kritiken  über 
George  Grote,  Ranke  und  Mommsen.  Wenn  er  in  seiner 
Kritik  über  den  V.  Band  von  Mommsens  Römischer  Geschichte 
die  Verwertung  der  Erkenntnisse  der  modernen  Sozialwissen- 
schaft und  Nationalökonomie  vermißt,  so  ist  ihm  zuzugeben, 
daß  von  diesem  Standpunkt  aus  hie  und  da  noch  Lichter  auf- 
gesetzt werden  könnten,  aber  andererseits  kann  doch  nicht 
verkannt  werden,  daß  diese  Betrachtungsweise  Pöhlmann s 
überhaupt  erst  angewendet  werden  konnte,  nachdem  Mommsen 
aus  „Pandekten  und  Inschriften",  die  er  einmal  als  „die  Bronnen 
der  Kunde  wirklichen  römischen  Lebens"  bezeichnet  hat,  die 
festen  Fundamente  unseres  Wissens  geschaffen  und  auf  diesen 
Fundamenten  seinen  Riesenbau  errichtet  hatte. 

Neben  diesen  sozialen  und  wirtschaftlichen  Problemen 
ist  es  vor  allem  die  geistige  Entwicklung  von  Hellas  und 
Rom  gewesen,  die  Pöhlmann  gefesselt  hat,  und  zwar  im 
besonderen  die  Entwicklung  der  Denk-  und  Lehrfreiheit.  Ja, 
es  scheint,  daß  gerade  dieser  Gesichtspunkt  ihn  der  alten 
Geschichte  zugeführt  hat,  denn  in  jener  autobiographischen 
Skizze  erzählt  er,  wie  sich  sein  Interesse  besonders  denjenigen 
Perioden  der  Geschichte  zugewendet  habe,  „in  denen  sich  die 
geistige  Befreiung  des  Menschen,  die  Entstehung  des  modernen 
Menschen  vollzog,  der  Aufklärung,  der  Renaissance  und  der 
Antike".  So  ist  er  mit  besonderer  innerer  Wärme  diesem 
Problem  der  Geistesfreiheit  in   der  Antike   nachgegangen,  wie 


150  Nekrologe 

er  auch  im  politisclien  Leben  mannhaft  für  sie  eingetreten  ist. 
Eine  Frucht  dieser  Studien  ist  seine  Schrift  über  „Sokrates 
und  sein  Volk"  (1899),  die  den  bezeichnenden  Untertitel  führt 
„Ein  Beitrag  zur  Geschichte  der  Lehrfreiheit "^  sowie  die  spätere 
Studie  „Das  Sokratesproblem"  (1906)  und  endlich  die  tempera- 
mentvolle Abhandlung  „Die  Weltanschauung  des  Tacitus" 
(1910),  in  der  er  die  Ursachen  des  Unterganges  der  hellenischen 
Geistesfreiheit  untersuchte. 

Die  Verbindung  seiner  sozial-  und  wirtschaftsgeschicht- 
lichen mit  seinen  geistesgeschichtlichen  Interessen  geben  den 
kurzen  Abrissen,  die  er  von  einigen  Teilen  der  alten  Geschichte 
verfaßt  hat,  ihren  besonderen  Wert  und  Reiz.  Die  „Griechische 
Geschichte  und  Quellenkunde",  die  in  dem  bescheidenen  Ge- 
wände eines  Handbuches  jetzt  in  5.  Auflage  vorliegt,  gehört 
zu  den  geistvollsten  Behandlungen  dieses  Themas.  Auch  der 
kurze  Abriß,  den  er  in  Pflugk-Hartungs  Weltgeschichte  von 
der  römischen  Kaiserzeit  entworfen  hat,  gehört  zu  dem  An- 
regendsten, was  über  diese  Periode  geschrieben  ist. 

Man  fühlt  eben  überall  in  Pöhlmanns  Schriften,  daß 
ein  ganzer  Mann  dahintersteht,  ein  kampfesmutiger  und 
kampfesfroher  Bekenner  seiner  Überzeugung.  Er  war  ein 
Mann,  der  im  Sinne  Niebuhrs  sich  mit  Temperament  und 
Leidenschaft  in  die  alte  Welt  versenkte,  weil  er  sie  sich  lebendig 
vorzustellen  wußte  und  die  Kämpfe  der  Gegenwart  dort  wieder- 
fand. Darum  gehörten  Altertum  und  Gegenwart  aufs  engste 
für  ihn  zusammen,  wie  er  denn  auch  einen  großen  Teil  seiner 
Einzelarbeiten  zwanglos  unter  dem  Titel  „Aus  Altertum  und 
Gegenwart"  zusammenfassen  konnte.  Darum  hatte  er  auch 
einen  tiefen  Einblick  in  den  unvergänglichen  Wert,  den  die 
Antike  für  die  europäische  Kultur  bis  auf  den  heutigen  Tag 
besitzt,  und  darum  hat  er  auch  einen  scharfen  Degen  geführt, 
wenn  flache  Angriffe  gegen  die  humanistische  Bildung  hervor- 
*  traten.  Auch  was  er  in  diesem  Kampf  für  das  „Erbe  der 
Alten*  geleistet  hat,  wird  ihm  unvergessen  bleiben. 

Ulrich  Wilcken. 


I 


151 


Öffentliche  Sitzung 

zu  Ehren  Seiner  Majestät  des  Königs 

am  20.  November  1915. 

Der  Präsident  der  Akademie,  Herr  Otto  Crusius,  der  von 
Seiner  Majestät  dem  König  an  Stelle  Karl  Theodor  von  Heigels 
ab  1.  April  1915  ernannt  wurde,  hielt  zum  Andenken  von 
Heigels,  der  am  23.  März  1915  verschieden  ist,  eine  längere 
Ansprache,  die  unter  den  Akademiereden  erscheint. 

Die  Klassensekretäre  verkündeten  folgende  in  der  allge- 
meinen Sitzung  am  14.  Juli  1915  vollzogenen  und  von  Seiner 
Majestät  dem  König  bestätigten  Wahlen: 

Philosophisch  -  philologische  Klasse: 

a)  als  ordentliches  Mitglied: 

Dr.  Oswald  Külpe,  Geh.  Hofrat,   o.  Professor  der  Philosophie 
an  der  Universität  München,   bisher  außerord.  Mitglied, 

b)  als  korrespondierende  Mitglieder: 

1.  Dr.   Karl   Robert,    Geh.  Regierungsrat,    o.   Professor    der 

Archäologie  an  der  Universität  Halle, 

2.  Dr.   Josef    Ritter    von  Karabacek,    K.   u.   K.  Wirklicher 

Hofrat,   0.  Professor    der  Geschichte  des  Orients  und 
ihrer  Hilfswissenschaften  an  der  Universität  Wien. 

Die  mathematisch  -  physikalische  Klasse  hat  keine  Wahlen 
vorgenommen. 


Wahlen 


Historische  Klasse: 

als  ordentliche  Mitglieder: 

Dr.  Michael  Doeberl,   K.  Ministerialrat,   Honorarprofessor 

der   Geschichte   an   der  Universität    München,    bisher 

außerord.  Mitglied, 
Dr.  Robert  Davidsohn,  Professor  in  München,  vormals  in 

Florenz,  bisher  korrespond.  Mitglied, 
Dr.  Ulrich  Wilcken,  o.  Professor  der  alten  Geschichte  an 

der  Universität  München. 


I 


153 


Personalstand. 

(Ende  1915.) 


Protektor: 
SEINE  MAJESTÄT  DER  KÖNIG. 


Verwaltung. 

Präsident : 

Dr.  Otto  Crusius,  Großh.  Bad.  Geh.  Hofrat,  o.  üniv. -Professor  für 
klassische  Philologie,  geb.  20.  Dez.  1857  zu  Hannover  (o.  1905, 
a.  0.  1903),  Widenmayerstr.  lO/III, 

Sekretär  der  philosophisch-philologischen  Klasse: 

Dr.  Ernst  Kuhn,  K.  Geh.  Rat,  o.  Üniv.-Professor  für  arische  Philologie, 
geb.  7.  Febr.  1846  zu  Berlin  (o.  1883,  a.  o.  1878),  Heßstr.  5/1. 

Sekretär  der  mathematisch-physikalischen  Klasse: 

Dr.  Karl  Ritter  v.  Goebel,  K.  Geh.  Rat,  o.  Univ.-Professor  für  Botanik, 
Direktor  des  K.  Botanischen  Gartens  und  des  Pflanzenphysiologischen 
Instituts,  geb.  8.  März  1855  zu  Billigheim,  Baden  (o.  1892),  Menzinger- 
straße  15  (Botan.  Garten). 

Sekretär  der  historischen  Klasse: 

Dr.  Erich  Marcks,  K.  Geh.  Rat,  o.  Univ.-Professor  für  Geschichte,  geb. 
17.  Nov.  1861  zu  Magdeburg  (o.  1913,  korr.  1898),  Elisabethstr.  10/11. 

Syndikus: 
Dr.  Karl  Mayr,  Honorarprofessor  für  Geschichte  an  der  Universität,  geb. 
28.  März  1864  zu  Krumbach  (a.  o.  1909),  Römerstr.  26/0. 


154 


Personalstand 


Bibliothek: 

Bibliothekar :  Dr.  AdolfHilsenbeck,  Bibliothekar  der  K.  Hof-  und  Staats- 
bibliothek. 

Kanzlei : 
Kanzleisekretär:  Adolf  Reichel. 
Diener:   Paul  Seidel. 

Kassenverwaltung: 
Kassier:   Hans  Dehn  er. 
Kassesekretär:  Joseph  Miller. 

.  Haus : 

Hausverwalter:   Joseph  Ennichl. 
Hausdiener  und  Heizer:   Peter  Hufnagl. 
Pförtner  und  Hilfsheizer:   Anton  Schwald. 

Buchhändler  der  Akademie: 

G.  Pranzscher  Verlag  (Kgl.  u.  Herzogl.  Bayer.  Hofbuchhändler  J.  Roth), 
Otto.str.  3  a. 


155 


Ehrenmitglieder. 

1892  Ihre  Königliche  Hoheit  Prinzessin  Therese  von  Bayern. 
1911  Seine  Königliche  Hoheit  Kronprinz  Rupprecht  von  Bayei'n. 


Ordentliche  und  ausserordentliche  Mitglieder. 

Philosophisch -philologische  Klasse. 

Ordentliche  Mitglieder 
(nach  dem  Jahre  der  Wahl  und  nach  dem  Stande  Ende  1915). 

Dr.  Ernst  Kuhn  (o.  1883,  a.  o.  1878),  s.  Klassensekretär  S.  153. 

Dr.  Nikolaus  Weck  lein,  K.  Geh.  Hofrat,   Gymnasialrektor  a.  D..   geb. 

19.  Februar  1843  zu  Gänheim  (o.  1887,  a.  o.  1872),   Possartstr.  12/0. 
Dr.  Hermann  Paul,  K.  Geh.  Hofrat,  o.  Professor  für  deutsche  Philologie, 

geb.  7.  Aug.  1846  zu  Salbke  bei   Magdeburg  (o.  1893,  ausw.  1892), 

Kaulbachstr.  62a/Il. 
Dr.  Iwan  Ritter  v.  Müller,  K.  Geh.  Rat,  o.  Univ.-Professor  für  klassische 

Philologie  und  Pädagogik,  geb.  20.  Mai  1830  zu  Wunsiedel  (o.  1894, 

a.  0.  1893,  korr.  1876),  Siegfriedstr.  21/1. 
Dr.  Georg  F.  Graf  v.  Hertling,   Exz.,   Staatsrat  i.  o.  D.,  Staatsminister 

des  Kgl.  Hauses  und  des  Äußern,  lebenslänglicher  Reichsrat,  geb. 

31.  Aug.  1843  zu  Darmstadt  (o.  1899,  a.  o.  1896),  Promenadeplatz  22. 
Dr.  Karl  v.  Amira,    o.  Univ.-Professor    für   deutsche    Rechtsgeschichte, 

deutsches  büi-gerliches   Recht,   Handelsrecht  und   Staatsrecht,   geb. 

8.  Februar  1848  zu  Aschaffenburg  (o.  1901),  Möhlstr.  37. 
Dr.  Otto  Crusius  (o.  1905,  a.  o.  1903),  s.  Präsident  S.  153. 
Dr.  Franz  Muncker,  o.  Univ.-Professor  für  neuere  insbesondere  deutsche 

Literaturgeschichte,  geb.  4.  Dez.  1855  zu  Bayreuth  (o.  1906,  a.  o.  1901), 

Liebigstr.  39/1,  2.  Aufg. 
Dr.  Paul  Wolters,  o.  Univ.-Professor  für  Archäologie,  geb.  1.  Sept.  1858 

zu  Bonn  (o.  1908,  korr.  1903),  Tengstr.  20/1  r. 
Dr.  Friedrich  Vollmer,  o.  Univ.-Professor  für  klassische  Philologie,  geb. 

14.  Nov.  1867   zu  Fingscheidt   (o.  1908,   a.  o.    1906),   Mauerkircher- 

straße  26/ni. 


156  Personalstand  fl 

Dr.  Wilhelm  Streitberg,  o.  Univ.-Professor  für  indogermanische  Sprach- 
wissenschaft, geb.  23.  Februar  1864  zu  Rüdesheim  a.  Rh.  (o.  1911, 
a.  o.  1909),  Isabellastr.  31/11. 

Dr.  Clemens  Baeumker.K.  Geh.  Hofrat,  o. Univ.-Professor  für  Philosophie, 
geb.  16.  Sept.  1853  zu  Paderborn  (o.  1913,  a.  o.  1912,  korr.  1909),  Franz 
Josephstr.  30/1. 

Dr.  August  Heisenberg,  o.  Univ.-Professor  für  mittel-  und  neugriechische 
Philologie,  geb.  13.  Novbr.  1869  zu  Osnabrück  (o.  1913,  a.  o.  1911), 
Hohenzollernstr.  IIO/III. 

Dr.  Erich  Berneker,  o.  Univ.-Professor  für  slavische  Philologie,  geb. 
3.  Febr.  1874  zu  Königsberg  in  Preußen  (o.  1913,  a.  o.  1911),  Mauer- 
kircherstraße  16/11. 

Dr.  Oswald  Külpe,  K.  Geh.  Hofrat,  o.  Univ.-Professor  für  Philosophie, 
geb.  3.  August  1862  zu  Candau  (o.  1915,  a.  o.  1914),  Elisabeth- 
straße 13/1. 

Ausserordentliche  Mitglieder: 

Dr.  Friedrich  Ohlenschlager,  K.  Oberstudienrat,  Gymnasialrektor  a.  D., 
geb.  2.  Aug.  1840  zu  Niedernberg  (1883),  Luisenstr.  54/III. 

Dr.  Friedrich  Wilhelm  Frhr.  v.  Bissing,  o.  Univ.-Professor  für  Ägyp- 
tologie und  orientalische  Altertumskunde,  geb.  22.  April  1873  zu 
Potsdam  (1909),  Georgenstr.  10—12. 

Dr.  Erich  Petzet,  Bibliothekar  an  der  K.  Hof-  und  Staatsbibliothek, 
geb.  3.  Mai  1870  zu  Breslau  (1910),  Clemensstr.  38/III. 

Dr.  Karl  Vossler,  o.  Univ.-Professor  für  romanische  Philologie,  geb. 
6.  Sept.  1872   zu  Hohenheim  bei  Stuttgart  (1912),  Leopoldstr.  87/11. 

Dr.  Lucian  Scherman,  a.  o.  Univ.-Professor  für  Sanskrit -Sprache  und 
Literatur,  Direktor  des  K.  Ethnographischen  Museums,  geb.  10.  Okt. 
1864  zu  Posen  (1912),  Herzogstr.  8/II. 

Dr.  Joseph  Schick,  o.  Univ.-Professor  für  englische  Philologie,  geb. 
21.  Dez.  1859  zu  Rißtissen  (1913),  Ainmillerstr.  4/II. 

Dr.  Albert  Rehm,  o.  Univ.-Professor  für  klassische  Philologie  und  Päda- 
gogik, geb.  15.  August  1871  zu  Augsburg  (1914),  Montsalvatstr.  12. 

Mathematisch-physikalische  Klasse. 

Ordentliche  Mitglieder: 

Dr.  Adolf  Ritter  v.  Baeyer,  Exz.,  K.  Geh.  Rat,  o.  Univ.-Professor  für 
Chemie,  Direktor  des  Chemischen  Laboratoriums  des  Staates,  geb. 
31.  Okt.  1835  zu  Berlin  (o.  1877,  a.  o.  1875,  korr,  1870),  Georgen- 
straße 4/0. 


Personalstand  157 

Dr.  Ludwig  Radlkofer,  K.  Geh.  Hofrat,  o.  Univ.-Professor  für  Botanik, 
Direktor  des  Botanischen  Museums,  geb.  19.  Dez.  1829  zu  München 
(o.  1882,  a.  0.  1875),  Sonnenstr.  7/1. 

Dr.  Paul  Heinrich  Ritter  v.  Groth,  K.  Geh.  Rat,  o.  Univ.-Professor  für 
Mineralogie,  Direktor  der  Mineralogischen  Sammlung  des  Staates, 
geb.  23.  Juni  1843  zu  Magdeburg  (o.  1885,  a.  o.  1883,  korr.  1881), 
Kaulbachstr.  62/0. 

Dr.  Hugo  Ritter  v.  Seeliger,  K.  Geh.  Rat,  o.  Univ.-Professor  für  Astro- 
nomie, Direktor  der  K.  Sternwarte,  geb.  23.  Sept.  1849  zu  Biala, 
Österreich  (o.  1887,  a.  o.  1883),  Sternwartstr.  15. 

Dr.  Richard  Ritter  v.  Hertwig,  K.  Geh.  Rat,  o.  Univ.-Professor  für 
Zoologie  und  vergleichende  Anatomie,  Direktor  der  Zoologischen 
Sammlung,  geb.  23.  Sept.  1850  zu  Friedberg  (o.  1889,  a.  o.  1885), 
Schackstr.  2/ni. 

Dr.  Aurel  Voss,    K.   Geh.  Hofrat,    o.   Univ.-Professor   für   Mathematik, 

geb.  7.  Dez.  1845  zu  Altona  (o.  1889,  a.  o.  1886),  Habsburgerstr.  l/II. 
Dr.  Walther  Ritter  v.  Dyck,  K.  Geh.  Rat,  o.  Professor  für  Mathematik 

an  der  Techn.  Hochschule,  geb.  6.  Dez.  1856  zu  München   (o.  1892, 

a.  0.  1890),  Hildegardstr.  5/1II. 
Dr.  Karl  Ritter  v.  Goebel  (o.  1892),  s.  Klassensekretär  S.,153. 
Dr.   Ferdinand    Lindemann,    K.    Geh.   Hofrat,    o.    Univ.-Professor   für 

Mathematik,  geb.  12.  April  1852  in  Hannover  (o.  1895,  a.  o.  1894), 

Kolbergerstr.  11/IIr. 

Dr.  Alfred  Pringsheim,  K.  Geh.  Hofrat,  o.  Univ.-Professor  für  Mathe- 
matik, geb.  2.  Sept.  1850  zu  Ohlau,  Schlesien  (o.  1898,  a.  o.  1894), 
Arcisstr.  12. 

Dr.  Wilhelm  Konrad  Röntgen,  Exz.,  K.  Geh.  Rat,  o.  Univ.-Professor 
für  Experimentalphysik,  Direktor  der  Physikalisch  -  metronomischen 
Sammlung,  geb.  27.  März  1845  zu  Lennep  (o.  1900,  korr.  1896),  Äußere 
Prinzregentenstr.  1/L 

Dr.  Johannes  Rückert,  o.  Univ.-Professor  für  Anatomie,  insbesondere 
deskriptive  und  topographische  Anatomie,  Direktor  der  Anatomischen 
Sammlung,  geb.  28.  Dez.  1854  zu  Koburg  (o.  1901,  a.  o.  1893),  Nuß- 
baumstr.  12/1. 

Dr.  Karl  Ritter  v.  Linde,  K.  Geh.  Rat,  Honorarprofessor  für  angewandte 
Thermodynamik  an  der  Techn.  Hochschule,  geb.  11.  Juni  1842  zu 
Berndorf  (o.  1901,  a.  o.  1896),  Heilmannstr.  17. 

Dr.  Johannes  Ranke,  K.  Geh.  Hofrat,  o.  Univ.-Professor  für  Anthropo- 
logie und  allgemeine  Naturgeschichte,  Direktor  der  Anthropologisch- 
prähistorischen Sammlung,  geb.  23.  Aug.  1836  zu  Thurnau  (o.  1902, 
a.  0.  1893),  Briennerstr.  25/ni. 


1 58  Personalstand  ^M 

Dr.  Sebastian  Finster walder,  K.  Geh.  Hofrat,  o.  Professor  für  Mathe- 
matik an  der  Techn.  Hochschule,  geb.  4.  Okt.  1862  zu  Rosenheim 
(o.  1903,  a.  0.  1899),  Plüggenstr.  4. 

Dr.  August  Rothpletz,  o.  Univ.-Professor  für  Geologie  und  Paläonto- 
logie, Direktor  der  Geologischen  und  Paläontologischen  Sammlung, 
geb.  25.  April  1853  zu  Neustadt  a.  H.  (o.  1904,  a.  o.  1899),  Giselastr.  6/1. 

Dr.  Siegmund  Günther,  K.  Geh.  Hofrat,  o.  Professor  für  Erdkunde  an 
der  Techn.  Hochschule,  geb.  6.  Februar  1848  zu  Nürnberg  (o.  1905, 
a.  0.  1900),  Nikolaistr.  l/II. 

Dr.  August  Föppl,  K.  Geh.  Hofrat,  o.  Professor  für  Mechanik  an  der 
Techn.  Hochschule,  geb.  25.  Januar  1854  zu  Großumstadt,  Hessen 
(o.  1909,    a.  0.    1903),   Lachnerstr.  22. 

Dr.  Erwin  Voit,  K.  Geh.  Hofrat,  o.  Univ.-Professor  für  Physiologie  und 
Diätetik,  geb.  16.  Dez.  1852  zu  München  (o.  1909,  a.  o.  1903),  Bauer- 
straße 28,111. 

Dr.  u.  Dr.  Ing.  h.  c.  Ludwig  Burmester,  K.  Geh.  Hofrat,  o.  Professor 
für  darstellende  Geometrie  und  Kinematik  an  der  Techn.  Hoch- 
schule, geb.  5.  Mai  1840  zu  Othmarschen  (o.  1909,  a.  o.  1905),  Kaul- 
bachstr.  83/11. 

Dr.  Arnold  Sommerfeld,  o.  Univ.-Professor  für  theoretische  Physik, 
Direktor  des  Instituts  für  theoretische  Physik,  geb.  5.  Dez.  1868  zu 
Königsberg  i.  Pr.  (o.  1910,  a.  o.  1908),  Leopoldstr.  87/111. 

Dr.  Max  Ritter  v.  Grub  er,  K.  Geh.  Rat  und  Obermedizinalrat,  o.  Univ.- 
Professor  für  Hygiene  und  Bakteriologie,  geb.  6.  Juli  1853  zu  Wien 
(o.  1910,  a.  0.   1909),  Prinzenstr.  10. 

Dr.  Siegfried  Mollier,  o.  Univ.-Professor  für  Anatomie,  insbesondere 
für  Histologie  und  Entwicklungsgeschichte,  Konservator  der  Anato- 
mischen Sammlung,  geb.  19.  Juli  1866  zu  Triest  (o.  1911,  a.  o.  1908), 
Vilshofenerstr.  10. 

Dr.  Erich  v.  Drygalski,  o.  Univ.-Professor  für  Geographie,  geb.  9.  Febr. 
1865  zu  Königsberg  i.  Pr.  (o.  1912,  a.  o.  1909),  Gaußstr.  6. 

Dr.  Otto  Frank,  o.  Univ.-Professor  für  Physiologie,  Direktor  des  Phy- 
siologischen Instituts,  geb.  21.  Juni  1865  zu  Großumstadt,  Hessen 
(o.  1912,  a.  0.  1909),  Haydnstr.  5/II. 

Dr.  Max  Schmidt,  Dipl.-Ing.  h.  c,  K.  Geh.  Hofrat,  o.  Professor  für  Geo- 
däsie und  Topographie  an  der  Techn.  Hochschule,  geb.  17.  März 
1850  zu  Tambach  (o.  1913,  a.  o.  1911),  Franz  Josephstr.  18/III. 


Personalstand  159 


Historische  Klasse. 

Ordentliche  Mitglieder: 

Dr.  Johann  Friedrich,   o.  Univ.-Professor  für  Geschichte,  geb.    5.  Mai 

1836  zu  Poxdorf,  Ofr.  (o.  1880,  a.  o.  1869),  von  der  Tannstr.  17/11. 
Dr.  Sigmund   Ritter   v.   Riezler,    K.  Geh.  Rat,    o.  Univ.-Professor    für 

bayer.   Landesgeschichte,    geb.   2.  Mai    1843    zu   München    (o.   1888, 

a.  0.  1877),  K.  Maximilianeum. 
Dr.  Franz  Ritter  v.  Reber,  K.  Geh.  Rat,  o.  Professor  für  Kunstgeschichte 

an    der    Technischen    Hochschule    a.  D.,    K.   Zentral gemäldegalerie- 

direktor  a.  D.,   Honorarprofessor  an   der  Universität,    geb.  10.  Nov. 

1834  zu  Cham,  Opf.  (o.  1890,  a.  o.  1887),  Kaulbachstr.  31/0  1. 
Dr.  Hermann  Ritter  v,  Grauert,  K.  Geh.  Hofrat,  o.  Univ.-Professor  für 

Geschichte,  geb.  7.  Sept.  1850  zu  Pritzwalk  i.  d.  Ostpriegnitz  (o.  1899, 

a.  0.  1898),  Tengstr.  35/11. 
Dr.  Lujo  Brentano,  K.  Sachs.  Geh.  Hofrat,  o.  Univ.-Professor  für  National- 
ökonomie, Finanzwissenschaft  und  Wirtschaftsgeschichte,  geb.  18.  Dez. 

1844  zu  Aschaffenburg  (1901),  Mandlstr.  5/0. 
Dr.  Hans  Prutz,  K.  Preuß.  Geh.  Reg.-Rat,  emerit.  Univ.-Professor  für 

Geschichte,  geb.  20.  Mai  1843  zu  Jena  (1902),  Reitmorstr.  52/III. 
Dr.  Heinrich  Wölfflin,  K.  Preuß.  Geh.  Reg.-Rat,  o.  Univ.-Professor  für 

Kunstgeschichte,   geb.  21.  Juni   1864  zu  Winterthur  (1912),  Widen- 

mayerstraße  26/ni. 
Dr.  Adolf  Sandberger,   o.  Univ.-Professor  für  Musikwissenschaft,  geb. 

19.  Dez.  1864  zu  Würzburg  (o.  1912,  a.  o.  1902),  Prinzregentenstr.  48/1. 
Dr.  Erich  Marcks  (o.  1913,  korr.  1898),  s.  Klassensekretär  S.  153. 
Dr.  Leopold  Wenger,   o.  Univ.-Professor  für  römisches  Zivilrecht  und 

deutsches  bürgerliches  Recht,  geb.  4.  September  1874  zu  Obervellach 

in  Kärnten  (o.  1914,  a.  o.  1912),  Germaniastr.  5/0. 
Dr.  Michael  Doeberl,   K.  Ministerialrat,    Honorarprofessor  an  der  Uni- 
versität,   geb.    15.  Januar  1861    zu  Waldsassen   (o.  1915,   a.  o.  1903), 

Schönfeldstr.  6/llL 
Dr.    Robert    Davidsohn,    geb.    26.  April    1853    zu  Danzig,  K.  Preuß. 

Professor  (o.  1915,  korr.  1909),  Maximiliansplatz  5. 
Dr.  Ulrich  Wilcken,  o.  Univ.-Professor  für  alte  Geschichte,  geb.  18.  Dez. 

1862  zu  Stettin  (1915),  Konradstr.  12/0. 


160 


Personal  stand 


Ausserordentliche  Mitglieder: 

Dr.  Ludwig  Quidde,  K.  Preuß.  Professor,  geb.  23.  März  1858  zu  Bremen 
(1892),  Gedonstr.  4/1. 

Dr.  Georg  Leidinge r,  Oberbibliothekar  an  der  K.  Hof-  und  Staats- 
bibliothek, geb.  30.  Dez.  1870  zu  Ansbach  (1909),  Lotzbeckstr.  6/L 

Dr.  Karl  Mayr,  (1909),  s.  Verwaltung  S.  153. 

Dr.  Georg  Habich,  Direktor  des  K.  Münzkabinetts,  geb.  24.  Juni  1868 
zu  Darmstadt  (1910),  Schönfeldstr.  20/11. 

Dr.  Georg  Hager,  K.  Generalkonservator  der  Kunstdenkmale  und  Alter- 
tümer Bayerns,  geb.  20.  Okt.  1863  zu  Nürnberg  (1911),  Kochstr.  18/n. 

Dr.  Theodor  Bitterauf,  Professor  der  Geschichte  an  der  Kriegsakademie, 
a.  0.  Professor  an  der  Universität,  geb.  7.  Okt.  1877  zu  Nürnberg 
(1914),  Kaiserplatz  9/1  r. 


Personalstand 


161 


Auswärtige  und  korrespondierende  Mitglieder 

nach  den   drei  Klassen   (bzw.  Sektionen   derselben),   in   alpha- 
betischer Ordnung. 

üie  Zahl  vor  dem  Namen  bezeichnet  das  Jahr  der  Wahl  in  die  Akademie. 


I.  Philosophisch -philologische  Klasse. 
Auswärtige  Mitglieder: 


1890  Delbrück  Berthold  in  Jena 
1884  Förster  Wendelin  in  Bonn 
1897  Hirth  Friedrich  in  New- York 

1891  Jagic  Yatroslav  v.  in  Wien 
1884  Imhoof- Blumer    Friedrich 

in  Winterthur 
1874  Kern  Heinrich  in  Utrecht 


1892  Leskien  August  in  Leipzig 
1877  Meyer  Wilhelm  in  Göttingen 
1879  Nöldeke  Theodor  in  Straß- 
burg i.  E. 
1890  Stumpf  Karl  in  Berlin 
1888  Wimmer  Ludwig  in  Kopen- 
hagen. 


Korrespondierende  Mitglieder: 


1912  Behaghel  Otto  in  Gießen  1880 
1908  Bezold  Karl  in  Heidelberg  1888 
1907  Boll  Franz  in  Heidelberg  1900 
1904  Braune  Wilhelm  in  Heidel-  1906 

berg 

1895  Brugmann  Karl  in  Leipzig  1899 
1911  Bulle  Heinrich  in  Würzburg  1913 
1879  Comparetti    Domenico     in 

Florenz  1910 

1910  Cumont  Franz  in  Brüssel  1911 

1898  Diels  Hermann  in  Berlin  1912 

1896  Er  man  Adolf  in  Berlin  1909 
1901  Evans  Arthur  J.  in  Oxford  1905 

1913  Fischer  Hermann  v.  in  Tu-  1907 
hingen  1909 

Jahrbuch  1915, 


Foucart  Paul  in  Pai-is 
Geiger  Wilhelm  in  Erlangen 
Götz  Georg  in  Jena 
Grenfell  Bernard  P.  in  Ox- 
ford. 

Grünwedel  Albert  in  Berlin 
Heiberg  Ludwig  in  Kopen- 
hagen 

HillebrandAlfredin  Breslau 
Hirzel  Rudolf  in  Jena 
Hülsen  Christian  in  Florenz 
Hunt  Arthur  in  Oxford 
H  u  s  s  e  r  1  Edmund  inGöttingen 
Jacob  Georg  in  Kiel 
Jacobi  Hermann  in  Bonn 
11 


162 


Personalstand 


1902  Jirecek  Joseph  Konstantin  in 
Wien 

1886  Jolly  Julius  in  Würzburg 
1915  Karabacek  Josef,  Ritter  v. 

in  Wien 
1910  Kenyon  Frederick  George  in 

London 
1909  Kluge  Friedrich  in  Freiburg 

im  Breisgau. 

1907  Lambros    Spyridion    P.     in 
Athen 

1903  Lenel  Otto  in  Freiburg  i.  Br. 

1908  Liebermann  Felix  in  Berlin 
1892  Luchs  August  in  Erlangen 

1903  Mit t eis  Ludwig  in  Leipzig 
1905  Noreen  Adolf  in  Upsala 

1904  Omont  Henri  in  Paris 
1915  Robert  Karl  in  Halle 
1914  Sauer  August  in  Prag 


1906  Schlumberger    Gustav     in 

Paris 
1897  Schuchardt   Hugo   in   Graz 
1889  Sievers   Eduard   in   Leipzig 
1895  So  der  wall  Knut  Fredrik  in 

Lund 
1913  Stählin  Otto  in  Erlangen 
1886  Steinmeyer  Elias  v.  in  Er- 
langen 
1895  Sweet  Henry  in  Oxford 
1904  Thomsen  Vilhelm  in  Kopen- 
hagen 
1893  Vitelli  Gii'olamo  in  Florenz 

1904  Wilamowitz-Moellen- 
dorff  Ulrich  v.  in  Berlin 

1905  Windisch  Ernst  in  Leipzig 
1900  Wundt  Wilhelm  in  Leipzig 
1908  ZielinskiThaddäus  in  St.  Pe- 
tersburg. 


II.  Mathmatisch- physikalische  Klasse. 


Astronomie  und  Geodäsie. 


Korrespondierende  Mitglieder: 
1911  Bau  sching  er  Julius  inStraß-       1896  Helm  ertF.Robertin  Potsdam 


bürg  i.  E. 
1897  Bruns  Ernst  Heinr.  in  Leipzig 
1892  Förster  Wilhelm   in   Berlin 


1908  Hill  George  William  in  West- 

Nyak. 
1912  Struve  Hermann  in   Berlin. 


Mathematik. 


1882  Brill  Alexander  in  Tübingen 
1899  Darboux  Gaston  in  Paris 
1903  Hilbert  David  in  Göttingen 

1879  Klein  Felix  in  Göttingen 

1880  KönigsbergerLeoinHeidel- 
berg 

1912  Mittag-Leffler    Gustav    in 
Stockholm 


Korrespondierende  Mitglieder: 

1895  Neu  mann  Karl  in  Leipzig 
1887  Noether  Max  in  Erlangen 
1912  Schwarz  Hermann  Amandus 

in  Berlin 
1910  Zeuthen  Hieronymus  in  Ko- 
penhagen. 


Personalstand 


163 


1910 
1895 
1890 
1912 
1911 
1873 

1890 

1888 


1910 

1910 

1888 

1907 

1880 
1884 
1878 
1909 


Physik. 
Korrespondierende  Mitglieder: 
Hann  Julius  in  Wien 
Loren tz   H.  A.   in   Haarlem 
Mach  Ernst  in  Haar 
N ernst  Walter  in  Berlin 
Planck  Max  in  Berlin 


Quincke  Georg  Hermann  in 
Heidelbersr 


R  a  y  1  e  i  g  h  John  William  Lord 
in  London 

Recknagel  Georg  in  Augs- 
burg 

Chemie. 

Auswärtiges  Mitglied: 

Hof  mann  Karl  in  Charlottenburg. 

Korrespondierende  Mitglieder: 


1909  Riecke  PMuard  in  Göttingen 

1911  Rutherford   Ernst   in  Man- 
chester 

1907  Thomson    Joseph    John    in 
Cambridge  (England) 

1909  Voigt    Woldemar    in    Göt- 
tingen 

1905  Warburg  Emil  in  Charlotten- 
burg 

1907  Wien  Wilhelm  in  Würzburg. 


Ciamician   Giacomo  in  Bo- 
logna 

Claisen    Rainer   Ludwig    in 
Godesberg  a.  Rh. 
Curtius  Theodor  in  Heidel- 
berg 

Fischer  Emil  in  Berlin 
Fischer  Otto  in  Erlangen 
Grabe  Karl  in  Frankfurt  a.  M. 
Haller  Albin  in  Paris 


1910  Paternö  di  SessaEmanuele 
in  Rom 

1911  Perkin  William  Henry  in  Ox- 
ford 

1882  Roscoe  Henry  E.  in  London 
1901  Thiele    Johannes    in    Straß- 
burg i.  E. 
1914  Willstätter     Richard     in 
Berlin. 


Physiologie. 

Korrespondierende  Mitglieder: 

1912  Exner  Siegmund  in  Wien  1913  Langley  John   Newport    in 

1885  Hensen  Viktor  in  Kiel  Cambridge  (England). 

1901  Hering  Ewald  in  Leipzig  1914  Rubner  Max  in  Berlin. 

1911  Kries   Johannes   v.   in   Frei- 
burg i.  Br. 

Zoologie  und  Anatomie. 

Auswärtiges  Mitglied : 
1870  Häckel  Ernst  in  Jena. 

Korrespondierende  Mitglieder: 
1900  Bütschli  Otto  in  Heidelberg       1903  Fürbringer  Max  in  Heidel- 
1906  Froriep  Aug.  v.  in  Tübingen  berg 

11* 


164 


Personalstand 


1897  Hertwig  Oskar  in  Berlin 
1906  Rabl  Karl  in  Leipzig 
1899  Retzius    Gustav    in    Stock- 
holm 
1911  Roux  Wilhelm  in  Halle 


1896  Schulze    Franz    Eilhard    in 

Berlin 
1896  Waldey  er  Wilhelm  in  Berlin 
1910  Wilson  Edmond  Beecher  in 

New- York. 


Botanik. 


1909  Bower   Frederick    Orpen    in 

Glasgow 
1902  Engler  Adolf  Gustav  Heinr. 

in  Berlin 
1913  Haberlandt   Gottlieb   in 

Berlin 

1908  Nawaschin  Sergius  in  Kiew 
1880  Pfeffer  Wilhelm  in  Leipzig 

1909  Prain  David  in  Kew 


Korrespondierende  Mitglieder: 

1880  Seh  wendener   Simon    in 

Berlin 
1906  Stahl  Ernst  in  Jena 
1900  Vries  Hugo  de,  in  Amsterd 
1893  Warming   Eugen  in  Kopen 

hagen 
1914  Wettstein    Richard,    Ritter 

von  Westersheim  in  Wien 
1903  Wiesner  Julius  v.  in  Wien, 


'am    ■ 


Mineralogie,  Geologie  und  Paläontologie. 
Korrespondierende  Mitglieder: 


1898 
1913 
1902 

1891 

1896 

1910 
1895 

1907 


Barrois  Charles  in  Lille 
Becke  Friedrich  J.  K.  in  Wien 
Br0gger    Waldemar     Chri- 
stofer in  Christiania 
Capellini   Giovanni   in   Bo- 
logna 

Fedorow  Eugraf  v.,  in  St. 
Petersburg 

Fl  et  eher  Lazarus  in  London 
Geikie  Sir  Archibald  in 
London 

Gilbert  Karl  Grove  in  Wash- 
ington 


1899  Karpinskij  Alexander  in  St. 

Petersburg 
1910  Miers    Henry    Alexander    in 

London 
1912  Nathorst  Alfred   Gabriel  in 

Stockholm. 
1910  Osborn    Henry    Fairfield   in 

New-York 
1910  Scott    Dukinfield    Henry    in 

London 
1870  Tschermak    Gustav    v.    in 

Wien 
1912  Willis  Bailey  in  Chicago. 


I 


Erdkunde. 
Korrespondierende  Mitglieder: 


1909  Partsch  Joseph  in  Leipzig 
1909  Penck  Albrecht  in  Berlin 


1882  Schweinfurth  Gg.  in  Berlin 
1911  Wiechert  Emil  in  Göttingen. 


Personalstand 


165 


III.  Historische  Klasse. 

Auswärtige  Mitglieder: 
189S  Dove  Alfred  in  Freiburg  i.Br.       1870  Ritter  Moriz  in  Bonn. 


Korrespondierende  Mitglieder: 


1904 

1910 

1881 
1891 

1887 

1895 
1898 
1892 
1904 

1882 

1890 
1903 
1909 
1901 
1903 
1904 
1897 

1902 
1914 

1888 
1902 

1890 
1891 

1906 

1912 


Bei  GW  Georg  v.  in  Freiburg 
i.  Br. 

Bernheim  Ernst  in  Greifs- 
wald 

Bezold  Friedrich  v.  in  Bonn 
Bode  Wilhelm  v.  in  Berlin 
Bresslau  Harry  in  Sti-aßburg 
i.  E. 

Bücher  Karl  in  Leipzig 
Chuquet  Arthur  in  Paris 
Cipolla  Carlo  Graf  in  Turin 
D'Avenel   Georges  Vicomte 
in  Paris 

Dehio    Georg    Gottfried     in 
Straßburg  i.  E. 
Duchesne  Louis  in  Rom 
Fester  Richard  in  Halle  a.  S. 
F  i  n  k  e  Heinr.  in  Freiburg  i.  Br. 
Fournier  Paul  in  Grenoble 
Gierke  Otto  v.  in  Berlin 
Goetz  Walter  in  Leipzig. 
Harnack   C.  G.  Adolf  v.   in 
Berlin 

Hauck  Albert  in  Leipzig 
Hintze  Otto  in  Berlin 
Kaufmann  Georg  in  Breslau 
Knapp    Georg   Friedrich    in 
Straßburg  i.  E. 
Lenz  Max  in  Hamburg 
Leroy-Beaulieu    Anat.    in 
Paris 

Luschin  Arnold,  Ritter  von 
Ebengreuth  in  Graz 
Mahaffy  John  P.  in  Dublin 


1911  Meinecke  Friedrich  in  Berlin 
1895  Meyer  Eduard  in  Berlin. 

1890  Meyer    v.    Knonau    Gerold 
in  Zürich 

1904  Monaci  Ernesto  in  Rom 
1888  Müller  Karl  Ferd.  Friedr.  v. 
in  Tübingen 

1898  OberhummerEugen  inWien 

1908  Ottenthai  Emil  v.  in  Wien 

1902  Pais  Ettore  in  Rom 

1912  Pirenne  Henri  in  Gent 

1909  Redlich  Oswald  in  Wien 

1899  Rooses   Max   in   Antwerpen 
1908  Schäfer   Dietrich    in   Berlin 

1913  Schanz   Georg   v.    in  Würz- 
burg 

1895  Schmoll  er    Gustav    v.    in 
Berlin 

1892  Schröder  Richard  in  Heidel- 
berg 

1912  Schulte  Alois  in  Bonn 
1875  So  hm  Rudolf  in  Leipzig 
190(5  Strzygowski  Joseph  in  Graz 

1913  Tangl  Michael  in  Berlin 

1914  Troeltsch    Ernst    in   Berlin 
1884  Ulmann  Heinrich  in  Greifs- 
wald 

1911  Valois  Noel  in  Paris 

1903  Venturi  Adolfo  in  Rom 
1871  Villari  Pasquale  in  Florenz 
1903  Vi  seh  er  Robert  in  Wien 
1908  Vogüe  Charles  Jean  Melchior 

Marquis  de  in  Paris 

1891  Winter  Gustav  in  Wien. 


166 


Personal  stand 


Besondere  Kommissionen 
bei  der  K.  Akademie  der  Wissenschaften. 


I.  Kommission  für  die  Herausgabe  der  Monumenta  Boica. 

Mitglieder 

auf  unbestimmte  Zeit  gewählt: 
Marcks,  Vorsitzender  Riezler  v.  Grauert  v. 

Petz  Dr.  Johann,  K.  Reichsarchivrat,  Redakteur  und  Schriftführer. 

Hilfsarbeiter:   Dr.  Steinberger  Ludwig,  Privatdozent 
Dr.  Bastian  Franz. 

2.  Historische  Kommission. 

I.  Ordentliche  Mitglieder: 

Winter  Gustav,  Wien    1901 
Hauck  Albert,  Leipzig   1903 
Below  Georg  v.,  Freiburg  i.Br.  1903 
Quidde    Ludwig,     München    1907 

(a.  0.  1887) 
Redlich  Oswald,  Wien   1908 
Goetz    Walter,  Leipzig 

1913  (a.  0.  1911) 
Brandenburg  Erich,  Leipzig  1913 

(a.  0.  1911) 
Marcks  Erich,  München  1914 
Beckmann  Gustav,  Erlangen  1914 

(a.  0.  1903). 


Ritter  Moriz,    Bonn,  Vorsitzender 

1898  (a.  0.  1883) 
Riezler    Sigmund    v.,     München, 

Sekretär  1887  (a.  o.  1883) 
Bezold    Friedrich   v.,    Bonn    1892 

(a.  0.  1883) 
Meyer  v.  Knonau  Gerold,  Zürich 

1894 
Lenz  Max,  Hamburg   1894 
Friedrich  Johann,  München  1898 
Dove  Alfred,   Freiburg  i.  Br.   1901 
Grauert    Hermann    v.,    München 

1901 


II.  Ausserordentliche  Mitglieder: 

Herre  Hermann,  München  1903  Mayr  Karl,  München  1911. 

Wissenschaftliche  Mitarbeiter  in  München : 
Bauckner  Arthur  Endres  Fritz  Müller  Karl  Alexander  v 

3.  Kommission  für  die  Savigny-Stiftung 

(auf  unbestimmte  Zeit  gewählt). 

Amira  v.,  Vorsitzender  Brentano 

Grauert  v.  Wenger 


Personalstand  167 

4.  Kuratorium  für  die  Liebig-Stiftung. 

Crusi US,  Vorsitzender  So xhlet  Dr.  Franz  v.,  Schriftführer 

Goebel     v.,     Vertreter     des    Vor-       Radlkofer  Ludwig 

sitzenden  Brentano,  Lujo 

Liebig  Hans  Frhr.  v.,  Privatdozent  für  Chemie  in  Gießen,  als  Vertreter 
der  Familie. 

Ferner  die  gegenwärtigen  Inhaber  der  goldenen  Liebig-Medaille : 

Settegast  Dr.  H.,  Geh.  Regierungsrat,  Professor  in  Berlin 

Kellner  Dr.  0.,   Geh.  Hofrat,  Professor  in  Möckern 

Frank  Dr.  Adolf,   Geh.  Hofrat,  Professor  in  Charlottenburg 

Rubner  Dr.  Max,  Geh.  Medizinalrat,  Professor  in  Berlin 

Kraus  Dr.  Karl,  Geh. Hofrat,  Professor  an  der  Techn.  Hochschule  inMünchen 

König  Dr.  Joseph,   Geh.  Regierungsrat,  Professor  in  Münster  in  Westf. 

5.  Kommission  für  den  Zographos-Fonds 

(auf  je  drei  Jahre  gewählt). 

Wecklein  Wolters 

Crusius  Heisenberg. 

6.  Kommission  für  die  Münchener  Bürger-  und  Cramer-Klett-Stiftung. 

Crusius  Seeliger  V. 

Goebel  v.  Hertwig  v. 

Baeyer  v. 

7.  Kommission  für  die  Thereianos-Stiftung 

(auf  je  drei  Jahre  gewählt). 

Kuhn,  Vorsitzender         Wolters 
Crusius  Heisenberg 

Wecklein  Wenger. 

8.  Kommission  für  die  Hardy-Stiftung. 

Crusius  Streitberg 

Kuhn  Scherman. 

9.  Kommission  für  die  Koenigsstiftung  zum  Adolf  von  Baeyer- 

Jubiläum. 

Crusius  Goebel  v. 

Baeyer  V, 


168 


Personalstand 


10.  Kommission  für  die  Wilhelm  Koenigs-Stiftung 

für  botanische  und  zoologische  Forschungen  und  Forschungsreisen. 
Crusius  Hertwig  v. 

Goebel  v. 

II.  Kommission  für  den  Hitl'schen  Fonds  zur  Förderung 
der  Medaillenkunst. 

Crusius  Otto  Habich  Georg 

Hitl  Georg,  Privatier  Stadler  Anton,  Professor 

Frauendorfer  v.  Mayr-Graz  Karl,  Kunstmaler 

Diez  Julius,  Professor  Hahn  Hermann,  Professor. 

12.  Kommission  für  die  Heinr.  v.  Brunokstiftung. 

Crusius         Goebel  v. 
Baeyer  v. 

13.  K.  B.  Kommission  für  die  internationale  Erdmessung. 


Crusius,  Vorsitzender 
Seeliger  v.,  Sekretär  und  Stell- 
vertreter des  Vorsitzenden 

Kustos:  Dr.  Ernst  Zapp 
Technischer  Offiziant: 


Mitglieder: 

Finsterwalder 
Schmidt. 


14.  Mitglieder  der  Zentraldirektion  der  Monumenta  Germaniae 

historica 

von  der  K.  B.  Akademie  gewählt  am  5.  März  1875  und  9.  Februar  1895 
ohne  Begrenzung  der  Funktionsdauer. 

Riezler  v. 

Steinmeyer  v.,  korr.  Mitglied  der  historischen  Klasse. 

15.  Kommission  für  die  Herausgabe  des  Thesaurus  linguae  Latinae. 

Vollmer,  Vertreter  der  K.  Akademie  der  Wissenschaften  in  München, 
z.  Z.  Vorsitzender. 

Thesaurus-Bureau: 
Dittmann  Dr.  Georg,  K.  Preuß.  Gymnasialoberlehrer  in  Urlaub,  General- 
redaktor 
Jachmann  Dr.  Günther,  Redaktor 

Hey  Dr.  Oskar,  K.  Gymnasialprofessor  in  Urlaub,  Sekretär 
13  Assistenten. 


Personalstand  169 

16.  Kommission  für  die  Herausgabe  einer  Enzyklopädie 
der  mathematischen  Wissenschaften. 

Dyck  Dr.  Walter  v.,  Vertreter  der  K.  Bayer.  Akademie  der  Wissen- 
schaften, z.  Z.  Vorsitzender 

Seeliger  Dr.  Hugo  v.,  Vertreter  der  K.  Bayer.  Akademie  der  Wissen- 
schaften. 

17.  Kommission  für  die  Herausgabe  der  Bibliothekskataloge 
des  Mittelalters. 

Grauert  v.  Vollmer  Leidinger 

Wissenschaftlicher  Hilfsarbeiter:  Dr.  Lehmann  Paul. 

18.  Kommission  für  das  Corpus  griechischer  Urkunden. 

Crusius  Grauert  v.  Heisenberg 

Wissenschaftlicher  Hilfsarbeiter:  Dr.  Marc  Paul. 

19.  Kommission  für  die  Herausgabe  von  Wörterbüchern 

der  bayerischen  Mundarten. 

Kuhn,  I.Vorsitzender  Streitberg,  2.  Vorsitzender 

Riezler  v.  Berneker 

Amira  v.  Muncker. 

Paul 

Wissenschaftlicher  Hilfsarbeiter:  Dr.  Maus s er  Otto. 

20.  Kommission  für  die  Samsonstiftung. 

Crusius  Marcks 

Goebel  v,  Mollier 

Gruber  v.  Ranke 

Hertwig  v.  Riezler  v. 

Külpe  Rückert 

Kuhn  Voit 

21.  Vertreter  der  Akademie  für  das  Ägyptische  Wörterbuch. 

Bissing  Frhr.  v. 


170 


Berichte  und  Protokolle 

akademischer   Kommissionen. 


Bericht  der  Kommission  für  den  Thesaurus  linguae  latinae 
über  die  Zeit  vom  1.  April  1914  bis  31.  März  1915. 

1.  Herr  Brugraann  hat  am  6.  Februar  1915  aus  Ge- 
sundheitsrücksichten die  Vertretung  der  phil.-hist.  Klasse  der 
Sächsischen  Gesellschaft  der  Wissenschaften  in  der  Thesaurus- 
Kommission  niedergelegt.  An  seine  Stelle  ist  Herr  Prof.  Dr. 
Richard  Heinze  gewählt  worden.  Die  Kommission  ist  Herrn 
Brugmann,  der  als  Nachfolger  Otto  Ribbecks  ihr  Mitglied  ge- 
worden, nicht  nur  für  seine  regelmäßige  Teilnahme  an  ihrer 
Arbeit  und  ihren  Sitzungen  verpflichtet,  sondern  dankt  es  ihm 
besonders,  daß  er  durch  sein  Ansehen  und  durch  seine  ruhige 
Milde  die  Beziehungen,  welche  die  Thesaurus-Arbeit  zur  ver- 
gleichenden Sprachwissenschaft  unterhalten  muß,  angeknüpft 
und  aufs  beste  gepflegt  hat. 

2.  Die  Kommission  hat,  da  Fragen  allgemeinerer  Art  zur 
Erledigung  nicht  vorlagen,  von  der  Abhaltung  der  Ostersitzung 
1915  abzusehen  beschlossen. 

3.  Unsere  Arbeit,  die  gerade  wieder  anfing  das  gewohnte 
Tempo  einzuschlagen,  ist  naturgemäß  durch  den  gewaltigen 
Krieg  aufs  schwerste  beeinträchtigt  worden.  Nachdem  am 
16.  April  Dr.  Jachmann  als  zweiter  Redaktor  eingetreten 
und  am  1.  Mai  als  Ersatz  für  den  in  das  Lehramt  zurück- 
berufenen Dr.  Pflugbeil  Gymnasiallehrer  Friedrich  Leonhardi 


Kommissionsberichte  171 

aus  Dresden  von  der  K.  sächs.  Regierung  ins  Bureau  entsandt 
war,  schienen  alle  Bedingungen  gegeben,  um  einen  frischen 
Fortgang  der  Arbeit  zu  gewährleisten.  Da  brach  der  Krieg 
aus,  und  nicht  weniger  als  11  von  den  18  Mitgliedern  des 
Bureaus  wurden  aus  ihrer  Tätigkeit  gerissen,  darunter  auch 
der  zweite  Redaktor.  Für  diesen  gelang  es  Ende  des  Jahres 
Urlaub  zu  erwirken,  der  bis  zum  1.  Juli  d.  J.  verlängert  wor- 
den ist;  ein  Assistent  trat  aus  der  Krankenpflege  wieder  ins 
Bureau  zurück.  Aber  alle  übrigen,  durchweg  schon  eingear- 
beitete und  bewährte  Kräfte,  blieben  seit  August  unserer  Tätig- 
keit fern.  Vier  von  ihnen  haben  ihr  Leben  dem  Vaterlande 
zum  Opfer  gebracht:   Dr.  Camill  Becker  (gefallen  am  23.  8. 

14  bei  Bois  la  Chapelle),  Friedrich  Leonhardi  (gefallen  am 
8.  10.  14  bei  Vassimont),  Dr.  Sigmund  Tafel  (gefallen  am 
15.  11.  14  bei  Wytschaete),  Dr.  Walther  Schwering  (als 
Kriegsfreiwilliger  am  Typhus  im  Lazarett  bei  Tournai  am  1.  2. 

15  verstorben).  Sie  haben  alle,  jeder  in  seiner  Art,  dem  The- 
saurus-Werke wertvolle  Dienste  geleistet,  und  ihr  Andenken 
wird  bei  uns  in  Ehren  gehalten  werden. 

4.  Für  die  Weitergewährung  der  regelmäßigen  und  auch 
der  außerordentlichen  Beiträge,  die  bisher  die  Thesaurus-Arbeit 
ermöglicht  haben,  sprechen  wir  allen  beteiligten  Regierungen 
und  wissenschaftlichen  Gesellschaften  unsern  aufrichtigen  Dank 
aus.  Wir  verzeichnen  mit  Genugtuung,  daß  uns  bisher  noch 
kein  Beitrag  ausgeblieben  oder  auch  nur  gekürzt  worden  ist, 
Auch  die  Druckerei  hat  es  bis  jetzt  möglich  gemacht,  alles 
eingehende  Manuskript  wie  in  Friedenszeiten  zu  erledigen. 

5.  Nach  den  Halbjahrberichten  des  Herrn  Generalredaktors 
sind  im  Jahre  1.  April  1914  bis  1.  April  1915  fertiggestellt 
worden  21  Bogen,  Band  V  bis  dispono,  Band  VI  bis  ferveo. 
das  Onomastikon  bis  Desideratus. 

6.  Im  Jahre  1914  betrugen 

die  Einnahmen       .       .       M.  57  653.65 

die  Ausgaben  .       .        »57  590.60 

Überschuß       K  63.05 


172 


Kommissionsberichte 


Unter  den  Ausgaben  sind  verrechnet  M.  3000,  die  als 
Rücklage  für  den  Sparfonds  verwendet  worden  sind. 

Die  als  Reserve  für  den  Abschluß  des  Unternehmens  vom 
Buchstaben  P  an  bestimmte  Wölfflin  -  Stiftung  betrug  am 
1.  Januar  1915  M.  60  619.87. 

7.  Übersicht  über  den  Finanzplan  für  1915. 

Einnahmen: 
Beiträge   der   Akademien   und   gelehrten    Gesellschaften 
(einschließlich  der  Sonderbeiträge   von  Berlin   und 

Wien) M.  32000.— 

Beitrag  der  Wissenschaftlichen  Gesellschaft  zu  Straßburg          ,  600. — 

Giesecke- Stiftung  1914 ,  5000.— 

Zinsen,  rund       .........          ,  150. — 

Honorar  von  Teubner  für  60  Bogen  (6  Onomastikon)    .          „  9096.— 

Stipendien  und  Beiträge  anderer  Staaten         ...          ,  4700. — 


Ausgaben: 

Gehälter 

Laufende  Ausgaben 

Honorar  (60  Bogen) 

Verwaltung  (inkl.  Angestellten-Versicherung) 
Exzerpte  und  Nachträge    .... 
Unvorhergesehenes      ..... 
Sparfonds 


Summe  M. 

51546.— 

M. 

33267.— 

11 

3500.— 

71 

4800.- 

« 

5000.— 

Jl 

1000.— 

V 

500.- 

K 

3000  — 

Summe  M.  51067. 
Voraussichtlicher  Überschuß     M.       479. 


Berlin,  Göttingen,  Leipzig,  München,  Wien, 
1.  April  1915. 


Diels.     Hauler.     Heinze.     Lommatzsch. 
Norden.     Vollmer.     Wendland. 


Komraissionsberichte  173 


Bericht  über  den  Fortgang  der  Arbeiten  bei  der  Kom- 
mission für  die  Herausgabe  der  mittelalterlichen  Biblio- 
thekskataloge Deutschlands  und  der  Schweiz 
in  der  Zeit  von  Mai  1914  bis  Mai  1915. 

Unser  Unternehmen  hat  im  vergangenen  Jahre  mannig- 
fach unter  dem  Kriege  gelitten,  jedoch  wurden  die  Arbeiten 
nur  unwesentlich  aufgehalten.  Einen  großen  schmerzlichen 
Verlust  erlitten  wir  durch  den  am  15.  November  1914  erfolgten 
Heldentod  unseres  langjährigen  Mitarbeiters,  des  Herrn  Dr.  Sig- 
mund Tafel  (München-Stuttgart).  Die  Erinnerung  an  seine 
lautere  Persönlichkeit  und  seine  tüchtigen  Leistungen  wird  stets 
in  uns  fortleben. 

Unser  Berliner  Mitarbeiter,  Herr  Dr.  F.  Schillmann,  der 
ebenfalls  seit  1914  im  Heeresdienste  steht,  ist  uns  zum  Glück 
bisher  erhalten  geblieben. 

Die  Forschungsreisen  wurden  1914/15  mit  Rücksicht 
auf  die  Kriegsverhältnisse  stark  beschränkt  und  nur  durch  den 
unterzeichnenden  Redaktor  Dr.  P.  Lehmann  ausgeführt.  Als 
ich  Ende  Mai  1914  anläßlich  der  Kartellversammlung  der 
deutschen  Akademien  in  Wien  war,  benutzte  ich  die  Gelegen- 
heit, einige  Stunden  in  der  K.  K.  Hofbibliothek  zu  arbeiten, 
und  fand  dort  in  Cod.  Pal.  3404,  einem  Augsburger  Notariats- 
protokollbuch vom  Ende  des  15.  Jahrhunderts,  einige  bisher 
unbekannte  Bücherverzeichnisse,  z.  B.  das  des  Augsburger  Ka- 
nonikus Konrad  Harscher  von  1493,  worin  viele  antike  Klassiker 
und  deutsche  Texte  verzeichnet  stehen.  Am  30.  Juli  trat  ich 
eine  Reise  an,  die  namentlich  den  Bibliotheken  und  Archiven 
des  Rheinlandes  gelten  sollte.  Jedoch  kam  es  nur  zu  Arbeiten 
in  Bonn,  Darmstadt,  Düsseldorf  und  Köln.  Neuentdeckt 
wurden  im  Staatsarchiv  zu  Düsseldorf  Bücherverzeichnisse  des 
Stiftes  D.    aus   dem  14.  Jahrhundert.      Am  12.  August  mußte 


174 


Ko  mmissionsberichte 


die  Reise  des  Krieges  wegen  abgebrochen  werden,  so  daß  vieles, 
namentlich  ein  großer  Teil  der  Kölner  Sammlungen  unerledigt 
blieb.  Vom  16.— 20.  März  1915  ergänzte  ich  frühere  Nach- 
forschungen in  Ulm, 

Die  übrige  Zeit  wurde  auf  die  Fortsetzung  des  Druck- 
manuskriptes, der  Drucklegung  des  1.  Bandes  und  auf  die  Vor- 
bereitung der  Register  verwendet,  wobei  ich  von  Herrn  cand. 
phil.  Anton  Mayer  (München)  unterstützt  wurde.  Leider  traten 
im  Druck  mehrfach  längere  Unterbrechungen  ein,  da  die  Druckerei 
des  G,  H.  Beck  sehen  Verlages  infolge  der  Einberufungen  unter 
Personalmangel  zu  leiden  hatte.  Immerhin  waren  bis  Mai  1915 
15  Druckbogen  fertig.  Mit  langsamer  Fortsetzung  des  Druckes 
im  Kriege  ist  zu  rechnen. 

München,  im  Mai  1915.  Der  Redaktor: 

Dr.  Paul  Lehmann. 


Abrechnung  für  1914. 


Einnahmen. 

Ausgaben. 

J(, 

o3 

Ji 

4 

Überschuß  vom  Jahre  1913 

2172 

62 

Gehalt  des  Redaktors     . 

2400 

— 

Beitrag  Berlin     .... 

800 

— 

Honoi'are  der  Mitarbeiter 

63 

15 

„        Göttingen   .     .     . 

800 

— 

Reisekosten 

192 

90 

„        Leipzig  .     .     .     . 

1000 

— 

Kleine  Ausgaben  (Bureau- 

,       München     .     .     . 

2000 

- 

bedarf,  Photographien 

u.  a.) 

47 

84 

Portoausgaben  .... 

13 

47 

Summe 

6772 

62 

Summe 

2717    36 

Abgleichung. 

Einnahmen    .     . 

6772.62.^ 

Ausgaben 

2717.3(1    - 

Rest  und  Übergang  auf  das  Jahr  1915  .     4055.26  J(< 


Kominissionsberichte  175 


Dritter  Bericht  der  Kommission  für  die  Herausgabe 
von  Wörterbüchern  bayerischer  Mundarten. 

Das  Berichtsjahr  1915  stand  vollständig  unter  dem  Zeichen 
des  Krieges.  Der  Verkehr  mit  den  Sammlern  mußte  natur- 
gemäß und  im  Verhältnis  zu  den  Einberufungen  der  Militär- 
pflichtigen unter  ihnen  eine  weitere  sehr  fühlbare  Beschränkung 
erfahren.  Immerhin  blieb  wenigstens  ein  Teil  bis  heute  arbeits- 
fähig. Es  ist  nur  zu  wünschen,  daß  diese  Daheimgebliebenen 
im  kommenden  Arbeitsjahr  dem  Wörterbuch  ebenso  treu  bleiben 
wie  in  den  beiden  Kriegsjahren  1914/1915.  Wie  sehr  sie  da- 
mit nicht  nur  im  Sinne  der  Kommission,  sondern  vor  allem 
auch  derer  handeln,  die  draußen  im  Felde  und  zu  Hause  in 
den  Lazaretten  liegen,  das  zeigen  uns  die  Briefe  und  sogar 
Fragebogenbeantwortungen  aus  dem  Schützengraben,  aus  Feld- 
batterien und  vom  Krankenlager.  Unter  diesen  Umständen 
durften  wir  von  einem  vollständigen  Verzeichnis  unserer  Sammler 
heuer  absehen.  Unser  Registrator  Wilhelm  Schmidt  steht,  mit 
dem  Eisernen  Kreuz  II.  Klasse  ausgezeichnet,  als  Leutnant  der 
Landwehr  noch  an  der  Westfront;  die  Registraturgeschäfte 
wurden  daher  wie  im  Vorjahre  von  Fräulein  Charlotte  Kuhn 
weitergeführt. 

1.  Bayerisch-österreichisches  Wörterbuch. 

Die  Registrierung  des  aus  den  Fragebogen  anfallenden 
Materials  konnte  im  Berichtsjahre,  namentlich  in  dessen  zweiter 
Hälfte  in  größerem  Umfange  als  bisher  in  Angriff  genommen 
werden.  Das  gilt  namentlich  von  den  lexikalisch  oft  schwer 
faßbare  Probleme  behandelnden  Fragebogen  zum  Wortschatz 
der  Hochzeit  (Nr.  7—11).  Die  Zahl  der  Wortzettel  hat  sich 
wiederum   ganz   erheblich  vermehrt.     Die  Arbeiten  zur  Wort- 


1  •  t)  Kommissionsberichte 

und  Lautgeographie  wurden  fortgesetzt,  auf  Reisen  allerdings 
mußte  infolge  der  Kriegslage  verzichtet  werden.  Im  Laufe 
der  nächsten  Monate  soll  versucht  werden,  auf  den  General- 
stabskarten die  Grenzlinien  einzutragen,  die  in  der  Frage  der 
Diphtongierung  von  o,  der  Vokalisierung  des  nachvokalischen  l, 
des  Wandels  von  mhd.  e  zu  ea  und  der  Behandlung  der  rahd. 
Diphthonge  uo,  üe,  ie  für  die  Abgrenzung  des  Altbayerischen 
vom  Schwäbischen  und  des  Altbayerisch -oberpfälzischen  vom 
Ostfränkischen  bestehen.  Die  Sammlung  von  Segen-  und  Be- 
schwörungsformeln sowie  größerer  Texte  zum  Zeremoniell  der 
altbayerischen  Bauernhochzeit  konnte  eine  beachtenswerte  Meh- 
rung erfahren.  Das  war  namentlich  möglich  durch  die  Liebens- 
würdigkeit von  Oberrealschulprofessor  Dr.  Schmöger,  der  uns 
eine  handschriftliche  Sammlung  zur  Kopie  überließ.  Eine  er- 
hebliche Anzahl  von  Zeitungsausschnitten  erhielten  wir  durch 
Zollinspektor  Fasold  und  Bernhard  Stark,  München.  Außer- 
dem arbeitete  die  Kanzlei  ein  umfangreiches,  genau  nach  Be- 
griffen und  örtlicher  Herkunft  geordnetes  Verzeichnis  der  mund- 
artlichen und  volkskundlichen  Literatur  Bayerns  für  die  Jahre 
1912—14  aus. 

An  neuen  Fragebogen  konnten  zehn  —  in  der  laufenden 
Reihe  Nr.  32 — 41  —  abgefaßt  und  an  den  arbeitsfähig  ge- 
bliebenen Teil  der  Sammler  versandt  werden.  Sie  umfassen 
zusammen  47  Druckseiten  und  666  Fragen. 

Die  Fragebogen  32 — 35  behandeln  das  unter  die  Begriffe 
Gliedmaßen,  Arm,  Hand,  Finger  fallende  Wortmaterial.  Die 
Nummern  36  —  41  suchen  in  413  Fragen  (30  Druckseiten)  den 
Wortschatz  der  Schneiderei,  zunächst  der  Männerschneiderei 
und  Männerkleidung  festzustellen.  Eine  Anzahl  besonders  eif- 
riger Sammler  konnte  diese  im  Hochsommer  fertig  gedruckten 
Fragebogen  bereits  beantworten.  Die  Entwürfe  zu  Nr.  32 — 35 
stammen  von  Professor  Lessiak,  Prag,  die  Revision  besorgte 
Dr.  Mausseb.  Die  Entwürfe  für  die  Schneidereifragebogen  sind 
verfaßt  von  Dr.  Mausser,  die  Revision  lag  bei  Professor  Lessiak. 
Die  Redaktion  sämtlicher  Fragebogen  wurde  wiederum  von  Hof- 
rat Seemüller,  Wien,  ausgeübt.     In   den  Monaten  August  und 


Kommissionsberichte  177 

September  gelangte  ferner  an  die  arbeitsfähigen  Sammler  eine 
Anfrage  über  die  Kurz-,  Kose-  und  Verkleinerungsformen  des 
Namens  Erasmus  und  über  die  Verbreitung  des  Erasmus-Kultus 
zum  Versand.  Die  Anfrage  wurde  sehr  zahlreich  und  von 
mancher,  namentlich  geistlicher  Seite  mit  großer,  auch  die 
Pfarrmatrikeln  ausschöpfender  Gründlichkeit  beantwortet. 

Allen  Sammlern,  die  uns  im  Berichtsjahre  durch  Beant- 
wortung von  Fragebogen  und  Einsendung  freigesammelten 
Materials  erfreuten,  ist  die  Kommission  zu  Dank  verpflichtet. 
Wie  im  Berichtsjahr  1913  und  1914  zeichneten  sich  auch 
während  der  abgelaufenen  Arbeitsperiode  manche  Sammler 
wiederum  durch  besondere  Sorgsamkeit  und  über  den  Durch- 
schnitt reichliche  Beischaffung  von  Material  aus.  In  diesem 
Sinne  müssen  folgende  Persönlichkeiten  besonders  genannt 
werden:  Konrektor  Dr.  Ammer,  München;  Landtagsabgeordneter 
Bauernfeind,  Naabdemenreuth;  Lehrerin  Beil,  Feldafing;  Lehrerin 
Beisel,  Englmar;  Archivar  Bertele,  Lauingen;  Schweizer  Boeck, 
Hofhegnenberg;  Pfarrer  Brand,  Erlach;  Ökonom  Brandl,  Maxi- 
milian; Bauer  Brandmair,  Derching;  Präparandenoberlehrer 
Brunner,  Cham;  Seminardirektor  Durmayer,  Bamberg;  Bahn- 
verwalter Eichbauer,  Ludwigshafen;  Pfarrer  Eitlinqer,  Finsing; 
Steuerverwaltersgattin  Ertl,  Hengersberg;  Zollinspektor  Fasold, 
München;  Landwirt  Geyer,  Lauterbach;  Schulverweserin  Hai- 
dinger, Dorfen;  Hauptkassekontrolleur  Hauptmann  Haindl, 
Passau  (war  in  hervorragender  Weise  im  Feld  und  Schützen- 
graben für  uns  tätig);  Förster  Haaser,  Griesbach  (Opf.);  Kauf- 
mann Heimerl,  München;  Gutsbesitzer  Hien,  Mitterharthausen ; 
Pfarrer  Hornauer,  Weihmichl;  Lehrer  Kleindinst,  Mering;  Ka- 
min kehrermeister  KuLZER,  Tittling;  Förster  Kulzer,  Berats- 
hausen;  Steinmetzmeisterswitwe  Lehrberger,  Tittmoning;  Oberin 
M.  Ludovika  mit  zwei  Lehrschwestern  vom  Kloster  St.  Joseph, 
Aiterhofen  (u.  a.  sehr  viel  Material  zum  Thema  Bekleidung, 
Wäsche);  Kooperator  Oswald,  Iggensbach;  Gustav  Pappenberger, 
München;  Steuerverwalter  Oellinger,  Riedenburg;  Schriftsteller 
RoNNiNGER,  München;  Lehrer  Schadenfroh,  München;  Pfarrer 
Schnirle,    Pfaffenberg;     Postadjunkt    Schlosser,     Hengersberg; 

Jahrbuch  1915.  12 


178  Kommissionsbericlite 

Frau  Scheicher,  Traunstein;  Fräulein  Emilie  Schleussner,  Rai- 
sting;  Fräulein  Maria  Schnepf,  Traunstein;  Söldner  Schön, 
Adlersberg;  Reallehrer  Schwarz,  München;  Edmund  Stark, 
Falkenthal;  Bernhard  Stark,  München;  Georg  StOrzer,  Haim- 
hausen  bei  Dachau;  Fischereibesitzer  Strasser,  Altötting;  Frau 
Franziska  Teuerschuh,  Burghausen ;  Oberstlandesgerichtsrat  Vier- 
LiNG,  München ;  Notariatsbuchhalter  Vogl,  Weilheim ;  Geschwister 
Vogt,  Beilngries;  Oberlehrer  Vollmann,  München;  Thomas  Wild, 
München. 

Zwei  Sammler  arbeiteten  im  Lazarett  an  der  Beantwortung 
unserer  Fragebogen.  Sie  verdienen  ausdrückliche  Nennung: 
Expedient  Fenzl,  Parkstein;    Oberlehrer  Schlereth,  Geisenfeld. 

Durch  den  Tod  verloren  wir  die  Sammler  Lotte  Ziegeltrun, 
München,  die  gutes  Material  für  die  Gegend  von  Burghausen 
beibrachte  und  den  unermüdlichen  Gymnasialprofessor  Franz 
Binhack,  der  innerhalb  zwei  Jahren  30  Fragebogen  für  die 
Mundart  seiner  Heimat  Waldsassen  beantwortete.  Auf  dem 
Felde  der  Ehre  fiel  Forstassistent  Karl  Staudigl,  dem  wir 
manchen  Aufschluß  über  die  Mundart  des  südöstlichen  Ober- 
bayern, namentlich  der  Umgebung  von  Ruhpolding  verdanken. 

Die  Handbibliothek  der  Kommission  wurde  durch  Schen- 
kungen von  Lehrer  Steinbacher,  Aubing,  Landgerichtsrat  Ebner 
als  Vorstand  des  historischen  Vereins  Straubing  und  Schrift- 
steller Hörner,  München,  bedacht.  Für  weitere  Zuwendungen, 
namentlich  von  Seite  historischer  Vereine  und  bayerischer  Mund- 
artschriftsteller, wäre  die  Kommission  sehr  dankbar. 

2.  Rheinpfälzisches  Wörterbuch. 

Die  Sammlungen  für  das  Rheinpfälzische  Wörterbuch 
hatten  naturgemäß  durch  den  Krieg  ungemein  schwer  zu 
leiden.  Von  den  329  angemeldeten  Sammlern  ist  es  nur  einem 
möglich  geworden,  eine  Beantwortung  auf  den  1.  Fragebogen 
einzuliefern.  Sie  stammt  von  Rechtspraktikant  und  Vizefeld- 
webel Hans  ScHUG  in  Altenglan  und  ist  (über  600  Zettel)  ein 
vorbildliches  Muster  von  Gründlichkeit  und  Liebe  zur  Sache. 
Die  zweite  schwere  Beeinträchtigung  der  Arbeiten  am  Rhein- 


Kommissionsberichte  179 

pfalzischen  Wörterbuch  ist  durch  den  Tod  des  Gymnasial- 
rektors Dr.  Georg  Heeger  in  Würzburg  eingetreten.  Heeger 
war  wie  kaum  ein  zweiter  durch  Geburt  und  Anlage  zu  den 
von  der  Akademie  eingeleiteten  Arbeiten  für  einen  Atlas  der 
Mundarten  der  Rheinpfalz  und  für  die  Abfassung  eines  groß 
angelegten  Rheinpfälzischen  Wörterbuches  berufen.  Am  19.  No- 
vember 1856  zu  Westheim  in  der  Rheinpfalz  als  Sohn  eines 
Bauern  geboren,  verbrachte  er  fast  sein  ganzes,  am  12.  Mai 
1915  viel  zu  früh  beschlossenes  Leben  in  pfälzischen  Landen: 
zunächst  als  Volksschullehrer  in  Offenbach  bei  Landau,  dann 
in  Gymnasialdiensten  in  Landau  (1882 — 1907)  und  Kaisers- 
lautern (1907  — 1912).  Im  letzteren  Jahre  wurde  Heeger  zum 
Rektor  des  Realgymnasiums  Würzburg  ernannt.  Zugleich  trat 
die  Akademie  mit  ihm  in  Verbindung.  Die  Arbeiten,  die 
Heeger  für  die  Aufnahme  der  rheinpfälzischen  Mundarten  ge- 
leistet hat,  sind  in  den  Jahresberichten  der  Kommission  auf- 
gezählt. Sie  werden  unvergessen  bleiben  und  zusammen  mit 
den  Studien  und  Veröffentlichungen,  die  Heeger  vor  seinem 
Eintritt  in  unseren  Arbeitsverband  abfaßte,^)  die  feste,  unver- 
rückbare Grundlage  für  die  Tätigkeit  der  Zukunft  bilden. 
Das  wird  um  so  mehr  der  Fall  sein,  als  Heeger  das  Gesamt- 
gebiet der  Mundartforschung  und  Volkskunde  seiner  Heimat 
beherrschte  und  durch  wissenschaftliche  Publikationen  erschloß. 
Man  kann  ohne  Übertreibung  sagen,  daß  in  erster  Linie  durch 


*)  Der  Dialekt  der  Südost- Pfalz  (Teil  I:  Die  Laute),  Aufruf  zur 
Sammlung  für  die  Herausgabe  eines  Wörterbuches  der  vorderpfalzischen 
Mundart  (beide  1896),  Die  germanische  Besiedelung  der  Vorderpfalz  an 
der  Hand  der  Ortsnamen,  Tiere  im  ijfälzischen  Volksmunde  (1900,  1902, 
1903),  Volkslieder  aus  der  Rheinpfalz  (zusammen  mit  Wüst  1909),  Ri-ra- 
ritzelche  (1.  Folge  1912),  dazu  eine  große  Reihe  von  Aufsätzen  zur  Mund- 
artforschung und  Volkskunde  der  Rheinpfalz  in  verschiedenen  Zeit- 
schriften. Siehe  genauere  bibliographische  Angaben  und  weitere  Notizen 
zur  Biographie  Heegers,  die  hier  nicht  wiederholt  werden  können,  be- 
sonders in  dem  Nachruf  von  Dr.  Albert  Becker  in  den  Blättern  für  das 
Gymnasialschulwesen  51  (1915),  277—279.  Zur  Charakteristik  Heegers, 
speziell  als  germanistischer  Forscher,  vgl,  ferner  Maußer,  Bayerland 
1915,  375  ff. 


180  Kommissionsberichtt) 

Heeger,  in  den  letzten  drei  Jahren  zusammen  mit  der  Wörter- 
buchkommission der  Akademie,  die  Erforschung  der  Mundarten 
und  des  Wortschatzes  der  Rheinpfalz  auf  eine  neue,  wissen- 
schaftlichen Forderungen  allein  genügende  Grundlage  gestellt 
worden  ist. 

3.  Ostfränkisches  Wörterbuch. 

Die  Vorarbeiten  für  die  Abfassung  der  Belehrung  für  die 
Sammler  des  Ostfränkischen  Wörterbuches  sind  so  weit  in 
Gang  gekommen,  daß  nach  dem  Krieg  die  Sammelarbeiten 
sofort  eröffnet  werden  können.  Über  die  Arbeiten  der  Kanzlei 
zur  Feststellung  des  Verlaufes  der  Grenze  zwischen  dem  Ober- 
pfälzischen und  dem  Ostfränkischen  in  den  Regierungsbezirken 
Oberfranken  und  Mittelfranken  siehe  oben  S.  176.  Außerdem 
sammelt  die  Kanzlei  Materialien  zur  Fixierung  der  pjpf -Itinie 
in  Unterfranken.  Das  Rundschreiben  über  den  Namen  Erasmus 
wurde  an  die  geistlichen  Sammler  auch  des  Ostfränkischen 
Gebietes  mit  Erfolg  versandt.  Ferner  begann  die  Kanzlei 
das  handschriftliche  Idiotikon  von  Forchheim,  verfaßt  von 
Hans  Leygeber  (s.  Jahresbericht  1914  S.  10),  zu  verzetteln. 
Am  13.  Oktober  1915  verschied  der  Universitätsprofessor 
Dr.  August  Gebhardt  in  Erlangen,  der  Verfasser  der  ver- 
dienstlichen Grammatik  der  Nürnberger  Mundart  (in  Bremers 
Sammlung  deutscher  Mundartengraramatiken),  von  dem  die 
Kommission  speziell  für  das  Ostfränkische  und  das  ostfränkisch- 
oberpfälzische  Grenzgebiet  manch  wertvollen  Dienst  hätte  er- 
warten dürfen. 

Dezember  1915. 

Die  Wörterbuchkomraission 

der  K.  B.  Akademie  der  Wissenschaften 

Dr.  Ernst  Kuhn, 

Vorsitzender. 

Dr.  Otto  Maußer, 
wissenschaftlicher  Hilfsarbeiter. 


Komuiissionsberichte  181 


Bericht  der  Kommission  für  Höhlenforschung  in  Bayern 
in  den  Jahren  1914/15. 

Dr.  Hugo  Obermaier  hat  seit  mehr  als  10  Jahren  in 
Verbindung  mit  Rentamtmann  Josef  Fraunholz  im  unteren 
Altmühltale  Höhlenuntersuchungen  mit  Erfolg  veranstaltet. 
Das  Ergebnis  dieser  Untersuchungen  waren  die  Funde  aus 
der  Kastlhänghöhle  gegenüber  Kastl  am  rechten  Ufer  der 
Altmühl,  welche  der  Anthropologisch- prähistorischen  Sammlung 
des  Staates  einverleibt  wurden.  (J.  Fraunholz,  H.  Obermaier, 
M.  Schlosser,  Die  Kastlhänghöhle,  eine  Rentierjägerstation  im 
bayerischen  Altmühltale,  Beitr.  z.  Anthr.  u.  Urgesch.  Bayerns, 
XVIII,  S.  119 — 164.)  Da  durch  Fraunholz  auch  in  den  Klausen 
von  Neuessing  bei  Probegrabungen  interessante,  paläolithische 
Fuudgegenstände  zu  Tage  gefördert  worden  waren,  hat  Ober- 
maier, bis  dahin  Privatdozent  in  Wien,  der  mittlerweile  in  das 
vom  Fürsten  von  Monaco  gegründete  und  mit  reichlichen  Mit- 
teln ausgestattete  internationale  Institut  für  die  Paläonto- 
logie der  Menschen  in  Paris  als  Professor  berufen  worden  ist, 
für  sich  von  diesem  Institut  Mittel  zur  systematischen  Aus- 
grabung der  Klausen  erwirkt.  In  den  Jahren  1912  und  1913 
wurden  deshalb  von  der  Anthropologisch-prähistorischen  Staats- 
sammlung in  Verbindung  mit  dem  Institut  die  Grabungen  unter 
Leitung  von  Professor  Obermaier  und  Professor  F.  Birkner 
durchgeführt. 

Das  internationale  „Institut  de  Paleontologie  humaine" 
(L'Anthropologie,  XXII,  1911  S.  111/112),  dessen  geschäfts- 
führendem Ausschuß  (conseil  d'administration)  der  deutsche 
Heichsangehörige   Dr.  Hugo  Obermaier  als  Professor   für  prä- 


Iö2  Kommissionsberichte 

historische  Geologie  und  dessen  wissenschaftlichem  Ausschuß 
(conseil  de  perfectionnement)  als  Vertreter  der  deutschen 
Wissenschaft  Geheimrat  F.  von  Luschan  (Berlin)  und  M. 
Hoernes  (Wien)  angehören,  führt  satzungsgemäß  wissenschaft- 
liche Untersuchungen  über  den  Ursprung  und  die  Geschichte 
des  fossilen  Menschen  aus,  bearbeitet  die  Funde  in  seinem 
Laboratorium  und  übernimmt  auch  die  Veröffentlichung  der 
Ergebnisse.  Die  Fundergebnisse  verbleiben  jedoch  demjenigen 
Lande,  in  dem  die  Untersuchungen  stattgefunden  haben.  Auf 
Grund  dieser  satzungsgemäßen  Bestimmung  war  es  möglich, 
die  Mitwirkung  des  Instituts  bei  den  Grabungen  der  Anthro- 
pologisch-prähistorischen Staatssammlung  im  Altmühltale  zu 
gestatten. 

Die  Grabungen  hatten  reichen  Erfolg  (Konstatierung  von 
Kulturschichten  der  Acheul-,  Moustier-,  Solutre-  und  Made- 
leinestufe, Aufdeckung  eines  menschlichen  Skelettes  der  So- 
lutrestufe).  Die  Ergebnisse  harren  aber  noch  der  wissenschaft- 
lichen Bearbeitung,  welche  durch  den  Ausbruch  des  Krieges 
leider  unterbrochen  wurde,  da  Obermaier  als  deutscher  Reichs- 
angehöriger durch  den  Krieg  in  Spanien  zurückgehalten  ist, 
wo  er  bis  zum  August  1914  für  das  internationale  Institut 
in  der  Höhle  Castillo  Grabungen  leitete,  an  denen  in  den 
Monaten  Juni  und  Juli  1914  auch  Professor  Birkner  teilnahm. 

Außer  im  Altmühltale  wurde  durch  die  Anthr.- prähisto- 
rische Sammlung  mit  Mitteln  der  K.  bayer.  Akademie  der 
Wissenschaften  unter  Leitung  von  Professor  Birkner  und 
unter  Mitwirkung  von  Dr.  Ernst  Frickhinger  (Nördlingen)  in 
der  Umgebung  von  Nördlingen  nach  Resten  des  paläolithi- 
schen  Menschen  gesucht.  Besonders  die  Grabungen  im  Hohlen- 
stein  (Gde.  Ederheim)  und  am  Kaufertsberg  bei  Lierheim 
waren  erfolgreich.  Im  Hohlenstein  fanden  sich  Reste  der 
Madeleinestufe,  am  Kaufertsberg  solche  der  Madeleine-  und 
Mas  d'Azilstufe.  Auch  aus  anderen  Höhlen  des  Juragebietes 
sind  aus  früheren  Zeiten  mehr  oder  minder  sichere  paläolithische 
Funde  bekannt  geworden.  (F.  Birkner,  Der  Eiszeitmensch  in 
Bayern.   Beitr.  z.  Anthr.  u.Urgesch,  Bayerns,  XIX,  S.  102 — 134). 


Koramissionsberichte  183 

Nach  diesen  Feststellungen  erschien  es  als  ein  Bedürfnis,  die 
wissenschaftliche  Erforschung  der  bayerischen  Höhlen  syste- 
matisch zu  betreiben.  Zu  diesem  Zwecke  wurde  eine  akade- 
mische Kommission  für  Höhlenforschung  in  Bayern  begründet. 

Für  das  Jahr  1915  waren  verschiedene  Aufgaben  in  Aus- 
sicht genommen.  Es  sollte  in  erster  Linie  die  Untersuchung 
des  Schulerloches  bei  Oberau  durchgeführt  werden,  da  der 
Besitzer  desselben  in  dem  mit  der  Staatssammlung  abge- 
schlossenem Vertrage  verlangt  hatte,  daß  die  Grabungen 
spätestens  1915  erfolgt  sein  müßten.  Weiter  sollte  damit 
begonnen  werden,  die  vermutlichen  Wohnstätten  des  paläo- 
lithischen    Menschen    in   Bayern    kartographisch    aufzunehmen. 

Zur  Ausführung  der  letzteren  Aufgabe  begab  sich  Pro- 
fessor Birkner  am  16.  und  17.  Mai  zuerst  nach  Neuessing, 
um  die  Kastlhänghöhle  und  die  Klausen  in  das  Katasterblatt 
einzutragen  und  bei  dieser  Gelegenheit  wegen  der  im  Herbst 
auszuführenden  Grabung  im  Schulerloch  vorbereitende  Schritte 
zu  unternehmen.  Es  stellte  sich  heraus,  daß  alle  bisher  ver- 
wendeten Arbeiter  zum  Heeresdienst  eingezogen  waren  und 
die  Beschaffung  von  sonstigen  einigermaßen  brauchbaren  Ar- 
beitern schwierig  sein  würde.  Immerhin  versprach  der  Brauerei- 
besitzer Schwaier,  dem  die  Klausen  gehören  und  der  die  dort 
gemachten  Funde  der  Staatssammlung  überlassen  hat,  bei  der 
Suche  nach  Arbeitern  mitzuhelfen. 

In  den  Tagen  vom  24.  Juli  bis  1.  August  unternahm  es 
Professor  Birkner  mit  dem  Mitarbeiter  der  Kommission,  Rent- 
amtmann Joseph  Fraunholz,  die  im  Donau-,  Laaber-  und 
Naabtal  gelegenen  Höhlen,  Grotten  und  Felsenschutzdächer, 
von  denen  Fraunholz  teils  durch  frühere  Besuche,  teils  durch 
Bekannte  Kunde  erhalten  hat,  kartographisch  festzustellen. 
Es  konnten  im  Donautale  10,  im  Laabertale  16  und  im 
Naabtale  11  Stellen  kartographisch  in  Katasterblätter  (1:5000) 
und  in  die  Generalstabskarte  (1:50000)  aufgenommen  werden. 
In  einem  Teile  derselben,  z.  B.  in  den  Galeriehöhlen  gegenüber 
dem  Klösterl  bei  Kelheim  und  in  der  Räuberhöhle  am  Schelmen- 
graben bei  Waltenhofen  (Naabtal)  sind  durch  frühere  Grabungen 


184  ßommissionsbericlite 

bereits  Wohnschichten  des  Steinzeitmenschen  nachgewiesen 
worden,  weshalb  die  Vermutung  begründet  ist,  dafs  auch  in 
einer  Anzahl  der  übrigen  Höhlen  Reste  des  Steinzeitmenschen 
sich  finden. 

Am  Anfang  des  Monats  September  galt  es  die  Grabungen 
im  Schulerloch  bei  Oberau  (Gde.  Altessing)  zu  beginnen.  Es 
konnten  zu  diesem  Zwecke  einige  Bewohner  Neuessings  als 
Arbeiter  gewonnen  werden.  Da  diese  aber  keine  geübten  Erd- 
arbeiter waren,  suchte  Professor  Birkner  durch  persönliche 
Besprechungen  von  Seite  der  Forstärater  in  Kelheim  (6.  Sept.  15) 
und  der  K.  Regierung  von  Niederbayern,  Kammer  der  Forsten, 
in  Landshut  (8.  Sept.  15)  einige  Forstarbeiter  zu  erhalten;  es 
wurden  ihm  auch  2  Arbeiter  wenigstens  bis  zum  1.  Oktober 
zur  Verfügung  gestellt. 

Am  12.  September  begab  sich  Professor  Birkner  nach 
Neuessing,  um  mit  Unterstützung  von  Rentamtmann  Fraun- 
holz,  der  vom  12. — 25.  September  an  den  Grabungen  teilnahm, 
und  Dr.  Friedrich  Wagner  mit  den  Untersuchungen  zu  be- 
ginnen. An  zwei  Tagen  nahm  auch  Professor  Schlosser  daran 
teil.  Mit  6  bzw.  gelegentlich  7  Arbeitern  konnte  die  Aus- 
grabung vorgenommen  werden. 

Im  Schulerloch,  an  dessen  Eingang  leider  durch  Einbauten 
vor  ca.  100  Jahren  die  ursprünglichen  Verhältnisse  zum  Teil 
nicht  mehr  sicher  sich  feststellen  lassen,  zeigte  sich  ganz  ober- 
flächlich eine  bis  30  cm  mächtige  Kulturschicht  aus  der  älteren 
Bronzezeit,  darunter  folgte  eine  bis  ca.  2  m  mächtige  Schicht  mit 
Steinwerkzeugen  und  Tierresten  aus  der  Moustierstufe.  Strati- 
graphisch  ließen  sich  drei  Abteilungen  konstatieren.  Zu  oberst 
eine  fast  erdfreie  Kalksteinchenschicht,  die  in  der  Mitte  höchstens 
30  cm  dick  war,  an  den  Wänden  aber  teilweise  bis  50  cm 
hinabreichte.  Es  folgte  dann  eine  erdige  Schicht  mit  viel 
weißen  Steinchen  und  bei  190 — 200  cm  unter  der  bronzezeit- 
lichen Schicht  schloß  sich  eine  erdige  Schicht  mit  wenig  Stein- 
chen an.  Unterlagert  war  die  Moustierschicht  von  einer  ziem- 
lich lettigen  Schicht,  welche  nur  mehr  wohl  durch  Raubtiere 
eingeschleppte  Tierknochen  enthielt. 


Kommissionsberichte  185 

Die  Tierwelt  der  Moustierschicht  umfalät  nach  der  vor- 
läufigen Bestimmung  durch  Professor  Schlosser  der  Haupt- 
sache nach:  Mammut,  Rhinozeros,  Höhlenbär,  Höhlenhyäne, 
Kenntier,  Steinbock,  Pferd,  Bison,  Hirsch.  Im  Großen  und 
Ganzen  handelt  es  sich  um  Reste  von  relativ  wenig  Individuen. 

Die  Stein  Werkzeuge  aus  der  Moustierschicht,  von  denen 
an  guten  Stücken  über  700  gesammelt  werden  konnten,  zeigen 
durchwegs  die  für  diese  Stufe  charakteristischen  Schaber  und 
Spitzen;  von  der  unteren  Grenze  der  oberen  Schicht,  mit  den 
weißen  Steinchen,  an  begannen  relativ  kleine,  in  ihrer  Form 
zum  Teil  unregelmäßige  Instrumentchen  zahlreicher  zu  werden, 
um  nach  oben  zu  wieder  abzunehmen.  In  der  unteren  Schicht, 
mit  wenig  weißen  Steinchen,  scheinen  Stücke  mit  Bearbeitung 
an  den  beiden  Flächen,  eine  der  Acheulstufe  eigentümliche  Be- 
arbeitungsweise, häufiger  zu  sein  als  in  der  oberen  Schicht.  Wie 
sich  die  Funde  des  Schulerloches  zu  den  Moustierfunden  im 
übrigen  Deutschland  und  in  Frankreich  verhalten,  kann  erst 
durch  eine  eingehende  Bearbeitung  und  Vergleichung  mit  den 
Originalfunden  in  den  betreffenden  Museen  festgestellt  werden. 
Schon  jetzt  kann  die  Behauptung  aufgestellt  werden,  daß  das 
Schulerloch  zu  den  reichsten  Fundstellen  der  Moustierstufe  in 
Deutschland  gerechnet  werden  muß. 

Neben  den  Arbeiten  im  Schulerloch  selbst  galt  es,  auch 
in  der  Umgebung  nach  Wohnstellen  der  Eiszeitmenschen  zu 
suchen.  Probegrabungen  an  verschiedenen  Stellen  außerhalb 
des  Schulerloches  haben  aber  keine  weiteren  Spuren  des  dilu- 
vialen Menschen  ergeben. 


186  Medaillen -Verleihunar 


Die  grosse  silberne  Medaille  der  Akademie  der  Wissen- 
schaften „Bene  merenti" 

wurde  im  Jahre  1915  verliehen 

Herrn  Fritz  Weiß,  deutschen  Konsul  in  Chengtu  (China), 

Herrn   Leo   Frobenius    in    Berlin,    Leiter   einer    Inner- 
afrikanischen Forschungsexpedition. 


Nachtrag: 

Am  30.  Dezember  1915  starb  das  ordentliche  Mitglied  der 
philos.-philolog.  Klasse  Herr  Oswald  Külpe. 


'/ 


JAHRBUCH 


DER 


KÖNIGLICH  BAYERISCHEN 

AKADEMIE  der  WISSENSCHAFTEN 


1916 


MÜNCHEN 
VERLAG  DER  K.  B.  AKADEMIE  DER  WISSENSCHAFTEN 

IN  KOMMISSION  DES  G.  FRANZ'SCHEN  VERLAGS  (J.  ROTH) 
1916 


iy 


Akademische  Buchdruckerei  von  F.  Straub  in  München, 


i:n^halt. 


III 


öffentliche  Sitzung  am  18.  März  1916 

Ansprache  des  Präsidenten     .         .         .         .         . 
Bewilligungen  aus  Stiftungen  und  Preisaufgaben 


Seite 
1 
10 

15 

1» 
21 


Satzung 

Geschäftsordnung 

Satzungen  der  Kommissionen 

Historische  Kommission 

Urkunde  über  die  Errichtung  einer  Witteisbacher  Stiftung 

für  Wissenschaft  und  Kunst 

Kommission  für  die  internationale  Erdmessung     . 

Satzungen  der  Stiftungen 

Savigny- Stiftung     .........  26 

Liebig -Stiftung 34 

Zographos- Fonds 40 

Münchener  Bürgerstiftung       .......  43 

Gramer -Klett- Stiftung 45 

Thereianos- Stiftung 47 

Hardy- Stiftung 51 

Koenigs  -  Stiftung  zum  Adolf  v.  Baeyer- Jubiläum          .         .  53 
Wilhelm  Koenigs -Stiftung  zur  Förderung  botanischer  und 

zoologischer  Forschungen  etc.   ......  55 

Georg  Hitl'scher  Fonds 57 

Heinrich  v.  Brunck- Stiftung           ......  59 

Karl  V.  Dapper-Saalfels-Stiftung 60 

Albert  Samson- Stiftung 62 

,            ,               „          Geschäftsordnung    ....  227 

„           „               ,          Preisaufgaben           ....  176 

66 

u.  184 


68 


IV 


Nekrologe        .... 
Baumann  Ludwig 
Boveri  Theodor 
Brunner  Heinrich 
Dove  Alfred 
Foerster  Wendelin 
Heigel  Karl  Theodor 
Heibig  Wolfgang 
Külpe  Oswald 
Prym  Friedrich 
Riecke  Eduard 
Rooses  Max 
Roscoe  Henry  E. 
Simson  Bernhard 
Graf  zu  Solms-Laubach  Hermann 
Windelband  Wilhelm 

Öffentliche  Sitzung  am  15.  November  1916 
Verkündigung  der  Neuwahlen 
Nachtragsbewilligungen 


von  Doeberl 

,  V.  Hertwig 

,  V.  Amira 

,  Marcks 

,  Voßler 

„  Marcks 

,  Wolters 

,  Baeumker 

,  A.  Krazer 

„  Sommerfgld 

„  V.  Reber 

„  V.  Goebel 

„  Marcks 

„  Goebel 

„  Baeumker 


Seito 


118 


Personalstand 

Verwaltung      .......... 

Ehrenmitglieder,  ordentliche  und  außerordentliche  Mitglieder 
Auswärtige  und  korrespondierende  Mitglieder 

Besondere  Kommissionen 

Berichte  und  Protokolle  der  akademischen  Kommissionen 

Thesaurus  linguae  latinae       .....         .         . 

Mittelalterliche  Bibliothekskataloge 

Historische  Kommission 

Wörterbuch-Kommission  ....... 


185 

187 
193 

198 


202 
205 
207 
214 


Bericht  über  die  Höhlenforschung  in  Bayern  im  Jahre  1916       224 


Adresse 
Nachtrag 


229 
232 


Satzung  und  (jescliäftsordnung 

der  Kgl.  Bayer.  Akademie  der  Wissenschaften. 


Organisations-Urkunde 

der  Kgl.  Bayer.  Akademie  der  "Wissenschaften 

vom  21.  März  1827. 

LUDWIG, 

von  Gottes  Gnaden  König  von  Bayern,  etc.  etc. 

Wir  haben  Uns  über  die  dermaligen  Verhältnisse  der 
Akademie  der  Wissenschaften  in  München,  welche  von  Un- 
serem höchstseligen  Regierungs-Vorfahrer  dem  Churfürsten 
Maximilian  dem  III.  nach  ihrer  ersten  Stiftung  bestätigt,*) 
und  von  Unseres  in  Gott  ruhenden  Herrn  Vaters,  des  Königs 
Maximilian  Joseph  Majestät  erneuert  und  neu  errichtet 
worden,**)  Vortrag  erstatten  lassen ,  und  verordnen,  —  auf 
den  Antrag  Unseres  Staats-Ministeriums  des  Innern  nach  Ver- 
nehmung Unseres  Staatsraths,  wie  folgt: 

I.  Die  Akademie  der  Wissenschaften  in  München  ist  ein 
unter  dem  Schutze  des  Königs  stehender  Verein  von  Gelehrten, 
um  die  Wissenschaften  zu  pflegen,  dieselben  durch  Forschungen 
zu  erweitern,  und  durch  die  vereinten  Kräfte  ihrer  Mitglieder 
Werke  hervorzubringen,  welche  die  Kraft  eines  einzelnen  Ge- 
lehrten übersteigen. 


*)  Der  Stiftungsbrief  vom  28.  März  1759. 
**)  Durch  Konstitutionsurkunde  vom  1.  Mai  1807. 

Jabrbucb  1916. 


2  Organisations-Urkunde 

IL  Die  Wirksamkeit  der  Akademie  umfaßt  das  ganze  Ge- 
biet der  allgemeinen  Wissenschaften,  insbesondere 

1.  Philosophie,  Philologie,  alte  und  neue  Literatur; 

2.  Mathematik  und  sämmtliche  Naturwissenschaften,  na- 
mentlich Physik,  Chemie,  Astronomie  und  die  ver- 
schiedenen Zweige  der  Naturgeschichte; 

3.  Geschichte,  und  zwar  vorzüglich  die  vaterländische  in 
ihrem  ganzen  Umfange,  mit  ihren  Hülfswissenschaften, 
jedoch  mit  Ausnahme  der  politischen  Geschichte  des 
Tages. 

Ausgeschlossen  sind  von  dem  Wirkungskreise  der  Aka- 
demie die  besonderen  positiven  Wissenschaften,  nämlich  Theo- 
logie, Jurisprudenz,  Kameralistik  und  Medicin. 

IIL  Nach  den  Hauptgegenständen  ihrer  Wirksamkeit  theilt 
sich  die  Akademie  in  drey  Klassen,  nämlich  in 

1.  die  philosophisch -philologische, 

2.  die  mathematisch-physikalische,  und 

3.  die  historische  Klasse. 

IV.  Das  Personal  der  Akademie  soll  künftig  bestehen  aus 

1.  einem  Vorstande, 

2.  drey  Klassen-Sekretären, 

3.  einer  verhältnissmässigen  Anzahl  sowohl  ordentlicher 
in  München  wohnender  Mitglieder,  als 

4.  ausserordentlicher  oder  Ehrenmitglieder,  und 

5.  einer  angemessenen  Anzahl  korrespondirender  Mit- 
glieder. 

Diejenigen  ordentlichen  Mitglieder,  welche  ihren  Wohn- 
sitz in  München  aufgeben,  treten  in  die  Reihe  der  ausser- 
ordentlichen Mitglieder  ein. 

Die  dermaligen  auswärtigen  ordentlichen  Mitglieder  be- 
halten zwar  ihre  bisherige  Stellung  zur  Akademie,  in  Zukunft 
können  jedoch  die  ausser  München  wohnenden  Individuen  nur 
in  der  Eigenschaft  ausserordentlicher  oder  Ehrenmitglieder, 
oder  korrespondirender  Mitglieder  eintreten. 


Organisations-Ürkunde  8 

V.  Der  Vorstand  wird  von  sämmtlichen  ordentlichen  Mit- 
gliedern der  Akademie  aus  ihrer  Mitte  durch  Stimmenmehrheit 
gewählt,  bedarf  jedoch  zur  Ausübung  seines  Amtes  Unserer 
königlichen  Bestätigung.  Er  bekleidet  die  ihm  auf  diese  Art 
übertragene  Stelle  jederzeit  drey  Jahre,  ist  aber  jederzeit  wieder 
wählbar;  die  Funktion  des  aus  der  ersten  Wahl  hervorgehenden 
Vorstandes  wird  sich  jedoch  ausnahmsweise  nur  auf  zwey  Jahre 
erstrecken.*) 

Der  Vorstand  wacht  über  die  genaue  Beobachtung  der 
Statuten  und  die  Erfüllung  der  Pflichten  eines  jeden  Mitgliedes 
oder  Angehörigen  der  Akademie. 

Er  führt  in  den  allgemeinen  Versammlungen,  und,  so  oft 
er  es  zuträglich  findet,  auch  in  den  besonderen  oder  Klassen- 
Versammlungen  den  Vorsitz;  er  kann  ausserordentliche  Ver- 
sammlungen anordnen;  er  unterzeichnet  alle  Ausfertigungen 
der  Akademie,  und  hat  überhaupt  alle  Befugnisse,  so  wie  alle 
Verpflichtungen  eines  Collegial- Vorstandes.  Im  Falle  der  Ab- 
wesenheit oder  sonstigen  Verhinderung  überträgt  er  die  Ge- 
schäfte des  Vorstandes  einem  Klassen-Sekretär. 

VI.  Die  Klassen-Sekretäre  werden  aus  den  ordentlichen 
Mitgliedern  jeder  Klasse  und  von  denselben  durch  Stimmen- 
mehrheit gewählt;  diese  Wahl  muss  Uns  jedesmal  angezeigt 
werden,  ohne  jedoch  Unserer  Bestätigung  zu  bedürfen.  Die 
Funktionen  der  Klassen-Sekretäre  dauern  jederzeit  drey  Jahre, 
nach  deren  Abfluss  eine  neue  Wahl  statt  findet,  bey  welcher 
sie  wieder  wählbar  sind.  Die  Klassen-Sekretäre  geben  in  Ab- 
wesenheit des  Vorstandes  die  Gegenstände  der  Verhandlungen 
in  den  Versammlungen  ihrer  Klassen  an,  führen  das  Protokoll 
und  die  Correspondenz  der  Klasse,  nehmen  in  Empfang,  was 
besonders  an  dieselbe  gerichtet  ist,  verfassen  die  Ehren- Reden 
auf  die   der  Akademie    durch   den    Tod   entrissenen   Mitglieder 


*)  Eine  Kgl  v^erordnung  vom  22.  November  1841  bestimmt,  daß 
der  Vorstand  der  Akademie  aus  der  Mitte  der  ordentlichen  Mitglieder 
vom  König  jeweils  auf  drei  Jahre  ernannt  wird. 

1» 


4:  Organisations-Urkunde 

ihrer  Klasse,  und  redigiren  gemeinschaftlich  die  durch  den 
Druck  bekannt  zu  machenden  Jahres-Berichte  der  Akademie. 
VII.  Die  erste  dermalige  Ernennung  der  ordentlichen 
Mitglieder  der  Akademie  wird  unmittelbar  von  Uns  aus- 
gehen, für  die  Zukunft  aber  hat  die  Akademie  ihre  Mitglieder 
durch  freie  Wahl  mit  Vorbehalt  Unserer  jedesmaligen  Be- 
stätigung zu  ersetzen.  Die  Zahl  der  ordentlichen  Mitglieder 
der  Akademie  setzen  Wir  für  die  Zukunft  für  jede  Klasse  auf 
höchstens  zwölf,  daher  im  Ganzen  mit  Einschluss  des  Vor- 
standes und  der  Klassen-Sekretäre  auf  sechs  und  dreissig 
fest.*)  Jeder,  der  künftig  als  ordentliches  Mitglied  der  Aka- 
demie aufgenommen  werden  soll,  muss  der  gelehrten  Welt 
durch  schriftstellerische  Werke  von  anerkanntem  Werthe  oder 
durch  wichtige  Entdeckungen  bekannt,  von  unbescholtenem 
Charakter  und  in  München  wohnhaft  sein.  Im  Uebrigen  ist 
die  Wahl  ganz  frey,  und  die  Mitglieder  der  Akademie  können, 
unter  den  obigen  Voraussetzungen  aus  der  Klasse  der  Geist- 
lichkeit, der  Staatsdiener,  des  Militärstandes,  der  öffentlichen 
Lehrer  an  der  Universität  und  Studien-Anstalten  und  der  Privat- 
Gelehrten  gewählt  werden.  Die  Pflichten  der  ordentlichen  Mit- 
glieder liegen  unmittelbar  im  Zwecke  der  Anstalt,  ihre  wesent- 
liche Verbindlichkeit  besteht  in  thätiger  Mitwirkung  an  den 
Arbeiten   der  Akademie   und   ununterbrochener  Theilnahme   an 


*)  Eine  Kgl.  Verordnung  vom  20.  April  1856  bestimmte: 
I.  Jede  Klasse  der  Akademie  ist  befugt,  zwölf  ordentliche  Mitglieder 
zu  zählen,  welche  das  siebenzigste  Lebensjahr  noch  nicht  er- 
reicht haben. 
IL  Die  ordentlichen  Mitglieder  der  drei  akademischen  Klassen,  welche 
das  siebenzigste  Lebensjahr  bereits  erreicht  oder  überschritten 
haben,  behalten  alle  als  Akademiker  bisher  besessenen  Rechte 
und  Befugnisse,  sind  jedoch  nur  zu  jenen  Arbeiten  und  Dienst- 
leistungen verpflichtet,  welche  sie  nach  freiem  Entschlüsse  über- 
nehmen wollen. 

Durch  Kgl.  Verordnung  vom  13.  Juli  1869  wurde  die  Zahl  der  ordent- 
lichen Mitglieder  der  mathematisch-physikalischen  Klasse  auf  18,  die 
der  außerordentlichen  auf  12,  ferner  durch  Verordnung  vom  10.  Mai  1909 
die  Zahl  der  ordentlichen  Mitglieder  auf  24  erhöht. 


Organisations-Urkunde  5 

ihren  Berathungen.  Jedes  Mitglied  der  Akademie  hat  bey  seinem 
Eintritte  in  dieselbe  eine  von  ihm  verfasste,  des  Druckes  würdige 
Inaugural-Abhandlung  in  öffentlicher  Sitzung  zu  verlesen. 

VIII.  Zu  Ehren-  oder  ausserordentlichen  Mitgliedern 
werden  solche  inländische  oder  auswärtige  Individuen  gewählt, 
welche  nach  ihren  Verhältnissen  die  Bedingungen  zu  ordent- 
lichen Mitgliedern  nicht  erfüllen,  aber  sonst  durch  Rang  oder 
andere  äussere  Verhältnisse,  verbunden  mit  wissenschaftlichen 
Kenntnissen  und  Liebe  zu  den  Wissenschaften,  zur  Beförderung 
der  Zwecke  der  Anstalt  beytragen  können.*)  Die  Akademie 
legt  ihnen  keine  Pflicht  auf,  es  steht  ihnen  frey,  den  Sitzungen 
beyzuwohnen,  und  Abhandlungen  vorzulesen,  oder  einzusenden, 
welche,  wenn  sie  des  Druckes  würdig  befunden  werden,  in  die 
Denkschriften  der  Akademie  aufzunehmen  sind. 

IX.  Zu  korrespondirenden  Mitgliedern  werden  von 
in-  und  ausländischen  Gelehrten  diejenigen  ausersehen,  welche 
durch  zweckmässige  Mittheilungen  über  wissenschaftliche  Gegen- 
stände fortwährend  der  Akademie  nützliche  Dienste  zu  leisten 
im  Stande  und  bereitwillig  sind. 

X.  Die  ausserordentlichen  sowohl,  als  die  correspondirenden 
Mitglieder  werden  von  der  Akademie  selbst  mit  Vorbehalt 
Unserer  jedesmaligen  Genehmigung  gewählt.**) 

XL  Jedem  Mitgliede  der  Akademie  steht  der  Austritt  aus 
diesem  Verein  frey;  zur  wirklichen  Ausschliessung  aber  wird 
Unsere  ausdrückliche  Sanktion  erfordert. 

XII.  Nur  jene  Mitglieder  der  Akademie,  welche  zu  öffent- 
lichen regelmässigen  Vorlesungen  an  der  Ludwig-Maximilians- 
Universität,  an  der  polytechnischen  Schule  oder  an  anderen 
ähnlichen  Staats-Anstalten  sich  verpflichten,  können  in  Zukunft 


*)  Die  Greschäftsordnung  vom  5.  September  1866  trennt  die  Ehren- 
mitglieder von  den  außerordentlichen  Mitgliedern. 

**)  In  der  Geschäftsordnung  vom  5.  September  1866  ist  die  Höchst- 
zahl der  korrespondierenden  Mitglieder  nicht  beschränkt. 


6  Organisations-Urkunde 

aus  dem  Fond  der  Akademie  einen  ständigen  Gehalt  erhalten. 
Ausserdem  werden  Wir  dem  Vorstande  und  den  Klassen- 
Sekretären  für  die  Dauer  ihrer  Funktionen  angemessene  jähr- 
liche Remunerationen  aus  dem  der  Akademie  zugewiesenen 
Fond  bewilligen.*) 

XIII.  Dem  Vorstande  und  den  Sekretären  wird  noch  zur 
Besorgung  der  Kanzleigeschäfte  und  zur  Führung  der  Regie- 
Rechnung  ein  Aktuar  mit  einem  angemessenen  Funktions- 
Gehalte,  und  ein  Kanzleygehülfe  gegen  Taggeld  beygegeben. 
Der  Aktuar  hat  zugleich  das  Einlaufs-Tagebuch  zu  führen, 
die  Ausfertigungen  der  Akademie  zu  besorgen,  und  die  Regi- 
stratur derselben  in  Ordnung  zu  erhalten.**) 

XIV.  Das  Staatsrainisterium  des  Innern  (Sektion  für  die 
Angelegenheiten  der  Kirche  und  des  Unterrichts  oder  die  hiefür 
bestimmt  werdende  Stelle),***)  dem  in  Beziehung  auf  ihre  äussere 
Thätigkeit  und  Geschäfts- Verhältnisse  die  Akademie  als  wissen- 
schaftlicher Verein  untergeordnet  ist,  kann,  so  oft  es  für  noth- 
wendig  erachtet  wird,  das  Gutachten  der  Akademie  über  wissen- 
schaftliche Gegenstände,  welches  diese  unentgeldlich  zu  geben 
verpflichtet  ist,  erholen,  auch  wegen  besonderer  Beachtung 
einzelner  Gegenstände  specielle  Aufträge  an  dieselbe  erlassen, 
sowie  hinwieder  die  Akademie  berufen  ist,  wichtige  und  ge- 
meinnützige Resultate  ihrer  Forschungen  und  Beobachtungen, 
dann  begründete  Ansichten  über  wahrhaft  dringende  Bedürf- 
nisse der  im  Artikel  11  bezeichneten  Wissenschaften  dem  ge- 
nannten Staatsministerium  vorzulegen.  Auch  hat  die  Akademie 
selbst  durch  Herstellung  und  Fortführung  einer  ununterbrochenen, 


*)  Zur  Zeit  erhält  kein  Akademiker  als  solcher  einen  ständigen 
Gehalt  aus  dem  Etat  der  Akademie.  Der  Vorstand  bezieht  900  Mk., 
die  3  Klassensekretäre  je  300  Mk.  jährliche  Remuneration. 

**)  Gegenwärtig  hat  die  Akademie  einen  Syndikus,  einen  Rentarat- 
mann, einen  Kanzleisekretär,  einen  Kassensekretär  und  einen  Diener  für 
die  Kanzlei. 

***)  Jetzt    „Staatsministerium    des   Innern   für   Kirchen-   und   Schul- 
angelegenheiten". 


Organisations-Ürkunde  7 

freyen,  jedoch  rein  wissenschaftlichen  Verbindung  mit  gelehrten 
Instituten  und  Gesellschaften  des  In-  und  Auslandes  die  zur 
Erreichung  ihres  Zweckes  dienlichen  Hilfsmittel  zu  vermehren. 

XV.  Die  wissenschaftliche  Thätigkeit  der  Akademie  äussert 
sich  vorÄÜglich  durch 

1.  Berathung, 

2.  Schrift  und  Druck, 

3.  Ermunterung. 

XVI.  Zum  Behufe  einer  freyen  wissenschaftlichen  Be- 
rathung sollen  in  gewissen  Zeiträumen  theils  ordentliche  all- 
gemeine, theils  Klassen-Sitzungen  gehalten  werden,  in 
welchen  die  von  der  allerhöchsten  Stelle  an  die  Akademie  zum 
Gutachten  gebrachten  Fragen  berathen,  die  wichtigeren  aus- 
wärtigen Correspondenz-NacBrichten  vorgelegt,  die  von  den 
einzelnen  Mitgliedern  verfassten  Abhandlungen  und  Vorträge 
gelesen,  die  Wahlen  neuer  Mitglieder  vorgenommen,  und 
überhaupt  alle  zur  gemeinsamen  Berathung  der  Akademie 
oder  ihrer  einzelnen  Klassen  geeigneten  Gegenstände  dis- 
cutirt  werden.*) 

XVII.  In  jedem  Jahre  sollen  zwey  öffentliche,  feyerliche 
Sitzungen  gehalten  werden,  nämlich  am  Namenstage  des  re- 
gierenden Königs  und  am  28.  März,  als  dem  Tage  der  ersten 
Stiftung  dieses  wissenschaftlichen  Vereins.  In  diesen  beyden 
festlichen  Versammlungen  sollen,  neben  gedrängten  Rechen- 
schafts-Berichten über  das  Wirken  der  Akademie,  Abhand- 
lungen über  wissenschaftliche  Gegenstände  von  allgemeinerem 
Interesse  und  Gedächtniss-Reden  über  ausgezeichnete  verstorbene 
Mitglieder  vorgetragen  werden.**) 

XVIII.  Die  Mittheilung  durch  Schrift  und  Druck  besteht 
vorzüglich  in  der  Herausgabe 


*)  Siehe  Geschäftsordnung  vom  5.  September  1866,  Titel  ,  Sitzungen 
1  und  2*. 

**)  Siehe  Geschäftsordnung  vom  5.  September  1866,  Titel , Sitzungen  3*. 


8  Organisations-Ürkunde 

1.  der  akademischen  Denkschriften,  in  welche  die 
von  Mitgliedern  der  Akademie  verfassten  wichtigeren 
Abhandlungen  aufzunehmen,  jedoch  dieselben  zur  Er- 
leichterung des  Absatzes  in  besondere,  nach  den  ver- 
schiedenen Klassen  der  Akademie  geordnete  Hefte  zu 
vertheilen  sind; 

2.  der  Sammlung  der  für  die  vaterländische  Geschichte 
wichtigen  Urkunden,  welche  unter  dem  Namen 

,Monumenta  boica" 
bekannt,    und   unter   besonderer  Berücksichtigung    der 
Städte-Urkunden   mit    Ausdehnung    auf   geschichtliche 
Urkunden   aus   den   neuerworbenen    Gebietstheilen   des 
Königreiches  fortzusetzen  ist,  und 

3.  einer  Literatur-Zeitung  unter  geeigneter  Mit- 
wirkung anderer,  nicht  zur  Akademie  gehörender 
Gelehrten.  *) 

XIX.  Ermunternd  wirkt  die  Akademie  der  Wissenschaften 
vorzüglich 

1.  durch  Ausschreibung  wahrhaft  interessanter  wissen- 
schaftlicher Preisfragen  und  Belohnung  ihrer  gelungenen 
Lösung ; 

2.  durch  Zuerkennung  akademischer  Denkmünzen  für  ein- 
gesendete gelungene  Arbeiten. 

XX.  Indem  Wir  hierdurch  Unserer  Akademie  der  Wissen- 
schaften die  Hauptbestimmung  ihrer  künftigen  Wirksamkeit 
vorgezeichnet  haben,  tragen  Wir  derselben  auf,  eine  auf  diese 
Bestimmungen  gegründete  Geschäftsordnung  zu  entwerfen,  und 
Uns  zur  Genehmigung  vorzulegen.**) 


*)  Die  Literaturzeitung  („Gelehrte  Anzeigen")  hörte  im  Jahre  1860 
auf  zu  erscheinen,  an  ihre  Stelle  traten  , Sitzungsberichte",  siehe  Ge- 
schäftsordnung, Titel  „Sitzungsberichte". 

**)  Maßgebend  ist  gegenwärtig  die  Geschäftsordnung  vom  5.  Sep- 
tember 1866. 


Organisations-Urkunde  9 

Gegenwärtige  Verordnung  soll  durch  das  Regierungs- 
blatt zur  allgemeinen  Kenntniss  gebracht,  und  durch  Unser 
Staatsministerium  des  Innern  förderlich  in  Vollzug  gesetzt 
werden. 

München  am  21.  März  1827. 

Ludwig. 

Fürst  V.  Wrede,         Graf  v.  Thürheim. 

Freyherr  v.  Zentner.         v.  Maillot. 

Graf  V.  Armansperg. 

Nach  dem  Befehle 
Seiner  Majestät  des  Königs: 

Egid  V.  Kobell. 


10 


Geschäftsordnung  der  K.  Akademie  der  "Wissenschaften. 

Von  Seiner  Majestät  König  Ludwig  II. 
unterm  5.  September  1866  und  5.  Januar  1884  genehmigt. 

Wahlen. 

1.  Wahlberechtigt  sind  nur  die  hier  residierenden  ordent- 
lichen Mitglieder  der  Akademie. 

2.  Zu  den  Wahlversammlungen,  sowohl  der  einzelnen  Klassen 
als  der  Gesamt-Akademie,  werden  die  ordentlichen  Mit- 
glieder durch  ein  Circular  eingeladen. 

Das   unterschriebene    Circular   gehört   zum    Akt   der 
Wahlverhandlung. 

3.  Die  Wahlen  der  Mitglieder  finden  in  zwei  aufeinander- 
folgenden Sommer-Monaten  statt. 

a)  Wahl  der  Klassensekretäre. 

1.  Die  Wahl  eines  Klassensekretärs  geschieht  alsbald  (im 
Fall  der  Erledigung  durch  Ableben  unter  dem  Vorsitz 
des  Vorstandes)  durch  relative  Mehrheit  der  Anwesenden 
in  einer  Klassensitzung  mittelst  Stimmzettel,  welche  der 
stellvertretende  Sekretär,  der  Senior  der  Klasse,  einsieht. 

2.  Nach  erfolgter  Wahl  tritt  der  Sekretär  sofort  in  seine 
Tätigkeit. 

3.  Die  Neuwahl  wie  die  Wiederwahl  wird  den  andern  Klassen- 
sekretären zur  Bekanntgabe  mitgeteilt. 

b)  Wahl  der  ordentlichen  Mitglieder. 
1.  Die  Vorschläge  zur  Ergänzung  einer  statusmässigen  Stelle 
durch    einen    einheimischen     hier    wohnenden    Gelehrten 
unterliegen    der  Vorberatung   und    alsdann   der  Entschei- 
dung der  Klasse  durch  Kugelung. 


Geschäftsordnung  1 1 

2.  Die  Gültigkeit  der  Wahl  verlangt  absolute  Stimmenmehr- 
heit von  drei  Viertel  der  eingeladenen  und  nicht  unab- 
weislich  abgehaltenen  Mitglieder. 

3.  Das  von  allen  Mitgliedern  unterschriebene  Wahlprotokoll 
wird  samt  den  schriftlichen  Vorschlägen  durch  das  Prä- 
sidium der  Gesamt- Akademie  in  allgemeiner  Sitzung  mit- 
geteilt und  diese  entscheidet  durch  absolute  Stimmenmehr- 
heit mit  Kugeln,  ohne  Rücksicht  auf  die  Zahl  der  Er- 
schienenen, über  die  Wahl. 

4.  Das  gleiche  Verfahren  gilt  bei  den  folgenden  unter  c 
und  d  aufgeführten  Wahlhandlungen. 

c)  Wahl  der  ausserordentlichen  Mitglieder. 
Die  Vorschläge   stehen  jedem  einzelnen  ordentlichen  Mit- 
glied der  Klasse  zu. 

d)  Wahl  der  auswärtigen  und  korrespondierenden 
Mitglieder. 

1.  Die  Anträge  können  gleichfalls  von  jedem  ordentlichen 
Mitgliede  der  Klasse  einzeln  gestellt  werden. 

Jeder   Vorschlag    muss    dem    Klassensekretär    vor    der 
Wahlsitzung  schriftlich  übergeben  werden. 

2.  Bei  der  Würdigung  derselben  ist,  ausser  der  selbstver- 
ständlichen Beachtung  der  Persönlichkeit,  das  Bedürfnis 
einzelner  oder  besonderer  in  der  Klasse  vertretener  Wissen- 
schaften wahrzunehmen. 

e)  Wahl  von  Ehrenmitgliedern. 

Die  Vorschläge  können  nur  vom  Vorstande  nach  Benehmen 
mit  den  Klassensekretären  an  die  Gesamt-Akademie  gebracht 
werden. 

Sämtliche  Wahlen  der  Mitglieder  unterliegen  der  könig- 
lichen Bestätigung.  Ihre  Verkündigung  erfolgt  in  öffentlicher 
Sitzung. 

Nehmen  auswärtige  oder  korrespondierende  Mitglieder 
ihren  bleibenden  Wohnsitz  hierselbst,  so  treten  jene  als  ordent- 


12  Geschäftsordnung 

liehe,  diese  als  ausserordentliche  in  ihre  Klasse  ein,  auch  in 
dem  Fall,  dass  damit  die  Normalzahl  der  Mitglieder  über- 
schritten wird. 

Sitzungen. 

1. 

Allgemeine  Sitzungen. 

Bei    Mitteilungen    von    allgemeinem    Interesse    beruft    der 

Vorstand    sämtliche    hier    wohnende  Akademiker  in  besonderer 

Einladung,  wie  gelegentlich  der  Wahl  neuer  Mitglieder. 

2. 

Klassen  Sitzungen. 

1.  Die  Sitzungen  der  drei  Klassen  werden  gleichzeitig  am 
ersten  Samstag  des  Monats  gehalten. 

2.  Eine  Verlegung  dieser  regelmässigen  Sitzung  wird  vor- 
her durch  Circular  angezeigt. 

3.  über  die  Reihenfolge  der  Vorträge  wird  in  der  November- 
Sitzung  jeder  Klasse  Anordnung  getroffen. 

4.  Der  von  einem  Mitgliede  in  einer  Sitzung  zu  haltende  Vortrag 
soll  vor  derselben  dem  Klassensekretär  angemeldet  werden. 

5.  Die  Klasse  erledigt  in  ihren  Sitzungen  oder  in  dringen- 
den Fällen  durch  Circulare  auch  Anfragen  oder  Aufträge 
des  Staatsministeriums  oder  was  sonst  in  den  Kreis  der 
Beratung  eintritt. 

3. 

Öffentliche  Sitzungen. 

1.  Nach  Eröffnung  der  Sitzungen  (welche  an  einem  Königs- 
tage und  an  dem  Stiftungstag  der  Akademie  stattfinden)  *) 
durch  den  Vorstand  erstatten  die  Klassensekretäre  Bericht 
über  die  Personal- Veränderungen  innerhalb  ihrer  Klasse. 

2.  Die  Festrede  wechselt  nach  der  Folge  der  drei  Klassen. 

Jede  Klasse  hat  rechtzeitig  den  Redner  zu  bestimmen 
und  dem  Vorstande  bekannt  zu  geben. 


*)  Gegenwärtig  wird  erstere  Mitte  November,  letztere  in  der  ersten 
Hälfte  des  Monats  März  abgehalten. 


Geschäftsordnung  13 

Denkschriften. 

Jedes  Jahr  gibt  jede  Klasse  eine  Abteilung  zu  einem 
Bande  akademischer  Denkschriften ;  dieser  enthält  circa  hundert 
Bogen. 

Die  Aufnahme  der  Abhandlungen,  mögen  sie  nun  in  einer 
Sitzung  vorgetragen  oder  eingesendet  worden  sein,  hängt  von 
dem  Gutachten  der  Klasse  ab. 

Von  den  einzelnen  Abhandlungen  werden  auch  eine  Zahl 
Separat-Abzüge  ausgegeben. 

Sitzungsberichte. 

Die  Sitzungsberichte  veröffentlichen,  was  alles  in  den 
Klassensitzungen  zum  Vortrag  kam,  sei  es  im  Auszug,  sei  es 
vollständig. 

Über  die  Aufnahme  entscheidet  die  Klasse. 

Dieselben  berichten   auch   über  die  öffentlichen  Sitzungen. 

Für  künstlerische  Beilagen,  sowohl  zu  den  Denkschriften 
als  den  Sitzungsberichten,  muss  ein  Voranschlag  gemacht  und 
die  besondere   Genehmigung  des  Vorstandes  eingeholt  werden. 

Monumenta  boica. 

Die  hiefür  eigens  niedergesetzte  Kommission  hat  die  Aus- 
wahl, die  Form  und  den  Bearbeiter  der  Urkunden  zu  bestimmen. 

Honorare. 

Für  die  Festrede  in  der  öffentlichen  Sitzung,  für  die  Ab- 
handlungen in  den  Denkschriften  und  den  Sitzungsberichten 
werden  Honorare  bezahlt. 

Übersteigt  eine  Abhandlung  in  einer  Abteilung  der  Denk- 
schriften die  Zahl  von  acht  Bogen,  in  den  Sitzungsberichten 
die  Zahl  von  drei*)  Bogen,  so  wird  für  das  Weitere  kein 
Honorar  bezahlt. 


*)  Gegenwärtig  fünf. 


14  Geschäftsordnung 

Für  die  Festrede  bleibt  ohne  Rücksicht  auf  ihren  Umfang 
das  Honorar  festgesetzt.*) 

Jetons. 

Präsenzgelder  werden  an  die  Mitglieder  der  Klasse  für 
die  Klassensitzung  und  an  die  bei  einer  öffentlichen  Sitzung 
anwesenden  Akademiker  verteilt.**) 

Ferien. 

Die  regelmässigen  Ferien  dauern  von  August  bis  Ende 
Oktober. 


*)  Dieselbe    wird    zur   Zeit   gleich    drei  Bogen    der   Denkschriften 
honoriert. 

**)  Für   die   Klassensitzungen  je   2  Mk. ,   für   die   öffentlichen    Sit- 
zungen je  5  Mk. 


15 


Satzungen  der  Kommissionen. 


Satzung  der  historischen  Commission  hei  der  königlichen 
Akademie  der  Wissenschaften. 

Ich  habe  beschlossen,  eine  Commission  für  deutsche  Ge- 
schichts-  und  Quellenforschung  bei  Meiner  Akademie  der 
Wissenschaften  nach  ähnlichen  Grundsätzen,  wie  die  natur- 
wissenschaftlich-technische Commission  zu  errichten,  und  be- 
stimme desshalb  auf  solange  Ich  nicht  anders  verfüge,  wie  folgt: 

I. 
Die  Commission  besteht  aus: 

1.  einem  Vorstande, 

2.  einem  Sekretär, 

3.  aus  15 — 20  ordentlichen  Mitgliedern,  von  welchen 
mindestens  drei  Mitglieder  der  historischen  Classe  der 
Akademie  sein  müssen,  die  übrigen  aber  ohne  sonstige 
Bedingung  aus  den  wissenschaftlichen  Notabilitäten 
Deutschlands  und  den  deutschen  Provinzen  der  Nach- 
barstaaten ausgewählt  werden, 

4.  einer  unbestimmten  Anzahl  ausserordentlicher  Mit- 
glieder. 

Diese    Commission    bildet     einen  integrirenden    Theil    der 

königl.  Akademie  der  Wissenschaften,  ist  daher  mit  dieser  dem 

königl.  Staatsministerium   des  Innern  für  Kirchen-  und  Schul- 
Angelegenheiten  untergeordnet. 

11. 

Der  Vorstand  leitet  in  den  Sitzungen  die  Debatte,  hält 
die  Umfrage,  gibt  zuletzt  seine  Stimme  ab,  und  hat  bei  Stimmen- 
gleichheit den  Stichentscheid. 

Er  wird  im  Falle  der  Abwesenheit  von  dem  Sekretär  ver- 
treten.    Er  muss  Mitglied  der  Akademie  sein. 


16  Satzungen  der  Kommissionen 

Der  Sekretär  führt  das  Protokoll  und  besorgt  die  Cor- 
respondenzen.  Er  muss  ein  in  München  residirendes  ordent- 
liches Mitglied  der  Akademie  sein. 

Für  den  ersten  Fall  erfolgt  Meinerseits  die  Ernennung 
des  Vorstandes,  des  Sekretärs  und  der  ordentlichen  Mitglieder 
der  Commission  unmittelbar.  Weiterhin  hat  die  Commission 
in  der  jährlichen  Plenarsitzung  der  ordentlichen  Mitglieder  bei 
dem  Abgange  des  Vorstandes  oder  Sekretärs  oder  ordentlicher 
Mitglieder  Mir  deren  Nachfolger,  ebenso  wie  die  ausserordent- 
lichen Mitglieder  zur  Ernennung  in  Vorschlag  zu  bringen. 

III. 

Die  Commission  wird  sich  vornehmlich  mit  der  Auffindung 
und  Herausgabe  werthvollen  Quellenmaterials  für  die  deutsche 
Geschichte  in  deren  ganzen  Umfange  beschäftigen,  soweit 
dasselbe  nicht  in  den  Bereich  bereits  bestehender  Unterneh- 
mungen fällt.  Sie  wird  ausserdem  wissenschaftliche  Arbeiten, 
die  in  diesem  Gebiete  nothwendig  oder  erspriesslich  erscheinen, 
hervorzurufen  suchen,  sie  wird  endlich  hervorragende  wissen- 
schaftliche Arbeiten  dieses  Gebietes,  welche  sonst  nicht  zur 
Publikation  gelangen  würden,  veröffentlichen. 

Sie  ist  ermächtigt,  Jedem,  der  in  ihrem  Auftrage  die 
Bearbeitung  eines  Gegenstandes  übernimmt,  die  zu  liquidirenden 
Baarausgaben  dafür  zu  vergüten,  und  die  Arbeit  selbst  in  ge- 
eigneter Weise  zu  honoriren. 

IV. 

Zu  Michaelis  jeden  Jahres  findet  eine  Plenarsitzung  aller 
ordentlichen  Mitglieder  statt.*)  Für  die  Theilnahme  an  der- 
selben erhält  jedes  ausserhalb  Münchens  wohnende  Mitglied 
eine  Reiseentschädigung  von  200  fl. 

In  dieser  Sitzung  berichtet  der  Sekretär  über  die  Arbeiten 
und  Verwendung  der  Geldmittel  des  abgelaufenen  Jahres.  Die 
Commission  fasst  sodann  Beschluss  über  die  Arbeiten  und  den 


*)  Seit  dem  Jahre  1891  findet  die  Plenarversammlung  mit  Aller- 
höchster Genehmigung  nicht  mehr  zu  Michaelis  statt,  sondern  in  der 
Pfingstwoche. 


Satzungen  der  Kommissionen  17 

Etat  des  kommenden  Jahres.  Sie  fasst  Beschluss  über  etwaige 
Wahlen.  Wenn  bei  der  Ausführung  der  Beschlüsse  dringende 
Fälle  eine  sofortige  Entscheidung  fordern,  deren  Beschliessung 
zur  Competenz  der  Plenarsitzung  gehören  würde,  so  kann 
darüber  durch  eine  Berathung  des  Vorstandes  und  des  Sekretärs 
in  Gemeinschaft  mit  den  in  München  anwesenden  und  den 
näher  bei  der  Sache  betheiligten  Mitgliedern  deren  Beschluss 
gefasst  werden. 

Der  Vorstand  und  sämmtliche  Mitglieder  der  Akademie, 
sowie  die  ausserordentlichen  Mitglieder  der  Commission  haben 
die  Befugniss,  der  Plenarsitzung  beizuwohnen.  Stimm-  und 
wahlberechtigt  sind  jedoch  nur  die  ordentlichen  Mitglieder  der 
Commission. 

V. 

Die  in  München  anwesenden  Mitglieder  der  Commission 
treten,  so  oft  es  einem  derselben  erforderlich  scheint,  zu  einer 
Sitzung  zusammen,  die  von  dem  Vorstande,  —  oder  in  dessen 
Abwesenheit  von  dem  Sekretär  berufen  und  geleitet  wird.  Die 
Beschlüsse  dieser  Sitzungen  werden  den  auswärtigen  Mitgliedern 
durch  den  Sekretär  mitgetheilt. 

VI. 
Die   Commission    hält  ihre    Sitzungen   in    den   Lokalitäten 
der  Akademie  der  Wissenschaften. 

VII. 

Sie  veröffentlicht  ihre  Arbeiten  in  zwanglosen  Bänden,  die 
auf  ihrem  Titel  als:  , herausgegeben  durch  die  historische 
Commission  bei  der  Königlich  bayerischen  Akademie  der  Wissen- 
schaften*  bezeichnet  werden. 

Die  Kosten  der  Herausgabe  werden  überall  aus  dem 
Fonde  der  Commission  gedeckt,  welchem  dagegen  der  etwaige 
buchhändlerische  Ertrag  der  Publikationen  zuwächst. 

VIII. 

Ich  bewillige  der  Commission  jährlich  die  Summe  von 
15000  fl.  aus  Meiner  Cabinettscassa. 

Aus  diesem  Fonde  werden  ausser  den  Autor-Honorarien, 
Reiseentschädigungen  und  Druckkosten  auch  die  Regieausgaben 

Jahrbuch  1916.  2 


18  Satzungen  der  Kommissionen 

für  Schreibmaterialien ,  Post  [Fracht]  bestritten.  Was  von 
demselben  in  einem  Jahre  nicht  verbraucht  wird,  wächst  der 
Einnahme  des  nächsten  Jahres  zu. 

IX. 
Unter  der  Aufsicht  des  Vorstandes,  der  im  Falle  seiner 
Abwesenheit  auch  in  dieser  Beziehung  durch  den  Sekretär 
vertreten  wird,  führt  der  Cassier  der  Akademie  der  Wissen- 
schaften die  Cassa  und  Rechnung  der  Commission  gegen  eine 
jährliche  Remuneration  von  150  fl.  und  entwirft  jährlich  den 
Etat  zur  Instruktion  der  Plenarsitzung. 

X. 

Die  Plenarsitzung  hat  jährlich  über  die  Arbeiten  der 
Commission  und  die  Verwendung  ihrer  Geld-Mittel  umständ- 
lichen Bericht  zu  erstatten,  welcher  Bericht  durch  das  Staats- 
ministerium des  Innern  für  Kirchen-  und  Schulangelegenheiten 
Mir  zur  Genehmigung  in  Vorlage  zu  bringen  ist. 

XI. 

Ich  ernenne  zu  Mitgliedern  der  Commission  die  Akademiker 
von  Rudhart,  von  Spruner,  von  Sybel  und  zum  Sekretär 
derselben  den  Akademiker  von  Sybel.  Dieselben  haben  sofort 
Anträge  über  die  Ernennung  auswärtiger  Mitglieder  einzureichen. 
Nach  deren  Eingang  behalte  Ich  Mir  vor,  den  Vorstand  der 
Commission  zu  bezeichnen.  Zugleich  bestimme  Ich,  dass  die 
Commission  in  den  Kreis  ihrer  Arbeiten  und  auf  ihren  Fond 
die  Herausgabe  der  deutschen  Reichstagsakten,  wie  Ich  solche 
auf  den  Antrag  des  Professors  von  Sybel  genehmigt  habe, 
sowie  die  Arbeiten  der  seither  bestehenden  archivalischen  Com- 
mission übernehme. 

XII. 

Der  jährliche  Etat  der  Commission  ist  Mir  zur  Geneh- 
migung vorzulegen ,  die  Revision  der  Rechnungen  aber,  wie 
bei  der  naturwissenschaftlich-technischen  Commission,  von  der 
k.  Rechnungskammer  zu  führen. 

München  am  26.  November  1858. 
gez.  MAX. 


Satzungen  der  Kommissionen  1" 


Urkunde  über  die  Errichtung  einer  Witteisbacher- 
Stiftung  für  Wissenschaft  und  Kunst. 

LUDWIG  IL, 

von  Gottes  Gnaden  König  von  Bayern, 

Pfalzgraf  bei  Rhein, 

Herzog  von  Bayern,  Franken  und  in  Schwaben  etc.  etc. 

Um  die  Allerhöchsten  Intentionen  Unseres  vielgeliebten, 
nun  in  Gott  ruhenden  Herrn  Vaters,  Seiner  Majestät  des  Königs 
Maximilian  IL  von  Bayern  im  thunlichsten  Umfange  in  ehrende 
Verwirklichung  zu  bringen  und  insbesondere  für  die  Arbeiten 
der  von  Höchstdemselben  bei  der  Akademie  der  Wissenschaften 
in  München  gegründeten  historischen  Kommission  auch  ferner- 
hin die  entsprechenden  Mittel  zu  sichern,  haben  Wir  in  Ge- 
meinschaft mit  Unseres  vielgeliebten  Herrn  Bruders,  des  Prinzen 
Otto  von  Bayern  Königlicher  Hoheit  beschlossen,  eine  allge- 
meine Landesstiftung,  zunächst  zur  Förderung  wissenschaftlicher 
Zwecke,  zu  errichten  und  verordnen  hier  wegen  was  folgt: 

I. 

Die  bezeichnete  Stiftung  führt  den  Namen  „Witteisbacher- 
Stiftung  für  Wissenschaft  und  Kunst" ;  sie  besitzt  die  Eigen- 
schaft einer  Landesstiftung  mit  juristischer  Persönlichkeit  und 
hat  ihren  Sitz  in  München. 

IL 

Zur  Dotation  derselben  bestimmen  Wir  und  Unseres  Herrn 
Bruders,  des  Prinzen  Otto  von  Bayern  Königliche  Hoheit  den 
Betrag  von  zusammen  sechsmal  hundert  fünfzig  tausend  Mark 
aus  dem  Nachlasse  Unseres  Höchstseligen  Herrn  Vaters. 

2* 


20  Satzungen  der  Kommissionen 

III. 

Die  Verwaltung  des  Stiftungsvermögens  wird  der  Kassa- 
verwaltung der  Akademie  der  Wissenschaften  in  München  unter 
der  Aufsicht  des  jeweiligen  Vorstandes  der  von  Unserem  Höchst- 
seligen Herrn  Vater,  Seiner  Majestät  dem  König  Maximilian  IL 
von  Bayern  gegründeten  Kommission  für  deutsche  Geschichts- 
und Quellenforschung  oder  des  Stellvertreters  desselben  über- 
tragen. 

IV. 

Die  Renten  des  Stiftungsvermögens  sind  bis  auf  Weiteres 
für  die  Zwecke  und  Arbeiten  der  vorgenannten  historischen 
Kommission  zu  verwenden. 

Hinsichtlich  der  Zusammensetzung  und  der  Aufgaben,  dann 
des  Geschäftsganges  und  der  sonstigen  Einrichtungen  dieser 
Kommission  verweisen  Wir  auf  die  von  Unserem  Höchstseligen 
Herrn  Vater,  dem  Könige  Maximilian  II.  von  Bayern  hierüber 
getroffenen  Bestimmungen,  deren  allenfallsige  Aenderungen  Wir 
übrigens  Uns  und  Unseren  Regierungsnachfolgern   vorbehalten. 

V. 
Für  den  Fall  die  Zwecke  der  genannten  historischen  Kom- 
mission seinerzeit  von  Uns  oder  Unseren  Regierungsnachfolgern 
als  erfüllt  erachtet  werden  sollten ,  behalten  Wir  Uns  und 
Unseren  Regierungsnachfolgern  vor,  die  Renten  der  bezeich- 
neten Stiftung  anderen  wissenschaftlichen  Zwecken  oder  auch 
Zwecken  der  bildenden  Künste  zuzuwenden  und  hienach  auch 
die  Bestimmungen  über  die  Verwaltung  des  Stiftungsvermögens 
zu  ändern. 

VI. 

Unser  Staatsministerium  des  Innern  für  Kirchen-  und  Schul- 
angelegenheiten ist  beauftragt,  die  zum  Vollzuge  dieser  Stiftung 
erforderlichen  weiteren  Anordnungen  zu  treffen. 

Gegeben  zu  München,  den  23.  März  1880. 

LUDWIG. 

Dr.  von  Lutz. 


Satzungen  der  Kommissionen  21 


Bestimmungen  über  die  Organisation  einer  Bayerischen 
Kommission  für  die  internationale  Erdmessung.*) 

§  1. 
Zur  Durchführung  der  für  die  Zwecke  der  internationalen 
Erdmessung  in  Bayern  vorzunehmenden  Arbeiten  wird  auf  die 
Dauer  derselben  eine  aus  Mitgliedern  der  mathematisch-physi- 
kalischen Klasse  der  k.  Akademie  der  Wissenschaften  bestehende 
Kommission  unter  der  Vorstandschaft  des  Generalkonservators 
der  wissenschaftlichen  Sammlungen  des  Staates  [bezw.  des  Vor- 
standes der  k.  Akademie  der  Wissenschaften]  gebildet,  welche 
den  Namen 

„K,  Bayerische  Kommission  für  die  internationale 
Erdmessung" 

führt  und  dem  k.  Staatsministerium   des  Innern  für  Kirchen- 
und  Schulangelegenheiten  untergeordnet  ist. 

§  2. 
In  dieser  Kommission  sind  die  Referate  über  astronomische, 
geodätische,  mathematische  und  physikalische  Fragen  je  einem 
Fachmanne  zu  übertragen,  und  es  ist  hierauf  von  dem  Vor- 
stande der  Kommission  sowohl  bei  der  Verteilung  der  Referate 
als  bei  den  Anträgen  auf  Wiederbesetzung  erledigter  Funk- 
tionen Rücksicht  zu  nehmen. 

§  3. 
Die  formellen  Geschäfte  der  Kommission  besorgt  ein  stän- 
diger Sekretär,    welcher  Mitglied  der  Kommission  ist,    und   auf 
Vorschlag    des    Vorstandes   von   dem    k.    Staatsministerium    des 
Innern   für  Kirchen-  und  Schulangelegenheiten  bestimmt  wird. 

*)  Ursprünglich  Kommission  für  die  europäische  Gradmessung. 


22  Satzungen  der  Kommissionen 

Derselbe  ist  in  Fällen  der  Verhinderung  des  Vorstandes  dessen 
Stellvertreter,  führt  in  den  Sitzungen  der  Kommission  das 
Protokoll*)  und  besorgt  die  Redaktion  der  Druckschriften,  welche 
die  Erdmessungskommission  herauszugeben  für  gut  findet.  Siegel 
und  Akten  der  Kommission  sind  in  seiner  Verwahrung.  Bei 
der  Aufstellung  des  ständigen  Sekretärs  wird  zugleich  dessen 
Stellvertreter  bezeichnet. 

§  4. 
Das  Kassa-  und  Rechnungswesen  wird  dem  für  das  k.  General- 
konservatorium der  wissenschaftlichen  Sammlungen  des  Staates 
und  die  k.  Akademie  der  Wissenschaften  aufgestellten  Rech- 
nungsbeamten übertragen  und  von  diesem  nach  den  für  jene 
Institute  geltenden  administrativen  Vorschriften  besorgt. 

§5. 

Die  Mitglieder  der  Erdmessungskommission  und  deren  Vor- 
stand besorgen  die  ihnen  zukommenden  Arbeiten  unentgeltlich; 
für  auswärtige  Beschäftigungen  erhalten  dieselben  die  ihnen 
gebührenden  Taggelder  und  Reisekosten  und  für  Druck- 
schriften, welche  die  Ergebnisse  ihrer  Beobachtungen  dar- 
stellen, das  für  Abhandlungen  der  akademischen  Denkschriften 
übliche  Honorar. 

Dem  Rechnungsführer  [sowie  dem  Sekretär  der  Akademie] 
wird  von  dem  k.  Staatsministerium  des  Innern  für  Kirchen- 
und  Schulangelegenheiten  auf  den  gutachtlichen  Antrag  der 
Kommission  eine  [ihren]  Dienstleistungen  entsprechende  Re- 
muneration bewilligt**)  und  dem  Sekretär  [der  Kommission] 
durch  den  Etat  eine  Aversalsumme  zur  Bestreitung  der  Aus- 
lagen  für  Schreibgeschäfte   und  Bureaubedürfnisse   angewiesen. 


*)  Laut  Ministeria] entschliessung  vom  10.  Juli  1868  ist  „in  den 
Fällen,  in  welchen  der  beständige  Sekretär  der  Kommission  als  Vorstand 
zu  fungieren  hat,  ein  Administrativ-Beamter  der  k.  Akademie  oder  des 
Generalkonservatoriums  als  Sekretär  zu  verwenden*. 

**)  Diese   Remunerationen    sind   seit   dem  Jahre    1889,   bezw.    1898 
aufgehoben. 


Satzungen  der  Eonunissionen  23 

§  6. 

Die  Kommission  hat  darüber  zu  wachen,  dass  alle  auf 
Bayern  treffenden  Erdmessungsarbeiten  mit  möglichst  geringem 
Kostenaufwande  rechtzeitig  und  genau  nach  den  Beschlüssen 
der  allgemeinen  Konferenzen  und  der  permanenten  Kommission 
der  internationalen  Erdmessung  vollzogen  und  publiziert  werden. 

Zu  dem  Ende  hat  dieselbe 

1.  mit  der  letztgenannten  Kommission  die  erforderliche 
Korrespondenz  zu  unterhalten; 

2.  während  jedes  Winterhalbjahrs  in  einer  Sitzung  durch 
wohlerwogene  Beschlüsse  die  Arbeiten  zu  bestimmen, 
welche  im  Sommerhalbjahr  auszuführen  sind  und  die 
Summen  festzusetzen ,  welche  von  jedem  Kommissär 
gegen  vorschriftsmässige  Verrechnung  auf  die  seiner 
Leitung  unterstellten  Arbeiten  verwendet  werden  dürfen; 

3.  zu  jeder  Zeit  die  vorgelegten  Manuskripte  für  Druck- 
schriften in  der  Richtung  zu  prüfen,  ob  sie  im  Sinne 
der  obengenannten  Beschlüsse  abgefasst  und  überhaupt 
druck  würdig  sind  und  je  nach  dem  Ergebnisse  dieser 
Prüfung  die  Genehmigung  zum  Drucke  des  Manuskriptes 
zu  geben  oder  zu  versagen;  endlich 

4.  jährlich  jedesmal  im  Laufe  des  Winters  über  den  Fort- 
gang der  Erdmessungsarbeiten  in  Europa  und  Bayern 
an  das  k.  Staatsministerium  des  Innern  füf  Kirchen- 
und  Schulangelegenheiten  zu  berichten  und  die  erforder- 
lichen Anträge  über  Beschickung  der  allgemeinen  und 
besonderen  Konferenzen  der  Erdmessungskommissäre 
durch  Mitglieder  der  bayerischen  Kommission  zu  stellen. 

§  7. 
Regelmässige  Sitzungen  der  Erdmessungskommission  haben 
jährlich  nur  zwei,  eine  im  Winter-  und  eine  im  Sommer-Se- 
mester stattzufinden;  in  dringenden  Fällen  kann  der  Vorstand, 
wenn  er  es  für  nötig  findet  oder  zwei  Mitglieder  es  beantragen, 
ausserordentliche  Sitzungen  halten.  Bei  allen  Abstimmungen 
über   geschäftliche  Fragen    entscheidet   einfache  Stiramenmehr- 


24  Satzungen  der  Kommissionen 

heit,  kommt  eine  solche  nicht  zu  Stande,  so  zählt  die  Stimme 
des  Vorstandes  doppelt.  In  allen  wissenschaftlichen  und  tech- 
nischen Fragen  sind  die  Konferenzbeschlüsse  und  deren  allen- 
fallsige Interpretationen  durch  die  permanente  Kommission  der 
internationalen  Erdmessung  massgebend.  Diese  Interpretationen 
sind  in  zweifelhaften  Fällen  durch  den  Vorstand  der  bayerischen 
Kommission  zu  veranlassen. 

§  8. 

Alle  Ausfertigungen  und  Berichte  der  Kommission  werden 
von  dem  Vorstande  und  dem  Sekretär,  beziehungsweise  von 
deren  Stellvertretern  unterzeichnet. 

Das  Amtssiegel  der  Kommission  trägt  das  bayerische 
Wappen  und  die  Umschrift:  ,K.  Bayerische  Kommission  für 
die  internationale  Erdmessung.*  Ein  Exemplar  dieses  Siegels 
erhält  jedes  Kommissionsmitglied  zu  seinem  speziellen  dienst- 
lichen Gebrauche  für  Korrespondenzen  in  Erdmessungsangelegen- 
heiten  und  für  Verhandlungen,  welche  für  diesen  Zweck  mit 
Behörden  und  Privaten  zu  pflegen  sind. 

§  9. 
Die  bayerische  Kommission  für  die  internationale  Erd- 
messung geniesst  für  ihre  Korrespondenzen  und  ihre  mit  der 
Fahrpost  zu  versendenden  Akten  die  Postportofreiheit  auf 
Grund  der  Allerhöchsten  Verordnung  vom  23.  Juni  1829  und 
beziehungsweise  der  Artikel  26  und  47  der  Postverträge  vom 
23.  November  1867.*) 

§  10. 

Die  Assistenten ,  welche  ein  Kommissär  bedarf,  werden 
von  diesem  ausgewählt  und  von  dem  Vorstand  der  Erdmessungs- 
kommission  bei  dem  vorgesetzten  k.  Staatsministerium  zur  Be- 
stätigung ihrer  Funktionen  und  Bezüge  beantragt. 

Dieselben  sind  dem  Kommissär  untergeordnet  und  erhalten 
von  diesem  ihre  von  der  Erdmessungskommission  genehmigten 


*)   Geändert   durch   Verordnung   vom   22.  Dezember  1907   (Ges.   u. 
V.  Bl.  S.  1082). 


Satzungen  der  Kommissionen  25 

Instruktionen,    wesshalb    auch    der   betreffende   Kommissär    für 
alle  Arbeiten  seiner  Assistenten  verantwortlich  ist. 

Um  sich  bei  dem  persönlichen  Verkehre  mit  Stellen,  Be- 
hörden und  Privaten  gehörig  legitimieren  zu  können,  wird 
jedem  Kommissär  auf  Antrag  des  Vorstandes  der  Erdmessungs- 
kommission  vom  k.  Staatsministerium  des  Innern  für  Kirchen- 
und  Schulangelegenheiten  und  jedem  Assistenten  auf  Antrag 
des  betreffenden  Kommissärs  von  dem  Vorstande  der  Erd- 
messungskommission  eine  Legitimationsurkunde  ausgefertigt. 

München,  den  20.  Oktober  1868. 


26 


Satzungen  der  Stiftungen. 


I. 

Satzung  der  Savigny- Stiftung. 

Bei  der  Feier,  welche  die  Juristische  Gesellschaft  zu  Berlin 
am  29.  November  1861  zum  Gedächtnisse  des  am  25.  Oktober 
desselben  Jahres  verstorbenen  kgl.  Preussischen  Staatsministers 
Dr.  Friedrich  Karl  v.  Savigny  beging,  wurde  der  Beschluss 
verkündet,  das  Andenken  des  grossen  Rechtslehrers  durch 
Gründung  einer  Stiftung  zu  ehren. 

Da  zur  Ausführung  dieses  Beschlusses  die  Summe  von 
16,436  Thlr.  Preuss.  Cour,  bereits  verfügbar  ist,  wird  nach- 
stehendes Statut  errichtet: 

I.  Zweck  der  Stiftung. 

§  1.     Der  Zweck  der  Stiftung  ist: 
in   wesentlicher    Berücksichtigung    der  Bedürfnisse    der  Gesetz- 
gebung und  der  Praxis 

1.  wissenschaftliche  Arbeiten  auf  dem  Gebiete  des  Rechts 
der  verschiedenen  Nationen  zu  fördern, 

namentlich  solche,  welche  das  römische  Recht  und 
die  verschiedenen  Germanischen  Rechte  sowohl  für  sich 
als  auch  im  Verhältniss  zu  einander  behandeln, 

ferner  solche,  welche  die  von  Savigny  begonnenen 
Untersuchungen  in  seinem  Sinne  weiterführen; 


Satzungen  der  Stiftungen  27 

2.  besonders  befähigte  Rechtsgelehrte  in  den  Stand  zu 
setzen ,  die  Rechtsinstitutionen  fremder  Länder  durch 
eigene  Anschauung  kennen  zu  lernen  und  darüber  Be- 
richte oder  weitere  Ausführungen  zu  liefern. 

2.'  Befähigung  zur  Theilnahrae. 
§  2.    Die  Befähigung  zur  Theilnahme  an  den  Vortheilen, 
welche   die  Stiftung  behufs   der  Förderung   ihres  Zweckes    ge- 
währt, ist  an  keine  Nationalität  gebunden. 

3.  Rechte  der  Stiftung. 

§  3.  Die  Stiftung  besitzt  unter  dem  Namen  ,Savigny- 
Stiftung"  die  Rechte  einer  Korporation  und  führt  in  ihrem 
Siegel  das  Wappen  der  Familie  v.  Savigny.  Sie  hat  ihren 
Sitz  in  Berlin  und  ihren  Gerichtsstand  bei  dem  kgl.  Stadt- 
gerichte daselbst. 

4.  Stiftungs-Vermögen. 

§  4.  Das  Kapital- Vermögen  der  Stiftung  wird  aus  den 
bisher  gesammelten  Beiträgen  und  aus  den  künftig  eingehenden 
Zuwendungen  gebildet,  sofern  der  Geber  nicht  eine  andere 
Bestimmung  über  die  Art  der  Verwendung  treffen  sollte. 

Das  Kapital- Vermögen  der  Stiftung  darf  niemals  ange- 
griffen werden. 

§  5.  Für  die  Zwecke  der  Stiftung  werden  nur  die  Zinsen 
des  Kapital- Vermögens  verwendet. 

5.  Kupatorium  der  Stiftung. 

§  6.  Die  Stiftung  wird  durch  ein  Kuratorium  von  sechs 
Personen  vertreten. 

Das  Kuratorium  wird  bei  seiner  Gründung  aus  zwei  Mit- 
gliedern der  kgl.  Akademie  der  Wissenschaften  zu  Berlin,  zwei 
Mitgliedern  der  juristischen  Fakultät  der  kgl.  Friedrich- Wilhelms- 
Universität  daselbst  und  zwei  Mitgliedern  der  juristischen  Ge- 
sellschaft daselbst  gebildet,  welche  von  diesen  Körperschaften, 
beziehungsweise  von  der  juristischen  Gesellschaft  gewählt  werden. 


28  Satzungen  der  Stiftungen 

Die  Legitimation  der  von  der  juristischen  Gesellschaft  ge- 
wählten zwei  Mitglieder  wird  dadurch  geführt,  dass  die  von 
der  Akademie  und  der  Fakultät  gewählten  vier  Mitglieder  des 
Kuratoriums  die  Wahl  derselben  als  giltig  anerkennen. 

§  7.  Scheidet  ein  Mitglied  aus  dem  Kuratorium  aus,  so 
erfolgt  die  Neuwahl  von  derjenigen  Körperschaft,  von  welcher 
die  Stelle  des  ausgeschiedenen  Mitgliedes  bei  der  Gründung 
der  Kuratoriums  besetzt  worden  war.  —  Ein  gleiches  Wahl- 
recht steht  in  gleichem  Umfange  der  juristischen  Gesellschaft 
zu  Berlin  zu.  In  Beziehung  auf  die  Prüfung  der  Legitimation 
der  von  der  letzteren  gewählten  Mitglieder  findet  auch  bei 
Neuwahlen  die  Vorschrift  des  §  6  Alinea  3  des  Statuts  An- 
wendung. 

Ist  dieses  Wahlrecht  innerhalb  eines  von  dem  Kuratorium 
zu  bestimmenden  angemessenen  Zeitraumes  nicht  ausgeübt 
worden,  so  ergänzt  sich  das  Letztere  durch  Kooptation  aus  der 
Zahl  der  in  Berlin  wohnenden  Rechtsverständigen.  Es  müssen 
jedoch  stets  zwei  Mitglieder  im  Kuratorium  sitzen,  welche 
weder  der  Akademie  noch  der  Universität  angehören. 

Ueber  jeden  Wahlakt  des  Kuratoriums  wird  eine  notarielle 
Urkunde  aufgenommen. 

§  8.  Das  Kuratorium  legitimiert  sich  als  Vertreter  der 
Stiftung  durch  ein  Attest  des  kgl.  Polizei-Präsidiums  zu  Berlin 
darüber,  dass  das  Kuratorium  der  Stiftung  zur  Zeit  aus  den 
im  Atteste  genannten  Personen  besteht. 

Das  Kuratorium  hat  die  Befugniss,  einen  Syndikus  aus 
seiner  Mitte  zu  wählen  und  diesem  General-  und  Spezialvoll- 
macht cum  facultate  substituendi  zu  ertheilen,  auch  für  ein- 
zelne Rechtsgeschäfte  oder  Prozesse  Jemand,  sei  derselbe  Mit- 
glied des  Kuratoriums  oder  nicht,  unter  Beilegung  sämtlicher 
Rechte,  welche  dem  Vertreter  einer  abwesenden  Partei  zu- 
stehen, zu  bevollmächtigen. 

§  9.  Das  Kuratorium  wählt  aus  seiner  Mitte  einen  Vor- 
sitzenden, dessen  Name  durch  eine  von  dem  Kuratorium  zu 
bestimmende  Berliner,  Wiener  und  Münchener  Zeitung  ver- 
öffentlicht wird. 


Satzungen  d,er  Stiftungen  29 

Der  Vorsitzende  repräsentirt  die  Stiftung  in  allen  ausser- 
gerichtlichen  Angelegenheiten.  Die  Zahlungs- Anweisungen  an 
die  Kasse  der  Stiftung  bedürfen  jedoch  der  Unterschrift  des 
Vorsitzenden  und  zweier  Mitglieder  des  Kuratoriums. 

§  10.  Die  Beschlüsse  des  Kuratoriums  werden  durch 
Stimmenmehrheit  seiner  Mitglieder  gefasst. 

Bei  Stimmengleichheit  gibt  die  Stimme  des  Vorsitzenden 
den  Ausschlag. 

Lässt  der  Vorsitzende  schriftlich  abstimmen,  so  muss  die 
schriftlich  zu  formulirende  Frage  jedem  Mitgliede  zur  Er- 
klärung vorgelegt  werden,  und  steht  es  dann  in  der  Befugniss 
jedes  Einzelnen,  über  die  Frage  eine  mündliche  Berathung  und 
Abstimmung  zu  beantragen. 

Zu  einem  giltigen  Beschlüsse  des  Kuratoriums  auf  Grund 
mündlicher  Abstimmung  ist  die  Anwesenheit  von  mindestens 
drei  Mitgliedern  erforderlich. 

§  11.  Das  Kuratorium  hat  für  die  zinsbare  und  deposital- 
mässig  sichere  Anlegung  des  Stiftungsvermögens  Sorge  zu 
tragen. 

Die  Documente  der  Stiftung  sind  bei  einer  mit  Deposital- 
verwaltung  verbundenen  öffentlichen  Anstalt  zu  deponiren. 

Die  Kasse  der  Stiftung  wird  durch  einen  vom  Kuratorium 
hiermit  zu  beauftragenden  öffentlichen  Kassenbeamten  geführt. 
Diesem  wird  nach  erfolgter  Rechnungslegung  alljährlich  die 
Decharge  durch  das  Kuratorium  ertheilt. 

§  12.  Das  Kuratorium  stellt  nach  einem  sechsjährigen 
vom  1.  Januar  1863  ab  zu  berechnenden  Turnus  die  Zinsen- 
masse nach  Abzug  der  Verwaltungskosten  in  runder  Summe 
folgenden  drei  Akademien  zu  den  Zwecken  der  Stiftung  (§  1) 
zur  Verfügung  und  zwar  die  Zinsenmassen 

1.  des  ersten  und  zweiten  Jahres  der  kaiserlichen  Akademie 
der  Wissenschaften  zu  Wien, 

2.  des  dritten  und  vierten  Jahres  der  kgl.  Akademie  der 
Wissenschaften  zu  München, 

3.  des    fünften    und    sechsten    Jahres   der   kgl.    Akademie 
der  Wissenschaften  zu  Berlin. 


30  Satzungen  der  Stiftungen 

§  13.  Von  demjenigen  Zeitpunkte  an,  wo  das  Kapital- 
Vermögen  der  Stiftung  die  Summe  von  Dreissigtausend  Thalern 
Preuss.  Cour,  erreicht  haben  wird,  tritt  ein  dreijähriger  Turnus 
unter  den  genannten  Akademien  in  der  angegebenen  Reihen- 
folge ein. 

§  14.  Der  Geschäftsgang  bei  dem  Kuratorium  wird  durch 
die  anliegende  Geschäftsordnung  geregelt. 

§  15.  Zu  einer  Abänderung  der  Geschäftsordnung  ist  die 
Zustimmung  von  wenigstens  vier  Mitgliedern  des  Kuratoriums 
erforderlich. 

6.  Der  Wirkungskreis  der  Akademien. 

§  16.  Die  Akademie,  welcher  die  Zinsenmasse  nach  Vor- 
schrift des  §  12  zur  Verfügung  gestellt  ist,  hat  die  Wahl,  aus 
derselben 

1.  ein  in  Druck  oder  in  Schrift  ihr  vorliegendes  Werk  zu 
prämiiren, 

2.  eine  Preisaufgabe  zur  Konkurrenz  auszuschreiben, 

3.  ein  Reisestipendium  zu  ertheilen, 

4.  die  zur  Ausführung  einer  rechtswissenschaftlichen  Arbeit 
erforderlichen  Geldmittel  zu  gewähren. 

Dem  freien  Ermessen  der  Akademie  bleibt  überlassen,  ob 
sie  die  ihr  zur  Verfügung  gestellte  Zinsenmasse  zu  einem  und 
demselben  Unternehmen  oder  zu  verschiedenen  Zwecken  (Nr.  1 
bis  4)  verwenden  will. 

Auch  die  Zinsenraassen  mehrerer  Jahre  können  mit  Ein- 
willigung der  betheiligten  Akademien  für  ein  und  dasselbe 
Unternehmen  bestimmt  und  verwendet  werden. 

Ordentlichen  einheimischen  Mitgliedern  der  konferirenden 
Akademie  dürfen  weder  Preise  noch  Reisestipendien  ertheilt 
werden. 

Die  wissenschaftlichen  Arbeiten  ad  1.  2.  4.,  sowie  die 
Reiseberichte  ad  3.  müssen  in  Lateinischer,  Deutscher,  Eng- 
lischer, Französischer  oder  Italienischer  Sprache  abgefasst  sein. 

§  17.  Beabsichtigt  die  Akademie  ein  bereits  vollendetes 
Werk   zu   prämiiren    (§16  Nr.  1),   so    hat    dieselbe    innerhalb 


Satzungen  der  Stiftungen  31 

eines  Jahres,  von  dem  Zeitpunkte  an  gerechnet,  wo  ihr  die 
Zinsenmasse  zur  Verfügung  gestellt  ist,  diese  Prämiirung  aus- 
zusprechen und  dem  Kuratorium  unter  üebersendung  des  Werkes 
sowie  des  die  Prämiirung  motivirenden  Gutachtens  die  Zahlungs- 
anweisung zu  ertheilen. 

Schriften,  welche  schon  länger  als  vier  Jahre  vor  dem 
Beschlüsse,  ein  Werk  zu  prämiiren,  durch  den  Druck  veröffent- 
licht worden,  sind  von  der  Prämiirung  ausgeschlossen. 

Die  Auszahlung  der  ganzen  Prämie  für  ein  Werk,  welches 
im  Manuscripte  vorliegt,  darf  erst  nach  der  Veröffentlichung 
des  Werkes  durch  den  Druck  erfolgen. 

§  18.  Stellt  die  Akademie  eine  Preisaufgabe  (§  16  Nr.  2), 
so  veröffentlicht  sie  innerhalb  eines  Jahres,  von  dem  Zeitpunkte 
an  gerechnet,  wo  ihr  die  Zinsenmasse  zur  Verfügung  gestellt 
ist,  in  ihren  Organen  und  in  den  ihr  geeignet  erscheinenden 
öffentlichen  Blättern  das  Thema,  die  Bedingungen  der  Kon- 
kurrenz und  den  Zeitpunkt  der  Ablieferung  der  Arbeiten,  setzt 
auch  das  Kuratorium  hiervon  in  Kenntniss. 

An  dem  auf  diesem  Zeitpunkt  der  Ablieferung  zunächst 
folgenden  21.  Februar  oder  in  der  demnächst  folgenden  Ge- 
samtsitzung verkündet  die  Akademie  das  Resultat  der  Kon- 
kurrenz-Ausschreibung, sowie  den  Namen  des  Verfassers  der 
gekrönten  Preisschrift  und  ertheilt  demnächst  dem  Kuratorium 
bei  üebersendung  der  Preisschrift  und  des  die  Preisertheilung 
motivirenden  Gutachtens  die  Zahlungsanweisung. 

Die  Auszahlung  der  ganzen  Prämie  erfolgt  auch  in  diesem 
Falle  erst  dann,  wenn  die  Veröffentlichung  der  Preisschrift 
durch  den  Druck  bewirkt  wird. 

Ist  die  Preisaufgabe  nach  dem  Urtheile  der  Akademie 
nicht  gelöst,  so  steht  es  in  ihrer  Befugniss,  dieselbe  Aufgabe 
nochmals  zur  Konkurrenz  auszuschreiben. 

§  19.  Bewilligt  die  Akademie  ein  Reisestipendium  (§  16 
Nr.  3),  so  wird  dieser  Beschluss  innerhalb  eines  Jahres,  von 
dem  Zeitpunkte  an  gerechnet,  wo  ihr  die  Zinsenmasse  zur 
Verfügung  gestellt  ist,  spätestens  am  nachfolgenden  21.  Februar 
oder  in  der  demnächst  folgenden  Gesamtsitzung  verkündet  und 


32  Satzungen  der  Stiftungen 

steht  es  in  der  Befugniss  der  Akademie,  dem  Perzipienten  eine 
bestimmte  Anweisung  zu  ertheilen.  Der  diesfällige  Beschluss 
unter  Angabe  der  Zahlungsmodalitäten  ist  dem  Kuratorium 
zur  Ausführung  mitzutheilen.  Die  Akademie  wird  Massregeln 
treffen  oder  durch  das  Kuratorium  treffen  lassen,  welche  die 
Veröffentlichung  des  Reiseberichtes  möglichst  sichern. 

§  20.  Entscheidet  sich  die  Akademie  dafür,  die  Zinsen- 
masse ganz  oder  zum  Theile  einem  Rechtsgelehrten  zur  Aus- 
führung einer  bestimmten  wissenschaftlichen  Arbeit  zu  ge- 
währen (§16  Nr.  4),  so  ist  sie  verpflichtet,  über  den  Plan  der 
Arbeit  vom  Verfasser  eine  Vorlage  zu  erfordern,  von  dem 
Fortgange  des  Unternehmens  sich  in  Kenntniss  zu  erhalten 
und  die  Veröffentlichung  des  Resultates  der  Forschungen  mög- 
lichst zu  sichern. 

Dem  Kuratorium  wird  bei  Mittheilung  der  gemachten 
Vorlagen  und  der  in  der  Angelegenheit  von  der  Akademie 
gefassten  Beschlüsse  die  Zahlungs-Anweisung  ertheilt. 

§  21.  Verfügt  die  Akademie  an  dem  21.  Februar  oder 
in  der  demselben  zunächst  folgenden  Gesammtsitzung  (§§  18 
bis  19)  nicht  über  die  ihr  zur  Verfügung  gestellte  Zinsen- 
masse oder  macht  sie  nicht  innerhalb  des  einjährigen  Zeit- 
raumes von  dem  ihr  nach  §  17  resp.  §  20  zustehenden  Rechte 
Gebrauch,  ein  bereits  vollendetes  Werk  zu  prämiiren,  be- 
ziehungsweise einem  Rechtsgelehrten  zur  Ausführung  einer 
wissenschaftlichen  Arbeit  die  Mittel  zu  überweisen,  oder  er- 
klärt sie  nicht  innerhalb  gleicher  Frist  dem  Kuratorium,  dass 
sie  von  dem  Rechte  des  §  16  Alinea  3  Gebrauch  mache,  so 
ist  die  Masse  der  ferneren  Verfügung  der  Akademie  entzogen. 
Diese  verfallenen  Massen  werden  einem  besonders  zu  ver- 
waltenden Fonds  der  Stiftung  zugeschrieben,  dessen  Zinsen 
zur  Deckung  der  Druckkosten  für  die  prämiirten  Werke  gleich- 
zeitig mit  der  Zinsenmasse  des  Kapital- Vermögens  (§  12)  der 
Akademie  zur  Verfügung  gestellt  werden. 

Die  von  der  Akademie  nicht  zum  Druck  angewiesenen 
Zinsen  des  Druckkostenfonds  werden  zum  Kapitale  dieses  Fonds 
geschlagen. 


Satzungen  der  Stiftungen  33 

§  22.  Abänderungen  dieses  Statuts  bedürfen,  ausser  der 
Bestätigung  der  Staatsbehörde,  der  Zustimmung  der  drei  Aka- 
demien und  des  Kuratoriums  der  Stiftung. 

So  beschlossen  zu  Berlin,  den  27.  März  1863, 
Das  Gründungs- Comite  der  Savigny-Stiftung: 

V.  Bernuth.     v.  Bethmann-Hollweg. 

Borchardt.     Bornemann.     Dr.  Bruns.     Dr.  Dove. 

Dr.  Gneist.     Dr.  Heydemann,     Dr.  Homeyer. 

Meyen.     Freiherr  v.   Patow.     Dr.  Richter. 

Dr.  Rudorff.     Graf  v.  Schwerin.     Simson. 

Volkmar.      Graf  v.  Wartensleben. 


Auf  Grund  vorstehender  Statuten  ist  die  hiesige  Savigny- 
Stiftung  durch  die  Allerhöchste  Ordre  vom  20.  v.  Mts.,  welche 
wörtlich,  wie  folgt,  lautet: 

,Auf  Ihren  Bericht  vom  18.  ds.  Mts.  will  Ich  der 
„Savigny-Stiftung  zu  Berlin  auf  Grund  ihres  wieder 
,  beifolgenden  Statuts  de  dato  Berlin  den  27.  März 
,1863  hiermit  Meine  landesherrliche  Genehmigung 
„erth  eilen" 
Salzburg,  den  20.  Juli  1863. 

Gez.  WILHELM. 

Gez.  V.  Mühler. 

,An  den  Minister  der  geistlichen,  Unter- 
richts- und  Medicinal- Angelegenheiten" 

landesherrlich  genehmigt  worden. 

Berlin,  den  6.  August  1863. 

(L.  S.) 

Der  Minister  der  geistlichen,  Unterrichts- 
und Medicinal-Angelegenheiten. 
In  Vertretung:  Lehnert.*) 

*)  Die  drei  Akademien  zu  Berlin,  München  und  Wien  haben  durch 
Beschlüsse   vom   23.  April,   bezw.  6.  und  7.  Mai  1863   die  ihnen  in  der 
Satzung  zugedachten  Funktionen  dauernd  übernommen.    Das  Kuratorium 
der  Stiftung  konstituierte  sich  zu  Berlin  am  29.  Dezember  1863. 
Jahrbuch  1916.  3 


34  Satzungen  der  Stiftungen 

Durch  das  Kuratorium  der  Savigny- Stiftung  sind  in  den 
Jahren  1886  und  1887  folgende  Zusätze  zum  Statut  gemacht 
und  von  den  drei  beteiligten  Akademien ,  sowie  von  Staats- 
aufsichtswegen von  dem  K.  Preussischen  Minister  der  geist- 
lichen, Unterrichts-  und  Medizinal- Angelegenheiten  genehmigt 
worden: 

1.  Zusatz  zu  §  16,  „Die  verfügende  Akademie  ist  be- 
rechtigt auf  Antrag  des  Kuratoriums  die  Zinsenmasse  bis  zu 
einem  Fünftel  zur  Unterstützung  periodischer  Publikationen, 
welche  zu  den  Zwecken  der  Savigny- Stiftung  in  Beziehung 
stehen,  zu  verwenden." 

2,  Zusatz  zu  §  20.  „Für  die  Ausführung  der  Arbeit  in 
der  von  der  beteiligten  Akademie  zu  bestimmenden  Form  hat 
dieselbe  einen  Termin  festzusetzen  und  ist  berechtigt,  denselben 
auf  höchstens  zwei  Jahre  zu  verlängern.  Von  der  Verlängerung 
ist  das  Kuratorium  zu  benachrichtigen. 

Ist  kein  Termin  festgesetzt,  so  gilt  als  solcher  der  Schluss 
des  fünften  Jahres  nach  demjenigen  Jahre ,  in  welchem  der 
Auftrag  erteilt  worden  ist.  Erfolgt  die  Ausführung  innerhalb 
der  bezeichneten  Frist  nicht,  so  werden  die  noch  nicht  er- 
hobenen Beträge  dem  Fonds  der  Stiftung  zugeführt." 


II. 
Kevidierte  Satzung  der  Liebig-Stiftung.*) 

Allerhöchst   genehmigt    laut   Entschliessung    des   K.    Staatsministeriums 
des  Innern   für  Kirchen-   und   Schulangelegenheiten   vom   9.  April  1892 

Nr.  5303. 

§   1- 
Die    Stiftung  hat  den  Zweck,    das  Andenken    an   den  Be- 
gründer der  Landwirtschafts-Wissenschaft  auf  dem  Gebiete  der 
Naturforschung 


*)  Die  Stiftung  wurde  begründet  mit  einem  von  praktischen  Land- 
wirten und  Freunden  der  Landwirtschaft  für  Justus  von  Liebig  gesam- 
melten Ehrengeschenk  im  Betrag  von  15200  Gulden.     Die  Bestimmungen 


Satzungen  der  Stiftungen  3o 

Justus  von  Liebig 
dauernd  zu  erhalten  und  zu  ehren. 

Dieselbe  wurde  am  9.  August  1873  landesherrlich  be- 
stätigt, hat  juristische  Persönlichkeit  und  steht  unter  dem 
Schutze  der  bayerischen  Staatsverfassung. 

§2. 
Der    Stiftungszweck    soll    durch    öflPentliche    Anerkennung 
hervorragender    Leistungen    in    Beziehung    auf    die    Landwirt- 
schaft und  zwar: 

1.  wissenschaftlicher  Leistungen, 

2.  sonstiger  erfolgreicher  Bestrebungen  überhaupt  erreicht 
werden. 

Ausserdem  können  die  aus  der  Stiftung  fliessenden ,  zu 
solchen  Anerkennungen  nicht  verbrauchten  Mittel  auch  behufs 
Anregung  und  Förderung  zur  Landwirtschaft  in  Beziehung 
stehender  wissenschaftlicher  Arbeiten,  Publikationen  oder  son- 
stiger Unternehmungen  Verwendung  finden. 

§  3. 

Die    öffentlichen    Anerkennungen    erfolgen    entweder    auf 
Grund    des   Erlasses    von    Preisausschreiben    über    Wissenschaft 
liehe  Fragen  oder  ohne  Preisbewerbung  nach  freiem  Ermessen 
des  Kuratoriums  der  Liebig -Stiftung. 

Bewerbungen ,  welche  nicht  durch  ein  Preisausschreiben 
veranlasst  wurden,  sind  unzulässig. 

§  4. 
Die  Auszeichnungen  bestehen: 

1.  in  Medaillen  von  Gold,  Silber  oder  Bronce, 

2.  in  Ehrengeschenken   in   Geld,    nicht   unter  fünfhundert 
Mark  deutscher  Währung. 


über  die  Verwendung  dieses  Geschenks  für  eine  Liebig  -  Stiftung  und 
über  den  Zweck  derselben  wurden  noch  von  Liebig  selbst,  kurz  vor 
seinem  Tode,  getroflFen.  Zur  Zeit  ist  das  Stiftungskapital  auf  47700  M. 
angewachsen. 

8* 


36  Satzungen  der  Stiftungen 

§  5. 
Die  Verleihung  einer  Medaille  in  Gold  schliesst  ein  Greld- 
Ehrengeschenk  ans.    Mit  letzterem  dagegen  ist  die  Bewilligung 
der  silbernen  oder  broncenen  Medaille  verbunden ,    welche  aber 
auch  für  sich  allein  verliehen  werden  können. 

§  6. 
Die  Zahl  der  gleichzeitigen  Inhaber  der  goldenen  Me- 
daille ist  auf  acht  beschränkt,  so  dass  nach  Erfüllung  dieser 
Zahl  eine  weitere  Verleihung  nur  nach  dem  Tode  eines  In- 
habers derselben  erfolgen  kann.  Nur  deutsche  oder  Deutsch- 
Oesterreicher  sind  befähigt,  solche  zu  erlangen. 

§  7. 
Bei  einer  Konkurrenz  um  Preise,  welche  in  Folge  des- 
fallsiger  Ausschreiben  verliehen  werden ,  sollen  nur  wissen- 
schaftliche Arbeiten  zulässig  sein,  die  in  deutscher  Sprache 
abgefasst  sind;  die  Verleihung  der  Preise  dagegen  ist,  inso- 
ferne  nicht  die  goldene  Medaille  in  Frage  steht  (§  6),  an  eine 
Nationalität  nicht  gebunden. 

§  8.         ^ 
Ueber  die  Einkünfte   aus   dem  Stiftungs-Kapital  im  Sinne 
der  entsprechenden  Bestimmungen  verfügt  das  Kuratorium  der 
Lie  big- Stiftung. 

§  9. 
Dieses  Kuratorium  soll  bestehen: 

1.  aus    dem    Präsidenten    der    k.    Akademie    der    Wissen- 
schaften in  München; 

2.  aus  dem  Sekretär  der  mathematisch-physikalischen  Klasse 
derselben  Akademie; 

3.  aus  einem  weiteren  Mitgliede  dieser  Klasse; 

4.  aus  den  Inhabern  der  goldenen  Liebig-Medaille; 

5.  aus  einem  Lehrer  der  Volkswirtschaft  an  der  Universität 
oder  der  technischen  Hochschule  München; 

6.  aus    einem    derselben  Universität   oder  einer  der  beiden 
andern    Hochschulen    Münchens    (der    technischen    und 


Satzungen  der  Stiftungen  37 

tierärztlichen)  an  gehörigen  Vertreter  eines  landwirtschaft- 
lichen oder  zur  Landwirtschaft  in  naher  Beziehung 
stehenden  Faches; 
7.  aus  einem  Nachkommen  Justus  von  Liebigs  in  männ- 
licher Linie,  wofern  dessen  männliche  Descendenz  diese 
Vertretanff  wünscht  und  dem  Kuratorium  die  betreffende 
Person  schriftlich  bezeichnet.  Dieselbe  wird  von  den 
majorennen  männlichen  Familien-Mitgliedern  auf  Lebens- 
dauer durch  Stimmenmehrheit  gewählt. 

§  10. 

Die  in  München  wohnenden  Mitglieder  des  Kuratoriums 
bilden  den  Lokal-Ausschuss,  welcher  die  laufenden  Geschäfte 
zu  besorgen  hat. 

Der  Präsident  der  Akademie  der  Wissenschaften  in  München 
führt  als  solcher  den  Vorsitz  im  Kuratorium,  der  Sekretär  der 
mathematisch  -  physikalischen  Klasse  vertritt  denselben;  den 
Schriftführer  wählt  der  Vorsitzende  aus  den  Mitgliedern  des 
Lokal- Ausschusses. 

§  11. 
Das  unter  §  9.  3.  erwähnte  Mitglied  der  Akademie  und 
der  unter  §  9.  5.  erwähnte  Lehrer  der  Volkswirtschaft  sowie 
das  unter  §  9.  6.  erwähnte  Mitglied  einer  der  drei  Hoch- 
schulen Münchens  wird  auf  Vorschlag  des  Vorsitzenden  von  dem 
Lokal-Ausschuss  gewählt. 

§  12. 

Der  Lokal-Ausschuss  sowie  das  Plenum  des  Kuratoriums 
treten  in  Folge  besonderer  Einladung  des  Vorsitzenden,  welcher 
die  Gegenstände  der  Verhandlungen  anzufügen  sind,  nach  Be- 
dürfnis zusammen,  um  über  die  Erreichung  der  Zwecke  der 
Stiftung  zu  beraten. 

§  13. 

Jedes  Mitglied  des  Kuratoriums  ist  berechtigt,  schriftlich 
oder  mündlich  Anträge  zu  stellen,  und  der  Vorsitzende  ist  ver- 
pflichtet, diese  zur  Beratung  und  nach  Massgabe  des  §  14  zur 
Abstimmung  zu  bringen. 


38  Satzungen  der  Stiftungen 

§  14. 
In  allen  Fällen,  in  welchen  die  Erfüllung  des  Stiftungs- 
zweckes (§  2)  in  Frage  steht,  fasst  der  Lokal-Ausschuss  keine 
bindenden  Beschlüsse;  derselbe  formuliert  und  begutachtet 
zunächst  nur  die  eingekommenen  Vorschläge  und  unterbreitet 
sie  dann  den  auswärtigen  Mitgliedern  zur  schriftlichen  Ab- 
stimmung. 

Zur  Vornahme  derselben  wird  den  auswärtigen  Mitgliedern 
von  dem  Vorsitzenden  eine  Präklusivfrist  gesetzt,  nach  deren 
fruchtlosem  Verlaufe  die  Stimmenabgabe  nicht  mehr  zulässig 
ist.  Stimmen,  welche  nicht  bestimmt  mit  ^Ja"  oder  „Nein* 
lauten,  werden  nicht  gezählt. 

Die  definitive  Abstimmung  des  Lokal-Ausschusses  erfolgt 
erst  nach  Eingang  der  Abstimmung  der  auswärtigen  Mitglieder. 

Der  definitive  Beschluss  des  Kuratoriums  verlangt  zwei 
Dritteile  der  von  den  auswärtigen  und  einheimischen  Mitgliedern 
abgegebenen  Stimmen. 

§  15. 
Das  Kuratorium  wird  nach  Aussen  durch  den  Vorsitzenden 
desselben  vertreten.     Derselbe  hat  die  Beschlüsse,  so  weit  solche 
von    weiterem    Interesse    für    das   Publikum    sind,    bekannt    zu 
machen. 

§  16. 
Verleihungen  von  Medaillen  der  Liebig-Stiftung  oder 
von  Ehrengeschenken  (resp.  Zuerkennungen  von  Preisen  in 
Folge  von  Ausschreibungen)  oder  Unterstützungen  von  Unter- 
nehmungen aus  derselben  sind  der  deutschen  Landwirtschafts- 
Gesellschaft,  so  lange  diese  besteht,  zur  Proklamierung  bei 
derselben  mitzuteilen.  Ausserdem  werden  solche  durch  die 
Presse  zur  öffentlichen  Kenntnis  gebracht. 

§  17. 
Die  Stiftung  domiziliert  in  München  und  führt  den  Namen 
Liebig-Stiftung. 


Satzungen  der  Stiftungen  39 

§  18. 
Das  Vermögen  der  Stiftung  besteht: 

1.  ans  einem  von  Freunden  der  Sache  gespendeten  Ehren- 
geschenke von  dreissigtausend  Mark; 

2.  aus   etwaigen  Schenkungen,    welche  in  der  Absicht  ge- 
macht werden,  den  Grundstock  der  Stiftung  zu  erhöhen. 

Die  Verwaltung  des  Stiftungsfonds  geschieht  durch  den 
Lokal- Ausschuss  und  die  Kassaverwaltung  der  K.  Akademie 
der  Wissenschaften  nach  den  Normen,  welche  für  diese  Kassa- 
verwaltung gegeben  sind. 

Die  Kassa- Kuratel  und  die  Rechnungs- Revision  hat  die 
K.  Rechnungskammer. 

§  19. 
Das  Stiftungsvermögen  soll  pupillarisch,  wo  möglich  hypo- 
thekarisch angelegt  und  darf  in  keinem  Falle  dauernd  ver- 
mindert werden ;  es  soll  eine  jährliche  Rente  von  mindestens 
1 200  Mark  abwerfen.  Tritt  durch  unvermeidliche  Ereignisse 
eine  Schmälerung  dieser  Rente  ein,  so  ist  die  Verwendung 
dieser  Stiftungsrente  ganz  oder  teilweise  zu  sistieren,  bis  die 
Normalrente  wieder  erreicht  ist. 

§  20. 

Aenderungen  an  diesem  Statut,  wenn  einzelne  Bestimmungen 
bei  der  Ausführung  auf  Schwierigkeiten  stossen,  oder  wenn  die 
Zeitverhältnisse  solche  erfordern  sollten,  hat  das  Kuratorium 
das  Recht  jederzeit  vorzunehmen;  dieselben  können  jedoch 
nur  dann  bewirkt  werden,  wenn  mindestens  zwei  Drittel  der 
Mitglieder  des  Kuratoriums  zustimmen. 

Jede  Abänderung  des  Statuts  bedarf  der  königlichen  Ge- 
nehmigung. 


40  Satzungen  der  Stiftungen 

IIT. 

Satzung  des  Zographos-Fonds  zur  Förderung  des  Studiums 
der  griechischen  Sprache  und  Literatur 

beschlossen  von   der  philos.-pbilol.  Klasse   der  K.  bayer.  Akademie   der 

Wissenschaften  in  der  Sitzung  vom  3.  Februar  1877,  bezw.  vom  6.  März 

1886,   genehmigt   vom   K.  Staatsministerium  durch  Entschliessung  vom 

10.  Februar  1877,  bezw.  vom  27.  Mai  1886. 

Das  von  Herrn  Christakis  Zographos  geschenkte  Kapital 
im  Betrage  von  25000  Francs  oder  20000  Mark  wird  den 
für  die  Anlage  von  Stiftungsgeldern  massgebenden  Vorschriften 
entsprechend  in  Wertpapieren  angelegt ,  welche  dem  Kassier 
der  K.  Akademie  der  Wissenschaften  zur  Aufbewahrung  zu 
übergeben  sind. 

§  2. 

Die  Beschlussfassung  über  die  Art  der  ersten  Anlage  des 
Kapitals  und  über  die  Wiederanlage  etwa  heimbezahlt  werdender 
Kapitalbeträge  steht ,  vorbehaltlich  der  im  §  1  gezogenen 
Schranken,  dem  Vorstande  der  K.  Akademie  der  Wissenschaften 
in  Gemeinschaft  mit  den  Klassen-Sekretären  zu;  jedoch  darf 
dabei  eine  Herabminderung  des  Kapitals  unter  den  Nominal- 
wert nicht  stattfinden,  welchen  dasselbe  zur  Zeit  aufweist  oder 
im  betreffenden  Zeitpunkte  zufolge  einer  etwa  inzwischen  ein- 
getretenen Admassierung  aufweisen  wird. 

§  3. 
Sollte  durch  irgend  welchen  Unglücksfall  eine  Vermin- 
derung des  Kapitals  eintreten,  so  sind  die  aus  ihm  fliessenden 
Renten  so  lange  zu  dessen  Wiederergänzung  zu  verwenden, 
bis  dasselbe  wieder  auf  seinen  ursprünglichen  Nominalbetrag 
gebracht  ist,  und  hat  so  lange  jede  anderweitige  Verwendung 
derselben  zu  unterbleiben. 

§4. 
Der  Kassier  der  K.  Akademie  der  Wissenschaften  hat  nicht 
nur  für  die  gehörige  Aufbewahrung  der  Wertpapiere  zu  sorgen, 


Satzungen  der  Stiftungen  41 

sondern  auch  die  Ziehungslisten  in  Bezug  auf  diese  zu  über- 
wachen und  die  fälligen  Zinsen  rechtzeitig  zu  erheben.  Werden 
Papiere  des  Fonds  zur  Heimbezahlung  gezogen  oder  ander- 
weitig gekündigt,  so  hat  er  hievon  dem  Vorstande  der  K.  Aka- 
demie und  den  Klassensekretären  sofort  Anzeige  zu  machen 
und  auf  die  ihm  gemäss  eines  nach  §  2  gefassten  Beschlusses 
erteilte  Weisung  für  die  Erhebung  und  Wiederanlage  der  Be- 
träge zu  sorgen.  Auch  hat  derselbe  jährlich  über  den  Stand 
des  Fonds  und  die  für  denselben  bezogenen  Einnahmen  und 
Ausgaben  schriftliche  Rechnung  zu  stellen,  von  deren  Ergebnis 
in  der  nächstfolgenden  Sitzung  der  philos.-philol.  Klasse  Mit- 
teilung zu  machen  ist,  nachdem  dieselbe  zuvor  durch  den  Vor- 
stand der  Akademie  und  die  Klassensekretäre  geprüft  worden 
sein  wird. 

§  5. 
Die  Verwendung  der  Renten  des  Kapitals  erfolgt,  nach 
Abzug  der  auf  dessen  Verwaltung  erlaufenden  Kosten  (s.  §  10) 
und  vorbehaltlich  der  im  §  3  gesetzten  Einschränkung  derart, 
dass  alle  zwei  bis  vier  Jahre,  je  nach  dem  Umfang  oder  der 
Schwierigkeit  der  Aufgabe,  ein  dem  jedesmal  verfügbaren 
Rentenbetrage  möglichst  entsprechender  Preis  ausgeschrieben 
beziehungsweise  zuerkannt  wird  für  die  Bearbeitung  eines 
Themas ,  welches  dem  Gebiete  der  Sprache ,  Literatur ,  des 
öffentlichen  und  Privat-Lebens  der  Griechen  im  Altertum  oder 
im  Mittelalter  entnommen  ist.  Von  dem  zuerkannten  Preise 
wird  ein  Teil  sofort  nach  der  Zuerkennung,  der  Rest  aber  erst 
dann  zahlbar,  wenn  der  Verfasser  für  die  Druck -Veröffent- 
lichung genügende  Sicherheit  geboten  hat;  die  ziflFermässige 
Ausscheidung  der  beiden  Beträge  bleibt  von  Fall  zu  Fall  dem 
Beschlüsse  der  philos.-philol.  Klasse  vorbehalten. 

§  6. 
Sowohl   die  Wahl   der  Preisaufgaben   als  die  Zuerkennung 
der  Preise  erfolgt  durch  den  Beschluss  der  philos.-philol.  Klasse 
nach    einfacher  Mehrheit   der  in   der   betreffenden  Sitzung  an- 
wesenden ordentlichen  Mitglieder  auf  Grund  eines  vorgängigen 


42  Satzungen  der  Stiftungen 

Berichtes,  welchen  ein  von  ihr  gewähltes  Gomite  erstattet  haben 
wird.  Sowohl  die  gestellten  Preisaufgaben  als  die  zuerkannten 
Preise  sollen  namens  der  Gesamt-Akademie  an  ihrem  Stiftungs- 
Feste  verkündet  und  in  einigen  der  gelesensten  Blätter  öffent- 
lich ausgeschrieben  werden. 

§7. 

Konkurrenzfähig  sind  Arbeiten,  welche  entweder  in  deutscher 
oder  in  lateinischer  oder  in  griechischer  Sprache  geschrieben 
sind.  Dieselben  müssen  an  Stelle  des  Namens  des  Verfassers 
ein  Motto  tragen,  welches  an  der  Aussenseite  eines  mitfolgenden, 
den  Namen  des  Verfassers  enthaltenden,  verschlossenen  Couverts 
wiederkehrt.  Der  unerstreckliche  Einsendungs-Terrain  ist  der 
31.  Dezember  desjenigen  Jahres,  mit  welchem  die  Bewerbungs- 
frist abläuft. 

§  8. 

Die  philos.-philol.  Klasse  wählt  aus  ihrer  Mitte  auf  drei 
Jahre  das  Gomite,  dem  sie  die  Berichterstattung  über  die  ein- 
gelaufenen Arbeiten  und  die  Vorschläge  der  neu  zu  stellenden 
Preisaufgaben  überträgt.  Sie  wird  in  ihrer  dem  Stiftungstage 
der  Akademie  zunächst  vorangehenden  Sitzung  diesen  Bericht 
und  diese  Vorschläge  entgegennehmen  und  über  die  betreffenden 
Fragen  Beschluss  fassen.  Das  Ergebnis  hievon  ist  sofort  dem 
Vorstande  der  Akademie  mitzuteilen. 

§  9. 
Glaubt  die  Klasse  keiner  der  eingelaufenen  Arbeiten  den 
Preis  zuerkennen  zu  können,  oder  sind  solche  überhaupt  nicht 
eingelaufen,  so  hat  dieselbe  sofort  darüber  Beschluss  zu  fassen, 
ob  der  demzufolge  unverwendet  bleibende  Rentenbetrag  zu 
weiteren  Preis- Ausschreibungen  verwendet  oder  aber  zum  Kapital 
geschlagen  werden  soll. 

§  10. 
Die  eigentlichen  Regiekosten,  Briefporti,  Zeitungs-Inserate, 
ferner  angemessene  Remunerationen  für  den  Kassier,  sowie  für 
die  jedesmaligen  Preisrichter,  sind  auf  Rechnung  der  laufenden 
Renten  zu  tragen. 


Satzungen  der  Stiftungen  4  3 

IV. 

Münchener  Bürgerstiftung  bei  der  Kgl.  bayerischen 
Akademie  der  "Wissenschaften. 

Von  dem  Wunsche  geleitet,  dem  derzeitigen  Präsidenten 
der  Kgl.  bayerischen  Akademie  der  Wissenschaften,  Max 
von  Pettenkofer,  Ehrenbürger  der  Stadt  München  und  Be- 
sitzer der  goldenen  Bürgermedaille ,  einen  bleibenden  Beweis 
der  Verehrung  und  des  Dankes  für  sein  gemeinnütziges  Wirken 
zu  geben,  hat  sich  eine  Anzahl  von  Münchener  Bürgern  und 
Firmen  zu  dem  Zwecke  vereinigt,  ein  Kapital  zu  sammeln 
und  der  Kgl.  Akademie  der  Wissenschaften  zur  Verfügung  zu 
stellen,  um  daraus  eine  , Münchener  Bürgerstiftung  bei  der 
Kgl.  bayerischen  Akademie  der  Wissenschaften"    zu    errichten. 

Nachdem  die  gezeichneten  und  eingezahlten  Beträge  die 
Summe  von  70000  M.  überschritten  haben,  wurde  durch  den 
Präsidenten  und  die  drei  Klassensekretäre  Namens  der  Gesamt- 
akademie beschlossen,  der  zu  errichtenden  Stiftung  folgendes 
Statut  zu  geben: 

Satzung   der  Münchener  Bürgerstiftung  bei  der  Kgl.  bayerischen 
Akademie  der  Wissenschaften. 

Landesherrlich  bestätigt  laut  Entschliessung   des  K.  Staatsministeriums 
des   Innern    für  Kirchen-   und   Schulangelegenheiten   vom  8.  Juni  1896 

Nr.  8510. 

§    1. 
Aus    Spenden    Münchener    Bürger    und  Firmen    wird    eine 
Stiftung  errichtet  unter  dem  Namen  „Münchener  Bürgerstiftung 
bei  der  Kgl.  bayerischen  Akademie  der  Wissenschaften". 

§  2. 
Zweck  der  Stiftung  ist,  aus  den  Zinsen  dieses  der  Kgl.  Aka- 
demie zur  Verfügung  gestellten  Kapitals  Forschungen  auf  dem 
Gebiet  derjenigen  Wissenschaften  zu  veranlassen  und  zu  unter- 
stützen ,  welche  in  der  mathematisch  -  physikalischen  Klasse 
Vertretung  finden. 


44  Satzungen  der  Stiftungen 

§  3. 

Das  Stiftungsvermögen  wird  gebildet:  durch  die  bereits 
eingezahlten  Geldbeträge,  ferner  durch  künftige,  dem  gleichen 
Zwecke  gewidmete  Spenden,  endlich  durch  nicht  aufgebrauchte, 
zum  Kapital  geschlagene  Zinsen.  —  Sollte  durch  unvorher- 
gesehene Ereignisse  eine  Verminderung  des  Kapitals  eintreten, 
so  muss  dasselbe  aus  den  jährlichen  Renten  wieder  auf  seine 
vorige  Höhe  gebracht  werden. 

§  4. 

Anlage  und  Verwaltung  des  Stiftungsvermögens  erfolgt 
durch  die  Kassenverwaltung  der  Kgl.  Akademie  der  Wissen- 
schaften nach  den  für  die  übrigen  akademischen  Stiftungen 
geltenden  Vorschriften. 

§  5. 

lieber  die  Verwendung  der  jährlichen  Zinsen  des  Stiftungs- 
vermögens zu  dem  in  §  2  bezeichneten  Zweck  entscheidet  eine 
Kommission,  welche  aus  dem  Präsidenten  der  Kgl.  Akademie,  dem 
Sekretär  der  matbem. -physikalischen  Klasse  und  drei  weiteren, 
auf  je  drei  Jahre  gewählten  Mitgliedern  dieser  Klasse  besteht. 

§  6. 
Die  Namen  der  Bürger  und  Firmen,  welche  für  die  Mün- 
chener Bürgerstiftung  einen  Betrag  von  mindestens  1000  M. 
(eintausend  Mark)  gespendet  haben ,  werden  zum  ehrenden 
Gedächtnis  auf  einer  in  den  Räumen  der  Kgl.  Akademie  anzu- 
bringenden Tafel  verzeichnet. 

§  7. 
A ender ungen  dieses  Statuts  sind  nur  auf  Antrag  der  mathe- 
matisch-physikalischen Klasse    durch    einmütigen  Beschluss    des 
Präsidenten    der  Kgl.  Akademie   und   der  drei  Klassensekretäre 
und  mit  Allerhöchster  Genehmigung  zulässig. 

München,  den  25.  April  1896. 

Der    Präsident   der    Kgl.   bayer.  Akademie    der    Wissenschaften 
Dr.  M.  V.  Pettenkofer. 

Die  Sekretäre  der  philos.-philol.,   math.-physikal.  und 

historischen  Klasse 

W.  Christ.       Carl  Voit.       C.  A.  Cornelius. 


Satzungen  der  Stiftungen 


Cramer-Klett-Stiftung  bei  der  Kgl.  bayerischen  Akademie 
der  Wissenschaften. 

Bestrebt  dem  Beispiel  seines  verewigten  Vaters  nachzueifern, 
welcher  durch  seine  Stiftungen  für  das  Gewerbemuseum  in 
Nürnberg  und  für  die  Kgl.  technische  Hochschule  in  München 
seinen  Gemeinsinn  bekundet  hat,  zugleich  auch  beseelt  von  dem 
Wunsche,  dem  derzeitigen  Präsidenten  der  Kgl.  bayerischen 
Akademie  der  Wissenschaften,  Dr.  Max  von  Pettenkofer, 
ein  Zeichen  seiner  Verehrung  zu  geben,  hat  Herr  Theodor 
Freiherr  von  Cramer-Klett,  erblicher  Reichsrat  der  Krone 
Bayern,  unter  dem  21.  Oktober  1896  durch  Vermittlung  Seiner 
Exzellenz  des  Kgl.  Staatsministers  des  Innern  für  Kirchen-  und 
Schulangelegenheiten,  Herrn  Dr.  Robert  Ritter  von  Landmann, 
der  Kgl.  Akademie  der  Wissenschaften  ein  Kapital  von  60  000  Mark 
zur  Verfügung  gestellt,  damit  daraus  eine 

Cramer-Klett-Stiftung 

begründet  werde,  deren  Satzungen  im  allgemeinen  den  Satzungen 
der  im  April  dieses  Jahres  begründeten  Münchener  Bürgerstiftung 
entsprechen  sollen. 

Demnach  haben  der  Präsident  und  die  drei  Klassensekretäre 
Namens  der  Gesamtakademie  am  13.  November  1896  folgendes 
Statut  verabredet  und  beschlossen ,  welches  von  dem  Stifter 
am  23.  November  1896  in  Rom  gebilligt  und  unter  dem 
13,  Dezember  1896  landesherrlich  bestätigt  worden  ist: 

Satzung  der  Cramer-Klett-Stiftung  bei  der  Kgl.  bayerischen 
Akademie  der  Wissenschaften. 

§  1. 
Mit  einem  von  Herrn  Theodor  Freiherrn  von  Cramer- 
Klett,  erblichen  Reichsrat  der  Krone  Bayern,  zur  Verfügung 
gestellten  Kapital  von  60000  Mark  wird  eine  Stiftung  errichtet 
nnter  dem  Namen  „Cramer-Klett-Stiftung  bei  der  Kgl.  bayer. 
Akademie  der  Wissenschaften". 


46  Satzungen  der  Stiftungen 

§2. 
Zweck  dieser  Stiftung  ist,  mit  den  jährlichen  Zinsen  des 
Kapitals,  soweit  diese  nicht  zur  Vermehrung  des  Kapitals  selbst 
bestimmt  sind,  wissenschaftliche  Forschungen,  vorzugsweise  auf 
dem  Gebiete  der  Naturwissenschaften,  zu  veranlassen  und  zu 
unterstützen. 

§  3. 
Zur   Erhöhung    des  Stiftungskapitals    soll   mindestens    ein 
Zehntel  der  jährlichen  Zinsen  verwendet  werden. 

§  4. 
Anlage    und   Verwaltung    des    Stiftungsvermögens    erfolgt 
durch    die    Kassaverwaltung    der    Kgl.    Akademie    der  Wissen- 
schaften   nach    den   für    die    übrigen    akademischen   Stiftungen 
geltenden  Vorschriften. 

üeber  die  Verwendung  der  jährlichen  Zinsen  des  Stiftungs- 
vermögens zu  den  in  §  2  und  §  3  bezeichneten  Zwecken  ent- 
scheidet eine  Kommission ,  welche  aus  dem  Präsidenten  der 
Kgl.  Akademie,  dem  Sekretär  der  mathematisch-physikalischen 
Klasse  und  drei  weiteren,  auf  je  drei  Jahre  gewählten  Mit- 
gliedern dieser  Klasse  besteht. 

§  6. 

Aenderungen  dieses  Statuts  sind  nur  auf  Antrag  der 
mathematisch-physikalischen  Klasse  durch  einmütigen  Beschluss 
des  Präsidenten  der  Kgl.  Akademie  und  der  drei  Klassensekretäre 
und  mit  Allerhöchster  Genehmigung  zulässig. 

München,  den  13.  November  1896. 

Der  Präsident  der  Kgl.  b.  Akademie  der  Wissenschaften 
Dr.  M.  V.  Pettenkofer. 

Die  Sekretäre  der  philos.-philol.,  math.-physikal.  und 

historischen  Klasse 

W.  Christ.     Carl  Voit.     C.  A.  Cornelius. 


Satzungen  der  Stiftungen  47 

VI. 

Satzung  der  Thereianos-Stiftung  zur  Förderung  der 
alt-  und  mittelgriechischen  Studien. 

Festgesetzt  in  der  Sitzung  der  philosophisch-philologischen   Klasse  der 
kgl.  bayer.  Akademie  der  Wissenschaften  am  5.  Februar  1898.    Genehmigt 
vom  kgl.  Staatsministerium  des  Innern  für  Kirchen-  und  Schulangelegen- 
heiten am  18.  Mai  1898   Nr.  7716. 

§  1. 
Der  am  15.  März  1897  in  Triest  verstorbene  Gelehrte 
Dr.  Dionysios  Thereianos  hat  durch  testamentarische  Ver- 
fügung vom  18. /30.  Juli  1895  die  kgl.  bayer.  Akademie  der 
Wissenschaften  zur  Universalerbin  seines  Wertnachlasses  ein- 
gesetzt, um  damit  nach  Erfüllung  der  legataren  Auflagen 
einen  Fonds  zur  Förderung  der  alt-  und  mittelgriechischen 
Studien  zu  begründen. 

§  2. 
Der  Gesamtnachlass  betrug  nach  amtlicher  Schätzung 
162  844  Gulden  15  Kreuzer  österreichischer  Währung.  Nach 
Wegfertigung  der  testamentarischen  einmaligen  Auflagen,  der 
Erbschaftssteuern  und  sonstigen  Kosten  der  Nachlassbehandlung 
sind  verblieben: 

in  Wertpapieren  nach  dem  Kurswerte     258920  M.  60  Pf. 
und  im  Baren  3387     ,51     „ 

sohin  ein  Gesamtvermögen  von  262308  M.   11  Pf. 

dessen  jährliches  Zinserträgnis  nach  Auszahlung  zweier  auf 
Lebenszeit  gewährten  Leibrenten  im  Betrag  von  jährlich  1200 
Gulden  und  1000  Gulden  ö.  W.  für  die  Zwecke  des  Thereianos- 
Fonds  zu  verwenden  ist. 

§  3. 
Das  Fondskapital  iDCsteht   in  Wertpapieren    und  wird  von 
der  Kassa   der  kgl.  bayer.  Akademie   der  Wissenschaften  nach 
den    für   die   übrigen   akademischen  Stiftungen    und  Fonds  be- 
stehenden Vorschriften  verwaltet. 


48  Satzungen  der  Stiftungen 

§4. 

Massgebend  ist  für  die  Verwendung  der  verfügbaren  Mittel 
der  Wille  des  Stifters,  den  derselbe  in  seinem  Testament  in 
nachfolgender  Weise  kundgegeben  hat: 

,Tch  vermache  der  kgl.  bayer.  Akademie  der  Wissenschaften 
mein  Vermögen,  damit  aus  den  Zinsen  desselben  alljährlich 
beim  Stiftungsfeste  Preise  zu  1000  oder  2000  Frcs.  verteilt 
und  ausserdem  wissenschaftliche  Unternehmungen  unterstützt 
werden. 

Ueber  die  Zahl  der  Preise  und  über  die  Höhe  der  zur 
Unterstützung  wissenschaftlicher  Unternehmungen  zu  verwen- 
denden Summen  entscheidet  nach  den  jeweiligen  Bedürfnissen 
die  Akademie,  doch  muss  jedes  Jahr  wenigstens  ein  Preis  ver- 
teilt werden.  Sowohl  die  zu  prämiierenden  Arbeiten,  als  die 
zu  unterstützenden  Unternehmungen  müssen  der  Geschichte, 
Sprache,  Literatur  oder  Kunst  der  Griechen,  von  den  ältesten 
Zeiten  bis  zur  Eroberung  Konstantinopels  durch  die  Türken, 
angehören.  Sowohl  die  Preise  als  die  sonstigen  Unterstützungen 
sollen  nur  an  bayerische  oder  auch  an  griechische  Gelehrte 
gegeben  werden." 

§5. 

Ueber  die  Verwendung  der  Mittel  des  Thereianos-Fondes 
beschliesst  die  philosophisch-philologische  Klasse  der  Akademie 
alljährlich  in  einer  dem  Stiftungsfeste  vorausgehenden  Sitzung 
auf  Grund  von  Vorschlägen  einer  von  ihr  gewählten  Kommission. 
Die  Entscheidung  erfolgt  durch  absolute  Majorität  der  in  der 
betreffenden  Sitzung  anwesenden  ordentlichen  Mitglieder  und 
wird  von  dem  Präsidenten  der  Akademie  in  der  öffentlichen 
Sitzung  des  Stiftungsfestes  bekannt  gegeben.  Die  erste  Ver- 
kündigung findet  an  dem  Stiftungsfeste  des  Jahres  1899  statt. 

§6. 

Zur  Vorbereitung  der  Anträge  übör  die  Verwendung  der 
Mittel  wählt  die  philosophisch-philologische  Klasse  auf  je  drei 
Jahre  eine  Kommission  von  fünf  Mitgliedern  aus  ihrer  Mitte. 
Dieselbe    kann    nach    Bedürfnis    jederzeit    auf    Anregung    der 


Satzungen  der  Stiftungen  49 

philosophisch  -  philologischen  Klasse  durch  ein  von  der  histo- 
rischen Klasse  zu  wählendes  sechstes  Mitglied  ergänzt  werden. 
Die  Kommission  wählt  aus  ihrer  Mitte  einen  Vorsitzenden  mit 
dem  Recht  des  Stichentscheides  bei  Stimmengleichheit. 

§  7. 
Aus  den   Mitteln  des  Thereianos  -  Fonds  werden   zur  För- 
derung der  Studien  auf  dem  Gebiete  der  Geschichte,   Sprache, 
Literatur  oder  Kunst  der  Griechen  im  Altertum  und  Mittelalter 

a)  Preise  erteilt, 

b)  Unterstützungen  für  wissenschaftliche  Unternehmungen 
gewährt. 

§  8. 
Preise  im  Betrag  von  800  oder  1600  Mark  sind  in  Aus- 
sicht genommen  für  wissenschaftlich  wertvolle  Schriften  baye- 
rischer, das  ist  in  Bayern  geborener  oder  dauernd  in  Bayern 
domizilierender  Gelehrter  und  Gelehrter  griechischer  Natio- 
nalität. Ausser  Konkurrenz  bleiben  Schriften  der  ordentlichen 
und  damit  stimmberechtigten  Mitglieder  der  philosophisch-philo- 
logischen Klasse  der  bayerischen  Akademie.  Preise  werden  nur 
erteilt  für  Schriften,  die  zu  dem  im  §  7  bezeichneten  Arbeits- 
gebiet gehören  und  im  nächstvorausgehenden  oder  einem  der 
10  vorausgehenden  Jahre  erschienen  sind. 

§  9- 
Jedes  Jahr  ist  mindestens  ein  Preis  zu  erteilen.  Für  Preis- 
erteilung überhaupt  können  jährlich  nicht  mehr  als  3200  Mark 
verwendet  werden.  Was  von  diesem  Höchstmass  für  Preise 
nicht  ausgegeben  wird,  kann  durch  Beschluss  der  philosophisch- 
philologischen Klasse  zur  Unterstützung  wissenschaftlicher  Un- 
ternehmungen in  dem  durch  §  7  bezeichneten  Gebiete  ver- 
wendet werden. 

§  10. 
Unterstützungen  wissenschaftlicher  Unternehmungen  werden 
nur   gewährt  auf  Grund   der  Vorlage   eines   genauen  Arbeits- 
jahrbuch 1916.  4 


50  Satzungen  der  Stiftungen 

planes  und  unter  der  Voraussetzung  eines  eingebenden,  nach 
dem  Abschluss  des  Unternehmens  an  die  Akademie  zu  erstat- 
tenden Berichtes.  In  Betracht  kommen  nur  Unternehmungen, 
welche  sich  auf  Geschichte,  Sprache,  Literatur  oder  Kunst  der 
Griechen  im  Altertum  und  Mittelalter  beziehen  und  von  einem 
bayerischen  oder  griechischen  Gelehrten  ausgeführt  oder  doch 
geleitet  werden,  üeber  die  Zeit  der  Auszahlung  der  Unter- 
stützungssumme ist  für  jeden  einzelnen  Fall  Beschluss  zu  fassen. 

§  11. 

Diejenigen  Erträgnisse  des  Fondskapitals,  welche  in  einem 
Jahre  für  die  beiden  bezeichneten  Zwecke  und  etwaige  Ver- 
waltungskosten nicht  zur  Verwendung  kommen ,  sind  nach 
jedesmaligem  Beschluss  der  philosophisch-philologischen  Klasse 
entweder  für  das  nächste  Jahr  zu  reservieren  oder  zu  dem 
Fondskapital  zu  schlagen.  Die  Stellung  eines  Mitgliedes  der 
Kommission  gilt  als  Ehrenamt  und  wird  nicht  honoriert. 

§  12. 

Eine  Aenderung  der  Statuten  kann  nur  auf  Antrag  der 
philosophisch  -  philologischen  Klasse  und  des  Präsidiums  der 
Akademie  durch  Entschliessung  des  kgl.  bayer.  Staatsmini- 
steriums des  Innern  für  Kirchen-  und  Schulangelegenheiten 
erfolgen. 

Kgl.  bayer.  Akademie  der  Wissenschaften. 

M.  V.  Pettenkofer,  Präsident. 

V.  Christ,     C.  v.  Voit,     Friedrich, 
Klassensekretäre. 


Satzungen  der  Stiftungen  "       51 

VII. 

Satzung  der  Hardy-Stiftung  bei  der  Kgl.  Bayerischen 

Akademie  der  Wissenschaften. 

Landesherrlich  bestätigt  laut  Entschliessung  des  Kgl.  Staatsministeriums 
des   Innern    für   Kirchen-   und    Schulangelegenheiten    vom    7.  Juli    1905 

Nr.  13828. 

Der  am  10.  Oktober  1904  zu  Bonn  verstorbene  Univer- 
sitätsprofessor a.  D.  Dr.  Edmund  Hardy  hat  durch  rechts- 
gültiges Testament  vom  28.  Oktober  1901  die  Königlich  Baye- 
rische Akademie  der  Wissenschaften  zur  Erbin  seiner  Hinter- 
lassenschaft eingesetzt  mit  der  Bestimmung,  daraus  abzüglich 
einiger  Vermächtnisse  eine  Stiftung  für  indologische  Studien 
zu  errichten. 

§  2. 
Das  Stiftungsvermögen  besteht 
in  Wertpapieren  zum  Kurswerte  von       71347  M,   80  Pf. 

■in  Barem 38    „    50    „ 

somit  in  einem  Gesamtvermögen  von        71386  M.   30  Pf. 
und    wird    von    der   Kas.saverwaltung   der   K,  Bayer.  Akademie 
der  Wissenschaften    nach    den    für    die    übrigen    akademischen 
Stiftungen  und  Fonds  bestehenden  Vorschriften  verwaltet. 

§  3. 
Massgebend  ist  für  die  Verwendung  der  verfügbaren  Mittel 
der  Wille  des  Stifters,  den  er  in  seinem  Testament  in  nach- 
folgender Weise  kundgegeben  hat: 

„Der  Zinsertrag  soll  alljährlich  am  9.  Juli  entweder 
a)  zur  Unterstützung  eines  jungen  Gelehrten,  gleichviel 
Avelchem  deutschen  Bundesstaat  er  angehören  mag,  der 
seine  Universitätsstudien  bereits  vollendet  hat,  behufs 
Fortsetzung  seiner  Fachstudien,  oder  b)  zu  Preisen  für 
vorliegende,  wissenschaftliche  Leistungen  oder  c)  zur  Unter- 
stützung wissenschaftlicher  Unternehmungen  verwendet 
werden,  —   alles  jedoch  unter  Beschränkung  auf  das  Ge- 


52  Satzungen  der  Stiftungen 

biet  der  Indologie  in  dem  Umfang  dieses  Begriffes,  wie 
er  wissenschaftlich  anerkannt  wird. 

„Die  Verleihung  eines  Preises  für  gedruckte  Werke 
ist  auf  solche  zu  beschränken,  die  im  Laufe  der  letzten 
drei  Jahre,  vom  Verleihungstermin  an  gerechnet,  erschienen 
sind.  In  diesem  Falle,  aber  auch  nur  in  diesem  allein, 
soll  die  Zugehörigkeit  oder  Nichtzugehörigkeit  des  Ver- 
fassers zu  einem  deutschen  Bundesstaat  keinen  Unterschied 
begründen. 

„Bei  der  K.  Bayer.  Akademie  der  Wissenschaften  soll 
es  stehen,  im  Falle,  dass  es  sich  um  eine  wissenschaftliche 
Reise  oder  um  Unterstützung  grösserer  wissenschaftlicher 
Unternehmungen  handelt,  auch  über  den  Zinsertrag  von 
zwei  oder  mehreren  aufeinander  folgenden  Jahren  kraft 
eines  einmaligen  Beschlusses  zu  verfügen.  Für  die  Ver- 
längerung über  das  dritte  Jahr  hinaus  soll  es  jedoch  eines 
erneuten  Beschlusses  bedürfen. 

„Die  Verwendung  des  Jahresertrages  der  Hardy-Stif- 
tung  soll  jedesmal  an  einer  geeigneten  Stelle  bekannt 
gegeben  werden. 

„Wenn  Verhältnisse  irgendwelcher  Art  die  Inanspruch- 
nahme der  Zinserträge  der  Stiftung  für  ihren  eigentlichen 
Zweck  der  Förderung  der  Indologie  ausschliessen,  so  bleibt 
es  der  K.  Bayer.  Akademie  der  Wissenschaften  anheim- 
gegeben, sie  für  andere  Zweige  der  orientalischen  Forschung, 
jedoch  unter  Bevorzugung  solcher  Zweige,  welche  sich  mit 
der  Indologie  berühren,  entsprechend  zu  verwenden." 

§  4. 
Über  die  Verwendung  der  Mittel  der  Hardy- Stiftung  be- 
schliesst  die  philosophisch  -  philologische  Klasse  alljährlich  in 
ihrer  Juli-Sitzung  auf  Grund  von  Vorschlägen  einer  zu  diesem 
Zweck  eingesetzten  Kommission.  Diese  besteht  aus  dem  Prä- 
sidenten der  Akademie,  dem  Klassensekretär,  zwei  Mitgliedern 
der  philosophisch-philologischen  und  einem  Mitglied  der  histo- 
rischen Klasse,  welche  jeweils  auf  drei  Jahre  gewählt  werden; 


Satzungen  der  Stiftungen  5ö 

doch   soll   unter   allen  Umständen   der  Vertreter   der  Indologie 
dieser  Kommission  angehören. 

§  5. 
Diejenigen  Erträgnisse  des  Stiftungs Vermögens,  welche  in 
einem  Jahre  für  den  bezeichneten  Zweck  und  etwaige  Verwal- 
tungskosten nicht  zur  Verwendung  kommen,  sind  nach  jedes- 
maligem Beschluss  der  Klasse  entweder  für  das  nächste  Jahr 
zurückzubehalten  oder   zu   dem  Stiftungsvermögen  zu  schlagen. 

§  6. 
Änderungen  dieser  Satzung  sind  nur  auf  Antrag  der  philo- 
sophisch-philologischen Klasse  und  des  Präsidiums  der  Akademie 
mit  Allerhöchster  Genehmigung  zulässig. 

Der   Präsident    der    Kgl.  Bayer.  Akademie    der  Wissenschaften 

V.  Heig^el. 

Die  Sekretäre  der  philos.-philol.,   math.-phys.  und  historischen 

Klasse 
Kuhn.  V.  Voit.  Friedrich. 


VIII. 

Satzung   der  Koenigs  -  Stiftung  zum  Adolf  von  Baeyer- 
Jubiläum  zur  Förderung  wissenschaftlicher  chemischer 

Forschungen. 

Landesherrlich  bestätigt  laut  Entschliessung  des  Kgl.  Staatsministeriums 
des  Innern  für  Kirchen-  und  Schulangelegenheiten  vom  4.  Dezember  1905 

Nr.  26449. 

§   1. 
Der  ausserordentliche  Professor  an  der  Universität  München 
Dr.  Wilhelm  Koenigs  hat  bei  der  Königlich  Bayerischen  Aka- 


54  Satzungen  der  Stiftungen 

deraie  der  Wissenschaften  mit  einem  Kapital  von  50000  Mark 
eine  Adolf  von  Baeyer- Jubiläums-Stiftung  zur  Förderung 
wissenschaftlicher  chemischer  Forschungen  errichtet. 

§  2. 
Zweck    der   Stiftung    ist,    aus    den   Zinsen    des   Stiftungs- 
vermögens  wissenschaftliche  chemische  Forschungen   zu   unter- 
stützen. 

§  3. 
Das    Stiftungs vermögen    wird    gebildet    durch    die    bereits 
eingezahlte   Summe   von   50000  Mark,    ferner    durch   künftige, 
dem  gleichen  Zweck  gewidmete  Spenden,   endlich   durch  nicht 
aufgebrauchte  zum  Kapital  geschlagene  Zinsen. 

§  4. 
Anlage    und    Verwaltung    des    Stiftungsvermögens    erfolgt 
durch    die    Kassaverwaltung    der    Kgl.    Bayer.    Akademie    der 
Wissenschaften   nach    den   für    die   übrigen   akademischen  Stif- 
tungen geltenden  Vorschriften. 

§  5. 
Die  Entscheidung  über  die  jährliche  Vergebung  der  Zinsen 
wird  einer  Kommission  übertragen,  welche  besteht  aus  dem 
Präsidenten  der  Kgl.  Bayer.  Akademie  der  Wissenschaften, 
dem,  Sekretär  der  mathematisch-physikalischen  Klasse  und  den- 
jenigen ordentlichen  Mitgliedern  dieser  Klasse,  welche  Ver- 
treter der  Chemie  sind. 

§  6. 
Gesuche   um  Bewilligung  von  Geldmitteln   aus  den  Zinsen 
der  Stiftung    sind    an    den    Sekretär    der   mathematisch  -  physi- 
kalischen Klasse   zu   richten,    welcher  sie   der  Kommission   zur 
Entscheidung  vorlegt. 

§  7. 
Sitzungen    der    Kommission    finden    wenigstens    einmal   im 
Jahre  statt.     Die  Einladungen   hiezu   ergehen   vom   Präsidium. 
Bei  Stimmengleichheit  entscheidet  die  Stimme  des  Präsidenten. 


Satzungen  der  Stiftungen  55 

.        .  §  8. 

Eine  Änderung  dieser  Statuten  kann  nur  auf  Antrag  der 
in  §  5  bezeichneten  Kommission  und  nur  mit  Allerhöchster 
Genehmigung  erfolgen. 

Der  Präsident  der  Kgl.  Bayer.  Akademie  der  Wissenschaften 

V.  Heigel. 

Die  Sekretäre  der  philos.-philol.,  raath.-phys.  und  historischen 

Klasse 
Kuhn.       V.  Voit.       Friedrich. 


IX. 

Satzung  der  Wilhelm-Koenigs-Stiftung  zur  Förderung 

botanischer  und  zoologischer  Forschungen  und 

Forschungsreisen. 

Landesherrlich  bestätigt  laut  Entschliessung  des  Kgl.  Staatsministeriums 
des  Innern   für  Kirchen-  und  Schulangelegenheiten  vom  25.  April  1907 

Nr.  7754. 

§  1. 
Die  Erben  des  verstorbenen  Professors  der  Chemie  an  der 
Kgl.  Universität  München  Dr.  Wilhelm  Koenigs  stellten  im 
Sinne  des  Verstorbenen  der  Königlich  Bayerischen  Akademie 
der  Wissenschaften  die  Summe  von  50000  Mark  zur  Verfügung, 
deren  Zinsen  Verwendung  finden  sollen  zur  Förderung  bota- 
nischer und  zoologischer  Forschungen  und  Forschungsreisen. 

§  2. 
Die  Entscheidung  über  die  Vergebung  der  Zinsen  wird 
einer  Kommission  übertragen,  welche  besteht  aus  dem  Prä- 
sidenten der  Kgl.  Bayer.  Akademie  der  Wissenschaften,  dem 
Sekretär  der  mathematisch -physikalischen  Klasse  und  je  einem 
Vertreter  der  Botanik  und  der  Zoologie,  welche  von  der 
mathematisch-physikalischen  Klasse  zu  wählen  sind. 


56  Satzungen  der  Stiftungen 

§  3. 

Die  Vorschläge  über  die  Verwendung  der  Stiftungszinsen 
gehen  von  den  beiden,  nach  §  2  gewählten  Vertretern  der 
Botanik  und  Zoologie  aus,  wobei  in  der  Regel  abwechselnd 
die  eine  und  die  andere  der  beiden  Disziplinen  berücksichtigt 
werden  sollen. 

§  4. 

Die  Vergebung  der  Zinsen  findet  alle  zwei  Jahre  statt. 
Doch  kann  in  besonderen.  Fällen  auf  einstimmigen  Beschluss 
der  Kommission  auch  in  der  Zwischenzeit  über  die  vorhandenen 
Zinsen  verfügt  werden. 

Nicht  verwendete  Zinsen  werden  zum  Kapital  geschlagen. 

§  5. 

Die  mit  Hilfe  der  Koenigs  -  Stiftung  erworbenen  oder 
gesammelten  Objekte  (Naturalien  und  Instrumente)  sind  den 
botanischen  oder  zoologischen  Sammlungen  des  Staates  zu 
übergeben. 

§  6. 

Wer  aus  der  Koenigs  -  Stiftung  eine  Bewilligung  erhält, 
hat  der  Kommission  über  die  Verwendung  der  Mittel  Bericht 
zu  erstatten. 

§  7. 

Anlage  und  Verwaltung  des  Stiftungsvermögens  erfolgt 
durch  die  Kassaverwaltung  der  Kgl.  Bayer.  Akademie  der 
Wissenschaften  nach  den  für  die  übrigen  —  nicht  in  das 
Depot  der  Bank  gegebenen  —  Stiftungsgelder  geltenden  Vor- 
schriften. 

Der  Präsident   der    Kgl.   Bayer.  Akademie    der  Wissenschaften 

V.  Heigel. 

Die  Sekretäre  der  philos.-philol.,  math.-phys.  und  historischen 

Klasse 
Kuhn.  V.  Voit.        Poehlmann. 


Satzungen  der  Stiftungen  57 

X. 

Satzung  des  Georg  Hitrschen  Fonds  zur  Förderung 
der  Medaillenkunst. 

Bestätigt  durch  Entschliessung   des  Kgl.  Staatsministeriums   des  Innern 
für  Kirchen-   und  Schulangelegenheiten  vom  22.  Januar  1909   Nr.  1424. 

§  1. 
Herr  Privatier  Georg  HitI  in  München  hat  dem  Kgl.  Ge- 
neralkonservatorium der  wissenschaftlichen  Sammlungen  des 
Staates  die  Summe  von  15000  Mark  schenkungsweise  mit  der 
Bestimmung  tiberwiesen,  dass  deren  Zinsen  Verwendung  finden 
sollen  zur  Förderung  der  modernen  Medaillenkunst. 

§  2. 
Die  Entscheidung  über  die  Vergebung  der  Zinsen  trifft 
eine  Kommission,  die  aus  dem  Generaldirektor  der  wissen- 
schaftlichen Sammlungen  des  Staates,  dem  Schenker,  zwei 
Künstlern  und  zwei  Sachverständigen  besteht.  Einer  der  letz- 
teren hat  der  Direktor  oder  ein  Beamter  des  Münzkabinettes 
zu  sein. 

Die  Mitglieder  der  Kommission  werden  vom  General- 
direktor im  Einvernehmen  mit  dem  Stifter  und  dem  Direktor 
des  Münzkabinettes  gewählt.  Spätere  Ergänzungen  trifft  die 
Kommission  selbst. 

Die  Kommission  wählt   aus  ihrer  Mitte  den  Vorsitzenden. 

Die   Kommission    tritt    alljährlich    mindestens    einmal    bis 

spätestens  20.  Dezember  zusammen.    Die  Einberufung  geschieht 

durch   das  K.  Generalkonservatorium.     Die  Beratung  findet  im 

K.  Münzkabinett  statt. 

§  3. 
Die  jährlichen  Zinsen  können  Verwendung  finden: 
a)  alljährlich  als  Preis  für  die  hervorragendste  Leistung 
auf  dem  Gebiet  der  modernen  Medaillenkunst  während 
des  verflossenen  Jahres. 

Zu    diesem  Zweck   wird   alljährlich    das   K.  General- 
konservatorium  zur  Einsendung   von  einschlägigen  Ar- 


58  Satzungen  der  Stiftungen 

beiten  an  das  K.  Münzkabinett  München  bis  zum  1.  De- 
zember öffentlich  einladen.  Hierbei  können  berück- 
sichtigt werden  nur  fertige  Medaillen  oder  plastische 
Medaillenmodelle,  ferner  auch  in  Stahl  geschnittene, 
sowohl  negative  wie  positive  Stempel.  Übersteigt  das 
Modell  die  projektierte  Grösse  der  Medaille,  so  ist  diesem 
bei  der  Einsendung  eine  photographische  Verkleinerung 
im  beabsichtigten  Durchmesser  beizufügen, 
b)  für  Erteilung  eines  Auftrags. 

Die  Bestimmung  des  Vorwurfs  für  die  Medaille  bleibt 
der  Kommission  vorbehalten,  kann  aber  auch  dem  freien 
Ermessen    des    zu    beauftragenden    Künstlers    anheim- 
gestellt werden. 
Für  Preise  und  Aufträge  kommen  nur  in  Betracht  bayerische 
oder  in  Bayern  lebende  Künstler. 

§4. 
Nicht  verwendete  Zinsen  werden  angesammelt  und  gelangen 
spätestens    alle   drei  Jahre,    vom    Datum   dieser   Satzungen    ab 
gerechnet,  zur  Verwendung. 

§  5.  ^ 

Anlage  und  Verwaltung  des  Fondsvermögens,  das  gemäss 
Entschliessung  des  K.  Staatsministeriums  des  Innern  für  Kirchen- 
und  Schulangelegenheiten  vom  12.  November  1908  Nr.  23963 
als  gesondertes,  staatliches  Zweckvermögen  anzusehen  ist,  er- 
folgt durch  die  Kassaverwaltung  der  Königlich  Bayerischen 
Akademie  der  Wissenschaften  nach  den  für  die  Verwaltung 
von  Stiftungsgeldern  geltenden  Vorschriften. 

München,  den  18.  Januar  1909. 

Der  Generaldirektor  der  wissenschaftlichen  Sammlungen 

des  Staates: 

V.  Heigel. 

Der  Direktor  des  K.  Münzkabinetts: 

Habich. 


Satzungen  der  Stiftungen  ^»^ 

XL 
Satzung  der  Heinrich  v.  Brunck-Stiftung. 

Landesherrlich  bestätigt  laut  Entschließung  des  Kgl.  Staatsministeriums 
des  Innern  für  Kirchen-  und  Schulangelegenheiten  vom  22.  Oktober  1909 

Nr.  26067. 

§  1. 
Der  Geheime  Kommerzienrat  Dr.  Heinrich  von  Brunck 
in  Ludwigshafen  am  Rhein  errichtet  bei  der  Königlich  Baye- 
rischen Akademie  der  Wissenschaften  mit  einem  Kapital  von 
50000  Mark  eine  , Heinrich  von  Brunck-Stiftung"  zur 
Förderung  wissenschaftlich-chemischer  Forschungen. 

§  2. 

Zweck  der  Stiftung  ist  die  Verwendung  der  Zinsen  des 
Stif tun gs Vermögens  zur  Unterstützung  wissenschaftlich-chemi- 
scher und  physikalisch-chemischer  Forschungen. 

Die  Bewilligung  der  Mittel  erfolgt  jährlich,  jedoch  ist  für 
den  Fall  des  Auftretens  eines  größeren  Bedarfs  eine  Über- 
tragung von  einem  Jahr  auf  das  andere  zulässig. 

§3. 

Anlage  und  Verwaltung  des  Stiftungsvermögens  erfolgt 
durch  die  Kassaverwaltung  der  Königlich  Bayerischen  Aka- 
demie der  Wissenschaften  nach  den  für  die  „Koenigs-Stiftung" 
geltenden  Vorschriften. 

§  4. 

Die  Entscheidung  über  die  Vergebung  der  Mittel  wird  einer 
Kommission  übertragen,  welche  besteht  aus  dem  Präsidenten 
der  Königlich  Bayerischen  Akademie  der  Wissenschaften,  dem 
Sekretär  der  mathematisch-physikalischen  Klasse  und  denjenigen 
ordentlichen  Mitgliedern  dieser  Klasse,  welche  Vertreter  der 
Chemie  und  der  physikalischen  Chemie  sind. 

§  5. 
Gesuche    um    Bewilligung    von    Geldmitteln    sind    an    den 
Sekretär    der    mathematisch-physikalischen    Klasse    zu    richten, 
welcher  sie  der  Kommission  zur  Entscheidung  vorlegt. 


60  Satzungen  der  Stiftungen 

§  6. 
Sitzungen    der    Kommission   finden    wenigstens   einmal   im 
Jahre  statt.     Die  Einladungen   hierzu  ergehen  vom  Präsidium. 
Bei  Stimmengleichheit  entscheidet  die  Stimme  des  Präsidenten. 

§  7. 
Eine  Änderung  dieser  Statuten  kann  nur  auf  Antrag   der 
in    §  4   bezeichneten    Kommission    und    nur    mit   Allerhöchster 
Genehmigung  erfolgen. 

Der   Präsident   der   Kgl.   Bayer.  Akademie   der  Wissenschaften 

V.  Heigel. 

Die  Sekretäre  der 
Philos.-philol.  Math.-physikal.  Histor.  Klasse 

Kuhn.  V.  Goebel.  v.  Poehlmann. 


XII. 

Satzung  der  Karl  von  Dapper- Saalfels -Stiftung 
für  biologische  Studien  in  München. 

Landesherrlich  bestätigt   laut  Entschließung  des  K.  Staatsministeriums 
des  Innern  für  Kirchen-  und  Schulangelegenheiten  vom  23.  September  1913 

Nr.  24126. 

1.  Aus  einer  von  dem  K.  Hofrat,  Großherzoglich  Olden- 
burgischen Geheimen  Medizinalrate  und  K.  Preußischen 
Professor  Dr.  med.  Karl  von  Dapper-Saalfels  in  Kis- 
singen gespendeten  Summe  wurde  von  S.  K,  Hoheit  Prinz 
Ludwig  der  Betrag  von  50,000  Mark  der  mathematisch- 
physikalischen Klasse  der  K.  Akademie  der  Wissenschaften 
für  biologische  Studien  zur  Verfügung  gestellt.  Die  K. 
Akademie  der  Wissenschaften  widmet  diesen  Betrag  für 
die    Errichtung    einer    selbständigen    Stiftung    mit    dem 


Satzungen  der  Stiftungen  61 

Namen    „Karl    von    Dapper-Saalfels-Stiftung    für 
biologische  Studien  in  München". 

2.  Die  Verwaltung  dieser  Stiftung  steht  der  K.  Bayerischen 
Akademie  der  Wissenschaften  in  München  zu,  die  Ent- 
scheidung über  die  Verwendung  der  Zinsen  wird  einer 
Kommission  übertragen,  welche  besteht  aus  dem  Präsi- 
denten der  K.  Bayerischen  Akademie  der  Wissenschaften, 
dem  Sekretär  der  mathematisch -physikalischen  Klasse 
und  den  Vertretern  der  Biologie  in  der  Klasse. 

3.  Unterstützt  werden  können  aus  den  Zinsen  der  Stiftung 
sowohl  wissenschaftliche  Untersuchungen  auf  dem  Gebiete 
der  Anatomie,  Anthropologie,  Botanik,  Physiologie,  speziell 
Stoffwechsellehre  und  Balneologie  und  Zoologie,  als  auch 
Studienreisen,  indes  keine  Sammelreisen. 

4.  Die  Gesuche  sind  vor  1,  Dezember  jedes  Jahres  an  den 
Klassensekretär  zu  richten.  Die  Sitzung  der  Kommission 
findet  im  Dezember  statt. 

5.  Über  die  mit  Unterstützung  der  Stiftung  ausgeführten 
Untersuchungen  ist  der  Klasse  ein  Bericht  vorzulegen. 
Mit  Stiftungsmitteln  gesammelte  Objekte  oder  aus  Stif- 
tungsmitteln angeschaffte  Apparate  sind  einer  bayerischen 
Staatssammlung  oder  einem  bayerischen  wissenschaftlichen 
Staatsinstitut  zu  überweisen. 

6.  Nicht  verwendete  Zinsen  werden  zum  Kapital  geschlagen. 

7.  Anlage  und  Verwaltung  des  Stiftungsvermögens  erfolgt 
durch  die  Kassenverwaltung  der  K.  Bayerischen  Akademie 
der  Wissenschaften  nach  den  für  Stiftungsgelder  geltenden 
Vorschriften. 

Die  Kassenkuratel  und  die  Rechnungsrevision  hat  die 
K.  Rechnungskammer. 

München,  den  5.  September  1913. 

K.  Akademie  der  Wissenschaften. 

Heigel 

Präsident. 


62  Satzungen  der  Stiftungen 


XIII. 

Satzung  der  Albert  Samson- Stiftung 
bei  der  K.  Bayerischen  Akademie  der  Wissenschaften. 

Landesherrlich  genehmigt  laut  Entschließung  des  K.  Staatsministeriums 
des  Innern  für  Kirchen-  und  Schulangelegenheiten  vom  25.  Juli  1915 

Nr.  15550. 

§    1. 
Gemäß  den  testamentarischen  Bestimmungen  des  Rentners 
Albert  Samson  vom  19.  Juli  1905  und  dem  darin  enthaltenen 
Vermächtnis  errichtet  die  K.  Bayerische  Akademie  der  Wissen- 
schaften eine  Stiftung,  die  den  Namen 

»Albert  Samson-Stiftung" 
trägt. 

§  2. 
Der  Zweck  der  Stiftung  ist  wissenschaftliche  Erforschung 
und  Begründung  der  Moral  des  Einzelmenschen  und  der  gesell- 
schaftlichen Moral  an  der  Hand  der  Ergebnisse  der  Natur-  und 
Geschichtsforschung,  sowie  besonders  der  experimentellen  Psy- 
chologie, ferner  Feststellung  der  Folgerungen  aus  den  Ergeb- 
nissen dieser  Forschung  für  das  Leben  des  Einzelmenschen 
und  das  Gesellschaftsleben;  insbesondere  die  Erforschung  des 
Ursprunges,  der  urgeschichtlichen  und  weiteren  geschichtlichen 
Entwicklung  der  Moral  und  der  einzelnen  Moralgesetze,  die 
Erforschung  des  Einflusses  der  körperlichen  und  geistigen  Ver- 
anlagung des  Menschen,  des  Einflusses  der  Bodenbeschaffenheit, 
der  topographischen  und  meteorologischen  Verhältnisse,  ferner 
die  Erforschung  des  Einflusses  der  Kultur,  der  Erziehung,  der 
Arbeit,  der  wirtschaftlichen  Bedingungen  derselben,  der  Er- 
nährung und  ähnlicher  Verhältnisse;  endlich  die  Feststellung 
und  Unterstützung  der  Folgerungen  aus  den  Ergebnissen  der 
obigen  Forschungen  für  die  physische  und  sittliche  Lebens- 
haltung der  Einzelmenschen  sowie  für  das  Gemeinschaftsleben. 


Satzungen  der  Stiftungen  63 

Dogmatische,  speziell  dogmatisch-philosophische  oder  theo- 
logische Moralbegründungen  sind  ausgeschlossen  und  können  nur 
als  Gegenstände  der  Geschichtsforschung  in  Betracht  kommen. 

§  3. 
Die    Akademie   der   Wissenschaften    widmet    der   Stiftung 
auf  Grund    des  Vermächtnisses   Albert   Samsons    die    Summe 
von  nominell   552,700  Mark,    die    derzeit   in    S^/a^/oigen    und 
4°/oigen  bayerischen  Staatspapieren  angelegt  sind. 

§  4. 

Die  Verwaltung  und  auch  die  Ausrichtung  der  Stiftung 
obliegen  einem  besonderen  Vorstande,  für  dessen  satzungs- 
gemäße Zusammensetzung  der  Präsident  der  K.  Akademie  zu 
sorgen  hat. 

Der  Vorstand  besteht  aus  12  ehrenamtlichen  Mitgliedern, 
von  denen  7  der  zweiten  (mathematisch -physikalischen)  und 
5  der  ersten  und  dritten  (philosophisch  -  philologischen  und 
historischen)  Klasse  angehören. 

Von  Amtswegen  sind  Vorstandsmitglieder:  der  Präsident 
der  Akademie  und  die  drei  Klassensekretäre. 

Die  übrigen  Mitglieder  werden  von  den  Klassen  durch 
einfache  Stimmenmehrheit  auf  je  fünf  Jahre  gewählt. 

Gehört  der  Präsident  der  ersten  oder  dritten  Klasse  an, 
so  wählt  die  zweite  Klasse  aus  ihren  der  Biologie  angehörigen 
Mitgliedern  6  Vertreter  in  den  Vorstand,  die  erste  und  dritte 
Klasse  wählen  je  ein  Mitglied. 

Gehört  der  Präsident  der  zweiten  Klasse  an,  so  wählt  diese 
nur  5  Biologen  in  den  Vorstand. 

Sind  zur  Zeit  der  Ernennung  eines  neuen  Präsidenten  aus 
der  2.  Klasse  6  Vorstandsmitglieder  (außer  dem  Klassensekretär) 
vorhanden,  so  scheidet  ein  Vorstandsmitglied  der  2.  Klasse 
durch  das  Los  aus.  Die  1.  und  3.  Klasse  wählen  in  diesem 
Falle  noch  ein  weiteres  Mitglied  in  den  Vorstand. 

Der  Vorstand  wählt  seinen  Vorsitzenden  und  dessen  Stell- 
vertreter aus  seinen  naturwissenschaftlichen  Mitgliedern.  Er 
setzt   die  Geschäftsordnung   fest  und   bestellt  die  für  die  Ar- 


64  Satzungen  der  Stiftungen 

beiten  etwa  erforderlichen  wissenschaftlichen  und  technischen 
Hilfskräfte.  Er  kann  auch  der  Akademie  nicht  ansfehörigfe  Sach- 
verständige  mit  beratender  Stimme  zu  seinen  Sitzungen  heran- 
ziehen. Ihm  unterliegt  die  Prüfung,  ob  die  vorgeschlagenen 
Forschungen  mit  dem  Zweck  der  Stiftung  übereinstimmen. 

Der  Vorsitzende  des  Vorstandes  oder  sein  Stellvertreter 
vertritt  in  Gemeinschaft  mit  einem  anderen  Vorstandsmitglied 
die  Stiftung  nach  Außen. 

§  5. 

Die  Verwendung  der  Mittel  erfolgt  nach  Anhörung  der 
Klassen  in  der  Weise,  daß  mit  der  Hälfte  des  jährlich  für  die 
Stiftungszwecke  zur  Verfügung  stehenden  Betrages  Arbeiten 
aus  dem  Studiengebiet  der  mathematisch-physikalischen  Klasse, 
mit  der  anderen  Hälfte  solche  aus  dem  Studiengebiet  der  philo- 
sophisch-philologischen und  der  historischen  Klasse  unterstützt 
werden. 

Mit  Zustimmung  der  Majorität  der  Vorstandsmitglieder 
aus  der  mathematisch  -  physikalischen  Klasse  kann  aber  auch 
ein  größerer  Betrag  als  die  Hälfte  für  Arbeiten  aus  dem  Ge- 
biete der  beiden  anderen  Klassen  und  ebenso  mit  Zustimmung 
der  Majorität  der  Vorstandsmitglieder  aus  der  1.  und  3.  Klasse 
ein  größerer  Betrag  als  die  Hälfte  für  Arbeiten  auf  dem  Ge- 
biete der  2.  Klasse  verwendet  werden. 

§6. 

Für  die  Erreichung  des  Stiftungszweckes  darf  niemals  das 
Hauptkapital  angegriffen  werden.  Falls  die  Stiftungsmittel 
durch  das  Arbeitsprogramm  eines  Jahres  nicht  aufgebraucht 
werden,  sind  sie  zur  Bildung  einer  Rücklage  für  Zwecke  der 
Stiftung  zu  verwenden. 

Für  das  sich  dadurch  bildende  Rücklagekapital  und  die 
davon  aufkommenden  Zinsen  sollen  dieselben  Anordnungen, 
welche  bezüglich  des  Stiftungskapitals,  dessen  Zinsen  und  deren 
Verwendung  getroffen  werden,  in  Geltung  treten,  jedoch  mit 
der  Ausnahme,  daß  zu  größeren  Unternehmungen  und  For- 
schungen  auch   das   Kapital    nach   Anhörung   der   Klassen   in 


Satzungen  der  Stiftungen  65 

Angriff  genommen  werden  darf.  Behufs  leichterer  Flüssig- 
machung darf  die  Anlage  der  Rücklage  nur  in  besten  zins- 
tragenden Börsenpapieren  erfolgen. 

Erst  wenn  die  Rücklage  den  Betrag  von  100,000  Mark 
—  einhunderttausend  Mark  —  erreicht  hat,  fließen  die  nicht 
zur  Verwendung  gelangten  Überschüsse  dem  Kapitelfonds  der 
Stiftung  zu. 

Auch  von  anderen  Schenkern  sollen  Mittel  zur  Vergröße- 
rung der  Stiftung  angenommen  werden. 

Zweck  und  Name  der  Stiftung  bleibt  jedoch  derselbe. 

Die  Namen  und  Gaben  der  Schenker  werden  in  den  Jahres- 
berichten veröffentlicht. 

Etwaige  Vei-luste  des  Hauptkapitals  sind  aus  der  Rück- 
lage und  falls  diese  nicht  ausreicht,  aus  den  Jahreszinsen  zu 
ersetzen  bis  das  Stiftungskapital  wieder  auf  seine  ursprüng- 
liche Höhe  gebracht  und  der  Rücklage  der  ihr  entnommene 
Betrag  wieder  zugeführt  ist. 

§7. 
Die  Verwaltungskosten,    einschließlich  der  Entlohnungen, 
werden  aus  den  Jahreszinsen  bestritten. 

§  8. 

Im  Übrigen  erfolgt  die  Verwaltung  des  Stiftungsvermögens 
nach  den  hiefür  einschlägigen  jeweiligen  Bestimmungen. 

Die  Kassenkuratel  und  die  Rechnungsprüfung  werden  der 
K.  Rechnungskammer  überwiesen. 

Die  Stiftungsaufsicht  im  übrigen  kommt  dem  K.  Staats- 
ministerium des  Innern  für  Kirchen-  und  Schulangelegen- 
heiten zu. 

München,  den  17.  Juni  1915. 

K.  Akademie  der  Wissenschaften. 

Crusius 

Präsident. 

Die  Sekretäre  der  philos.-philol.,  math.-phys.  und  histor.  Klasse 

Kuhn.  V.  Goebel.  Marcks. 


Jahrbuch  1916. 


66 


Öffentliche  Sitzung 

zur  Feier  des  157.  Stiftungstages 

am  18.  März  1916. 

Die  Sitzung  eröffnete  der  Präsident  der  Kgl.  Akademie 
der  Wissenschaften    Herr  Crusius  mit   folgender  Ansprache: 

Ew.  Majestät! 

Königliche  Hoheit!     Exzellenzen! 

Hochverehrte  Anwesende! 

Im  Beginn  des  Jahres  1915  beschloß  die  Akademie,  von 
der  Feier  ihres  Stiftungsfestes  abzusehen. 

Der  Sturm  der  ersten  Kriegsmonate  war  über  uns  dahin 
gebraust;  man  hatte  die  Empfindung,  der  einmal  von  diesem 
Tisch  aus  mit  dem  Worte  Ausdruck  gegeben  wurde:  inter 
arma  silent  Musae. 

Inzwischen  hat  sich  das  äußere  und  innere  Leben  unsres 
Volkes  mehr  und  mehr  den  unerhörten  Bedingungen  der  Kriegs- 
zeit angepaßt,  und  wenn  Anpassungsfähigkeit  ein  Zeichen  von 
Gesundheit  und  Lebenskraft  ist,  kann  der  Deutsche  getrost  in 
die  Zukunft  schauen.  Aus  den  Schützengräben  haben  uns 
unsre  Genossen,  unsre  Schüler  und  Kameraden,  die  im  Felde 
stehen  durften,  die  rechte  Stimmung  heimgebracht:  Zuver- 
sicht und  Geduld, 

Nicht  jeder  deutsche  Mann,  auch  nicht  jeder  Wehrfähige, 
ist  in  der  Lage,  dem  Vaterlande  vor  dem  Feinde  mit  der 
Waffe  zu  dienen.  Dienen  kann  und  soll  ihm  jeder  an  seiner 
Stelle,  indem  er  die  Pflicht  tut,  zu  der  er  berufen  ist.     Die 


Ansprache  des  Präsidenten  67 

Wissenschaft  bleibt  übernational:  aber  auch  der  deutsche  Ge- 
lehrte, der  seine  schlichte  Arbeit  verrichtet,  dient  dem  Vater- 
lande, dessen  führende  Stellung  im  Reich  des  Geistes  es  zu 
wahren  gilt. 

Den  Tag  eines  Regimentsjubiläums  wird  man  auch  im 
Kriege  nicht  unbeachtet  lassen.  So  meinten  wir  doch  nach 
alter  Weise  unser  Stiftungsfest  feiern  zu  sollen.  Und  wie 
Seine  Majestät  der  König,  unser  allergnädigster  Protektor, 
seine  Truppen  im  Felde  inspiziert,  so  ist  er  heute,  trotz  so 
vieler  dringender  Pflichten,  in  unsrer  Mitte  erschienen. 

Wir  huldigen  ihm  in  Dankbarkeit  und  Treue. 


Mit  Genugtuung  kann  ich  feststellen,  daß  nach  den  in- 
zwischen eingelaufenen  Berichten  die  Arbeiten  der  Akademie, 
vor  allem  in  den  Kommissionen,  ihren  stetigen  Fortgang  ge- 
nommen haben.  Auch  die  Beziehungen  zum  neutralen  und 
befreundeten  Ausland  sind  fruchtbar  geblieben.  Die  geistige 
Einkreisungspolitik  hat  uns  gegenüber  keine  Aussicht  auf  Erfolg. 

Das  große  Unternehmen  des  thesaurus  linguae  Latinae 
kettet  die  romanischen  Völker  fest  an  das  wissenschaftliche 
Schaffen  der  'Barbaren'.  Von  den  18  Mitgliedern  unseres 
Büros  sind  11  zu  den  Fahnen  gerufen,  4  gefallen.  Arbeits- 
hilfe kam  nicht  nur  aus  Deutschland  und  Österreich,  auch 
aus  der  Schweiz  und  Amerika.  Der  Druck  konnte  gefördert 
werden,  wie  in  Friedenszeiten. 

Die  Arbeit  an  den  mittelalterlichen  Bibliotheks- 
katalogen ruhte  fast  ausschließlich  auf  den  Schultern  des 
bewährten  Redaktors  Dr.  Lehmann. 

Die  Kommission  für  Erforschung  der  bayerischen  Mund- 
arten war  so  glücklich  über  eine  reiche  Ernte  zu  berichten; 
auch  in  Feldbatterien,  Schützengräben  und  Lazaretten  haben 
einberufene  Mitarbeiter  ihre  Tätigkeit  fortgesetzt,  briefliche 
Mitteilungen  gemacht,  Fragebogen  beantwortet.  Neue  Auf- 
gaben zeigen  sich  am  Horizont:  die  Beschreibung  der  lebendig 
sich    umbildenden    Standessprache    unsrer    Soldaten,    die   Auf- 

6* 


68  öffentliche  Sitzung  am  18.  März 

nähme  der  bei  unseren  Truppen  gesungenen  Lieder;  eben  wurde 
ein  Fragebogen  dieses  Inhalts  an  etwa  600  Feldadressen  versendet. 

Die  Kommission  für  Höhlenforschung  hatte  bei  ihren 
Grabungen  schwer  mit  Arbeitermangel  zu  kämpfen.  Aber  es 
kam  Hilfe  von  den  K.  Forstämtern  in  Kelheim  und  der  K.  Re- 
gierung von  Niederbayern.  So  wurde  es  Professor  Birkner 
ermöglicht,  im  Schulerloch  bei  Oberau  schöne  Fundergebnisse 
zu  gewinnen.  Professor  Schlosser  unterstützte  ihn  bei  ihrer 
wissenschaftlichen  Einschätzung. 

Für  das  griechische  Urkundencorpus  konnte  der 
Hauptarbeiter,  Dr.  Marc,  z.  Z.  als  Leutnant  im  Felde,  während 
seiner  Urlaubszeit  tätig  sein;  auch  wurde  die  Verzettelung 
des  sprachlichen  Materials,  z.  T.  mit  weiblichen  Hilfskräften, 
weiter  geführt. 

Die  Samsonstiftung  zur  wissenschaftlichen  Erforschung 
und  Begründung  der  Moral  wird  Vertreter  aller  drei  Klassen 
bei  ihren  Arbeiten  vereinigen.  Ich  hoffe  im  nächsten  Herbst 
über  ihre  Tätigkeit  berichten  zu  können. 


Die  Akademie  war  in  der  erfreulichen  Lage,  eine  Reihe 
von  Preisen,  Unterstützungen,  Anerkennungen  zu  erteilen. 
Die  Frist  für  die  Preisaufgabe  der  Zographos- Stiftung  mußte 
allerdings  verlängert  werden;  die  griechische  Landschaft,  deren 
Durchforschung  gewünscht  wurde,  liegt  innerhalb  der  Kriegs- 
sphäre. Erwähnt  sei,  daß  der  Stifter  des  Preises,  Herr  Chri- 
stakis  Zographos,  der  Vater  jenes  griechischen  Politikers  ist, 
der  in  schwerer  Zeit  eine  so  segensreiche  —  auch  für  uns 
segensreiche  —  Tätigkeit  entfaltet  hat. 

Zuwendungen  aus  Stiftungen  und  Fonds  der  K.  Akademie 
der  Wissenschaften: 

A.  Aus  der  Thereianos-Stiftung: 
1.  je  ein  Preis  von  800  M'. 

an  Dr.  Ernst  Buschor,  Kustos  am  K.  Museum  für  Abgüsse 
klassischer  Bildwerke  für  sein  Werk  „Griechische  Vasenmalerei"  ; 


Ansprache  des  Präsidenten  69 

an  Dr.  Friedrich  Zucker,  Privatdozent  an  der  K.  Uni- 
versität München,  für  sein  Werk  „Griechische  Inschriften  in 
Aegypten",   und 

an  Georgios  Der  bös,  Universitätsprofessor  in  Athen,  für 
sein  Weik  „Christliche  Literaturgeschichte"; 
ferner : 

2.  1500  JH  an  Dr.  Leopold  Wenger,  Universitätsprofessor 
in  München,  zur  Fortsetzung  des  Index  zu  den  griechischen  No- 
vellen des  Justinian; 

3.  500  M  an  Dr.  A.  S.  Arbanitopulos  in  Nauplia,  zur 
Bearbeitung  seiner  Thessalischen  Inschriften ; 

4.  800  Ji  an  Dr.  Nikos  A.  Bees,  z.  Z.  in  Berlin,  zur 
Bearbeitung  der  Historischen  Geographie  des  Peloponnes  im 
Mittelalter. 

B.   Aus  der  Krönerschen  Stiftung: 

5000  jH  an  Professor  Dr.  Ernst  Rüdin,  K.  Oberarzt  an 
der  Psychiatrischen  Klinik  hier,  für  Studien  über  Vererbung 
beim  Menschen. 

C.   Aus  der  Münchener  Bürger-  und  Cramer- 
Klett-Stiftung: 

1000  Ji  zur  Bestreitung  der  Instruktionsreisen  des  Assi- 
stenten an  der  Mineralogischen  Sammlung,  Dr.  Karl  Mie- 
leitner; 

800  Ji  an  das  Konservatorium  der  Geologisch -paläonto- 
logischen Sammlung  für  wissenschaftliche  Aufsammlungen; 

300  Ji  an  Dr.  Benno  Rom  eis,  Prosektor  am  histologisch- 
embryologischen  Institut  der  Universität  München,  für  Unter- 
suchungen über  den  Einfluß  der  innersekretorischen  Organe 
auf  die  Entvsricklung. 

D.  Aus  der  Koenigs-Stiftung 
zum  Adolf  von  Baeyer- Jubiläum: 

1800  M  an  Geh.  Hofrat  Professor  Dr.  H.  Kiliani  in 
Freiburg  i.  Br.  zur  Förderung  seiner  Digitalisstudien. 


70  öfiFentliche  Sitzung  am  18.  März 

E.  Aus  der  Koenigs-Stiftung 
zur  Förderung   botanischer  und   zoologis( 
Forschungen: 

300  Jt  an  Professor  Dr.  Ludwig  Vanino  für  Arbeiten 
auf  dem  Gebiete  der  Leuchtfarben. 

F.   Aus  dem  Mannheimer  akademischen  Reservefonds: 

2500  Ji  der  Zoologischen  Sammlung  des  Staates  zur  Auf- 
sammlung von  Wisentresten  in  Bialowiecer  Waldrevier; 

1000  Jt  dem  K.  Botanischen  Garten  zum  Erwerbe  einer 
Sammlung  von  Algen  (2.  Rate); 

3500  Jt  dem  K.  Münzkabinette  zur  Erwerbung  der  frän- 
kischen   Münzensammlung   von   Georg  Lockner    in  Würzburg. 

G.   Aus  dem  Fonds  für  naturwissenschaftliche 
Erforschung  des  Königreichs  Bayern: 

800  oH)  an  die  akademische  Kommission  für  Höhlenfor- 
schung in  Bayern  zu  systematischen  Untersuchungen  der  Höhlen 
und  Grotten  in  verschiedenen  Gebieten  Bayerns; 

1000  Ji  an  die  Bayer.  Botanische  Gesellschaft  in  München 
zur  Erforschung  der  gesamten  Kryptogamenflora  Bayerns; 

400  Jt  an  den  Konservator  an  der  Zoologischen  Samm- 
lung, Professor  Dr.  Wilhelm  Leisewitz,  zur  Untersuchung 
der  bayerischen  Wirbeltierfauna; 

200  Jt  an  den  Benefiziateu  Alois  Weber  in  München 
zur  Untersuchung  der  Molluskenfauna  Bayerns; 

300  Jt  an  die  Ornithologische  Gesellschaft  in  Bayern  zur 
Erforschung  der  heimischen  Vogelwelt. 

H.    Aus  dem  Georg  Hitl-Fonds  für  Förderung  der 
Medaillenkunst: 
Preise  erhielten: 
250  Jt  Joseph  Gangl;     150  Jt  Ludwig  Gries; 
je  100  Jt  Richard  Klein,  Hans  Lindl,  Karl  May,  Adolf 
Rothenburger,  Berthold  Runges,  Hans  Schwegerle,  Lissy 
Eckart. 


Ansprache  des  Präsidenten  71 

Mit  lobenden  Erwähnungen  wurden  ausgezeichnet: 
Adolf  Daumiller,    Lothar  Dietz,    Otto   Hoppe,    Max 
Olofs,  Michael  Preisinger. 


Verliehen  wurde  ferner  die  große  silberne  Medaille  *Bene 
merenti'  Herrn  Fritz  Weiß,  deutschem  Konsul  in  Chengtu 
(China),  sowie  Herrn  Leo  Frobenius  in  Berlin,  Leiter  einer 
innerafrikanischen  Forschungsexpedition. 

Wir  haben  die  Freude,  Herrn  Frobenius,  der  während 
der  ersten  Kriegszeit  in  gefahrvoller  und  verantwortungsreicher 
Stellung  für  Deutschland  im  Orient  tätig  war,  hier  zu  begrüßen 
und  wünschen  seinen  Entdeckerfahrten  in  hoffentlich  naher 
Zukunft  den  besten  Erfolg. 


Die  Tagesordnung  gestattet  nicht,  den  wertvollen  Zuwachs, 
den  unsre  Sammlungen  auch  im  letzten  Semester  gewonnen 
haben,  im  Einzelnen  zu  besprechen. 

Nur  noch  ein  Wort  über  die  Expedition  der  zoologischen 
Staatssammlung  nach  dem  Urwald  von  Bialowiec,  über  die  ich 
schon  in  der  Herbstsitzung  eine  kurze  Mitteilung  machen  konnte. 

Das  Gouvernement  Grodno  liegt  jetzt  im  Bereich  der  deut- 
schen Waffen  und  Verwaltung.  Seine  Wälder  sind  der  ein- 
zige Fleck  in  Europa,  in  dem  noch  der  mächtige  Bruder  des 
Auerochsen,  der  Wisent,  seine  Heimat  hat;  der  Siegfried  des 
Niebelungenliedes  konnte  ihn  noch  im  Wasgenwalde  jagen: 

si  wolten  jagen  swin, 
beren  unde  wisente:  was  möhte  küeners  gesln? 

Nach  dem  Urteil  der  Fachleute  gehören  die  Wisente  zu 
den  Tiergattungen,  die,  wie  gewisse  Naturvölker,  dem  Unter- 
gange  geweiht  sind.  Der  Krieg  hat  seine  verheerenden  Wir- 
kungen auch  in  die  Stille  des  Urwaldes  getragen;  so  galt  es 
für  die  Wissenschaft  zu  retten,  was  zu  retten  war.  Die  Expe- 
dition, als  deren  wissenschaftlicher  Führer  Dr.  Eberhard  Stechow 


72  öffentliche  Sitzung  am  18.  März 

wirkte,  war  an  Ort  und  Stelle  von  Ende  Oktober  1915  bis 
Januar  1916  tätig.  Den  bedeutsamsten  Teil  der  vorläufig  maga- 
zinierten Sammlungen  bilden  die  bei  den  Verfolgungskämpfen 
im  August  1915  zu  Grunde  gegangenen  Wisente  und  sonstige 
Tiere,  deren  Überreste  meist  frei  oder  nur  von  Schnee  bedeckt 
im  Walde  lagen. 

Die  Expedition  verdankt  ihre  Erfolge  in  erster  Linie  dem 
regen  Interesse  und  der  steten  Förderung  von  seiten  S.  K.  H. 
des  Prinzen  Leopold  von  Bayern,  der  auch  die  erste  An- 
regung zu  ihr  gegeben  hat.  Ihm  vor  allen  sei  an  dieser  Stelle 
der  ehrerbietigste  Dank  ausgesprochen. 

Auch  der  Leiter  der  Kaiserlichen  Forstverwaltung  in 
Bialowiec,  Forstrat  Escherich  (aus  Forstarat  Isen  bei  München), 
der  stellvertretende  Ortskommandant  Hauptmann  v.  Carnap, 
die  Offiziere  der  Etappe,  sowie  S.  Exzellenz  General -Feld- 
marschall von  Hindenburg  haben  unser  Unternehmen  mit  Rat 
und  Tat  unterstützt. 

Wir  sind  stolz  darauf,  den  Namen  siegreicher  Feldherrn 
mit  den  Arbeiten  unsrer  Akademie  und  der  Geschichte  unsrer 
Sammlungen  verbunden  zu  sehn. 

nSXefxog  naxrjQ  Tidvrcov:  Der  Krieg  ist  der  Vater  der 
Dinge  —  möge  sich  dies  alte  Kernwort  aus  jener  hellenischen 
Gedankenwelt,  in  die  uns  der  Redner  des  Tages  führen  wird, 
bald  weiter  bewähren  in  einem  gesicherten,  werktätigen  Frieden. 


73 


Nekrologe. 

Philosophisch-philologische  Klasse. 

Am  Schluß  des  Jahres  1915,  am  30.  Dezember,  starb  zu 
München  im  53.  Lebensjahre  das  ordentliche  Mitglied  unserer 
Akademie,  Geheimer  Hofrat  Dr.  Oswald  Külpe,  ordentl.  Professor 
der  Philosophie  an  der  Universität  München.  Sein  Tod  traf 
uns  ganz  unerwartet.  Zwar  hatte  schon  vor  Weihnachten  ein 
Anfall  von  Influenza  eine  vorübergehende  Störung  gebracht. 
Aber  längst  hatte  der  aufopfernde  Lehrer  und  Menschenfreund 
wieder  mit  alter  Kraft  und  altem  Eifer  seiner  Tätigkeit  im 
Hörsaal  und  im  Institut  sich  gewidmet  und  auch  seine  auf- 
opfernden Bemühungen  um  die  Kriegsverwundeten,  denen  er 
in  rührender  Menschenliebe  vorlesend  und  ermunternd  zahllose 
Stunden  opferte  und  die  er  so  gern  fast  über  seine  Kräfte 
mit  reichen  Gaben  erfreute,  wieder  aufgenommen,  als  am  frühen 
Morgen  nach  dem  Weihnachtsfeste  eine  eitrige  Herzmuskel- 
entzündung ihn  auf  ein  hoffnungsloses  Schmerzenslager  warf 
und  ihn  trotz  aller  ärztlichen  Sorge  in  wenigen  Tagen  dahin- 
raffte. Am  2.  Januar  des  neuen  Jahres  haben  wir  ihn  zum 
Waldfriedhof  hinausbegleitet,  wo  er  unter  grünen  Fichten,  wie 
sie  in  seiner  baltischen  Heimat  ihm  rauschten,  seine  Ruhe- 
stätte fand. 

Wir  beklagen  in  dem  allzufrüh  Dahingegangenen  eine 
Zierde  unserer  Akademie,  der  er  seit  dem  14.  November  1914 
als  außerordentliches,  seit  dem  10.  November  1915  als  ordent- 
liches Mitglied  angehörte.  Entrissen  ist  uns  mit  ihm  ein  un- 
ermüdlicher Forscher  von  ebenso  umfassenden  Kenntnissen,  wie 
ursprünglicher  Geistesstärke  und  Schaffenskraft,  ein  beliebter 
und  erfolgreicher  Dozent,  der,  frei  von  allem  prunkenden  Pathos 
und  aller  selbstgefälligen  Geistreichigkeit,  allein  durch  die  aus- 
gereifte Gediegenheit  des  Inhalts  sowie  durch  die  strenge  Sach- 
lichkeit und  die  vollendete  Klarheit  seines  Vortrags  dauernd 
zu  fesseln  verstand,  ein  Lehrer  von  selbstloser  Hingebung  für 


74  Nekrologe 

seine  Schüler,  denen  er,  wie  in  der  Wissenschaft,  so  auch  in 
allen  Angelegenheiten  und  Sorgen  des  Lebens  mit  treuem  Rat 
und  mit  helfender  Tat  allzeit  fördernd  zur  Seite  stand,  ein 
Charakter  von  höchster  Zuverlässigkeit  in  allen  Lebenslagen, 
bei  dem  feste  Zähigkeit  und  Bestimmtheit  des  WoUens  mit 
Weichheit  des  Gefühls  und  Milde  des  Urteils  sich  paarte,  ein 
allzeit  gütiger  Menschenfreund,  der  im  stillen  ungezählte  Wohl- 
taten spendete,  ein  liebenswürdiger  und  feinsinniger  Kollege, 
mit  einem  Worte:  ein  ebenso  hervorragender  Gelehrter,  wie 
wahrhaft  edler  Mensch.  Was  er  als  Mensch  uns  war,  steht 
unauslöschlich  in  unseren  Herzen  eingeschrieben;  von  seiner 
äußeren  Lebensentwicklung  und  seinem  wissenschaftlichen  Werk 
möge  hier  ein  Bild  gegeben  werden. 

Oswald  Külpe  wurde  geboren  1863  am  3.  August  (dem 
22.  Juli  alten  Stils)  zu  Candau  in  Kurland,  einem  unweit  der 
Kreisstadt  Tukkum  gelegenen  Landstädtchen,  in  dem  sein  Vater 
als  Notar  tätig  war.  Ein  verstorbener,  von  Külpe  warm  ge- 
liebter Bruder,  Alfons,  war  Pfarrer  und  wirkte  zuletzt  in  Nervi; 
dessen  Witwe  ist  die  Schriftstellerin  Frances  Külpe,  geb.  James. 
In  der  Familie,  die  schon  seit  dem  18.  Jahrhundert  in  Kurland 
ansässig  war  —  der  erste  in  Rußland  lebende  Vorfahr  war  nach 
der  Familientradition  mit  der  Fürstentochter  von  Anhalt  Zerbst, 
der  späteren  Kaiserin  Katharina  IL,  als  Oberjägermeister  dort- 
hin gekommen  — ,  war  die  deutsche  Kultur  und  die  deutsche  Ge- 
sinnung durch  alle  Zeiten  hindurch  treu  festgehalten.  So  wuchs 
auch  Külpe  durchaus  in  deutscher  Bildung  auf  —  das  Russische 
hat  er  erst  auf  dem  Gymnasium  erlernt  — ,  und  groß  war  darum 
seine  Freude,  als  das  Vorrücken  der  deutschen  Heere  im  Sommer 
1915  für  seine  innig  geliebte  baltische  Heimat  und  das  balti- 
sche Deutschtum  neue  Hoffnungen  erstehen  ließ. 

Zuerst  zu  Hause,  dann  am  deutschen  Gymnasium  zu  Li- 
bau,  wo  er  im  Juni  1879  die  Reifeprüfung  ablegte,  vorgebildet, 
bezog  er  nach  einer  anderthalbjährigen  Tätigkeit  als  Hauslehrer 
Ostern  1881  für  drei  Semester  die  Universität  Leipzig,  wo  er 
anfangs  vorwiegend  historischen  Studien  sich  widmete,  bald 
aber  durch  Wilhelm  Wundt  ganz  der  Philosophie   und   insbe- 


Nekrologe  75 

sondere  der  damals  mächtig  aufblühenden  psychologischen  For- 
schung gewonnen  wurde.  Nach  kürzerem  Aufenthalt  in  Berlin 
im  Winter  1882/83  setzte  er  in  Göttingen  unter  Georg  Elias 
Müller  während  dreier  Semester  seine  psychologischen  Studien 
fort,  weilte  im  Sommer  1886  zu  Prüfungszwecken  vorüber- 
gehend in  Dorpat,  wo  er  den  Grad  eines  Kandidaten  der  Ge- 
schichte erwarb,  der  in  Rußland  für  das  höhere  Lehramt  be- 
fähigte, und  kehrte  dann  im  Oktober  1886  wieder  nach  Leipzig 
zurück,  wo  er  in  Wundts  psychologischem  Seminar  arbeitete 
und  im  Herbst  1887  seine  Studien  beendete. 

Die  grundlegenden  Eindrücke  für  seine  wissenschaftliche 
Entwicklung  empfing  Külpe  von  dem  Altmeister  psychologi- 
scher Forschung,  Wilhelm  Wundt,  als  dessen  Schüler  er  sich 
stets  betrachtete  und  dem  er  allezeit  die  treueste  Verehrung 
bewahrte,  auch  dann,  als  seine  Wege  in  vielem  von  denen 
seines  Lehrers  abgegangen  waren.  In  dessen  Schule  wurde  er 
nicht  nur  in  die  experimentell-psychologische  Forschung  ein- 
geführt (während  er  den  späteren  völkerpsychologischen  Be- 
strebungen Wundts  noch  nicht  näher  treten  konnte),  sondern 
auch  auf  dem  Gebiete  der  Philosophie  selbst  erhielt  sein  Denken 
durch  Wundt  mafägebende  Richtung.  Im  Gegensatz  zu  einer 
aus  dem  Neukritizismus  hervorgegangenen  weitverbreiteten  Auf- 
fassung, welche  der  Philosophie  als  einer  allgemeinen  Wissen- 
schaft der  Werte  ein  Sondergebiet  gegenüber  den  Seinswissen- 
schaften zu  sichern  sucht,  hielt  Külpe  mit  Wundt,  dem  er 
darum  den  Ehrentitel  des  „modernen  Leibniz"  geben  will, 
daran  fest,  daß  die  Philosophie  ausnahmslos  auf  allen  Einzel- 
wissenschaften beruhe  und  eine  allgemeine  Ergänzung  und 
Vollendung  des  von  diesen  gebotenen  fragmentarischen  Welt- 
bildes erstrebe.  Vieles  Einzelne  in  Wundts  Psychologie,  Meta- 
physik und  Erkenntnislehre  hat  Külpe  verworfen,  seinen  Volun- 
tarismus hat  er  entschieden  bekämpft  und  den  Widerstreit 
positivistischer  und  metaphysischer  Tendenzen  bei  Wundt  durch 
seine  eigene  Theorie  der  „Realisierung"  zu  überwinden  ge- 
sucht. Aber  gerade  diese  seine  Theorie  der  „Realisierung", 
dieser  sein  „kritischer  Realismus**,  ist  aus  jenem  Streben  nach 


76  Nekrologe 

einer  Annäherung  und  Angleichung  der  philosophischen  Theorie 
an  die  Methoden  und  Erkenntnisse  der  Natur-  und  Geistes- 
wissenschaften hervorgegangen,  welches  Külpe  in  seinem  Buche 
über  die  Philosophie  der  Gegenwart  in  Deutschland  für  Wundt, 
der  es  zuerst  zu  einem  „vorläufigen  und  auf  lange  hinaus  vor- 
bildlichen Abschluß"  gebracht  habe,  als  charakteristisch  her- 
vorhebt. 

Neben  Wundt  verdankte  Külpe  mancherlei  Anregung  für 
seine  Fachstudien  auch  dem  Meister  der  experimentell-psycho- 
logischen Methodik,  Georg  Elias  Müller  in  Göttingen,  sowie 
dem  Leipziger  Psychiater  und  Gehirnanatomen  Flechsig.  Hatte 
Müllers  einschneidende  Kritik  der  von  dem  Begründer  der 
Psychophysik,  Gustav  Theodor  Fechner,  verwendeten  Methoden 
diesen  erst  die  erforderliche  Exaktheit  und  rechte  Begründung 
gegeben,  so  wandte  später  auch  Külpe  als  Organisator  der  For- 
schungsarbeit in  seinem  Institute  der  logischen  Durcharbeitung 
der  experimentell-psychologischen  Methoden  und  der  Ausbildung 
geeigneter  neuer  Methoden  für  neue  Aufgaben  eine  ganz  be- 
sondere Beachtung  zu.  In  Flechsigs  Anregung  aber  dürfte 
der  erste  Anlaß  dazu  gegeben  sein,  wenn  wir  später  Külpe 
unablässig  für  den  Wert  einer  Verbindung  der  psychologischen 
mit  der  psychopathischen  Forschung  in  der  wissenschaftlichen 
Arbeit  wie  in  der  Unterrichtsorganisation  eintreten  sehen. 

Daß  auch  die  ursprünglichen  historischen  Interessen  seiner 
Studienzeit,  die  besonders  bei  seinem  auch  der  Kulturgeschichte 
zugewandten  feinsinnigen  Leipziger  Lehrer  Karl  von  Noorden 
und  in  den  von  vaterländischem  und  sittlichem  Pathos  erfüllten 
zündenden  Vorträgen  Heinrichs  von  Treitschke  in  Berlin  För- 
derung fanden,  Külpe  auch  später  noch  begleiteten,  zeigen 
mehrere  beachtenswerte  philosophiegeschichtliche  Arbeiten  seiner 
späteren  Zeit. 

Seine  Universitätsstudien  schloß  Külpe  am  12.  Oktober 
1887  mit  der  Doktorpromotion  ab.  Die  Dissertation  „Zur 
Theorie  der  sinnlichen  Gefühle"  war  aus  Wundts  Anregung 
hervorgegangen,  der  gerade  damals  auch  die  Gefühle  nach 
ihren  elementaren  Formen  hin  in  den  Bereich  der  experimental- 


Nekrologe  77 

psychologischen  Forschung  gezogen  hatte.  Gleichwohl  aber 
zeigte  diese  Arbeit  Külpes  doch  sofort  im  Beginn  seiner  wissen- 
schaftlichen Laufbahn,  daß  der  innere  Zug  seiner  Forschungs- 
interessen ihn  über  die  in  der  experimentellen  Psychologie 
damals  fast  allein  noch  herrschende  Richtung,  die  von  ihrem 
Ursprung  aus  den  Forschungen  der  Physiologen  über  die 
Sinnesfunktionen  her  fast  ausschließlich  auf  die  psychophysische 
Untersuchung  der  Empfindungen  ging,  schon  damals  hinaus- 
führte und  ihn  in  der  exakten  Psychologie  neuen  Aufgaben  zu- 
wandte. Die  schon  in  der  Doktordissertation  in  Angriff  ge- 
nommene Gefühlstheorie  war  das  erste,  wenn  auch  minder  wich- 
tige, dieser  neuen  Gebiete,  dem  dann  später  das  Gebiet  der 
Denkvorgänge  gefolgt  ist.  Die  Gefühlstheorie  hat  Külpe  dann 
auch  später  nach  ihrer  rein  psychologischen  Seite  hin  wie  nach 
ihrer  Bedeutung  für  die  Ästhetik  in  einer  Reihe  kleinerer,  aber 
bedeutsamer  Aufsätze  gefördert.  Den  systematischen  Ausbau  der- 
selben, von  dem  ein  Vortrag  auf  dem  internationalen  Psychologen- 
kongreß zu  Genf  (1909)  eine  vorläufige  Gesamtskizze  gab,  zu 
vollenden,  wie  er  es  beabsichtigt  hatte,  verhinderte  ihn  leider 
der  Tod. 

Mit  einem  verwandten  Thema:  „Die  Lehre  vom  Willen 
in  der  neueren  Philosophie",  habilitierte  er  sich  1888  an  der 
Universität  Leipzig.  Die  Arbeit  erschien  1889  in  den  von 
Wundt  herausgegebenen  „Philosophischen  Studien",  dem  da-. 
mahgen  Zentralorgan  der  engeren  Wundtschen  Schule,  in  wel- 
chem Külpe  auch  in  den  nächstfolgenden  Jahren  seiner  Leip- 
ziger Tätigkeit  und  noch  einmal  wieder  im  Jahre  1902  wertvolle 
psychologische  Arbeiten  veröfi'entlichte. 

Sechs  Jahre  war  Külpe  in  Leipzig  tätig,  als  Privatdozent 
und  zugleich  als  Assistent  in  Wundts  psychologischem  Labora- 
torium, seit  Anfang  1894  als  Extraordinarius.  Wie  exakt  sein 
experimentelles  Arbeiten  hier  war,  beweisen  treffliche  experi- 
mentalpsychologische  Untersuchungen,  insbesondere  über  die 
Gleichzeitigkeit  und  Ungleichzeitigkeit  von  Bewegungen,  sowie 
die  Konstruktion  eines  wertvollen  und  brauchbaren  Apparates 
zur  Kontrolle  zeitmessender  Instrumente.    Diese  äußerste  Exakt- 


78  Nekrologe 

heit  und  methodische  Sorgfalt  im  Experiment  sowie  bei  der 
Einstellung  und  Verwendung  der  Apparatur,  die  für  alle  Er- 
forschung der  äußeren  oder  inneren  Naturvorgänge  unerläßlich 
ist,  hat  Külpe  auch  später  in  der  psychophysischen  Arbeit 
stets  festgehalten  und  seinen  Schülern  zur  streng  eingeschärften 
Pflicht  gemacht. 

Der  Leipziger  Zeit  entstammt  auch  der  „Grundriß  der 
Psychologie,  auf  experimenteller  Grundlage  dargestellt"  (1893). 
Das  sorgfältig  durchgearbeitete,  durch  Klarheit  und  durch  Ge- 
schick in  Auswahl  und  Synthese  ausgezeichnete  Werk  gab 
damals  die  beste  kürzere  Gesamtdarstellung  der  neuen  Psycho- 
logie. In  den  Grundlagen  an  Wundt  sich  anschließend  —  im 
Methodologischen  freilich  der  Art  G.  E.  Müllers  näherkommend 
—  steht  es  doch  charakteristischen  Anschauungen  Wundts,  wie 
dessen  Apperzeptionstheorie  und  seinem  Voluntarismus,  kühl, 
im  Grunde  ablehnend  gegenüber  und  konnte  darum  das  er- 
wartete Lehrbuch  der  Wundtschen  Schule  nicht  werden,  das 
weit  später  Wundt  selbst  in  seinem  eigenen,  in  vielen  Auf- 
lagen erschienenen  Grundriß  gegeben  hat.  Anderseits  fehlen 
in  dem  Buche,  wenn  es  auch  in  Einzelpunkten,  insbesondere 
der  psychologischen  Methodik  („Reihenmethode")  sowie  der 
Gefühlslehre  und  den  an  diese  sich  anschließenden  ästhetischen 
Fragen  bereits  gewisse  persönliche  Lieblingsgedanken  aufweist, 
.doch  die  bedeutendsten  besonderen  psychologischen  Auffas- 
sungen und  Problemgestaltungen  des  späteren  Külpe  noch  fast 
vollständig.  Empfindungen  und  Gefühle  sind  noch  die  einzigen 
Bewußtseinselemente,  aus  deren  Verschmelzung  und  raumzeit- 
licher Verknüpfung  mit  Wundt  und  der  Assoziationspsychologie 
die  komplizierteren  Gebilde  abgeleitet  werden,  wozu  dann  wie 
anhangsweise  Aufmerksamkeit,  Wille,  Selbstbewußtsein  als  „Zu- 
stände" des  Bewußtseins  wenig  organisch  hinzutreten.  Das 
Denken,  dem  später  Külpes  Forscherinteresse  vor  allem  sich 
zuwendet,  wird  nur  nebenbei  gelegentlich  erwähnt  und  noch 
als  ein  „Vorstellungs verlauf"  betrachtet,  der  sich  allein  durch 
die  Leitung  vermittelst  „antizipierender  Apperzeptionen"  von 
dem  automatischen  Spiel  der  Vorstellungen  unterscheiden  soll. 


Nekrologe  '9 

So  sah  denn  Külpe  selbst  in  dem  Werke  später  auch  nicht 
mehr  den  adäquaten  Ausdruck  seiner  eigenen  psychologischen 
Stellung.  Darin  lag  der  Grund,  weshalb  er  trotz  alles  Drän- 
gens nicht  dazu  gekommen  ist,  die  viel  verlangte  zweite  Auf- 
lage des  längst  vergriffenen  Grundrisses  erscheinen  zu  lassen. 
Sie  hätte  ein  völlig  neues  Buch  werden  müssen. 

Doch  auch  auf  erkenntnistheoretische  und  ästhetische 
Fragen  erstreckte  sich  schon  damals  sein  Interesse.  Für  die 
ersteren  zeigt  dies  ein  Aufsatz  über  das  Ich  und  die  Außen- 
welt. Die  Ästhetik  aber  lag  Külpe  auch  als  feinsinnigem 
Kunstkenner  nahe.  Besonders  in  der  Musik  hochbegabt  — 
das  Klavier  beherrschte  er  auch  ausübend  meisterlich  — ,  fühlte 
er,  seiner  gemütsklaren,  affektfreien  und  mehr  nach  der  pla- 
stisch-architektonischen als  der  malerischen  Seite  des  künstleri- 
schen, insbesondere  musikalischen  Schaffens  hin  begabten  Natur 
entsprechend,  sich  unter  den  Neueren  vor  allem  zu  Johannes 
Brahms  hingezogen,  während  ihm  Wagners  affektstarke,  pa- 
thetische Art  und  noch  mehr  die  ihm  gewaltsam  erscheinende 
Charakteristik  von  Richard  Strauß  fremd  lagen.  Wie  tief  die 
ästhetischen  Probleme  ihn  schon  in  seiner  Leipziger  Zeit  inner- 
lich beschäftigten  und  wie  eifrig  er  solche  ästhetische  Fragen 
mit  seinem  damaligen  Arbeitsgenossen  im  psychologischen  In- 
stitute und  Freunde  Ernst  Meumann  —  von  dem  ihn  freilich 
später,  nicht  durch  seine  Schuld,  mancherlei  Unstimmigkeiten 
trennten  —  in  anregendem  Meinungsaustausch  besprach:  das 
hat  er  noch  kurz  vor  seinem  Tode  in  einem  Nachruf  auf  Meu- 
mann als  Ästhetiker  lebendig  erzählt. 

In  dieser  Leipziger  Zeit  gestaltete  sich  auch  jener,  einem 
jeden,  der  in  ihn  eintreten  durfte,  unvergeßliche  häusliche  Kreis, 
in  dem  im  Verein  mit  Külpe  zwei  an  Jahren  weit  ältere,  aber 
an  Geist  stets  jugendfrische ,  treu  sorgende  Verwandte  jene 
geistig  hochgestimmte,  anregende,  auch  durch  die  Musik  ver- 
schönte geistige  Atmosphäre  schufen,  die  auch  später  in  Würz- 
burg, Bonn  und  München  den  unvermählt  Gebliebenen  umgab. 
, Meinen  treuen  Lebensgefährtinnen,  den  lieben  Cousinen  Ottilie 
und  Marie"    hat  Külpe  1912  sein    philosophisches  Hauptwerk 


80  Nekrologe 

in  treuer  Dankbarkeit  zugeeignet,  wie  denn  Treue  überhaupt 
ein  Grundzug  seines  Wesens  war. 

Zum  Oktober  1894  wurde  Külpe  nach  Würzburg  in  das 
durch  J.  Volkelts  Fortgang  nach  Leipzig  freigewordene  Ordi- 
nariat für  Philosophie  und  Ästhetik  berufen.  In  fünfzehn- 
jähriger Tätigkeit  schlug  er  feste  Wurzeln  in  der  Franken- 
stadt, die  ihm  zur  zweiten  Heimat  wurde.  Hier  begründete  er 
seit  Oktober  1896  nach  dem  Muster  des  seit  1879  bestehenden 
Wundtschen  Laboratoriums  ein  Psychologisches  Institut, 
das  unter  Külpes  meisterlicher  Leitung  aus  kleinen  Anfängen 
allmählich  sich  zu  einer  Musterstätte  psychologischer  For- 
schung entwickelte,  die  von  Schülern  und  jüngeren  Gelehrten 
aller  Länder  aufgesucht  wurde.  So  entstand  um  Külpe  jener 
auch  nach  dem  Fortgang  der  einzelnen  von  Würzburg  durch 
eine  gemeinsame  Richtung  in  der  Psychologie  und  später  auch 
in  der  Erkenntnistheorie  zusammengehaltene  Kreis,  der  be- 
sonders seit  dem  Beginn  des  neuen  Jahrhunderts  unter  dem 
Namen  der  „Würzburger  Schule"  in  Psychologen-  und  Philo- 
sophenkreisen stets  wachsende  Bedeutung  gewann. 

In  diesem  Kreise  war  Külpe  die  Seele  und  der  Organi- 
sator. Nicht  alle  leitenden  Gedanken,  die  damals  in  eifriger 
Arbeit  Gestalt  gewannen,  sind  von  ihm  ausgegangen,  nicht 
alle  Themen  von  ihm  gestellt.  Es  war  ein  Zusammenarbeiten, 
wie  einst  in  Piatons  Akademie,  eine  Organisation  geistiger 
Arbeit,  wie  Usener  deren  Bild  aus  hellenischer  Zeit  uns  ge- 
zeichnet hat.  Zeitweise  unter  Külpes  Anregung  stehende  Mit- 
forscher, wie  Marbe,  Ach,  Koffka,  sind  überhaupt  nicht  oder 
nur  vorübergehend  Külpes  Schüler  gewesen;  und  auch  unter 
denen,  die,  wie  Watt,  Messer,  Dürr,  Grün  bäum.  Bühler,  Orth, 
L.  Pfeifer  u.  a.,  ihm  ihre  psychologische  Richtung  verdankten, 
steckte  die  Mehrzahl  sich  selbständig  ihre  besonderen  Ziele  und 
suchte  sich  mehr  oder  minder  selbständig  den  eigenen  Weg. 
Aber  schon  das  war  eine  besondere  Kunst  Külpes,  daß  er 
hier,  wie  an  den  späteren  Stätten  seines  Wirkens,  eine  solche 
Fülle  verschiedenartiger  Talente  und  verschiedener  Einzelbe- 
strebungen  zu  gewinnen,  dauernd  zu  fesseln  und  —  frei   von 


Nekrologe  o  1 

jeder  Vergewaltigung  der  Individualität  und  unter  verständnis- 
vollem Eingehen  auf  die  Sonderart  eines  jeden  —  in  einer 
gemeinsamen  Gesamtrichtung  zu  vereinen  verstand.  Zugleich 
stellte  er  in  opferwilligster  Weise  seine  Person  und  seine  Zeit 
in  den  Dienst  aller  derer,  die  sich  ihm  wissenschaftlich  an- 
schlössen, jeden  mit  Rat  und  Tat  unterstützend,  gemeinsam 
planend,  gemeinsam  experimentierend  und  kritisch  besprechend. 
Das  Beste  eigener  Arbeit  auf  diesem  Felde  hat  er  selbstlos  in  den 
Arbeiten  seiner  Schüler  erscheinen  lassen,  während  er  sich  selbst 
hier  in  der  literarischen  Produktion  fast  ausschließlich  auf  große 
Übersichten  über  Ziele  und  Stand  der  Forschung  beschränkte. 
Wer  Külpe  als  Psychologen  wirklich  kennen  und  sein  psycho- 
logisches Werk  gerecht  würdigen  will,  wird  daher  die  Arbeiten 
seiner  Schüler  und  seines  ganzen  Kreises  mit  heranziehen  müssen. 

Mancherlei  psychologische  Einzelfragen  sind  in  Külpes 
Institut  in  dieser  Würzburger  Zeit  und  später  bearbeitet  worden: 
aus  den  von  Anfang  an  in  der  experimentellen  Psychologie  her- 
kömmlichen psychophysischen  Gebieten  der  Empfindungsinten- 
sitäten, der  optischen  und  der  akustischen  Empfindungen  (wo 
auch  zu  musikästhetischen  Untersuchungen  ein  Platz  sich  bot), 
sowie  aus  den  später  hinzugetretenen  der  Vorstellungsassozia- 
tion und  Reproduktion,  der  Aufmerksamkeit,  des  Zeitbewußt- 
seins und  der  Traumanalyse.  Was  aber  der  Würzburger  Schule 
ihre  charakteristische  Stellung  gab,  war  ihre  Denkpsycho- 
logie.    Ihr  Ursprung  führt  in  einen  weiteren  Zusammenhang. 

Es  war  ein  Grundgedanke  Külpes,  in  dem  er  sich  mit 
namhaftesten  Psychologen  der  Gegenwart,  wie  mit  einem  seiner 
Vorgänger  auf  dem  Münchener  Lehrstuhle,  Carl  Stumpf,  be- 
rührte, das  qualitativ  Verschiedene  im  seelischen  Leben  in 
seiner  Eigenart  zu  verstehen  und  nicht  in  einen  öden  Monis- 
mus allgemeinen  Gleichmachens  zu  verfallen.  Daraus  ergab 
sich  die  Bekämpfung  der  in  extremer  Weise  von  Herbart,  auf 
anderem  Wege  von  Spencer  durchgeführten  Tendenz,  alle  Er- 
scheinungen des  Seelenlebens  auf  ein  einziges  letztes  Element 
zurückzuführen  und  aus  diesem  das  gesamte  Seelenleben  syn- 
thetisch  aufzubauen.     In   diesem  Sinne  hatte  Külpe    schon   in 

Jahrbuch  1916.  6 


82  Nekrologe 

seiner  Leipziger  Zeit,  insbesondere  im  Gegensatz  zur  Herbart- 
schen  Theorie,  mit  Wundt  die  selbständige,  elementare  Natur 
des  Gefübls  verfochten.  Von  da  aus  tat  er  dann  später  — 
im  Verein  mit  anderen  Mitforschern  —  über  Wundt  hinaus 
den  bedeutungsvollen,  freilich  auch  viel  umstrittenen  Schritt, 
gegenüber  der  Reduktion  der  Denkvorgänge  auf  anschau- 
liche und  symbolische  Vorstellungen  und  deren  assoziativen 
und  apperzeptiven  Verlauf,  wie  sie  bei  Wundt  und  in  der 
Wundtschen  Schule  üblich  war,  die  selbständige  und  elemen- 
tare psychologische  Eigenart  auch  der  Denkbewußtheiten,  der 
„Gedanken",  aufzustellen. 

Während  die  „Würzburger  Schule"  in  dieser  Loslösung 
der  Denkvorgänge  aus  den  Banden  der  Assoziationspsychologie 
mit  den  Tendenzen  mancher  anderer  Forscher  zusammenging, 
wie  mit  den  scharfsinnigen  Bewußtseinsanalysen,  die  Husserl 
in  seinen  „Logischen  Untersuchungen"  gab,  und  mit  Stumpfs 
tief  eindringender  Unterscheidung  „psychischer  Erscheinungen" 
und  „psychischer  Funktionen",  lag  das  Eigenartige  der  Würz- 
burger Schule  am  auffallendsten  darin,  daß  man  die  psycho- 
logische Natur  und  die  Gesetze  dieser  Denkvorgänge  auf  dem 
Wege  einer  experimentellen  Untersuchung  zu  bestimmen 
versuchte.  Während  die  experimentalpsychologische  Unter- 
suchung in  ihrer  ersten  Periode  fast  ausschließlich  der  Erfor- 
schung der  Sinnesempfindungen  und  ihren  Reaktionen  zuge- 
wandt war,  dann  auf  einer  zweiten  Entwicklungsstufe  auch 
auf  Vorstellungsassoziationen  und  Gefühle  sich  ausgedehnt  hatte, 
wurde  in  Külpes  neu  begründetem  Institut  der  Versuch  unter- 
nommen, auch  die  „höheren  Geistesvorgänge ",  insbesondere  das 
Denken,  durch  eine  neue  Versuchstechnik  der  experimentellen 
Forschung  zugänglich  zu  machen.  Die  für  die  experimentelle 
Psychologie  außer  Kurs  gekommene  Methode  der  Selbstbeob- 
achtung sollte  in  neuer  Form  wieder  zu  Ehren  gebracht  werden, 
indem  man  die  Selbstbeobachtung  durch  eine  Verteilung  der 
Arbeit  an  verschiedene  Personen  und  das  dadurch  ermöglichte 
Hilfsmittel  des  Protokolls  unter  die  Bedingungen  des  Experi- 
mentes zu  stellen  unternahm.     So  suchte  man  im   Gegensatz 


Nekrologe  83 

zu  den  unkontrollierbaren,  subjektiven  „Schreibtischexperimen- 
ten", wie  die  ältere  Zeit  sie  wohl  gelegentlich  übte,  auch  bei 
der  Erforschung  der  „höheren  Seelen  Vorgänge"  zu  einer  den 
Anforderungen  der  exakten  Wissenschaft  genügenden,  wissen- 
schaftliche Zusammenarbeit  und  objektive  Prüfung  ermöglichen- 
den experimentellen  Methode  zu  gelangen. 

Die  von  dem  damaligen  Würzburger  Privatdozenten  und 
Assistenten  in  Külpes  Institut  Karl  Marbe  und  dem  vorüber- 
gehend dort  arbeitenden  jetzigen  Königsberger  Professor  Narziß 
Ach  selbständig  begonnenen  Arbeiten  zur  Denkpsychologie 
erhielten  nach  anderen  Richtungen  hin  durch  die  um  jene 
Zeit  unter  Külpes  direkter  Anregung  und  Leitung  ange- 
stellten Untersuchungen  von  Watt  (1905)  und  Messer  (1906) 
bedeutsame  Förderung,  durch  Karl  Bühler  (1907  ff.)  aber  die- 
jenige Gestalt,  die  vor  allem  die  Aufmerksamkeit  und  auch 
den  Widerspruch  weckte.  Külpe  selbst  ist  literarisch  mit  ex- 
perimentellen Arbeiten  auf  diesem  Grebiete  weniger  hervor- 
getreten, abgesehen  von  einem  Bericht,  den  er  auf  dem  ersten 
Kongreß  für  experimentelle  Psychologie  zu  Gießen  (1904)  von 
seinen  bedeutsamen  Versuchen  über  die  von  ihm  als  „Ab- 
straktion" bezeichneten  Prozesse  gab.  Wohl  aber  hat  er,  der 
durch  seine  Lehrtätigkeit  und  seine  Arbeitsleitung  der  haupt- 
sächlichste Begründer  der  neuen  Denkpsychologie  war,  später 
in  mehreren  programmatischen  Aufsätzen  und  Reden  deren 
Wesen,  Methoden,  Aufgaben  und  Aussichten  großzügig  ent- 
wickelt*). 

Viel  Streit  hat  sich  über  diese  neue  „Denkpsychologie" 
erhoben,  sowohl  hinsichtlich  der  Methode,  wie  hinsichtlich  der 
auf  diesem  Wege  gewonnenen  Resultate.  Die  Anhänger  der 
alten  Richtung  in  der  Experimentalpsychologie  bekämpften 
ebensowohl  prinzipiell  die  Auffassung  der  Denkinhalte  als  eines 
besonderen,  auf  die  anschaulichen  Bewußtseinsinhalte  nicht  redu- 


*)  Über  die  Bedeutung  der  modernen  Denkpsychologie  (Bericht  über 
den  5.  Kongreß  für  experimentelle  Psychologie  in  Berlin  1912).  Über  die 
moderne  Psychol.  des  Denkens  (Intern.  Monatsschr.  für  Wissensch.,  Kultur 
und  Technik  1912).    Über  die  Methoden  der  psychol.  Forschung  (ebd.  1914). 

6* 


84  Nekrologe 

zierbaren  „Wissens",  wie  die  Zuverlässigkeit  jener  neuen  For- 
schungsmittel einer  methodisch  geleiteten  und  methodisch  aus- 
genutzten Selbstbeobachtung.  Auch  abgesehen  von  dem  sach- 
lichen Widerspruch  vermißten  viele  bei  diesen  Untersuchungen 
die  Strenge  und  Exaktheit,  die  der  an  die  Anforderungen,  v^^elche 
die  moderne  Naturwissenschaft  an  das  Experiment  stellt,  Ge- 
wöhnte bei  dem  Anspruch  der  Denkpsychologen,  eine  experi- 
mentelle Wissenschaft  zu  begründen,  naturgemäß  für  unerläß- 
lich erachtete.  Sie  stritten  daher  dieser  neuen  „Denkpsycho- 
logie" den  Charakter  einer  Experimentalwissenschaft  mit  den 
durch  das  Wort  „experimentell"  erweckten  Wertansprüchen  ab. 
Wundt  selbst  wandte  sich  mit  Entschiedenheit  gegen  die  neue 
Methode,  in  der  er  nur  die  alte  Selbstbeobachtung  unter  „er- 
schwerenden Umständen "  fand,  und  später  hat  sich  auch  Külpes 
anderer  Lehrer,  Georg  Elias  Müller,  scharf  über  eine  Reihe 
von  Werken,  die  der  neuen  Richtung  nahestanden,  ausge- 
sprochen. Hier  ist  nicht  der  Ort,  in  diesen  Streit  sachlich 
einzutreten.  Jedenfalls  ist  die  Schule  mit  Ehren  aus  dem 
Kampfe  hervorgegangen  und  bemüht  sich  in  fruchtbarer  Weise, 
durch  erfolgreiche  und  fördernde  Leistungen  die  Berechtigung 
ihrer  Richtung  darzutun,  wobei  selbstverständlich  zuzugeben  ist, 
daß  Experimente  im  strengen  Sinne  des  Naturforschers  auf 
diesem  Gebiete  bloß  innerer  Vorgänge  nicht  möglich  sind. 

Zur  Steigerung  von  Külpes  Einfluß  auf  weitere  Kreise 
trug  nicht  wenig  bei  das  Interesse,  das  er  auch  den  Fragen 
der  angewandten  Psychologie  entgegenbrachte,  mochten  diese 
auch  immerhin  für  ihn  im  ganzen  mehr  von  nebensächlicher 
Bedeutung  sein.  In  seinem  Institut  beachtete  man  die  Be- 
ziehungen zwischen  Psychologie  und  Kriminalistik,  wie  nament- 
lich die  Verwendung  von  Assoziationsversuchen  für  die  Tat- 
bestandsdiagnostik, später  (in  Bonn)  auch  die  Vererbung  krimi- 
neller Anlagen.  Insbesondere  aber  fand,  zugleich  in  Verbin- 
dung mit  der  Würzburger  Lehrerschaft,  die  Külpe  nach  seinem 
Scheiden  von  Würzburg  „in  dankbarer  Würdigung  seiner  Ver- 
dienste um  die  Förderung  der  ideellen  Bestrebungen  des  Lehrer- 
standes" auch  zum  Ehrenmitgliede  ihres  Bezirksvereins  ernannte 


Nekrologe  85 

(20.  Dezember  1909),  die  Anwendung  der  Psychologie  auf  die 
Pädagogik  Pflege.  Reicht  hier  die  von  ihm  und  seinen 
Schülern  geleistete  Arbeit  auch  nicht  an  das  heran,  was  von 
seinem  ehemaligen  Leipziger  Gefährten  in  Wundts  Schule,  Ernst 
Meumann,  dem  eigentlichen  .Spezialisten  auf  diesem  Gebiete, 
dem  zugleich  eine  große  agitatorische  Kraft  zur  Verfügung 
stand,  geschaffen  wurde,  so  sind  doch  mehrere  gute  Arbeiten 
über  geistige  Leistungsfähigkeit  der  Schulkinder,  über  Hausauf- 
gaben, Arbeits-  und  Vorstellungstypen  usw.  aus  seiner  Anregung 
hervorgegangen.  Auch  später,  in  Bonn  und  in  München,  hat 
Külpe  der  geistigen  Entwicklung  der  Jugendlichen  in  den  ver- 
schiedenen Lebensjahren  und  den  daraus  sich  ergebenden  päda- 
gogischen Forderungen  seine  Teilnahme  bewahrt. 

Überhaupt  blieb,  mochte  seine  spätere  literarische  Tätig- 
keit auch  leicht  einen  anderen  Eindruck  erwecken,  die  Psycho- 
logie doch  die  Grundlage  seines  Forschens.  Noch  in  einer 
seiner  allerletzten  Publikationen  schreibt  er  von  sich  und  seinem 
Leipziger  Arbeitsgenossen  Meumann:  „Der  Boden,  der  uns  beide 
trug,  war  die  Psychologie,  von  der  aus  seine  Neigungen  mehr 
in  die  ästhetische,  meine  mehr  in  die  erkenntnistheoretische 
Sphäre  sich  verzweigten."  Sowohl  die  ästhetischen  Studien, 
die  Külpe  als  Nachfolger  Volkelts  besonders  in  seiner  Würz- 
burger Zeit  pflegte,  wie  seine  Erkenntnistheorie,  die  er  gleich- 
falls in  Würzburg  ausbildete,  freilich  erst  später  zur  Veröffent- 
lichung brachte,  sind  durch  seine  Psychologie  bedingt. 

Theoretisches  psychologisches  Interesse  im  Verein  mit 
einem  ausgebildeten  Sinn  für  die  Kunst,  insbesondere  die  von 
ihm  auch  ausübend  gepflegte  Musik,  hatten  Külpe,  wie  schon 
oben  bemerkt,  bereits  in  Leipzig  ästhetischen  Fragen  zuge- 
führt. Zwei  Würzburger  Abhandlungen  aus  dem  Jahre  1899: 
„Über  die  ästhetische  Gerechtigkeit"  und:  „Über  den  assozia- 
tiven Faktor  des  ästhetischen  Eindrucks",  zu  denen  außer 
mehreren  kleineren  Aufsätzen  in  deutschen  und  amerikanischen 
Zeitschriften  (darunter  eine  beachtenswerte  Auseinandersetzung 
mit  Karl  Groos:  „Der  ästhetische  Genuß",  aus  dem  Jahre  1902) 


86  Nekrologe 

besonders  der  an  Eigenem  (namentlich  in  methodologischer  Be- 
ziehung) reiche  kritische  Bericht  über  den  „gegenwärtigen 
Stand  der  experimentellen  Ästhetik"  auf  dem  Würzburger 
Psychologenkongreß  1906  hinzutritt,  lassen  den  damals  fest- 
gehaltenen Standpunkt  Külpes  deutlich  erkennen.  Es  ist  der 
vor  allem  durch  Fechner  begründete,  auch  von  Külpes  Vor- 
gänger in  München,  Theodor  Lipps,  geteilte  psychologische, 
der  die  Ästhetik  als  eine  rein  psychologische  Disziplin  be- 
trachtet, weil  sie,  wie  Külpe  sagt,  „alle  Tatsachen  ihres  Ge- 
bietes als  zum  Seelenleben  gehörig  ansieht  und  aus  Gesetzen 
desselben  ableitet".  Noch  1902  ist  ihm  die  Ästhetik,  die  er 
erstrebt,  „eine  reine  Psychologie  der  ästhetischen  Tatsachen", 
welche  „die  höhere  oder  niedere  Bewertung  der  einzelnen  Ge- 
schmacksurteile getrost  der  praktischen  Kritik  überlassen  kann " . 
Mit  dieser  psychologischen  Ästhetik  legt  auch  Külpe  den 
Schwerpunkt  auf  den  subjektiven  ästhetischen  Genuß  des 
Schönen  in  Natur  und  Kunst,  den  er  nach  einer  schon  durch 
Kant  begründeten  Wendung  aus  der  reinen  Kontemplation 
hervorgehen  läßt,  wohingegen  das  Problem  des  genialen  künst- 
lerischen Schaffens  nur  gestreift  wird.  Während  nun  aber 
Lipps  für  jene  psychologische  Analyse  in  seiner  „Einfühlungs- 
theorie", die  einen  Gedanken  der  Romantik  selbständig  weiter- 
verfolgt, das  Prinzip  findet,  aus  dem  er  mit  strenger  Konse- 
quenz, freilich  oft  auch  mit  Zwang  und  nicht  ohne  mancherlei 
Seltsamkeiten  im  einzelnen,  das  gesamte  Gebiet  der  ästheti- 
schen Wirkung  und  des  ästhetischen  Verhaltens  einheitlich 
ableitet  —  ähnlich  wie  andere  aus  dem  Prinzip  der  inneren 
Nachahmung,  der  bewußten  Selbsttäuschung  usw.  — ,  wendet 
sich  Külpe,  darin  weitherzig  gleich  dem  Begründer  der  induk- 
tiven psychologischen  Ästhetik,  Gustav  Theodor  Fechner,  und  an 
diesen  anknüpfend,  von  Anfang  an  der  Vielheit  der  ästheti- 
schen Faktoren  zu  —  des  „direkten"  und  des  „assoziativen", 
oder,  wie  er  in  der  späteren  Umbildung  seiner  Theorie  sagt, 
des  „relativeh"  —  und  sucht  mit  Fechner  induktiv  und  em- 
pirisch, auf  dem  Wege  der  experimentellen  und  der  ver- 
gleichenden Methode,    den  Anteil   eines  jeden   Elementes   und 


Nekrologe  o» 

seine  besondere  Wirkungsweise  an  sich  und  dem  zeitlicheu 
Verlaufe  nach  (Külpes  „Methode  der  Zeitvariation"  kommt 
hier  in  Betracht)  zu  bestimmen. 

Im  Zusammenhange  mit  einer  allgemeinen  Zeitbewegung, 
die  in  dem  so  notwendigen  Kampfe  Husserls  und  der  badi- 
schen Schule  Windelbands  und  Rickerts  gegen  den  „Psycho- 
logismus" ihren  schärfsten,  wenn  auch  von  Übertreibungen 
nicht  immer  völlig  freien  Ausdruck  fand,  hat  Külpe  später, 
insbesondere  in  seiner  Bonner  und  Münchener  Zeit,  sich  von 
der  rein  psychologischen  Betrachtungsweise  des  Ästhetischen 
loszumachen  gestrebt.  Die  Ästhetik  ist  ihm  im  Gegensatz 
zur  Psychologie  eine  „Aufgabewissenschaft",  da  der  von  der 
Ästhetik  zu  bestimmende  ästhetische  Zustand  in  der  Wirk- 
lichkeit niemals  rein  vorkommt,  und  unterscheidet  sich  da- 
durch von  der  Psychologie  als  einer  Tatsachenwissenschaft. 
Trotz  dieser  neuen  Wesens-  und  Zielbestimmung  ist  aber  die 
Methode  Külpes  in  der  Ästhetik  stets  die  psychologische  ge- 
blieben. —  Den  Hörern  von  Külpes  Vorlesungen  (deren  Heraus- 
gabe bereits  in  die  Wege  geleitet  ist)  längst  bekannt,  trat 
dieser  veränderte  Standpunkt  scharf  hervor  in  einer  Auseinander- 
setzung mit  Meumanns  Ästhetik,  die  kurz  vor  Külpes  Tode  und 
zum  Teil  noch  später  als  seine  letzte  Publikation  erschien. 

Auch  in  der  Erkenntnistheorie  bekämpfte  Külpe  jetzt 
den  „Psychologismus",  wie  ein  rasch  in  Aufnahme  gekommenes, 
manchmal  auch  an  verkehrtem  Orte  als  Abschreckung  verwendetes 
Schlagwort  diejenige  Richtung  nannte,  welche  die  Naturgesetze 
der  Denktätigkeiten  als  psychischer  Akte  mit  den  objektiven 
Normen  der  Denkinhalte  konfundiert  und  auch  diese  in  den  bio- 
logischen riuß  hineinstellt.  Aber  trotz  dieser  scharf  und  wie 
geflissentlich  betonten  Absage  an  den  Psychologismus  hat  Külpe 
in  seinem  Forschen  und  Lehren  den  Zusammenhang  der  Philo- 
sophie und  der  Psychologie  stets  gewahrt,  wie  in  der  Ästhetik, 
so  —  wir  werden  darüber  noch  zu  sprechen  haben  —  auch  in 
der  Erkenntnistheorie. 

Freilich  betonte  er  in  steigendem  Maße  auch  andere  Zu- 
sammenhänge   der   Psychologie.     Der    kriminalistischen    „Tat- 


88  Nekrologe 

bestandsdiagnostik"  und  der  kriminalistischen  Vererbungsfrage 
wurde  schon  gedacht.  Noch  wichtiger  war  ihm  der  Zusammen- 
hang mit  der  Medizin.  So  hat  Külpe  sich  später  mehr  und 
mehr  der  Auffassung  zugeneigt,  daß  zwar  nicht  die  Psycho- 
logie in  jedem  Betracht,  wohl  aber  die  experimentelle  Psychologie, 
gemäß  der  fortschreitenden  Differenzierung  der  Wissenschaften, 
als  selbständige  Disziplin  zu  pflegen  sei  —  der  Psycholog  be- 
rührte sich  hier  mit  den  Psychologiegegnern  unter  den  Philo- 
sophen — ,  die  auch  in  der  Ausbildung  des  Mediziners  einen 
Platz  finden  und  demgemäß  auch  in  der  Universitätsorganisa- 
tion bei  der  medizinischen  Fakultät  eingereiht  werden  müsse. 
Insbesondere  auf  die  Verbindung  der  psychologischen  und  der 
psychopathologischen  Forschung,  wie  sie  ihm  bei  Männern 
wie  Flechsig,  Sommer,  Pick  und  Kräpelin  entgegentrat,  legte 
er  hohen  W^ert.  Preist  doch  das  Diplom,  in  welchem  die 
medizinische  Fakultät  zu  Gießen  ihm  am  2.  August  1907  bei 
Gelegenheit  der  dritten  Jahrhundertfeier  der  Universität  ehren- 
halber die  Würde  eines  Doktors  der  Medizin  verlieh,  ihn  als 
„den  hervorragenden  Vertreter  der  beobachtenden  und  experi- 
mentellen Psychologie,  der  den  Zusammenhang  dieser  Wissen- 
schaft mit  der  methodischen  Psychopathologie  im  Auge  behalten 
und  der  Psychiatrie  auf  dem  Boden  der  psychophysischen  For- 
schung wertvolle  Förderung  geboten  hat".  Ein  längerer  pro- 
grammatischer Aufsatz  im  ersten  Bande  der  neugegründeten 
Zeitschrift  für  Pathopsychologie  (1912),  bei  der  Külpe,  wenn 
auch  nicht  in  derselben  leitenden  Weise,  wie  beim  „Archiv 
für  die  gesamte  Psychologie",  Mitherausgeber  war,  brachte 
diese  Gesichtspunkte  der  Forschung  und  diese  Organisations- 
gedanken zum  Ausdruck.  Mit  den  letzteren  freilich  hat  Külpe 
nicht  viel  Anklang  gefunden,  weder  bei  Medizinern  noch  bei 
Psychologen,  eher  vielleicht  bei  einzelnen  der  Experimental- 
psychologie  feindlichen  Philosophen.  Den  Plan  einer  Überfüh- 
rung der  Psychologie  in  die  medizinische  Fakultät  hat  er  an- 
scheinend später  auch  nicht  weiter  verfolgt.  Anders  mit  dem 
allgemeinen  Gedanken  einer  Verselbständigung  der  Psychologie 
und  einer  Ablösung  derselben  von  der  traditionellen  äußeren  Ver- 


Nekrologe  89 

bindung  mit  der  Philosophie.     Ihn  hielt  er  mit  vielen  anderen 
dauernd  fest  und  gab  ihm  noch  kurz  vor  seinem  Tode  Ausdruck.*) 

Das  Bild  von  Külpes  Würzburger  Zeit  würde  unvollständig 
sein,  würden  wir  nicht  noch  zweier  Seiten  seiner  literarischen 
Tätigkeit  gedenken,  die  zwar  weniger  einen  Fortschritt  in  der 
streng  fachwissenschaftlichen  Einzelforschung  bedeuten,  aber 
als  Ausdruck  einer  allseitig  abgerundeten,  voll  ausgereiften 
Weltanschauung  von  durchaus  idealer  Richtung  dem  Fach- 
mann wie  dem  Orientierung  suchenden  Laien  von  hohem  Werte 
sind  und  die  zugleich  Külpes  Kraft  systematischen  Gestaltens 
dartun.  Es  handelt  sich  um  Külpes  systematische  Darstellung 
der  Philosophie  in  seiner  „Einleitung"  und  um  seine  kritischen 
Überblicke  über  neuzeitliche  philosophische  Bewegungen  in 
zwei  kleineren  Schriften.  Alles  sind  Werke,  die  zugleich  for- 
mell durch  Anschaulichkeit  und  durchsichtige  Klarheit  der  Dar- 
stellung sich  auszeichnen  und  die  ihre  Wirksamkeit  durch  eine 
Reihe  stets  erneuter  und  unermüdlich  vervollkommneter  Auf- 
lagen dartun. 

Külpe  war  der  geborene  Lehrer.  Sich  mitteilen  und  an- 
regen, war  ihm  inneres  Bedürfnis.  Darum  liebte  er  es,  münd- 
liche Vorlesung  und  literarische  Produktion  in  engste  Be- 
ziehung zu  setzen.  Viele  seiner  Aufsätze  waren  ursprünglich 
Reden.  Aus  Würzburger  Universitätsvorlesungen  hervorgegangen 
ist  seine  zuerst  1895,  in  siebenter  Auflage  1915  erschienene 
„Einleitung  in  die  Philosophie",  sein  am  meisten  ge- 
lesenes Buch,  ein  didaktisches  Meisterwerk.  Kein  bloßer  Ab- 
riß des  eigenen  Systems,  wie  etwa  die  „Einleitungen"  von 
Paulsen  und  Windelband,  sondern  eine  Entwickelung  der  Pro- 
bleme und  der  verschiedenen  Typen  ihrer  Lösungsversuche,  die 
historische  Orientierung  mit  kritischer  Prüfung  und  systemati- 
scher Wegführung  verbindet,  bietet  dasselbe  dem  Leser  eine 
vorzügliche  Einführung  in  das  Philosophieren  überhaupt,  gibt 
aber   doch   auch  Külpes   eigener   Stellung  zu    den    erkenntnis- 


*)  In  einer  Ausführung  über  die  Philosophie  der  Gegenwart  in  dem 
Sammelwerk  , Deutschland  unter  Wilhelm  11."   1914. 


90  Nekrologe 

theoretischen,   metaphysischen  und  ethischen  Problemen  deut- 
lichen Ausdruck.' 

Seine  Erkenntnistheorie,  die  uns  noch  näher  beschäf- 
tigen wird,  ist  die  des  kritischen  Realismus.  Die  Meta- 
physik wendet  sich  gegen  die  beiden  Extreme  des  Materia- 
lismus und  des  universellen  Spiritualismus  und  verteidigt  gegen- 
über dem  parallelistischen  Monismus  mit  Carl  Stumpf  scharf- 
sinnig die  dualistische  Lösung  des  Leibseele-Problems.  Auch 
die  an  Hume  anknüpfende  „  Aktualitätstheorie "  Wundts,  welche 
„die  gesamte  Wirklichkeit  des  geistigen  Geschehens,  wie  es 
unmittelbar  aktuell  erlebt  wird,  mit  dem  Namen  Seele  belegt", 
wird  zurückgewiesen  und  ihr  die  Substantialitätstheorie  gegen- 
übergestellt, die  unter  der  Seele  ein  „reales,  von  ihren  wech- 
selnden Erscheinungen  verschiedenes,  selbständiges  und  ein- 
heitliches Wesen"  versteht.  Was  Külpe  zu  dieser  Auffassung 
hintreibt,  ist  vor  allem  seine  realistische  Erkenntnislehre,  die, 
im  Gegensatz  zum  Konszientialismus,  überall,  nicht  nur  in  der 
äußeren  Erfahrung,  sondern  auch  im  inneren  Erleben,  den 
Gegenstand  des  Bewußtseins  von  dem  Bewußtsein  selbst  unter- 
scheidet. Freilich  will  Külpe  in  seiner  vorsichtigen  und  oft 
geradezu  ängstlich  zurückhaltenden  Art  nicht  ein  „Bekenntnis" 
zur  Substantialitätstheorie  aussprechen;  er  will  nur  die  Mög- 
lichkeit dieser  von  ihm  als  die  wahrscheinlichste  betrachteten 
Theorie  gegen  die  insbesondere  von  Paulsen  und  Wundt  er- 
hobenen Einwürfe  dartun.  Darum  enthält  er  sich  auch  jeder 
näheren  Bestimmung  des  Seelen wesens,  mag  er  auch  immerhin 
die  Herbartsche  Auffassung  von  der  Seele  als  eines  in  starrer 
Unveränderlichkeit  verharrenden  Realen  bekämpfen  und  im 
Zusammenhange  mit  dem  Gottesproblem  einige  an  Lotze  und 
Fechner  anklingende  Vermutungen  aufstellen.  Auch  in  der 
Streitfrage  des  Voluntarismus  und  Intellektualismus  nimmt  er 
eine  zurückhaltende  Mittelstellung  ein.  Der  Voluntarismus 
Paulsens  und  Wundts,  der  die  psychologische  und  metaphysi- 
sche Priorität  des  Willens  behauptet  —  auch  Lipps  neigte  mehr 
und  mehr  dahin  — ,  wird  ebenso  verworfen,  wie  der  entgegen- 
stehende Intellektualismus.     Keiner  von  den  elementaren  Vor- 


Nekrologe  91 

gangen  des  psychischen  Lebens  ist  als  schlechthin  primär  anzu- 
sehen. Ist  hier,  wie  so  oft  bei  Külpe,  an  die  Stelle  des  „Ent- 
weder —  Oder"  das  konziliante  und  ausgleichende  „Sowohl  — 
Alsauch"  getreten,  so  ist  das  gleiche  auch  hinsichtlich  des 
metaphysischen  Gottesproblems  der  Fall.  Eigentliche  meta- 
physische Gottesbeweise  gibt  es  nicht;  aber  die  Weltzweck- 
mäßigkeit, soweit  wir  eine  solche  zu  erfassen  imstande  sind, 
die  Übereinstimmung  von  Wahrheit  und  Richtigkeit  im  Denken 
und  Erkennen  der  Welt,  die  Anpassung  der  leblosen  Natur 
an  die  Erhaltung  und  Entwicklung  von  Leben  und  Bewußt- 
sein, der  Fortschritt  vom  Niederen  zum  Höheren  berechtigen 
uns,  die  ganze  Welt  als  ein  „System  nach  der  Regel  der 
Zwecke"  zu  betrachten.  Wir  werden  dadurch  hingewiesen 
auf  eine  Weltseele,  einen  Weltgeist,  dem  für  die  Welt  etwa 
dieselbe  Bedeutung  zukommt,  wie  den  Einzelseelen  für  ihre 
Organismen.  Den  Individualgeistern  eignet  eine  relative  Selb- 
ständigkeit; unser  bewußter  Geist  verhält  sich  zu  Gott  unge- 
föhr  wie  die  „Zellseele"  zu  unserem  bewußten  Geist.  In  dieser 
an  Lotzes  monadologische  Anschauungen  und  noch  mehr  an 
Fechner  erinnernden  Weise  will  Külpe,  unter  kritischer  Stellung- 
nahme gegenüber  dem  Pantheismus,  Panentheismus  und  Deis- 
mus, seinen  Theismus  begründen.  Die  volle  Ausgestaltung 
dieses  Theismus  könne  freilich  nicht  die  Metaphysik  geben; 
sie  wird  der  Religion  überwiesen. 

Die  gleiche  harmonisierende  Tendenz  verfolgt  Külpes  Ethik. 
Apriorismus  und  Empirismus,  Reflexions-  und  Gefühlsmoral, 
Individualismus  und  Universalisraus,  Subjektivismus  und  Ob- 
jektivismus sollen  verbunden  werden.  Eine  bloß  formalistische 
Ethik  im  Sinne  Kants  wird  verworfen;  zu  dem  formalen  Kri- 
terium der  Allgemeingültigkeit  ist  noch  ein  materiales  Kriterium 
der  Zweck-  und  Wertgemäßheit  hinzuzunehmen.  Aber  wenn 
für  diesen  Zweck  auch  mit  dem  „humanen  Universalismus  * 
das  Humanitätsideal  als  letztes  für  uns  wissenschaftlich  be- 
stimmbares Objekt  des  sittlichen  Wollens  betrachtet  wird,  so 
legt  Külpe  doch  auch  hier  den  Nachdruck  überwiegend  auf 
die  Vielheit   der   sittlichen  Güter   und  ihren  Zusammenhang. 


92  Nekrologe 

Ein  höchstes  Gut  als  Maß  aller  übrigen  bleibt  ihm  für  die 
Philosophie  eine  abstrakte  Idee;  erst  die  Religion  kann,  wie 
mit  Wundt  auch  Külpe  sagt,  diese  abstrakte  Idee  des  höchsten 
Gutes  mit  ihren  das  Sinnliche  durch  übersinnliche  Forderungen 
ergänzenden  Vorstellungen  zu  einem  konkreten  Ideal  gestalten. 
So  gewinnt,  wie  Külpes  Metaphysik,  auch  seine  Ethik  einen 
religiösen  Abschluß. 

Vorlesungen  in  Würzburger  Ferienkursen  für  Lehrer  ent- 
stammen zwei  treffliche  kleinere  historische  Schriften 
Külpes,  „Die  Philosophie  der  Gegenwart  in  Deutschland",  zu- 
erst 1902  veröffentlicht,  dann  in  fünf  folgenden  Auflagen  bis 
1914  immer  weiter  ausgebaut  und  ergänzt,  und  , Immanuel 
Kant",  zuerst  1907,  in  dritter  Auflage  1912  erschienen.  Gemäß 
ihrer  Entstehung  sind  beide  Werke  musterhaft  klar  und  gemein- 
verständlich geschrieben,  in  dem  edlen,  gedankenreichen  und 
durchsichtigen  Stil,  der  Külpe  auszeichnete.  Das  Bändchen 
über  Kant  ist  aus  einem  intensiven  Quellenstudium  hervor- 
gegangen. Von  diesem  legt  auch  die  in  der  Kantausgabe  der 
Berliner  Akademie  1907  erschienene  Edition  von  Kants  „Anthro- 
pologie in  pragmatischer  Hinsicht"  Zeugnis  ab,  deren  Erwäh- 
nung hier  angeschlossen  sein  möge.  —  Die  Monographie  fügt 
die  Darstellung  der  Kantschen  Lehre  geschickt  in  den  Rahmen 
der  Lebensentwicklung  ein,  und  diese  ist  mit  all  der  Feinheit 
gegeben,  die  den  scharf  blickenden  Psychologen  kennzeichnet. 
Wundervoll  ist  die  Charakteristik  von  Kants  Persönlichkeit, 
Wie  köstlich  bei  aller  Kürze  weiß  er  nicht  die  Analyse  des 
Pedanten  und  Spießbürgers  zu  geben,  um  dann  Kant  von 
dem  Vorwurf  der  Pedanterie  zu  reinigen!  —  Das  andere  Bänd- 
chen bespricht  die  Hauptrichtungen  der  deutschen  Philosophie 
seit  Lotze  und  Fechner  unter  den  Rubriken  des  Positiyismus, 
Materialismus,  Naturalismus  und  Idealismus  und  geht  in  dem 
Schlußkapitel:  „Neueste  Erscheinungen"  auch  kurz  auf  die 
wichtigsten  Philosophen  der  Gegenwart  von  heute,  wie  auf 
die  Marburger  und  die  badische  sowie  die  phänomenologische 
Schule  Husserls  ein. 

Was    diese    vorzüglich    orientierenden    Werke    bieten,    ist 


Nekrologe  93 

weniger  eine  genetisch-historische  Entwicklung  der  Kantschen 
Lehre  und  der  Bewegungen  der  neuesten  Zeit.  Ein  eigent- 
licher Historiker  war  Külpe  nie;  auch  seine  historischen  Ar- 
beiten sind  überwiegend  sachlich  und  systematisch  eingestellt. 
In  erster  Linie  bietet  er  vielmehr  seinen  vielen  Lesern  die  so 
nötige  kritische  Auseinandersetzung  mit  dem  modernen  und 
jetztzeitigen  erkenntnistheoretischen  Idealismus,  um  so  den 
eigenen  realistischen  Standpunkt  zu  begründen.  Beide  Werk- 
chen fügen  sich  so  durchaus  in  die  eigene  systematische  er- 
kenntnistheoretische Arbeit  Külpes  ein  und  ergänzen  sein  dar- 
über erschienenes,  nicht  zum  Abschluß  gelangtes  Hauptwerk. 
Gewiß  verdankt  Külpe,  wie  jeder  Philosoph  der  Neuzeit,  der 
in  die  Tiefe  der  Probleme  eindrang,  Kant  die  tiefgreifendsten 
Anregungen;  gewiß  wertet  er  mit  Recht  den  sittlichen  Idea- 
lismus von  Kants  Weltanschauung,  der  ja  etwas  ganz  anderes 
ist,  als  der  erkenntnistheoretische  Idealismus  der  „Kritik 
der  reinen  Vernunft",  überaus  hoch.  Allein  sachlich  steht  er  in 
der  Kantschrift  auf  dem  Gebiete  der  Erkenntnistheorie  Kant 
in  der  Hauptsache  doch  durchaus  ablehnend  gegenüber  und 
ist  bemüht,  die  von  jenem  errichteten  Wälle  methodisch  abzu- 
tragen. In  der  , Philosophie  der  Gegenwart"  aber  sieht  er 
zum  Schluß  aus  dem  , pathologischen  Zwischenzustande  einer 
philosophischen  Anarchie,  die  zurzeit  noch  vorzuherrschen 
scheint",  ein  „neues  Reich  langsam,  aber  sicher  aus  dem 
zurückweichenden  Meere  der  Zukunft  sich  erheben".  „Auf 
der  Schwelle  dieser  Zukunft"  steht  ihm  hier  „das  Problem 
der  Realität",  dem  seine  eigene  kritische  und  aufbauende  Tätig- 
keit gewidmet  ist. 

Diese  seine  eigene  Erkenntnistheorie  des  „kritischen  Rea- 
lismus" bildete  Külpe  in  allem  Wesentlichen  bereits  in  der 
Würzburger  Zeit  aus.  In  einer  durch  acht  Jahre  hindurch- 
geführten Kette  von  Vorlesungen  gestaltete  er  sie  bis  in  das 
einzelne.  Diese  Vorlesungen  liegen  in  Külpes  sorgfältig  aus- 
geführtem Manuskript  vor,  dessen  Herausgabe  in  die  Wege 
geleitet  ist. 

So  hat  Külpe  in  seiner  Würzburger  Periode  als  Haupt  der 


94  Nekrologe 

„Würzburger  Schule"  sein  gesamtes  wissenschaftliches  Lebens- 
werk zur  Reife  gebracht.  Als  Psycholog  wie  als  Philosoph 
steht  er  am  Ende  dieser  Zeit  abgeschlossen  da.  Aber  die 
Veröffentlichung  seiner  Erkenntnislehre,  die  neben  der  Denk- 
psychologie und  zugleich  im  engen  Zusammenhang  mit  dieser 
mehr  und  mehr  in  seinem  Forschen  und  Lehren  als  eben- 
bürtige Aufgabe  hervortrat  und  die  vor  allem  ihn  zu  einem 
ebenso  bedeutenden  Philosophen  wie  Psychologen  gemacht  hat, 
erfolgte  erst  später  in  Külpes  Bonner  und  Münchener  Zeit. 
Wir  sind   damit  zu  Külpes  Lebensentwicklung  zurückgekehrt. 

Durch  den  Fortgang  von  Benno  Erdmann  nach  Berlin 
war  in  Bonn  eine  philosophische  Professur  frei  geworden,  der 
schon  seit  Erdmanns  Vorgänger  Jürgen  Bona  Meyer  eine  ge- 
wisse Betonung  der  Psychologie  eigen  gewesen  war.  Ein 
psychologisches  Institut  mit  Anschauungsmitteln  und  einem 
Grundstock  an  Apparaten  hatte  im  Rahmen  des  philosophi- 
schen Seminars  Erdmann  eingerichtet.  So  fand  Külpe,  als  er 
im  Herbst  1909  einem  Rufe  nach  Bonn  an  Erdmanns  Stelle 
folgte,  in  philosophischer  wie  in  psychologischer  Beziehung 
den  bestbereiteten  Boden  und  konnte  in  den  größeren  Verhält- 
nissen der  rheinischen  Universität  mit  wachsendem  Erfolge  in 
Vorlesungen  und  in  dem  nach  der  psychologischen  Seite  in 
Einrichtung  und  Forschungsrichtung  stark  erweiterten  philo- 
sophischen Seminar  dieselbe ,  Wirkung  entfalten ,  wie  in  der 
Frankenstadt,  auch  hier  von  Schülern  aller  Gegenden  auf- 
gesucht. 

Während  in  Külpes  Würzburger  Wirksamkeit  seine  so  be- 
deutsame erkenntnistheoretische  Arbeit  nur  einem  engeren 
Kreise  näher  bekannt  war  und  nach  außen  hin  nur  in  einigen 
Rezensionen  sowie  in  den  kritischen  Ausführungen  seiner  Über- 
sicht über  die  philosophischen  Bewegungen  der  Gegenwart  und 
seines  „Kant"  erst  angedeutet  wurde,  drückt  dieselbe  der 
Bonner  Zeit  auch  literarisch  den  Charakter  auf. 

Die  Grundzüge  dieses  erkenntnistheoretischen  Systems  ent- 
wickelte er  zuerst  näher  in  dem  gehaltvollen  Vortrag  „Er- 
kenntnistheorie und  Naturwissenschaft",  den   er  1910   vor  der 


Nekrologe  95 

Versammlung  deutscher  Naturforscher  und  Ärzte  in  Königs- 
berg hielt.  Obwohl  nur  eine  vorläufige  Skizze,  bleibt  jene 
knappe,  lebendige  Darstellung  doch  von  dauerndem  Werte, 
zumal  sie  sich  nicht,  wie  das,  was  von  der  späteren  ausführ- 
lichen Publikation  erscheinen  konnte,  auf  die  Kritik  entgegen- 
stehender Ansichten  beschränkt,  sondern  auch  von  Külpes  eigener 
positiver  Auffassung  wenigstens  den  Kern  gibt.  Zugleich  zeigt 
sie  eine  Lebendigkeit  und  Frische  der  Gesamtanschauung,  die 
den  auf  dem  mühseligen  Wege  dornenvoller  Einzelerörterung 
sich  voranarbeitenden  streng  fach  wissenschaftlichen  späteren 
Ausführungen  nur  an   einzelnen  Stellen   wieder   gelungen    ist. 

Mit  dem  Neukritizismus  stimmt  Külpe  darin  überein,  daß 
die  Philosophie  nicht  etwa  eine  neue  sachliche  Erkenntnis  der 
Natur  aus  vermeintlich  tieferer  Quelle,  als  sie  der  Naturwissen- 
schaft zur  Verfügung  steht,  konstruieren  könne.  Ihre  Aufgabe 
ist  eine  bescheidenere.  Sie  hat  sich  hier  zu  beschränken  auf  die 
erkenntnistheoretische  Frage,  wie  eine  solche  Naturerkenntnis 
überhaupt  möglich  sei,  um  dadurch  zu  einer  Entwicklung  der 
Voraussetzungen  für  die  Möglichkeit  einer  Naturwissenschaft 
zu  gelangen.  Mit  einem  durch  Kant  und  den  Neukritizismus 
üblich  gewordenen  Worte  bezeichnet  auch  Külpe  dies  Ver- 
fahren als  die  „transzendentale"  Methode. 

Aber  diese  Anknüpfung  an  Kant  ist  doch  nur  rein  äußer- 
lich und  formal;  im  Inhaltlichen  steht  Külpes  „transzenden- 
tale" Methode  zu  der  Kants  und  des  Neukritizismus  von 
Windelband,  Rickert,  Hermann  Cohen  und  Natorp  in  schärf- 
stem Gegensatz.  Der  erkenntnistheoretische  Zusammenhang, 
aus  dem  jene  Voraussetzungen  für  die  Möglichkeit  einer  Natur- 
erkenntnis zu  gewinnen  sind,  läßt  sich  nach  ihm  nicht  aus 
dem  reinen  Bewußtsein  oder  dem  reinen  Denken  allein  ent- 
wickeln. In  der  Natur  —  wie  nicht  minder  in  der  Psycho- 
logie und  der  Geschichte  —  handelt  es  sich  ja  nicht  um  ein 
rein  Ideales,  sondern  um  reale  Gegenstände.  Von  diesen  ver- 
mögen wir  kein  apriorisches  Wissen  zu  konstruieren.  Wir 
haben  sie  in  stets  weiter  fortschreitendem  Gange  a  posteriori 
zu    erforschen,   um    zuletzt   in   einer  Metaphysik   für  das  reale 


96  Nekrologe 

Weltbild  den  systematischen  Abschluß  zu  finden.  „Gegeben" 
sind  uns  dabei  die  Natur-  und  Seelenvorgänge  zunächst  nur 
in  der  subjektiven  Wirklichkeit  unserer  Bewußtseinserleb- 
nisse, von  der  wir  auszugehen  haben.  Aber  in  diesen  Be- 
wußtseinsinhalten, insbesondere  in  dem  Kommen  und  Gehen 
der  Empfindungen,  tritt  für  die  analysierende  Erkenntnis  — 
was  der  „Konszientialismus"  übersieht  —  eine  Ordnung  und 
Gesetzlichkeit  zutage,  die  nicht,  wie  der  qualitative  Inhalt 
jener  Empfindungen,  von  unserer  psychophysischen  Organisa- 
tion abhängt,  sondern  diesem  Subjekt  als  eine  „Fremdgesetz- 
lichkeit" gegenübersteht.  Dadurch  wird  das  mit  der  Erfah- 
runor  des  äußeren  und  inneren  Sinnes  verbundene  Denken 
auf  ein  bewußtseinstranszendentes  Reales  gewiesen,  das  der 
Träger  dieser  in  unseren  Bewußtseinsinhalten  erscheinenden 
„Fremdgesetzlichkeit"  ist.  Dieses  Reale  ist  von  uns  als  tat- 
sächlich bestehend  anzuerkennen;  es  ist  zu  „setzen",  wie 
Külpe  —  für  seinen  realistischen  Standpunkt  ein  wenig  miß- 
verständlich —  sagt.  Ist  diese  „Setzung"  erkenntnistheoretisch 
der  erste  Schritt,  so  muß  daran  als  zweiter  sich  der  Versuch 
anschließen,  jenes  Reale,  mit  den  Ergebnissen  der  Natur-  und 
Geisteswissenschaften  voranschreitend,  zu  „bestimmen".  „Wie 
muß  dasjenige  beschaffen  sein,  das  die  von  uns  unabhängigen 
Beziehungen  zwischen  den  Sinnesqualitäten  entstehen  läßt?", 
so  stellt  sich  die  den  Physiker  angehende,  auf  die  körperliche 
Außenwelt  bezügliche  Teilaufgabe  des  weiteren  Problems,  der 
dann  verwandte  Fragen  hinsichtlich  des  Realen  im  seelischen 
Leben  und  in  der  Geschichte  sich  anschließen. 

Natürlich  steht  Külpe  mit  dieser  Auffassung  nicht  isoliert. 
In  der  Philosophie  war  die  realistische  Richtung  nie  völlig 
verschwunden.  Von  vielen  sei  nur  Külpes  mittelbarer  Vor- 
gänger auf  dem  Münchener  Lehrstuhl,  Carl  Stumpf,  genannt, 
der  z.  B.  in  der  grundlegenden  Untersuchung:  „Psychologie 
und  Erkenntnistheorie"  in  den  Abhandlungen  unserer  Akademie 
(1891)  bereits  ähnlich  wie  Külpe  die  Theorie  des  Kritizismus 
von  einer  „Schöpfung  der  Natur  durch  den  Verstand"  be- 
kämpft und  mit  dem   auch   sonst  Külpe  sich  mannigfach  be- 


Nekrologe  97 

rührt.  Aber  auch  an  Gedanken  philosophierender  Naturfor- 
scher, wie  Helmholtz  und  Heinrich  Hertz,  werden  wir  erinnert. 
Insbesondere  gibt  der  in  der  Naturforschung  der  Gegenwart 
—  man  denke  an  Mach  einerseits,  Planck  anderseits  —  schwe- 
bende Streit  über  die  wissenschaftliche  Natur  der  Hypothese, 
ob  diese  nämlich  bloß  ein  ökonomisches  Mittel  für  die  Ord- 
nung von  Gedanken  ist,  oder  einen  Wert  für  die  fortschreitende 
Wirklichkeitserkenntnis  besitzt,  einen  Vergleichspunkt,  der  zeigt, 
wie  Külpes  erkenntnistheoretische  Forschung  sich  im  engsten 
Zusammenhange  mit  dem  lebendigen  Betriebe  der  Naturwissen- 
schaft entwickelt. 

Jenes  Reale  nun  liegt  uns  nun  nicht  schon  in  der  Empfin- 
dung selbst  vor,  die  den  Ausgangspunkt  zu  seiner  Erkenntnis 
bildet;  ebensowenig  in  der  auf  Empfindungen  sich  aufbauenden 
anschaulichen  Vorstellung.  Es  kann  nur  als  Gegenstand  eines 
unanschaulichen  Wissens  erfaßt,  kann  nur  gedacht  werden. 
Darum  bezeichnet  Külpe  es  auch  —  was  allerdings  recht  miß- 
verständlich ist  —  als  „  Gedankend  in  g" ;  nicht  im  Sinne  eines 
nur  im  Gedacht  werden  existierenden  Inhalts,  eines  „ens  ra- 
tionis",  sondern  als  eine  bloß  durch  das  Denken  zu  erfassende 
Realität.  (Anderswo  freilich  sollen  diese  „Gedankendinge"  bloße 
„Modelle"  der  realen  Naturobjekte  sein.) 

Hier  ist  nun  die  Stelle,  an  der  sich  deutlich  der  innige 
Zusammenhang  zwischen  Külpes  Erkenntnistheorie  und 
seiner  Denkpsychologie  zeigt.  ,Es  ist",  so  sagt  er  selbst 
in  jenem  Vortrag,  „im  letzten  Grunde  das  Vorurteil  einer  in 
der  Fülle  der  Anschauung  schwelgenden  Zeit,  wenn  die  Ge- 
dankendinge der  Realwissenschaften  ein  ärmliches  Schema  oder 
gar  ein  bloßes  X  zu  sein  scheinen.  Wie  wir  uns  in  der  Psycho- 
logie gegenwärtig  von  dem  Sensualismus  befreien,  der  die  Welt 
unserer  Gedanken  in  bloße  Empfindungen  und  Vorstellungen 
aufzulösen  suchte  und  alle  unanschaulichen  Bewußtseinsinhalte 
einfach  für  nicht  vorhanden  oder  für  erfunden  erklärte,  so 
sollte  auch  in  der  Erkenntnistheorie  mit  dem  Dogma  gebrochen 
werden,  daß  bloße  Gedankendinge  ein  Nichts  oder  eine  unüber- 
schreitbare  Grenze  der  Erkenntnis  bilden."     Konszientialismus 

Jahrbuch  1916.  7 


98  Nekrologe 

und  Phänomenalismus,  die  als  Warnung  vor  dem  naiven  Glauben 
eines  unkritischen  Realismus,  der  in  unseren  Empfindungen  ein 
exaktes  Bild  der  objektiven  Wirklichkeit  erblickte,  ihre  Be- 
deutung hatten,  haben  jetzt  „den  Charakter  eines  lästigen 
Schlagbaums  angenommen";  Schopenhauers  Wort  von  der  Welt 
als  unserer  Vorstellung,  das  gegenüber  dem  dogmatischen  na- 
iven Realismus  erzieherischen  Wert  hatte,  ist  jetzt  selbst  zur 
dogmatischen  Phrase  geworden. 

Während  der  „naive"  Realismus  dem  Wahne  huldigt, 
das  Reale,  auf  welches  im  Unterschiede  von  den  Idealwissen- 
schaften die  Real  Wissenschaften  gehen,  könne  vom  erkennenden 
Geiste  unmittelbar  in  intuitiver  Anschauung  erfaßt  werden, 
stellt  sich  nach  dem  „kritischen"  Realismus,  dem  mit  vielen 
anderen  —  schon  Leibniz  hat  in  den  „Nouveaux  essais  sur 
l'entendement  humain"  sein  Grundprinzip  entwickelt  —  auch 
Külpe  huldigt,  die  Sache  ganz  anders  dar.  Nach  dem  , kriti- 
schen Realismus"  bedarf  es  dazu  eines  diskursiven  Gedanken- 
ganges, eines  besonderen  Prozesses,  um  mit  Hilfe  bestimmter 
Kriterien  der  Realität,  die  weder  rein  rational  noch  rein  em- 
pirisch sind,  zu  jenem  Ziele  zu  gelangen.  Diesen  Prozeß,  der 
zur  wissenschaftlichen  Bestimmung  des  Realen  führt,  nennt 
Külpe,  um  schon  durch  den  grundlegenden  Terminus  seiner 
Theorie  deren  Unterschied  gegenüber  dem  naiven  Realismus 
anzudeuten,  die  „Realisierung".  Man  kann  freilich  denen 
wohl  nicht  ganz  unrecht  geben,  die,  wie  Rickert,  Herbertz  u.  a., 
einwandten,  daß  dieser  Ausdruck  mehr  in  ein  idealistisches 
System  hineinzupassen  scheine,  als  in  Külpes  realistische  Er- 
kenntnistheorie. Aber  das  Wort  muß  bei  Külpe  durchaus  in 
der  von  ihm  festgelegten  Bedeutung  genommen  werden:  nicht 
im  Sinne  der  realen  Ausgestaltung  eines  Ideellen,  sondern  im 
Sinne  einer  Erkenntnisoperation  zur  denkenden  Erfassung  eines 
vom  Bewußtsein  des  Forschers  unabhängigen  Realen. 

Vier  Einzelfragen  schließt  das  allgemeine  Problem  der 
Realisierung  ein:  1.  Ist  eine  Setzung  von  Realem  zulässig?; 
2.  wie  ist  eine  Setzung  von  Realem  möglich?;  3.  ist  eine  Be- 
stimmung von  Realem  zulässig?;  4.  wie  ist  eine  Bestimmung 


Nekrologe  °^ 

von  Realem  möglich?  In  ebensoviel  entsprechenden  Bänden 
sollte  dasjenige  Buch,  welches  Külpe  als  sein  eigentliches 
Lebenswerk  geplant  hatte  und  von  dem  1912  der  erste  Band 
erschien:  „Die  Realisierung.  Ein  Beitrag  zur  Grundlegung  der 
Realwissenschaften",  diese  Fragen  beantworten.  Der  Tod  hat 
die  vollständige  Ausführung  des  Planes  verhindert.  Dem  ersten 
Bande  ist  nur  noch  eine  Vorstudie  zum  dritten  gefolgt:  „Zur 
Kategorienlehre ",  in  den  Sitzungsberichten  der  Münchener  Aka- 
demie 1915. 

Was  der  erste  Band  der  „Realisierung"  bietet,  ist  im 
wesentlichen  Polemik.  Der  Realismus,  ist  Külpes  Gedanke 
(dessen  Berechtigung  hier  nicht  erörtert  werden  kann),  hat  als 
natürliche  Denkweise  die  Präsumption  für  sich;  er  befindet 
sich  in  der  Defensive.  Die  Frage,  ob  wir  ein  Reales  zu 
„setzen"  berechtigt  sind,  wird  deshalb  dann  bejahend  zu  be- 
antworten sein,  wenn  es  gelingt,  die  gegen  ihn  erhobenen 
Einwendungen  als  unzutrefi'end  darzutun  und  die  ihm  entgegen- 
gesetzten idealistischen  Theorien  zu  widerlegen.  Eines  beson- 
deren positiven  Beweises  für  die  Berechtigung,  ein  Reales  zu 
setzen,  bedarf  es  nach  Külpes  Meinung  nicht  mehr.  Nun  wird 
es  freilich,  um  jene  negative  Aufgabe  zu  erfüllen,  nötig  sein, 
alle  dem  Realismus  entgegenstehenden  denkbaren  Möglich- 
keiten vollzählig  auszuschließen.  Aber  Külpe  ist  überzeugt, 
daß  er  dies  in  der  Tat  getan  hat,  indem  er  die  entgegen- 
stehenden Auffassungen  unter  zwei  Gruppen  unterbringt,  dem 
Konszientialismus,  der  die  realen  Gegenstände  als  „Wirk- 
lichkeiten des  Bewußtseins"  auffaßt  und  von  einem  Prozeß  der 
Realisierung  überhaupt  absieht,  und  dem  objektiven  Idea- 
lismus, der  zwar  den  Gegenstand  der  wissenschaftlichen  Unter- 
suchung nicht  als  ein  unmittelbares  Bewußtseinserlebnis  betrach- 
tet, sondern  ihn  erarbeitet  werden  läßt,  diesen  Prozeß  der  Er- 
arbeitung aber  nicht  auf  reale  Gegenstände,  die  als  objektiv 
vorhanden  vorausgesetzt  werden,  als  Korrelate  bezieht,  sondern 
ihn  als  eine  ideale  Konstruktion  auffaßt.  Eine  zwischen  dem 
Konszientialismus  und  dem  Realismus  in  der  Mitte  stehende 
Form  des  Idealismus,  der  Phänomenalismus,  der  zwar  ein  Re- 

7* 


100  Nekrologe 

ales  setzt,  es  aber  als  ein  völlig  unbestimmbar  bleibendes  X 
betrachtet,  sollte  nach  der  Disposition  des  Külpeschen  Buches 
im  dritten  Teil  widerlegt  werden. 

Ob  freilich  diese  Methode,  welche  die  eigene  Ansicht  aus 
der  Niederwerfung  aller  möglichen  gegnerischen  hervorsteigen 
lassen  will,  eine  völlig  ausreichende  ist,  kann  ja  umstritten 
werden.  Auch  das  ist  fraglich,  ob  die  Disjunktion  vollständig 
ist,  und  ob  auch  alles,  was  Külpe  unter  jenen  beiden  Gruppen 
unterbringt,  sich  wirklich  restlos  einer  solchen  Charakteristik 
fügt.  So  hat  z.  B.  Rickert  wohl  nicht  mit  Unrecht  Verwah- 
rung dagegen  eingelegt,  daß  sein  transzendentaler  Idealismus 
so  schlechthin  unter  den  Begriff  des  Konszientialismus  gebracht 
werde,  wenigstens  wenn  das  Wort  im  üblichen  Sinne  genommen 
werden  soll.  Wie  denn,  nebenbei  bemerkt,  auch  manches,  was 
Külpe  gegen  die  methodologische  Einteilung  der  Wissenschaften 
bei  Rickert  vorbringt,  ebensowenig  überzeugend  wirkt,  als  was 
er  selbst  an  dessen  Stelle  setzen  will.  Aber  auch  der 
Gegner  wird  nicht  leugnen  können,  daß  in  der  Analyse  und 
Zurückweisung  der  gegen  den  Realismus  vorgebrachten  Gründe 
sowie  in  der  kritischen  Auseinandersetzung  mit  den  entgegen- 
stehenden Ansichten  - —  in  besonders  lichtvoller  Weise  mit 
Mach  und  Schubert  Soldern  —  eine  Fülle  scharfsinnigster  Er- 
örterungen und  bedeutungsvoller  Beweisführungen  enthalten 
ist,  die  das  Buch  unter  denen,  die  wir  zur  Rechtfertigung  des 
kritischen  Realismus  besitzen,  und  unter  der  neueren  erkenntnis- 
theoretischen Literatur  überhaupt  mit  in  die  erste  Reihe  rücken. 

Gegenüber  dem  in  seinen  verschiedensten  Formen  und 
nach  all  seinen  Argumenten  unermüdlich  verfolgten  Konszientia- 
lismus tritt  in  diesem  ersten  Bande  die  Auseinandersetzung  mit 
dem  objektiven  Idealismus  der  Marburger  Schule  an  Umfang 
und  Eindringlichkeit  sehr  zurück.  Um  so  eingehender  beschäf- 
tigt sich  Külpe  mit  demselben  in  der  Studie  „Zur  Kategorien- 
lehre". Die  Kategorien,  sucht  dieselbe  nachzuweisen,  sind 
nicht,  wie  der  erkenntnistheoretische  Idealismus  will,  Funk- 
tionen oder  Begriffe  eines  autonomen  Denkens,  das,  aus  nichts 
Fremdem  schöpfend,  aus  sich  heraus  die  Gegenstände  erzeugt 


Nekrologe  101 

und  ihnen  Gesetze  gibt,  indem  es  in  stets  weiter  voranschrei- 
tendem Gange  die  unendliche  Aufgabe  einer  Logisierung  des 
in  der  Empfindung  gelegenen  Chaos  verfolgt.  Kants  »koperni- 
kanische  Tat"  ist  in  Wahrheit  einer  Rückkehr  zum  ptolemäi- 
schen  Weltsystem  zu  vergleichen.  Psychologisch  zu  begreifen 
ist  sie  aus  der  Sehnsucht  nach  Befreiung  vom  äußeren  Zwange; 
aber  die  Herrschaft,  die  wir  über  die  Dinge  zu  gewinnen 
glauben,  indem  wir  sie  uns  angleichen,  ist  nicht  von  Dauer. 
Die  Kategorien  sind  vielmehr,  wie  schon  Aristoteles  sie  faßte, 
Bestimmungen  der  realen  Gegenstände  selbst.  Sie  sind  nicht 
Denkformen,  sondern  Gegenstandsbestimmungen.  Aber  die  Er- 
kenntnis dieser  allgemeinsten  Bestimmungen  innerhalb  der  ver- 
schiedenen Gebiete  von  Objekten,  die  sich  je  nach  der  Natur 
dieser  Gebiete  verschieden  gestalten,  ist  nicht  von  selbst  ge- 
geben. Sie  muß  —  insbesondere  gilt  das  von  den  „realen" 
Kategorien  —  erarbeitet  werden.  Darin  liegt  der  Grund, 
daß  die  Theorie  der  , Realisierung"  hier  ein  gutes  Stück  Weges 
mit  den  , Marburgern"  zusammengehen  kann.  Aber  nur  im 
Methodischen,  nicht  in  der  Grundauffassung.  Diese  bekämpft 
Külpe  unermüdlich  mit  einer  Fülle  von  Argumenten,  mit  solchen, 
die  in  ihren  Grundgedanken  bei  der  realistischen  Auseinander- 
setzung mit  Kant  und  dem  Neukritizismus  zum  hergebrachten 
festen  Bestände  gehören,  und  mit  neuen  und  eigenartigen,  unter 
denen  die  auf  der  Psychologie  fußenden  wohl  am  feinsten  und 
für  Külpe  am  meisten  charakteristisch  sind. 

Als  Külpe  die  Abhandlung  zur  Kategorienlehre  herausgab, 
war  er  nicht  mehr  in  Bonn.  Aus  den  glücklichen  Verhält- 
nissen der  rheinischen  Universitätsstadt,  wo  er,  der  soviel  Liebe 
und  Freundschaft  schenkte,  unter  Schülern  und  Amtsgenossen 
sehr  bald  auch  viel  Liebe  und  Freundschaft  fand,  holte  ihn 
schon  nach  vier  Jahren  im  Herbst  1913  ein  Ruf  an  einen 
noch  größeren  Wirkungskreis  nach  München.  Hier  war 
Theodor  Lipps  unheilbarem  Siechtum  verfallen.  Für  ein  psycho- 
logisches Institut  hatte  er  beim  Erweiterungsbau  der  Uni- 
versität glänzende  Räume  gewonnen;  aber  die  innere  Ein- 
richtung  fehlte    noch    fast   völlig.     Külpe   war    der   gegebene 


102  Nekrologe 

Mann,  um  die  durch  die  treue  Arbeit  von  Stumpf  und  Lipps 
in  München  geschaffenen  Werte  weiter  zu  pflegen  und  zugleich 
die  experimentelle  Seite  der  Psychologie,  die  Lipps  wenig  lag, 
zur  Entwicklung  zu  bringen.  Von  der  bayerischen  Staats- 
regierung und  der  Universitätsverwaltung  mit  allen  erwünsch- 
ten Mitteln  unterstützt,  erreichte  er  es  in  kurzer  Zeit,  das  ehe- 
malige Lippssche  psychologische  Seminar  zu  einem  mustergültigen 
psychologischen  Institut  auszubauen  —  weit  reicher  noch,  als  sein 
ehemaliges  Würzburger  Arbeitsheim  —  und  regstes  wissenschaft- 
liches Leben  in  ihm  zu  erwecken.  Auch  an  der  Leitung  der 
Übungen  des  schon  vor  seiner  Herkunft  1912  neu  begründeten 
und  mit  reichen  Lehrmitteln  ausgestatteten  philosophischen 
Seminars  konnte  er  tätigen  Anteil  nehmen.  Um  die  Akademie 
der  Wissenschaften,  der  er  seit  1914  angehörte,  machte  er  sich 
besonders  verdient  durch  einen  Arbeitsplan  für  die  Samson- 
stiftung,  in  deren  Kuratorium  er  Mitglied  wurde.  Die  Ver- 
einigung philosophischer,  naturwissenschaftlicher  und  geistes- 
wissenschaftlicher Kenntnisse  befähigte  ihn  in  besonderem 
Maße  für  diese  viel  umfassende  Aufgabe. 

Neben  einer  solchen  reichen  Lehr-  und  Verwaltungstätigkeit 
ruhte  auch  in  München  die  literarische  Produktion  nicht.  Neue 
Auflagen  älterer  Werke  erschienen;  auch  kleinere  Arbeiten  zur 
Psychologie  und  Ästhetik,  derer  schon  gedacht  wurde.  Die 
gleichfalls'^  erwähnte  Akademieabhandlung  ,Zur  Kategorien- 
lehre" (1915)  faßte  lange  Vorbereitetes  zusammen.  An  dem 
herrlichen  "^ Aufschwung,  den  der  uns  aufgedrängte  Weltkrieg 
unserem  Volke  brachte,  nahm  er  in  opferwilliger  Betätigung 
begeisterten  Anteil.  Zeugnis  davon  gibt  ein  zum  Besten  des 
vaterländischen  Unterstützungswerkes  der  Universität  gehaltener 
Vortrag:  „Die  Ethik  und  der  Krieg"  (1915).  Feinsinnig  ab- 
wägend, weiß  derselbe  einem  vielbehandelten  Gegenstand 
manche  neue  Seite  abzugewinnen.  Er  zeigt,  wie  innig  strenges 
ethisches  Empfinden  und  warmes  vaterländisches  und  natio- 
nales Fühlen  sich  bei  ihm,  dem  Lehren  Leben  war,  verbanden 
und  in  einer  auf  einen  tieferen  Sinn  der  geschichtlichen  Mensch- 


Nekrologe  103 

heitsentwicklung  vertrauenden   sittlich-religiösen  Weltanschau- 
ung den  Abschluß  fanden. 

Noch  ist  aus  dieser  Münchener  Zeit  eines  Überblicks  über 
die  Philosophie  der  Gegenwart  zu  gedenken,  den  Külpe  in 
dem  Sammelwerk:  „Deutschland  unter  Wilhelm  IL"  (1914) 
gab.  In  knappster  Form  und  trefflicher  Systematik  faßt  er, 
ohne  in  erzählendes  Detail  sich  zu  verlieren,  zusammen,  was 
er  in  der  philosophischen  Arbeit  der  Gegenwart  als  wertvoll  für 
den  Neubau  einer  im  Zusammenhang  mit  der  lebendigen  posi- 
tiven Wissenschaft  stehenden  Philosophie  der  Zukunft  erachtet. 
Die  ganze  Eigenart  seines  wissenschaftlichen  Schaffens  und 
Strebens,  das  auf  Verständnis  des  Wirklichen,  nicht  auf  selbst- 
herrliche Konstruktion  eines  vermeintlich  autonomen  Denkens, 
auf  methodische  Erarbeitung,  nicht  auf  eine  vorschnelle  an- 
geblich geniale  Intuition,  auf  Zusammenarbeiten  mit  allen  in 
den  Schachten  der  positiven  und  der  philosophischen  Wissen- 
schaften Schürfenden,  nicht  auf  selbstgefällige  Absonderung 
gerichtet  ist,  spricht  sich  aus  in  den  Sätzen,  mit  denen  er  diese 
Schrift  beschließt:  ,Die  absolute  Philosophie,  der  jetzt  wieder 
Herz  und  Sinn  sich  öffnen,  ist  nicht  schlechthin  bei  einem 
Philosophen,  in  einem  Buche  oder  an  einer  Universität  zu 
finden,  sondern  das  Ergebnis  mannigfacher  Arbeit  vieler  Orte 
und  Geister.  Sie  ist  das  große  stille  Leuchten,  das  zahlreiche 
und  weit  zerstreute  Flammen  ausstrahlt.  Wenn  die  künst- 
lichen Schirme,  durch  die  sich  diese  gegeneinander  abschließen, 
fallen,  wenn  es  nicht  mehr  darauf  ankommen  wird,  was  jede 
von  ihnen  zur  Erleuchtung  beiträgt,  dann  erst  wird  voller 
Tag  werden  und  das  Zentralfeuer  der  Philosophie,  von  allen 
Brennstoffen  des  Wissens  gespeist,  seine  Helligkeit  und  Wärme 
nach  allen  Richtungen  spenden."  Diese  wahrhaft  goldenen 
Worte  geben  uns  zugleich  die  beste  Charakteristik  von  Külpes 
eigenem  Wesen,  von  dem,  was  er  uns  war  und  was  seine 
Schriften,  fortlebend,  uns  sein  werden. 


104  Nekrologe 


Im  folgenden  gebe  ich  ein  chronologisches  Verzeichnis 
von  Külpes  Schriften.  Für  freundliche  Beihilfe  bei  der  Auf- 
stellung desselben  bin  ich  Külpes  langjährigem  Assistenten  in 
Würzburg,  Bonn  und  München,  Herrn  Professor  Dr.  Karl  Büh- 
ler, zu  Danke  verpflichtet.  Von  den  Rezensionen  sind  nur 
die  größeren  aufgenommen,  insbesondere  diejenigen,  in  denen 
Külpe  Eigenes  bietet. 

Zur  Theorie  der  sinnlichen  Gefühle.  Dissertation.  Leipzig  1887. 
Auch  in:  Vierteljahrsschrift  für  wissenschaftliche  Philosophie  Bd.  XI.  1887. 
S.  424—482.   XII.  1888.  S.  50—81. 

Die  Lehre  vom  Willen  in  der  neueren  Psychologie.  Habilitations- 
schrift. Leipzig  1888.  Auch  in:  Philosophische  Studien,  herausgeg.  von 
Wundt,  Bd.  V.    1889.    S.  179-244;  381-446. 

Wilhelm  Wundt.  In:  Vossische  Zeitung  1889.  Sonntagsbeilage. 
Nr.  46  und  47. 

Das  Problem  der  Willensfreiheit.  In :  Mitteilungen  und  Nachrichten 
für  die  evangelische  Kirche  in  Rußland,  Bd.  45  -46.    1889 — 90. 

Über  die  Gleichzeitigkeit  und  Ungleichzeitigkeit  von  Bewegungen. 
In:  Philosophische  Studien  VI.  1891.  S.  514-535;  VII.  1892.  S.  147— 168. 

Das  Ich  und  die  Außenwelt.  In:  Philosophische  Studien  VII.  1892. 
S.  394—413;  VIII.  1893.   S.  311-341. 

Grundriß  der  Psychologie.  Auf  experimenteller  Grundlage  darge- 
stellt.   Leipzig  1893. 

Ein  neuer  Apparat  zur  Controle  zeitmessender  Instrumente.  Be- 
schrieben von  0.  Külpe  und  A.  Kirschmann.  In:  Philosophische  Studien 
VIIL    1893.    S.  145—172. 

Anfänge  und  Aussichten  der  experimentellen  Psychologie.  In: 
Archiv  für  Geschichte  der  Philosophie  VL   1893.    S.  170-189;  449—467. 

Aussichten  der  experimentellen  Psychologie.  In:  Philosophische 
Monatshefte  XXX.    1894.    S.  281—294. 

Die  Aufgabe  der  Philosophie.  In:  Vossische  Zeitung  1894.  Sonn- 
tagsbeilage Nr.  27,  28. 

Einleitung  in  die  Philosophie.    Leipzig  1895.    7.  Aufl.  1915. 

Über  den  Einfluß  der  Aufmerksamkeit  auf  die  Empfindungsintensi- 
tät. In:  Dritter  internationaler  Congreß  für  Psychologie  in  München. 
1896  (München  1897).    S.  180—182. 

Über  Richard  Wagners  Kunsttheorie.  In:  Beilage  zur  Allgemeinen 
Zeitung.    1896.    Nr.  4  und  5. 


I 


Nekrologe  105 

Zur  Lehre  von  der  Aufmerksamkeit,  nach  W.  Heinrich  u.  H.  E.  Kohn. 
In:  Zeitschrift  für  Philosophie  und  philosophische  Kritik.    Bd.  110.    1897. 

5.  7-39. 

Über  die  Beziehung  zwischen  körperlichen  und  seelischen  Vorgängen. 
Zeitschrift  für  Hypnotismus  VII.     1898. 

Über  den  assoziativen  Faktor  des  ästhetischen  Eindrucks.  In:  Viertel- 
jahrsschrift für  wissenschaftliche  Philosophie,  XXlIl.    1899.   S.  145 — 183. 

Die  ästhetische  Gerechtigkeit.  In:  Preußische  Jahrbücher,  Bd.  98. 
1899.   S.  264-293. 

Über  das  Verhältnis  der  ebenmerklichen  zu  den  übermerklichen 
Unterschieden.  In:  IV|^  Congres  International  de  Psychologie  tenu  a 
Paris  1900  (Paris  1901),  p.  160-168. 

Giordano  Bruno.     Deutsche  Stimmen  I  (Köln  1900),  683—687. 

Zu  Gustav  Theodor  Fechners  Gedächtnis.  Vierteljahrsschrift  für 
wissenschaftliche  Philosophie,  Bd.  XXV.    1901.   S.  191—217. 

Die    Philosophie    der   Gegenwart   in    Deutschland.      Leipzig    1902. 

6.  Aufl.    1914. 

Über  die  Objektivirung  und  Subjektivirung  von  Sinneseindrücken. 
In:  Philos.  Studien  XIX.   1902.    S.  508-556. 

Rezension  von  K.  Groos,  Der  ästhetische  Genuß.  In:  Göttingische 
gelehrte  Anzeigen  1902.   S.  896—919. 

The  Conception  and  Classification  of  Art  from  a  Psychological  Stand- 
point.   In:  University  of  Toronto  Studies.    Psychological  Series.  IL  1902. 

Zur  Frage  nach  der  Beziehung  der  ebenmerklichen  zu  den  über- 
merklichen Unterschieden.  In:  Philos.  Studien  XVIII.  1903.  (Festschrift 
für  Wundt.)   S.  328—346. 

Ein  Beitrag  zur  experimentellen  Ästhetik.  In :  The  American  Jour- 
nal of  Psychology.   XIV.    1903.    S.  215—231  [479-495]. 

The  Problem  of  Attention  (übersetzt  von  Titchener).  The  Monist 
XIII.    1903.    S.  38  f. 

Versuche  über  Abstraktion.  In:  Bericht  über  den  I.  Kongreß  für 
experimentelle  Psychologie  in  Gießen  1904  (Leipzig  1904).   S.  56—68. 

Über  Kant.  Festrede  bei  der  Kant-Feier  der  Würzburger  Universi- 
tät am  12.  Februar  1904.    Würzburg  1904. 

Rezension  von:  W.  Freytag,  Der  Realismus  und  das  Transzendental- 
problem.   In:  Göttingische  gelehrte  Anzeigen  1904.   S.  89 — 106. 

Bemerkung  zu  der  Abhandlung  von  Kate  Gordon:  Über  das  Ge- 
dächtnis für  affektiv  bestimmte  Eindrücke.  Archiv  für  die  gesamte 
Psychologie  IV.   1905.    S.  459—464. 

Rezension  von:  Kowalewski,  Studien  zur  Psychologie  des  Pessimis- 
mus.   In:  Göttingische  gelehrte  Anzeigen  1905.   S.  89 — 115. 

Rezension  von:  W.  Freytag,  Die  Erkenntnis  der  Außenwelt.  Ebd«J 
S.  987-995. 


106  Nekrologe 

Der  gegenwärtige  Stand  der  experimentellen  Ästhetik.  Bericht 
über  den  II.  Kongreß  für  experimentelle  Psychologie  in  Würzburg  1906 
(Leipzig  1907).    S.  1—57. 

Immanuel  Kant.     Leipzig  und  Berlin  1907.    3.  Aufl.  1912. 

Ausgabe  von:  Kants  Anthropologie  in  pragmatischer  Hinsicht.  Kant- 
ausgabe der  Berliner  Akademie,  Bd.  VII.    Berlin  1907. 

Über  ästhetische  Erziehung.    In:  Baltische  Frauenzeitung  1907,  Dez. 

Rezension  von:  N.  Ach,  Über  die  Willenstätigkeit  und  das  Denken. 
Göttingische  gelehrte  Anzeigen  1907.   S.  595 -608. 

Ein  Beitrag  zur  Gefühlslehre.  In:  Bericht  über  den  III.  Intern. 
Kongr.  für  Philosophie  in  Heidelberg  1908  (Heidelberg  1909).  S.  516-555. 

Zur  Psychologie  der  Gefühle.  In:  Vl'^™«  Congres  International  de 
Psychologie  tenu  ä  Geneve  1909  (Genf  1910). 

Erkenntnistheorie  und  Naturwissenschaft.  In:  Physikalische  Zeit- 
schrift XI  (1910).  Auch  separat,  Leipzig  1910.  Auszug  in:  Verhand- 
lungen deutscher  Naturforscher  und  Ärzte.    82.  Versammlung,  1910. 

Pour  la  Psychologie  du  sentiment.  In:  Journal  de  Psychologie  nor- 
male et  pathologique  VII,  1910. 

Die  Deutsche  Philosophie  des  19.  Jahrhunderts.  In :  Freie  bayeri- 
sche Lehrerzeitung  XI  (1910),  Nr.  5. 

Zur  Geschichte  des  Realitätsbegriffs.  Atti  del  IV  Congresso  Inter- 
nazionale  di  Filosofia.  Bologna  1911.  I,  S.  41— 47.  Englisch:  Contribu- 
tion  to  the  History  of  the  Concept  of  Reality.  In:  The  Philosophical 
Review,  XXI.    1912.    S.  1  —  10. 

Über  die  moderne  Psychologie  des  Denkens  (Vortrag).  In:  Inter- 
nationale Monatsschrift  für  Wissenschaft,  Kultur  und  Technik  VI.  1912- 
S.  1069—1110. 

Über  die  Bedeutung  der  modernen  Denkpsychologie.  Bericht  über 
den  V.  Kongreß  für  experimentelle  Psychologie  in  Berlin  1912  (Leip- 
zig 1912),  117  —  118  (Auszug  aus  dem  vorhergehenden  Vortrag). 

Psychologie  und  Medizin.  Zeitschrift  für  Pathopsychologie  I.  1912. 
S.  187—267.     Auch  separat,  Leipzig  1912. 

Die  experimentelle  Ästhetik.  In:  Die  Grenzboten,  Bd.  71.  1912. 
S.  456-466. 

W.  Wundt  zum  80.  Geburtstage.  Archiv  für  die  gesamte  Psycho- 
logie XXIV.    1912.    S.  105-110. 

Wilhelm  Wundt.     Ein  Lebensbild.    In:  Gartenlaube  1912,  Nr.  38. 

Die  Realisierung.  Ein  Beitrag  zur  Grundlegung  der  Realwissen- 
schaften, Bd.  I.   Leipzig  1912. 

Artikel  „Gefühl".  In:  Handwörterbuch  der  Naturwissenschaften, 
Bd.  IV.    Jena  1913.    S.  678-685. 

Artikel  „Philosophie".  In:  Deutschland  unter  Kaiser  Wilhelm  II. 
Berlin  1914.    S.  1147-1164. 


Nekrologe  107 

Über  die  Methoden  der  psychologischen  Forschung.  Vortrag,  ge- 
halten im  Verein  für  Naturkunde  in  München  am  2.  März  1914.  In: 
Internationale  Monatsschrift  für  Wissenschaft,  Kultur  und  Technik  1914. 
S.  1053-1070;  1219-1232. 

Zur  Kategorienlehre.  Vorgetragen  am  6.  Februar  1915.  Sitzungs- 
berichte der  Kgl.  Bayer.  Akademie  der  Wissenschaften,  philos.-philol. 
und  histor.  Klasse,  Jahrgang  1915,  5.  Abhandlung.     München    1915. 

Die  Ethik  und  der  Krieg.  Nach  einem  Kriegsvortrag  der  Universität 
München,  gehalten  am  19.  Februar  1915.  (Zvrischen  Krieg  und  Frieden, 
Heft  20.)    Leipzig  1915. 

Nekrolog  auf  Theodor  Lipps.  In:  Jahrbuch  der  Kgl.  Bayer.  Aka- 
demie der  Wissenschaften  1915.   München  1915.    S.  69-80. 

Ernst  Meumann  und  die  Ästhetik.  In:  Zeitschrift  für  pädagogische 
Psychologie  und  experimentelle  Pädagogik  XVI,  1915.  S. '232 -238 
Dazu:  Antwort.  Von  0.  Külpe  (auf:  , Erwiderung  auf  die  kritischen, 
Entwicklungen  Pi-of.  Külpes  betreffend  Prof.  Meumann".  Von  G.  Stör- 
ring), ebendas.  XVII.  1916.  S.  169-170,  und:  Zur  Richtigstellung.  In: 
Archiv  für  die  gesamte  Psychologie,  Bd.  XXXV.  1916.    S.  155. 

Rezension  von:  W.  Wien,  Die  neuere  Entwicklung  unserer  Uni- 
versitäten und  ihre  Stellung  im  deutschen  Geistesleben.  In:  Die  Natur- 
wissenschaften IV.  1916.   S.  50.  _ 

Clemens  Baeumker. 

Am  6.  Oktober  1915  starb  in  Rom  Wolfgang  Heibig.  Früh, 
als  Stipendiat  des  Kaiserlichen  archäologischen  Instituts,  das 
damals  noch  eine  preußische  Anstalt  war,  nach  Rom  gekommen, 
hat  er  dort  den  größten  Teil  eines  langen,  an  Arbeit  und  An- 
erkennung reichen  Lebens  zugebracht,  bis  zum  Jahr  1887  als 
der  eine  der  beiden  Sekretare  des  Deutschen  Instituts,  seitdem 
frei  von  amtlichen  Pflichten  nur  seinen  Studien  lebend.  Diesen 
verdanken  wir,  um  nur  die  größeren  Werke  zu  nennen,  das 
grundlegende  Verzeichnis  der  „Wandgemälde  der  vom  Vesuv 
verschütteten  Städte  Campaniens"  und  die  darauf  basierten 
„Untersuchungen  über  die  campanische  Wandmalerei",  durch 
welche  er  dem  Verständnis  der  gesamten  hellenistischen  Kultur 
zu  dienen  suchte,  sodann  die  stattliche  Veröffentlichung  der 
ausgewählten  Sammlung  Barracco  und  den  „Führer  durch  die 
öffentlichen  Sammlungen  klassischer  Altertümer  in  Rom",  dessen 
allseitige  Nützlichkeit  nun  schon  eine  dritte  Auflage  lehrt. 
Ein  besonders  liebevolles  Interesse  hat  Helbisr  schon  früh  den 


108  Nekrologe 

ältesten  geschichtlichen  und  vorgeschichtlichen  Kulturentwick- 
lungen in  Italien  und  den  Mittelmeerländern  überhaupt  zuge- 
wendet. Außer  vielen  in  den  Zeitschriften  niedergelegten  Be- 
richten über  reiche  Funde  und  den  daran  anschließenden  For- 
schungen ist  hier  das  Buch  über  die  „Italiker  in  der  Po-Ebene" 
zu  nennen  und  „Das  homerische  Epos  aus  den  Denkmälern  er- 
läutert", ein  Werk,  das  viel  Anregung  geboten  und  Wider- 
spruch geweckt  hat,  dessen  Wichtigkeit  aber  gerade  durch 
die  Fortschritte  der  Forschung  und  das  unglaublich  rasche 
Anwachsen  der  Funde  immer  deutlicher,  dessen  neue,  dritte 
Bearbeitung  dadurch  aber  auch  zugleich  immer  schwieriger 
wurde.  Eine  solche  behielt  Heibig  stets  im  Auge,  suchte  ihr 
durch  mancherlei,  nach  den  verschiedensten  Seiten  weit  aus- 
greifende Untersuchungen  den  Weg  zu  ebnen,  sie  selbst  aber 
noch  in  Angriff  zu  nehmen,  ist  ihm  nicht  vergönnt  gewesen. 
Aber  die  Aufgabe  muß  gelöst  werden,  und  sie  wird  gelöst 
werden,  und  die  Forschung  wird  auf  diesem  wie  auf  so  man- 
chem anderen  Gebiete  dabei  seines  Namens  dankbar  zu  ge- 
denken haben.  Paul  Wolters. 

Am  22.  Oktober  1915  starb  im  68.  Lebensjahre  Wilhelm 
Windelband,  korrespondierendes  Mitglied  der  Akademie  seit  1904. 
In  ihm  ist  einer  der  hervorragendsten  Historiker  der  Philoso- 
phie und  ein  bedeutender  Systematiker  dahingegangen,  der 
nirgendwo  in  gebahnten  Geleisen  weiterging,  sondern  aus  der 
Fülle  einer  großen  Anschauung  heraus  überall  Neues  zu  schaffen 
verstand. 

In  Jena  Schüler  von  Kuno  Fischer,  in  Göttingen  von  Her- 
mann Lotze,  habilitierte  er  sich  1873  in  Leipzig,  wurde  1876 
zum  ordentlichen  Professor  in  Zürich  ernannt,  1877  in  gleicher 
Stellung  nach  Freiburg  berufen,  wirkte  1882  bis  1903  in  Straß- 
burg und  wurde  1903  der  Nachfolger  seines  Lehrers  Kuno 
Fischer  in  Heidelberg.  An  der  Begründung  der  Heidelberger 
Akademie  der  Wissenschaften  nahm  er  hervorragenden  Anteil. 

Die  hohe  Bedeutung  Windelbands  liegt  in  erster  Linie  in 
seiner  Stellung  als  Historiker  der  Philosophie.     Was  den  Hi- 


Nekrologe  109 

storiker  in  ihm  beseelt,  ist  nicht  so  sehr  das  rein  objektive 
Bestreben,  zu  zeigen,  „wie  es  eigentlich  gewesen" ;  vielmehr 
steht  auch  Windelbands  historische  Arbeit  durchgehend  im 
Dienste  des  systematischen  Gedankens.  Das  Biographische  und 
Literarische,  das  bei  Kuno  Fischer  einen  so  breiten  Raum  ein- 
nimmt, tritt  bei  ihm  fast  ganz  zurück.  Neue  Quellen  zu  er- 
schließen oder  durch  sorgsame  Einzelerklärung  falsche  histori- 
sche Auffassungen  zu  berichtigen,  neue  zu  begründen,  ist  nicht 
seine  Sache.  Die  Geschichte  der  Philosophie  wird  ihm  zur 
Geschichte  der  philosophischen  Probleme.  Adolf  Trendelen- 
burg in  seiner  Geschichte  der  Kategorienlehre  war  darin  in 
einem  einzelnen  Falle  vorangegangen,  Julius  Baumann  und 
andere  waren  mit  weiteren  Beispielen  gefolgt.  Aber  das  waren 
Monographien  über  Spezialfragen,  keine  Gesamtanschauung. 
Diese  prinzipielle  Auffassung  gab  Windelband. 

Zuerst  freilich  in  einer  Vorstufe.  Die  Problemgeschichte 
ist  nicht  zu  verstehen  losgelöst  von  der  allgemeinen  Kultur- 
entwicklung. Die  Kultur  und  ihre  Entwicklung  ist  nicht  nur 
das  umfassendste  Problem  der  Menschheitsentwicklung,  sondern 
das  Kulturproblem  ist  auch  Grundlage  der  philosophiegeschicht- 
lichen Betrachtung.  Das  historische  Kulturproblem  als  solches 
erfaßt  und  dem  Naturproblera  als  gleichberechtigt,  ja  über- 
legen, zur  Seite  gestellt  zu  haben,  das  erkannte  Windelband, 
ohne  je,  wie  Kuno  Fischer,  Hegelianer  gewesen  oder  ein  sol- 
cher geworden  zu  sein,  als  bleibendes  hohes  Verdienst  Hegels 
und  des  Hegelianismus  an.  So  trat  denn  die  erste  große  hi- 
storische Arbeit  Windelbands,  die  mit  unvergleichlicher  Leichtig- 
keit und  Durchsichtigkeit  der  Darstellung  geschriebene  an- 
ziehende „Geschichte  der  neueren  Philosophie  in  ihrem  Zu- 
sammenhange mit  der  allgemeinen  Kultur  und  den  besonderen 
Wissenschaften"  (Bd.  I— H,  1878.  1880.  5.  Aufl.  1911)  mit 
dem  neuen  Kulturprogramm  in  die  Öffentlichkeit.  Ist  auch, 
wie  bei  einem  ersten  Versuche  begreiflich,  die  Durchführung 
des  Programms  noch  nicht  durchweg  zu  Ende  gekommen,  so 
mußte  der  Gedanke  selbst,  einmal  programmatisch  ausgesprochen, 
doch   kräftig  weiterwirken.     Auch  in  Windelbands  systemati- 


I 


110  Nekrologe 

schem  Denken  nahm  das  Kulturproblem,  dem  später  sein  Schüler 
Rickert  die  scharfe  Form  für  die  Systematik  der  Wissenschaften 
gab,  eine  zentrale  Stellung  ein.  Seine  Philosophie  ist  nicht 
Philosophie  der  Natur,  sondern  Kulturphilosophie. 

Zur  vollen  und  umfassenden  Ausgestaltung  gelangte  die 
Auffassung  der  Philosophiegescbichte  als  Geschichte  der  Pro- 
bleme in  dem  1892  vollendeten,  in  sechs  Auflagen  erschienenen 
„Lehrbuch  der  Geschichte  der  Philosophie",  Windelbands  eigent- 
lichem Lebenswerk.  Keine  schulmäläige  Geschichte  der  Philo- 
sophie im  üblichen  Sinne,  sondern  eher  eine  Philosophie  der 
Philosophiegeschichte,  zentriert  dasselbe  die  philosophische  Be- 
wegung um  zwei  originale  Ursprünge:  die  Philosophie  der 
Griechen,  insbesondere  Piatos,  als  stets  nachwirkende  erste 
Schöpfung,  und  Kant,  als  den  Begründer  der  neuen  Denk- 
weise, welche  nicht  das  Denken  von  der  Natur,  sondern  das 
zu  bestimmende  Sein  von  der  Gesetzlichkeit  des  Denkens  ab- 
hängig macht.  In  gestaltenskräftiger  Synthese  von  Historik 
und  sachlicher  Systematik  bietet  das  Werk  nicht  nur  einen 
Reichtum  an  eigenartigen  historischen  Auffassungen  und  Zu- 
sammenhängen, sondern  zugleich  eine  treffliche  Einführung  in 
den  sachlichen  Gehalt  der  Philosophie  als  des  Werkes  des  sich 
entwickelnden  universalen  Menschengeistes.  Daß  nicht  jeder 
alle  Auffassungen  Windelbands  teilen  wird,  im  Historischen 
wie  im  Sachlichen,  ist  selbstverständlich.  Obwohl  Windelband 
vor  übelberufenem  Konstruieren  nach  den  Kategorien  des  eigenen 
Systems  sich  sorgsam  hütet,  ist  er  den  Gefahren  nicht  immer 
entgangen,  von  denen  das  Gestalten  aus  der  Einfühlung  psy- 
chologischer Motive  heraus  notwendig  begleitet  ist.  Insbeson- 
dere die  Darstellung  des  mittelalterlichen  Denkens  leidet  dar- 
unter, wo  z.  B.  die  Konstruktion  des  Voluntarismus  und  Indi- 
vidualismus des  Duns  Scotus  mehr  dem  psychologischen  Roman, 
als  der  Geschichte  angehört.  Aber  alles  in  allem  genommen, 
nimmt  das  Werk  nicht  nur  wegen  seiner  selbständigen  Eigen- 
art, sondern  auch  wegen  des  bleibenden  Wertes  und  der  Frucht- 
barkeit seiner  Ergebnisse  in  der  gesamten  neueren  philosophi- 
schen Literatur  einen  ausgezeichneten  Rang  ein. 


Nekrologe  111 

Nur  kurz  gedacht  werden  kann  hier  der  anderen  histori- 
schen Arbeiten  Windelbands.  Außer  mehreren  kleineren  Auf- 
sätzen und  Reden,  die  zum  Teil  mit  in  die  „Präludien"  auf- 
genommen wurden,  kommen  namentlich  in  Betracht  seine  im 
Freien  Hochstift  zu  Frankfurt  gehaltenen  „Vorträge  über  die 
Philosophie  im  deutschen  Geistesleben  des  19,  Jahrhunderts", 
die  für  das  ältere  Werk  über  die  neuere  Philosophie  den  Ab- 
schluß geben,  seine  großzügige  ideengeschichtliche  Übersicht 
über  das  Gesamtgebiet  der  neueren  Philosophie  in  Hinnebergs 
„Kultur  der  Gegenwart"  (1909,  2.  A.  1913);  ferner  für  die  ältere 
Zeit  sein  wundervoll  geschriebener  Plato  (1898)  und  seine  Ge- 
schichte der  alten  Philosophie  in  Iwan  Müllers  Handbuch  der 
klassischen  Altertumswissenschaft.  Die  dritte  Auflage  dieses  zu- 
erst 1888  erschienenen  Werkes,  das  sich  durch  eine  wohl  über- 
legte Systematik  auszeichnet  und  philosophisches  Eindringen  in 
die  Ideen  mit  reicher  philologischer  Literaturkenntnis  verbindet, 
wurde  1912  von  Bonhöffer  besorgt  und  in  manchem,  insbeson- 
dere für  die  hellenistische  Zeit,  gemäß  dem  jetzigen  Stande  der 
Forschung  modifiziert.  Windelbands  eigenes  produktives  Inter- 
esse hatte  sich  inzwischen  mehr  und  mehr  auf  die  Fragen  der 
systematischen  Philosophie  gelegt,  denen  schon  seine  Disserta- 
tion über  die  Lehren  vom  Zufall  und  seine  Habilitationsschrift 
über  die  Gewißheit  der  Erkenntnis  gewidmet  war. 

Seine  Beiträge  zur  systematischen  Philosophie  gab  Windel- 
band zumeist  in  zerstreuten  Einzelabhandlungen.  Ich  nenne 
aus  der  reichen  Fülle  derselben  die  „Beiträge  zur  Lehre  vom 
negativen  Urteil"  in  der  Straßburger  Festschrift  für  Eduard 
Zeller  (1884),  die  bedeutungsvolle  Straßburger  Rektoratsrede 
über  „Geschichte  und  Naturwissenschaft"  (1894),  die  beide 
Gruppen  nicht  nach  dem  Gegenstande,  sondern  nach  der  logi- 
schen Methode  ihres  wissenschaftlichen  Verfahrens  unterscheidet 
und  damit  für  die  logische  Methodenlehre  nicht  minder  wie 
für  die  schärfere  philosophische  Begriffsbestimmung  der  Kultur- 
wissenschaften einen  mit  Recht  viel  beachteten  wertvollen  An- 
stoß gab,  das  Schriftchen  „Vom  System  der  Kategorien"  (1900), 
das  für  Windelbands  erkenntnistheoretische  Stellung  in   einem 


112  Nekrologe 

zentralen  Punkte  von  besonderer  Bedeutung  ist,  eine  bündige 
Darstellung  der  Prinzipien  der  Logik  in.  einem  von  A.  Rüge 
redigierten  Sammelwerk  (1912).  Daneben  her  gehen  die  Heidel- 
berger Vorlesungen  über  Willensfreiheit  (1904)  und  die  noch 
nach  seinem  Tode  erschienene  unvollendete  „  Kriegsvorlesung " 
über  Geschichtsphilosophie  (1916),  an  der  er  mit  Anstrengung 
aller  Kräfte  noch  auf  dem  Krankenbett  diktierte.  Manches 
veröffentlichte  er  in  den  Schriften  der  Heidelberger  Akademie, 
wie  eine  Auseinandersetzung  mit  dem  Phänomenalismus.  Re- 
ligionsphilosophisch ist  eine  Abhandlung  über  das  „Heilige". 
Auch  an  der  Begründung  und  Entwicklung  der  Zeitschrift 
„Logos",  des  Zentralorgans  der  „südwestdeutschen"  oder  „ba- 
dischen" Schule  —  wie  man  den  Kreis  um  Windelband  und 
Rickert  zu  nennen  sich  gewöhnt  hatte  —  nahm  er  förder- 
samen  Anteil.  Eine  Auswahl  der  systematischen  Abhandlungen, 
verbunden  mit  zugleich  sachlich  bedeutsamen  historischen  Auf- 
sätzen, bieten  die  „Präludien"  (1883;  5.  A.  1915),  die  in  ihrer 
Verbindung  in  der  Tat  das  gesamte  System  Windelbands  seinen 
Grundzügen  nach  erkennen  lassen.  So  brachte  die  1914  er- 
schienene „Einleitung  in  die  Philosophie",  abgesehen  von  Aus- 
führungen über  Ästhetik  und  Rechtsphilosophie,  sachlich  gerade 
nichts  Neues,  wohl  aber  eine  wirksame  Zusammenfassung  in 
abgeklärter  und  vornehmer,  an  den  „Mikrokosmos"  von  Windel- 
bands Lehrer  Lotze  erinnernder  Sprache. 

Was  Windelband  in  diesen  Schriften  entwickelt,  ist  ein 
an  Kant  sich  anschließender  Neukritizisraus,  der  im  Gegensatz 
zu  anderen  gleichzeitigen  Richtungen  des  kritischen  oder  trans- 
zendentalen Idealismus,  insbesondere  zu  der  vorwiegend  mathe- 
matisch-naturwissenschaftlich orientierten  Schule  Hermann 
Cohens,  die  Philosophie  als  „Wertphilosophie",  als  eine  Theorie 
allgemeingültiger  Werturteile,  faßt.  Darin  liegt  zugleich  die 
Ablehnung  aller  dogmatischen  Metaphysik  eingeschlossen.  Kant 
ist  hier  für  Windelband  der  „AUzermalmer".  Die  von  Windel- 
band und  seinem  Kreis  eifrig  gepflegte  „ Religionsphilosophie " 
als  philosophische  Theorie  des  „Heiligen"  ist  nicht  auf  Meta- 
physik  aufzubauen,   sondern   lehrt   das  Religiöse  in   uns   und 


Nekrologe  113 

den  tatsächlichen  Religionen  in  allgemeingültiger,  apriorischer 
Weise  verstehen.  Aber  die  Philosophie  ist  nach  Ausschluß 
der  Metaphysik  nicht  zu  dem  allgemeinen  Teil  der  Einzel- 
wissenschaften herabzusetzen,  wie  der  Positivismus  wollte;  dann 
hätte  sie  keine  besondere  Aufgabe.  Das  Sein  ist  an  diese 
aufgeteilt;  aber  über  dem  Sein  gibt  es  ein  allgemeingültiges 
Sollen,  eine  Geltung  von  Normen.  Vor  dem.  Sein  stehen  die 
Werte,  wie  schon  Plato  die  Idee  des  Guten  noch  über  das 
Seiende  hinaus  setzte.  Normen  sind  nicht,  sie  gelten:  für 
Windelband  ein  grundlegender  Begriff,  welchen  er  in  seiner 
Eigenart  von  seinem  Lehrer  Lotze  übernimmt,  der  darin  auch 
den  Sinn  der  Platonischen  Idee  erblickte.  Die  Allgemein- 
gültigkeit der  Normen  aber  liegt  in  einem  Überindividuellen, 
in  dem  „reinen  Bewußtsein",  von  dem  Kant  in  den  „Prole- 
gomena"  spricht.  Nicht  wie  Fichte  nach  der  metaphysischen 
Seite  hin  entwickelt  Windelband  diesen  für  ihn  hochbedeut- 
samen Begriff,  sondern  in  rein  erkenntnistheoretischem  Sinne. 
Die  Werte  aber  zeigen  uns  nicht  den  Weg,  auf  dem  die  Dinge 
entstanden  sind  —  das  zu  erforschen  ist  Sache  der  Wissen- 
schaft von  der  Natur  — ,  wohl  aber  lehren  sie  den  Sinn  der 
Welt,  der  in  der  Kultur  sich  erschließt,  zu  deuten.  Vierfach 
sind  die  „geltenden"  Werte:  Das  Wahre,  Gute,  Schöne,  Heilige; 
vierfach  darum  auch  die  Kulturgebiete:  Wissenschaft,  Sittlich- 
keit, Kunst,  Religion;  die  vier  philosophischen  Grunddisziplinen 
der  Logik,  Ethik,  Ästhetik  und  Religionsphilosophie  sollen 
ihre  allgemeingültigen  Voraussetzungen  entwickeln  und  ihren 
bleibenden  Sinn  uns  verstehen  lehren. 

So  gestaltet  sich  Windelbands  Philosophieren,  obwohl 
überall  von  Kant  ausgehend,  doch  zu  einer  durchaus  eigen- 
artigen Weltanschauung,  getreu  seinem  oft  angeführten  Wort: 
„Kant  verstehen,  heißt  über  Kant  hinausgehen". 

Clemens  Baeumker. 

Am  18.  Mai  1915  starb  das  auswärtige  Mitglied  Wendelin 
Foerster  in  Bonn.  Geboren  1844  in  Wildschütz  im  Riesen- 
gebirge, studierte  er  zunächst  Theologie,  dann  klassische  Philo- 

Jahrbuch  1916.  8 


114  Nekrologe 

logie  und  habilitierte  sich  1874  für  romanische  Philologie,  die 
er  als  Nachfolger  von  Friedrich  Diez  an  der  Universität  Bonn 
von  1876  bis  zu  seiner  Emeritierung  1908  als  ordentlicher 
Professor  vertreten  hat.  Trotz  schwerer  körperlicher  Leiden 
war  er  auch  nach  dieser  Zeit  noch  lehrend  und  forschend  tätig. 
Als  er  sich  der  romanischen  Philologie  zuwandte,  fehlte 
es  dieser  noch  vielfach  an  zuverlässigen  Textausgaben.  Es  ist 
Foersters  schönster  Ruhmestitel,  mit  der  ganzen  Wucht  seiner 
Arbeitskraft  und  dem  furor  seines  Temperamentes  sich  in  die 
entsagungsvolle  Aufgabe  der  Herausgabe  und  kritischen  Reini- 
gung älterer  romanischer  Texte  geworfen  und  sie  in  40jährigem, 
zähem  Bemühen  in  beispielloser  Weise  gefördert  zu  haben. 
Immer  ist  die  Textkritik  der  Punkt  gewesen,  von  dem  seine 
sprach-  und  kulturgeschichtlichen  Forschungen  ausgingen  und 
zu  dem  sie,  mit  allerhand  Funden  beladen,  zurückkehrten. 
Durch  Veranstaltung  von  buchstabengetreuen  Abdrucken  und 
Lichtdruckaufnahmen  wichtiger  alter  Handschriften,  durch 
Zusammenstellung  textkritischer  Materialien  in  seinem  mit 
E.  Koschwitz  herausgegebenen  altfranzösischen  Übungsbuch 
(1884)  hat  er  für  alle  Romanisten  eine  wertvolle  Schule  der 
Kunst,  in  der  er  Meister  war,  errichtet.  So  groß  aber  bei 
ihm  die  technische  Freude  an  der  Überwindung  spezifisch  text- 
kritischer Schwierigkeiten  an  und  für  sich  sein  mochte,  so  ge- 
hörte seine  persönliche  Liebe  doch  den  Dichtungen  des  Mittel- 
alters, besonders  dem  ritterlichen  Abenteuerroman,  vor  allem 
dem  glänzendsten  Vertreter  dieser  Gattung,  Kristian  von  Troyes. 
Mit  der  Ausgabe  eines  Abenteuerromans  (Richars  li  biaus)  be- 
gann er  im  Jahre  1874  seine  romanistische  Laufbahn,  zehn 
Jahre  später  schenkte  er  uns,  nach  einer  Reihe  verschiedenar- 
tiger Texte,  den  ersten  Band  seiner  klassischen  Kristianausgabe 
und  vierzig  Jahre  später  einen  vorläufigen  Abschluß  seiner  Be- 
mühungen um  Kristian  mit  dem  Wörterbuch  und  der  zu- 
sammenfassenden Einleitung  zu  Kristians  sämtlichen  Werken 
(1914).  Endgültig  hatte  er  freilich  noch  lange  nicht  abge- 
schlossen. Das  große  Bruchstück  Kristians,  der  Gralroman, 
ferner  Neuausgaben   des  Alexius,    des   Roland,    des   Heraklius, 


Nekrologe  115 

der  Nobla  Leygon,  der  Gliglois-Roman  u.  a.  standen  auf  seiner 
Liste.  All  das  hat  der  Tod  dem  Unermüdlichen  aus  der  Hand 
genommen. 

Foerster  stöhnte  unter  der  Arbeit  und  hing  mit  allen  Fa- 
sern seines  Herzens  daran.  Hingebend  und  eigenwillig,  be- 
weglich und  hartnäckig,  feinsinnig  und  aufbrausend,  war  er 
ein  leidenschaftliches  Forschertemperament.  Immer  wieder 
brach  die  künstlerische  Subjektivität  bei  ihm  durch,  und  immer 
wieder  bändigte  er  sie  in  der  Zucht  seiner  strengen  Gelehrsam- 
keit, so  daß  seine  Arbeiten  eine  eigenartige  Mischung  und 
Vereinigung  glücklicher  Intuitionen  und  geduldig  errungenen 
Wissens,   genialer  Einfälle  und  unbeirrter  Theorien  darstellen. 

Karl  Voßler. 


Mathematisch  -  physikalische  Klasse. 

Am  11.  Juni  1915  starb  nach  nur  zweitägiger  Krankheit 
im  neunundsechzigsten  Lebensjahre  das  korrespondierende  Mit- 
glied der  mathematisch -physikalischen  Klasse,  Eduard  Riecke, 
Professor  der  Physik  in  Göttingen.  Sein  Leben  und  Wirken 
ist  aufs  Engste  verknüpft  mit  dem  stolzen  Namen  Wilhelm 
Webers,  dessen  Schüler,  Mitarbeiter   und  Nachfolger  er  war. 

Geboren  zu  Stuttgart  am  1.  Dezember  1845,  besuchte  er 
Gymnasium  und  Polytechnikum  seiner  Vaterstadt  und  bezog 
1866  die  Universität  Tübingen;  während  des  Krieges  1870 
war  er  im  Garnisonsdienst  zu  Ulm  tätig.  1871  ging  er  nach 
Göttingen,  promovierte  daselbst  mit  einer  aus  Webers  Inter- 
essenkreis hervorgegangenen  Dissertation:  „Über  die  Magne- 
tisierungszahl des  Eisens  für  schwache  magnetisierende  Kräfte", 
erhielt  noch  im  selben  Jahre  die  venia  legendi  für  Physik  und 
Mathematik  und  wurde  1873  Extraordinarius  der  Physik,  1881 
als  Nachfolger  seines  Meisters  Ordinarius  und  Instituts-Vorstand. 
Ein  volles  Menschenalter  hindurch  durfte  er  in  dieser  Stellung 
wirken,  als  Vertreter  der  Experimentalphysik,  zugleich  aber 
und  vielleicht  überwiegend  von  theoretischen  Interessen  geleitet, 
denen  er  seine  experimentelle  Arbeit  unterordnete.    Als  Studien- 


1 1  ö  Nekrologe 

freund  und  Vertrauter  von  Felix  Klein  konnte  er  an  seinem 
Teile  mitwirken  zu  der  neueren  Blüte  der  Göttinger  Universität, 
die  durch  Kleins  persönliches  und  organisatorisches  Wirken 
herbeigeführt  wurde.  Es  entsprach  ganz  seinem  wohlwollenden 
und  weitherzigen  Wesen,  daß  er  die  Entwicklung  neuer  Lehr- 
gebiete und  die  Gründung  von  Instituten,  die  nach  ihrer  Arbeits- 
richtung dem  seinigen  verwandt  waren,  neidlos  förderte.  „Selbst- 
los gabst  Du  in  Deinem  Garten,  wars  nur  echt.  Allem,  was 
wachsen  wollte,  Luft-  und  Wurzelrecht",  sagt  H.  Th.  Simon 
in  einem  Gedicht,  welches  in  der  von  Riecke  begründeten  Phy- 
sikalischen Zeitschrift  das  Wesen  des  Verstorbenen  mit  feinem 
Verständnis  schildert.  In  unsere  Akademie  wurde  Riecke  1909 
zusammen  mit  seinem  langjährigen  Mitarbeiter  W.Voigt  gewählt. 
Rieckes  wissenschaftliche  Arbeiten  waren  außerordentlich 
vielseitig.  Durch  seine  Doktorarbeit  war  er  von  Weber  auf 
das  Gebiet  des  Magnetismus  gewiesen  worden.  Er  hat  das- 
selbe bis  1884  mehrfach  bearbeitet,  teils  in  theoretischen  und 
experimentellen,  teils  auch  in  mathematischen  und  instrumen- 
tellen  Studien.  Auch  seine  Arbeiten  zur  allgemeinen  Elektro- 
dynamik in  den  siebziger  Jahren  nahmen  ihren  Ausgang  von 
Weber,  von  dem  berühmten  Weberschen  Grundgesetz,  dessen 
Folgerungen  er  in  speziellen  Fällen  zog,  und  dehnten  sich  auf 
das  gesamte  Gebiet  der  damals  strittigen  Fragen  der  Elementar- 
gesetze, der  Induktionserscheinungen,  der  Äquivalenz  von  Strö- 
men mit  magnetischen  Schichten  aus.  Eine  bedeutsame  Stellung 
nimmt  Riecke  in  der  Entwicklung  der  Elektronentheorie 
ein,  eine  Stellung,  die  etwa  die  Mitte  einnimmt  zwischen  den 
mehr  qualitativen,  voraus  ahnenden  Anschauungen  Webers 
und  der  modernen  quantitativen  Erfüllung  dieser  Ahnungen. 
Dahin  gehört  eine  rein  theoretische  Arbeit  über  die  Bewegung 
des  Elektrons  (wie  wir  heute  sagen)  im  magnetischen  Felde, 
welche  den  späteren  Arbeiten  mit  Kathodenstrahlen  in  be- 
merkenswerter Weise  vorausgriff.  Dahin  gehört  vor  allem 
seine  Theorie  der  Elektronenleitung  in  Metallen  („Zur  Theorie 
des  Galvanismus  und  der  Wärme",  „Über  das  Verhältnis  der 
Leitfähigkeiten    der   Metalle   für  Wärme    und   Elektrizität"    in 


Nekrologe  H« 

den  Annalen  der  Physik  1898  und  1900).  Hier  werden  die 
allgemeinen  Vorstellungen  von  der  Bewegung  der  freien  Elek- 
tronen und  ihrem  Energietransport  entwickelt,  insbesondere 
wird  der  Begriff  der  freien  Weglänge  aus  der  Gastheorie  auf 
die  Elektronenbewegung  übertragen  und  die  fundamentale  Be- 
deutung des  Wiedemann-Franzschen  Gesetzes  für  diese  Fragen 
herausgearbeitet.  So  konnte  im  unmittelbaren  Anschluß  an 
Riecke  sein  Schüler  Drude  den  entscheidenden  Schritt  tun  und 
durch  die  Ausdehnung  des  Boltzmannschen  Gedankenkreises 
von  der  Gleichverteilung  der  Energie  auf  Materie  und  Elek- 
tronen die  Rieckeschen  Anschauungen  quantitativ  fundieren. 
Eine  andere  Reihe  von  Arbeiten,  diejenigen  über  Pyro-  und 
Piezoelektrizität  von  Turmalin  und  Quarz,  knüpfen  an  die 
Anregungen  seiner  Tübinger  Studienzeit  bei  Reusch  an  und 
wurden  später  durch  Voigts  Theorien  befruchtet.  Er  gab  den 
Erfahrungen  auf  diesem  Gebiete  eine  kühne  theoretische  Deu- 
tung durch  seine  Vorstellung  der  in  den  Molekülen^  voraus- 
gesetzten elektrischen  Polsysteme.  Bei  den  Verhandlungen 
der  kartellierten  Akademien  über  Luftelektrizität  war 
Riecke  lebhaft  tätig,  teils  durch  zusammenfassende  Berichte, 
teils  durch  spezielle  Arbeiten  über  die  lonenbewegung  in 
dichten  Gasen. 

Auch  an  dem  Aufblühen  der  physikalischen  Chemie  hat 
Riecke,  angeregt  durch  die  reiche  Göttinger  Tätigkeit  von 
Nernst,  vielfach  mitgewirkt.  Arbeiten  über  den  osmotischen 
Druck,  über  Quell ung,  über  den  Zerfall  von  Schwefeldampf 
geben  Zeugnis  davon.  "Während  die  physikalischen  Chemiker 
bei  ihren  Betrachtungen  spezielle  Kreisprozesse  ersannen,  be- 
vorzugte Riecke  die  allgemeine  Methode  des  thermodynamischen 
Potentials,  schon  zu  einer  Zeit,  als  die  Gibbschen  Gedanken 
noch  kein  Allgemeingut  der  Wissenschaft  waren.  Nehmen 
wir  noch  ältere  Arbeiten  über  elastische  Nachwirkung  und 
über  die  Rotationen  von  Flüssigkeiten  im  magnetischen  Felde 
hinzu,  so  haben  wir  in  der  Tat  das  Bild  einer  ungemein  viel- 
seitigen und  reichen  Lebensarbeit  vor  uns. 

Mit  besonderer  Liebe  hat  Riecke  an  seinem  Lehrbuch  der 


118  Nekrologe 

Physik  gearbeitet.  Er  ließ  sich  noch  in  seinen  letzten  Jahren, 
als  ein  schweres  Augenleiden  seine  Arbeit  behinderte,  keine 
Mühe  verdrießen,  um  es  den  neuesten  Fortschritten  anzupassen. 
Obgleich  es  zunächst  als  Leitfaden  der  allgemeinen  Experi- 
mentalphysik dienen  will,  behandelt  es  in  manchen  Teilen 
recht  weitgehend  modernere  Fragen,  z.  B.  in  der  Thermo- 
dynamik die  Zustandsänderungen  auf  Grund  des  thermodyna- 
mischen  Potentials.  Auch  in  diesem  Lehrbuche  bewährt  sich 
Riecke,  wie  in  seinen  Vorträgen  und  populären  Darstellungen, 
als  hervorragender  Stilist.  Er  liebte  bei  aller  Sachlichkeit 
eine  gewählte  und  bilderreiche  Sprache.  In  der  Einleitung  zu 
seinem  Buche  gedenkt  er  dankbar  seiner  Lehrzeit  bei  Wilhelm 
Weber.  „Möchte  ein  Hauch  von  seinem  Geiste  auch  in  meiner 
Darstellung  zu  spüren  sein."  A.  Sommerfeld. 

Im  verflossenen  Jahr  hat  unsere  Akademie  einen  besonders 
schweren  Vel'lust  durch  den  Tod  ihres  korrespondierenden  Mit- 
glieds Dr.  Theodor  Boveri,  Professor  der  Zoologie  und  ver- 
gleichenden Anatomie  an  der  Universität  Würzburg,  erlitten. 
Gehörte  doch  der  Verstorbene  zu  den  führenden  Männern,  deren 
geschichtliche  Stellung  nicht  nur  durch  die  außergewöhnliche 
Bedeutung  ihrer  Entdeckungen  bedingt  ist,  sondern  vor  allem 
dadurch,  daß  sie  durch  die  Art  ihres  Forschens  das  geistige 
Niveau  des  von  ihnen  bearbeiteten  Wissensgebiets  erhöht  haben. 
Der  Verlust  ist  um  so  schmerzlicher,  als  er  uns  einen  Mann 
raubte,  welcher  auf  der  Höhe  seines  Schaffens  stand,  dessen 
Wirken  auch  für  die  Zukunft  zu  den  höchsten  Erwartungen 
berechtigte. 

Theodor  Boveri  wurde  am  12.  Oktober  1862  in  Bamberg 
geboren  als  Sohn  eines  Arztes,  der  durch  seine  hervorragende 
Begabung  für  Musik  und  Malerei  im  künstlerischen  Leben  seiner 
Heimatstadt  eine  einflußreiche  Rolle  spielte.  Die  künstlerischen 
Neigungen  des  Vaters  und  sein  warmes  Interesse  für  Natur- 
wissenschaften wurden  auch  für  den  Sohn  bestimmend,  welcher 
nach  Absolvierung  der  beiden  untersten  Klassen  des  huma- 
nistischen Gymnasiums  seiner  Vaterstadt   dasselbe   verließ  und 


Nekrologe  119 

auf  das  Realgymnasium  in  Nürnberg  übersiedelte,  um  so  Ge- 
legenheit zu  haben,  sich  besser  im  Zeichnen  und  in  den  Natur- 
wissenschaften auszubilden.  Auch  konnte  er  hier  seine  musi- 
kalische Begabung  weiterentwickeln,  da  er  im  Hause  eines 
Freundes  seiner  Eltern,  des  Musikdirektors  Steuer,  Aufnahme 
und  Unterricht  fand. 

Der  ursprüngliche  Plan  sich  der  Malerei  zu  widmen  ge- 
langte nicht  zur  Ausführung.  Als  Boveri  nach  bestandenem 
Absolutorium  sich  zum  Besuch  der  Universität  München  ent- 
schloß (1881),  entschied  er  sich  für  das  Studium  von  Philoso- 
phie und  Geschichte  und  machte  daher  nach  nur  neunmonat- 
licher Vorbereitung  die  für  das  humanistische  Absolutorium 
nötige  Ergänzungsprüfung  in  Griechisch,  Lateinisch  und  Ge- 
schichte (1882)  nach.  Der  glänzende  Ausfall  beider  Prüfungen 
ermöglichte  ihm  die  Aufnahme  in  das  Maximilianeum.  Nun- 
mehr entschied  sich  Boveri  für  das  Studium  von  Medizin  und 
Naturwissenschaften;  er  trat  dabei  in  nähere  Beziehung  zu 
Kupffer,  dessen  Assistent  er  wurde  und  unter  dessen  Leitung 
er  auch  seine  erste  wissenschaftliche  Arbeit  „Beiträge  zur 
Kenntniß  der  Nervenfasern"  anfertigte.  Als  der  Verfasser 
dieser  Zeilen  zu  Ostern  1885  als  Nachfolger  Theodor  v.  Sie- 
bolds  die  Leitung  der  zoologischen  Staatssammlung  übernahm, 
siedelte  Boveri  in  das  damals  neu  entstehende  zoologische  In- 
stitut  über  und  erwarb  sich  unter  Benützung  seiner  Arbeit 
über  die  Nervenfasern  mit  der  Note  summa  cum  laude  den 
Doktortitel  bei  der  philosophischen  Fakultät,  Für  die  freie 
Entfaltung  seiner  wissenschaftlichen  Begabung  wurde  es  von 
der  größten  Bedeutung,  daß  ihm  das  Lamontsche  Stipendium 
von  der  Fakultät  auf  drei  Jahre  verliehen  und  nach  Ablauf 
derselben  auf  weitere  zwei  Jahre  verlängert  wurde.  Dadurch 
wurde  es  ihm  ermöglicht,  volle  fünf  Jahre  seine  ganze  Tätig- 
keit ausschließlich  wissenschaftlicher  Forschung  zu  widmen, 
teils  im  zoologischen  Institut  der  Universität  München,  teils 
in  der  zoologischen  Station  Neapel.  Erst  nach  Ablauf  dieser 
Zeit  übernahm  er  im  Jahre  1891  die  Assistentenstelle  am  Mün- 
chener  zoologischen   Institut,    doch   nur   auf  kurze    Zeit.     Im 


120  Nekrologe 

Jahre  1887  hatte  sich  Boveri  für  Zoologie  und  vergleichende 
Anatomie  an  unserer  Universität  habilitiert.  Schon  im  Herbst 
1893  konnte  er  einem  ehrenvollen  Ruf  an  die  Universität 
München  als  Nachfolger  Sempers  in  der  Professur  für  Zoo- 
logie und  vergleichende  Anatomie  Folge  leisten  und  sich  früh- 
zeitig einen  Wirkungskreis  erringen,  vrelcher  allen  seinen 
Wünschen  vollauf  entsprach,  um  so  mehr  als  er  nahe  seiner 
Vaterstadt  Bamberg  lag,  wo  das  elterliche  Haus  auch  nach 
dem  Tode  des  Vaters  einen  Mittelpunkt  für  die  Familie  bildete. 
So  ist  es  denn  begreiflich,  daß  er  Würzburg  treu  blieb,  als 
ihm  das  verlockende  Anerbieten  gemacht  wurde,  Weismanns 
Nachfolger  in  Freiburg  zu  werden.  Desgleichen  lehnte  er  es 
ab,  die  Organisation  und  Direktion  des  neu  zu  gründenden 
Kaiser- Wilhelm-Instituts  für  Biologie  in  Berlin  zu  übernehmen, 
obwohl  es  bei  seiner  Arbeitsweise  für  ihn  sehr  verführerisch 
war,  an  die  Spitze  einer  großartig  geplanten  Anstalt  gestellt 
zu  werden,  an  der  die  verschiedensten  Richtungen  der  Zell- 
und  Erblichkeitsforschung,  die  morphologischen  und  experi- 
mentellen, vertreten  und  zu  gegenseitiger  Förderung  verbunden 
sein  sollten.  Viel  hat  zu  seiner  Anhänglichkeit  an  Würzburg 
auch  der  Umstand  beigetragen,  daß  er  in  den  ersten  Jahren 
seines  Aufenthalts  sich  ein  eigenes  glückliches  Heim  gründen 
konnte.  In  einer  seiner  amerikanischen  Schülerinnen,  Mar- 
cella J.  O'Grady,  fand  er  die  verständnisvolle  Lebensgefährtin, 
welche  dauernd  an  seinen  wissenschaftlichen  Forschungen  tä- 
tigen Anteil  nahm  und  in  aufopfernder  Treue  ihn  pflegte, 
als  er  im  Winter  1914/15  schwer  erkrankte  und  eine  Zeit  des 
Leidens  für  ihn  begann,  von  der  zwei  Tage  nach  seinem 
52.  Geburtstag  der  Tod  ihn  erlöste. 

Was  Boveri  eine  hervorragende  Stellung  in  der  Geschichte 
der  biologischen  Wissenschaften  für  alle  Zeiten  sichert,  sind 
seine  klassischen  Untersuchungen  über  Reifung,  Befruchtung 
und  Teilung  des  tierischen  Eies.  Sie  sind  zum  größten  Teil 
in  der  Jenaischen  Zeitschrift  (zugleich  auch  selbständig  unter 
dem  Namen  „Zellenstudien"  als  eine  Reihe  fortlaufender  Hefte), 
zum  Teil  in  anderweitigen  Zeitschriften  (Archiv  für  Entwich- 


Nekrologe  121 

lungsmechanik,  den  Sitzungsberichten  der  Gesellschaft  für 
Morph,  und  Physiol.  in  München  und  der  physikal.-med.  Ge- 
sellschaft in  Würzburg)  erschienen,  andere  wurden  in  den  Fest- 
schriften für  Kupffer,  R.  Hertwig  und  Roux  veröJBFentlicht ;  sie 
bilden  eine  fortlaufende,  zugleich  auch  ihrer  Bedeutung  nach 
aufsteigende  Reihe  beginnend  mit  der  Habilitationsschrift:  Über 
die  Bildung 'der  Richtungskörper  bei  Ascaris  megalocephala  und 
lumbricoides,  endigend  mit  der  Abhandlung:  Über  die  Ent- 
stehung der  Eugsterschen  Zwitterbienen,  welche  kurze  Zeit  vor 
seinem  Tod  erschienen  ist.  In  gleichem  Sinn  wie  der  Lehrer 
arbeiteten  die  meisten  seiner  Schülerinnen  und  Schüler.  Es 
ist  staunenswert,  mit  welch  zielbewußter  Energie  Boveri  es 
verstand,  den  Strom  der  Forschung  in  ein  gemeinsames  Bett 
zu  leiten  und  auf  ein  einheitliches  Ziel  zu  lenken.  In  letzter 
Instanz  gingen  alle  diese  Arbeiten  darauf  hinaus,  das  große 
Problem  der  morphologischen  Grundlage  der  Vererbung  auf- 
zuhellen. 

Boveri  ging  bei  seinen  Untersuchungen  vom  Askarisei 
aus,  welches  damals  durch  die  Arbeiten  Schneiders,  Nußbaums, 
Carnoys,  vor  allem  aber  E.  van  Benedens  als  ein  außergewöhn- 
lich günstiges  Objekt  erkannt  worden  war;  er  gab  die  erste 
genaue  Darstellung  der  Richtungskörperbildung  und  wies  im 
Anschluß  an  0.  Hertwig  nach,  daß  es  sich  bei  diesem  Prozeß 
um  eine  wiederholte  Zellteilung  handelt,  bei  welcher  der  über- 
wiegend größte  Teil  des  Protoplasma  dem  Ei  zufällt,  während 
die  Richtungskörper  fast  nur  aus  Kernmasse  bestehen;  er 
widerlegte  zugleich  die  Auffassung  van  Benedens  und  Weis- 
manns, welche  den  Satz  aufgestellt  hatten,  daß  mit  dem  Rich- 
tungskörper Substanzen  spezifischer  Beschaffenheit  ausgestoßen 
würden,  nach  Weismann  das  ovogene  Chromatin,  nach  van 
Beneden  die  männliche  Komponente  des  hermaphroditen  Kerns. 
Auch  gegen  die  berühmte  Hypothese  Weismanns  von  der  durch 
die  Reifeteilung  bedingten  Reduktion  des  Chromatins  auf  die 
Hälfte,  der  Chromosomen  auf  die  halbe  Zahl  nahm  er  Stellung, 
indem  er  die  Ansicht  vertrat,  daß  die  Chromosomenreduktion 
schon  im  Keimbläschen  erfolgt  sei,  eine  Ansicht,  die  er  später 


^^^  Nekrologe  ^^^^^H 

im  weiteren  Verlaufe  seiner  Untersuchungen  rückhaltlos  zu- 
gunsten der  Weismannschen  Lehre  zurückgenommen  hat. 

Wichtiger  noch  als  der  erste  Teil  der  Askaris -Unter- 
suchungen war  der  zweite  den  Befruchtungsprozeiä  behandelnde 
Abschnitt.  Aus  ihm  sind  drei  Punkte  von  fundamentaler  Be- 
deutung hervorzuheben.  Der  erste  betrifft  die  Beschaffenheit 
der  Vererbungssubstanz,  Aus  seinen  Untersuchungen  über  die 
Befruchtung  des  Seeigeleies  hatte  0.  Hertwig  den  Schluß  ge- 
zogen, daß  die  bei  der  Befruchtung  sich  vereinigenden  Kerne 
des  Eies  und  des  Samenfadens,  Eikern  und  Samenkern,  Träger 
der  Vererbung  seien,  daß  das  in  ihnen  enthaltene  Chromatin 
oder  Nuklein  die  die  Vererbung  der  väterlichen  und  mütter- 
lichen Eigenschaften  vermittelnde  Substanz,  das  Idioplasma 
Nägelis,  darstelle.  Für  die  Charakteristik  dieser  Substanz  war 
dann  von  großer  Tragweite  die  Entdeckung  Flemmings  ge- 
worden, daß  das  Chromatin  sich  bei  der  Kernteilung  zu  be- 
stimmt gestalteten  Körpern,  für  welche  Waldeyer  den  Namen 
„Chromosomen"  eingeführt  hat,  organisiere.  E.  van  Beneden 
verdankte  man  weiterhin  die  Entdeckung,  daß  im  Askarisei 
die  Chromosomen  in  gleicher  Zahl  in  Ei-  und  Samenkern, 
noch  ehe  das  Material  derselben  sich  in  der  Furchungsspindel 
vereinigt,  auftreten  und  daß  daher  die  Chromosomen  der  Fur- 
chungsspindel zur  Hälfte  vom  Samenkern,  zur  Hälfte  vom  Ei- 
kern stammen,  oder  anders  ausgedrückt,  daß  sie  zur  Hälfte 
väterlicher,  zur  Hälfte  mütterlicher  Herkunft  sind.  Diese  für 
die  Vererbungslehre  fundamental  wichtige  Entdeckung  konnte 
Boveri  durch  seine  äußerst  genauen  Beobachtungen  aufs  glän- 
zendste bestätigen. 

Die  zweite  wichtige  Verallgemeinerung  bezieht  sich  auf 
das  Verhalten  der  Chromosomen  während  der  Zeit  zwischen 
zwei  aufeinanderfolgenden  Teilungen.  Schon  Habl  hatte  den 
Satz  aufgestellt  und  durch  sorgfältige  Untersuchungen  zu  stützen 
gesucht,  daß  die  Chromosomen  in  dieser  Zeit,  in  welcher  sie 
optisch  nicht  nachweisbar  sind,  nicht  wie  man  allgemein  an- 
nahm aufgelöst  werden,  sondern  erhalten  bleiben  und  nur  in 
ihrem  Gefüge  gelockert  und  daher  unsichtbar  werden,    Boveri 


Nekrologe  123 

trat  mit  aller  Bestimmtheit  für  diese  „Individualitätstheorie  der 
Chromosomen"  ein,  indem  er  auf  das  genaueste  verfolgte,  wie 
die  bei  einer  Teilung  aus  den  Mutterchromosomen  hervorge- 
gangenen Tochterchromosomen  in  den  ruhenden  Kern  über- 
gehen und  bei  der  nächstfolgenden  Teilung  in  gleicher  Weise 
und  Anordnung,  wie  sie  verschwunden  waren,  als  Mutterchromo- 
somen dieser  Teilung  wieder  sichtbar  werden;  er  wies  ferner 
darauf  hin,  daß  jede  durch  Zufälligkeiten  einmal  bedingte  Er- 
höhung der  Chromosomenzahl  sich  dauernd  erhalte,  Boveri 
vergleicht  die  Chromosomen  Organismen,  welche  im  Kernraum 
eingeschlossen  sind,  sich  durch  Teilung  vermehren  und  abwech- 
selnd Perioden  der  Vermehrung  und  der  scheinbaren  Ruhe  durch- 
machen, wobei  letztere  die  Zeit  ihrer  größten  physiologischen 
Aktivität  bedeute,  ihrer  Beeinflussung  der  Zelltätigkeit. 

Der  dritte  wichtige  Punkt  ist  die  Entdeckung  des  Cen- 
trosoma, in  deren  Verdienst  er  sich  mit  E.  van  Beneden  teilt. 
Schon  früher  hatten  andere  Forscher  an  den  Spitzen  der  Spin- 
deln die  Polkörperchen  beobachtet  und  ihnen,  da  sie  die  Aus- 
gangszentren für  die  Spindelfasern  und  die  Protoplasmastrah- 
lung bilden,  eine  wichtige  aktive  Rolle  bei  der  Zellteilung 
beigemessen.  Das  Neue  an  den  Untersuchungen  van  Benedens 
und  Boveris  war  der  Nachweis,  daß  die  Centrosomen  besondere 
Teilungsorgane  der  Zelle  seien,  welche  sich  durch  die  Genera- 
tionsfolge der  Zellen  verfolgen  lassen,  sich  durch  biskuitförmige 
Einschnürung  vermehren  und  durch  ihre  eigene  Teilung  die 
Kern-  und  Zellteilung  auslösen.  Daß  bei  der  Befruchtung  die 
bis  dahin  teilungsunfähige  Eizelle  ihre  Teilungsfähigkeit  wieder 
gewinnt,  führt  Boveri  darauf  zurück,  daß  dem  mit  allem  für 
die  Teilung  nötigen  Material  versehenen,  aber  des  Centrosoma 
entbehrenden  Ei  durch  das  Centrosoma  des  Spermatozoon  ein 
neues  Teilungsorgan  eingeimpft  werde.  So  wurde  Boveri  dazu 
geführt,  in  der  Einführung  des  Centrosoma  das  Wesentliche 
der  Befruchtung  zu  erblicken. 

In  Ausdehnung  seiner  Untersuchungen  auf  eine  größere  Zahl 
mariner  verschiedenen  Tierstämmen  zugehöriger  Arten  konnte 
Boveri   feststellen,    daß  in  einer  Reihe  fundamentaler  Erschei- 


124  Nekrologe         ^^^^^^^^^^^^^'^H 

nungen  vollkommene  Übereinstimmung  im  Tierreich  herrsche: 
daß  die  Zahl  der  Chromosomen  ^ür  jede  Spezies  konstant  ist, 
daß  die  Chromosomen  zur  Hälfte  vom  Vater,  zur  anderen 
Hälfte  von  der  Mutter  stammen,  daß  bei  beiden  Reifeteilungen 
die  Zahl  der  Chromosomen  die  gleiche  ist  und  die  Hälfte  der 
für  die  betreffende  Art  charakteristischen  Zahl  beträgt,  daß 
die  beiden  Reifeteilungen  echte  Zellteilungen  sind.  Damit 
hatte  er  einen  sicheren  Ausgangspunkt  für  weitere  Forschungen 
gew^onnen.  Es  galt  nunmehr  in  das  Wechselverhältnis  von 
Protoplasma,  Centrosomen  und  Chromosomen  tiefer  einzudringen 
und  den  Anteil,  vi^elcher  den  einzelnen  Zellbestandteilen  bei 
der  Zellteilung,  Befruchtung  und  Vererbung  zukommt,  auf  das 
genaueste  und  mit  möglichst  exakten  Methoden  festzustellen. 
Damit  betrat  er  ein  Gebiet,  auf  welchem  er  die  Genialität 
seiner  Untersuchungsweise  aufs  glänzendste  entfalten  konnte. 
Schon  in  seinen  ersten  Arbeiten  hatte  sich  Boveri  als  ein  Be- 
obachter ersten  Ranges  erwiesen.  Auch  scheinbar  nebensäch- 
liche Dinge,  z.  B.  geringfügige  Abweichungen  vom  normalen 
Verlauf  fanden  bei  ihm  genaueste  Berücksichtigung  und  ge- 
wannen durch  die  Art,  wie  er  sie  theoretisch  zu  verwerten 
wußte,  eine  überraschende  Bedeutung.  Derartige  zufällige  Ab- 
weichungen waren  für  ihn  willkommene  Naturexperimente;  zu 
ihnen  gesellte  er  im  Fortgang  seiner  Forschungen  immer  mehr 
das  methodisch  durchdachte  und  durchgeführte  Experiment, 
eine  Forschungsweise  wie  sie  damals  zum  Studium  der  Be- 
fruchtungsvorgänge von  0.  und  R.  Hertwig  zum  ersten  Male 
angewandt  wurde;  er  entwickelte  sich  dabei  zu  dem  unüber- 
troffenen Meister  experimenteller  Zellforschung,  als  welcher  er 
in  alle  Zukunft  gelten  wird.  Unübertroffen  ist  dabei  auch  die 
geistige  Durchdringung  des  durch  Beobachtung  und  Experi- 
ment gewonnenen  Tatsachenmaterials,  die  außergewöhnliche 
Schärfe  des  Urteils,  mit  der  er  die  Tragweite  der  einzelnen 
Erscheinungen  abzuschätzen  und  aus  den  gewonnenen  Resul- 
taten neue  Probleme  zu  entwickeln  wußte.  Helfend  standen 
ihm  dabei  zur  Seite  die  nie  ermüdende  Energie,  mit  welcher 
er  sich  in  ein  Problem  vertiefen  und  in  jahrelanger  Arbeit  es 


Nekrologe  125 

zu  durchdenken  wußte,  und  ein  hohes  Maß  von  Phantasie, 
welche  seiner  Forschung  neue  Bahnen  eröffnete.  So  gestaltete 
sich  Boveris  Arbeitsweise  die  letzten  Jahrzehnte  seines  Lebens 
zu  einem  Kunstwerk  wissenschaftlicher  Forschung,  bei  dem 
'jede  Untersuchung  sich  organisch  aus  der  vorausgegangenen 
entwickelte. 

Am  schönsten  kommt  diese  Eigenart  der  Arbeitsweise  Bo- 
veris in  seinen  Untersuchungen  über  die  Natur  der  Chromo- 
somen zum  Ausdruck,  Sollte  der  Beweis  erbracht  werden,  daß 
nicht  das  Protoplasma,  sondern  die  Chromosomen  die  Träger 
der  Vererbung  sind,  so  mußte  bei  gleichbleibendem  Proto- 
plasma experimentell  das  Massen  Verhältnis  des  väterlichen  zum 
mütterlichen  Chromatin  abgeändert  und  geprüft  werden,  ob 
dann  im  Laufe  der  Entwicklung  eine  gleichsinnige  Verschie- 
bung der  Vererbungsrichtung  nachweisbar  sei.  Von  den  nach 
dieser  Richtung  unternommenen  Experimenten  haben  das  aller- 
größte Aufsehen  die  Untersuchungen  hervorgerufen,  für  welche 
später  die  Bezeichnung  „Merogonie"  geprägt  worden  ist.  0. 
und  R.  Hertwig  hatten  gezeigt,  daß  Seeigeleier,  welche  durch 
Schütteln  ihres  Eikerns  beraubt  worden  waren,  sich  bei  der 
Befruchtung  mit  Hilfe  der  eingedrungenen  Samenkerne  weiter- 
entwickelten und  sich  teilten.  Boveri  kombinierte  dieses  Ex- 
periment mit  Bastardierung.  Indem  er  durch  geeignete  Art 
der  Besamung  das  Eindringen  vieler  Samenfäden  (Polyspermie) 
verhinderte  und  so  eine  normale  Entwicklung  erzielte,  gelang 
es  ihm  Larven  zu  züchten,  welche  in  bezug  auf  ihre  Zellsub- 
stanz mütterlicher,  in  bezug  auf  ihre  Kerne  rein  väterlicher 
Herkunft  waren;  er  suchte  nun  weiter  den  allerdings  bisher 
noch  nicht  sichergestellten  Beweis  zu  erbringen,  daß  solche 
Larven  ausschließlich  väterliche  Eigenschaften  besitzen. 

Das  Experiment  war  noch  nach  zwei  anderen  Richtungen 
bedeutungsvoll.  Erstens  widerlegte  es  die  vor  allem  von  E.  van 
Beneden  vertretene  Lehre,  daß  Ei-  und  Samenkerne  als  ge- 
schlechtlich differenzierte  Kerne  „Halbkerne"  seien,  die  sich 
durch  die  Befruchtung  zu  einem  „Ganzkern"  ergänzen  müßten, 
indem    es   zeigte,    daß   die  Chromosemen    des  Vaters   für   sich 


126  Nekrologe 

allein  schon  alle  für  eine  normale  Entwicklung  nötigen  Eigen- 
schaften besitzen.  Das  Resultat  fand  später  eine  Ergänzung 
durch  die  Untersuchungen  über  künstliche  Parthenogenesis,  d.  h. 
die  durch  künstliche  Reize  ausgelöste  Entwicklung  reifer,  un- 
befruchteter Eier,  aus  denen  hervorging,  daß  auch  die  Chromo- 
somen des  in  diesen  Fällen  allein  vorhandenen  Eikerns  in 
gleicher  Weise  für  die  Entwicklung  ausreichen,  daß  der  aus 
Ei-  und  Samenkern  bestehende  Furchungskern  somit  ein  „dop- 
peltes Sortiment"  von  Chromosomen  besitzt,  ein  väterlich  und 
ein  mütterlich  abgestimmtes.  Zweitens  wurde  aber  auch  das 
Experiment  wichtig,  weil  es  zeigte,  daß  die  Chromosomenzahl 
einen  bestimmenden  Einfluß  auf  die  Kerngröße  und  die  Zahl 
und  Größe  der  am  Ende  der  Furchung  vorhandenen  Zellen 
ausübt.  Vergleicht  man  Larven  gleicher  Größe,  von  denen 
die  einen  aus  merogonen,  die  anderen  aus  normal  befruchteten 
Eiern  sich  entwickelt  haben,  so  besitzen  die  ersteren  die  dop- 
pelte Zellenzahl  der  letzteren,  dementsprechend  auch  kleinere 
Zellen  und  kleinere  Kerne.  Daß  dies  Verhalten  dadurch  be- 
dingt ist,  daß  merogone  Eier  nur  die 'halbe  Chromosomenzahl 
der  befruchteten  Eier  besitzen,  wird  dadurch  weiter  bewiesen, 
daß  die  gleiche  Proportionalität  von  Chromosomenzahl,  Kern- 
größe, Zahl  und  Größe  der  Zellen  sich  auch  beim  Vergleich 
von  Larven  aus  befruchteten  und  künstlich  parthenogenetischen 
Eiern  ergibt. 

Boveri  hatte  nun  ferner  die  interessanten  Erscheinungen 
der  „partiellen  Befruchtung"  kennengelernt.  Das  Wesen 
derselben  besteht  darin,  daß  das  besamte  Ei  sich  teilt,  bevor 
Ei-  und  Samenkern  sich  vereinigt  haben.  Die  Folge  da- 
von ist,  daß  der  Samenkern  unverändert  in  eine  Furchungs- 
kugel  zu  liegen  kommt  und  mit  dem  vom  Eikern  abstam- 
menden Kern  derselben  auf  dem  Stadium  der  Zwei-  oder 
Vierteilung  des  Eies  verschmilzt,  daß  im  weiteren  Verlaufe 
Larven  entstehen,  bei  denen  je  nach  dem  früheren  oder  spä- 
teren Eintritt  der  Kernverschmelzung  die  Hälfte  oder  ein 
Viertel  der  Zellen  zwar  das  väterliche  und  mütterliche  Chromo- 
somensortiment enthält,  der  Rest  dagegen  nur  das  mütterliche. 


Nekrologe  127 

In  den  rein  mütterlichen  Bezirken  sind  dementsprechend  die 
Zellen  und  Kerne  kleiner  und  zahlreicher  als  in  den  Bezirken, 
in  denen  es  zur  partiellen  Befruchtung  gekommen  war.  War 
in  den  bisher  besprochenen  Fällen  die  Chromosomenzahl  im 
"Vergleich  zur  Norm  auf  die  Hälfte  verringert,  so  gelang  es 
Boveri  andererseits  auch  Material  zu  gewinnen,  bei  welchem 
die  Chromosomenzahl  verdoppelt  worden  war.  Das  tritt  ein, 
wenn  experimentell  in  einem  geeigneten  Moment  die  Zellteilung 
unterdrückt  wird,  so  daß  zwar  die  Chromosomen  sich  auf  die 
doppelte  Zahl  vermehren,  das  Ei  und  sein  Centrosoma  dagegen 
ungeteilt  bleiben.  Dann  erhält  man  Larven,  deren  Kerne  die 
doppelte  Zahl  der  Chromosomen  besitzen,  bei  denen  im  Ver- 
gleich zur  Norm  die  Zellen  und  Kerne  in  halber  Zahl  vorhanden 
sind,  dafür  aber  bedeutendere  Größe  erreichen. 

Im  Anschluß  an  die  erwähnten  Untersuchungen  über  par- 
tielle Befruchtung  sei  hier  der  letzten  größeren  Veröffentlichung 
Boveris,  der  Arbeit  über  die  Eugsterschen  Zwitterbienen  ge- 
dacht. Dieselben  zeigten  die  ab  und  zu  bei  Bienen  auftretende 
Erscheinung,  daß  ein  großer  Teil  der  Eier  sich  zu  herma- 
phroditen  Individuen  entwickelt,  bei  denen  schon  in  der  äußeren 
Erscheinung  eine  Kombination  von  männlichen  und  weiblichen 
Geschlechtscharakteren  erkennbar  ist.  Da  nun  seit  Dzierzon 
bekannt  ist,  daß  bei  den  Bienen  die  Drohnen  sich  aus  partheno- 
genetischen,  die  Königinnen  und  Arbeiterinnen  aus  befruchteten 
Eiern  entwickeln,  deutete  Boveri  auf  Grund  seiner  Befunde  an 
Seeigeleiern  mit  partieller  Befruchtung  die  Bienenhermaphro- 
diten in  der  Weise,  daß  auch  hier  die  rechtzeitige  Vereinigung 
von  Ei-  und  Samenkern  unterblieben  sei;  ein  Teil  der  Fur- 
chungskerne  sei  daher  rein  mütterlicher  Herkunft,  ein  anderer 
Teil  dagegen  sei  durch  verpätete  Vereinigung  des  männlichen 
Kerns  mit  Abkömmlingen  des  Eikerns  entstanden;  es  müßten 
dann  die  Teile,  welche  nur  Kerne  der  ersten  Art  enthalten  ver- 
möge ihrer  parthenogenetischen  Entwicklung  männlich,  die  an- 
deren dagegen  weiblich  sein.  Bei  den  Eugsterschen  Hermaphro- 
diten lag  ferner  ein  Fall  von  Bastardierung  vor;  eine  italieni- 
sche Mutter  war  von  einer  deutschen  Drohne  befruchtet  worden. 


128  Nekrologe 

Nach  den  herrschenden  Anschauungen  über  Vererbung  müßten 
dann  die  männlichen  Partien  ausschließlich  mütterliche  Charak- 
tere, die  weiblichen  Partien  Bastardmerkmale  zeigen.  Durch 
eine  äußerst  sorgfältige  Analyse  einerseits  der  unterscheiden- 
den Merkmale  der  deutschen  und  italienischen  Bienen,  anderer- 
seits der  Merkmale  der  Zwitter  konnte  Boveri  nachweisen, 
daß  in  der  Tat  die  männlichen  Partien  des  Zwitters  rein  nach 
der  Mutter  geartet  waren,  die  weiblichen  Partien  dagegen  Ba- 
stardcharaktere zeigten,  eine  willkommene  Bestätigung  nicht 
nur  der  zur  Erklärung  des  Hermaphroditismus  aufgestellten 
Hypothese  von  der  partiellen  Befruchtung,  sondern  auch  der 
Deutung  der  Chromosomen  als  Vererbungsträger,  eine  Bestäti- 
gung, die  um  so  wertvoller  ist,  als  bei  einem  Teil  der  Eugster- 
schen  Zwitter,  welche  von  einer  von  deutschen  Drohnen  be- 
fruchteten deutschen  Königin  stammten,  der  Unterschied  von 
Bastardcharakteren   und   rein   mütterlichen  Charakteren  fehlte. 

Die  wichtige  Rolle,  welche  die  Chromosomen  im  Haushalt 
der  Zelle  spielen,  konnte  Boveri  noch  von  einer  anderen  Seite 
aus  beleuchten.  Weismann  hatte  auf  Grund  theoretischer  Er- 
wägungen einen  scharfen  Unterschied  zwischen  somatischen  und 
Geschlechtszellen  aufgestellt;  unter  ersteren  versteht  er  die  Trä- 
ger der  Lebensfunktionen,  welche  zur  Erhaltung  des  Individuums 
dienen,  unter  den  letzteren  die  Fortpflanzungszellen,  von  denen 
die  Erhaltung  der  Art  abhängt.  Boveri  gelang  es  nun  bei 
den  Nematoden,  besonders  schön  bei  Ascaris  megalocephala 
den  Unterschied  der  beiderlei  Zellen  an  der  Beschaffenheit 
ihrer  Chromosomen  zu  erweisen.  Bei  Ascaris  megalocephala 
behalten  die  Chromosomen  der  Geschlechtszellen  die  Beschaffen- 
heit bei,  welche  sie  in  der  ersten  Furchungsspindel  besitzen; 
in  den  somatischen  Zellen  dagegen  erfahren  die  Chromosomen 
die  „Diminution";  sie  stoßen  ihre  kolbig  verdickten  Enden 
ab,  welche  allmählich  resorbiert  werden;  im  übrigen  lösen  sie 
sich  in  zahlreiche  kleine  Chromosomen  auf,  so  daß  alle  so- 
matischen Zellen  zur  Zeit  der  Teilung  sofort  an  der  abweichen- 
den Struktur  ihrer  Chromosomen  erkannt  werden  können. 

In  der  Folgezeit  hat  Boveri   den  Versuch  gemacht,   noch 


Nekrologe  129 

tiefer  in  die  Konstitution  der  Chromosomen  einzudringen;  er 
lesfte  sich  die  Frage  vor:  Sind  die  Chromosomen  eines  und 
desselben  Kerns  alle  untereinander  von  gleicher  Beschaffen- 
heit, oder  sind  sie,  wie  es  Weismann  in  seiner  Determinanten- 
l^re  auseinandergesetzt  hat,  untereinander  verschieden,  so  daß 
einem  jeden  von  ihnen  eine  bestimmte,  vom  Schwesterchromo- 
som verschiedene  organbildende  Bedeutung  zukommt?  In  wei- 
terer Verfolgung  dieses  Gedankenganges  war  dann  zu  ent- 
scheiden, ob  nicht  sogar  innerhalb  eines  und  desselben  Chromo- 
soms die  einzelnen  Teilchen  untereinander  verschieden  wertig 
seien.  Zugunsten  der  Verschiedenwertigkeit  der  Chromosomen 
sprach  der  namentlich  von  amerikanischen  Forschern  für  In- 
sekten erbrachte,  aber  auch  bei  anderen  Tieren  (Seeigeln)  sich 
bewahrheitende  Nachweis,  daß  zwischen  den  einzelnen  Chromo- 
somen eines  Kerns  gesetzmäßig  wiederkehrende  Unterschiede 
in  Gestalt  und  Größe  mehr  oder  minder  deutlich  zu  erkennen 
sind.  Dabei  stellte  sich  heraus,  daß  —  abgesehen  von  den 
noch  zu  besprechenden  Heterochromosomen  —  von  jeder  Chro- 
mosomenart mindestens  ein  Paar  vorhanden  ist,  was  man  dar- 
auf zurückführt,  daß  die  gleiche  Chromosomenart  notgedrungen 
zweimal,  das  eine  Mal  im  väterlichen,  das  andere  Mal  im 
mütterlichen  Sortiment  wiederkehren  muß.  Es  galt  nun  zu 
entscheiden,  ob  es  nicht  möglich  sei,  die  durch  morphologi- 
sche Befunde  wahrscheinlich  gewordene  Ansicht  von  der  Ver- 
schiedenartigkeit der  Chromosome  durch  den  Nachweis  einer 
verschiedenen  physiologischen  Wirksamkeit  auf  experimentellem 
Wege  zu  erweisen.  Unterschiede  in  der  Vererbungssubstanz 
werden  uns  nur  erkennbar,  wenn  die  in  ihnen  enthaltenen 
Anlagen  sich  realisieren,  d.  h.  in  bestimmten  Eigenschaften  der 
Larve  oder  des  ausgebildeten  Tieres  zum  Ausdruck  kommen. 
Gelingt  es  einige  Arten  der  Chromosomen  aus  der  Entwick- 
lung ganz  oder  bei  einem  Teil  der  Furchungskugeln  auszu- 
schalten, so  muß  sich  das  in  der  Larve,  wenn  es  zur  Organ- 
bildung kommt,  in  mehr  oder  minder  intensiven  Entwicklungs- 
störungen äußern. 

Auf  Grund    seiner    durch   jahrzehntelanges    Studium    er- 

Jabrbucb  1016.  9 


130  Nekrologe 

worbenen  genauen  Kenntnis  der  bei  Seeigeleiern  vorkommen- 
den Entwicklungsstörungen  und  auf  Grund  ungemein  scharf- 
sinniger, vieljähriger  Gedankenarbeit  entstammender  Überle- 
gungen ist  es  Boveri  gelungen,  einen  aussichtsreichen  Weg  ex- 
perimenteller Forschung  zu  betreten  und  in  den  durch  zwei  Sper- 
matozoen  befruchteten,  „dispermen"  Eiern  ein  ausgezeichnetes 
zur  Lösung  der  Frage  geeignetes  Objekt  ausfindig  zu  machen. 
Disperme  Eier  teilen  sich,  da  sie  anstatt  des  normalen  ein- 
fachen zwei  Centrosomen  besitzen,  sofort  in  vier,  manchmal 
auch  nur  in  drei  Furchungskugeln;  sie  entwickeln  sich  zunächst 
normal,  gehen  aber  fast  stets  auf  dem  Blastulastadium  zu- 
grunde; äußerst  selten  liefern  sie  Gastrulae,  noch  seltener 
Pluteuslarven.  Isolierte  Boveri  auf  dem  Stadium  der  Drei- 
resp.  Vierteilung  die  einzelnen  Furchungskugeln  und  züchtete 
sie  getrennt  für  sich  auf,  so  gingen  die  meisten  ebenfalls  im 
Laufe  der  Entwicklung  zugrunde.  Immerhin  erhielt  er  eine 
verhältnismäßig  größere  Zahl  von  Zwerg-Gastrulae  und  Plutei. 
Am  überraschendsten  war  dabei,  daß  die  viei-  aus  den  Furchungs- 
kugeln desselben  Eies  erzüchteten  Larvenformen  in  ihrer  Ent- 
wicklungsfähigkeit meistens  die  größten  Verschiedenheiten  be- 
kunden, der  Art,  daß  eine  Furchungskugel  einen  Zwergpluteus 
liefern  kann,  während  die  anderen  früher  oder  später  zugrunde 
gehen. 

Boveri  begründet  nun  an  der  Hand  seiner  reichen  ex- 
perimentellen Erfahrungen,  weshalb  weder  Störungen  im  Proto- 
plasma noch  in  den  Centrosomen  für  diese  merkwürdigen  Re- 
sultate der  Dispermie- Experimente  verantwortlich  gemacht 
werden  können,  daß  dagegen  bei  simultaner  Drei-  oder  Vier- 
teilung eine  unregelmäßige  Verteilung  der  Chromosomen  der 
drei  Kerne  (1  Eikern,  2  Samenkerne)  eintreten  muß,  und  daß 
diese  es  ist,  welche  die  Entwicklungsstörungen  veranlaßt.  Die 
Zahl  der  Chromosomen  allein  kann  dabei  nicht  maßgebend 
-sein,  da  wir  wissen,  daß  Eier,  welche  nur  den  Eikern  oder 
nur  den  Samenkern,  also  nur  die  halbe  Chromosomenzahl  ent- 
halten, ferner  Eier  mit  verdoppelter  Chromosomenzahl  sich 
normal    entwickeln.    Und   so  bleibt  nur    übrig   an    qualitative 


Nekrologe  131 

Unterscliiede  zu  denken,  daß  die  Chromosomen  eines  „Sorti- 
ments" untereinander  verschieden  sind  und  daß  bei  ihrer  un- 
regelmäßigen Verteilung  Kerne  entstehen,  welche  nicht  alle 
zur  Entwicklung  nötigen  Arten  der  Chromosomen  enthalten. 
Die  referierten  Untersuchungen  sind  von  ganz  außerordent- 
licher Tragweite;  enthalten  sie  doch  die  Keime  zu  einer  ex- 
akten biologischen  Analyse  der  Kernsubstanzen,  einer  Analyse, 
von  der  Boveri  mit  berechtigtem  Stolz  sagen  konnte,  daß  sie 
„den  jetzigen  Methoden  der  physiologischen  Chemie  völlig 
unzugänglich  sei",  daß  »hier  die  Biologie  über  analysierende 
Mittel  von  weit  überlegener  Feinheil  verfüge". 

In  diesem  Versuch  eine  Analyse  der  Vei'erbungssubstanzen 
herbeizuführen,  ergaben  sich  für  ihn  Anknüpfungspunkte  an  die 
damals  neu  aufgefundenen  Resultate  der  Mendelschen  Bastadie- 
rungsforschung.  Boveri  war  einer  der  ersten,  welcher  auf  die 
überraschende  Übereinstimmung  der  Mendelschen  Gesetze  mit 
den  Ergebnissen  der  Chromosomenforschung  hinwies,  eine  Über- 
einstimmung, welche  sich  immer  mehr  bestätigt  hat. 

In  die  Zeit,  in  welcher  Boveri  seine  Untersuchungen 
über  qualitative  Unterschiede  der  Chromosomen  anstellte,  fiel 
die  Entdeckung  der  geschlechtsbestimmenden  Chromosomen, 
daß  bei  vielen  Tieren  zweierlei  Spermatozoen  existieren,  von 
denen  die  eine  Art  das  sogenannte  x  Chromosom  enthält,  welches 
der  anderen  Art  fehlt.  Da  die  Eier  sämtlich  das  x  Chromosom 
besitzen,  müssen  bei  der  Befruchtung  zweierlei  Individuen  ent- 
stehen, solche,  welche  zwei  und  andere,  welche  nur  ein  x  Chro- 
mosom in  ihrem  Chromosomenbestand  enthalten ;  erstere  liefern, 
wie  die  Beobachtung  ergeben  hat,  Weibchen,  letztere  Männchen. 
Da  es  sich  hier  offenbar  um  qualitative  Unterschiede  in  den 
Chromosomen  handelt,  ist  es  begreiflich,  daß  Boveri  in  diese 
interessanten  Forschungen  ebenfalls  eingriff,  teils  durch  eigene 
Untersuchungen,  teils  durch  Untersuchungen  seiner  Schüler. 
So  kamen  die  wichtigen  Arbeiten  zustande,  welche  zeigten, 
daß  bei  manchen  Nematoden  die  x  Chromosomen  durch  Ver- 
koppelung  mit  anderen  Chromosomen  verdeckt  sein  können, 
daß   ferner  Rückbildung  eines   x  Chromosoms   sowohl  Ursache 

0* 


132  Nekrologe 

von  Hermaphroditismus  werden  (Rhabdonema  nigrovenosura), 
als  auch  die  Entwicklung  von  Männchen  am  Schlüsse  einer 
Generationsfolge  parthenogenetischer  Weibchen  veranlassen 
kann  (Aphiden). 

Wenn  sich  dem  Gesagten  zufolge  Boveris  Interesse  in 
ganz  besonderem  Maße  dem  Ausbau  der  Chromosomenlehre 
zuwandte,  so  wurde  er  dadurch  nicht  verleitet,  die  wichtige 
Rolle  zu  vernachlässigen,  welche  dem  Protoplasma  und  den 
Centrosomen  zukommt.  Mehrere  Arbeiten,  auch  sie  zum  Teil 
experimenteller  Natur,  behandeln  Verbreitung,  Beschaffenheit 
und  Teilung  der  Centrosomen  und  das  Verhältnis,  in  welchem 
der  zyklische  Verlauf  ihrer  Teilungsvorgänge  zum  Zyklus  der 
Chromosomenveränderungen  steht.  Von  noch  größerer  Tragweite 
sind  die  Untersuchungen,  welche  sich  auf  die  bestimmenden 
Einflüsse  beziehen,  die  vom  Protoplasma  auf  die  Chromosomen 
ausgeübt  werden,  Untersuchungen,  welche  geeignet  sind  der 
Lehre  von  den  Chromosomen  als  Trägern  der  Vererbung  ge- 
wisse Einschränkungen  hinzuzufügen.  Besonders  beweiskräftig 
sind  in  dieser  Hinsicht  die  Experimente,  welche  zeigen  sollen, 
daß  die  Chromosomendiminution  der  Askariden  kein  auto- 
nomer Vorgang  der  Chromosomen  ist,  sondern  ein  Vorgang, 
welcher  den  letzteren  durch  die  besondere  Beschaffenheit  des 
umgebenden  Protoplasma  induziert  wird.  War  es  doch  mög- 
lich, den  Diminutionsvorgang  hinauszuschieben  und  zu  bewirken^ 
daß  die  beiden  ersten  Furchungskugeln  untereinander  gleich  blei- 
ben und  die  ursprüngliche  Chromosomenbeschaffenheit  bewahren, 
wenn  man  durch  Zentrifugieren  eine  Drehung  der  Furchungs- 
spindel  um  90"  und  dadurch  eine  gleichartige  Beschaffenheit  der 
beiden  Furchungskugeln  herbeiführt.  Durch  dieses  Experiment 
wie  durch  Beobachtungen  und  experimentelle  Erfahrungen  am 
Echinidenei  wurde  Boveri  dazu  geführt,  bei  der  Vererbung 
zweierlei  Merkmale  zu  unterscheiden,  Merkmale  allgemeinerer 
Natur,  wie  sie  im  Furchungsprozeß  gegeben  sind  und  mit  der 
Blastulabildung  ihren  Abschluß  finden,  und  Merkmale  spezieller 
Beschaffenheit,  wie  sie  bei  der  individuellen  Ausgestaltung  der 
Organe    zur  Geltung  kommen.     Erstere   sollen    durch   die  Be- 


Nekrologe  133 

schaffenheit  des  Protoplasma  bedingt  sein,  letztere  durch  die 
Chromosomen.  Auf  die  durch  die  Chromosomen  übertragenen 
Eigenschaften  will  Boveri  den  Begriff  „Vererbung"  beschränkt 
wissen,  weil  sie  allein  es  sind,  durch  die  sich  Vater  und  Mutter 
in  den  Fällen  unterscheiden,  in  denen  eine  erfolgreiche  Be- 
fruchtung möglich  ist,  sei  es,  daß  es  sich  um  Individuen  einer 
und  derselben  Art  handelt  oder  um  Individuen,  welche  ver- 
schiedenen einander  nicht  allzufern  stehenden  Arten  angehören. 

Auf  den  voranstehenden  Seiten  ist  der  Versuch  gemacht 
worden  aus  der  überreichen  Ausbeute  zytologischer  Unter- 
suchungen Boveris  die  allerwichtigsten  Ergebnisse  zusammen- 
zustellen; dieselben  lassen  erkennen,  in  wie  mannigfaltiger 
Weise  die  normalen  Vorgänge  durch  Abänderungen  im  Chromo- 
somenbestand und  in  der  Beschaffenheit  des  Protoplasma  mo- 
difiziert werden.  Von  diesen  Erfahrungen  ausgehend  hat  Bo- 
veri es  unternommen,  in  einer  äußerst  geistvollen  Schrift  ein 
einem  ihm  fremden  Wissensgebiet  entnommenes  Problem  zu 
erörtern;  es  ist  dies  die  Frage  nach  der  Ätiologie  der  Ge- 
schwülste, besonders  des  Karzinoms.  Wenn  es  ihm  auch  nicht 
gelungen  ist,  hierüber  bestimmte  Vorstellungen  oder  gar  ge- 
sicherte Resultate  zu  gewinnen,  so  bieten  seine  Auseinander- 
setzungen doch  eine  Fülle  von  Anregungen  und  weitere  Stützen 
für  die  wohl  immer  mehr  zur  allgemeinen  Geltung  gelangende 
Anschauung,  daß  die  Ursache  der  Geschwülste  nicht  in  spe- 
zifischen Krankheitserregern,  sondern  in  mehr  oder  minder 
autonomen,  wenn  auch  durch  äußere  Einflüsse  beförderten 
Abänderungen  der  normalen  Zelltätigkeit  zu  suchen  ist. 

Das  seinem  Wesen  am  meisten  sympathische  Gebiet 
der  Zellforschung  hat  Boveri,  abgesehen  von  kleineren  Er- 
örterungen, nur  zweimal  verlassen,  um  sich  mit  vergleichend 
anatomischen  Untersuchungen  zu  befassen.  Beide  Arbeiten 
fallen  noch  in  seine  Münchener  Zeit;  die  eine  behandelt  die 
Stellungsgesetze  der  Septen  der  Hexakorallien,  die  andere  die 
Frage  nach  der  von  so  vielen  Forschern  vergeblich  gesuchten 
Niere  des  Amphioxus.  Besonders  letztere  hat  seinerzeit  das 
allergrößte  Aufsehen  erregt;  denn  die  Entdeckung  der  an  die 


134  Nekrologe 

Segmentalorgane  der  Anneliden  erinnerenden  kleinen  Harn- 
kanälchen  war  nicht  nur  eine  glänzende  Beobachtungsleistung, 
sondern  wurde  auch  durch  ungemein  scharfsinnige  vergleichend 
anatomische  Erwägungen  ermöglicht.  Daß  Boveri  auch  in 
seiner  Würzburger  Zeit  der  vergleichend  anatomischen  Denk- 
weise sich  nicht  entfremdet  hat,  das  lehrt  seine  wundervolle 
Rektoratsrede:  „Die  Organismen  als  historische  Wesen". 

Man  kann  über  die  wissenschaftlichen  Veröffentlichungen 
Boveris  nicht  sprechen,  ohne  einen  hervorstechenden  Charakter- 
zug hervorzuheben,  durch  den  sie  alle  in  außergewöhnlicher 
Weise  ausgezeichnet  sind;  das  ist  die  wundervolle,  geradezu 
klassische  Darstellung,  welche  selbst  die  schwierigsten  Pro- 
bleme durch  ihn  gefunden  haben.  Wie  in  der  methodischen 
Fortbildung  seines  gesamten  Arbeitsgebietes,  so  ist  auch  im 
Aufbau  jeder  einzelnen  Untersuchung  Boveri  Künstler  und 
Forscher  zugleich.  Der  Umstand,  daß  er  gewohnt  war  mit 
einer  außergewöhnlichen  Energie  jeden  Gedankengang  bis  zu 
seinem  Ende  durchzudenken,  drückt  sich  auch  in  seiner  Dar- 
stellung aus  und  verleiht  ihr  eine  kristallklare  Durchsichtig- 
keit, wie  sie  nur  von  den  besten  Schriftstellern  erreicht  wird. 

Diese  Künstlernatur  kommt  vor  allem  in  der  Gedenkrede 
zum  Ausdruck,  welche  Boveri  bei  Gelegenheit  des  internatio- 
nalen Zoologenkongresses  in  Graz  auf  Anton  Dohrn  gehalten 
hat.  Dieselbe  ist  ein  Meisterstück  von  Charakteristik,  in  welcher 
die  Persönlichkeit  des  Mannes  plastisch  und  lebendig  heraus- 
gearbeitet ist,  voller  Anerkennung  für  seine  großen  Eigenschaften, 
ohne  daß  aber  auch  verschwiegen  worden  wäre,  was  seinen 
Leistungen  als  Forscher  hinderlich  im  Wege  stand. 

Daß  ein  Mann  von  der  besonderen  Begabung  Boveris  in 
sich  die  Eigenschaften  zu  einem  hervorragenden  akademischen 
Lehrer  in  ganz  außergewöhnlicher  Weise  vereinigte,  braucht 
kaum  hervorgehoben  zu  werden.  Er  war  ein  Meister  der 
freien  Rede;  zwar  verschmähte  er  es  durch  Pathos  auf 
seine  Zuhörer  zu  wirken;  dagegen  verstand  er  es,  durch  die 
ruhige,  folgerichtige  Entwicklung  seiner  Gedanken,  die  alles 
Wesentliche    erschöpfende    Art    seiner   Darstellung    und    seine 


Nekrologe  135 

formvollendete  Sprache  sie  an  sich  zu  fesseln  und  ihr  Inter- 
esse bis  zum  Ende  rege  zu  erhalten.  Viel  trug  dazu  bei  die 
liebevolle  Sorgfalt,  welche  er  auf  die  Vorbereitung  der  Unter- 
richtsmittel, der  Zeichnungen,  Präparate  und  Modelle  ver- 
wandte. Wie  sehr  er  es  verstanden  hat,  den  Kreis,  nament- 
lich seiner  engeren  Schüler  an  sich  zu  fesseln  und  durch  die 
Art  seiner  Unterweisung  ihre  wissenschaftliche  Leistungsfähig- 
keit zu  steigern,  davon  haben  zwei  seiner  begabtesten  Schüler, 
Prof.  Spemann  und  Baltzer,  in  ihren  dem  Lehrer  und  Freund 
gewidmeten  Nachrufen  beredtes  Zeugnis  abgelegt;  sie  lassen 
erkennen,  welchen  mächtigen  überragenden  Einfluß  er  auf  seine 
unmittelbare  Umgebung  ausübte,  was  aber  nicht  verhinderte, 
daß  seine  Schüler  nicht  nur  mit  Verehrung  und  Bewunde- 
rung, sondern  auch  mit  herzlicher  Anhänglichkeit  an  ihm 
emporschauten. 

Boveris  glänzende  Erfolge  als  Forscher  und  Lehrer  haben 
ihm  in  engeren  und  weiteren  Kreisen  reiche  Erfolge  ver- 
schafft. In  verhältnismäßig  jungen  Jahren  wurde  er  durch 
das  Vertrauen  seiner  Würzburger  Kollegen  zur  Führung  des 
Rektorats  berufen.  Die  medizinische  Fakultät  der  Universität 
Marburg  ernannte  ihn  zu  ihrem  Ehrendoktor.  Als  in  Wien 
zum  ersten  Male  die  für  biologische  Forschungen  bestimmte 
Erzherzog-Rainer-Medaille  zur  Verteilung  gelangte,  wurde  sie 
einstimmig  ihm  zuerkannt.  Die  Akademien  von  München, 
Kopenhagen,  Petersburg  und  die  American  National  Academy 
of  Sciences  wählten  ihn  zum  korrespondierenden  Mitglied.  Auch 
die  höchste  wissenschaftliche  Auszeichnung  Bayerns,  der  Maxi- 
miliansorden für  Kunst  und  Wissenschaften,  wurde  ihm  ver- 
liehen. Wie  in  dieser  Weise  die  Gegenwart  dem  Verstorbenen 
reiche  Anerkennung  hat  zuteil  werden  lassen,  so  wird  auch 
die  Zukunft  seinen  Namen  in  hohen  Ehren  halten.  Auf  viele 
Jahrzehnte  hinaus  hat  Boveri  einen  mächtig  nachwirkenden  Ein- 
fluß auf  den  Entwicklungsgang  der  biologischen  Forschung  ge- 
wonnen. Seine  Werke  werden  zu  allen  Zeiten  zu  den  klassischen 
Leistungen  auf  dem  Gebiete  der  Biologie  gerechnet  werden. 

R.  Hertwig. 


136  Nekrologe 

Am  24.  November  1915  starb  in  Straßburg  i.  Eis.  Graf 
Hermann  zu  Soims- Laubach,  einer  der  kenntnisreichsten  Bo- 
taniker unserer  Zeit. 

Geboren  am  23.  Dezember  1842  in  Laubach  (Oberhessen) 
stellt  er  eines  der  bei  uns  seltenen  Beispiele  dar,  daß  ein  Mit- 
glied der  hohen  Aristokratie  sich  ganz  der  Wissenschaft  und 
der  Universitätslaufbahn  widmet. 

Seine  botanischen  Studien  trieb  er  zunächst  in  Berlin  als 
Schüler  von  Alexander  Braun,  dann  in  Freiburg  und  Halle 
bei  de  Bary,  mit  dem  ihn  später  eine  innige,  nur  mit  dem 
Tode  de  Barys  endigende  Freundschaft  verband.  Er  habili- 
tierte sich  1866  und  ging  dann  mit  de  Bary,  der  nach  Straß- 
burg berufen  worden  war,  dorthin  als  Extraordinarius.  1879 
wurde  er  Ordinarius  und  Direktor  des  botanischen  Gartens  in 
Göttingen,  1887  nahm  er  einen  Ruf  als  Nachfolger  Eichlers 
nach  Berlin  an.  Als  aber  sein  Lehrer  und  Freund  de  Bary 
anfangs  1888  starb,  machte  Graf  Solms  die  Berufung  nach 
Berlin,  die  ihm  ohnedies  nicht  sehr  sympathisch  gewesen  war, 
rückgängig  und  wurde  de  Barys  Nachfolger  in  Straßburg. 
Dort  wirkte  er  bis  1907,  in  welchem  Jahre  er  zurücktrat, 
einerseits  weil  er  sich  wegen  eines  langjährigen  Leidens  Scho- 
nung auferlegen  mußte,  andererseits  um  sich  ganz  seinen 
wissenschaftlichen  Arbeiten  widmen  zu  können. 

Diese  waren  sehr  umfangreich  und  mannigfaltig.  Gerne 
suchte  er  dabei  abgelegene,  von  anderen  wenig  betretene  Ge- 
biete auf,  für  die  das  Material  nur  schwierig  zu  beschaffen 
war  wie  z.  B.  das  der  perasitischen  Samenpflanzen  und  die 
Phytopaläontologie.  Er  verstand  es  namentlich  auch  auf  seinen 
zahlreichen  Reisen  seltenes  Material  zusammenzubringen,  das 
er  dann  mit  großer  Sorgfalt  verarbeitete.  Seine  Schreibweise 
war  ziemlich  trocken,  der  Stil  oft  stark  latinisierend,  was  wohl 
teilweise  mit  bedingt  hat,  daß  seine  zusammenfassenden  Dar- 
stellungen weniger  Verbreitung  gefunden  haben,  als  sie  ihrem 
inneren  Werte  nach  verdient  hätten. 

Die  Richtung,   in   der  sich  seine  Arbeiten  bewegten,  war 


Nekrologe  137 

die  der  Morphologie,  der  Systematik,  der  Phytopaläontologie, 
der  Pflanzengeographie  und  der  Geschichte  der  Kulturpflanzen. 

Seine  morphologischen  Untersuchungen  waren  von  unge- 
wöhnlicher Ausdehnung  (was  gegenüber  der  immer  enger  wer- 
denden Spezialisierung  besonders  hervorgehoben  werden  muß), 
indem   sie   fast  alle   Gruppen    des  Pflanzenreiches   umfaßten*). 

Die  Algen  sowohl  des  süßen  als  des  Salzwassers  haben 
ihn  vielfach  beschäftigt.  Ihm  verdanken  wir  die  erste  ein- 
gehende Entwicklungsgeschichte  der  Süßwasser -Floridee  Ba- 
trachospermum  und  die  Aufklärung  der  Zystokarpienentwick- 
lung  der  marinen  Korallineen.  Auch  den  Siphoneen  des  Meeres 
widmete  er,  namentlich  im  Anschluß  an  seine  Untersuchung 
der  fossilen  Formen  ergebnisreiche  Arbeiten. 

Von  Pilzen  hat  er  die  fliegenbewohnende  Empusa  bear- 
beitet (was  einem  Schriftsteller,  der  sich  durch  grundloses 
Schimpfen  auf  seine  Vorgänger  hervortat,  Veranlassung  zu  der 
Bemerkung  bot,  dieser  Pilz  habe  vielfach  die  Beobachter  be- 
schäftigt „von  Goethe  bis  herunter  auf  den  Grafen  Solms"). 
Namentlich  aber  bot  ihm  seine  Reise  nach  Java  (er  war  der 
erste  Botaniker,  der  dort  in  dem  von  Treub  eingerichteten 
Laboratorium  arbeitete)  Gelegenheit  zur  Entdeckung  und  Unter- 
suchung zweier  interessanter  Pilze,  des  Ustilago  Treubii  und 
der  merkwürdigen  Gattung  Penicilliopsis. 

Unter  den  Moosen  beschäftigten  ihn  namentlich  die  Mar- 
chantiaceen,  besonders  die  Gattung  Exormotheca,  während  er 
den  Laubmoosen  Portugals  eine  hauptsächlich  ihre  Verbreitung 
berücksichtigende  Untersuchung  widmete. 

Von  Pteridophyten  war  es  auch  zunächst  wieder  eine  der 
sonderbarsten  Formen,  die  ihn  anzog:  die  der  Psilotaceen,  bei 
denen  er  die  merkwürdige  Verbreitung  durch  Brutkörper  ent- 
deckte. Dann  hat  er  dem  Aufbau  und  der  Verzweigung  von 
Isoetes,  die  manche  als  ein  „lebendes  Fossil"  betrachten,  eine 
eingehende  Studie  gewidmet.    Leider  scheint  er  den  darin  aus- 

*)  Eine  vollständige  Aufzählung  der  Solmschen  Arbeiten  ist  dem 
von  L.  Jost  verfaßten  Nekrologe  (Berichte  der  deutschen  botanischen  Ge- 
sellschaft Jahrg.  1915,  Bd.  33)  beigegeben. 


138  Nekrologe 

gesprochenen  hübschen  Gredanken  die  „vivipare"  Form  aus  dem 
Longemer  See  (die  der  Verfasser  dieser  Zeilen  vor  vielen  Jahren 
beschrieben  hatte)  zur  Prüfung  ihrer  Konstanz  in  den  Mumel- 
see  im  Schwarzwald  zu  verpflanzen,  nicht  ausgeführt  zu  haben, 
wie  denn  alles  einigermaßen  das  experimentelle  Gebiet  Strei- 
fende ihm  offenbar  wenig  „lag".  Die  Prüfung  der  von  Solms- 
Laubach  angeregten  Frage  wäre  aber  von  besonderem  Interesse, 
nicht  nur  um  den  Wettbewerb  mit  der  normalen  Form  zu  be- 
obachten, sondern  auch  weil  der  Ersatz  der  Sporenbildung  durch 
vegetative  Vermehrung  hier  noch  nicht  ganz  „fixiert"  ist. 

Die  Gymnospermen  sind  in  den  Solmsschen  Arbeiten 
(von  anatomischen  Studien  über  das  Vorkommen  des  Oxalsäuren 
Kalkes  in  der  Zellwand  abgesehen)  vertreten  durch  die  Ab- 
handlung „über  die  Sproßfolge  bei  den  Cyradeen". 

Unter  den  Angiospermen  fesselten  ihn  in  früheren  Jahren 
besonders  die  Parasiten.  Unsere  genaueren  Kenntnisse  über 
die  Saug-  und  anderen  Vegetationsorgane  der  letzteren  rühren 
in  erster  Linie  aus  Solms-Laubach  Untersuchungen  her.  Die 
Verhältnisse  sind  um  so  interessanter,  als  hier  fast  beispiel- 
lose Rückbildungen  auftreten,  die  sehr  erinnern  an  die  bei 
tierischen  Parasiten  bekannten. 

Die  Systematik  verdankt  ihm  eine  Reihe  trefPlicher  Mono- 
graphien, namentlich  auch  von  Familien,  die  ihm  durch  seine 
Parasitenstudien  nahelagen. 

Die  Phytopaläontologie  ist  ein  Gebiet,  das  die  deut- 
schen Botaniker  wenig  bebaut  haben,  wesentlich  wohl  des- 
halb, weil  fossile  Pflanzen,  deren  Struktur  erhalten  ist,  bei 
uns  nur  spärlich  zu  finden  sind. 

Solms  Bedeutung  in  dieser  Richtung  wird  wohl  am  besten 
durch  eine  Äußerung  des  ausgezeichneten  Phytopaläontologen 
Nathorst  gekennzeichnet*),  „Solms  hat  die  Paläobotanik  er- 
stens durch  eigene  ausgezeichnete  Spezialarbeiten  bereichert, 
und  er  hat  zweitens  durch  sein  Handbuch  „Einleitung  in  die 
Paläophytologie  vom  botanischen  Standpunkt  aus"  einen  über- 


*)  Bei  Jost  a.  a.  0.  p.  (106). 


Nekrologe  139 

aus  großen  und  glücklichen  Einfluß  auf  die  Entwicklung  dieser 
Wissenschaft  gehabt."  .  .  .  Namentlich  ist  dieser  Einfluß  in 
England,  wo  die  Phytopaläontologie  besonders  gepflegt  wird, 
anerkannt  worden. 

Die  Pflanzengeographie  hat  Solms  schon  bei  seinen 
Spezialstudien  nicht  aus  dem  Auge  gelassen.  Er  widmete  ihr 
aber  auch  ein  besonderes  kleines  (seine  in  Straßburg  gehaltenen 
Vorlesungen  wiedergebendes)  Buch  „Die  leitenden  Gesichts- 
punkte einer  allgemeinen  Pflanzengeographie". 

Besonders  tritt  seine  Eigentümlichkeit  und  der  Reichtum 
seiner  Kenntnisse  hervor  in  seinen  Arbeiten  über  die  Kultur- 
pflanzen und  deren  Geschichte.  Dahin  gehören  seine  Abhand- 
lungen über  „Die  Herkunft,  Domestikation  und  Verbreitung 
des  gewöhnlichen  Feigenbaumes",  die  Heimat  und  der  Ursprung 
des  kultivierten  Melonenbaumes;  , Weizen  und  Tulpe  und  deren 
Geschichte".  In  diesen  Untersuchungen  sind  die  Früchte  einer 
erstaunlichen  Gelehrsamkeit  und  die  Beobachtungen  auf  seinen 
zahlreichen  Reisen  (namentlich  in  Süd -Europa)  niedergelegt. 
Seine  letzte  Arbeit  war  noch  den  Zierpflanzen  gewidmet  — 
sie  ist  ebenso  reich  an  sonst  schwer  zu  findenden  tatsächlichen 
Mitteilungen  als  an  ungelösten  Problemen. 

Die  Mannigfaltigkeit  von  Solms'  wissenschaftlicher  Tätig- 
keit tritt  in  der  oben  gegebenen  kurzen  Übersicht  nur  mangel- 
haft hervor;  Reichtum  an  Kenntnissen  auf  den  verschiedensten 
Gebieten  und  gewissenhafte  Sorgfalt  der  Untersuchung  sind 
wohl  ihre  hauptsächlichsten  Merkmale. 

Als  Mensch  war  Graf  Solms  eine  sehr  originelle,  gewin- 
nende Persönlichkeit,  die  ihn  namentlich  auch  zu  einem  höchst 
interessanten  Reisegenossen  machte.  Mit  Vergnügen  denkt  der 
Verfasser  dieser  Zeilen  namentlich  an  im  Herbst  1881  in  der 
Normandie  und  auf  den  Kanalinseln  mit  Solms  verlebte  Tage. 

Als  akademischer  Lehrer  war  dieser  sehr  beliebt,  die  Stu- 
denten schätzten  die  eigenartige  und  frische  Persönlichkeit, 
die  in  den  Vorlesungen  viel  mehr  zum  Ausdruck  kam  als  in 
seinen  Veröfi'entlichungen.  Goebel. 


140  Nekrologe 

Am  15.  Dezember  1915  ist  in  Bonn  bei  vorübergehendem 
Aufenthalte  der  langjährige  ordentliche  Professor  der  Mathe- 
matik an  der  Universität  Würzburg,  Geheimer  Rat  Dr.  Friedrich 
Prym  nach  vollendetem  74.  Lebensjahre  gestorben. 

Friedrich  Prym  wurde  am  28.  September  1841  in  Düren 
als  Sohn  des  Tuchfabrikanten  Richard  Prym  und  seiner  Gattin 
Ernestine  geb.  Schoeller  geboren.  Nachdem  er  das  dortige 
Gymnasium  absolviert  hatte,  studierte  er  1859 — 1863  an  den 
Universitäten  Berlin,  Heidelberg  und  Göttingen.  Die  von  ihm 
in  Göttingen  1861 — 1862  gehörte  Vorlesung  Riemanns  „Über 
Funktionen  einer  veränderlichen  komplexen  Größe,  insbesondere 
elliptische  und  Abelsche"  bildete  die  Grundlage  für  seine  mathe- 
matische Ausbildung  und  für  seine  ersten  wissenschaftlichen 
Arbeiten.  Auf  Grund  der  Dissertation:  »Theoria  nova  func- 
tionum  ultraellipticarum.  Pars  prior",  in  der  zum  ersten  Male 
die  Riemannschen  Anschauungen  und  Methoden  zur  Behand- 
lung eines  speziellen  Falles  verwertet  wurden,  promovierte  Prym 
am  21.  Februar  1863  an  der  philosophischen  Fakultät  der 
Universität  Berlin.  Dann  trat  er,  nachdem  er  inzwischen  zu 
Hause  die  in  seiner  Dissertation  begonnenen  Untersuchungen 
fortgesetzt  und  im  September  1863  abgeschlossen  hatte,  als 
Volontär  in  das  Bankgeschäft  der  ihm  verwandten  Familie 
Schoeller  in  Wien  ein.  Hier  wurde  die  aus  seiner  Dissertation 
hervorgegangene  Abhandlung:  „Neue  Theorie  der  ultraellip- 
tischen Funktionen"  am  14.  Januar  1864  in  der  Sitzung  der 
math.-naturw.  Klasse  der  Akademie  vorgelegt  und  im  24.  Bande 
ihrer  Denkschriften  veröffentlicht. 

In  dem  Hauptresultate  dieser  Arbeit,  nach  welchem  der 
Quotient  zweier  Thetafunktionen ,  deren  Argumente  Summen 
von  je  3  ultraelliptischen  Integralen  1.  Gattung  sind,  sich 
algebraisch  als  Quotient  zweier  Determinanten  darstellen  lasse, 
erkannte  Prym  den  Schlüssel  für  den  allgemeinen  hyperellip- 
tischen Fall,  dessen  Behandlung  er  jetzt  unternahm.  Für  diese 
neuen  Untersuchungen  Pryms  wurde  ein  mehrwöchentliches 
Zusammensein  mit  Riemann  entscheidend,  der  sich  im  Früh- 
jahr 1865  seiner  Gesundheit  wegen  in  Pisa  aufhielt.    Erst  die 


^  Nekrologe  141 

Aufschlüsse,  welche  Prym  hier  von  Riemann  über  das  Ver- 
schwinden der  hyperelliptischen  Thetafunktionen  bekam,  ermög- 
lichten es  ihm,  seiner  Theorie  den  gesuchten  Abschluß  zu  geben, 
der  wieder  in  der  algebraischen  Darstellung  des  Quotienten 
zweier  Thetafunktionen,  deren  Argumente  nunmehr  Summen 
von  je  i? -|- 1  Integralen  sind,  als  Quotienten  zweier  Deter- 
minanten seinen  Ausdruck  fand.  Er  veröffentlichte  diese  Unter- 
suchungen, nachdem  er  inzwischen,  1865,  als  Professor  an  das 
eidgenössische  Polytechnikum  in  Zürich  berufen  worden  war, 
im  Juni  1866  unter  dem  Titel  „Zur  Theorie  der  Funktionen 
in  einer  zweiblättrigen  Fläche*  im  22.  Bande  der  Denkschriften 
der  Schweiz,  naturf.  Gesellschaft. 

Diese  Abhandlung  Pryms  wurde  für  die  Mathematik  von 
weittragender  Bedeutung;  denn  ihr  war  es,  neben  den  Ab- 
handlungen Rochs,  zu  verdanken,  wenn  die  Riemannsche  Ab- 
handlung über  die  „Theorie  der  Abelschen  Funktionen",  die 
in  ihrer  knappen  Darstellungsform,  ihrer  Gedankenfülle  und 
ihrer  Tiefe  für  die  mathematische  Welt  bis  dahin  ein  Buch 
mit  sieben  Siegeln  geblieben  war,  nunmehr  zum  Gemeingut 
der  Mathematiker  und  damit  zugleich  zu  einem  vielumworbenen 
Objekt  weiterer  Forschung  wurde. 

Im  Jahre  1866  starb  am  20.  Juli  Riemann,  am  21.  No- 
vember der  vorher  genannte  Roch  und  Prym  fiel  nun  zunächst 
allein  die  Aufgabe  zu,  die  Riemannsche  Lehre  weiterzuführen. 
Welcher  Art  die  Untersuchungen  waren,  die  Prym  in  den  nun 
folgenden  Jahren  in  dieser  Richtung  anstellte,  sehen  wir  aus 
den  Abhandlungen,  die  er,  1869  als  ordentlicher  Professor  an 
die  Universität  Würzburg  berufen,  in  diesem  Jahre  von  dort 
aus  im  70.  und  71.  Bande  des  Journals  für  die  r.  und  a. 
Mathematik  veröffentlichte. 

Prym  ging  hier  von  dem  Resultate  Riemanns  aus,  daß  zu 
jeder  willkürlich  gewählten  mehrblättrigen  Fläche  immer  eine 
Gruppe  sogenannter  Abelscher,  in  der  zerschnittenen  Fläche 
einwertiger  Integrale  existiert,  und  daß  diese  durch  die  Be- 
dingung,  den  gleichzeitigen    partiellen  Differentialgleichungen 


142  Nekrologe 

9m         dV     du  dV  „  1   j        1  ,  ...  ,^ 

—  =  — ,  —  =  —  —  zu  ffenuffen,  und  durch  passend  gewählte 

Grenz-  und  Unstetigkeitsbedingungen  vollständig  bestimmt  wer- 
den können,  und  erkannte  die  Möglichkeit  eines  Fortschrittes 
in  der  Funktionentheorie  darin,  das  genannte  System  von  Dif- 
ferentialgleichungen unter  Zugrundelegung  neuer  charakteri- 
stischer Grenzbedingungen  zu  integrieren.  Solche  Bedingungen 
aber  erhielt  er,  indem  er  das  Verhalten  der  Abelschen  Inte- 
grale, beim  Überschreiten  der  Querschnitte  um  Konstanten 
zuzunehmen,  dahin  verallgemeinerte,  daß  sie  bei  diesem  Über- 
schreiten in  ganze  lineare  Ausdrücke  von  sich  selbst  übergehen 
sollen.  Prym  veröffentlichte  damals  nur  die  Hauptresultate 
seiner  Untersuchungen ;  das  in  der  ersten  Abhandlung  gegebene 
Versprechen,  daß  diese  in  ihrer  Gesamtheit  in  kurzer  Zeit  ver- 
öffentlicht werden  sollen,  hat  er  erst  40  Jahre  später  durch 
das  unten  genannte  im  Jahre  1911  erschienene  gemeinsame 
Werk  mit  Rost  eingelöst;  damals  wandte  er  sich  anderen 
Untersuchungen  zu. 

Vom  Juni  1876  stammt  eine  Abhandlung  „Zur  Theorie 
der  Gammafunktion"  (J.  f.  Math.,  Bd.  82),  in  der  Prym  zeigt, 
daß  jede  der  beiden  durch  Zerlegung  der  Funktion  F  {is)  in 
eine  Reihe  von  Partialbrüchen  einerseits  und  eine  Reihe  von 
ganzen  Potenzen  von  z  andererseits  entstehenden  Funktionen 
P(^)  und  Q{ß)  durch  ebenso  einfache  Bedingungen  wie  r{z) 
selbst  vollständig  definiert  werden  kann,  und  vom  März  1877 
datiert  Prym  seinen  „Beweis  eines  Riemannsclien  Satzes"  (J.  f. 
Math.,  Bd.  83),  in  welchem  er  zeigt,  daß  jede  in  der  w-blätt- 
rigen,  die  Verzweigung  der  durch  eine  irreduzible  Gleichung 
F{s,  ^)  =  0  definierten  algebraischen  Funktion  s  von  z  reprä- 
sentierenden Fläche  T  einwertige  Funktion  o,  die  nur  für  eine 
endliche  Anzahl  von  Punkten  der  Fläche  von  ganzzahliger, 
endlicher  Ordnung  unendlich  wird,  eine  rationale  Funktion  von 
z  und  s  ist. 

Im  Herbste  1878  wurde  Prym  durch  einen  Zufall  an  eine 
Formel  erinnert,  welche  ihm  Riemann  1865  bei  ihrem  Zu- 
sammensein in  Pisa  mitgeteilt  und  für  welche  er  damals  nach 


Nekrologe  143 

Riemanns  Angaben  einen  Beweis  verfaßt  hatte.  Prym  ver- 
öffentlichte jetzt  diesen  Beweis;  er  stellte  ferner,  um  die  Natur 
der  bewiesenen  Formel,  die  er  die  Riemannsche  Thetaformel 
nannte,  klar  zu  stellen,  eine  Formel  von  allgemeinem  Charakter 
auf,  welcher  an  Stelle  des  jener  zugrunde  liegenden  speziellen 
involutorisch-orthogonalen  Systems  das  allgemeinste  derartige 
System  untergelegt  ist.  In  zwei  weiteren  Abhandlungen  er- 
gänzte er  die  von  Riemann  in  der  Vorlesung  vom  W.-S.  1861/62 
behandelte  Charakteristikentheorie  und  zeigte  mit  deren  Hilfe 
endlich  in  einer  fünften  Abhandlung,  wie  man  aus  der  Rie- 
mannschen  Thetaformel  alle  jene  Formeln  ableiten  kann,  welche 
andere  Mathematiker  zur  Gewinnung  der  Additionstheoreme 
der  Thetafunktionen  und  der  zwischen  ihnen  bestehenden  alge- 
braischen Beziehungen  aufgestellt  hatten.  Diese  5  Abhand- 
lungen erschienen  1882  zusammen  unter  dem  Titel:  „Unter- 
suchungen über  die  Riemannsche  Thetaformel  und  die  Rie- 
mannsche Charakteristikentheorie." 

Aber  damit  waren  Pryms  Arbeiten  über  die  Riemannsche 
Thetaformel  nicht  abgeschlossen.  Nachdem  er  einen  zweiten 
Beweis,  der  sich  auf  die  Bestimmung  der  Thetafunktion  durch 
ihre  Periodizitätseigenschaften  gründet,  schon  1880  gefunden 
und  als  „Kurze  Ableitung  der  Riemannschen  Thetaformel"  im 
93.  Bande  des  Journals  für  Mathematik  veröffentlicht  hatte, 
bemerkte  er  im  Juli  1882,  daß  man  diese  Formel  auch  unter 
Verzicht  auf  alle  funktionentheoretischen  Hilfsmittel  durch 
direkte  Umformung  der  ihre  linke  Seite  darstellenden  4  ^p-fach 
unendlichen  Reihe  erhalten  kann,  wenn  man  nur  das  von 
Jacobi  zur  Gewinnung  ähnlicher  Formeln  angewandte  Ver- 
fahren der  Einführung  neuer  Summationsbuchstaben  vermittelst 
einer  linearen  Substitution  mit  der  Einschiebung  eines  Faktors 
verbindet,  der  (von  ähnlicher  Wirkung  wie  der  Dirichletsche 
diskontinuierliche  Faktor  bei  den  bestimmten  Integralen)  ge- 
stattet, die  zunächst  eingetretene  Beschränkung  der  neuen  Sum- 
mation  aufzuheben.  Den  auf  diesem  direkten  Wege  gewon- 
nenen Beweis  der  Riemannschen  Thetaformel  veröffentlichte 
Prym  1883  im  3.  Bande  der  Acta  mathematica.    Er  hatte  aber 


144  Nekrologe 

zugleich  erkannt,  daß  das  nämliche  Verfahren  zur  Herstellung 
viel  allgemeinerer  Thetaformeln  angewandt,  und  weiter,  dalä 
aus  diesen  noch  andere,  der  Kiemannschen  Thetaformel  ähn- 
liche Formeln  abgeleitet  werden  können.  Diesen  beiden  Auf- 
gaben, mit  denen  sich  schon  zwei  weitere  im  3.  Bande  der  Acta 
mathgmatica  veröffentlichte  Abhandlungen  beschäftigt  hatten, 
waren,  zusammen  mit  einer  neuen  Behandlung  der  Transfor- 
mationstheorie, jene  Untersuchungen  gewidmet,  welche  Prym 
und  ich,  den  er  schon  seit  1881  zu  seinen  wissenschaftlichen  Ar- 
beiten herangezogen  hatte,  vom  Anfange  des  Jahres  1883  an  in 
sechsjähriger  gemeinsamer  Tätigkeit  anstellten  und  deren  Ergeb- 
nisse ich  l891,  nachdem  wir  durch  meine  Berufung  nach  Straß- 
burg 1889  getrennt  worden  waren,  auszugsweise  als  „Neue  Grund- 
lagen einer  Theorie  der  allgemeinen  Thetafunktionen"  herausgab. 

Die  wiederholte  Beschäftigung  mit  den  orthogonalen,  in- 
volutorischen  und  orthogonal-involutorischen  Substitutionen  gab 
Prym  Veranlassung,  die  Darstellung  der  Koeffizienten  dieser 
Substitutionen  durch  voneinander  unabhängige  Parameter,  die 
bisher  nur  für  die  orthogonalen  Substitutionen  behandelt  wor- 
den war,  auch  für  die  involutorischen  und  die  orthogonal- 
involutorischen  durchzuführen.  Die  vollständige  Lösung  dieser 
Aufgabe  hat  er  im  November  1891  der  Göttinger  Gesellschaft 
der  Wissenschaften  vorgelegt  und  im  38.  Bande  ihrer  Abhand- 
lungen veröffentlicht. 

Inzwischen  hatte  Prym  an  Rost  einen  neuen  Mitarbeiter 
gefunden  und  ging  im  November  1892  mit  diesem  an  die  Er- 
gänzung und  Ausarbeitung  jener  Untersuchungen,  welche  er 
vor  mehr  als  zwanzig  Jahren  über  Funktionen,  die  beim  Über- 
schreiten der  Querschnitte  in  lineare  Ausdrücke  von  sich  selbst 
übergehen,  begonnen  und  deren  damalige  Hauptergebnisse  er 
im  Journal  für  Mathematik  veröffentlicht  hatte. 

Es  handelte  sich  bei  diesen  Funktionen,  für  welche  jetzt 
der  Name  „Prymsche  Funktionen  1.  Ordnung"  gewählt  wurde, 
um  Funktionen  W  der  komplexen  Veränderlichen  ^,  welche 
dadurch  charakterisiert  sind,  daß  sie  in  vorgegebener  Weise 
unstetig  werden  und  daß 


Nekrologe  145 

längs  a,. :  W+  =  Ä„  W'  +  51., , 

längs  b,. :  W+  =  B,.  W~  -f  33..,  (v^l,2...,p) 

längs  c,.:W+=--       ir-  +  6„ 

endlich    für    die    nach    den    Unstetigkeitspunkten     führenden 
Schnitte  l„ 

längs  L:W+^W--{-2  7ii2a  (a  =  l,  2...) 

ist;  dabei  bestehen  zwischen  den  Konstanten,  für  welche  mod. 
Ay  =  mod.  JBy  =  l  ist,  die  Relationen : 

(1  —  By)%y  —  (1  —  A)25.  =  (S.,     i:(5.  +  27iii;8,  =  0. 

r  n 

Die  von  Prym  und  Rost  1911  veröffientlichte  Theorie  dieser 
Funktionen  umfaßt  zwei  Teile;  in  dem  ersten,  den  „Grund- 
lagen der  Theorie"  wird  der  Existenzbeweis  der  Funktionen 
erbracht,  die  Aufgabe  des  zweiten  Teiles  „Das  System  der 
Funktionen*  besteht  darin,  aus  den  Funktionen  W  gewisse  ein- 
fachste auszuwählen,  aus  denen  sich  alle  anderen  linear  zu- 
sammensetzen lassen,  und  die  zwischen  diesen  Eleraentarfunk- 
tionen  bestehenden  Beziehungen  zu  ermitteln. 

Haben  alle  2p  Größen  J.,  B  den  Wert  1,  so  sind  die 
Funktionen  W  die  Funktionen  der  Riemannschen  Theorie. 
Während  nun  in  den  anderen  Fällen  ohne  weiteres  Funktionen 
gebildet  werden  können,  welche  nur  an  einer  Stelle  logarith- 
misch unendlich  werden,  ist  dies  bekanntlich  in  der  Riemann- 
schen Theorie  nicht  der  Fall;  die  Verfasser  haben  aber  ge- 
funden, daß  auch  für  diese  eine  nur  in  einem  Punkte  logarith- 
misch unendlich  werdende  Funktion  geschaffen  werden  kann, 
.wenn  man  auf  die  Konstanz  der  Periodizitätsmodulen  an  den 
Schnitten  6  verzichtet.  Die  Konstruktion  dieser  Funktion 
Pol«|,  für  welche 

längs  tty :  P+  =i=  P-, 

längs  &. :  P-l-  =  P-  +  -w,.(^-)  -  2u„{r})  _  ^  _^  «- 
p  P  P 

längs  Cy :  P^  =  P- , 

P 
längs  l,j  :  P+  =  P-  •{•  27ii 

Jahrbuch  1916.  10 


•14:6  Nekrologe 

ist,  wo  die  h,,  die  aus  der  Riemannschen  Theorie  bekannten 
Konstanten  vertreten,  und  die  also  keine  Funktion  W  im  bis- 
herigen Sinne  ist,  bildet  das  interessanteste  Resultat  der  ganzen 
Theorie.  Mit  ihrer  Hilfe  gelingt  den  Verfassern  dann  auch 
der  Aufbau  der  Riemannschen  Thetafunktion,  mit  welchem  das 
Werk  abschließt.  Es  wurde  kurz  vor  dem  70.  Geburtstage 
Prjms  1911  den  Mathematikern  in  einem  stattlichen  Quart- 
band von  550  Seiten  unter  dem  Titel:  „Theorie  der  Prymschen 
Funktionen  erster  Ordnung,  im  Anschluß  an  die  Schöpfungen 
Riemanns"  überreicht. 

Wie  der  Titel  andeutet,  bilden  diese  Funktionen  die  ein- 
fachste Klasse  allgemeinerer,  der  sogenannten  Prymschen  Funk- 
tionen iVter  Ordnung  und  im  Vorworte  ihres  Werkes  sprechen 
die  Verfasser  die  HoiFnung  aus,  daß  es  ihnen  vergönnt  sei, 
auch  diese,  in  ihren  Grundzügen  schon  vorhandene  Theorie  in 
gemeinsamer  Arbeit  ausführlich  zu  entwickeln.  Diese  HoflF- 
nung  ist  leider  nicht  in  Erfüllung  gegangen,  obwohl  Prym 
noch  in  den  letzten  Monaten  seines  Lebens  an  dem  Werke 
rastlos  gearbeitet  hatte. 

Im  Jahre  1897/98  bekleidete  Prym  das  Amt  des  Rektors 
der  Universität;  seine  am  Stiftungstage  der  Hochschule  ge- 
haltene Festrede  behandelte  „die  Entwicklung  der  griechischen 
Mathematik  von  ihren  Anfängen  bis  zu  ihrem  Höhenpunkte". 

Die  Hauptvorlesungen  Pryms  betrafen  Differentialrechnung, 
Integralrechnung  und  Funktionentheorie.  Sie  waren  in  Inhalt, 
Methode  und  Form  das  Resultat  unermüdlicher  Arbeit.  Der 
Inhalt  war  bis  in  jede  Einzelheit  richtig,  die  Methode  streng, 
die  Form  klar  und  sorgfältig  ausgefeilt.  Diese  Eigenschaften 
verliehen  Pryms  Vorlesungen  bedeutenden  pädagogischen  Wert. 

Am  31.  März  1909  vollendete  Prym  das  40.  Jahr  seiner 
Tätigkeit  als  ordentlicher  Professor  in  Würzburg;  er  hatte  zu 
diesem  Termine  um  Enthebung  von  der  Verpflichtung  zur  Ab- 
haltung von  Vorlesungen  gebeten,  blieb  aber  auf  Wunsch  des 
Ministeriums  noch  bis  zttm   1.  Oktober  1909  im  Amte. 

1872  hat  Prym  einen  glänzenden  Ruf  an  die  neu  errich- 
tete Universität  Straßburg  abgelehnt;    ebenso  1886   einen  sol- 


Nekrologe  l47 

eben  an  die  Technische  Hochschule  seiner  rheinischen  Heimat, 
Aachen. 

Zu  seinem  70.  Geburtstag  hat  die  Stadt  Würzburg  Prym 
zu  ihrem  Ehrenbürger  ernannt;  zu  seinem  50jährigen  Doktor- 
jubiläum verlieh  ihm  die  Universität  ihre  Ehrenraünze  in  Gold; 
beide  Ehrungen  brachten  den  Dank  für  hervorragende  Leistungen 
auf  gemeinnützigem  Gebiete  und  für  reiche  Stiftungen  zum 
Ausdruck. 

Schriftenverzeichnis. 

1.  Theoria  nova  functionum  ultraellipticainim.    Pars  prior.    Inang.-Diss. 
Berlin  1863.   4.    39  S.    1  Tafel. 

2.  Neue  Theorie  der  ultraelliptischen  Funktionen.  Denkschr.  der  math.- 
naturw.  Klasse  der  K.  Akademie  der  Wiss.   zu  Wien.    Bd.  24,  1864, 

4.  104  S.   3  Tafeln.   Zweite  Ausgabe  mit  nachträglichen  Bemerkungen 
und  neuen  Tafeln.    Berlin  1885. 

3.  Zur  Theorie  der  Funktionen  in  einer  zweiblättrigen  Fläche.  Denkschr. 
der  Schweiz.  Naturf.  Gesellschaft.    Bd.  22,  1866.    4.    47  S. 

9  m        dv 

4.  Zur  Integration  der  gleichzeitigen  Differentialgleichungen  «-  =  -^, 

^  =  —  ~.     J.  f.  Math.,  Bd.  70,  1869,  S.  354. 

5.  Beweis  zweier  Sätze  der  Funktionentheorie.  J.  f.  Math.,  Bd.  71 
1870,  S.  223. 

6.  Über  ein  Randintegral.    J.  f.  Math.,  Bd.  71,  1870,  S.  305. 

W«  Ji,  G      iL 

7.  Zur  Integration  der  Differentialgleichung  :^—^  +  -zr—^  =  0.  J.  f.  Math., 
Bd.  73,  1871,  S.  340.  ^  ^ 

8.  Zur  Theorie  der  Gammafunktion.    J.  f.  Math.,  Bd.  82,  1877,  S.  165. 

9.  Beweis  eines  Riemannschen  Satzes.    J.  f.  Math.,  Bd.  83,  1877,  S.  251. 

10.  Untersuchungen  über  die  Riemannsche  Thetaforrael  und  die  Rie- 
mannsche  Charakteristikentheorie.    Leipzig  1882.    4.  VIII  und  112  S. 

11.  Kurze  Ableitung  der  Riemannschen  Thetaformel.  J.  f.  Math.,  Bd.  93, 
1882,  S.  124. 

12.  Ein  neuer  Beweis  für  die  Riemannsche  Thetaformel.  Acta  math., 
Bd.  3,  1883,  S.  200. 

18.  Ableitung  einer  allgemeinen  Thetaformel.    Acta  math.,   Bd.  3,  1883, 

5.  216. 

14.  [mit  A.  Krazer]  Über  die  Verallgemeinerung  der  Riemannschen  Theta- 
formel.   Acta  math.,  Bd.  3,  1883,  S.  242. 

15.  [mit  A.  Krazer]  Neue  Grundlagen  einer  Theorie  der  allgemeinen  Theta- 
funktionen.  Kurz  zusammengefaßt  und  herausgegeben  von  A.  Krazer. 
Leipzig  1892.    4.    XII  und  133  S. 

10* 


"148  Nekrologe 

16.  Über  orthogonale,  involutorisebe  und  orthogonal-involutorische  Sub- 
stitutionen. Abb.  der  K.  Ges.  der  Wiss.  zu  Göttingen.  Bd.  38,  1892. 
4.    42  S. 

17.  [mit    G.  Rost]    Theorie   der   Pryinschen    Funktionen    erster   Ordnung 
im  Anschluß  an  die  Schöpfungen  Riemanns.    2  Teile.    1911.    4.    250, 
und  300  S. 

18.  Über  die  Entwicklung  der  griechischen  Mathematik  von  ihren  Ai 
fangen  bis  zu  ihrem  Höhepunkte.  Festrede  zur  Feier  des  316  jäl 
rigen  Bestehens  der  Universität  Würzburg,  gehalten  am  11.  Mai  189^ 
4.    27  S.  ^  A.  Krazer  (Karlsruhe). 

Einer  der  berühmtesten  Chemiker  Englands  ist  mit  Sir 
Henry  Enfield  Roscoe,  der  jahrelang  den  Lehrstuhl  der  Chemie 
an  der  Universität  Manchester  innehatte,  dahingeschieden.  Ge- 
boren wurde  er  am  7.  Januar  1833  in  London.  Den  philo- 
sophischen Doktorhut  hat  er  sich  vor  mehr  als  sechzig  Jahren 
an  der  Heidelberger  Universität  geholt.  Nachdem  er  am  Uni- 
versity  College  in  London  studiert  hatte,  besuchte  er  die  Ru- 
perto-Carola,  um  unter  Bunsen  seine  chemische  Ausbildung  zu 
vollenden.  Vor  allem  begann  er  unter  dessen  Leitung  photo- 
chemische Untersuchungen,  er  verblieb  bei  ihnen  während  seiner 
ganzen  Laboratoriumstätigkeit  und  erzielte  damit  gewichtige, 
wissenschaftliche  und  technische  Fortschritte.  Unter  anderem 
ist  Roscoe  die  für  die  Eisenindustrie  ausschlaggebende  Ver- 
feinerung des  Bessemer- Prozesses  durch  Benutzung  der  spektral- 
analytischen Methode  zu  verdanken.  Als  seine  wichtigste  Arbeit 
bezeichnete  er  selbst  die  Entdeckung  des  Elementes  Vanadium, 
das  ihm  nach  einem  Besuch  der  Kupferminen  in  Mottram  gelang. 

Infolge  seiner  deutschen  Studienzeit  war  Roscoe,  der  1882 
Präsident  der  Chemischen  Gesellschaft  in  London  und  1896 
Vizekanzler  der  Universität  London  wurde,  ein  einflußreicher 
Mittler  zwischen  deutscher  und  englischer  Naturwissenschaft. 
Einen  Teil  seiner  wissenschaftlichen  Ergebnisse  veröffentlichte 
er  in  deutschen  chemischen  Zeitschriften.  Sodann  besorgte  er 
die  englische  Ausgabe  klassischer  deutscher  Werke  wie  der 
„Gasometrischen  Methoden"  Bunsens.  Vor  allem  verband  er 
sich  mit  dem  deutschen,  nach  England  ausgewanderten  Fach- 
genossen Schorlemer.     Das  von  ihnen  gemeinsam   herausgege- 


Nekrologe  149 

bene  „Treatise  on  Chemistry"  ist  in  vielen  Sprachen,  sogar  in 
die  hindostanische  und  japanische  übertragen  worden  und  ge- 
hört namentlich  in  seiner  kleinen  Ausgabe  zu  den  beliebtesten 
Mitteln,  sich  über  die  Grundlagen  der  Chemie  zu  unterrichten. 
Von  besonderem  Interesse  ist  es,  daß  Roscoe  sich  im  Jahre  1911 
in  einem  Aufsatze,  der  damals  in  der  „Deutschen  Revue"  er- 
schien, über  das  Verhältnis  der  Wissenschaft  zum  Kriege  ge- 
äußert hat.  Er  erklärte,  daß  der  wissenschaftliche  Geist  gegen 
den  Krieg  und  für  den  Frieden  sein  und  sich  mit  voller  Kraft 
dagegen  auflehnen  müsse,  daß  internationale  Streitigkeiten  mit 
der  gepanzerten  Faust  zum  Austrage  gebracht  würden.  Dabei 
verkannte  er  nicht,  daß  die  Wissenschaft  vielfach  die  Technik 
des  Krieges  in  ganz  außerordentlichem  Maße  entwickelt,  aber 
er  wies  auf  die  Möglichkeit  hin,  daß  die  Kriegführung  schließ- 
lich mit  den  Möglichkeiten  der  wissenschaftlichen  Technik  gar 
nicht  mehr  werde  Schi'itt  halten  können.  Beispielsweise  meinte 
er,  daß  man  doch  in  nicht  allzu  ferner  Zeit  nicht  mehr  wagen 
würde,  Dutzende  von  Millionen  auf  Riesenkampfschiffe  auszu- 
geben, wenn  man  in  wachsendem  Maße  die  Erfahrung  machen 
werde,  daß  diese  Riesenschiffe  in  wenigen  Jahren  schon  wieder 
veralten.  Ebenso  legt  er  Gewicht  darauf,  daß  die  Leistungen 
der  Luftschiffahrt,  die  Errungenschaften  der  Chemie  in  der 
Herstellung  von  Explosivstoffen  und  ähnliche  Fortschritte  der 
Wissenschaft  immer  mehr  dahin  drängten,  dem  Kriege  Einhalt 
zu  tun.  Leider  hat  er  mit  dieser  Auffassung  nicht  Recht 
behalten.  Goebel  (nach  Zeitungs-Mitteilungen). 


Historische  Klasse. 

Die  historische  Klasse  hat  seit  dem  März  1915  schmerz- 
liche Verluste  erlitten,  an  Männern,  die  ihr  und  ihrer  Wissen- 
schaft etwas  bedeuteten :  2  ordentliche,  2  auswärtige  Mitglieder, 
1  korrespondierendes  haben  Avir  zu  beklagen. 

Im  Vordergrunde  steht  uns  Karl  Theodor  von  Heigel.  An 
diesem  23.  März  wird  es  ein  Jahr,  daß  er  von  uns  geschieden  ist. 


150  Nekrologe 

Die  Akademie  hat  bei  seiner  Bestattung  ihre  Stimme  erhoben,  in 
der  Novembersitzung  hat  sein  Nachfolger  den  Präsidenten  und 
die  Persönlichkeit  geschildert;  die  Klasse  hatte  zugleich  ihrem 
Sekretär  die  Pflicht  auferlegt,  ihn  heute  noch  als  Fachgenoss 
zu  würdigen.  Freunde  und  Schüler  haben  inzwischen  eindring- 
lich und  liebevoll  von  ihm  gehandelt.  Hinzuzusetzen  ist  im 
Grunde  nichts:  es  war  die  Eigenart  seines  Lebens  und  Wesens, 
daß  es  aus  einem  Gusse  war,  einfach,  gar  nicht  mißzuver- 
stehen  —  einfach  und  doch  reich. 

Wir  wissen:  er  war  Münchener  und  ist  es  immer  geblieben. 
Als  Schauspielerenkel  und  -söhn  ist  er  hier  (am  23.  August 
1842)  geboren,  hier  hat  er,  mit  mancherlei  tapfer  ertragener 
Not,  eine  mühselige  und  doch  helle  Jugend  durchlebt,  hier 
hat  er  studiert,  hier  wurde  er  1866  Archivbeamter  und  1873 
Dozent,  hier  wurde  er  nach  langem  W^arten  und  mancher 
Feindseligkeit  1883  Professor  an  der  Technischen  Hochschule 
und  2  Jahre  darauf  an  der  Universität:  er  blieb  ihr,  auch 
gegenüber  einer  lockenden  Werbung,  treu,  volle  40  Jahre  lang, 
bis  er  1913  von  seinem  Lehramt  zurücktrat.  Er  hatte  viele 
Tausende  durch  seine  Vorlesungen,  Tausende  auch  durch  sein 
Seminar  gehen  sehen;  er  hatte  eine  Reihe  fortarbeitender 
Schüler  erzogen,  deren  Dankbarkeit  nur  mit  ihnen  selber  ster- 
ben wird;  er  hatte  weiten  Scharen  den  Funken  seiner  Lehre, 
seiner  Anregung,  seiner  Gesinnung  ins  Herz  gestreut.  Er  war 
1877  außerordentliches,  1887  ordentliches  Mitglied  dieser  Aka- 
demie geworden:  ihre  Abhandlungen,  Sitzungsberichte  und 
Reden  zeugen  von  vieljähriger  rastloser  Mitarbeit.  Er  hat 
ihren  Ausschüssen  angehört,  ihre  historische  Kommission  mit- 
geleitet; er  wurde  1904  ihr  Präsident  und  Generalkonservator 
der  wissenschaftlichen  Sammlungen  des  Staates.  Er  wuchs,  über 
seine  Klasse  hinaus,  in  die  neuen,  vielseitigen  Aufgaben,  in 
die  Sammlungen,  denen  er  vorzustehen  hatte,  in  die  Gedanken- 
kreise auch  der  Naturwissenschaft  hinein,  er  half  die  Samm- 
lungen mehren,  er  arbeitete  für  künftigen  Ausbau  und  Aufbau. 
Er  gehörte  auch  seelisch  der  Gesamtakademie  zu,  alle  Klassen 
vereinigend,   ausgleichend,  in  Sachlichkeit,  Klugheit  und  Ver- 


Nekrologe  151 

ständnis.  Er  sprach  zu  Allen  und  für  Alle  und  der  Klang 
seiner  Stimme  ist  uns  unvergeßlich,  als  könne  er  in  diesen 
Räumen  nie  verhallen.  Er  vertrat  die  Akademie  draußen,  im 
deutschen  und  im  Weltbunde  der  Akademien,  und  hoffte  auf 
deren  Wachstum ;  er  war,  so  hat  an  seiner  Bahre  gesagt  wer- 
den können,  für  unsere  Anstalt  nicht  nur  der  Mund,  er  war 
ihr  Herz. 

Welch  weiter  Rahmen  in  alledem !  Dennoch  nur  ein  Rah- 
men: ausgefüllt  erst  durch  eine  starke  lebenslange  wissenschaft- 
liche Produktion.  Auch  sie  war  münchnerisch  nach  Boden  und 
Art.  Ich  zähle  auf  —  nicht  seine  Schriften,  aber  die  Richtungen 
seiner  Arbeit. 

Er  begann,  als  W.  v.  Giesebrechts  Schüler,  der  auch  bei 
C.  A.  Cornelius  dankbar  lernte,  mit  mittelalterlicher  Forschung. 
Der  bayerischen  und  der  Reichsgeschichte  der  Stauferzeit,  Hein- 
rich dem  Löwen  und  Friedrich  dem  Rotbart  galt  seia  erstes, 
mit  Sigmund  Riezler  gemeinsam  herausgegebenes  Buch  (1867): 
ein  Rezensent  der  Historischen  Zeitschrift  rühmte  seine  Erzäh- 
lung als  klar,  besonnen,  quellenmäßig,  und  fand,  daß  sie  lieber 
bei  den  Tatsachen  als  bei  Charakteristiken  oder  Gesichtspunkten 
verweile.  Heigel  hat,  in  Ausgaben  bayerischer  Chroniken,  ge- 
legentlich in  volkstümlicher  Darstellung  der  Kaiser,  spät  noch 
in  gelegentlicher  kritischer  Untersuchung  und  stets  in  der  Vor- 
lesung die  alte  Liebe  zum  Mittelalter  festgehalten.  Aber  seine 
eigentliche  Arbeit  verschob  sich  früh.  Das  Archiv,  dem  er  sich 
eifrig  und  nutzbringend  hingab,  führte  ihn  in  die  bayerische 
Neuzeit  hinüber:  seine  selbständige  Lebensarbeit  galt  zuerst 
und  vor  Allem  ihr,  dem  17.  und  18.  Jahrhundert,  und  dem 
19.  daneben.  DöUinger  verschaffte  ihm  bei  König  Ludwig  IL 
Auftrag  und  Stoff  zur  Biographie  Ludwigs  I.,  die  1872  er- 
schien: eine  wertvolle  Grundlegung  der  persönlichen  Geschichte 
des  Herrschers  in  allen  ihren  vielseitigen  und  schöpferischen 
Auswirkungen,  gut  erzählt,  voller  Tatsachen,  mit  ruhigem  Ur- 
teil. Sein  eigener  Weg  ging  zu  Kaiser  Karl  VII. :  seiner  Kaiser- 
wahl, dem  österreichischen  Erbfolgekrieg  von  1740  hat  Heigel 
(1877)  seine  breiteste  Forschung  zugewandt,   eindringlich  und 


152  Nekrologe 


d 


neu  in  der  Kritik,  neu  im  Gesichtspunkte,  der  Reichsgeschichte 
des  18.  Jahrhunderts,  neu  im  archivalischen  Stoffe,  weit  aus- 
blickend in  das  politische  Getriebe  der  Zeit,  farbig  von  hundert 
lebendigen  Einzelzügen:  das  Buch  war  Leopold  Ranke  gewidmet. 
Und  diesen  Zeiten  blieb  Heigel  treu:  in  einer  Fülle  von  Auf- 
sätzen, deren  frühere  er  in  2  Bänden  „Quellen  und  Abhand- 
lungen zur  neueren  Geschichte  Bayerns"  zusammenfaßte.  Stets 
enthalten  sie  archivalische  Neuergebnisse,  stets  machen  sie  das 
Staubige  hell  und  frisch,  stets  veranschaulichen  sie  an  Ver- 
handlungen und  Briefwechseln  höfisches  und  persönliches  Leben 
vergangener  Epochen.  Er  zog  die  Geschichte  Nymphenburgs 
anmutig  in  diesen  Kreis  hinein,  er  erweiterte  ihn  zu  einer 
inneren  Gesamtanschauung  der  bayerischen  Geschichte  von  1648 
ab:  sie  als  Geschichte,  umfassend  und  einheitlich,  zu  schreiben 
ist  dann  freilich  seinem  Jugend-  und  Lebensgenossen  Riezler 
verblieben.  Heigel  ging  seine  Einzelpfade  weiter,  bis  an  sein 
Ende,  den  Blick  stets  zugleich  auf  das  Ganze  gekehrt:  Einzel- 
menschen und  Bücher,  Briefe  und  Taten,  Städte  und  Epochen, 
er  hat  Alles,  in  Aufsätzen  und  Reden  und  volkstümlichen  Über- 
sichten, immer  wieder  beleuchtet.  Jedoch  er  schritt  weiter 
hinaus:  von  der  vaterländischen  sofort  zur  Reichsgeschichte 
und  zur  deutschen  Geschichte.  Bezeichnend,  daß  er  da  zuerst 
insbesondere  österreichische  Gegenstände  aufzusuchen  liebte: 
von  Eugen  und  Maria  Theresia  zu  Joseph  II.  und  Metternich 
hin;  seine  erste  Essaysammlung  erschien  in  Wien.  Er  kam 
eben  von  Bayern  her!  Er  umspannte  aber  auch  Preußen,  und 
umspannte  Europa:  die  französische  Geschichte  rückte  immer 
fester  in  seinen  Arbeitsraum  hinein.  Und  er  schritt  vom  Zeit- 
alter Friedrichs  des  Großen  vorwärts  in  das  der  großen  Revo- 
lution: wie  viel  Bilder,  persönliche  und  sachliche,  hat  er  auch 
da  gemalt!  Hier  fand  er  die  Berufung  zu  seinem  breitesten 
Lebenswerke:  der  Deutschen  Geschichte  vom  Tode  Friedrichs 
des  Großen  bis  zur  Auflösung  des  alten  Reichs,  1786  also  bis 
1806,  dessen  2  starke  Bände  ihn  von  1893  bis  1911  in  all- 
mählichem Erscheinen  begleitet  haben.  Eine  gewaltige  Arbeits- 
leistung, überall  aus  den  Quellen  geschöpft,  wertvoll  auch  sie 


Nekrologe  153 

in  der  Forschung  und  im  Gesichtspunkt  zugleich :  wieder  schrieb 
Heigel  Reichsgeschichte  anstatt  der  preußischen  oder  öster- 
reichischen der  Vorgänger,  und  er  zog  die  Zeugnisse  des  öflFent- 
lichen  Geistes  aus  ganz  Deutschland  reich  heran.  Er  schrieb 
eine  große  Monographie,  immer  aber  mit  weitem  Ausblick  auf 
Zeit  und  Zusammenhänge;  er  stellte  den  Sturz  des  alten  Reiches 
in  stille  Verbindung  mit  dem  Aufstiege  des  preußisch-deutschen 
neuen.  Er  sprach  im  Vorwort  von  dem  ihm  bleibenden  Unter- 
bewußtsein: „der  Liebe  zur  engeren  Heimat  und  zu  den  Stammes- 
genossen";  aber  dieses  Werk  vollzog  durchaus  den  Übergang 
in  die  volle  Geschichte  der  Gesamtnation. 

Aber  noch  weiter  ging  gleichzeitig  seine  eigene  Entwick- 
lung: über  Ludwig  L,  zu  dem  er  oft  zurückkehrte,  hinaus, 
in  die  Tage  der  Reichsgründung  hinüber:  Bismarck,  der  ihn 
stets  gepackt  hatte,  wurde  wieder  und  wieder  beleuchtet;  zu 
den  Aufsätzen  und  Reden  traten  knappe  allgemeine  Dar- 
stellungen, deren  Gipfel  er  wohl  in  dem  kleinen  Bändchen 
seiner  , Politischen  Hauptströmungen  in  Europa  im  19.  Jahr- 
hundert" 1906  erstieg.  Sie  haben  ihn  bis  in  die  Weltweite 
und  die  Gegensätze  unserer  Tage  hineingeleitet.  Er  durch- 
schritt die  ganze  Geschichte  Deutschlands  im  Hinblicke  auf  die 
Flotte  und  das  Meer;  er  beurteilte  Kaiser  Wilhelm  IT.;  er 
folgte,  von  Friedenshoffnungen  herkommend,  der  Gegenwart  in 
den  großen  Krieg  hinein;  er  erhob  in  ihm,  stärkend,  mahnend, 
aufklärend,  tapfer  und  milde,  seine  besonnene  und  reine  Stimme, 
und  erst  der  Tod  hat  sie  verstummen  gemacht. 

Wahrlich:  von  1864  bis  1915  eine  lange  Kette  histo- 
rischer Tätigkeit.  Ich  suchte  nachzuweisen,  wie  organisch  sie 
erwachsen  ist.  Sein  Lebenswerk,  so  weit  es  ausgriff,  ist  ein- 
heitlich im  Wesen.  Erstaunlich  breit  ist  seine  materielle  Grund- 
lage: ein  selbständiges  Wissen  im  Ganzen  und  im  Einzelnen. 
Li  den  Vordergrund  schob  seine  Produktion  gern  das  Einzelne. 
Er  hat  es  leise  übel  genommen,  als  1895  ein  historischer 
Journalist  ihn  als  den  „Essayisten"  Heigel  abstempeln  wollte. 
Gewiß:  der  Einzelaufsatz,  die  lebendige  Einzelgestaltung  stand 
ihm  noch  besser  als  das  große  Buch.    Immer  froher  der  Man- 


1 54  Nekrologe 


4 


nigfaltigkeit  schüttelten  seine  Aufsatzbände  —  es  sind  ihrer  ja 
11  geworden  und  wir  hoffen,  es  werden  noch  mehr!  —  die 
verschiedenartigsten  Gegenstände  in  bunter  Folge  heiter  durch- 
einander; das  Leben  lockte  ihn  in  allen  Gestalten,  zeitlichen, 
nationalen,  stofflichen.  Aber  freilich:  hinter  dem  Gestalter 
stand  in  jedem  Augenblicke  der  Gelehrte.  Er  holte  seine  Steine 
stets  selber  vom  Marmorbruch.  Er  forschte  stets  selbständig, 
stets  mit  bewußter  Kritik;  sein  Urteil  über  vielumstrittene 
Fragen  war  immer  klar,  wohlerwogen,  sehr  sachlich,  sehr  ruhig, 
aber  klug  und  beneidenswert  gesund:  man  darf  es  niemals 
übersehen.  Er  war  gut  geschult;  wichtiger  war:  er  war  gut  ge- 
boren. Er  konnte  gar  nicht  anders  als  gesund  sehen  und  fühlen. 
Er  sah  alle  Dinge  sinnlich  greifbar  und  gab  sie  so  wieder. 
Er  hatte  eine  sehr  bestimmte  Abneigung  gegen  Allgemein- 
heiten, gegen  Abstraktes,  gegen  Konstruktionen.  Weite  luftige 
Überschau,  die  die  Dinge  durch  große  Räume  hin  einheitlich 
ordnet  und  scharf,  begrifflich,  auseinander-  und  zusammendenkt: 
das  war  seine  Sache,  nicht.  Er  ging  auf  die  Quelle,  auf  den 
Einzelzug,  auf  das  Einzelwort  zurück:  das  hatte  er  stets  zur 
Verfügung;  so  durchwanderte  er,  an  der  Hand  jeweils  der 
Zeitgenossen,  in  seiner  Flottenrede  rasch  alle  Zeitalter  der 
deutschen  Geschichte.  Er  war  nicht  etwa  eng  oder  klein:  im 
Einzelnen  lebte  ihm  stets  das  Ganze,  und  im  Greifbaren  gab 
er  das  Allgemeine.  So  in  jenem  Büchlein  über  die  Haupt- 
strömungen des  19.  Jahrhunderts:  es  ist  merkwürdig,  wie  vieles 
darin  steht;  die  historischen  Strahlen  brechen  sich  ihm  in  der 
Einzelheit.  Er  sah  das  bunte  Leben  der  Kultur,  der  Sitte; 
stets  hat  er  bildende  Kunst  und  Literatur  mit  Kenntnis  und 
Liebe  verfolgt  und  saftig  veranschaulicht,  er  gab  da  Farbe  an 
Farbe,  man  könnte  ihn  vielleicht  den  Münchener  Malern  seiner 
Werdezeit  nebenordnen.  Sein  eigentlicher  Gegenstand  aber  war 
der  Staat  und  seine  Politik.  Er  war  „politischer  Historiker", 
wenn  auch  ohne  Ausschließlichkeit.  Mit  Richtungen  und  Pro- 
grammen seines  Faches  hat  er  gelegentlich  abgerechnet,  mit 
Treitschke,  mit  Taine,  er  nennt  wohl  auch  Lamprecht.  Grund- 
sätzlichen methodischen  Streit,  theoretische  Formulierungen  aber 


Nekrologe  155 

vermied  er,  er  ging  den  Weg  des  Praktikers  und  tat,  was 
ihm  gemäß  war.  Er  war  der  Mann  des  Friedens,  der  Ver- 
einigung und  nicht  der  Scheidung;  aber  sein  Weg  war  ihm 
völlig  sicher.  Er  bildete  unverdrossen,  und  ließ  die  Metho- 
diker kämpfen.  Er  war  der  Sprößling  eines  Künstlergeschlechtes 
und  ein  wenig  selber  Musiker  und  Poet,  wenngleich  er  den 
Maler  in  seiner  Jugend  an  den  Nagel  gehängt  hatte;  er  war 
Münchener,  er  war  Oberbayer:  in  seinem  geistigen  Wesen, 
ebenso  wie  in  seinem  äußeren  Auftreten,  behaglich,  warmblütig, 
lebensfroh,  wohlwollend,  ein  Freund  des  unmittelbaren  Gefühles 
und  eines  herzhaften  guten  Lachens.  Das  ist  der  Grundton 
und  die  Wurzel  seines  Wesens :  Niemand  konnte  es  verkennen. 
Er  war  Bayer  und  Süddeutscher:  das  bezeichnet  seine 
historische  Stellung.  Der  Süden  hat  im  19.  Jahrhundert  weniger 
führende  Historiker  gestellt  als  der  Norden,  gerade  unter  den 
Staatshistorikern;  das  hängt  mit  den  Kräften  unseper  Staats- 
geschichte zusammen.  Gervinus  und  Häußer  sprachen  im  Zeit- 
alter der  Vorbereitung  des  Reiches  für  Süddeutschland;  unter 
den  Späteren  steht  Heigel  in  der  ersten  Reihe,  mit  Riezler 
zusammen  vertritt  er  Bayern  ganz  vornehmlich  in  dem  Ge- 
schlechte, das  1840  und  50  geboren  war.  Aus  dem  Heimat- 
boden sog  er  seine  Kräfte;  er  war  nicht  Philosoph  und  gab 
nichts  auf  die  Probleme  und  Pointen,  er  analysierte  nicht  gern: 
er  sah  sinnlich  frisch,  er  sah  die  allgemeinen  Fragen  auch, 
aber  er  gestaltete  Alles  nach  seiner  Art:  gerade,  fest,  schlicht, 
lebendig. 

Und  dabei  doch:  wieweit  hinaus  ging  er  aus  der  Heimat! 
Seine  Schriften  haben  es  uns  gezeigt;  er  durchreiste  Deutsch- 
land persönlich,  erkannte  es  überall;  und  er  war  Deutscher 
nach  seinem  Willen  und  seinem  Glauben.  Auch  in  ihm  war 
ein  politischer  Einschlag.  Er  war  der  Sohn  der  liberalen  Zeit, 
und  für  Geistesfreiheit  hat  er  immer  Lanzen  gebrochen;  sein 
Nachlaß  birgt  kirchenpolitische  Aufsätze  aus  den  70er  Jahren: 
der  Kampf  trat  später  immer  mehr  zurück,  die  Gesinnung  und 
das  Bekenntnis  blieben.  Eigentlicher  Kämpfer,  wie  so  viele 
seiner  Zeit-  und  Fachgenossen,  war  er  freilich  nie.    Er  war  der 


156  Nekrologe 

Sohn  der  nationalen  Zeit,  er  lebte  in  der  Einheit  seines  Volks. 
Deutsch  ist  die  innerste  Anteilnahme,  der  letzte  Ton  seiner 
Geschichtschreibung,  etwa  in  seinem  größten  Werk;  die  deut- 
schen Helden  seiner  eigenen  Lebenstage,  die  Gründer  des  neuen 
Reiches,  standen  seinem  Herzen  neben  den  Fürsten  seines  Hei- 
matlandes, und  er  war  beiden  gleichermaßen  treu.  Er  hat 
Wilhelm  I.  und  Bismarck  geliebt  und  gefeiert.  Einseitig  zu 
sein  vermochte  er  nicht;  die  einzelnen  Menschen  wie  die  allge- 
meinen Kräfte  sah  er,  jedes  nach  seinem  besonderen  Rechte,  in 
seinen  besonderen  Grenzen;  jedes  empfand  er,  als  Ganzes;  auch 
Menschenseelen  analysierte  er  weniger,  als  daß  er  sie  in  ihrer 
Einheit  unwillkürlich  ergriflp.  Er  erzählte  am  liebsten,  und 
wurde  Allem  gerecht.  Die  Historiker  der  voraufgegangenen 
Generation  rangen  um  das  werdende  Reich,  die  Droysen,  Häußer, 
Sybel,  Treitschke;  er  wuchs  in  das  Reich  als  fertiges  hinein. 
Er  konnte  die  Gegensätze,  die  ehedem  wider  einander  gestritten 
hatten,  zusammensehen  und  versöhnen:  das  entsprach  seiner 
Geburtszeit  und  seinem  Wesen,  und  es  entsprach  seiner  Her- 
kunft aus  dem  Süden.  Daß  er  Bayer  blieb  und  Deutscher 
war,  diese  Einheit  erschien  seit  Jahrzehnten  als  seine  selbst- 
verständliche Besonderheit.  So  hat  er  für  beide  das  Wort  ge- 
führt; so  hat  er,  als  ein  Herold  des  neuen  Reiches,  nicht  als 
Parteimann,  sondern  stets  als  Mann  der  Gesamtheit,  mit  Rede 
und  Feder  dieses  Neue  gepriesen,  verteidigt,  vertieft  und  für 
dieses  Neue,  für  die  Einigkeit  zwischen  Nord  und  Süd,  zwischen 
Reich  und  Sonderstaat  Verständigung  schaffend  geworben.  So 
hat  er  als  Schriftsteller  und  Lehrer  weithin  und  heilvoll  ge- 
wirkt. So  hat  er  wissenschaftlich  in  seiner  Deutschen  Geschichte 
die  Einseitigkeiten  der  Vorgänger  überwunden:  der  Bayer  Heigel 
stand  in  beiden  Lagern,  er  verstand  auch  Osterreich;  es  war 
ein  Fortschritt  auch  in  der  geschichtlichen  Erkenntnis,  und 
ein  Baustein  für  eine  erweiterte  nationale  Zukunft. 

Und  somit  war  sein  Wesen  wirklich  aus  einem  Gusse; 
keine  Risse  und  Spalten,  keine  Probleme  und  Gegensätze:  das 
Alte  und  Neue,  das  Engere  und  Weitere  versöhnte  er  zu  voll- 
kommener Harmonie.     Es  war  nicht  die  schöpferische  Führer- 


Nekrologe  1^7 

kraft  der  Leidenschaft  und  des  Genius;  aber  es  war  eine 
reiche  und  getreue  Mitarbeit  am  großen  Werke  von  Wissen 
und  Leben,  aus  mitfühlender  und  doch  eigener  und  kräftiger 
Seele.  Er  war  gütig  und  nachgiebig,  ohne  sich  je  aufzugeben; 
er  war  männlich,  aber  nicht  streitfroh;  Alles  an  ihm  erschien 
selbstverständlich  und  naturhaft,  gesund  und  unbefangen,  und 
war  doch  in  ehrlicher  Arbeit  ganz  innerlich  durchlebt;  er  war 
seiner  selbst  gewiß  und  in  aller  natürlichen  Bescheidenheit 
doch  voll  eines  einfach  klaren  Selbstgefühls. 

Seine  eigene  Gestalt,  die  wir  alle  kannten  und  liebten,  hat 
dieses  geistige  Wesen  wundervoll  gespiegelt:  wurzelecht  und 
schlicht,  sicher  und  hoch,  gütig  und  klug;  die  Form  seiner 
Rede,  seines  Stiles,  seiner  Bücher  spiegelte  es  gleichermaßen. 
Er  war  ein  Darsteller  von  Geburt;  welche  Bilder  von  Men- 
schen, Landschaften,  Städten,  Stimmungen,  welche  Abtönung 
des  Worts!  Er  begann  1880  lebhafter,  flotter,  er  endete  mit 
ruhigeren  Tönen:  aber  wie  einheitlich  und  voll  wirkt  noch 
sein  Dantonbildnis  von  1914!  Seine  eigene  Art  als  Geschicht- 
schreiber, die  sich  immer  treu  blieb,  ruht  auf  festem  und  un- 
zerstörbarem Grunde:  denn  die  lebendig  ergriffene  Einzeltat- 
sache muß  allezeit  die  Unterlage  aller  geschichtlichen  Er- 
kenntnis bleiben,  und  wer  sie  hinstellt  und  darstellt  und  warm 
erfaßt,  der  kann  niemals  ganz  veralten.  Heigel  machte  sie 
lebendig,  weil  er  lebendig  war.  Wie  hat  er  auch  zu  uns  ge- 
sprochen —  einfach  und  fein  zugleich;  das  Wort  nie  im  Augen- 
blicke und  doch  immer  für  den  Augenblick  geformt,  Mittel 
und  Zweck  in  steter  Einigkeit,  der  Künstler  stets  hinter  dem 
Manne  der  Repräsentation;  Alles  sicher,  Vertrauen  erweckend, 
fest  und  warm;  und  weil  es  seine  selbstverständliche  Form 
besaß,  so  war  es  voll  Aussicht  auf  Dauer.  Dauer  erwarten  wir 
für  das  Beste  seiner  Arbeit,  und  für  das  Bild  seiner  Persönlich- 
keit selbst:  im  Rahmen  seiner  Zeit,  die  aus  ihm  sprach,  das 
Bild  eines  ganzen  Menschen  voll  innerer  Echtheit  und  schlichter 
Notwendigkeit.  Ich  weiß,  damit  ist  viel  gesagt.  Daß  wir  ihn 
nicht  vergessen  werden,  diese  Treue  versteht  sich  von  selbst. 
Für  das  Weitere  sorge  die  höhere  Treue,  die  er  selber  in  sich 


1 58  Nekrologe 

trug  und  erwies,  die  Treue  gegen  sich,  gegen  die  Kräfte,  die 
er  besaß  und  zu  betätigen  hatte,  gegen  das  Land,  das  er  liebte. 
Sein  Andenken  wird  gesegnet  sein.^)  E.  Marcks. 

Am  2.  Oktober  1915  beschloß  in  dem  bei  Traunstein  ge- 
legenen Bade  Adelholzen  das  ordentliche  Mitglied  der  histo- 
rischen Klasse,  Geheirarat  Dr.  Franz  Ludwig  von  Baumann,  Direk- 
tor des  K.  Allgemeinen  Reichsarchivs,  ein  an  Mühen  und  Er- 
folgen reiches  Leben. 

Er  vpar  am  8.  Juni  1846  als  der  Sohn  bürgerlicher  Eltern 
zu  Leutkirch  in  Württemberg  geboren,  verbrachte  seine  Jugend- 
zeit im  benachbarten  Wangen,  wohin  der  Vater  bald  nach  der 
Geburt  des  Sohnes  verzog,  widmete  sich  nach  Absolvierung 
des  humanistischen  Gymnasiums  Kempten  in  den  bewegten  und 
für  Deutschlands  Entwickelung  so  entscheidungsvollen  Jahren 
1866—71,  die  auch  für  ihn  eine  Zeit  schwerster  innerer  und 
äußerer  Spannung  waren,  an  der  Universität  München  zunächst 
philosophischen  und  theologischen,  dann  juristischen  und  histo- 
rischen Studien,  wirkte  vom  Jahre  1872—1895  im  Dienste  des 
Fürsten  zu  Fürstenberg  in  Donaueschingen,  wo  er  während 
einer  23jährigen  Dienstzeit  vom  Registrator  bis  zum  Vorstand 
des  Archivs,  der  Bibliothek  und  der  sonstigen  fürstlichen  Samm- 
lungen aufstieg,  und  wurde  im  Jahre  1895  in  das  K.  Allge- 
meine Reichsarchiv  berufen,  dessen  Leitung  er  1903  übernahm. 

1)  Heigels  Schriften:  Aufzählung  im  Almanach  der  Akademie  von 
1909,  S.  361  ff.,  seitdem  in  den  Chroniken  der  Universität;  seit  1909  folgte 
noch  eine  Reihe  von  Aufsätzen  (besonders  in  den  Süddeutschen  Monats- 
heften, daneben  der  Historischen  Zeitschrift  und  der  Deutschen  Rund- 
schau) und  Reden  (besonders  in  den  Schriften  der  Akademie)  und  Samm- 
lungen (12  Charakterbilder  1913,  Deutsche  Reden  191G).  Schriften  über 
Heigel:  an  autobiographischen  besonders  der  Aufsatz  bei  Zils,  Geistiges 
und  künstlerisches  München  1913,  S.  151  —  6;  Aufsätze  von  S.  v.  Riezler 
(Bayerische  Staatszeitung'  3.  Juni  1915),  von  K.  AI.  v.  Müller  (besonders 
N.  Fr.  Presse  24.  April  1915,  Südd.  Mon.  Dez.  1913,  Juni  1915),  von 
J.  Striedinger  (vor  den  Deutschen  Reden  1916),  von  E.  König  (Historisches 
Jahrbuch  36,  476  ff.).  Worte  des  Sekretärs  am  Grabe,  Münch.  N.  Nachr. 
26.  März  1915,  vgl.  Staatszeitung  28.  März.  Dazu  natürlich  die  Gedenk- 
rede des  Präsidenten  unserer  Akademie. 


Nekrologe  i  59 

Baumann    war  ein   Oberschwabe,    ein   Allgäuer,    und    ein 
Mann   aus  dem  Volke.     Das  ist  er  Zeit  seines  Lebens   geblie- 
ben,   auch    auf  wissenschaftlichem  Gebiete.     Schon    am  Gym- 
nasium hatte  er  eine   besondere  Zuneigung  zum  Studium   der 
Geschichte  gefaßt.    Sie  wurde  an  der  Universität  genährt  und 
gefestigt  unter  dem  nachhaltigen  Eindrucke  seines  Lehrers  Cor- 
nelius, der  ihn  auch  in  die  Methode  der  historischen  Forschung 
einführte.    Die  Richtung  hat  er  seiner  wissenschaftlichen  Tätig- 
keit  selbst   gegeben.     Sie   galt   von   Anfang   an    seiner   ober- 
schwäbischen Heimat,  deren  verschwiegenste  Winkel  er  schon 
in  jungen  Jahren    sammelnd    und    forschend  durchstreifte   und 
auf  deren  Boden    er  die   meisten    und    die   gesegnetsten  Jahre 
seines  Lebens  verbrachte.     Gerade   die  glückliche  Vereinigung 
von  seltener  Ortskenntnis  mit  sicherer  Handhabung  der  histo- 
rischen Methode  machte  seine  Forschungstätigkeit  so  fruchtbar. 
Er  erhob  sich  dabei  von  Anfang  an  über  bloße  Lokalgeschichte: 
den  Blick    vom    Engeren    aufs  Weitere    gerichtet   verfolgte    er 
die  Geschichte  seiner  Heimat   im  Rahmen    der  deutschen    und 
der  allgemeinen  Entwickelung,  ging  er  den  großen  Fragen  der 
deutschen  Geschichte  auf  dem  engeren  Boden  seiner  Heimat  nach. 
Das  zeigte  er  gleich  in  seiner  Erstlingsschrift  „Die  ober- 
schwäbischen Bauern    im   März  1525    und   die    zwölf  Artikel" 
(1871),    worin    er  Stellung   nahm    zur  vielumstrittenen  Frage 
nach    dem  Ursprünge    des    großen    Bauernaufstandes    und    der 
zwölf  Artikel,   einem   Probleme,    das  ihn  Jahrzehnte    lang  in 
seinem   Banne   hielt,    zu   dessen  Lösung   er  „Quellen   zur   Ge- 
schichte des  Bauernkrieges  in  Oberschwaben "  (1876)  und  „Akten 
zur   Geschichte    des    Bauernkrieges    in    Oberschwaben "    (1877) 
herausgab  und  dem  er  noch   im  Jahre  1896  eine  Abhandlung 
„Die    zwölf  Artikel    der   oberschwäbischen    Bauern"    widmete. 
Daneben    beteiligte    er   sich    an    der  Herausgabe    des  Fürsten- 
bergischen  Urkundenbucbes,  untersuchte  die  Grafschaftsverfas- 
sung im   württembergischen  Schwaben    und   schrieb  zahlreiche 
andere  größere   und  kleinere  Abhandlungen,   deren  wertvollste 
er  später  (1899)   unter  dem  Titel  „Forschungen   zur  schwäbi- 
schen Geschichte"  in  einem  besonderen  Buche  zusammenfaßte, 


160  Nekrologe 

Der  Geschichte  seiner  Heimat  war  auch  seine  umfassendste 
literarische  Arbeit  gewidmet,  die  ihn  durch  13  Jahre  beschäf- 
tigte, seine  dreibändige  „Geschichte  des  Allgäus*  (1882—94). 
In  ihrer  glücklichen  Vereinigung  von  umfassender,  alle  Gebiete 
des  inneren  Lebens  gleichmäßig  umspannenden  Gelehrsamkeit 
und  von  volkstümlicher  Auffassung  und  Darbietung  hat  sie  sich 
in  der  Bibliothek  des  Gelehrten  wie  in  der  Stube  des  gemeinen 
Mannes  einen  ehrenvollen  Platz  erworben,  ist  sie  ein  Volks- 
buch im  besten  Sinne  des  Wortes  geworden. 

Ein  Jahr  nach  der  Vollendung  dieses  Werkes  verließ  er 
seine  schwäbische  Heimat  und  trat  in  den  bayerischen  Staats- 
dienst und  damit  in  den  Interessenkreis  der  bayerischen  Haupt- 
stadt, mit  der  ihn  seit  seiner  Studentenzeit  und  seit  seiner 
Vermählung  mit  der  Tochter  eines  eifrigen  Mitgliedes  des 
Görreskreises  warme  Beziehungen  verbanden.  Seiner  Liebe  zur 
alten  Heimat  ist  er  auch  hier  treu  geblieben,  seine  wissen- 
schaftliche Tätigkeit  wandte  sich  aber  je  länger  je  mehr  der 
Geschichte  der  neuen  Heimat  zu.  Schon  in  Donaueschingen 
hatte  er  im  Auftrage  der  Direktion  der  Monumenta  Germaniae 
Historica  eine  der  schwierigsten  Aufgaben  der  Gesellschaft  über- 
nommen, die  Herausgabe  der  schwäbischen  Nekrologien.  In 
München  erschien  ein  neuer  Band,  der  die  bayerischen  Diözesen 
Brixen,  Freising  und  Regensburg  umfaßte,  ein  monumentales 
Werk  hingebender  und  entsagungsvoller  Forscherarbeit.  Als 
Mitglied  unserer  Akademie  förderte  er  durch  eigene  Mitarbeit 
den  Fortgang  der  Monumenta  Boica.  Daneben  galten  seine 
Studien  und  Forschungen  der  älteren  Geschichte  Münchens, 
dem  reichen  Urkundenbestande  des  Klosters  Benediktbeuern, 
der  Geschichte  der  bayerischen  Landesarchive,  der  Herausgabe 
der  archivalischen  Zeitschrift.  Alles  das  mit  der  Vielseitigkeit 
seiner  historischen  Kenntnisse  und  Interessen,  mit  der  Zähig- 
keit eines  nie  ermüdenden  Sammeleifers,  mit  der  sicheren  Be- 
herrschung der  kritischen  Methode,  mit  der  Einfachheit  einer 
aller  Phrase  abholden  Darstellung,  eines  Spiegelbildes  seines 
äußeren  und  inneren  Wesens. 

Beim  Eintritt  in  den  bayerischen  Staatsdienst  winkte  ihm 


Nekrologe  161 

das  hohe  Ziel,  auch  die  Verwaltung  der  bayerischen  Archive, 
die  einen  der  kostbarsten  Schätze  des  bayerischen  Staates  bergen, 
mit  seinem  wissenschaftlichen  Geiste  zu  erfüllen.  Die  Ordnung 
der  Archivbenützung  vom  Jahre  1899  atmet  etwas  von  diesem 
Geiste.  Die  geplante  Neuorganisation  der  bayerischen  Landes- 
archive sollte  er  nicht  mehr  erleben,  ebensowenig  als  es  ihm 
vergönnt  war,  sein  wissenschaftliches  Lebenswerk  mit  einem 
Unternehmen  abschließend  zu  krönen,  dessen  Plan  ihn  viele 
Jahre  beschäftigte,  mit  einer  Rechtsgeschichte  der  süddeutschen 
Lande,  die  seine  alte  und  seine  neue  Heimat,  Schwaben  und 
Bayern,  umfassen  sollte.  Doeberl. 


Am  11.  August  1915  starb  im  76.  Lebensjahre  das  aus- 
wärtige Mitglied  der  historischen  Klasse,  Herr  Heinrich  Brunner, 
K.  Preuß.  Wirkl.  Geheimer  Rat  und  Professor  des  deutschen 
Rechts  an  der  Universität  zu  Berlin. 

Unter  den  mancherlei  Verdiensten  dieses  hervorragenden 
Juristen  sind  es  die  um  die  rechtsgeschichtliche  Forschung, 
um  deren  willen  unsere  Akademie  Wert  darauf  legte,  ihn  unter 
ihre  Mitglieder  zählen  zu  dürfen.  Brunner  war  ein  Meister 
konstruktiver  Jurisprudenz;  sein  scharfes  logisches  Denken,  sein 
geschultes  Unterscheidungsvermögen  hat  mehr  als  ein  Stück 
der  praktischen  Wissenschaft  vom  heutigen  Recht  literarisch 
gefördert,  und  ungezählte  juristische  Praktiker,  die  zu  den 
Füßen  dieses  Lehrers  gesessen,  sind  ihm  zeitlebens  für  starke 
Anregung  in  ihrem  Berufe  dankbar  geblieben.  Aber  haupt- 
sächlich war  er  doch  Rechtshistoriker.  Es  war  mehr  Zu-^ 
fällen  zu  verdanken,  wenn  er  in  die  sogenannte  Rechtsdogmatik 
hineingeführt  wurde;  das  Arbeitsfeld  seiner  Wahl  war  von  An- 
fang an  und  blieb  bis  zuletzt  die  Rechtsgeschichte.  Für  ihn, 
den  warmblütigen  Deutschösterreicher,  die  Rechtsgeschichte  des 
deutschen  Volkes! 

Mit  Begeisterung  hat  er  sich  in  seiner  Jugend  dieses 
Wissensgebietes  bemächtigt.  Sie  fesselte  die  Geduld  in  ihm, 
womit   er   keinen    der   vielverschlungenen   Seitenwege   scheute, 

Jahrbuch  1916.  11 


162  Nekrologe 

um  es  zu  erweitern  und  zu  bereichern.  Damit  hängt  ein 
Charakterzugseiner  wissenschaftlichen  Persönlichkeit  zusammen, 
wodurch  er  sich  von  den  meisten  seiner  germanistischen  Fach- 
genossen unterschied,  die  Weite  seines  Gesichtskreises.  Gleich 
in  seinen  Anfängen,  als  er,  der  Schüler  Theodor  Sickels,  von 
fränkischen  Forschungen  ausging,  ließ  er  sich  auf  die  Tochter- 
rechte des  fränkischen  Rechts,  das  altfranzösische  und  das  anglo- 
normannische,  führen,  die  damals  in  Deutschland  als  Arbeits- 
gebiete vereinzelter  Spezialisten  galten  und  denen  dafür  die 
andern  Germanisten  um  so  sorgfältiger  aus  dem  Weg  gingen. 
Er  hat  sich  mindestens  mit  gleicher  Gründlichkeit  wie  jene 
Spezialisten  und  außerdem  mit  sehr  viel  strengerer  Kritik  auf 
die  fränkischen  Tochterrechte  geworfen.  Ohne  sie  hätte  er  seine 
einflußreichsten  Arbeiten  gar  nicht  zustande  bringen  können. 
Aber  niemals  hat  er  sich  dazu  verleiten  lassen,  als  Spezialist 
in  ihnen  aufzugehen.  Immer  wieder  hat  er  den  Weg  zurück- 
gefunden zu  der  Hauptaufgabe  auf  dem  deutschen  Boden,  die 
er  sich  einmal  gestellt  hatte.  So  behielt  er  auch  immer  einen 
offenen  Blick  für  die  von  andern  gepflegten  Studien  in  den 
Quellenkreisen  der  nordgermanischen  Rechte,  schon  von  den 
siebziger  Jahren  des  vorigen  Jahrhunderts  an,  als  die  sonst 
führenden  Geister  in  der  deutschen  Juristenwelt  für  alle  ein- 
schlägigen Forschungen  nur  ein  bald  spöttisches,  bald  mit- 
leidiges Lächeln  hatten.  Keiner  verwertete  bereitwilliger  wie 
er,  keiner  mit  verlässigerem  Gefühl  für  das  jeweils  Zutreffende 
die  Ergebnisse  der  skandin avistischen  Forschungen  für  seine 
deutschrechtlichen  Arbeiten.  Um  es  zu  können,  muß  er  die 
altskandinavischen  Sprachen  verstanden  haben.  Niemals  jedoch 
gelüstete  es  ihn,  den  Schein  eigenen  fachmännischen  Betriebs 
jener  Studien  zu  erwecken.  Auch  auf  dem  deutschrechtlichen 
Forschungsgebiet  vermied  er  es,  sehr  im  Gegensatz  zu  den 
meisten  seiner  germanistischen  Zeitgenossen,  beim  Recht  eines 
bestimmten  Stammes  oder  Landes  stehen  zu  bleiben.  Es  kam 
ihm  stets,  —  auch  beim  Durcharbeiten  von  Einzelproblemen,  — 
darauf  an,  ein  umfassendes  Bild  des  gesamtdeutschen  Zustandes 
zu  gewinnen,  ohne  doch  die  Besonderheiten  von  dessen  parti- 


Nekrologe  163 

kularen  Vertretern  zu  vernachlässigen.  So  lag  der  verglei- 
chende Rechtshistoriker  in  seinem  großzügigen  Wesen. 

Freilich  halten  sich  in  ihm  das  synthetische  und  das 
analytische  Talent  auch  jenes  Gleichgewicht,  das  die  Grund- 
bedingung jedes  gedeihlichen  komparativen  Forschens  ist.  Für 
ihn  gibt  es  keine  gewaltsame  Kombination  etwa  um  einer  ver- 
blüjBFenden  These  willen.  Immer  ehrlich  gegen  sich  selbst  ver- 
langt er  von  sich  vor  allem  Rechenschaft  über  die  Festigkeit 
der  Unterlagen,  auf  die  er  seine  Schlüsse  baut.  Daher  auch 
die  klassische  Ruhe,  die  seinen  schriftstellerischen  Vortrag  so 
erquicklich  macht. 

Echter  Historiker  aber  ist  Brunner,  indem  er  es  nicht 
dabei  bewenden  läßt,  die  rechtlichen  Erscheinungen  der  Ver- 
gangenheit zu  beschreiben,  sondern  indem  er  auch  darauf  aus- 
geht, sie  durch  ihre  Ursachen  zu  erklären.  Und  sein  offener 
Blick  findet  diese  ebenso  und  oft  noch  mehr  außerhalb  der 
Rechtszustände  wie  in  deren  innerem  Zusammenhang.  Darum 
ist  seine  Aufmerksamkeit  allem  Geschichtlichen  zugewandt,  ins- 
besondere den  Staatsbegebenheiten,  dem  Wirtschaftsleben,  den 
militärischen  Verhältnissen,  den  religiösen  Bewegungen,  Wenn 
er  dabei  niemals  seine  rechtswissenschaftliche  Aufgabe  aus  dem 
Auge  verliert,  das  Nichtjuristische  ihm  stets  nur  Mittel  zum 
Zweck  bleibt,  so  hat  er  doch  durch  seine  beständigen  Aus- 
blicke darauf  die  jedem  Historiker  unerläßliche  Fähigkeit  in 
sich  groß  gezogen,  sich  in  den  Charakter  der  Zeiten  zu  ver- 
setzen. Es  kommt  ihm  nicht  in  den  Sinn,  die  frühgermanischen 
Zustände  mit  denen  eines  Naturvolkes  zu  verwechseln,  und 
ebensowenig,  den  vergangenen  Geschlechtern  moderne  Vor- 
stellungen unterzuschieben. 

Ein  so  einsichtiger,  redlicher  und  strenger  Forscher  scheut 
auch  die  mühseligste  Kleinarbeit  nicht.  Brunner  sammelt  immer 
das  ganze  ihm  zugängliche  Material.  Nie  begnügt  er  sich  mit 
dem  Verwerten  von  Vorarbeiten,  in  deren  Kenntnis  ihn  doch 
Keiner  übertrifft.  Das  ganze  erforderliche  Rüstzeug  bringt  er 
mit.  In  umfassender  Kunde  und  eingehender  Kritik  der  Quellen,^ 
in  Diplomatik  und  Paläographie  ist  er  von  Anfang  an  geschult. 

XI* 


164  Nekrologe 

In  germanischen  und  älteren  romanischen  Sprachen  zeigt  er 
sich  bewandert.  Von  linguistischer  Methode  besitzt  er  eine  so 
klare  Vorstellung,  um  zu  wissen,  daß  etymologische  oder  lexi- 
kalische Argumente  kein  Spielzeug  sind,  dessen  sich  der  Rechts- 
historiker nach  Belieben  bedienen  darf.  Gerade  darum  ging 
er  mit  Freude  darauf  ein,  als  ihm  erstmals  der  Plan  vorge- 
tragen wurde,  den  gesamten  Wortschatz  der  deutschen  Rechts- 
sprache durch  fachmännische  Hände  sammeln  zu  lassen.  Er 
war  es,  der  die  Anregung  an  die  Berliner  Akademie  weiter 
gab  und  sie  dazu  bestimmte,  die  Mittel  für  ein  deutsches  Rechts- 
wörterbuch bereit  zu  stellen,  und  er  hat  die  dafür  eingesetzte 
Kommission  bis  zu  seinem  Tode  geleitet. 

Es  kann  hier  nicht  daran  gedacht  werden,  die  Entdeckungen 
aufzuzählen,  die  wir  Brunner  verdanken,  oder  auch  nur  die 
Titel  aller  Abhandlungen  und  Bücher  zu  nennen,  die  er  ge- 
schrieben hat.  Auch  außerhalb  juristischer  Kreise  weiß  man, 
daß  in  die  ersten  Jahre  seines  Aufstiegs  ein  Buch  über  die 
Entstehung  der  Schwurgerichte  fällt,  das  ihm  einen  Weltruf 
verschafft  hat.  Es  krönte  eben  jene  Arbeiten  über  das  frän- 
kische und  dessen  Tochterrechte,  von  denen  früher  die  Rede 
war  und  deren  Nebenfrüchte  in  verschiedenen  kleineren  Studien 
vorliegen.  Noch  mehr  vielleicht  als  unter  Juristen  ist  unter 
den  Historikern  sein  Buch  über  die  Rechtsgeschichte  der  römi- 
schen und  germanischen  Urkunde  bekannt,  das  neben  man- 
cherlei vorbereitenden  Abhandlungen,  nicht  nur  eine  Gruppe 
von  Rechtsinstituten  ans  Licht  gezogen,  sondern  auch  den  Ver- 
fasser in  die  vorderste  Reihe  der  Diplomatiker  gestellt  hat. 
Allen  Geisteswissenschaftern  bekannt  ist  das  Werk  seiner  zweiten 
Lebenshälfte,  seine  deutsche  Rechtsgeschichte.  In  diesem  Werk 
sollten  „die  seit  einem  halben  Jahrhundert  [nämlich  seit  Karl 
Friedrich  Eichhorn]  durch  Spezialuntersuchungen  gewonnenen 
Ergebnisse  unter  Dach  und  Fach  gebracht*  und  dem  Bedürf- 
nis nach  einer  „umfassenden  nicht  an  den  Rahmen  eines  kurzen 
Lehrbuches  gebundenen  Darstellung  der  deutschen  Rechts- 
geschichte" abgeholfen  werden.  Brunner  nahm  den  gewal- 
tigen Plan  in  seiner  gewohnten  Art.    Er  gibt  nicht  bloß  eine 


Nekrologe  165 

künstlerisch  gerundete  Zusammenfassung  der  bis  dahin  errun- 
genen entwicklungsgeschichtlichen  Erkenntnisse  auf  dem  Ge- 
biet der  kontinentaldeutschen  Rechte.  Er  geht  vielmehr  allen 
Problemen  noch  einmal  selbständig  nach.  Beinahe  auf  jeder 
Seite  suchte  er  über  sie  unmittelbar  aus  den  Quellen  ins  Reine 
zu  kommen.  Ein  solches,  selbst  bei  gedrängter  Fassung  viel- 
bändiges Unternehmen  hätte  eine  längere  Zeit  als  die  seines 
Lebens  beansprucht,  auch  w^enn  er  es  in  früheren  Jahren  be- 
gonnen hätte  und  auch  wenn  er  nicht  schon  bald  nach  dem 
Erscheinen  des  zweiten  Bandes  genötigt  gewesen  wäre,  eine 
durchgreifend  erneute  Auflage  des  ersten  zu  bearbeiten.  So 
steht,  wie  unser  unvergeßlicher  Brinz  sagen  würde,  auch  dieser 
Dom  bis  jetzt  unvollendet.  Die  Rechtsgeschichte  ist  nicht  über 
den  zweiten  Band,  der  noch  nicht  einmal  den  Stoff  der  soge- 
nannten fränkischen  Zeit  vollständig  erschöpft,  hinaus  gediehen. 
Zahlreiche  Nebenarbeiten,  die  sämtlich  in  den  Dienst  des  großen 
Werkes  gestellt  und  hauptsächlich  in  den  Sitzungsberichten 
der  Berliner  Akademie  und  in  der  Zeitschrift  für  Rechtsge- 
schichte veröffentlicht  sind,  sowie  eine  Gesamtskizze,  seine  in 
6  Auflagen  erschienenen  , Grundzüge  der  deutschen  Rechts- 
geschichte" lassen  ahnen,  welchen  Gewinn  die  Wissenschaft 
von  einer  Weiterführung  seines  Hauptwerkes  zu  erwarten  ge- 
habt hätte. 

Brunners  rechtshistorisches  Wirken  war  indes  nichts  weniger 
als  rein  literarisch.  Wenn  auch  kein  glänzender  Dozent  hat 
er  doch  im  persönlichen  Verkehr  viele  jüngere  Kräfte  zum 
Nacheifern  angeregt.  Schüler  nicht  nur  aus  deutschen  sondern 
auch  aus  manchen  fremden  Ländern  haben  auf  fortgeschrit- 
tenen Stufen  ihrer  eigenen  Entwicklung  ihn  aufgesucht.  So 
sind  viele  tüchtige  Erstlingsarbeiten  unter  seiner  Aufsicht  ent- 
standen, darunter  solche  von  Gelehrten,  die  jetzt  selbst  schon 
eines  angesehenen  Namens  sich  erfreuen.  Seines  Anteils  am 
Zustandekommen  des  deutschen  Rechtswörterbuches,  der  sich 
keineswegs  auf  die  kommissarischen  Geschäfte  beschränkte,  ist 
schon  gedacht  worden.  Ganz  ähnlich  hat  er  als  Leiter  der 
Leges- Abteilung  der  Monumenta  Germaniae  gewirkt,  zwar  ohne 


166  Nekrologe 

jemals  selbst  einen  Text   herauszugeben,   doch    als  Meister    in 
der  Kritik  der  Texte. 

An  äußerer  Anerkennung  hat  es  seinen  Verdiensten  nie- 
mals gefehlt.  Frühzeitig  waren  Hochschulen  ersten  Ranges 
darauf  bedacht,  ihn  für  sich  zu  gewinnen.  Viele  gelehrte  Ge- 
sellschaften nahmen  ihn  unter  ihre  Mitglieder  auf.  Die  höch- 
sten staatlichen  Auszeichnungen,  die  nur  Geistesarbeitern  gelten 
wollen,  sind  ihm  zuteil  geworden.  Der  schlichte,  sachliche 
Mann  hat  in  solchen  Ehren  niemals  ein  Ziel  seiner  Laufbahn, 
sondern  höchstens,  wenn  es  dessen  für  ihn  noch  bedurft  hätte, 
den  Antrieb  dazu  erblickt,  seiner  Lebensaufgabe  bis  zum  Ende 
zu  dienen.  v.  Amira. 


Auch  Alfred  Dove,  geboren  zu  Berlin  am  4.  April  1844, 
gestorben  zu  Freiburg  i.  Br.  am  21.  Januar  1916  als  auswär- 
tiges Mitglied  unserer  Klasse,  ist  Jahre  lang  deren  ordentliches 
Mitglied  gewesen:  von  1893 — 97,  als  er  in  München  die  Zeit 
seiner  vielleicht  reichsten  und  genußreichsten  Entfaltung  ver- 
brachte. C,  A.  Cornelius'  freie  Weitherzigkeit  hat  den  zum 
Journalisten  gewordenen  Professor  damals  in  die  gelehrte  Körper- 
schaft eingeführt,  Dove  hat  zu  ihr  geredet  und  blieb  Mitglied 
ihrer  historischen  Kommission.  Er  selber  nannte  sich  freilich 
einen  sehr  unakademischen  Menschen  und  war  es  auch;  und 
doch  trug  er  in  sich  allein  eine  ganze  Akademie:  das  anschei- 
nend Widerstrebendste  traf  sich  in  Doves  Seele  und  Leben. 
Er  hatte  Verständnis  für  alles  Geistige,  woher  immer  es  wehte; 
er  war  ungewöhnlich  reich  und  ungewöhnlicher  Gegensätze  voll. 
Der  Sohn  und  der  Biograph  des  berühmten  Physikers  und 
Meteorologen,  hatte  er  als  Naturforscher  begonnen  und  hielt 
diese  Bande  lebenslang  fest,  auch  nachdem  er,  noch  als  Stu- 
dent, zur  Geschichte  übergegangen  war.  Er  lernte  als  Histo- 
riker bei  Häußer,  dem  politischen  Kämpfer,  bei  Jaffe,  dem 
Philologen,  und  bei  Ranke,  dem  Meister  aller  Meister.  Er  wurde 
Historiker  und  Publizist  zugleich;  er  war  ja  Student  in  den 
deutschen  Kampfesjahren  von  1862   ab;   der  Schüler  Häußers 


Nekrologe  167 

wurde  1870  Redakteur,  scliuf  sich  seine  eigene  Wochenschrift 
Im  Neuen  Reich,  und  kehrte  1891  nach  17  jähriger  Pause  zur 
Journalistik  zurück  als  Herausgeber  der  Wissenschaftlichen 
Beilage  zur  Allgemeinen  Zeitung  und  zeitweilig  der  Zeitung 
selbst.  Der  Drang  zum  Wirken  ließ  ihm  also  nicht  Ruhe, 
und  doch  war  er  keineswegs  Politiker  von  Temperament.  Als 
Historiker  war  er  vielmehr  ganz  streng  rankisch:  der  Mann 
der  reinen  Gerechtigkeit  und  der  reinen  Betrachtung,  der  über 
den  Dingen  stand;  er  war  weitschauend  und  wahrhaft  gelehrt, 
und  doch  mehr  Genießer  der  Geschichte  als  eigentlicher  Ge- 
lehrter. Er  war  von  1874  ab  in  Breslau,  von  1884  ab  in 
Bonn  Professor  und  kehrte  1897  von  der  Zeitung  an  die  Uni- 
versität zurück:  als  Freiburger,  Emeritus  und  Badischer  Ge- 
heimer Rat  ist  er  gestorben.  Er  war  ein  feiner  Lehrer,  man 
sagt:  für  die  Masse  ein  allzu  feiner;  vielleicht  ein  besserer 
Erzieher  noch,  so  hat  man  ihn  einmal  gefeiert,  für  Professoren 
als  für  Studenten.  Sein  Leben  hat  den  beweglichen  Skeptiker 
zum  Mitglied  und  Haupt  gelehrter  Gesellscbaften  gemacht:  er 
leitete  sie  sicher,  mit  lächelnder  Liebenswürdigkeit,  äußerlich 
über  alle  Gegensätze  erhaben,  im  Innersten  gütig  und  zart,  in 
seiner  Form  manchmal  von  stachlichem  und  gefürchtetem  Sar- 
kasmus.  So  war  er  auch  als  geistige  Persönlichkeit:  sprühend, 
funkelnd,  fast  blendend  mit  einem  unablässig  wechselnden  Lichte 
—  und  dennoch  in  der  Tiefe  seines  Wesens  der  Träger  eines 
ganz  bestimmten  Ideals,  einer  bestimmten,  zäh,  ernsthaft  und 
ehrfürchtig,  ja  abweisend  und  kriegerisch  festgehaltenen,  gei- 
stigen Kultur. 

Er  hat  keine  großen  Bücher  geschrieben;  verdienstvolle 
Forschungen  wohl;  die  große  Geschichtschreibung  geriet  ihm 
etwas  zu  essayistisch,  er  warf  sein  Buch  über  Friedrich  den 
Großen  (1883),  kaum  angefangen,  weg  und  überließ  das  Erbe 
dem  stärkeren  Reinhold  Koser.  Aber  er  schrieb  geistige 
Biographien:  ein  feines  lebensvolles  Buch  über  Alexander  v.  Hum- 
boldts Spätzeit  (1872)  und  andere,  kürzere  Naturforscherbio- 
graphien. Auch  Großherzog  Friedrich  von  Baden  mit  seinem 
nur  halb  politischen  Grundzuge  lockte  und  belohnte  den  Zeit- 


168  Nekrologe 

genossen  und  den  Geist  in  ihm.  Vor  allem  Leopold  Ranke 
wurde  sein  Held:  den  größten  unserer  Geschichtschreiber  hat 
dieser  feinste  seiner  Schüler  wundervoll  durchdrungen  und  ge- 
spiegelt,  seine  Rankeschriften  sind  klassisch.  Und  daneben 
seine  übrigen  Aufsätze:  er  hat  sie,  ganz  Dovisch,  als  „Aus- 
gewählte Schriftchen  vornehmlich  historischen  Inhalts",  mit 
einer  Widmung  an  Paul  Heyse,  1898  in  einem  starken  Bande 
zusammengefaßt,  dem  man  dringend  eine  Nachlese  wünscht. 
Es  ist  eines  der  reizvollsten  Bücher  unserer  Literatur;  es  ent- 
hält sein  Mustergültiges  und  Bleibendes;  wie  seine  Rankeschriften 
nicht  eigentlich  stark,  ein  wenig  zersplittert  auch  hier,  aber 
von  eigenstem  Werte,  Da  sind  Reden  und  Aufsätze  von  vollem 
wissenschaftlichem  Gehalte,  biographische  Skizzen  und  Tages- 
artikel, kritische  Gänge  und  Streitaufsätze  zur  Geschichte  und 
Literatur.  Alles  wohlgegründet,  fein,  durchdacht  und  durch- 
gearbeitet, scharf,  dabei  ganz  Form:  ganz  Geist,  Grazie  und 
Witz.  Es  sind  kleine  Kunstwerke  von  beinah  raffiniertem  Reize, 
höchst  eigen,  und  doch  nicht  verletzend  preziös.  Wo  das  Herz 
ihm  schlug,  sind  auch  die  Töne  voller  und  wärmer:  der  Patriot 
und  Publizist  blickt  dann  hindurch.  Aber  der  Kern  ist  An- 
mut —  hinreißend  wie  in  seiner  Unterhaltung,  eine  geschliffene 
natürliche  Anmut,  wie  sie  der  Deutsche  so  selten  besitzt.  Das 
alte  geistige  Berlin  mag  da  wohl  zum  Ausdruck  kommen,  ein 
wenig  leichtflüssiges  schlesischesBlut  als  Vatererbe,  andere  fremd- 
artigere Beisätze  vielleicht  zudem ;  und  die  Widersprüche  seines 
Wesens  beleben  das  Bild.  Alfred  Doves  geistige  Art  bietet 
der  geschichtlichen  Einordnung  seiner  Erscheinung  ein  Problem, 
das  die  Mühe  lohnt;  er  freilich  würde  sich  solche  Einordnung 
verbitten.  Das  nachfolgende  Historikergeschlecht  ordnete  und 
dachte,  reflektierte  und  klassifizierte  ihm  ohnehin  viel  zu  viel; 
es  war  ihm  teils  zu  grob  und  teils  zu  fein.  Er  wollte  die  Dinge 
unbefangener  betreiben,  er  blieb  Er  und  hatte  keine  Lust,  die 
Nachkommenden  auch  noch  zu  verstehen.  Er  gehörte  zur 
Generation  Paul  Hejses,  der  ja  auch  Altberliner  war  und 
halber  Süddeutscher  wurde  wie  Dove.  Er  trug  vielerlei  in 
sich:  einen  Abglanz  Aufklärung  —  nicht  von  ungefähr  waren 


Nekrologe  1  "9 

die  beiden  zweiten  Friedriche,  der  Hohenstaufe  und  der  Hohen- 
zoller,  seine  Helden;  einen  stärkeren  Zug  von  Klassik  und  von 
Romantik  dazu,  von  Naturwissenschaft  und  von  Politik  über- 
dies. Er  versenkte  sich  in  alle  diese  Strömungen,  er  wurde 
Herausgeber  aus  Liebe,  für  Goethe,  für  Ranke  und  außerdem 
für  Bismarck;  AI.  v.  Humboldt  habe  ich  schon  genannt.  Es 
war  ein  ästhetisch-humanistischer  Trieb  in  ihm,  ein  Drang  zur 
Harmonie,  zur  Einheit  bei  all  seiner  spielenden  Vielheit,  und 
diese  so  zusammengeflossene  Kultur  von  1860  und  70  trug  er 
in  sich  und  stellte  er  in  sich  dar  mit  entzückender  Feinheit, 
aber  eben  auch  mit  einer  ablehnenden  Geschlossenheit  gegen 
alles  Neue,  die  sich  wehrte  durch  Witz.  Er  war  der  Schöpfer 
kleiner  Kunstwerke  und  selber  ein  Kunstwerk:  als  solches,  als 
eine  Kraft  von  seltener  Anregung  hat  er  seine  näheren  Um- 
gebungen überall  durchleuchtet  und  auf  das  zeitgenössische 
Geistesleben  wahrscheinlich  mannigfach  eingewirkt.  Wie  er 
war  und  wirkte,  dem  wird  vielleicht  die  Nachwelt  nachspüren: 
er  war  voll  Lebens  und  wird,  so  denke  ich,  anregungsreich  und 
Fragen  aufrufend  weiterleben  in  der  Geschichte  des  Geistes.^) 

E.  Marcks, 

Am  15.  Juli  1915  starb  zu  Antwerpen  Dp.  IVIax  Rooses, 
seit  1899  korrespondierendes  Mitglied  unserer  Akademie.  Ge- 
boren am  10.  Februar  1839  in  Antwerpen  hatte  er  frühzeitig 
die  Leitung  des  Museum  Plantin  Moretus  daselbst  übernommen, 
das  durch  seine  Ordnungstätigkeit  und  Forschungen  zu  seiner 
jetzigen  kunstgeschichtlichen  Bedeutsamkeit  erwuchs.  Seine 
umfassenden  und  gründlichen  Publikationen  verschafften  ihm 
auch  die  Mitgliedschaft  der  Akademien  von  Brüssel  und  Ant- 
werpen, wie  eine  eingehende  Würdigung  seiner  Verdienste  in 
J.  van  de  Vennes  Mannen  van  Beteckenis  in  onze  dagen,  Haar- 
lem  1893.  Wir  können  von  seinen  zahlreichen  Werken  nur 
die   umfänglicheren  und   epochemachendsten   hervorheben.     So 


^)  Vgl.  Reden  am  Grabe  Alf.  Doves,  Freiburger  Akad.  Mitteilungen 
1915—6,  10.  (H.  Finke,  Eb.  Gothein.)  Ein  Aufsatz  Fr.  Meineckes  in  der 
Historischen  Zeitschrift  steht  zu  erwarten. 


170  Nekrologe 

das  preisgekrönte  Buch:  Geschiedenis  der  Antwerpsche  Schilder- 
school,  s'Gravenhage  1878,  drei  Jahre  später  zu  München  in 
deutscher  Übersetzung  erschienen.  Dann  die  sieben  Bände 
der  Levenschets,  Gent  1873—1885,  und  das  fünfbändige  Werk 
L'oeuvre  de  P.  P.  Rubens,  Antwerpen  1886 — 1892.  Seine 
Tätigkeit  hielt  auch  bis  ins  Greisenalter  an,  wie  das  inhalt- 
reiche und  durch  erschöpfende,  meist  monographistische  Litera- 
turnachweise und  durch  nahezu  700  Illustrationen  nach  Haupt- 
stücken aller  Kunstzweige  höchst  brauchbare  Handbuch  be- 
weist, das  unter  dem  Titel:  Flandre,  Histoire  generale  de  Tart 
1813  in.  Paris,  dann  verdientermaßen  in  deutscher,  englischer, 
spanischer  und  italienischer  Sprache  erschienen  ist.  Rooses' 
Name  wird  mit  der  kunstgeschichtlichen  Forschung  der  Nieder- 
lande, speziell  Belgiens,  dauernd  verknüpft  bleiben. 

V.  Reber. 

Von  ihren  korrespondierenden  Mitgliedern  verlor  die  histo- 
rische Klasse  am  15.  August  1915  Bernhard  von  Slmson,  den 
75  jährigen  Emeritus  der  Freiburger  philosophischen  Fakultät, 
persönlichen  Schüler  Rankes  und  Giesebrechts,  sachlichen  Schüler 
vor  allem  von  Waitz,  einen  vielverdienten  Forscher  der  strengen 
mittelalterlichen  philologisch-historischen  Richtung,  einen  ern- 
sten, zurückhaltenden  und  wahrhaftigen  Mann.  Seine  wich- 
tigsten Arbeiten  sind  nicht  ohne  Zusammenhang  mit  München: 
seine  Jahrbücher  Ludwigs  des  Frommen  und  Karls  des  Großen, 
die  er  der  Historischen  Kommission,  sein  Abschluß  von  Fried- 
richs I.  Geschichte  in  Giesebrechts  , Kaiserzeit *,  den  er  der  Pietät 
für  den  verstorbenen  Lehrer  seiner  Jugend  dargebracht  hat.^) 

1)  Vgl.  A.  Dove  in  der  Historischen  Zeitschrift  115,  469  ff. 


171 


Öffentliclie  Sitzung 

der  K.  Akademie  der  Wissenschaften 

am  15.  November  1916. 

Die  Sitzung  eröffnete  der  Präsident  der  K.  Akademie  der 
Wissenschaften  Herr  Crusius  mit  folgender  Ansprache: 

Königliche  Hoheit! 

Exzellenzen! 

Verehrte  Anwesende! 

Unsre  Einladung  zum  heutigen  Tage  mußte  Seiner  Majestät 
dem  König  auf  seine  Fahrt  an  die  Ostfront  nachgesandt  werden. 
Aber  sie  wurde  überholt  durch  die  Botschaft  von  dem  Helden- 
tode Seiner  Königlichen  Hoheit  des  Prinzen  Heinrich.  Mit 
Seiner  Majestät  und  dem  Königlichen  Hause,  als  deren  Ver- 
treter wir  S.  K.  Hoheit  den  Prinzen  Alfons  unter  uns  zu 
sehn  die  Ehre  haben,  gedenken  wir  des  jungen  Fürsten  in 
aufrichtiger  Trauer.  Ich  darf  wohl  sagen:  er  stand  auch  uns 
nahe,  der  Führer  des  Leibregiments,  jetzt  vor  Allem,  durch 
die  Erlebnisse  und  Bekenntnisse  unsrer  Söhne  und  Schüler, 
seiner  Untergebenen,  die  ihm  in  Begeisterung  und  Dankbarkeit 
zugetan  waren.  Sein  Bild  bleibt  uns,  bleibt  der  kommenden 
deutschen  Jugend,  als  Vorbild:  pflichttreu  und  tatkräftig,  vor- 
nehm und  schlicht,  mit  der  Herzensgüte  des  Starken.  Der 
christliche  Ritter. 

Als  ich  vor  einem  Jahre  an  dieser  Stelle  stand,  lebten 
wir  wohl  alle   der  Hoffnung,   daß   der  W^iederkehr   des  Tages 


172  öffentliche  Sitzung  am  15.  November 

das  Zeichen    des  Friedens  leuchten   werde.     Und    immer    noch 
hält  unser  Volk  Wache  am  Eisendamm! 

Ich   sprach  damals  zum  Thema  scientia  oder  philosophii 
militans. 

Die  Arbeit  der  Wissenschaft  für  den  Krieg,  die  Anpassung 
der  Wissenschaft,  auch  der  wissenschaftlichen  Persönlichkeit, 
an  den  Krieg,  an  die  Zwecke  der  militärischen  Maßnahmen, 
vollzog  und  vollzieht  sich  weiter.  Die  Veröffentlichungen  der 
Kaiser-W'ilhelms- Gesellschaft,  der  Akademien  und  Institute, 
des  deutschen  Museums,  eigne  Beobachtungen  und  Erlebnisse 
könnten  reichen  Stoff  darbieten,  um  den  Faden  weiter  zu 
spinnen. 

Aber  heute  möchte  ich  den  Blick  auf  die  andre  Seite 
der  Medaille  lenken,  auf  der  geschrieben  steht:  militia  philo- 
sophans. 

Sie  wissen  wie  die  Feldgrauen  und  ihre  Führer  in  unsrem 
Sinne  draußen  tätig  sind,  wie  mit  den  deutschen  Heeren  die 
deutsche  Kulturarbeit  vorrückt.  Auch  in  diesem  engern  Kreise 
bewährt  sich  das,  wie  ich  schon  im  vorigen  Frühjahr  andeuten 
konnte:  Inter  arma  florent  Musae.  Unsre  Kollegen,  unsre 
Mitarbeiter  und  Schüler  im  Feld  leisten  uns  Tag  für  Tag 
wertvolle  Dienste.  Reiches  Material  strömt  nach  wie  vor  aus 
den  Schützengräben  in  die  Sammlungen  für  den  bayrischen 
Dialekt,  die  Soldatensprache,  die  Soldatenlieder.  Ein  Mit- 
arbeiter des  Thesaurus,  der  seit  dem  Kriegsbeginn  als  Front- 
offizier bei  der  Infanterie  tätig  ist,  fand  auch  im  Unterstand 
Muße  und  Spannkraft,  seine  wissenschaftlichen  Beobachtungen 
fortzusetzen.  Bei  der  Eröffnung  und  dem  Ausbau  der  bis  zu 
zehn  Meter  tiefen  Schachte  und  Stollen,  die  der  Stellungskrieg 
erheischt,  entdeckt  das  wissenschaftlich  gebildete  Auge  geolo- 
gische, paläontologische,  vorgeschichtliche  Schätze,  die  auch 
unter  dem  Donner  feindlicher  Geschütze  für  die  Wissenschaft 
gehoben  und  geborgen  werden. 

Vor  allem  ist  es  die  geologisch -paläontologische  Staats- 
sammlung, deren  Vorstand,  Herr  Rothpletz,  diesmal  über  wert- 
volle Forschungen  von  den  Kriegsschauplätzen  berichten  konnte. 


n 

I 


Ansprache  des  Präsidenten  17o 

So  schickte  aus  der  Kreide  von  Arras  Herr  Leutnant 
Dr.  Garnier  (1.  Bayer,  Res.-Inf.-Rgt.)  eine  Anzahl  von  großen, 
zu  Schaustücken  sehr  geeigneten  Gesteinsproben  und  Fossilien. 
Von  Herrn  cand.  geol.  Leutnant  Abel  (1.  Bayer.  Inf.-Rgt.) 
erhielten  wir  eine  Serie  hübscher  Pflanzenreste  aus  dem  nord- 
französischen Steinkohlengebirge  und  Herr  Major  0.  Roesch 
(Bayer.  Res.-Inf.-Rgt  Nr.  8)  beschenkte  uns  mit  einem  50  cm 
im  Durchmesser  aufweisenden  verkieselten  Stammfragment  eines 
Laubholzes  aus  den  ältesten  Tertiärschichten  von  Berny  en 
Santerre  bei  Peronne. 

Vom  serbischen  Kriegsschauplatz  glückte  es  Herrn  cand. 
geol.  Leutnant  Weckert  (3.  Jäger-Rgt.,  seit  dem  Sturm  auf 
Thiaumont  vermißt)  aus  dem  Morawa-Tal  und  der  Gegend 
von  Istip  verschiedene  krystalline  Gesteine  und  Eruptivgesteine 
—  die  einzigen  bis  jetzt  von  dort  in  unserer  Sammlung  ver- 
tretenen Stücke   —  uns  zukommen  zu  lassen. 

Einen  interessanten,  einzigartigen  Saurieroberarm  aus  dem 
Ob.  Muschelkalk  der  Nord-Vogesen  erhielten  wir  kürzlich 
durch  den  Kriegsgeologen  Herrn  Vizefeldwebel  Dr.  E,  Kraus. 

Eine  ganze  Reihe  reichhaltiger  Zuwendungen  kamen  uns 
aber  aus  dem  Jura  der  Gegend  von  Verdun  zu.  So  war  vor 
allem  der  Gustos  unsrer  Sammlung,  Herr  Privatdozent  Dr.  E. 
Dacque,  welcher  seit  Ende  des  Jahres  1915  in  der  Gegend 
von  Mars  la  Tour,  im  Woewre  und  bei  St.  Mihiel  als  Feld- 
geologe tätig  ist,  bemüht,  durch  systematische  Aufsammlungen 
namentlich  von  Gesteinsproben,  Lücken  in  unsrer  Sammlung 
zu  füllen;  im  gleichen  Sinne  bedachte  uns,  auch  aus  dem 
nämlichen  Gebiet,  der  Feldgeologe  Dr.  Lebling,  während 
uns  der  Zugführer-Stellvertreter  cand.  geol.  Gißer  (vom  Bayer. 
Lazarett-Trupp  4)  mit  hübschen  Versteinerungen  aus  der  Ge- 
gend von  Gonflans  beschenkte.  Die  Gegend  Vilosnes  an  der 
Maas  bis  Damvillers  mit  dem  Ormont-Wald,  im  Norden  von 
Verdun,  in  welcher  die  jüngsten  Schichten  des  Jura  aufge- 
schlossen sind,  wurde  von  den  Herrn  Leutnant  Dr.  Wecker 
(Res.-Fuß-Art.-Rgt.  Nr.  13)  und  Herrn  Leutnant  F.  Sturm 
(Res.-Fuß-Art.-Rgt.  Nr.  18)  nach  Fossilien  und  Gesteinsproben 


174  Öffentliche  Sitzung  am  15.  November 

gründlich  durchsucht,  unter  denen  uns  eine  geschlossene  Profil- 
serie vom  Ormont  -  Wald,  durch  Herrn  Sturm  gesammelt, 
sehr  wertvoll  ist,  da  sie  uns  den  Anschluß  an  die  Aufsamm- 
lungen Dr.  Dacques  bietet. 

Bei  weitem  die  umfangreichste  und  gleichzeitig  ganz  be- 
sonders schöne  Sammlung  aus  dem  Jura  des  altberühmten  Fund- 
platzes von  St.  Mihiel  wurde  uns  durch  S.  K.  Hoheit  den  Prinzen 
Franz  von  Bayern,  Kommandeur  der  4.  Bayer.  Inf.-Division 
zuteil.  Es  sind  persönliche  Aufsammlungen  S.  K.  Hoheit.  Sie 
enthalten  eine  nahezu  vollständige  Fauna  des  dortigen,  an  Ver- 
steinerungen so  überaus  reichen  Diceras- Kalkes,  Diese  sind 
zu  vergleichenden  Studien  mit  den  Diceras -Kalken  unseres 
fränkischen  Jura  von  hohem  wissenschaftlichen  Wert  und 
bergen  eine  Reihe  äußerst  seltener  Versteinerungen,  unter 
denen  merkwürdige,  von  dort  bis  jetzt  kaum  bekannte,  nun 
aber  in  zahlreichen  schönen  Exemplaren  aufgefundene  Krabben- 
reste (Prosoponiden,  Maskenkrebse)  besonders  genannnt  zu 
werden  verdienen. 

All  diesen  Spendern,  insbesondere  aber  S.  K.  Hoheit  dem 
Prinzen  Franz  von  Bayern,  sei  an  dieser  Stelle  der  herzlichste 
Dank  ausgesprochen. 

Auch  andre  Sammlungen  haben  wertvollen  Zuwachs  zu 
verzeichnen,  vor  allem  unser  Münzkabinett,  durch  eine  Schen- 
kung ganz  köstlicher,  künstlerisch  trefflicher  Stücke.  Doch 
•wie  viele  unter  den  Anwesenden  mögen  diesem  Schatz  in 
seinem  Dornröschenschloß  je  genaht  sein! 


Im  Leben  der  Akademie  herrschte  eine  stärkere  Bewegung 
als  in  manchen  Friedensjahren.  Eifrig  wurden  organisatorische 
Fragen  verhandelt  und  seit  Menschengedenken  zum  erstenmal 
trat  eine  Vollversammlung  aller  Mitglieder  (auch  der  außer- 
ordentlichen) zusammen,  um  Mitteilungen  von  allgemeiner, 
über  die  Klassen  hinausreichender  Bedeutung  entgegenzu- 
nehmen. 

Ernster  als  je  sprach  zu  uns  in  dieser  schweren  Zeit    die 


Ansprache  des  Präsidenten  175 

Sorge  um  die  uns  anvertrauten  wissenschaftlichen  und  künst- 
lerischen Besitztümer,   um  ihre  Unterbringung  und  Sicherung. 

Wir  wissen,  daß  nach  dem  Friedensschluß  der  Staat  vor 
allem  für  das  zu  sorgen  hat,  was,  im  buchstäblichen  Sinne, 
not  tut.    Es  wird  heißen:  primum  vivere,  deinde  philosophari. 

Aber  es  sind  wirklich  brennende  Bedürfnisse,  um  deren 
Befriedigung  sich  die  Vorstände  unsrer  Sammlungen  bemühen. 

Vielleicht  darf  schon  jetzt  der  HojBFnung  Ausdruck  gegeben 
werden,  daß  die  freiwillige  und  private  Hilfe  den  Leistungen 
des  Staats  in  noch  größerem  Umfang,  wie  bisher,  ergänzend 
zur  Seite  tritt,  wie  das  so  erfolgreich  in  Berlin  geschehn  ist 
bei  der  Gründung  des  Kaiser  Wilhelm-Instituts,  und  zuletzt 
bei  der  Erwerbung  der  beiden  herrlichen  Kunstwerke,  der 
thronenden  Griechengöttin  und  des  neuen  Tizian,  um  einen 
Preis,  der  uns  den  Bau  eines  ethnographischen  Museums  er- 
möglichen würde.  Das  soll  nicht  etwa  Bemängelung  dieses 
Schrittes  sein;  es  war  bedeutsam  genug,  daß  Deutschland  so 
mitten  im  Kriege  seine  Stellung  als  europäische  Kulturmacht 
festlegte  und  sich  auch  auf  diesem  Gebiet  gegen  seine  Rivalen 
behauptete. 

Das  bedeutsamste  Ereignis  war  für  uns  der  Arbeitsbeginn 
in  der  Samsonstiftung,  die  mit  sehr  erheblichen  Mitteln 
die  Erforschung  der  Tatsachen  und  Ziele  des  sittlichen 
Lebens  zu  fördern  bestimmt  ist. 

Die  Kommission,  aus  Mitgliedern  aller  Klassen  gebildet, 
ist  zusammengetreten  und  hat  sich  in  fruchtbarem  Gedanken- 
austausch über  die  nächsten  Aufgaben  geeinigt;  auch  hier  sei 
wieder  der  Name  des  Unvergeßlichen  genannt,  der  das  Richt- 
fest nicht  mehr  mitfeiern  konnte:  Karl  Theodor  von  Heigel. 

Es  wird  doch  wohl  eine  Epoche  in  der  Geschichte  unsrer 
Akademie  bedeuten,  daß  sich  hier  Vertreter  der  Naturwissen- 
schaften und  der  Geisteswissenschaften  zu  gemeinsamer  sach- 
licher Beratung  einer  geraeinsamen  großen  Aufgabe  zusammen- 
fanden. 


176  ÖflFentliche  Sitzung  am  15.  November 

Gestern    ging    der    zweihundertjährige    Gedenktag    eint 
Königs  im  Reiche  der  Gedanken  still  ins  Land. 

Gottfried  Wilhelm  Leibnitz  kann  man  feiern  als  G< 
lehrten  und  Denker,  als  Diplomaten  und  Politiker,  als  guter 
Deutschen  und  guten  Europäer.  Wir  Akademiker  verehrei 
in  ihm  vor  allem  den  Wiederbeleber  des  Gedankens  der  Aka- 
demie und  der  akademischen  Arbeitsorganisation. 

Leibnitz,  die  mächtigste  Arbeitskraft  seit  Aristoteles,  war 
ein  universaler  Geist,  mehr  als  das,  ein  uorao  universale,  aber 
zugleich,  auf  historischem  und  mathematischen  Gebiet,  durch 
erfolgreiche  Einzelarbeit  als  Spezialist  heimisch. 

Die  Einsicht,  man  kann  sagen:  das  Erlebnis,  daß  der  Ein- 
zelne die  grundlegende  Einzelarbeit  nicht  auf  allen  Gebieten 
lernen  und  leisten  kann,  führt  zu  der  Forderung  der  Arbeits- 
organisation in  den  Akademien.  Die  Samsonstiftung 
und  andre,  schon  in  der  Luft  schwebende  Zukunftspläne,  lassen 
uns  einmal  wieder  die  Zusammengehörigkeit  der  Klassen 
und  Disziplinen  im  Sinne  Leibnitzens  stärker  empfinden,  als  es 
sonst  bei  der  Tagesarbeit  zu  geschehn  pjflegt. 

Die  Samsonstiftung  sucht  ihre  Sache  teils  durch  Preis- 
aufgaben zu  fördern,  teils  durch  Unterstützung  bestimmter,  in 
bewährter  Hand  liegender  Arbeiten. 

Als  Preisaufgaben  wurden  gewählt: 

Die  Ehe  im  alten  Griechenland. 

Es  gibt  noch  keine  umfassende  Darstellung  der  Ehe  im 
alten  Griechenland,  die  über  die  Zusammenhäufung  antiqua- 
rischen Materials  hinausginge  und  sich  auch  nur  auf  den  Stand- 
punkt des  für  seine  Zeit  verdienstvollen  Buches  von  A.  Roß- 
bach über  die  römische  Ehe  hinaufarbeitete. 

Der  Stoff  ist  ungemein  reich  und  fruchtbar,  da  die  recht- 
liche, religiöse,  sittliche  Auffassung  nach  Landschaften  und  Zeiten 
stark  variiert.    Diese  Variationstypen  sind  herauszuarbeiten, 

Gesichtspunkte.  Die  rechtliche  Seite  der  Ehe:  Ehe  in 
Familien  Verfassung    und   Staatsordnung;    Ehebegründung    und 


Ansprache  des  Präsidenten  177 

Eheform  (Monogamie,  Polygamie,  Pellikat,  Frage  der  Poly- 
andrie); Eheerschwerung;  Heiratszwang;  Scheidung;  Recht  der 
Kinder;  Ehe  in  den  Bevölkerungsschichten  minderen  Rechts; 
Sklavenehe;  Epigamie.  —  Die  religiöse  Seite  der  Ehe:  Ehe- 
verbote und  Ehezwang  im  Kult.  —  Die  sittliche  Auffassung 
der  Ehe:  Die  eheliche  Treue  nach  Recht  und  Sitte;  die  For- 
derungen der  Philosophen  {ya/uixä  jiaQayyeXjuara).  —  Die  tat- 
sächlichen Zustände  nach  Gerichtsreden ,  Inschriften  und  an- 
dern historischen  Dokumenten. 

Nicht  gewünscht  wird,  daß  die  hellenistischen,  insbe- 
sondere alexandrinisch- ägyptischen  Verhältnisse  schon  jetzt 
bearbeitet  werden. 

Der  Vorstand  der  Samson- Stiftung  setzt  als  Preis  für 
eine  in  jeder  Hinsicht  genügende  Lösung  der  Aufgabe  4000 
(viertausend)  Mark  und  die  Veröffentlichung  der  Arbeit 
auf  Kosten  der  Stiftung  aus.  Es  ist  zulässig,  daß  sich  zu 
einer  solchen  Lösung  mehrere  Arbeitskräfte  verbinden.  Sollten 
nur  teilweise  genügende  Arbeiten  eingehen,  so  behält  sich  der 
Vorstand  das  Recht  vor,  auch  nur  einen  entsprechenden  Teil 
des  Preises  zuzuerkennen. 

Als  Termin,  bis  zu  welchem  die  Preisbewerbung  einge- 
langt sein  muß,  wird  der  31.  Dezember  1920  festgesetzt. 
Nur  druckfertige  Reinschriften  in  deutscher  Sprache  sind  zur 
Preisbewerbung  zugelassen.  Sie  sind  ohne  Nennung  der  Ver- 
fasser, aber  mit  Kennwort  bezeichnet  bei  der  K.  bayer.  Aka- 
demie der  Wissenschaften  (München,  Neuhauserstraße  51)  ein- 
zureichen. 

Mit  dem  Griechentum  beginnt  Europa:  dieser  ältesten 
Kraftquelle,  deren  Wirkungen  noch  heute  überall  zu  spüren 
sind,  geht  die  erste  Preisaufgabe  nach. 

Mit  dem  Weltkrieg  —  fast  hatte  es  den  Anschein,  als 
ob  mit  dem  Weltkrieg  Europa  endete,  das  in  seiner  Gesin- 
nung doch  wesentlich  durch  das  geistige  Erbgut  vom  Altertum 
her  zusammengehalten  wurde. 

Jahrbuch  1916.  12 


178  öffentliche  Sitzung  am  15.  November 

Die  zweite  Preisaufgabe  stellt  sich  an  diesen  Endpunkt, 
wagt  sich  mitten  in  den  Streit  des  Tages,  den  Krieg  der 
Waffen  und  der  Seelen.    Sie  verlangt  eine  Untersuchung  über: 

Die  ethischen  Gefühle   und  Vorstellungen  bei  den 
europäischen    Völkiärn    während    des   Weltkrieges. 

Der  gegenwärtige  Weltkrieg  bietet  vielfach  Anlaß  zu  rein 
wissenschaftlich  wertvollen  Beobachtungen,  insbesondere  auf 
dem  Gebiete  der  Massenpsychologie  und  der  Ethik.  Diese 
Beobachtungen  zu  sammeln,  zu  beschreiben  und  zu  analysieren, 
solang  sie  noch  frisch  sind,  liegt  im  Interesse  der  ethischen 
Wissenschaft.  Von  solchen  Arbeiten  würden  wesentliche  Bei- 
träge zur  Lösung  der  Frage  nach  der  Relativität  der  Moral- 
gesetze und  in  Verbindung  damit  auch  nach  ihrer  Entstehung 
zu  erwarten  sein. 

Unter  den  Einzelfragen,  die  zu  beantworten  sein  werden, 
sollen  nur  beispielsweise  die  folgenden  hervorgehoben  sein. 
Welche  Mittel  haben  die  kriegführenden  Völker  zum  Be- 
kämpfen ihrer  Feinde  für  erlaubt  erachtet?  Welche  Kriegs- 
ziele haben  sie  sich  gesetzt  und  aus  welchen  Motiven?  Wie 
glaubten  sie  sich  gegen  Kriegsgefangene  verhalten  zu  sollen? 
—  wie  gegen  die  Neutralen?  —  wie  gegen  die  eigenen  An- 
gehörigen? Wozu  fühlten  sie  sich  insbesondere  verpflichtet 
gegen  ihre  kriegsbeschädigten  Soldaten,  gegen  deren  Familien, 
gegen  die  Hinterbliebenen  von  Gefallenen?  Wie  verhielten 
sich  die  Neutralen  bei  ihrer  Beurteilung  von  Kriegführenden? 
Inwieweit  glaubten  die  einen  oder  anderen,  unter  dem  Deck- 
mantel der  Neutralität  Kriegführende  unterstützen  zu  dürfen? 
Inwieweit  ist  in  der  Volkswirtschaft  der  Eigennutz  hinter  den 
Gemeinsinn  zurückgetreten?  In  welchem  Verhältnis  stehen 
die  Phänomene,  die  man  unter  den  angegebenen  oder  unter 
verwandten  Gesichtspunkten  feststellen  kann,  zu  dem,  was  vor 
dem  Krieg  für  erlaubt  oder  für  verwerflich  galt?  Wenn  sich 
in  dieser  Hinsicht  Veränderungen  zeigen ,  wie  sind  daran  die 
verschiedenen  Schichten  des  nämlichen  Volkes  beteiligt?  Welche 


Ansprache  des  Präsidenten  17  J 

Ursachen  vermögen  sie  zu  erklären?    Unter  welchen  Einflüssen 
sind  insbesondre  die  Massen  dabei  gestanden? 

Bei  allen  Untersuchungen  über  derartige  Fragen  ist  mög- 
lichst genaue  Analyse  der  beobachteten  Erscheinungen  zu 
fordern  auf  Grund  eines  möglichst  breiten  Quellenmaterials. 
Zu  diesem  Zweck  werden  die  belangreichen  Äußerungen  der 
offiziellen,  der  Tages-  und  der  Gelegenheitsliteratur  zu  sam- 
meln und  zu  klassifizieren,  es  wird,  wo  irgend  möglich,  auch 
der  Geheimliteratur  nachzugehen,  auch  die  ebenso  bezeich- 
nende wie  einflußreiche  Illustration  zu  berücksichtigen  sein. 
Die  Beschaifung  dieses  Materials  wird  keine  allzugroßen 
Schwierigkeiten  machen,  da  verschiedene  gut  dotierte  öffent- 
liche Sammlungen,  wie  z.  B.  in  München,  in  Berlin,  in  Ham- 
burg schon  seit  dem  Beginn  des  Krieges  alles  Erreichbare 
aus  den  verschiedenen  Ländern  aufgespeichert  haben.  Gerade 
solche  Aufgaben  wie  die  vorliegende  sind  notwendig,  wenn 
diese  Sammlungsbestände  nicht  totes  Kapital  bleiben  sollen. 

Der  Vorstand  der  Samson- Stiftung  betont,  daß  ihm  nur 
eine  allseitige  und  gründliche  Bearbeitung  des  Themas  ge- 
nügen wird.  Alles  Dilettantische  wird  er  ablehnen  ebenso 
wie  jede  Arbeit,  die  nicht  politische  Nebenrücksichten  aus- 
schließt. Gegen  eine  Vereinigung  mehrerer  Arbeitskräfte  zu 
gemeinschaftlicher  Lösung  der  Aufgabe  wird  er  keinen  Ein- 
wand erheben. 

Als  Preis  für  eine  in  jeder  Hinsicht  genügende  Lösung 
der  Aufgabe,  sei  es,  daß  sie  von  einem  Einzelnen  herrührt 
oder  durch  die  Zusammenarbeit  von  Mehreren  erzielt  ist,  setzt 
der  Vorstand  6000  (sechstausend)  Mark  aus  den  Stiftungs- 
mitteln sowie  die  Veröffentlichung  der  Arbeit  auf  Kosten 
der  Stiftung  aus.  Sollten  nur  teilweise  genügende  Arbeiten 
eingehen,  so  behält  sich  der  Vorstand  vor,  einen  entsprechenden 
Teil  des  Preises  zuzuerkennen. 

Der  Termin,  bis  zu  welchem  die  Preisbewerbung  einge- 
langt sein  muß,  wird  auf  den  Ablauf  des  fünften  Jahres 
nach  dem  letzten  Friedensschluß  festgesetzt.  Nur  druckfertige 
Reinschriften   in   deutscher  Sprache    sind    zur  Preisbewerbung 

X2* 


180  öffentliche  Sitzung  am  15.  November 

zugelassen.  Sie  sind  ohne  Nennung  der  Verfasser,  aber  mit 
Kennworten  bezeichnet  bei  der  K.  bayer.  Akademie  der  Wissen- 
schaften (München,  Neuhauserstraße  51)  einzureichen. 

Das  sittliche  Leben  der  Menschen  läßt  keine  Experimente 
zu.  Daher  muß,  im  Sinne  der  Stiftung,  ein  möglichst  reicher 
empirischer  Stoff  gesammelt  und  verarbeitet  werden.  Neben 
der  Psychologie,  der  Geschichte,  der  Philologie  hat  hier  die 
Ethnologie  eine  Hauptarbeit  zu  leisten.  Wir  hoffen  bald  über 
Pläne  auch  in  dieser  Richtung  Mitteilungen  machen  zu  können. 

Eine  Reihe  von  sonstigen  Zuwendungen  aus  der  Samson- 
Stiftung  kommen  naturwissenschaftlichen,  insbesondere  biolo- 
gischen Arbeiten  zugute,  und  zwar: 

2000  Jl  an  Geheimen  Hofrat  Dr.  Otto  Frank  für  Unter- 
suchungen über  tonische  Erregungen  des  Zentralnervensystems, 

1000  Jl  an  den  Botaniker  Karl  Ortlepp  in  Gotha  für 
Untersuchungen  über  die  Beeinflußbarkeit  der  Füllung  von 
Tulpen  und  deren  Vererbung, 

500  JC  an  Geheimen  Hofrat  Dr.  Rücke rt  für  Unter- 
suchungen am  nervus  sympathicus  des  Sterlet, 

3000  JC  an  Geheimrat  Dr.  v.  Gruber  zu  den  von  ihm 
angeregten  Tierversuchen  zur  Erzeugung  von  Mutationen. 

Auf  den  ersten  Blick  mag  es  auffällig  erscheinen,  daß 
die  Samson- Stiftung,  die  der  Ethik  dienen  will,  nicht  nur 
Untersuchungen  über  das  Nervensystem,  sondern  auch  Ver- 
suche auf  dem  Gebiet  der  Tier-  und  Blumenzucht  unterstützt. 
Aber  die  Darlegungen  der  Herren  v.  Göbel  und  v.  Gruber 
gehen  von  dem  Gedanken  aus,  daß  die  Frage  der  Vererbung 
eine  Fundamentalfrage  ist  für  das  sittliche  Leben.  Der  größte 
ethische  Segen,  der  dem  Menschen  mitgegeben  werden  kann, 
ist  die  Erziehung  vor  der  Geburt,  wie  das  Schlagwort  heißt: 
Eugenik  und  Eupädie.  Schon  in  Arbeiten,  die  aus  dem 
Münchner  psychologisch  -  philosophischen  Seminar  hervorge- 
gangen  sind,    werden   die   Fragen    der  Vererbung,    der   Bela- 


Ansprache  des  Präsidenten  181 

stung  und  Entlastung  an  die  berühmten  Versuche  des  Augu- 
stinerabtes Mendel  über  Blumenzucht  und  an  Arbeiten  Hert- 
wigs  angeknüpft.^)  Hier,  bei  dem  Tier  und  der  Pflanze,  ist 
auch  das  Experiment  möglich  und  wird  die  Voraussetzungen 
erkennen  lassen,  unter  denen  die  Träger  des  sittlichen  Lebens, 
die  menschlichen  Individuen,  sich  heranbilden. 

Wie  ein  bedeutsames  Gutachten  (v.  Gruber)  ausführt,  ist 
das  moderne  Leben  mit  seinen  wissenschaftlich  -  technischen 
Hilfsmitteln  und  seinen  ethischen  Anforderungen  der  auslesen- 
den Macht  der  Natur  so  erfolgreich  in  den  Arm  gefallen,  daß 
die  Erhaltung  und  Vermehrung  der  Minderwertigen,  der 
„Minusvarianten",  Bedenken  für  das  Gesamtwohl  des  Volkes 
erwecken  könnte.  Das  Gutachten  leitet  daraus  eine  Pflicht 
ab  und  eine  Aufgabe:  die  Pflicht  auch  innerhalb  der  mensch- 
lichen Gesellschaften  bewußte  Zuchtwahl  zu  treiben  und  die 
Aufgabe  „die  Bedingungen  für  die  Variation  zu  studieren, 
um  sie,  wenn  möglich,  in  einem  für  die  Gesamtheit  nützlichen 
Sinne  beherrschen  zu  lernen". 

Nach  dem  Willen  des  Stifters  soll  der  Vorsitzende  der 
Kommission  für  die  Samson -Stiftung  ein  Vertreter  der  biolo- 
gischen Naturwissenschaften  sein. 

So  klingt  auch  von  hier  aus  der  moderne,  und  doch  ur- 
alte biologische  Imperativ  in  die  kommende  Zeit,  in  diese 
schwere  Zeit,  wo  es  gilt,  die  Kräfte  unsres  Volkes  zu  er- 
neuen und  zu  erhöhen. 

Man  kann  diesen  Imperativ  etwa  in  die  Worte  zusammen- 
fassen: was  sittlich  sein  will,  hat  zunächst  den  Gesetzen  des 
Lebens,  des  aufsteigenden  Lebens,  zu  dienen. 

In  diesem  Sinn  mögen  wohl  einmal  unsre  theoretischen 
Arbeiten  ein  praktisches  Scherflein  beisteuern  zu  dem  Kriegs- 
schatz im  Kampf  für  die  deutsche  Zukunft. 


^)  Genannt  sei  Dr.  Carl  Rath,  Über  die  Vererbung  von  Dispo- 
sitionen zum  Verbrechen.  Münchener  Studien  zur  Psychologie  und 
Philosophie,  2.  Heft.    Stuttgart  1914. 


182  Öffentliche  Sitzung  am  15.  November 

Die  Klassensekretäre  verkündeten  folgende  in  der  allge- 
meinen Sitzung  am  15.  Juli  1916  vollzogenen  und  von  Seiner 
Majestät  dem  König  bestätigten  Wahlen: 

Philosophisch  -  philologische  Klasse : 

a)  als  ordentliche  Mitglieder: 

1.  Dr.  Friedrich  Wilhelm   Freiherr  von  Bissing,   ord.  Pro- 

fessor   der   Ägyptologie   und    orientalischen    Altertums- 
kunde an  der  Universität  München, 

2.  Dr.  Erich  Petzet,   Bibliothekar  an  der  Hof-  und  Staats- 

bibliothek in  München, 

3.  Dr.  Karl  Voßler,   ord.  Professor  der  romanischen  Philo- 

logie an  der  Universität  München, 

b)  als  korrespondierendes  nun  außerordentliches 
Mitglied: 
Dr.  Erich  Becher,   ord.  Professor   der  Philosophie,  jetzt  an 
der  Universität  München, 

c)  als  korrespondierende  Mitglieder: 

1.  Dr.  Joseph  Seemüller,   K.  K.  Hofrat,    emerit.    Professor 

der   deutschen    Sprache    und   Literatur    an    der  Univer- 
sität Wien, 

2.  Dr.  Hugo  Blümner,  ord.  Professor  der  klassischen  Philo- 

logie an  der  Universität  Zürich, 

3.  Dr.  Ignaz  Goldziher,  K.  K.  Hofrat,  ord.  Professor  der  ara- 

bischen Sprache  und  Literatur  an  der  Universität  Budapest. 

Mathematisch -physikalische  Klasse: 

a)  als  ordentliches  Mitglied: 
Dr.  Richard  Willstätter,    Geh.  Hofrat,    ord.  Professor   der 
Physik  an  der  Universität  München, 

b)  als  außerordentliche  Mitglieder: 
1.  Dr.  Robert  Emden,    außerord.  Professor  der  Physik  und 
Meteorologie  an  der  Technischen  Hochschule  München, 


Wahlen  183 

2.  Dr.  Ernst  Freiherr  Stromer  von  Reichenbach,  außerord. 

Professor   der  Geologie  und  Paläontologie  an   der  Uni- 
versität München, 

3.  Dr.  Heinrich  Wieland,    außerord.   Professor   der  Chemie 

an  der  Universität  München, 

c)  zu  korrespondierenden  Mitgliedern: 

1.  Dr.   Max   von  Frey,    ord.    Professor    der    Physiologie    an 

der  Universität  Würzburg, 

2.  Dr.  Emanuel  Kayser,   Geh.  Rat,  ord.  Professor  der  Geo- 

logie und  Paläontologie  an  der  Universität  Marburg, 

3.  Dr.  Georg  Klebs,    Geh.  Rat,    ord.  Professor  der  Botanik 

an  der  Universität  Heidelberg. 

Historische  Klasse: 

a)  als  ordentliches  Mitglied: 
Dr.   Georg  Leidinger,    Oberbibliothekar   an    der    Hof-   und 
Staatsbibliothek  in  München, 

b)  als  korrespondierende  Mitglieder: 

1.  Dr.  Heinrich  Friedjung,  Privatgelehrter  in  Wien, 

2.  Dr.  Eberhard  Gothein,   Großh.  Bad.  Geheimrat  und  ord. 

Professor   der  Volkswirtschaftslehre   an  der  Universität 
Heidelberg, 

3.  Dr.  Otto  Hirschfeld,   Geh.  Regierungsrat  und  ord.  Pro- 

fessor  der  alten  Geschichte   an   der  Universität  Berlin. 

Sodann  hielt  das  ordentliche  Mitglied  der  mathematisch- 
physikalischen Klasse,  Geheimer  Hofrat  Dr.  S.  Finsterwalder, 
einen  Vortrag  über 

„Alte  und  neue  Hilfsmittel  der  Landesvermessung". 


184  Nachtragsbewilligungen 


Aus  dem  Etatsposten  „Besondere  wissenschaftlicKe  Publikationer 
wurden  im  Laufe  des  Jahres  1916  bewilligt: 

1.  von  der  philosophisch-philologischen  Klasse: 

für  die  Drucklegung  von    Külpes  Vorlesungen   über 

Erkenntnistheorie 500  JL 

für  das  Schwäbische  Wörterbuch  an  Prof.  Dr.  Her- 
mann von  Fischer  in  Tübingen  für  die  Jahre 
1915  und  1916  je  300  J^  = 600  Jt 

für  die  Herausgabe  der  mittelalterlichen  Bibliotheks- 
kataloge            1000  Jt 

2.  von  der^mathematisch-physikalischen  Klasse: 

als  Druckunterstützung  für  die  Abhandlung  Dr.  Buch- 
ners über  „Vergleichende  Eistudien"   ....     1200  Ji 

3.  von  der  historischen  Klasse: 

zur  Bearbeitung  der  „Monumenta  Boica"     ....     1000  Ji 
zur  Herausgabe  der  Arbeit  des  Direktors  Dr.  Hugo 

Graf  über  den  Speierer  Dom 1100  Ji^ 


Außerdem  wurden  1000  Ji  Prof.  Dr.  Wilhelm  Prandtl 
zur  Untersuchung  seltener  Erden  aus  der  Koenigs-Stiftung  zum 
Adolf  von  Baeyer-Jubiläum  zugewiesen. 


185 


Personalstand. 

(Ende  1916.) 


Protektor: 
SEINE  MAJESTÄT  DER  KONIG. 


Verwaltung.  ( 

Präsident: 

Dr.  Otto  Crusius,  Großh.  Bad.  Geh.  Hofrat,  o.  Univ.  -  Professor  für 
klassische  Philologie,  geb.  20.  Dez.  1857  zu  Hannover  (o.  1905, 
a.  0.  1903),  Widenmayerstr.  10/111. 

Sekretär  der  philosophisch-philologischen  Klasse: 

Dr.  Ernst  Kuhn,  K.  Geh.  Rat,  o.  Univ.-Professor  für  arische  Philologie, 
geb.  7.  Febr.  1846  zu  Berlin  (o.  1883,  a.  o.  1878),  Heßstr.  2/II. 

Sekretär  der  mathematisch-physikalischen  Klasse: 

Dr.  Karl  Ritter  v.  Goebel,  K.  Geh.  Rat,  o.  Univ.-Professor  für  Botanik, 
Direktor  des  K.  Botanischen  Gartens  und  des  Pflanzenphysiologischen 
Instituts,  geb.  8.  März  1855  zu  Billigheim,  Baden  (o.  1892),  Menzinger- 
straße  15   (Botan.  Garten). 

Sekretär  der  historischen  Klasse: 

Dr.  Erich  Marcks,  K.  Geh.  Rat,  o.  Univ.-Professor  für  Geschichte,  geb. 
17.  Nov.  1861  zu  Magdeburg  (o.  1913,  korr.  1898),  Mauerkircherstr.  41. 

Syndikus: 
Dr.  Karl  Mayr,  Honorarprofessor  für  Geschichte  an  der  Universität,  geb. 
28.  März  1864  zu  Krumbach  (a.  o.  1909),  Römerstr.  26/0. 


186  Personalstand 

Bibliothek: 

Bibliothekar:  Dr.  Adolf  Hilsenb eck,  Bibliothekar  der  K.  Hof-  und  Staats- 
bibliothek. 

Kanzlei: 

Kanzleisekretär:  Adolf  Reichel. 
Diener:       —    — 

Kassen  Verwaltung : 

Kassier:   Hans  Dehn  er. 
Kassesekretär:   Leonhard  Meier. 

Haus: 

Hausverwalter:   Joseph  Ennichl. 
Hausdiener  und  Heizer:   Peter  Hufnagl. 
Pförtner  und  Hilfsheizer:  Anton  Schwald. 

Buchhändler  der  Akademie: 

G.  Franzscher  Verlag  (Kgl.  u.  Herzogl.  Bayer.  Hofbuchhändler  J.  Roth), 
Ottostr.  3  a. 


187 


Ehrenmitglieder. 

1892  Ihre  Königliche  Hoheit  Prinzessin  The  res  e  von  Bayern. 
1911  Seine  Königliche  Hoheit  Kronprinz  Rupprecht  von  Bayern. 


Ordentliche  und  ausserordentliche  Mitglieder. 

Philosophisch  -  philologische  Klasse. 

Ordentliche  Mitglieder 

(nach  dem  Jahre  der  Wahl  und  nach  dem  Stande  Ende  1916). 

Dr.  Ernst  Kuhn  (o.  1883,  a.  o.  1878),  s,  Klassensekretär  S.  185. 

Dr.  Nikolaus  Weck  lein,  K.  Geh.  Hofrat,    Gymnasialrektor  a.  D.,   geb. 

19.  Februar  1843  zu  Gänheim  (o.  1887,  a.  o.  1872),   Possartstr.  12/0. 
Dr.  Hermann  Paul,   K.  Geh.  Rat,   o.  Professor   fär  deutsche  Philologie, 

geb.  7.  Aug.  1846  zu  Salbke  bei   Magdeburg  (o.  1893,  ausw.  1892), 

Kaulbachstr.  62a/II. 
Dr.  Iwan  Ritter  v.  Müller,  K.  Geh.  Rat,  o.  Univ. -Professor  für  klassische 

Philologie  und  Pädagogik,  geb.  20.  Mai  1830  zu  Wunsiedel  (o.  1894, 

a.  0.  1893,  korr.  1876),  Siegfriedstr.  21/1. 
Dr.  Georg  F.  Graf  v.  Hertling,   Exz.,   Staatsrat  i.  o.  D.,  Staatsminister 

des  Kgl.  Hauses  und  des  Äußern,  lebenslänglicher  Reichsrat,  geb. 

31.  Aug.  1843  zu  Darmstadt  (o.  1899,  a.  o.  1896),  Promenadeplatz  22. 
Dr.  Karl  v.  Amira,    o.  Univ. -Professor    für   deutsche    Rechtsgeschichte 

deutsches   bürgerliches   Recht,   Handelsrecht  und   Staatsrecht,     geh 

8.  Februar  1848  zu  Aschaffenburg  (o.  1901),  Möhlstr.  37. 
Dr.  Otto  Crusius  (o.  1905,  a.  o.  1903),  s.  Präsident  S.  185. 
Dr.  Franz  Muncker,   Geh.  Hofrat,  o.  Univ.-Professor  für  neuere  insbe- 
sondere deutsche  Literaturgeschichte,  geb.  4.  Dez.  1855  zu  Bayreuth 

(o.  1906,  a.  0.  1901),  Liebigstr.  28/lV. 
Dr.  Paul  Wolters,  o.  Univ.-Professor  für  Archäologie,  geb.  1.  Sept.  1858 

zu  Bonn  (o.  1908,  korr.  1903),  Tengstr.  20/1  r.,  vom  1.  März  an  Viktor 

Scheffelstr.  16/n. 
Dr.  Friedrich  Vollmer,  o.  Univ.-Professor  für  klassische  Philologie,  geb. 

14.  Nov.  1867    zu  Fingscheidt    (o.  1908,   a.  o.    1906),  Mauerkircher- 

straße  26/III. 


188  Personalstand 

Dr.  Wilhelm  Streitberg,  o.  Univ.-Professor  für  indogermanische  Sprach- 
wissenschaft, geb.  23.  Februar  1864  zu  Rüdesheim  a.  Rh.  (o.  1911, 
a.  o.  1909),  Isabellastr.  31/11. 

Dr.  Clemens  Baeumker,  K.  Geh.  Hofrat,  o. Univ.-Professor  für  Philosophie, 
geb.  16.  Sept.  1858  zu  Paderborn  (o.  1913,  a.  o.  1912,  korr.  1909),  Franz 
Josephstr.  30/1. 

Dr.  August  Heisenberg,  o.  Univ.-Professor  für  mittel-  und  neugriechische 
Philologie,  geb.  13.  Novbr.  1869  zu  Osnabrück  (o.  1913,  a.  o.  1911). 
Hohenzollernstr.  IIO/III. 

Dr.  Erich  Berneker,  o.  Univ.-Professor  für  slavische  Philologie,  geb. 
3.  Febr.  1874  zu  Königsberg  in  Preußen  (o.  1913,  a.  o.  1911),  Mauer- 
kircherstraße  16/11. 

Dr.  Friedrich  Wilhelm  Frhr.  v.  Bissing,  o.  Univ.-Professor  für  Ägyp- 
tologie und  orientalische  Altertumskunde,  geb.  22.  April  1873  zu 
Potsdam  (o.  1916,  a.  o.  1909),  Georgenstr.  10  —  12. 

Dr.  Erich  Petzet,  Bibliothekar  an  der  K.  Hof-  und  Staatsbibliothek, 
geb.  3.  Mai  1870  zu  Breslau  (o.  1916,  a.  o.  1910),   Clemensstr.  38/III. 

Dr.  Karl  Vossler,  o.  Univ.-Professor  für  romanische  Philologie,  geb. 
6.  Sept.  1872  zu  Hohenheim  bei  Stuttgart  (o.  1916,  a.  o.  1912),  Leo- 
poldstr.  87/11. 

Ausserordentliche  Mitglieder: 

Dr.  Lucian  Scherman,  o.  Univ.-Professor  für  Völkerkunde  Asiens  mit 
besonderer  Berücksichtigung  des  indischen  Kulturkreises,  Direktor 
des  K.  Ethnographischen  Museums,  geb.  10.  Okt.  1864  zu  Posen 
(1912),  Herzogstr.  8/II. 

Dr.  Joseph  Schick,  K.  Geh.  Hofrat,  o.  Univ.-Professor  für  englische 
Philologie,  geb.  21.  Dez.  1859  zu  Rißtissen  (1913),  Ainmillerstr.  4/II. 

Dr.  Albert  Rehm,  o.  Univ.-Professor  für  klassische  Philologie  und  Päda- 
gogik, geb.  15.  August  1871  zu  Augsburg  (1914),  Montsalvatstr.  12. 

Dr.  Erich  Becher,  o.  Univ.-Professor  für  Philosophie,  geb.  1.  Sept.  1882 
zu  Remscheid  (1916),  Schaekstr.  4/0  r. 

Mathematisch-physikalische  Klasse. 

Ordentliche  Mitglieder: 

Dr.  Adolf  Ritter  v.  Baeyer,  Exz.,  K.  Geh.  Rat,  o.  Univ.-Professor  für 
Chemie,  Direktor  a.  D.  des  Chemischen  Laboratoriums  des  Staates, 
geb.  31.  Okt.  1835  zu  Berlin  (o.  1877,  a.  o.  1875,  korr.  1870),  Georgen- 
straße 4/0. 

Dr.  Ludwig  Radlkofer,  K.  Geh.  Hofrat,  o.  Univ.-Professor  für  Botanik, 
Direktor  des  Botanischen  Museums,  geb.  19.  Dez.  1829  zu  München 
(o.  1882,  a.  0.  1876),  Sonnenstr.  7/1. 


Personalstand  189 

Dr.  Paul  Heinrich  Ritter  v.  Groth,  K.  Geh.  Rat,  o.  Univ.-Professor  für 
Mineralogie,  Direktor  der  Mineralogischen  Sammlung  des  Staates, 
geb.  23.  Juni  1843  zu  Magdeburg  (o.  1885,  a.  o.  1883,  korr.  1881), 
Kaulbachstr.  62/0. 

Dr.  Hugo  Ritter  v.  Seeliger,  K.  Geh.  Rat,  o.  Univ.-Professor  für  Astro- 
nomie, Direktor  der  K.  Sternwarte,  geb.  23.  Sept.  1849  zu  Biala, 
Österreich  (o.  1887,  a.  o.  1883),  Sternwartstr.  15. 

Dr.  Richard  Ritter  v.  Hertwig,  K.  Geh.  Rat,  o.  Univ.-Professor  für 
Zoologie  und  vergleichende  Anatomie,  Direktor  der  Zoologischen 
Sammlung,  geb.  23.  Sept.  1850  zu  Friedberg  (o.  1889,  a.  o.  1885), 
Schackstr.  2/III. 

Dr.  Aurel  Voss,  K.  Geh.  Hofrat,  o.  Univ.-Professor  für  Mathematik, 
geb.  7.  Dez.  1845  zu  Altona  (o.  1889,  a.  o.  1886),  Habsburgerstr.  l/II. 

Dr.  Walther  Ritter  v.  Dyck,  K.  Geh.  Rat,  o.  Professor  für  Mathematik 
an  der  Techn.  Hochschule,  geb.  6.  Dez.  1856  zu  München  (o.  1892, 
a.  0.  1890),  Hildegardstr.  5/111. 

Dr.  Karl  Ritter  v.  Goebel  (o.  1892),  s.  Klassensekretär  S.  185. 

Dr.  Ferdinand  Lindemann,  K.  Geh.  Rat,  o.  Univ.-Professor  für  Mathe-» 
matik,  geb.  12.  April  1852  in  Hannover  (o.  1895,  a.  o.  1894),  Kol- 
bergerstr.  11/IIr. 

Dr.  Alfred  Pringsheim,  K.  Geh.  Hofrat,  o.  Univ.-Professor  für  Mathe- 
matik, geb.  2.  Sept.  1850  zu  Ohlau,  Schlesien  (o.  1898,  a.  o.  1894), 
Arcisstr.  12. 

Dr.  Wilhelm  Konrad  Röntgen,  Exz.,  K.  Geh.  Rat,  o.  Univ.-Professor 
für  Experimentalphysik,  Direktor  der  Physikalisch -metronomischen 
Sammlung,  geb.  27.  März  1845  zu  Lennep  (o.  1900,  korr.  1896),  Äußere 
Prinzregentenstr.  l/I. 

Dr.  Johannes  Rückert,  K.  Geh.  Hofrat,  o.  Univ.-Professor  für  Anatomie, 
insbesondere  deskriptive  und  topographische  Anatomie,  Direktor  der 
Anatomischen  Sammlung,  geb.  28.  Dez.  1854  zu  Koburg  (o.  1901, 
a.  0.  1893),  Nußbaumstr.  12/1. 

Dr.  Karl  Ritter  v.  Linde,  K.  Geh.  Rat,  Honorarprofessor  für  angewandte 
Thermodynamik  an  der  Techn.  Hochschule,  geb.  11.  Juni  1842  zu 
Berndorf  (o.  1901,  a.  o.  1896),  Heilmannstr.  17. 

Dr.  Sebastian  Finsterwalder,  K.  Geh.  Hofrat,  o.  Professor  für  Mathe- 
matik an  der  Techn.  Hochschule,  geb.  4.  Okt.  1862  zu  Rosenheim 
(o.  1903,  a.  0.  1899),  Flüggenstr.  4. 
Dr.  August  Rothpletz,  o.  Univ.-Professor  für  Geologie  und  Paläonto- 
logie, Direktor  der  Geologischen  und  Paläontologischen  Sammlung, 
geb.  25.  April  1853  zu  Neustadt  a.  H.  (o.  1904,  ai  o.  1899),  Giselastr.  6/1. 
Dr.  Siegmund  Günther,  K.  Geh.  Hofrat,  o.  Professor  für  Erdkunde  an 
der  Techn.  Hochschule,  geb.  6.  Februar  1848  zu  Nürnberg  (o.  1905, 
a.  o.  1900),  Nikolaistr.  l/H. 


190  Personalstand 

Dr.  August  Föppl,  K.  Geh.  Hofrat,  o.  Professor  für  Mechanik  an  der 
Techn.  Hochschule,  geb.  25.  .lanuar  1854  zu  Großumstadt,  Hessen 
(o.  1909,    a.  0.   1903),   Lachnerstr.  22. 

Dr.  Erwin  Voit,  K.  Geh.  Hofrat,  o.  Univ.-Professor  für  Physiologie  und 
Diätetik,  geb.  16.  Dez.  1852  zu  München  (o.  1909,  a.  o.  1903),  Bauer- 
straße 28/111. 

Dr.  u.  Dr.  Ing.  h.  c.  Ludwig  Burmester,  K.  Geh.  Hofrat,  o.  Professor 
für  darstellende  Geometrie  und  Kinematik  an  der  Techn.  Hoch- 
schule, geb.  5.  Mai  1840  zu  Othmarschen  (o.  1909,  ^  o.  1905),  Kaul- 
bachstr.  83/n. 

Dl-.  Ai-nold  Sommerfeld,  o.  Univ.-Professor  für  theoretische  Physik, 
Direktor  des  Instituts  für  theoretische  PJiysik,  geb.  5.  Dez.  1868  zu 
Königsberg  i.  Pr.  (o.  1910,  a.  o.  1903),  Leopoldstr.  87/ni. 

Dr.  Max  Ritter  v.  Grub  er,  K.  Geh.  Rat  und  Obermedizinalrat,  o.  Univ.- 
Professor  für  Hygiene  und  Bakteriologie,  geb.  6.  Juli  1853  zu  Wien 
(o.  1910,  a.  0.  1909),  Prinzenstr.  10. 

Dr.  Siegfried  Mollier,  o.  Univ.-Professor  für  Anatomie,  insbesondere 
für  Histologie  und  Entwicklungsgeschichte,  Konservator  der  Anato- 
mischen Sammlung,  geb.  19.  Juli  1866  zu  Triest  (o.  1911,  a.  o.  1908), 
Vilshofenerstr.  10. 

Dr.  Erich  v.  Drygalski,  o.  Univ.-Professor  für  Geographie,  geb.  9.  Febr. 
1865  zu  Königsberg  i.  Pr.  (o.  1912,  a.  o.  1909),  Gaußstr.  6. 

Dr.  Otto  Frank,  K.  Geh.  Hofrat,  o.  Univ.-Professor  für  Physiologie, 
Direktor  des  Physiologischen  Instituts,  geb.  21.  Juni  1865  zu  Groß- 
urastadt,   Hessen  (o.  1912,  a.  o.  1909),  Haydnstr.  5/II. 

Dr.  Max  Schmidt,  Dipl. -Ing.  h.  c,  K.  Geh.  Hofrat,  o.  Professor  für  Geo- 
däsie und  Topographie  an  der  Techn.  Hochschule,  geb.  17.  März 
1850  zu  Tambach  (o.  1913,  a.  o.  1911),  Franz  Josephstr.  13/III. 

Dr.  Richard  Willstätter,  K.  Geh.  Hofrat,  o.  Professor  für  Chemie, 
Direktor  des  Chemischen  Laboratoriums  des  Staates,  geb.  13.  Aug. 
1872  zu  Karlsruhe  (o.  1915,  korr.  1914),  Arcisstr.  1. 

Ausserordentliche  Mitglieder: 

Dr.  Robert  Emden,  a.  o.  Professor  für  Physik  und. Meteorologie  an  der 

Techn.  Hochschule,  geb.  4.  Mävz  1862   zu  St.  Gallen  (1916),   Habs- 

burgerstr.  4/0. 
Dr.  Ernst  Frhr.   Stromer  v.  Reichenbach,   a.  o.  Univ.-Professor   für 

Paläontologie  und  Geologie,  geb.  12.  Juni  1871  zu  Nürnberg  (1916), 

Schönfeldstr.  26/III. 
Dr.  Heinrich  Wieland,  a.  o.  Univ.-Professor  für  Chemie,   geb.  4.  Juni 

1877  zu  Porzheim  (1916),  Romanstr,  18/1. 


Personaktand  1"1 


Historische  Klasse. 

Ordentliche  Mitglieder: 

Dr.  Johann  Friedrich,   o.  Univ. -Professor  für  Geschichte,  geb.   5.  Mai 

1836  zu  Poxdorf,  0fr.  (o.  1880,  a.  o.  1869),  von  der  Tannstr.  17/11. 
Dr.  Sigmund   Ritter   v.   Riezler,    K.  Geh.  Rat,    o.   Univ. -Professor    für 

bayer.   Landesgeschichte,    geb.   2.  Mai    1843    zu   München    (o.    1888, 

a.  0.  1877),  K.  Maximilianeum. 
Dr.  Franz  Ritter  v.  Reber,  K.  Geh.  Rat,  o.  Professor  für  Kunstgeschichte 

an    der    Technischen    Hochschule    a.  D.,    K.   Zentral gemäldegalerie- 

direktor  a.  D.,  Honorarprofessor  an   der  Universität,    geb.  10.  Nov. 

1834  zu  Cham,  Opf.  (o.  1890,  a^  o.  1887),  Kaulbachstr.  31/0  1. 
Dr.  Hermann   Ritter  v.  Grauert,    K.  Geh.  Rat,    o.  Univ.-Professor   für 

Geschichte,  geb.  7.  Sept.  1850  zu  Pritzwalk  i.  d.  Ostpriegnitz  (o.  1899, 

a.o.  1898),  Tengstr.  35/n. 
Dr.  Lujo  Brentano,  K.  Geh.  Rat,  o.  Univ.-Professor  für  Nationalökonomie, 

Finanz  Wissenschaft  und  Wirtschaftsgeschichte,  geb.  18.  Dez.  1844  zu 

AschafFenburg  (1901),  Mandlstr.  5/0. 
Dr.  Hans  Prutz,  K.  Preuß.  Geh.  Reg. -Rat,  emerit.  Univ.-Professor  für 

Geschichte,  geb.  20.  Mai  1843  zu  Jena  (1902),  Reitmorstr.  52/nL 
Dr.  Heinrich  Wölfflin,  K.  Preuß.  Geh.  Reg.-Rat,  o.  Univ.-Professor  für 

Kunstgeschichte,   geb.  21.  Juni   1864  zu  Winterthur  (1912),  Widen- 

mayerstraße  26/ni. 
Dr.  Adolf  Sandberger,   o.  Univ.-Professor  für  Musikwissenschaft,  geb. 

19.  Dez.  1864  zu  Würzburg  (o.  1912,  a.  o.  1902),  Prinzregentenstr.  48/1. 
Dr.  Erich  Marcks  (o.  1913,  korr.  1898),  s.  Klassensekretär  S.  185. 
Dr.  Leopold  W enger,   o.  Univ.-Professor  für  römisches  und  deutsches 

bürgerliches  Recht,  geb.  4.  September  1874  zu  Obervellach  in  Kärnten 

(o.  1914,  a.  0.  1912),  Germaniastr.  5/0. 
Dr.  Michael  Doeberl,   K.  Ministerialrat,   Honorarprofessor  an  der  Uni- 
versität,   geb.    15.  Januar  1861    zu  Waldsassen   (o.  1915,   a.  o.  1903), 

Schönfeldstr.  6/111. 
Dr.    Robert    Davidsohn,    geb.    26i  April    1853    zu   Danzig,   K.  Preuß. 

Professor  (o.  1915,  korr.  1909),  Maximiliansplatz  5. 
Dr.  Ulrich  Wilcken,  o.  Univ.-Professor  für  alte  Geschichte,  geb.  18.  Dez 

1862  zu  Stettin  (1915),  Liebigstr.  28/11. 
Dr.  Georg  Leidinge r,    Oberbibliothekar   an  der  K.  Hof-   und   Staats- 
bibliothek, geb.  30.  Dez.  1870  zu  Ansbach  (o.  1916,  a.  o.  1909),  Lotz- 

beckstr.  6/1. 


192  Personalstand 


Ausserordentliche  Mitglieder: 

Dr.  Ludwig  Quidde,  K.  Preuß.  Professor,  geb.  23.  März  1858  zu  Bremen 
(1892),  Gedonstr.  4/1. 

Dr.  Karl  Mayr,  (1909),  s.  Verwaltung  S.  185. 

Dr.  Georg  Hab  ich,  Direktor  des  K.  Münzkabinetts,  Honorarprofessor 
an  der  Universität,  geb.  24.  Juni  1868  zu  Darrastadt  (1910),  Schön- 
feldstr.  20/11. 

Dr.  Georg  Hager,  K.  Generalkonservator  der  Kunstdenkmale  und  Alter- 
tümer Bayerns,  geb.  20.  Okt.  1863  zu  Nürnberg  (1911),  Kocbstr.  18/11. 

Dr.  Theodor  Bitterauf,  Professor  der  Geschichte  an  der  Kriegsakademie, 
a.  0.  Professor  an  der  Universität,  geb.  7.  Okt.  1877  zu  Nürnberg 
(1914),  Kaiserplatz  9/1  r.  (z.  Zt.  beim  auswärtigen  Amt  in  Berlin 
verwendet). 


Personalstand 


193 


Auswärtige  und  korrespondierende  Mitglieder 

nach   den   drei  Klassen   (bzw.  Sektionen   derselben),   in   alpha- 
betischer Ordnung. 

Die  Zahl  vor  dem  Namen  bezeichnet  das  Jahr  der  Wahl  in  die  Akademie. 


1890  Delbrück  Berthold   in  Jena 
1897  Hirth  Friedrich  in  New-York 

1891  Jagic  Yatroslav  v.  in  Wien 
1884  Imhoof- Blumer    Friedrich 

in  Winterthur 
1874  Kern  Heinrich  in  Utrecht 


Philosophisch  -  philologische  Klasse. 

Auswärtige  Mitglieder: 

1877  Meyer  Wilhelm  in  Göttingen 
1879  Nöldeke  Theodor  in  Straß- 
burg i.  E. 
1890  Stumpf  Karl  in  Berlin 
1888  Wiramer  Ludwig  in  Kopen- 
hagen. 


Korrespondierende  Mitglieder: 


1912  Behaghel  Otto  in  Gießen  1880 
1908  Bezold  Karl  in  Heidelberg  1888 
1916  Blümner  Hugo  in  Zürich  1900 
1907  Boll  Franz  in  Heidelberg  1916 
1904  Braune  Wilhelm   in  Heidel-  1906 

berg 

1895  Brugmann  Karl  in  Leipzig  1899 
1911  Bulle  Heinrich  in  Würzburg  1913 
1879  Comparetti    Domenico     in 

Florenz  1910 

1910  Cumont  Franz  in  Brüssel  1911 

1898  Diels  Hermann  in  Berlin  1912 

1896  Er  man  Adolf  in  Berlin  1909 
1901  Evans  Arthur  J.  in  Oxford  1905 

1913  Fischer  Hermann  v.  in  Tu-  1907 
hingen  1909 

Jahrbuch  1916. 


Foucart  Paul  in  Paris 
Geiger  Wilhelm  in  Erlangen 
Götz  Georg  in  Jena 
Goldziher  Ignaz  in  Budapest 
Grenfell  Bernard  P.   in  Ox- 
ford. 

Grünwedel  Albert  in  Berlin 
Heiberg  Ludwig  in  Kopen- 
hagen 

Hillebrand  Alfred  in  Breslau 
Hirzel  Rudolf  in  Jena 
Hülsen  Christian  in  Florenz 
Hunt  Arthur  in  Oxford 
H  u  s  s  e  r  1  Edmund  inGöttingen 
Jacob  Georg  in  Kiel 
Jacobi  Hermann  in  Bonn 
13 


194 


Personalstand 


1902  Jirecek  Joseph  Konstantin  in  1906 
Wien 

1886  Jolly  Julius  in  Würzburg  1897 

1915  Karabacek  Josef,  Ritter  v,  1916 

in  Wien  1889 

1910  Kenyon  Frederick  George  in  1895 

London 

1909  Kluge  Friedrich  in  Freiburg  1913 

im  Breisgau.  1886 

1907  Lambros    Spyridion    P.     in 
Athen  1895 

1903  Len  el  Otto  in  Freiburg  i.  Br.  1904 

1908  Liebermann    Felix    in 

Berlin  1893 

1892  Luchs  August  in  Erlangen  1904 

1903  Mitteis  Ludwig  in  Leipzig 

1905  Noreen  Adolf  in  Upsala  1905 

1904  Oraont  Henri  in  Paris  1900 
1915  Robert  Karl  in  Halle  1908 
1914  Sauer  August  in  Prag 


Schlumberger  Gustav  in 
Pai'is 

Schuchardt  Hugo  in  Graz 
Seemüller  Joseph  in  Wien 
Sievers  Eduard  in  Leipzig 
So  der  wall  Knut  Fredrik  in 
Lund 

Stähl  in  Otto  in  Erlangen 
Steinmeyer  Elias  v.  in  Er- 
langen 

Sweet  Henry  in  Oxford 
Thomsen  Vilhelm  in  Kopen- 
hagen 

Vitelli  Girolamo  in  Florenz 
Wilamowitz-Moellen- 
dorff  Ulrich  v.  in  Berlin 
Windisch  Ernst  in  Leipzig 
Wundt  Wilhelm  in  Leipzig 
Z  i  e  1  i  n  s k  i  Thaddäus  in  St.  Pe- 
tersburg. 


II.  Mathmatisch- physikalische  Klasse. 


Astronomie  und  Geodäsie. 

Korrespondierende  Mitglieder: 

1911  BauschingerJuliusinStraß-       1896  Hei mertF.Robertin Potsdam 


bürg  i.  E. 
1897  Bruns  Ernst  Heinr.  in  Leipzig 
1892  Förster  Wilhelm   in   Berlin 


1908  H  i  11  George  William  in  West- 

Nyak. 
1912  Struve  Hermann  in  Berlin. 


Mathematik. 
Korrespondierende  Mitglieder: 


1882  Brill  Alexander  in  Tübingen 
1899  Darboux  Gaston  in  Paris 
1903  Hilbert  David  in  Göttingen 

1879  Klein  Felix  in  Göttingen 

1880  KönigsbergerLeoinHeidel- 
berg 

1912  Mittag-Leffler    Gustav    in 
Stockholm 


1895  Neumann  Karl  in  Leipzig 
1887  Noether  Max  in  Erlangen 
1912  Schwarz  Hermann  Amandus 

in  Berlin 
1910  Zeuthen  Hieronymus  in  Ko- 
penhagen. 


Personalstand  !"«> 

Physik. 

Korrespondierende  Mitglieder: 

1910  Hann  Julius  in  Wien  1911  Rutherford   Ernst  in  Man- 
1895  Loren tz   H.  A.   in   Haarlera  ehester 

1912  N ernst  Walter  in  Berlin  1907  Thomson    Joseph    John     in 

1911  Planck  Max  in  Berlin  Cambridge  (England) 

1873  Quincke  Georg  Hermann  in       1909  Voigt    Woldemar    in    Göt- 

Heidelberg  tingen 

1890  Rayleigh  John  William  Lord       1905  W  ar  bürg  Emil  in  Charlotten - 


in  London 


bürg 


1888  Recknagel  Georg  in  Augs-       ^g^^  ^^^^^  Wilhelm  in  Würzburg, 
bürg 

Chemie. 

Auswärtiges  Mitglied: 
1910  Hof  mann  Karl  in  Charlottenburg. 

Korrespondierende  Mitglieder: 

1910  Ciamician   Giacomo  in  Bo-  1878  Grabe  Karl  in  Frankfurt  a.M. 

logna  1909  Haller  Albin  in  Paris 

1888  Claisen   Rainer   Ludwig    in  1910  Paternö  di  SessaEmanuele 

Godesberg  a.  Rh.  in  Rom 

1907  Curtius  Theodor  in  Heide!-  1911  Perkin  William  Henry  in  Ox- 

berg  ford 

1880  Fischer  Emil  in  Berlin  1901  Thiele   Johannes    in    Straß- 

1884  Fischer  Otto  in  Erlangen  bürg  i.  E. 

Physiologie. 

Korrespondierende  Mitglieder: 
1912  Exner  Siegmund  in  Wien  1911  Kries  Johannes   v.   in   Frei- 

1916  Frey  Max  v.  in  Würzburg  bürg  i.  Br. 

1885  Hensen  Viktor  in  Kiel  1913  Langley  John   Newport    in 
1901  Hering  Ewald  in  Leipzig  Cambridge  (England). 

(emerit.)  1914  Rubner  Max  in  Berlin. 

Zoologie  und  Anatomie. 

Auswärtiges  Mitglied : 
1870  Häckel  Ernst  in  Jena. 

Korrespondierende  Mitglieder: 
1900  Bütschli  Otto  in  Heidelberg       1903  Fürbringer  Max  in  Heide)- 
X906  Froriep  Aug.  v.  in  Tübingen  berg 

n* 


196 


Personalstand 


1897  Hertwig  Oskar  in  Berlin 
1906  Rabl  Karl  in  Leipzig 
1899  Retzius    Gustav    in    Stock- 
holm 
1911  Roux  Wilhelm  in  Halle 


1896  Schulze    Franz    Eilhard    in 

Berlin 
1896  Waldeyer- Hartz  Wilhelm 

V.  in  Berlin 

1910  Wilson  Edmond  Beecher  in 
New- York. 


Botanik. 
Korrespondierende  Mitglieder: 


1909  Bower   Frederick    Orpen    in 

Glasgow 
1902  Eng  1er  Adolf  Gustav  Heinr. 

in  Berlin 
1913  Haberlandt   Gottlieb   in 

Berlin 
1916  Klebs  Georg    in  Heidelberg 
1908  Na  waschin  Sergius  in  Kiew 
1880  Pfeffer  Wilhelm  in  Leipzig 


1909  Prain  David  in  Kew 
1880  Seh  wendener    Simon    in 

Berlin 
1906  Stahl  Ernst  in  Jena 
1900  Vries  Hugo  de,  in  Amsterdam 
1893  Warming   Eugen  in  Kopen- 
hagen 
1914  Wettstein    Richard,    Ritter 
von  Westersheim  in  Wien 


Mineralogie,  Geologie  und  Paläontologie. 


Korrespondierende  Mi 

1898  Barrois  Charles  in  Lille  1899 

1913  Becke    Friedrich    J.    K.    in 

Wien  1916 

1902  Br0gger    Waldemar     Chri       1910 
stofer  in  Christiania 

1891  Capellini    Giovanni   in   Bo-       1912 
logna 

1896  Fedorow   Eugraf  v.,    in  St.       1910 
Petersburg 

1910  Fl  et  eher  Lazarus  in  London       1910 

1895  Geikie     Sir     Archibald     in 

London  1870 

1907  Gilbert  Karl  Grove  in  Wash- 
ington 1912 


tglieder: 

Karpin  skij  Alexander  in  St. 

Petersburg 

Kays  er    Georg    in    Marburg 

Miers    Henry    Alexander    in 

London 

Nathorst  Alfred   Gabriel  in 

Stockholm 

Osborn    Henry    Fairfield   in 

New- York 

Scott    Dukinfield    Henry    in 

London 

Tschermak     Gustay    v.     in 

Wien 

Willis  Bailey  in  Chicago. 


Erdkunde. 

Korrespondierende  Mitglieder: 

1909  Partsch  Joseph  in  Leipzig  1882  Schweinfurth  Gg.  in  Berlin 


1909  Penck  Albrecht  in  Berlin 


1911  Wiechert  Emil  in  Göttingen. 


Personalstand 


197 


III.  Historische  Klasse. 

Auswärtiges  Mitglied: 

1870  Ritter  Moriz  in  Bonn. 


Korrespondierende  l\1itglieder: 


1904  Below  Georg  v.  in  Freiburg 
i.  Er. 

1910  Bernheim  Ernst  in  Greifs- 
wald 

1881  Bezold  Friedrich  v.  in  Bonn 

1891  Bode   Wilhelm  v.    in   Berlin 

1887  Br esslau  Harry  in  Straßburg 
i.  E. 

1895  Bücher  Karl  in  Leipzig 
1898  Chuquet  Arthur  in  Paris 

1892  Cipolla  Carlo  Graf  in  Turin 
1904  D'Avenel   Georges  Vicomte 

in  Paris 

1882  Dehio  Georg  Gottfried  in 
Straßburg  i.  E. 

1890  Duchesne  Louis  in  Rom 
1903  Fester  Richard  in  Halle  a.  S. 
1909  FinkeHeinr.  inFreiburgi.Br. 

1901  Fournier  Paul  in  Grenoble 
1916  Friedjung  Heinrich  in  Wien 

1903  Gierke  Otto  v.  in  Berlin 

1904  Goetz  Walter  in  Leipzig. 
1916  Gothein  Eberhard  in  Heidel- 
berg 

1897  Harnack  C.  G.  Adolf  v.  in 
Berlin 

1902  Hauck  Albert  in  Leipzig 
1914  Hintze  Otto  in  Berlin 
1916  Hirschfeld  Otto   in   Berlin 

1888  Kaufmann  Georg  in  Breslau 
1902  Knapp    Georg    Friedrich    in 

Straßburg  i.  E. 
1890  Lenz  Max  in  Hamburg 


1906  Luschin  Arnold,  Ritter  von 

Ebengreuth  in  Graz 
1912  Mahaffy  John  P.  in  Dublin 

1911  Meinecke  Friedrich  in  Berlin 
1895  Meyer  Eduard  in  Berlin. 

1890  Meyer    v.    Knonau    Gerold 
in  Zürich 

1904  Monaci  Ernesto  in  Rom 
1888  Müller  Karl  Ferd.  Friedr.  v. 

in  Tübingen 
1898  OberhummerEugen  inWien 

1908  Ottenthai  Emil  v.  in  Wien 

1902  Pais  Ettore  in  Rom 

1912  Pirenne  Henri  in  Gent 

1909  Redlich  Oswald  in  Wien 
1908  Schäfer   Dietrich    in   Berlin 

1913  Schanz    Georg   v.    in  Würz- 
burg 

1895  Schmoller    Gustav    v.    in 
Berlin 

1912  Schulte  Alois  in  Bonn 
1875  So  hm  Rudolf  in  Leipzig 
1906  Strzygowski  Joseph  in  Graz 

1913  Tangl  Michael  in  Berlin 

1914  Troeltsch    Ernst   in   Berlin 
1884  Ulmann  Heinrich  in  Darm- 
stadt 

1911  Valois  Noel  in  Paris 
1908  Venturi  Adolfo  in  Rom 
1871  Villari  Pasquale  in  Florenz 

1903  Vischer  Robert  in  Wien 
1908  Vogüe  Charles  Jean  Melchior 

Marquis  de  in  Paris 

1891  Winter  Gustav  in  Wien. 


198 


Personalstand 


Besondere  Kommissionen 

bei  der  K.  Akademie  der  Wissenschaften. 


i.  Kommission  für  die  Herausgabe  der  Monumenta  Boica. 

Mitglieder 

auf  unbestimmte  Zeit  gewählt: 
Marcks,  Vorsitzender  Riezler  v.  Grauert  v. 

Doeberl  Leidinger 

Petz  Dr.  Johann,  K.  Geh.  Reichsarchivrat,  Redakteur  und  Schriftführer 

Hilfsarbeiter:   Dr.  Steinberger  Ludwig,  Privatdozent 
Dr.  Bastian  Franz. 

2.  Historische  Kommission. 
I.  Ordentliche  IVlitglieder: 


Ritter  Moriz,    Bonn,  Vorsitzender 

1898  (a.  0.  1883) 
Riezler    Sigmund    v.,     München, 

Sekretär   (bis   1.  I.  1917)   1887 

(a.  0.  1883) 
Bezold    Friedrich   v.,    Bonn    1892 

(a.  0.  1883) 
Meyer  v.  Knonau  Gerold,  Zürich 

1894 

Lenz  Max,  Hamburg   1894 
Friedrich  Johann,  München  1898 
Grau  e  rt  Hermann  v.,  München  1901 
Winter  Gustav,  Wien    1901 
Hauck  Albert,  Leipzig   1903 


B  e  1 0  w  Georg  v.,  Freiburg  i.  Br.  1903 

Quidde    Ludwig,     München    1907 
(a.  0.  1887) 

Redlich  Oswald,  Wien   1908 

Goetz    Walter,  Leipzig 
1913  (a.  0.  1911) 

Brandenburg  Erich,  Leipzig  1913 
(a.  0.  1911) 

Marcks  Erich,  München  1914,  Se- 
kretär vom  1.  I.  1917  ab 

Beckmann  Gustav,  Erlangen  1914 
(a.  0.  1903) 

Meinecke  Friedrich,   Berlin   1916 

Schulte  Alois,  Bonn  1916. 


11.  Ausserordentliche  Mitglieder: 

Herre  Hermann,  München  1903  Leidinger  Georg,   München  1916 

Mayr  Karl,  München  1911  Müller  Karl  Alexander  v.   1916. 

Wissenschaftlicher  Mitarbeiter  in  München : 

Bauckner  Arthur. 


3.  Kommission  für  die  Savigny-Stiftung 

(auf  unbestimmte  Zeit  gewählt). 

Amira  v.,  Vorsitzender  Brentano 

Grauert  v.  Wenger 


Personalstand  199 

4.  Kuratorium  für  die  Liebig-Stiftung. 

Crusius,  Vorsitzender  S oxhl et  Dr.  Franz  v.,  Schriftführer 

Goebel     v.,     Vertreter    des    Vor-       Radlkofer  Ludwig 

sitzenden  Brentano,  Lujo 

Lieb  ig  Hans  Frhr.  v.,  Privatdozent  für  Chemie  in  Gießen,  als  Vertreter 
der  Familie. 

Ferner  die  gegenwärtigen  Inhaber  der  goldenen  Liebig-Medaille: 

Settegast  Dr.  H.,  Geh.  Regierungsrat,  Professor  in  Berlin 

Kellner  Dr.  0.,   Geh.  Hofrat,  Professor  in  Möckern 

Frank  Dr.  Adolf,   Geh.  Hofrat,  Professor  in  Charlottenburg 

Rubner  Dr.  Max,  Geh.  Medizinalrat,  Professor  in  Berlin 

Kraus  Dr.  Karl,  Geh.  Hofrat,  Professor  an  der  Techn.  Hochschule  in  München 

König  Dr.  Joseph,   Geh.  Regierungsrat,  Professor  in  Münster  in  Westf. 

5.  Kommission  für  den  Zographos-Fonds 

(auf  je  drei  Jahre  gewählt). 

Wecklein  Wolters 

Crusius  Heisenberg. 

6.  Kommission  für  die  Münchener  Bürger-  und  Cramer-Klett-Stiftung. 

Crusius  Seeliger  v. 

Goebel  v.  Hertwig  v. 

Baeyer  v. 

7.  Kommission  für  die  Thereianos-Stiftung 

(auf  je  drei  Jahre  gewählt). 
Kuhn,  Vorsitzender  Wolters 
Crusius  Heisenberg 

Wecklein  Wenger. 

8.  Kommission  für  die  Hardy-Stiftung. 

Crusius  Scherman 

Kuhn  Wilcken. 

Streitberg 

9.  Kommission  für  die  Koenigsstiftung  zum  Adolf  von  Baeyer- 

Jubiläum. 

■  Crusius  Goebel  v. 

Baeyer  v.  Willstätter. 


200 


Personalstand 


10.  Kommission  für  die  Wilhelm  Koenigs-Stiftung 

für  botanische  und  zoologische  Forschungen  und  Forschungsreisen. 
Crusius  Hertwig  v. 

Goebel  v. 

II.  Kommission  für  den  Hitl'schen  Fonds  zur  Förderung 
der  Medaillenkunst. 


Crusius  Otto 
Hitl  Georg,  Privatier 
Frauendorfer  v. 
Diez  Julius,  Professor 


Habich  Georg 
Stadler  Anton,  Professor 
Mayr-Graz  Karl,  Kunstmaler 
Hahn  Hermann,  Professor. 


12.  Kommission  für  die  Heinr.  v.  Brunck-Stiftung. 

Crusius  Goebel  V. 

Baeyer  v,  Willstätter. 

13.  K.  B.  Kommission  für  die  internationale  Erdmessung. 

Mitglieder: 

Crusius,  Vorsitzender  Finsterwalder 

Seeliger  v.,  Sekretär  und  Stell-        Schmidt. 
Vertreter  des  Vorsitzenden 

Kustos:  Dr.  Ernst  Zapp. 

Technischer  Offiziant: 

14.  Mitglieder  der  Zentraldirektion  der  Monumenta  Germaniae 

historica 

von  der  K.  B.  Akademie  gewählt  am  5.  März  1875  und  9.  Februar  1895 
ohne  Begrenzung  der  Funktionsdauer. 
Riezler  v. 
Steinmeyer  v.,  korr.  Mitglied  der  historischen  Klasse. 

15.  Kommission  für  die  Herausgabe  des  Thesaurus  linguae  Latinae. 

Vollmer,  Vertreter  der   K.  Akademie  der  Wissenschaften  in  München, 
z.  Z.  Vorsitzender. 

Thesaurus-Bureau: 

Dittmann  Dr.  Georg,  K.  Preuß.  Gymnasialoberlehrerin  Urlaub,  General- 
redaktor 
Jachmann  Dr.  Günther,  Redaktor 

Hey  Dr.  Oskar,  K.  Gyranasialprofessor  in  Urlaub,  Sekretär 
10  Assistenten. 


Personalstand  201 

16.  Kommission  für  die  Herausgabe  einer  Enzyklopädie 
der  mathematischen  Wissenschaften. 

Dyck  Dr.  Walter  v.,  Vertreter  der  K.  Bayer.  Akademie  der  Wissen- 
schaften, z.  Z.  Vorsitzender 

Seeliger  Dr.  Hugo  v.,  Vertreter  der  K.  Bayer.  Akademie  der  Wissen- 
schaften. 

17.  Kommission  für  die  Herausgabe  der  Bibliothekskataloge 
des  Mittelalters. 

Grauert  v.  Vollmer  Leidinger 

Wissenschaftlicher  Hilfsarbeiter:  Dr.  Lehmann  Paul. 

18.  Kommission  für  das  Corpus  griechischer  Urkunden. 

Crusius  Grauert  v.  Heisenberg 

Wissenschaftlicher  Hilfsarbeiter:  Dr.  Marc  Paul. 

19.  Kommission  für  die  Herausgabe  von  Wörterbüchern 

der  bayerischen  Mundarten. 

Kuhn,  I.Vorsitzender  Stroitberg,  2.  Vorsitzender 

Riezler  v.  Berneker 

Amira  v.  Muncker. 
Paul 

Wissenschaftlicher  Hilfsarbeiter:  Dr.  Mausser  Otto,  Privatdozent. 

20.  Kommission  für  die  Samsonstiftung. 

Grub  er  v.,  Vorsitzender  Rück  er  t 

Goebel  V.,  stellvertr.  Vorsitzender  Mollier 

Crusius  Voit 

Kuhn  Amira  v. 

Marcks  Riezler  v. 
Hertwig  v. 

21.  Kommission  für  die  Dapper-Saalfels-Stiftung. 

Crusius  Frank 

Goebel  v.  Rückert 

Hertwig  v.  Gruber  v. 

22.  Kommission  für  Höhlenforschung  in  Bayern. 

Crusius  Mayr 

Rothpletz  Schlosser 

Ha^er  Birkner. 

23.  Vertreter  der  Akademie  für  das  Ägyptische  Wörterbuch. 

Bissing  Frhr.  v. 


202 


Bericlite  und  Protokolle 

akademischer    Kommissionen. 


Bericlit  der  Kommission  für  den  Thesaurus  linguae  latinae 
über  die  Zeit  vom  1.  April  1915  bis  31.  März  1916. 

1.  Am  10.  September  1915  ist  Herr  Paul  Wendland, 
als  Nachfolger  Fr.  Leo's  von  der  Göttinger  Gesellschaft  der 
Wissenschaften  in  die  Thesaurus- Kommission  delegiert,  ver- 
storben. Er  hat  der  Kommission  nur  etwa  ein  Jahr  angehört. 
An  seine  Stelle  ist  im  November  vorigen  Jahres  Herr  Richard 
Reitzenstein  von  der  Gesellschaft  abgeordnet  worden. 

2.  Die  Kommission  hat,  wie  beschlossen,  im  Jahre  1915 
keine  Sitzung  abgehalten  und  konnte,  da  die  Geschäfte  eine 
Zusammenkunft  nicht  erforderten,  auch  für  das  Frühjahr  1916 
von  der  Ostersitzung  absehen. 

3.  Der  Bestand  des  Bureaus  konnte  auch  in  diesem  Jahre 
noch  nicht  auf  seine  frühere  Höhe  gebracht  werden;  zwar 
steht  nur  noch  ein  Assistent  im  Felde,  aber  die  Fortdauer  des 
Krieges  hat  doch  vielfache  Störungen  und  Unsicherheiten  in 
den  persönlichen  Verhältnissen  der  Mitarbeiter  veranlaßt  und 
geeigneten  Ersatz  für  unsere  Verluste  beeinträchtigt.  Unter 
diesen  Umständen  versteht  es  sich,  daß  die  Arbeitsleistung 
gegen  die  früheren  Jahre  stark  zurückgeblieben  ist;  hinzu  kam 
zum  ersten  Male  während  des  Krieges   auch  eine  Störung  im 


Kommissionsberichte  203 

Gange  des  Druckes,    die   aber    nacli  Mitteilung  der  Firma  B. 
G.  Teubner  nach  Ostern  behoben  sein  wird. 

4.  Regierungen  und  Akademien  haben  wie  bisher  die  zu- 
gesagten Beiträge  geleistet:  die  Kommission  spricht  dafür  an 
dieser  Stelle  ihren  aufrichtigen  Dank  aus  und  verzeichnet  mit 
besonderer  Genugtuung,  daß  die  wissenschaftliche  Gesellschaft 
zu  Straßburg  ihren  Beitrag  auch  für  die  Jahre  1916  —  1920 
zugesichert  hat. 

Dank  der  Vermittlung  des  Herrn  Brugmann  wurde  dem 
Generalredaktor  vom  Kuratorium  der  Georg- Curtius- Stiftung 
in  Leipzig  wie  schon  im  Jahre  1902  wiederum  ein  Betrag  von 
800  Mark  als  Ehrengabe  für  besonders  eifrige  Mitarbeiter  zur 
Verfügung  gestellt.  Auch  für  diese  willkommene  Beihilfe 
dankt  die  Kommission  angelegentlichst. 

5.  Laut  den  Halbjahrberichten  des  Herrn  Generalredaktors 
sind  im  Arbeitsjahre  1.  April  1915  — 1916  fertiggestellt  worden 
14  Bogen,  Band  V  bis  dissono,  Band  VI  bis  fidus,  das  Ono- 
masticon  bis  Didius.  Im  Fahnensatz  stehen  aber  noch  weitere 
etwa  6  Bogen,  dazu  ist  ein  großer  Manuskriptvorrat  vorhanden, 
so  daß  mit  Wiederbeginn  des  Druckes  ein  schnelles  Vorwärts- 
kommen in  sicherer  Aussicht  steht. 

6.  Im  Jahre  1915  betrugen 

die  Einnahmen        .         .         M.  50601.35 
die  Ausgaben  .         .         M.  50138.36 


Überschuß         M.       462.99 

Unter  den  Ausgaben  sind  verrechnet  M.  5500,  die  als 
Rücklage  den  Sparfonds  bilden. 

Die  als  Reserve  für  den  Abschluß  des  Unternehmens  vom 
Buchstaben  P  an  bestimmte  Wölfiflin  -  Stiftung  betrug  am 
1.  Januar  1916  M.  60859.87. 


204 


Kommissionsberichte 


Übersicht  über  den  Finanzplan  für  1916. 


Einnahmen: 

Beiträge   der   Akademien    und  gelehrten   Gesellschaften 
(einschließlich     der     Sonderbeiträge     von    Berlin 

und  Wien) M.  31 000. 

Beitrag  der  Wissenschaftlichen  Gesellschaft  zu  Straßburg  „  600. 

Giesecke-Stiftung  1916 „  5  000. 

Zinsen,  rund        .         .         .         .         .         .         .         .         .  „  150. 

Honorar  von  Teubner  für  40  Bogen  (4  Onomastikon)     .  „  6  064. 

Stipendien  und  Beiträge  anderer  Staaten         .         .        .  ,  4  700. 

Summe 

Ausgaben: 

Gehälter 

Laufende  Ausgaben 

Honorar  (40  Bogen)    ...... 

Verwaltung  (inkl.  Angestellten -Versicherung) 

Exzerpte  und  Nachträge 

Unvorhergesehenes     ...... 

Sparfonds  

Summe        M.  47  200. 
Voraussichtlicher  Überschuß        M.       314. 


M.  47  514.— 


M..  31  000. 
,  3  500. 
,  3  200. 
,  5  000. 
,  1 000. 
500. 
,      3  000. 


Berlin,  Göttingen,  Leipzig,  München,  Wien, 
1.  April  1916. 


Diels.     Hauler.     Heinze.     Lommatzsch. 
Norden.     Reitzenstein.    Vollmer. 


Kommissionsberichte  205 


Bericht  über  den  Fortgang  der  Arbeiten  bei  der  Kom- 
mission für  die  Herausgabe  der  mittelalterlichen  Biblio- 
thekskataloge Deutschlands  und  der  Schweiz 
in  der  Zeit  vom  Mai  1915  bis  Mai  1916. 

Auch  in  diesem  Berichtsjahre  konnte  das  Unternehmen 
—  freilich  gehemmt  und  erschwert  durch  Mitarbeitermangel, 
Druckunterbrechungen  und  andere  Kriegsschwierigkeiten  — 
vorwärts  gebracht  werden. 

Der  Redaktor  arbeitete  im  März  und  April  1916  an  den 
wenig  benutzten  mittelalterlichen  Handschriften  des  K.  B.  Na- 
tionalmuseums zu  München  und  erschloß  außer  anders- 
artigem bibliotheksgeschichtlichen  Material  ein  Bücherverzeich- 
nis der  Pfarrkirche  von  Cadolzburg  aus  der  Mitte  des  15.  Jahr- 
hunderts. Im  April  1916  konnte  er  dank  der  Unterstützung 
des  Herrn  Kreisarchivars  Sommerock  und  des  Herrn  Asses- 
sors Dr.  Mitterwieser  im  Kreisarchive  zu  Landshut  ein 
wichtiges,  an  Büchern  reiches  Nachlaßinventar  des  Kardinals 
Grünwalder,  Bischofs  von  Freising,  aus  dem  Jahre  1453  und 
viele  bibliographische,  bibliothekskundliche  Notizen  aus  Rech- 
nungsbüchern des  Klosters  Windberg,  ans  Tageslicht  ziehen. 
In  der  K.  Hof-  und  Staatsbibliothek  zu  München  ent- 
deckte der  rührige  P.  Pelster,  S.  J.,  einen  uns  neuen  Katalog 
der  von  Johannes  und  Hermann  Sack  1439  den  Franziskanern 
zu  München  hinterlassenen  Bücher. 

Die  Haupttätigkeit  des  Redaktors  bildete  nach  wie  vor 
die  Fortführung  des  Druckes  unseres  1.  Bandes.  Bis  auf 
Vorwort,   kleine  Nachträge   und   das  noch  viel  Mühe  und  ge- 


206 


Kommissionsberichte 


räume  Zeit  erfordernde  Register  ist  alles  gesetzt.  Bei  den 
Registervorbereitungen  halfen  eifrig  die  Herren  cand,  phil., 
dann  Dr.  phil.  A.  Mayer  und  cand.  phil.  W.  v.  Lutzau. 

Endlich  wurde  auch  der  Stoff  für  die  folgenden  Bände 
durch  gelegentliche  Funde  und  einzelne  Nachforschungen 
vermehrt. 


München,  im  Mai   1916. 


Der  Redaktor: 
Dr.  Paul  Lehmann. 


Abrechnung  für  1915. 


Einnahmen. 


Ausgaben. 


Beitrag  München 
j,        Berlin     . 
„        Göttingen 
Leipzig  . 


Jt 

4 

. 

2000 

— 

800 

— 

800 

— 

1000 

— 

re  iyi4  4055 

26 

Summe 

8655 

26 

Gehalt  des  Redaktors     . 

Honorare  der  Mitarbeiter 

Reisekosten 

Kleine  Ausgaben  (Bureau- 
bedarf, Photographien 
u.  a.) 

Portoausgaben  .... 


JH 

^ 

4ÜU 
933 

— 

66 

20 

91 

85 

31 

85 

Summe     3522  ^  90 


Abgleichung. 

Einnahmen 8655,26  »4^ 

Ausgaben 3522.90   , 


Rest  und  Übergang  auf  das  Jahr  1916  .     5132.36  Jt. 


Kommiasionsberichte 


207 


Bericht  des  Sekretärs  Geh.  Rates  v.  Riezler  über  die 
56.  Vollversammlung  der  Historischen  Kommission. 

Im  Vorjahre  war  wegen  des  Krieges  von  einer  Vollver- 
sammlung der  Historischen  Kommission  abgesehen  worden. 
Heuer  tagte  eine  solche  vom  14.  bis  16.  Juni.  Da  der  Vor- 
stand der  Kommission,  Geheimer  Regierungsrat  Professor  Moriz 
Ritter  in  Bonn,  am  Erscheinen  verhindert  war,  führte  der 
unterzeichnete  Sekretär  den  Vorsitz. 

Außer  ihm  hatten  sich  von  den  ordentlichen  Mitgliedern 
eingefunden:  Professor  Beckmann  aus  Erlangen,  Geh.  Hof  rat 
Professor  von  Below  aus  Freiburg  i.  B.,  Geh.  Hofrat  Professor 
Brandenburg  aus  Leipzig,  Geh.  Hofrat  Professor  Walter  Götz 
aus  Leipzig,  Magnifizenz  Geh.  Hofrat,  Professor  v.  Grauert 
aus  München,  z.  Z.  Rektor  der  Universität,  Geh.  Rat  Professor 
Hauck  aus  Leipzig,  Geh.  Rat  Professor  Marcks  aus  München, 
Professor  Meyer  von  Knonau  aus  Zürich,  Professor  Quidde 
aus  München,  Hofrat  Professor  Redlich  aus  Wien. 

Von  außerordentlichen  Mitgliedern  war  zugegen:  Professor 
Hermann  Herre  aus  München. 

An  der  Teilnahme  an  den  Sitzungen  waren  außer  dem 
Vorstande  verhindert:  Geh.  Reg.-Rat  Professor  v.  Bezold 
aus  Bonn,  Professor  Friedrich  aus  München,  Geh.  Reg.-Rat 
Professor  Max  Lenz  aus  Hamburg,  Professor,  Syndikus  der 
Akademie  der  Wissenschaften  Karl  Mayr  aus  München,  Hof- 
rat Winter,  Sektionschef  und  Direktor  des  K.  u.  K.  Haus-, 
Hof-  und  Staatsarchivs  a.  D.  aus  Wien. 

Die  Kommission  hat  seit  ihrer  letzten  Tagung  schwere 
Verluste   erlitten.     Durch   den  Tod  wurden   ihr  entrissen:    am 


208  Kommissionsberichte 

25.  August  1914  der  Generaldirektor  der  K.  Preuß.  Staats- 
archive und  Generaldirektor  der  Zentralkommission  für  Heraus- 
gabe der  Mon.  Germ,  hist.,  Exzellenz  Reinliold  Kos  er  aus 
Charlottenburg,  am  24.  Dezember  1914  der  Geh.  Rat,  Reichs- 
archivdirektor a.  D.  Ludwig  v.  Rockinger  aus  München,  am 
23.  März  1915  der  Präsident  der  K.  Akademie  der  Wissen- 
schaften, Geheimrat  Professor  Karl  Theodor  v.  Heigel,  Ex- 
zellenz, aus  München,  der  in  den  Jahren  1898  bis  1908  als 
Sekretär  der  Kommission  tätig  gewesen  war,  und  am  19.  Januar 
1916  Geh.  Rat  Professor  Alfred  Dove  in  Freiburg  i.  B.  Der 
Vorsitzende  widmete  ihnen  Worte  des  Dankes  und  ehrenden  An- 
denkens, ebensowie  einem  früheren  (1906  —  1908)  verdienten 
Mitarbeiter  der  Kommission,  dem  Breslauer  Professor  Georg 
Friedrich  Preuß,  vordem  Privatdozent  in  München,  der  am 
27.  Oktober  1914  im  Kampfe  gegen  Rußland  einer  schweren 
Verwundung  erlag. 

Seit  der  letzten  Vollversammlung  sind  erschienen: 

Quellen  und  Erörterungen  zur  bayerischen  und  deutschen 
Geschichte,  N.  F.  Abt.  Chroniken,  3.  Band:  Veit  Arnpeck, 
Sämtliche  Chroniken,  herausgegeben  von  Oberbibliothekar 
Georg  Leidinger,   1915. 

Vom  II.  Bande  der  Briefe  und  Akten  zur  Geschichte  des 
30  jährigen  Krieges  (Januar  bis  Juni  1625,  bearbeitet  von 
Dr.  Endres)  ist  der  vierte  Teil  teils  gedruckt,  teils  druck- 
fertig gemacht. 

Von  den  deutschen  Städtechroniken  liegen  9  Bogen  Ein- 
leitung und  23  Bogen  Text  der  ersten  Chronik  des  Augs- 
burger Ratsdieners  Paul  Hektor  Mair  (1547 — 1565),  bearbeitet 
von  Professor  Friedrich  Roth  in  München,  gedruckt  vor. 

Seit  Ausbruch  des  Weltkrieges  stehen  die  Arbeiten  der 
Kommission  unter  seinem  Zeichen.  Der  größere  Teil  der  Mit- 
arbeiter befindet  sich  im  Heeresdienste  oder  sonst  in  Kriegs- 
verwendung. Bei  anderen  hat  ein  unter  den  jetzigen  Ver- 
hältnissen natürlicher  Zug  die  Arbeitspläne  von  den  Aufgaben 
der  Kommission  auf  historisch-politische  Fragen  von  aktuellem 


Kommissionsberichte  209 

Interesse  abgelenkt.  Handschriften  aus  dem  Auslande  werden 
nicht  verschickt.  In  den  Druckereien  herrscht  Mangel  an  ge- 
eigneten Setzern.  In  mehreren  Abteilungen  mußten  daher  die 
Arbeiten  für  die  Unternehmungen  der  Kommission  gänzlich 
eingestellt  werden,  in  anderen  erfuhren  sie  wenigstens  empfind- 
liche Störungen,  von  allen  Hemmungen  unberührt  blieb  nur 
der  kleinere  Teil. 

Von  den  Abteilungsleitern  stehen-  im  Heeresdienste  und 
standen  längere  Zeit  im  Felde:  Professor  Brandenburg  und 
Professor  Götz;  von  den  Mitarbeitern:  Oberlehrer  Dr.  Bäsecke 
aus  Braunschweig;  Dr.  Bastian  in  München  (seit  1915,  bisher 
im  Garnisonsdienst);  Dr.  Endres  in  München  (bis  Ende  Sep- 
tember 1915);  Dr.  Hösl,  Kreisarchivassessor  in  Bamberg; 
Dr.  Kühn  (seit  August  1915)  von  Leipzig;  Privatdozent 
Dr.  Häpke  von  Berlin;  Privatdozent  Dr.  Theodor  Mayer 
von  Wien;  Kustos  Dr.  Reicke  (Nürnberg);  Stadtschulin- 
spektor Dr.  Reim  an n  in  Berlin  (seit  kurzem  mit  der  Zucker- 
versorgung Grois-Berlins  betraut);  Professor  Fedor  Schneider 
in  Frankfurt  a.  M.  (seit  August  1915);  Privatdozent  Dr.  Stolz 
aus  Innsbruck  (mit  der  Besatzung  von  Przemysl  in  russischer 
Kriegsgefangenschaft);  Professor  Vigener  von  Freiburg  i.  B. 
Dr.  Wirz  aus  Bern, 

Im  Dienste  des  militärischen  Bekleidungsamtes  betätigt 
sich  Dr.  Bauckner,  im  Dienste  des  Roten  Kreuzes  Dr.  Karl 
Alexander  v.  Müller.  Professor  Bitterauf  ist  seit  1.  März 
1916  nach  Berlin  zur  Zentralstelle  des  Auswärtigen  Amtes 
für  den  Auslandsdienst  abkommandiert. 

Zu  den  wenigen  Unternehmungen,  die  durch  den  Krieg 
keine  Störung  erfuhren,  zählt  die  Geschichte  der  Wissen- 
schaften. Hier  hat  Privatdozent  Dr.  Würschmidt  in  Er- 
langen an  der  Geschichte  der  Physik  seit  1790  gearbeitet, 
wobei  es  sich  als  unmöglich  erwies,  die  Leistungen  der  nicht- 
deutschen Physiker  zu  übergehen.  Er  hat  den  ersten  Haupt- 
teil des  Buches,  der  die  Zeit  von  1790  (Entdeckung  der  gal- 
vanischen Elektrizität)  bis  1842  (Entdeckung  des  Satzes  von 
der   Erhaltung   der  Energie)    umfaßt,    mit   Geheimrat  Eilhard 

Jahrbuch  1916.  14 


210 


Lommissions  beriet 


Wiedemann  in  Erlangen  durchberaten  und  im  wesentlichen 
fertiggestellt,  auch  schon  mit  Vorarbeiten  für  die  folgende 
Periode  begonnen. 

Für  die  unter  Leitung  v.  Bezolds  stehenden  Humani- 
stenbriefe konnte  Privatdozent  Dr.  Erich  König  in  München 
im  Augsburger  Stadtarchive  und  in  der  dortigen  Stadtbiblio- 
thek, sowie  in  den  Stadtarchiven  von  Memmingen  und  Nörd- 
lingen  einige  weitere  noch  ungedruckte  Briefe  Konrad  Peu- 
tingers,  ferner  auch  einige  an  entlegener  Stelle  gedruckte 
Stücke  ermitteln.  Außerdem  hat  er  das  Material  für  Sach- 
kommentar und  Einleitung  weiter  vervollständigt.  Von  den 
erforderlichen  Archivreisen  nach  Innsbruck  und  Wien  mußte 
abgesehen  werden.  Die  Korrespondenz  Pirkheimers  zu  för- 
dern waren  Dr.  Reicke  und  Dr.  Reimann  durch  ihre  mili- 
tärischen Verpflichtungen  verhindert. 

Für  die  Abteilung  Chroniken  der  N.  F.  der  Quellen 
und  Erörterungen  zur  bayerischen  und  deutschen  Ge- 
schichte hat  Oberbibliothekar  Leidinger  die  Ausgabe  der 
Werke  des  bayerischen  Chronisten  Veit  Arnpeck  in  einem 
Bande  von  1014  Seiten  fertiggestellt.  Er  hat  sich  auch  bereit 
erklärt,  die  Quellen  zur  Geschichte  des  Landshuter  Erb- 
folgekriegs zu  bearbeiten,  mit  deren  Ausgabe  diese  Ab- 
teilung voraussichtlich  abgeschlossen  werden  wird.  In  der  Ab- 
teilung Urkunden  hat  Professor  Bitterauf  in  München  für 
die  Traditionen  des  H'ochstiftes  Passau  von  den  ca.  126 
Nummern  des  ältesten  Kodex  90  nahezu  druckfertig  gestellt. 
Der  Vollendung  legte  seine  Berufung  nach  Berlin  ein  Hindernis 
in  den  Weg.  Domvikar  Heu  wieser  in  Passau,  der  die  Bear- 
beitung des  domkapitlischen  Kodex  übernahm,  hat  diese  eben- 
falls dem  Abschlüsse  nahe  gebracht.  Die  Bearbeitung  der  Tra- 
ditionen des  Hochstiftes  Regensburg  wurde  von  Dr.  Jo- 
seph Widemann  in  München  in  der  Hauptsache  vollendet. 
Diese  sollen  nur  soweit  veröffentlicht  werden,  als  sie  als  Bis- 
tumstraditionen angesprochen  werden  können,  d.  h.  solange 
das  Kloster  St.  Emmeram  Sitz  des  Bischofs  war.  In  dieser 
Begrenzung  reichen   sie  von   der   zweiten   Hälfte   des   8.  Jahr- 


Kom  missionsbeiichte  211 

hunderts  bis  ca.  902  (worauf  erst  nach  langer  Pause  ungefähr 
mit  dem  Jahre  975  die  Klostertraditionen  von  St.  Emmeram 
beginnen),  sind  weit  weniger  umfangreich  als  die  Passauer 
Traditionen  und  sollen  sich  an  diese,  wenn  der  Band  nicht 
zu   stark  wird,    als  zweiter  Halbband  anschließen. 

Von  den  unter  der  Leitung  v.  Belows  stehenden  Chro- 
niken der  deutschen  Städte  wird  die  Ausgabe  der  ersten 
Augsburger  Chronik  des  Augsburger  Ratsdieners  Paul  Hektor 
Mair  von  1547 — 1565,  bearbeitet  von  Professor  Friedrich 
Roth  in  München,  voraussichtlich  noch  in  diesem  Jahre  zum 
Abschluß  kommen.  Die  übrigen  Arbeiten  haben,  meist  infolge 
militärischer  Verpflichtungen  der  Mitarbeiter,  fast  ganz  geruht. 

Für  die  Jahrbücher  des  deutschen  Reichs  wurde  Frln. 
Dr.  Mathilde  Uhlirz  in  Graz,  die  Tochter  des  1914  ver- 
storbenen Professors  Karl  Uhlirz,  mit  der  Bearbeitung  der 
Jahrbücher  Ottos  III.  betraut,  für  welche  ihr  Vater  das 
Material  schon  vollständig  gesammelt  und  geordnet,  auch  die 
Exkurse  bis  in  die  Einzelheiten  genau  vorbereitet  hatte. 

Mit  der  Fortsetzung  der  Jahrbücher  Friedrichs  I.  war, 
soweit  ihn  nicht  seine  militärische  Einberufung  und  gesteigerte 
Anforderungen  seiner  akademischen  Lehrtätigkeit  hinderten, 
Professor  Fedor  Schneider  in  Frankfurt  a.  M.  beschäftigt. 
Es  war  ihm  immerhin  möglich,  die  Vorarbeiten  zum  2.  Bande 
nicht  unwesentlich  zu  fördern.  Professor  Hampe  in  Heidel- 
berg war  durch  Arbeiten  über  die  Geschichte  Belgiens  ver- 
hindert, sich  den  Jahrbüchern  K.  Friedrichs  IL  zu  widmen. 

Für  die  Darstellungen  der  deutschen  Reichsge- 
schichte im  ausgehenden  Mittelalter  vermochte  Professor 
P.  Schweizer  in  Zürich  die  Geschichte  K.  Adolfs  von 
Nassau  erheblich  zu  fördern,  während  Professor  Vi  gen  er 
in  Freiburg  i.  B.  im  Felde  steht  und  sich  mit  seiner  Aufgabe, 
Reichsgeschichte  unter  Karl  IV.,  nicht  beschäftigen  konnte. 

In  der  älteren  Reihe  der  Reichstagsakten  konnte  das 
Register  für  den  13.  Band  noch  nicht  fertiggestellt  werden, 
da  der  am  1.  Juli  1914  unter  Leitung  Professor  Beckmanns 
in   Erlangen    damit   betraute   Dr.  Zellfelder  zu   Beginn    des 

14* 


212  Korainissionsbericlite 

Krieges  in  den  Sanitätsdienst  trat,  auch  sein  Nachfolger 
Dr.  Peter  Meyer,  der  die  Arbeit  am  1.  Februar  1915  über- 
nahm, nach  einem  Jahre  aus  dem  Dienste  der  Kommission 
ausschied.  Professor  Beckmann  wird  die  zweite  Hälfte  dieses 
Bandes  zunächst  ohne  Register,  Titelblatt  und  Vorwort  aus- 
geben. Am  14.  Bande,  der  das  Jahr  1439  umfassen  soll,  ist 
weiter  gearbeitet  worden.  Professor  Herre  in  München  hat 
sich  unbehindert  der  Vollendung  des  16.  Bandes  (Wormser 
Kurfürstentag  vom  Mai,  Frankfurter  Reichstag  vom  November 
1441,  Königskrönung  Friedrichs  III.,  Frankfurter  Reichstag 
vom  Sommer  1442)  gewidmet,  der  binnen  kurzem  druckreif 
vorliegen  wird.  Für  die  unter  Leitung  Professor  Quiddes 
zu  bearbeitenden  Supplemente  konnte  Dr.  Bauckner  wegen 
militärischer  Obliegenheiten  nur  in  geringem  Maße  tätig  sein. 

Für  die  unter  der  Leitung  Professor  Brandenburgs  in 
Leipzig  stehende  jüngere  Reihe  der  Reichstagsakten  hat 
Dr.  Kühn  bis  zu  seiner  Heereseinberufung  die  Arbeit  an  seinem 
Bande,  der  die  Jahre  1527 — 29  umfassen  soll,  gefördert. 
Dr.  Volk  war  fast  die  ganze  Zeit  über  imstande,  seine  Ar- 
beiten fortzusetzen,  wenn  ihn  auch  Familienverhältnisse  zwan- 
gen, ihren  Umfang  etwas  einzuschränken. 

Für  die  Briefe  und  Akten  zur  Geschichte  des 
30jährigen  Krieges  in  den  Zeiten  des  vorwaltenden  Ein- 
flusses der  Witteisbacher  konnte  der  Druck  des  von  Professor 
Karl  Mayr  in  München  bearbeiteten  ersten  Bandes  der  N.  F. 
1.  Abt.  (1618,  1619)  nicht  fortgeführt  werden.  Für  die  2.  Ab- 
teilung war  Dr.  Karl  Alexander  v.  Müller  in  München  infolge 
seiner  Kriegsverwendung  an  jeder  Arbeit  verhindert,  auch 
Dr.  Fritz  Endres  konnte  nach  seiner  Entlassung  aus  dem 
Heeresdienste  infolge  seiner  sehr  geschwächten  Augen  nur  in 
geringem  Maße  für  die  Drucklegung  des  zweiten  Bandes  tätig 
sein.  Geh.  Hofrat  Götz,  der  Leiter  der  Abteilung,  ist  bereit, 
die  Arbeiten  für  die  Drucklegung  dieses  Bandes  selbst  zu 
übernehmen. 

Über  die  publizistischen  Schriften  zur  Reichsge- 
schichte (mit  Ausschluß   der  rein  kirchlichen)   in   der   ersten 


Kommissionsberichte  216 

Hälfte  des  15.  Jahrhunderts  berichtete  Professor  Beckmann 
in  Erlangen.  Er  und  Professor  Beer  in  Wien  haben  an 
den  von  ihnen  übernommenen  Traktaten  weitergearbeitet  und 
mehrere  derselben  nähern  sich  der  Vollendung.  Ein  von  Pro- 
fessor Dürrwächter  in  Bamberg  aufgefundener  Traktat  soll 
in   die  Sammlung  aufgenommen  werden. 

Die  Arbeiten  für  die  Zolltarife  zu  fördern,  war  nach 
dem  Berichte  des  Leiters  des  wirtschaftsgeschichtlichen  Unter- 
nehmens V,  Below  nur  Professor  Bächtold  in  Basel  imstande. 
Die  Sammlung  der  Handlungsbücher  ist  durch  die  Be- 
mühungen Professor  Strieders  in  Leipzig,  besonders  durch 
archivalische  Arbeiten  in  Augsburg  und  Nürnberg,  in  erheb- 
lichem Maße  weitergediehen.  Da  die  Gesellschaft  für  frän- 
kische Geschichte  bereits  1907  mit  ihrer  Absicht  hervorge- 
treten ist,  eine  Herausgabe  der  Quelle  zur  Nürnberger  Handels- 
geschichte des  15.  und  16.  Jahrhunderts  zu  veranstalten,  also 
die  Priorität  für  sich  hat,  wird  eine  Verständigung  mit  dieser 
Gesellschaft  über  die  Abgrenzung  der  Arbeiten  und  äußere  Ein- 
heitlichkeit der  beiderseitigen  Publikationen  gesucht  werden. 
Für  die  Handlungsbücher,  wie  für  die  Reichstagsakten  und 
die  Briefe  und  Akten  wurden  Forschungsreisen  nach  Belgien 
in  Aussicht  genommen,  die  wo  möglich  noch  während  des 
Krieges  ausgeführt  werden  sollen. 

Von  dem  Vorstande  der  Kommission  war  brieflich  die 
auch  durch  Geh.  Hofrat  Götz  übermittelte  Anregung  aus- 
gegangen, daß  aus  Anlaß  der  großen  Zeit  ein  neues  Unter- 
nehmen zur  deutschen  Geschichte  des  19.  Jahrhunderts  ins 
Auge  gefaßt  werden  möge.  Ein  Ausschuß,  bestehend  aus  den 
Herren  Brandenburg,  Lenz,  Marcks,  Ritter,  soll  im 
Sinne  dieser  Anregung  beraten.  Er  soll  das  Recht  der  Zuwahl 
haben  und  wurde  ermächtigt,  im  Namen  der  Kommission  in 
Verhandlungen  mit  den  amtlichen  Stellen  einzutreten. 


214  Kommissionsberichte 


Vierter  Bericht  der  Kommission  für  die  Herausgabe 
von  Wörterbüchern  bayerischer  Mundarten. 

Die  Arbeitslage  ist  eine  ähnliche  wie  die  des  Berichts- 
jahres 1915.  Der  Verkehr  mit  den  Sammlern  wurde  in  der 
ersten  Hälfte  des  Berichtsjahres  lebhafter  als  im  Vorjahr.  In 
der  zweiten  Hälfte  war  ein  deutliches  Abschwellen  zu  bemerken, 
aller  Wahrscheinlichkeit  nach  veranlaßt  nicht  nur  durch  neuer- 
liche Einberufungen,  sondern  wohl  ebensosehr  durch  die  ge- 
steigerte Arbeit  der  daheim  Verbliebenen,  besonders  der  in  der 
Landwirtschaft  Tätigen.  Alles  in  allem  genommen  haben  uns 
aber  gerade  die  Kriegsjahre  gezeigt,  wie  außerordentlich  volks- 
tümlich das  Wörterbuchunternehmen  der  Akademie  geworden 
ist  und  wie  sehr  der  an  sich  rein  wissenschaftliche  Gedanke 
der  Schaffung  großer  Wörterbücher  bayerischer  Mundarten  von 
dem  heimatlichen  Sinn  der  Bevölkerung  verstanden  und  ge- 
hegt wird.  Denjenigen  Sammlern,  die  uns  auch  im  abgelau- 
fenen Jahre  1916  durch  die  Beantwortung  von  Fragebogen, 
durch  Einsendung  des  verschiedenartigsten,  frei  gesammelten 
Materials,  durch  rege  Unterstützung  der  auf  den  Krieg  bezüg- 
lichen Sondersammlungen  der  Wörterbuchkommission  (s.  S.  219), 
durch  anregende  Korrespondenz  unterstützt  haben,  die  in  schwer- 
ster Zeit  vom  heimischen  Herd  wie  vom  Schützengraben  und 
vom  Kriegsschauplatz  überhaupt  aus  sammelnd  und  Anfragen 
stellend  an  die  Wörterbücher  der  Akademie  gedacht  haben, 
müssen  wir  und  noch  eine  spätere  Zeit  besonderen  Dank  sagen. 
Ein  prächtiges  Zeugnis  dessen,  wie  sehr  das  Unternehmen  der 
Wörterbuchkommission  vom  Interesse  und  von  der  Liebe  weitester 
Volkskreise  getragen  wird,  mag,  um  nur  wenige  Beispiele  aus 
vielen  zu  geben,  jene  Reihe  von  Bauern  sein,  die  trotz  allem 
sich  noch  die  Muße  zur  Erledigung  von  Fragebogen  abrang, 
besonders   aber  jener    Bauernknecht  —   es    ist    der    gefallene 


Kommissionsberichte  215 

Georg  Störzer  aus  Haimhausen  bei  Dachau  — ,  der  die  vielen 
Monate,  die  er  im  Felde  stand,  ständig  an  die  Möglichkeit 
der  Wiederaufnahme  seiner  Arbeiten  für  uns  dachte.  Es  ver- 
ging kein  Monat,  ohne  daß  sich  der  Gefallene,  der  22  Frage- 
bogen in  ungemein  gründlicher  Weise,  geradezu  mit  philo- 
logischem Geschick  beantwortete  und  uns  auch  sonst  durch 
Beischaffung  von  Material  förderte,  in  oft  rührender  Weise 
nach  dem  Fortgang  der  Wörterbucharbeiten  erkundigt  hat. 

So  blieb  denn  die  Arbeitsverbindung  zwischen  den  Samm- 
lern und  der  Kommission  auch  in  diesem  Jahre  aufrecht.  Von 
denjenigen  aber,  die  notgedrungen  die  Arbeit  für  uns  ruhen 
lassen  mußten,  wissen  wir  sowohl  aus  ihren  früheren  Beiträgen, 
wie  aus  brieflichen  Äußerungen,  daß  sie  in  dem  Augenblicke 
wieder  zur  Stelle  sein  werden,  der  ihnen  das  irgendwie  ermög- 
licht, namentlich  wenn  der  Friede  bessere  Tage  ins  Land  ge- 
bracht hat.  Und  so  möchten  wir  denn  alle  Freunde  der 
Mundartenaufnahme  Bayerns  auch  an  dieser  Stelle  bitten,  der 
Sache  treu  zu  bleiben,  die  sie  in  den  Jahren  des  Bestehens 
der  Wörterbuchkommission  zu  der  ihrigen  gemacht  haben. 

So  wie  es  gelungen  ist,  die  Arbeitsverbindung  mit  den 
Sammlern  aufrechtzuerhalten  und,  die  Kriegslage  ausnützend, 
zwei  große  Sondersammlungen  zu  veranstalten,  so  gelang  es 
auch  die  Arbeiten  der  Kanzlei  im  vollen  Umfange  fortzuführen. 
Die  persönlichen  Verhältnisse  in  der  Kanzlei  blieben  die  näm- 
lichen wie  im  Vorjahre. 

1.  Bayerisch-österreichisches  Wörterbuch. 

Die  im  letzten  Jahresbericht  erwähnten  Arbeiten  wur- 
den weitergeführt.  So  kamen  neben  den  Hochzeitsfragebogen 
(Nr.  7 — 11),  für  deren  ersten  auch  Synonymenlisten  angefer- 
tigt wurden,  vor  allem  die  landwirtschaftlichen  Fragebogen 
(Nr.  14 — 19)  zur  Registrierung.  Auch  dem  durch  die  Beant- 
wort..ng  des  Fragebogens  4  (Kopf)  angefallenen  Material  konnte 
in  der  technischen  Registrierung  wie  in  der  wissenschaftlichen 
Bearbeitung  besonderes  Augenmerk  geschenkt  werden.  Die 
für    das    Vorjahr    erwähnten    Untersuchungen    zur    Lautlehre 


316  Kommissionsberichte 

der  bayerischen  Mundarten,  sowie  zur  Abgrenzung  d 
schiedenen  Dialektgebiete  gegeneinander  konnten  fortgesetzt  und 
verfeinert  sowie  über  das  altbayerische  und  oberpfälzische  Ge- 
biet hinaus  auch  auf  das  ostfränkische  und  das  rheinpfälzische 
ausgedehnt  werden  (s.  auch  unten  S.  218  u.  ff.).  Ebenso  konnte 
das  Verzeichnis  der  mundartlichen  und  volkskundlichen  Literatur 
Bayerns  durch  manche  neu  hinzugekommene  Nummer  ver- 
größert werden.  Durch  die  Annahme  der  von  Hofrat  See- 
mOllee  in  Wien  und  Professor  Lessiak  in  Prag,  als  Vertretern 
der  österreichischen  Schwesterkommission,  ausgearbeiteten  Vor- 
schläge zur  Wiedergabe  der  mundartlichen  Laute  im  schrift- 
sprachlichen Stichwort  zu  Ende  des  Berichtsjahres  ist  es  mög- 
lich geworden,  künftighin  die  Wortzettel  im  großen  Umfang 
mit  den  schriftsprachlichen  Stichworten  zu  versehen, 
unter  denen  sie  im  gedruckten  Wörterbuch  behandelt  werden 
sollen.  Die  Zahl  der  in  der  Kanzlei  vorhandenen  Wortzettel, 
die  sich  wiederum  sehr  erheblich  vermehrt  hat,  soll  im  näch- 
sten Jahre  genau  bekanntgegeben  werden,  wenn  auf  ihnen  allen 
das  schriftsprachliche  Lemma  eingetragen  ist. 

An  die  Abfassung  neuer  Fragebogen  wurde  sowohl  in' 
München  wie  bei  der  österreichischen  Schwesterkommission 
gedacht.  Hofrat  Seemüller  in  Wien  sammelte  Material  für 
einen  Fragebogen,  der  die  mundartlichen  Ausdrücke  für  die 
Begriffe  „gehen"  und  , stehen"  behandeln  soll;  Dr.  Mausser 
richtete  sein  Augenmerk  auf  das  Material  verschiedener  Standes- 
sprachen, vor  allem  auf  den  Wortschatz  der  Schusterei.  An 
die  Zusammenfassung  dieses  und  anderen  Materials  zu  Frage- 
bogen konnte  aber  infolge  der  Einberufung  aller  österreichi- 
schen, für  die  Wörterbuchkommission  tätigen  Gelehrten  nicht 
herangegangen  werden.  Es  ist  aber  Aussicht  vorhanden,  daß 
im  kommenden  Jahre  die  Abfassung  weiterer  Fragebogen  wieder 
wie  früher  vor  sich  gehen  kann. 

Wir  dürfen  auch  heuer  wie  im  Vorjahre  in  Anbetracht 
des  Umstandes,  daß  ein  großer  Teil  der  Sammler  einberufen 
und  durch  den  Krieg  von  der  Tätigkeit  für  die  Kommission 
abgehalten  ist,  von  einem  vollständigen  Verzeichnis  der  Sammler 


Kommissionsberichte  -^  1  • 

absehen.  Einigen  aber,  die  sich  im  Berichtsjahre  durch  be- 
sonders gründliche  Beantwortung  von  Fragebogen  oder  durch 
besonders  sorgsame  sonstige  Sammelarbeit  ausgezeichnet  haben, 
muß  der  Dank,  der  allen  Einsendern  von  Stoif  gebührt,  auch 
öffentlich  erstattet  w^erden.  In  diesem  Sinne  nennen  wir  fol- 
gende Sammler,  welche  alle  bis  jetzt  ausgegebenen  41  Frage- 
bogen in  vorbildlicher  Weise  beantwortet  haben: 

Konrektor  Dr.  Ammer,  München;  Landtagsabgeordneter  Ükono- 
mierat  Bauernfeind,  Naabdemenreuth;  Archivar  Bertele,  Lauingen; 
Schweizer  Bock,  Hofhegnenberg;  Pfarrer  Brand,  Erlach;  Seminardirek- 
tor Durmayer,  Bamberg;  Bahn  Verwalter  Eichbauer,  Ludwigshafen; 
Steuerverwaltersgattin  Ertl,  Hengersberg;  Steuerverwalter  Ollinger, 
Riedenburg  a.  Altm.;  Gustav  Pappenberger,  Schwabmünchen;  Frau 
M.  Scheicher,  Traunstein;  Oberlehrer  Schlereth,  Geisenfeld;  Fräu- 
lein M.Schnepf,  Traunstein;  Pfarrer  Sehn irle,  Pfaffenberg;  Postadjunkt 
Schosser,  Hengersberg;  Oberstlandesgerichtsrat  Vierling,  München. 
Außerdem  müssen  genannt  vperden:  Ökonom  Brandl,  Maximilian; 
Bauer  Brandmair,  Derching;  Zollinspektor  Fasold,  München  (sandte 
auch  eine  Menge  Zeitungsausschnitte);  Seminarlehrer  Gschwend,  Eich- 
stätt;  Bergmann  Hauptmann ,  Hohenpeissenborg;  Lehrerin  Linda  Heigl, 
München;  Kaufmann  Heimerl,  München;  Hauptmann  Heindl,  Mün- 
chen-Passau; Redakteur  Herold,  München;  Gutsbesitzer  Hien,  Mitter- 
harthausen;  Pfarrer  Hornauer,  Weihmichl;  Lehrer  Kleindinst,  Me- 
ring;  Förster  Kulzer,  Beratzhausen ;  Seminarlehrer  Lang,  Eichstätt; 
Expositus  Dr.  Markstaller,  Rosenberg  (Opf.);  Kaufmann  Matthes,  Arz- 
berg;  Major  Miller,  Ingolstadt;  Expositus  Ritzer,  Haidmühle  (30  außer- 
ordentlich gründliche  Beantwortungen);  Gymnasialassistent  Dr.  Schmid, 
Ettal;  Professor  Dr.  Seh m  ög er,  München  (auch  Freigesammeltes);  Real- 
lehrer Schwarz,  München;  Lehrer  Schwarzer,  Neukircben  (Opf.) 
(12  Fragebogen  aus  dem  Feld  beantwortet^;  Bernhard  Stark,  München; 
Rudolf  Stark,  Augsburg  (von  beiden  namentlich  viele  Flur-  und  Haus- 
namen); Kirchenmaler  Vogt,  Beilngries;  Fräulein  Therese  Vogt,  Beiln- 
gries  (auch  viel  freigesammeltes  Material:  Wörter,  Sagen  usf.);  Thomas 
Wild,  München  und  Bauernsohn  Windshuber,  Kölling. 

Auf  dem  Felde  der  Ehre  fiel  Georg  Störzek,  Haimhausen 
(s.  S.  215),  sowie  Lehrer  Schmutzleb,  Horbach,  und  Abiturient 
Otto  Papst,  Germering.  Außerdem  verloren  wir  durch  den 
Tod  Gastwirt  Klimmeb,  Engelsberg,  und  Kaminkehrermeister 
Kulzer,  Tittling  (Beantworter  vieler  Fragebogen,  ausgezeichnet 
durch  Gi'ündlichkeit  und  gute  Beobachtung). 


218  Kominissionsberichte 

Die  Handbibliothek  der  Kommission   wurde   wie   im  Vor- 
jahre durch  Zuwendungen  von  Landgerichtsrat  Ebner  als  Vor-1 
stand  des  Historischen  Vereins  Straubing,  Schriftsteller  Hörner,^ 
Kommerzienrat  Schmederer  in  München  bedacht. 

2.  Rheinpfälzisches  Wörterbuch. 

Auch  im  Berichtsjahr  ist  es  nur  wenigen  Sammlern  mög- 
lich geworden,  für  das  Wörterbuch  tätig  zu  sein.  Der  Grund 
ist  für  die  Rheinpfalz  noch  mehr  als  für  das  rechtsrheinischel 
Bayern  der  Krieg.  Eine  vortreffliche  Beantwortung  des  ersten 
Fragebogens  hat  Kaufmann  Johann  Heumos  in  Geinsheim  ge- 
liefert. Wir  erhielten  von  ihm  auch  eine  größere  Menge  frei- 
gesammelten Materials,  sowie  wertvolle  Hinweise  auf  mund- 
artliche Literatur  und  ein  Segenbuch  zur  Abschrift.  Herr 
Fritz  Heeger  in  Würzburg  bereicherte  unsere  Bibliothek  durch 
Zuweisung  von  Schriften  seines  Vaters  Georg  Heeger  und  vor 
allem  durch  die  Schenkung  seines  literarischen  Nachlasses  ger- 
manistischer Natur.  Es  handelt  sich  um  durchaus  wertvolles 
Material  zum  Wortschatz,  zu  den  Mundartgrenzen  und  zum 
Lautstand  des  Rheinpfälzischen.  Die  Arbeiten  für  die  Mundart- 
aufnahme der  Rheinpfalz  werden  immer  mit  Nutzen  auch  an 
diese  Nachlaßarbeiten  Heegers  anknüpfen.  An  Stelle  Heegers 
gewann  die  Kommission  Konrektor  Dr.  Philipp  Keiper  in  Regens- 
burg, einen  geborenen  Rheinpfälzer  und  auf  dem  germanisti- 
schen Gebiete  der  pfälzischen  Heimatforschung  wohlbewährten 
Autor,  zur  Hauptmitarbeit.  Konrektor  Keiper  sammelte  im 
Berichtsjahr  Material  zu  einem  die  Flüche  des  Rheinpfälzers 
behandelnden  Fragebogen  und  begann  die  Verzettelung  der 
Werke  von  Daniel  Kühn. 

3.  Ostfränkisches  Wörterbuch. 

Unter  besonderer  Beihilfe  von  Regierungsrat,  Bezirksamt- 
mann a.  D.  Reubold  in  München  und  mit  liebenswürdiger  Unter- 
stützung von  Professor  Dr.  Oskar  Brenner  in  Würzburg  konnte 
durch  Dr.  Mausser  die  Belehrung  für  die  Sammler  des  ost- 
fränkischen Wortschatzes    druckfertig   gestaltet   werden.     Re- 


Komiuissionsberichte  ^19 

gierungsrat  Reubold  hat  ferner  eine  Musterbeantwortung  des 
ersten  Fragebogens  in  zwei  ostfränkischen  Mundarten  geliefert. 
Es  konnten  außerdem  von  der  Kanzlei  drei  Fragebogen,  die 
den  auf  die  Begriffe  Kopf,  Gesicht,  Wange,  Mpnd,  Zahn, 
Zunge,  Lippe  und  menschliches  Haar  bezüglichen  Wortschatz 
behandeln,  abgefaßt  werden.  Sie  werden  bei  günstigerer  Zeit 
als  Nr.  1,  4,  6  der  Fragebogen  des  Ostfränkischen  Wörter- 
buches gedruckt  werden.  Die  Verzettelung  des  Leygeberschen 
Idiotikons  von  Forchheim  wurde  fortgesetzt.  Dasselbe  gilt  von 
den  Arbeiten  zur  Feststellung  der  p'pf-Linie  in  Unterfranken. 
Im  Oktober  sah  Dr.  Mausser  in  Marburg  einige  Karten  des 
Sprachatlasses  von  Wenker  ein,  um  die  von  ihm  und  der  Mün- 
chener Kanzlei  gefundene  Abgrenzung  für  die  diphthongische 
Vertretung  von  mhd.  uo  und  ö  im  Ostfränkischen  mit  der  von 
Wenkeb  festgesetzten  zu  vergleichen  (s.  im  übrigen  S.  216). 
Eine  Anzahl  von  fränkischen  Sammlern  hat  uns  auch  in  diesem 
Jahre  mit  kleineren  Beiträgen  erfreut.  Lehrer  Graber  in  Weil- 
bach (Ufr.)  sandte  eine  ziemlich  umfängliche  Beschreibung  der 
Mundart  von  Weilbach  mit  Umgebung,  B.-A.  Miltenberg. 

4.  Sondersammlungen   der  Wörterbuchkommission 
aus  Anlaß  des  Krieges. 

Sie  beziehen  sich  auf  die  Sammlung  des  soldatischen 
Wortschatzes  und  die  Sammlung  des  Soldatenliedes  bayeri- 
scher Truppen.  Der  erste  Anstoß  zu  diesen  Sondersammlungen 
wurde  schon  im  August  1914  durch  einen  Aufruf  gegeben 
(s.  die  Jahresberichte  für  1914  und  1915).  Im  Berichtsjahr 
wurde,  zum  Teil  im  Anschlüsse  an  die  Vorschläge  und  Ideen 
des  Professors  Dr.  John  Meier  in  Freiburg  i.  B.  als  Vorsitzen- 
den des  Verbandes  Deutscher  Vereine  für  Volkskunde,  be- 
schlossen, die  Sammlung  auf  diesen  Sondergebieten  zu  syste- 
matisieren. Das  geschah  einerseits  dadurch,  daß  die  Wörter- 
buchkommission den  vom  Verband  Deutscher  Vereine  für 
Volkskunde  ausgearbeiteten  Fragebogen  zur  Sammlung  des 
heutigen  Soldatenliedes,  dessen  zweite  Fassung  zwischen  dem 
Verband  und  der  Kommission  vereinbart  wurde,  übernahm  und 


/ 


220  Kommissionsberichte 

an  die  im  Feld  stehenden  Sammler  verschickte,  anderseits  da-i 
durch,  daß  zwischen  den  Kommissionen  in  München  und  Wiei 
im  Mai  ein  Aufruf  zur  Sammlung  der  Soldatensprache  untei 
besonderer  Berücksichtigung  ihrer  mundartlichen  Elemente  ver-' 
einbart  wurde.  Die  Wöiterbuchkommission  versandte  die  Auf- 
rufe zur  Sammlung  des  Soldatenliedes  und  der  Soldatensprache 
an  die  Sammler  des  ganzen  Landes,  so  daß  alle  drei  Wörter- 
bücher, das  Bayerisch -österreichische,  das  Ostfränkische  und 
das  Rheinpfälzische,  an  dem  Erfolg  der  Sammlung  teilhaben. 
Das  rechtfertigt  ihre  Besprechung  unter  einem  besonderen 
Punkt.  Der  Aufruf  zur  Sammlung  der  Soldatensprache  wurde 
auch  in  mancherlei  norddeutsche,  besonders  Berliner  und  Leip- 
ziger Zeitungen  übernommen,  wofür  die  Kommission  den  Re- 
daktionen zu  Dank  verbunden  ist.  Es  erfolgten  auch  mancherlei 
Meldungen  zur  Teilnahme  an  der  Sammlung  der  Soldaten- 
sprache aus  nichtbayerischen,  besonders  norddeutschen  Truppen- 
körpern. Die  Kommission  berücksichtigte  diese  Anmeldungen 
gerne,  denn  durch  die  Teilnahme  nichtbayerischer  Heeresange- 
höriger mußte  wertvolles  Vergleichsmaterial  hereinkommen. 
Das  spezifisch  Bayerische,  Fränkische  oder  Rheinpfälzische  in 
der  Soldatensprache  mußte  sich  vom  Sächsischen,  Hessischen, 
Berlinischen  usf.  mehr  abheben,  überdies  trat  auch  das  allen 
deutschen  Kontingenten  im  Wortschatz  Gemeinsame  auf  diese 
Weise  viel  schärfer  und  bestimmter  hervor,  als  wenn  die  Samm- 
lung nur  auf  Bayern  beschränkt  geblieben  wäre.  Der  außer- 
ordentliche Erfolg  der  Sammlung  der  Soldatensprache  hat  ge- 
zeigt, daß  das  von  der  Kommission  eingeschlagene  Verfahren 
richtig  war;  es  hat  außerdem  gezeigt,  daß  die  Öffentlichkeit 
eine  Sammlung  wie  die  begonnene  geradezu  erwartet  hat.  Die 
allgemeine  Wortkunde  und  die  mundartliche  Lexikographie 
wird  durch  die  Sammlung,  die  seit  Juli  an  die  5000  Zettel 
ergeben  hat,  in  gleicher  Weise  gefördert.  Ebenso  erfolgreich 
war  der  Aufruf  zur  Sammlung  des  Soldatenliedes.  Die 
Wirkung  liegt  in  häufig  geradezu  zu  kleinen  Abhandlungen 
gediehenen,  ausnahmslos  sorgsamen  Berichten  vor,  die  nicht 
selten   auch   mit  Notenbeispielen   versehen   sind.     Außer   dem 


Kommissionsbericlite  ^'^l 

volkskundlichen  Grund  war  es  ein  sprachenwissenschaftlicher, 
der  uns  diese  Sammlung  veranstalten  ließ.  Denn  dadurch,  daß 
wir  das  heutige  Soldatenlied  in  seiner  Verteilung  auf  Regi- 
menter und  kleinere  Einheiten  kennen  lernen,  von  denen  wir 
zumeist  wissen,  aus  welchen  Gegenden  und  damit  Mundart- 
gebieten sie  rekrutiert  sind,  bringen  wir  auch  einen  Teil  jener 
Texte  in  Erfahrung,  durch  deren  Mittel  die  allgemeine  Schrift- 
sprache auf  die  Dialekte  einwirkt.  Außerdem  ist  ein  Teil  — 
wenn  auch  der  kleinere  —  des  strophischen  Soldatenliedes  in 
Mundart  abgefaßt.  Daneben  laufen  noch  soldatische  Vierzeiler 
in  Mundart,  von  denen  vor  allem  altbayerische  in  unsere  Samm- 
lung eingereiht  werden  konnten.  Professor  John  Meier  konnte 
einen  Teil  der  Soldatenliedsammlung  der  Wörterbuchkommis- 
sion für  sein  Buch  über  das  Soldatenlied  im  Felde  (Straß- 
burg 1916,  Trübners  Philologische  Bibliothek)  benützen.  Das 
Buch  von  Dr.  Mausser  über  die  gegenwärtige  Soldatensprache, 
das  in  nächster  Zeit  in  der  erwähnten  Philologischen  Biblio- 
thek erscheint,  ist,  soweit  es  sich  um  mitgeteilte  Wörter  han- 
delt, auf  Grund  der  Sammlungen  der  W^örterbuchkommission 
gearbeitet. 

Die  Wörterbuchkommission  schuldet  allen  denen,  welche 
durch  Beiträge  —  häufig  recht  umfangreicher  Natur  —  die 
beiden  Sammlungen  unterstützt  haben,  großen  Dank,  der  den 
Einsendern  auch  an  dieser  Stelle  ausgesprochen  werden  soll. 
Wir  glauben  die  Namen  derer,  die  sich  um  die  Sammlungen 
besonders  verdient  gemacht  haben,  aufführen  zu  müssen.  Wir 
nennen  für  die  Sammlung  der  Soldatensprache  die  Herren:*) 

Otto  Behr;  Adam  Bienlein;  Ltn.  Bleibinhaus;  M.Büttner 
(bei  der  Pressestelle  Ost  11);  Vzfw.  Dr.  Julius  Cahn;  Gg.  Connemann; 
Uoifz.  Fr.  England;  Ltn.  Fritz  Ehrlicher;  Dr.  Friedrich  Fick;  Ltn. 
Dr.  Alois  Früchtl;  Ltn.  Dr.  Gartenhof;  H.  Gleißner;  Johann  Heu- 
mos;  H.  Hiller;  Uoffz.  Hufnagel;  Ltn.  Eug.  Hüner  (auf  dem  Felde 
der  Ehre  gefallen);  Uoffz.  Huth;  Reg.-Baumeister  Kissenberth;  Uoffz. 


*)  Bei  Mannschaften  ist  nur  der  Name  gesetzt;  Gefr.  =  Gefreiter, 
Uoffz.  =  Unteroffizier,  Vzfw.  =  Vizefeldwebel,  Vzwachtm.  =  Vizewacht- 
meister, Feldw.  =  Feldwebel,  Offz.-Stellvertr.  =  Offiziers -Stellvertreter, 
Feldw.-Ltn.  ~  Feldwebel-Leutnant,  Ltn.  =  Leutnant,Obltn.  =  Oberleutnant. 


222 


Kommissionsbericbte 


Kreiner  (vermißt);  Ltn.  Max  Kunz;  Vizewachtm.  K.  Leibrock;  Dl 
W.  Liebenthal;  L.  Lindl;  M.  Märten;  Vzfw.  ür.  Marzell;  Uofiz' 
Rud.  Meißner;  Major  Miller  (steuerte  vor  allem  auch  Entwurfamaterial 
für  militärische  Fragebogen  in  höchst  dankenswerter  Weisa  bei);  Feld- 
webel L.  Müller;  Konrad  Ott;  Hans  Peters;  Ltn.  Ludwig  Richter 
(außerordentlich  zahlreiche  Materialien  aus  sächsischen  Verbänden);  Ltn. 
Dr.  Rubenbauer;  Gg.  Schoßer;  Uoffz.  Dr.  Fr.  Solleder:  Rudolf 
Stark;  Gefr.  Trog;  Ltn.  Dr.  Übe;  R.  Ulbricht;  Vzfw.  Wustmann 
(vorzügliches  Material  aus  sächsischen  Verbänden);  Arno  Zeiske;  Vzfw. 
Wilh,  Zentner. 

Für  die  Sammlung  des  Soldatenliedes  führen  wir  aufj 
Karl  Albrecht;  H.  Assel;  Assistenzarzt  Dr.  K.  Bachlechner; 
Aug.  Barth  (außerordentlich  gründliche  Berichte);  A.  Bauer;  Uoffz. 
Bauiß;  H.  Beckert;  0.  Behr;  Uoffz.  H.  Bernhard;  Obermusikmeister 
Bernklau;  A.  Bienlein;  Ltn.  Bleibinhaus;  Uoffz.  A.  Burgmaier; 
I.  Desing;  Feldw.-Ltn.  L.  Dischinger;  Vzfw.  F.  Ehrlicher;  Vzfw. 
E.  Endres;  Uoffz.  K.  Englert;  Vzfw.  M.  Feldhäuser;  Uoffz.  J.  Fell- 
ner; Obltn.  Dr.  Fr.  Fick;  Uoffz.  K.Frank;  Uoffz.  H.  Fritzsche;  Ltn. 
Dr.  Gartenhof;  Oberstabsarzt  Dr.  Gengier;  M.  George;  K.  u.  K.  Ka- 
dett Otto  Gerstl;lK.  Gippe;  H.  Gleißner;  H.  Göbel;  Uoffz.  Herm. 
Graf;  Phil.  Graff;  Ltn.  Aug.  Gräßmann;  G.  Gunst;  0.  Haider; 
Ltn.  Hammrich;  F.  Häusler;  Konservator  Dr.  H.  Heerwagen;  K. 
Held;  Phil.  Henn;  Gefr.  Hereth;  Job.  Heumos;  X.  Hien;  G.  Hild; 
A.  Hiller;  Uoffz.  L,  Hofherr;  Uoffz.  J.  Hufnagel;  Ltn.  E.  Hüner 
(s.  oben);  Vzfw.  Janker;  Uoffz.  G.  Jena;  Uoffz.  Jos.  Job  st;  Feldw, 
Jung;  Uoffz.  M.  Kammerer;  Ltn.  Keiper;  Vzfw.  R.  Keller;  Uoffz. 
Kelz;  Uoffz.  Kieffer;  Uoffz.  A.  Klein;  Uoffz.  H.  Koch;  H.  Krapp- 
mann; Uoffz.  Fr.  Kreiner  (s.  oben);  Vzfw.  Kreuter;  L.  Kreuzer; 
L.  Lamm;  Obltn.  Lang;  Uoffz.  Lautenschlager;  Uoffz.  Karl  Leh- 
meier; E.  Leibrock;  Uoffz.  J.  Lindenberger;  Th.  Lippert;  Major 
Ed.  Lösch;  Uoffz.  Luthner;  Ltn.  Machbert;  Jos.  März;  Fr.  March- 
felder;  Dr.  E.  Mayr;  Ltn.  Mehl;  A.  Müller;  Feldw.  L.  Müller;  Ltn. 
Neckermann  (auf  dem  Felde  der  Ehre  gefallen);  Uoffz.  Fr.  Niesner; 
Vzfw.  Obergaßner;  Uoffz.  A.  Östreicher;  M.  Pfaller;  Vzfw.  Prand- 
stätter;  F.  Pregler;  Uoffz.  A.  Prell;  Seb.  Pröll;  Uoffz.  L.  Rehn; 
J.  M.  Reichart;  Hauptmann  Reg.-Rat  R.  Reubold;  Uoffz.  H.  Rhein- 
heimer;  Uoffz.  H.  Rimmele;  Ltn.  Dr.  H.  Rubenbauer;  Phil.  Sauer- 
heber; A.  L.  Seidinger;  Ltn.  Jos.  Silbig;  Dr.  Fr.  Solleder  (wie 
Dr.  Rubenbauer  und  andere  um  beide  Sammlungen  sehr  verdient);  Feldw.- 
Ltn.  H.  Scheuerecker;  H.  Schließleder;  Feldwebel  Schnebel;  A. 
Schnirle;  J.  Schön;  Ltn,  W.  Schön;  K.  Schwarzer;  L.  Schwarz- 
mann; Uoffz.  L.  Schwing;  E.  Steiner;  Offz.-Stellvertr.  A.  Stock- 
mann; G.  Störzer  (s  S.  215);  Uoffz.  Thanner;  M.  Vitzthum;  Feldw.- 


Kommissionsberichte  223 

Ltn.  Waffen  sclimidt;  UofFz.  Waldhier;  Ltn.  F.  Walz  (gefallen 
auf  dem  Felde  der  Ehre);  Ltn.  E.  Weber;  Garnisonverwaltungsinspektor 
J.  Weber;  Uoffz.  Weidinger;  Vzfw.  E.  Weis;  W.  Wiesinger; 
Arno  Zeiske;  Vzfw.  W.  Zentner;  Max  Jos.  Zink, 

Von  Zivilisten  sind  zu  nennen:  Archivar  Bertele,  Lauingen;  Frau 
M.  Ertl,  Hengersberg;  Zollinspektor  Fasold,  München;  Jos.  Sefehlner, 
Obernzell;  Frau  Auguste  Ufer,  Landau  (Pfalz). 

Dezember  1916. 

Die  Wörterbuchkommission 
der  K.  B,  Akademie  der  Wissenschaften: 

Dr.  Ernst  Kuhn, 
Vorsitzender. 

Dr.  Otto  Maußer, 
wissenschaftlicher  Hilfsarbeiter. 


224  Kommissionsberichte 


Bericht  über  die  Höhlenforschung  in  Bayern 
im  Jahre  1916. 

In  der  Sitzung  der  akademischen  Kommission  für  Höhlen- 
forschung vom  4.  Dezember  1915  wurde  beschlossen: 

1.  die  Höhlenkarte  Gümbels   möglichst   zu   ergänzen    und 

2.  durch  Probegrabungen  festzustellen,  in  welchen  Höhlen 
Reste  des  vorgeschichth'chen  Menschen  sich  finden. 

Da  für  die  eigentliche  fränkische  Schweiz  bei  der  Natur- 
historischen Gesellschaft  in  Nürnberg  schon  Vorarbeiten  in 
dieser  Hinsicht  vorliegen  sollen,  wurden  die  Höhlengebiete 
außerhalb  derselben  in  Angriff  genommen. 

Professor  Birkner  begann  mit  Dr.  Schneid-Bayreuth  mit 
den  Untersuchungen  der  Höhlen  in  den  Tälern  des  oberen 
Weismains,  der  Aufseß  und  Wiesent,  über  die  zum  Teil  schon 
Pfarrer  Engelhardt  von  Königsfeld  Ende  der  sechziger  Jahre 
des  vorigen  Jahrhunderts  Mitteilung  gemacht  hat.  .  Gümbel 
verzeichnete  in  dieser  Gegend  eine  Anzahl  von  Höhlen.  Es 
ist  nicht  immer  möglich  festzustellen,  welche  von  den  vor- 
handenen Höhlen  Engelhardt  und  Gümbel  gemeint  haben. 

Abgesehen  vom  Philippenloch  bei  der  Weihersmühle  sind 
alle  angegebenen  Höhlungen  mehr  oder  minder  große  Löcher 
im  Felsen  meist  ohne  Erdschichten,  nur  mit  wenig  Verwitte- 
rungsschutt bedeckt.  Die  Probegrabung  im  Philippenloch  er- 
gab wenig  mittelalterliche  und  prähistorische  Scherben  (ältere 
Bronzezeit,  Hallstattzeit?);  diluviale  Reste  von  Mensch  und 
Tier  fehlen  vollständig.  Das  gleiche  gilt  von  der  Höhle  im 
Berg  und  von  dem  „Gäulstall"   bei  Wattendorf. 

Im  oberen  Aufseßtale  sind  diejenigen  Stellen,  welche  als 
Wohnstätten  in  Frage  kommen,  von  Pfarrer  Engelhardt  schon 


Kommissionsberichte  22  o 

untersucht  worden,  ein  Teil  der  von  ihm  als  „Urwohnungen" 
bezeichneten  Höhlungen  in  Telsen  sind  sicher  keine  Wohnungen, 
z.  B.  die  „Urwohnung  bei  Voitmannsdorf  mit  Opferstein".  Die 
Probegrabungen  haben  bestätigt,  daß  im  Dolomitsand,  der  die 
mehr  humösen,  oberflächlichen  Schichten  unterlagert  und  von 
Engelhardt  „gelber  Mergel"  genannt  wurde,  in  der  Tat  keine 
Tier-  und  Kulturreste  sich  finden.  Das  gleiche  gilt  für  die 
Höhlen  im  oberen  Wiesenttal.  Der  Hang  vor  der  Grotte 
„Kühkerk"  bei  Loch  im  Wiesenttal  ist  mit  prähistorischen 
Scherben  übersät,  die  aller  Wahrscheinlichkeit  von  einer  prä- 
historischen Siedlung  auf  dem  Plateau  über  der  Kühkerk  her- 
rühren. Die  Grotte  selbst  scheint  nicht  bewohnt  gewesen 
zu  sein. 

In  der  Umgebung  von  Krögelstein,  welche  landschaftlich 
an  die  Felsenpartien  des  Vezeretales  in  der  Dordogne  erinnert, 
befinden  sich  Höhlungen  und  überhängende  Felsen.  Zum  Teil 
enthalten  sie  keine  Bodenschichten  oder  wenn  solche  vorhanden 
sind,  wie  in  der  „Kühkerk",  nördlich  von  Krögelstein,  dann 
fehlen  Spuren  des  vorgeschichtlichen  Menschen  und  der  da- 
maligen Tierwelt. 

Die  Höhlen  bei  Sanspareil,  die  Gümbel  aufzählte,  liegen 
im  Park  des  Schlosses.  Sie  wurden  nicht  aufgesucht,  da  sie 
vermutlich  im  Laufe  der  Zeit  künstlich  verändert  worden  sind. 
Das  Klingelloch  bei  Schirradorf  ist  eine  unterirdische,  ur- 
sprünglich nur  durch  eine  Öfi'nung  in  der  Decke  zugängliche 
Höhle,  die  dem  Menschen  nicht  als  Wohnung  gedient  haben 
kann. 

Da  in  keiner  der  untersuchten  Höhlen  des  oberen  Weis- 
main-, Aufseß-  und  Wiesentgebietes  Reste  des  diluvialen  Men- 
schen und  diluvialer  Tiere  gefunden  werden  konnten,  liegt  die 
Vermutung  nahe,  daß  während  des  Quartär  in  jenen  Gegenden 
die  Höhlenbildung  noch  nicht  erfolgt  war,  denn  wenn  die 
Höhlungen  vorhanden  gewesen  wären,  müßten  wenigstens  Tier- 
reste dort  vorhanden  sein. 

Ein  weiteres  Höhlengebiet,  das  im  vergangenen  Jahre 
eingehender  untersucht  worden  ist,  liegt  im  Bezirksamt  Sulz- 

Jahrbuch  1916.  15 


226.  Kommission  sbericlite 

bach.     Sowohl  südlich  als  westlich  von  Sulzbach   sind  in   den 
anstehenden  Felsenpartien  zahh-eiche  Höhlen. 

Seit  längerer  Zeit  ist  die  Osterhöhle  in  der  Hainsburj 
bekannt,  in  welcher  Scherben  und  Menschenknochen  gefunden 
wurden.  Eine  Untersuchung  derselben  ergab  die  Wahrschein- 
lichkeit, daß  die  Höhle  in  dem  Zustand,  wie  sie  sich  jetzt 
befindet,  nur  durch  einen  schmalen,  niederen  Einschlupf  zu- 
gänglich, nicht  vom  Menschen  als  Wohnstätte  benützt  worden 
ist.  Die  Scherben,  Tier-  und  Menschenreste  dürften  vielmehr 
vom  prähistorischen  Menschen  der  Hallstatt-  und  Latenezeit, 
der  vor  der  Höhle  und  in  der  nächsten  Umgebung  lebte, 
durch  einen  in  die  Höhle  führenden  Spalt  geworfen  worden 
sein.  Im  Laufe  der  Jahrhunderte  hat  sich  dann  der  Spalt 
mehr  und  mehr  verschlossen,  so  daß  er  heute  vollständig  ver- 
schwunden ist.  Wenn  der  diluviale  Mensch  hier  gelebt  hätte, 
würden  seine  Reste  unter  der  mächtigen  Steinschicht  zu  ver- 
muten sein,  welche  die  jetzige  Terrasse  vor  der  Höhle  bildet. 
Probegrabungen  ergaben  aber  keine  Spuren. 

Die  Scherben  und  Knochen  im  Peterloch  bei  Woppental 
sind  durch  die  dolinenförmige  Öffnung  hinabgeworfen  worden. 
Von  Wohnstätten  oder  Bestattungen  kann  hier  keine  Rede  sein. 

Es  wurden  östlich  von  der  Osterhöhle  noch  die  Fritzen- 
berghöhle  untersucht,  die  weder  Reste  des  eiszeitlichen  noch 
nacheiszeitlichen  vorgeschichtlichen  Menschen  aufwies. 

Das  gleiche  gilt  von  der  Geiskirche  und  der  Hirtenweber- 
höhle bei  Neukirchen.  Das  Osterloch  im  Osterberg  ist  eine 
unterirdische  Höhle,  in  welche  die  gelegentlich  gefundenen 
prähistorischen  Scherben  von  außen  hineingelangten.  Das 
weithin  sichtbare  Franzosenloch  ist  eine  Felsenaushöhlung, 
ursprünglich  ohne  Bodenschichten. 

Gümbel  gibt  für  die  Umgebung  eine  Reihe  von  Höhlen 
an,  die  sich  heute  nicht  mehr  feststellen  lassen.  Sein  „Hohlen- 
stein  n.  von  Neukirchen"  ist  vielleicht  die  Appelhöhle  bei 
Steinbach,  möglicherweise  ist  aber  auch  das  Franzosenloch 
oder  eine  unterirdische  Höhle  im  Südwesthang  des  Hartenfels 
oder  die  Hirtenweberhöhle  gemeint.     Ein  Pumperloch  gibt  er 


P 


Kommissionsberichte  227 

bei  Schönberg  ö.  von  Amberg  an,  in  der  näheren  Umgebung 
gibt  es  aber  kein  Schönberg,  sondern  nur  ein  Schönlind  bei 
Neukirchen,  in  dessen  Nähe  auch  unterirdische  Löcher  sich 
finden  sollen. 

In  keiner  bisher  untersuchten  Höhle  im  Bezirksamt  Sulz- 
bach fanden  sich  diluviale  Reste,  ja  in  den  meisten  fehlen 
sogar  jüngere  vorgeschichtliche  und  mittelalterliche  Funde. 
Die  Höhlen  dürften  somit  sehr  jung  sein. 

Ein  reiches  Höhlengebiet  befindet  sich  im  Lauterachtal 
und  den  anschließenden  Tälern.  Es  wurde  vor  allem  die 
Höhle  in  den  Pfaffenhängen  bei  Adertshausen  untersucht,  wo 
vor  Jahren  schon  von  Nürnberger  Herren  gegraben  worden 
ist.  Es  fanden  sich  nur  Schichten  mit  vorgeschichtlichen  Re- 
sten von  der  jüngeren  Steinzeit  bis  zur  Latenezeit,  diluviale 
Tier-  und  Menschenspuren  fehlen.  Die  Höhlen  und  Grotten 
im  Angerberg  und  Geisberg  bei  Ransbach,  im  Scharfenberg 
bei  UrsensoUen  im  Aichabirk  und  bei  Lauterach  im  Lauter- 
achtal, die  Höhle  im  Eichelberg  bei  Utzenhofen,  eine  Höhle 
zwischen  Bernla  und  Freischweibach,  die  Osterhöhle  bei  Bärn- 
hof,  verschiedene  Höhlen  bei  Natterzhofen ,  z.  B.  die  Helm- 
stube u.  a.,  wurden  in  die  Karte  1  :  50000  eingetragen.  Eine 
interessante  Felsen partie  mit  Grotten  und  überhängenden  Felsen 
liegt  am  Kalvarienberg  zwischen  Dettenbach  und  Wolfsfeld. 
Rentamtmann  Fraunholz  von  Kastl  hat  versprochen,  dort  durch 
Probegrabungen  festzustellen,  ob  menschliche  Wohnschichten 
vorhanden  sind. 

Besonders  interessant  sind  die  Höhlen  in  der  Umgebung 
von  Velburg.  Durch  Professor  Dr.  M.  Schlosser  sind  in  ver- 
schiedenen derselben  vorgeschichtliche  Kulturreste  und  dilu- 
viale Tierreste  festgestellt  worden,  vor  allem  in  Höhlen  im 
Schloßberg,  bei  St.  Wolfgang  in  der  König  Otto -Höhle,  in 
der  Gaisberghöhle,  ferner  in  der  Kittenseer-,  Breiten winner- 
und  Lutzmannsteiner -Höhle.  Leider  sind  durch  Grabungen 
des  Apothekers  Wirsching  von  Velburg  und  des  Höhlenwarts 
Federl  von  St.  Colomann  die  Schichtverhältnisse  in  den  meisten 
Höhlen  und  Grotten  stark  gestört  worden.     Durch  die  beiden 


/ 


228  Kommissionsberichte 

kamen  Gegenstände  aus  den  Höhlen  in  verschiedene  Samm- 
lungen, deren  Echtheit  stark  bezweifelt  worden  ist.  Jetzt, 
nach  deren  Tod,  ist  Gelegenheit  gegeben,  die  tatsächlichen  Ver- 
hältnisse klarzulegen.  Es  sind  in  den  Höhlen,  wo  sie  gegraben 
haben,  noch  ungestörte  Schichten  vorhanden.  Vor  allem  scheint 
aber  in  zwei  Grotten  im  Rattenberg,  auf  die  der  Förster  von 
Lutzmannstein  aufmerksam  machte,  noch  nicht  gegraben  worden 
zu  sein,  so  daß  man  hier  einwandfreien  Aufschluß  über  die  vor- 
geschichtliche Besiedlung  erwarten  darf.  Die  Lutzmannsteiner 
Höhle  erinnert  ganz  an  das  Schulerloch  bei  Kelheim,  so  daß 
nicht  ausgeschlossen  ist,  daß  auch  hier  wie  dort  paläolithische 
Schichten  in  der  Tiefe  unter  den  Sinterdecken  sich  finden.  In 
der  Breitenwinner- Höhle  dürften  ebenfalls  unter  dem  Stein- 
schutt noch  ungestörte  Wohnschichten  vorhanden  sein. 

Von  dem  im  Jahre  1916  untersuchten  Höhlengebiete  zeigte 
die  Umgebung  von  Velburg  allein  Reste  von  diluvialen  Tieren, 
hier  dürften  bei  eingehender  Untersuchung  vielleicht  auch  Reste 
des  diluvialen  Menschen  zum  Vorschein  kommen. 


Adresse  229 


Adresse 

an  Herrn  Adolf  Engler 

zum  fünfzigjährigen  Doktor -Jubiläum 

am  16.  August  1916. 


Hochgeehrter  Herr  Kollege! 

Die  Königlich  Bayerische  Akademie  der  Wissenschaften 
bringt  Ihnen  zur  Feier  des  fünfzigjährigen  Doktor -Jubiläums 
ihre  besten  Glückwünsche  dar. 

Sie  freut  sich,  bei  diesem  Anlasse  mit  Ihnen  der  hervor- 
ragenden wissenschaftlichen  und  organisatorischen  Erfolge  sich 
zu  erinnern,  welche  Sie  durch  rastlose  Tätigkeit  seit  der  Er- 
werbung des  Doktorgrades  erreicht  haben. 

Schon  in  Ihren  ersten  Arbeiten  haben  Sie  die  Neigung 
zu  Untersuchungen  auf  dem  Gebiete  der  systematischen  Botanik 
und  Ihre  Befähigung  für  die  Überwindung  der  ihm  eigenen 
Schwierigkeiten  —  Ihren  systematischen  Takt  —  an  den  Tag 
gelegt,  und  Sie  sind  dieser  Richtung  treu  geblieben. 

Gerne  haben  Sie  mit  dem  Beginne  Ihrer  Lehrtätigkeit 
in  München  dem  anregenden  Wunsche  des  Begründers  der 
„Flora  Brasiliensis",  von  Martins,  entsprochen  und  die  Be- 
arbeitung mehrerer  Familien  für  dieses  großartigste  all  unserer 
Florenwerke  übernommen. 

Die  dabei  gewonnenen  Eindrücke  haben  Sie  zugleich  ver- 
anlaßt, für  gewisse  dieser  Familien  eine  ihren  Gesamtbestand 
erfassende  kritische  Sichtung  durchzuführen  und  unter  Be- 
rücksichtigung entwicklungsgeschichtlicher,  anatomischer  und 
pflanzengeographischer  Verhältnisse  sie  einer  Neuordnung  inner- 
halb schärfer   gezogener,   gesicherter  Grenzen   zu  unterziehen. 


2d0  Adresse 

Diese  kritische  Tätigkeit  dehnten  Sie  angesichts  der  ge- 
wonnenen Erfolge  alsbald  auf  das  gesamte  Gewächsreich  aus, 
das  Sie  unter  Verbesserung  an  zahlreichen  Stellen  in  eine 
neue  Ordnung  zu  bringen  versuchten  und  für  das  Sie  unter 
Gewinnung  zahlreicher  Mitarbeiter,  die  Ihr  Eifer  selbst  wieder 
aneiferte,  eine  auf  die  sämtlichen  Gattungen  des  Gewächsreiches 
ausgedehnte  Darstellung  in  dem  Glanzwerke  der  „Natürlichen 
Pflanzenfamilien"  zu  schaffen  wußten.  Im  Jahre  1887  be- 
gonnen, umfaßt  dasselbe  mit  den  bis  auf  den  heutigen  Tag 
reichenden  Nachträgen  volle  22  Bände  und  hat  alle  früheren 
derartigen  Werke  weit  überholt. 

Zugleich  schufen  Sie  für  die  neu  belebte  Tätigkeit  auf 
systematischem  Gebiete  ein  besonderes  Organ  in  Ihren  „Bota- 
nischen Jahrbüchern  für  Systematik,  Pflanzengeschichte  und 
Pflanzengeographie",  welches  seit  dem  Jahre  1880  die  statt- 
liche Reihe  von  54  Bänden  erreicht  hat,  mit  zahlreichen  Bei- 
trägen aus  der  eigenen  Hand. 

Es  fügt  sich  dem,  abgesehen  von  einer  Reihe  akademischer 
Abhandlungen,  die  Sammelarbeit  an  über  „Die  Pflanzenwelt 
Deutsch -Ostafrikas"  (1895),  die  Herausgabe  von  „Monogra- 
graphien  afrikanischer  Pflanzen  -  Familien  und  -Gattungen", 
von  deren  acht  Teilen  (1898 — 1904)  vier  Sie  selbst  zum  Ver- 
fasser haben,  und  die  mit  Drude  bewerkstelligte  Begründung 
einer  , Sammlung  pflanzengeographischer  Monographien",  von 
deren  in  den  Jahren  1896 — 1915  erschienenen  dreizehn  Bänden 
vier  über  „Die  Pflanzenwelt  Afrikas"  Ihr  eigenstes  noch  in 
Fortsetzung  befindliches  Werk  sind,  reich  an  gediegenen  Be- 
obachtungen, reich  an  Eröffnung  neuer  Einblicke. 

Doch  nicht  genug  damit,  faßten  Sie  in  unermüdlichem 
Eifer  für  die  bis  dahin  schon  glänzend  verfolgte  Richtung 
den  mit  allgemeiner  Bewunderung  aufgenommenen  Plan  einer 
Bearbeitung  der  sämtlichen  Pflanzenarten  —  eines  „Regni  vege- 
tabilis  conspectus"  unter  dem  Titel  „Das  Pflanzenreich"  — , 
um  einem  mit  der  Ausbreitung  unserer  Kenntnisse  von  der 
Pflanzenwelt  des  ganzen  Erdkreises  immer  dringender  gewor- 
denen Begehren  nach  einer  umfassenden  Darstellung  derselben 


Adresse  231 

Befriediguiiff  zu  verschaifen.  Es  ist  erfreulich,  das  im  Jahre 
1900  begonnene  Werk  in  bestem  Fortgange  zu  sehen  und 
auch  hier  wieder  wichtigen  Beiträgen  aus  Ihrer  Meisterhand 
zu  begegnen. 

Und  zu  all  dem  kommt  Ihre  Tätigkeit  als  Lehrer  —  in 
München,  in  Kiel,  in  Breslau  und  in  Berlin  —  und  als  Be- 
gründer eines  neuen  botanischen  Gartens  und  Museums,  eines 
botanischen  Zentrums  im  Herzen  Deutschlands,  das  mit  den 
älteren  anderer  Länder  sich  vollauf  messen  kann,  und  dem 
Sie  in  vorgerückten  Jahren  noch  durch  weite  Reisen  nach 
den  Tropenländern  Asiens  und  Afrikas  wertvollen  Gewinn  zu- 
zuführen verstanden  haben. 

Möge  Ihnen  —  das  ist  der  Wunsch  der  Königlichen 
Akademie  —  eine  so  erfolgreiche  Tätigkeit  noch  viele  Jahre 
hindurch  gegönnt  sein,  so  daß  Sie,  von  Gewinn  zu  Gewinn 
fortschreitend,  wie  Solon  von  Sich  sagen  können: 

„rrjQdoxo)  d''aiei  JioXkd  didaoxojuevog." 
München,  den  16.  August  1916. 


Der  Präsident 
Crusius. 


Der  Sekretär  der  math.-phys.  Klasse 
V.  Goebel. 


232  Samsonstiftung 


Nachtrag, 


Geschäftsordnung  für  die  Samsonstiftung. 

Beraten  und  beschlossen  in  der  Sitzung  des  Vorstandes 
am  25.  Juli  1916. 


§   1. 

Der  Vorsitzende  des  Vorstandes  und  sein  Stellvertreter 
werden  in  der  ordentlichen  Sitzung  (§  2^")  für  das  nächste 
Geschäftsjahr  gewählt. 

Über  die  Wahl  entscheidet  die  Mehrheit  der  erschienenen 
Mitglieder. 

Wird  es  von  einem  der  erschienenen  Mitglieder  beantragt, 
so  findet  zum  Zweck  der  Wahl  geheime  (schriftliche)  Abstim 
mung  statt. 

§  2. 

Seine  Beschlüsse  faßt  der  Vorstand  der  Regel  nach  in 
Sitzungen  nach  vorgängiger  Beratung.  Abstimmung  durch 
Umlaufschreiben  des  Vorsitzenden  ist  nur  zulässig,  wenn  kein 
Mitglied  Widerspruch  dagegen  erhebt. 

Die  Sitzungen  werden  vom  Vorsitzenden  berufen  und 
geleitet. 

Jährlich  findet  spätestens  14  Tage  vor  der  öffentlichen 
Frühjahrssitzung  der  Akademie  die  ordentliche  Sitzung  des 
Vorstandes  statt.  Außerordentliche  Sitzungen  kann  der  Vor- 
sitzende nach  seinem  Ermessen  und  muß  er  nach  schriftlichem 
Antrag  eines  Mitgliedes  berufen. 

Die  Berufung  erfolgt  schriftlich  durch  Vermittelung  des 
Syndikus  und  unter  Beobachtung  einer  fünftägigen  Einladungs- 


\ 


I 


Samsonstiftung  23ö 

frist.  Dabei  sind  die  Gegenstände  der  Beschlußnahme  anzu- 
geben. Über  einen  Gegenstand,  der  nicht  bei  der  Berufung 
bezeichnet  ist,  kann  nur  beschlossen  werden,  wenn  keines  der 
erschienenen  Mitglieder  widerspricht. 

Beschlüsse  in  Sitzungen  werden  mit  Stimmenmehrheit  der 
Erschienenen,  Beschlüsse  durch  Umlaufschreiben  mit  Stimmen- 
mehrheit sämtlicher  Mitglieder  gefaßt.  Bei  Stimmengleichheit 
in  einer  Sitzung  gibt  die  Stimme  des  Vorsitzenden  den  Aus- 
schlag. Stellt  sich  dagegen  bei  Abstimmung  durch  Umlauf- 
schreiben Stimmengleichheit  heraus,  so  ist  der  Gegenstand  in 
eine  Sitzung  zu  verweisen. 

Durch  den  Vorsitzenden  werden  die  Beschlüsse  zur  Aus- 
führung gebracht. 

Um  Führung  eines  Protokolles  über  die  Verhandlungen 
in  Sitzungen  ist  der  Syndikus  zu  ersuchen.  Es  wird  vom 
Vorsitzenden  unterzeichnet, 

§  3. 
Sollte  ein  Vorstandsmitglied  am  Erscheinen    oder  an    der 
Stimmabgabe    unabweislich   verhindert  sein,    so   hat   der  Vor- 
sitzende   die    Klasse    desselben    zum   Aufstellen    eines    Ersatz- 
mannes einzuladen. 

§  4. 

Unter  Beobachtung  von  §  5  der  Satzung  beschließt  der 
Vorstand  über  die  Unterstützung  wissenschaftlicher  Arbeiten 
aus  den  Stiftungsmitteln  des  laufenden  Geschäftsjahres.  Zu 
diesem  Zweck  kann  er  auch  für  die  Lösung  bestimmter  von 
ihm  gestellter  Aufgaben  Preise  aussetzen. 

Anträge  auf  Beschlüsse  der  vorbezeichneten  Art  sind 
spätestens  im  Januar  beim  Vorsitzenden  schriftlich  einzu- 
reichen. 

Der  Vorsitzende  stellt  sie  alsdann  den  Klassen  der  Aka- 
demie zu,  damit  diese  in  den  Februarsitzungen  sich  dazu 
äußern  können. 

Die  in  Abs.  1  bezeichneten  Beschlüsse  werden  in  der 
ordentlichen    Sitzung    (§  2"^)    gefaßt.     Ihre    Schlußredaktion 


234  Samsonstiftung 

wird  durch  die  Antragsteller  besorgt  und  durch  den  Vor- 
sitzenden dem  Präsidenten  der  Akademie  zur  Bekanntgabe  in 
der  nächsten  öffentlichen  Akademiesitzung  und  im  Jahrbuch 
der  Akademie  zugefertigt. 


§  5. 

Preisbewerbungen  werden  nur  zugelassen,  wenn  die  sie 
begründenden  literarischen  Arbeiten  in  deutscher  Sprache  und 
in  druckfertiger  Reinschrift  eingereicht  werden. 

Über  eine  eingereichte  Preisschrift  erholt  der  Vorstand, 
bevor  er  über  die  Erteilung  des  Preises  beschließt,  das  schrift- 
liche Gutachten  eines  oder  mehrerer  Mitglieder  der  Akademie, 
gegebenenfalls  auch  von  Gelehrten,  die  nicht  der  Akademie 
angehören. 

Für  die  Gutachten  ist  ein  angemessenes  Honorar  auszu- 
werfen. 

Die  Ergebnisse  der  Preisbewerbungen  werden  in  der 
nächsten  öffentlichen  Akademiesitzung  und  im  Jahrbuch  der 
Akademie  bekanntgemacht. 

§  6- 
Wird  zum  Zweck  von  Forschungen  ein  Gelehrter  aus  den 
Stiftungsmitteln  unterstützt,  so  fordert  der  Vorsitzende  einen 
Jahres-  und  einen  Schlußbericht  über  die  Ergebnisse  seiner 
Arbeiten  ein  und  veranlaßt,  wenn  es  ihm  zweckmäßig  er- 
scheint, dessen  Veröffentlichung. 


Der  Haushaltsvoranschlag  der  Stiftung  wird  für  jedes  Ge- 
schäftsjahr in  der  ordentlichen  Sitzung  (§  2^")  festgestellt. 
Der  Vorsitzende  beschafft  die  hiezu  erforderlichen  Unterlagen 
durch  Vermittlung  des  Syndikus. 

§  8- 
Jedes  Mitglied  des  Vorstandes  erhält  ein  gedrucktes  Exem- 
plar der  Stiftungssatzung  und  der  Geschäftsordnung. 


I 


I 


Mittag-Lefflerstiftung  235 

§  9. 

Die  gegenwärtige  Geschäftsordnung  tritt  am  1.  Januar 
1917  in  Kraft.  Bis  dahin  beschließt  der  Vorstand  von  Fall 
zu  Fall  unter  Anwendung  von  §  2\  ", ''^~"^". 

Zu  Änderungen  der  Geschäftsordnung  ist  die  Zustimmung 
von  vier  Mitgliedern  aus  der  zweiten  und  von  drei  Mitgliedern 
aus   der  ersten   und  dritten  Klasse   der  Akademie  erforderlich. 


Mit  Testament  vom  16.  März  1916  hat  das  korrespon- 
dierende Mitglied  der  K.  B.  Akademie  der  Wissenschaften,  der 
Mathematiker  G.  Mittag-Leffler  in  Stockholm  und  seine 
Gattin  Signe  Mittag-Leffler,  die  nach  seinem  Tod  in 
Wirksamkeit  tretende 

Mathematische  Stiftung  der  Ehegatten 
Mittag-Leffler 

begründet.  Sie  hat  die  Aufgabe  innerhalb  der  vier  nordischen 
Länder  die  Stellung  der  reinen  Mathematik  aufrecht  zu  er- 
halten und  auszubauen. 


Drude  beendet  25.  Januar  1917. 


^ 


JAHRBUCH 


DER 


KÖNIGLICH  BAYERISCHEN 

AKADEMIE  der  WISSENSCHAFTEN 


1917 


MÜNCHEN 
VERLAG  DER  K.  B.  AKADEMIE  DER  WISSENSCHAFTEN 

IN  KOMMISSION  DES  G.  FRANZ'SCHEN  VERLAGS  (J.  ROTH) 

1917 


/. 


/ 


n 


Die  Satzung  und  Geschäftsordnung  der  Akademie  sowie  die 
Satzungen  ihrer  Kommissionen  und  Stiftungen  sind  im  Jahrbuch 
1917  nicht  enthalten.  Sie  sollen  fortan  nur  in  größeren  Zwischen- 
räumen wieder  abgedruckt  werden.  Der  letzte  Abdruck  ist  im 
Jahrbuch  1916  zu  finden. 


Akademische  Buefadruckerei  Ton  F.  Straub  in  München. 


INHALT. 


/- 


Seite 


Öffentliche  Sitzung  am  14.  März  1917 

Ansprache  des  Präsidenten 

1 

Bewilligungen  aus  Stiftungen 

4 

u.  128 

Preisaufgaben 

8 

Nekrologe         .... 

. 

15 

Leskien  August 

von 

Streitberg    . 

15 

Meyer  Wilhelm 

» 

Vollmer 

20 

Ohlensehlager  Fi-iedrich    . 

1» 

Hager  . 

23 

Darboux  Gaston 

^ 

Voss     . 

26 

Helmert  Friedrich  Robert 

, 

Schmidt 

53 

Mach  Ernst 

1" 

Sommerfeld 

58 

Ranke  Johannes 

j, 

Rückert 

67 

Wiesner  Julius  Ritter  von 

^ 

V.  Goebel     . 

77 

Leroy-Beaulieu  Anatole 

y 

Marcks 

80 

Schröder  Richard 

^ 

V.  Amira 

80 

Allgemeine  Sitzung  am  18.  Juli  1917: 

Neuwahlen 


.   '     87 


Personalstand : 

Verwaltung 89 

Ehrenmitglieder,  ordentliche  und  außerordentliche  Mitglieder  91 

Auswärtige  und  korrespondierende  Mitglieder       ...  97 

Besondere  Kommissionen 101 

Berichte  und  Protokolle  der  akademischen  Kommissionen: 

Thesaurus  linguae  latinae 106 

Mittelalterliche  Bibliothekskataloge 108 

Historische  Kommission 110 

Wörterbuch-Kommission 114 

Bericht  über  die  Höhlenforschung  in  Bayern  im  Jahre  1917  121 

Glückwunschschreiben        .  .  .  .         .124 

Nachtrag .  128 


Öffentliclie  Sitzung 

zur  Feier  des  158.  Stiftungstages 

am  14.  März  1917. 

Die  Sitzung  eröffnete  der  Präsident  der  K.  Akademie  der 
Wissenschaften  Herr  Crusius  mit  folgender  Ansprache: 

Ew.  Majestät! 

Königliche  Hoheit! 

Verehrte  Anwesende! 

Vor  wenigen  Wochen  tagte  in  diesen  Räumen  die  Kriegs- 
versammlung unseres  „Deutschen  Museums".  Seine  Majestät 
der  König  führte  den  Vorsitz.  Der  Mann,  um  den  jetzt  ganz 
Deutschland  trauert,  weilte  unter  uns.  Graf  Zeppelin  hat  hier 
—  so  müssen  wir  jetzt  sagen  —  dem  deutschen  Volk  seinen 
letzten  Willen  kundgegeben,  in  jener  schlichten  rührenden 
Ansprache,  die  ihn  selbst  wie  im  Spiegel  zeigte. 

Wir  sind  Seiner  Majestät,  unserm  Schirmherrn,  von  Herzen 
dankbar,  daß  er  in  dieser  bewegten  Zeit  auch  an  der  schlichten 
Feier  teilzunehmen  geruht,  mit  der  wir  heute  unser  158.  Stif- 
tungsfest begehn.  Es  ist  ein  fast  unerschöpflicher,  dem  Tag 
und  dem  Ort  besonders  angemessener  Stoff,  den  der  Festredner 
zu  behandeln  gedenkt,  das  engere  und  das  weitere  Vaterland, 
Bayern  und  Deutschland,  im  neunzehnten  Jahrhundert. 

Ich  glaube  im  Sinne  der  Anwesenden  zu  handeln,  wenn 
ich  auch  diesmal  der  Versuchung  widerstehe,  ihre  Zeit  mit 
Erörterungen  aus  meiner  Sonderwissenschaft  in  Anspruch  zu 
nehmen,  so  lockend  es  gerade  heute  wäre,   etwa  die  Herkunft 

Jabrbach  1917.  1 


öflFentliclie  Sitzung  am  14.  März 

und  Geschichte    des  Begriffes  Europa   oder   den  Bedeutungs- 
wechsel des  Wortes  Barbar  zu  beleuchten. 

Ich  beschränke  mich  auf  einige  Mitteilungen  über  Zu-' 
Wendungen  und  Erfolge,  Arbeiten  und  Pläne  der  Akademie 
und  der  mit  ihr  verbundenen  wissenschaftlichen  Sammlungen. 

Den  erfreulichsten  Zuwachs  gewann  das  ethnographische 
Museum,  so  sehr  sein  Betrieb  auch  im  dritten  Kriegsjahr  durch 
die  Unterbindung  des  überseeischen  Verkehrs  zu  leiden  hatte. 

Eine  stattliche  Anzahl  von  Belegstücken  aus  der  Gegend 
des  Kaiserin  Augusta- Flusses  im  deutschen  Südseegebiet 
sind  das  Ergebnis  langwieriger  Unterhandlungen,  die  das  Ge- 
neralkonservatorium mit  dem  Reichs-Kolonialamt  geführt  hatte 
und  die  im  vorigen  Dezember  in  Berlin  zum  Abschluß  kamen. 
Wenn  die  gewonnenen  Typen  für  uns  auch  nicht  durchweg 
etwas  Neues  bedeuten,  da  bayerische  Schiffsoffiziere  schon  vor 
Jahren  in  jenem  Gebiete  gesammelt  und  die  Frucht  ihrer  Be- 
mühungen dem  Museum  ihres  Heimatlandes  zugeführt  hatten, 
so  stellen  doch  die  Berliner  Überweisungen  eine  höchst  ansehn- 
liche und  erwünschte  Bereicherung  des  Museums  dar.  Dem 
Reichskolonialamt,  seinem  Leiter,  Exz.  Solf,  seinen  Beamten 
und  Beratern  sei  auch  an  dieser  Stelle  der  Dank  des  Museums 
wie  des  Generalkonservatoriums  ausgesprochen. 

Aus  unsern  ostafrikanischen  Schutzgebieten  stammt 
ein  sehr  willkommener  Zugang,  den  wir  dem  Missionskloster 
der  Benediktiner  zu  St.  Ottilien  verdanken.  Der  hochwürdigste 
Herr  Erzabt  hat  80  Stücke  dem  ethnographischen  Museum  als 
Geschenk  übermittelt.  Die  unentgeltliche  Überlassung  wird 
ausdrücklich  damit  begründet,  daß  Angehörige  des  Missions- 
institutes bei  ihren  Studien  im  Münchner  Museum  Unterstüt- 
zung und  Förderung  gefunden  hatten. 

Schon  in  der  Novembersitzung  wurde  betont,  wie  nötig 
es  ist,  daß  in  diesen  schweren  Zeiten  der  Gemeinsinn,  die  frei- 
willige Leistung  den  Staat  bei  seinen  Kulturaufgaben  unter- 
stützt. Nicht  nur  zum  Kriegführen,  auch  zum  Leiten  von 
Museen  und  wissenschaftlichen  Unternehmungen  gehört  erstens 
Geld,  zweitens  Geld,  drittens  Geld. 


Änspraclie  des  Präsidenten  3 

Erfreulicher  Weise  sind  unsern  Sammlungen  gerade  in  den 
letzten  Monaten  recht  erhebliche  Mittel  durch  Schenkung  zu- 
gewendet worden. 

Mit  einer  solchen  Stiftung,  die  für  Gegenstände  des  ost- 
asiatischen Kulturkreises  verwendet  werden  sollte,  konnten  für 
unser  ethnographisches  Museum  ganz  hervorragende  Bronzen, 
Keramiken  und  Textilien  angekauft  werden,  deren  erlesene 
Feinheit  die  Bewunderung  der  freilich  nur  gezählten  Personen 
erweckt  hat,  für  die  diese  prächtigen  Neuerwerbungen  aus 
ihren  Verließen  hervorgeholt  wurden. 

An  eine  würdige  Ausstellung  und  Aufstellung  für  die 
Allgemeinheit  kann  ja  leider  bei  den  sattsam  bekannten 
baulichen  Nöten  unseres  ethnographischen  Museums  nicht  ge- 
dacht werden.  Der  Betätigung  des  Bürgersinnes  steht  hier 
ein  ergiebiges  Feld  offen.  Daneben  mag  festgestellt  werden, 
daß  sich  unter  Führung  Sr.  Exz.  des  Herrn  Staatsministers  a.  D. 
V.  Miltner  ein  Kreis  von  Männern  zusammengefunden  hat,  der 
sich  die  Förderung  von  Aufgaben  des  ethnographischen  Mu- 
seums als  Ziel  setzt. 

Das  wachsende  Verständnis  für  die  Aufgaben  des  bota- 
nischen Gartens  gab  sich  in  einer  sehr  willkommenen  Stiftung 
von  Münchner  Bürgern  kund.  Aus  ihrem  Ertrag  sollen  solche 
Reisen  von  Beamten  unterstüzt  werden,  die  ein  Ergebnis  für 
die  Weiterentwicklung  des  Gartens  versprechen. 

Eine  weitere  stattliche  Schenkung  setzt  das  pflanzen- 
physiologische Institut  in  die  Lage,  seinen  Apparat,  namentlich 
das  Kryptogamenherbar ,  durch  Ankauf  wertvoller  Pflauzen- 
sammlungen  zu  bereichern. 

Durch  die  der  Akademie  zur  Verfügung  stehenden  Stif- 
tungen und  Fonds  konnten  wiederum  zahlreiche  wissenschaft- 
liche Untersuchungen  gefördert  und  mancherlei  Anregungen 
gegeben  werden.^) 


^)  Die  folgende  Liste  wurde    der   leichteren  Übersicht  halber  bis 
zum  Schlüsse  des  Jahres  1917  weitergeführt. 

1* 


4:  öfltentliclie  Sitzung  am  14.  März 

Es  wurden  bewilligt: 

Aus  dem  Mannheimer  Fonds: 

3000  tM  an  die  Akademie  der  Wissenschaften  zur  Be- 
gründung eines  Phonogrammarchivs;  jHI 

3000  JC   an   die    Zoologische  Sammlung   des  Staats   zui^' 
Ankauf  einer  paläarktischen  Schmetterlingssammlung; 

1800  Ji  an  die  Paläontologische  Sammlung  zum  Ankauf 
der  Glasschen  Sammlung  von  Versteinerungen  und  zum  Er- 
werb von  Versteinerungen  aus  Bayern; 

1000  Jt  an  die  K.  Münzsammlung  zum  Erwerb  griechi- 
scher Münzen. 

Aus  dem  Etatsposten   „Besondere  wissenschaftliche 
Publikationen": 

a)  von  der  philosophisch-philologischen  Klasse: 
400  Jt   an  Professor  Dr.  John  Meier  in  Freiburg  i.  Br. 

zur  Förderung  einer  Sammlung  der  Soldatensprache; 

300  Jt  an  Professor  Dr.  Hermann  v.  Fischer  in  Tübingen 
zur  Herausgabe  des  Schwäbischen  Wörterbuchs; 

200  Jt  an  Geheimrat  Dr.  Karl  Brugmann  in  Leipzig  zui^. 
Herausgabe  des  Indogermanischen  Jahrbuchs;  1H 

300  Jt  an  Professor  Dr.  Albert  Rehm  in  München  zur 
Herausgabe  der  Zeitschrift  »Philologus" ; 

b)  von  der  mathematisch-physikalischen  Klasse: 
400  Jt  an  den  Konservator  des  K.  Botanischen  Museums 

Dr.  Hermann    Roß    zur  Veröffentlichung    seiner   Arbeit    über 
die  Gallen; 

c)  von  der  historischen  Klasse: 

1000  Jt  für  Unterstützung  der  Monumenta  Boica. 

Aus  der  Samson-Stiftung: 
1000  Jt  an    den   Gymnasialhilfslehrer  Alfred  Lebret   in 
Stuttgart  für  Untersuchung  und  Bearbeitung  der  mittelalter- 
lichen lateinischen  Moralflorilegien ; 


Ansprache  des  Präsidenten  o 

1000  Ji  an  Dr.  Eduard  Berend  in  München  für  Vorbe- 
reitung der  Herausgabe  der  Briefe  Jean  Pauls; 

1000  Ji  an  den  Kustos  des  K.  Museums  für  Völkerkunde 
in  München  Dr.  Adolf  Dirr  für  seine  Arbeit  über  die  Rechts- 
verhältnisse und  Rechtsanschauungen  der  nordkaukasischen 
Völker ; 

5000  zM.  an  Geheimrat  Max  v.  Grub  er  in  München  für  die 
von  ihm  beabsichtigten  Tierversuche  zur  Erzeugung  von  Muta- 
tionen ; 

1000  Ji  an  den  Geheimen  Hofrat  Dr.  Otto  Frank  in 
München  zu  seinen  Untersuchungen  über  tonische  Erregungen 
des  Zentralnervensystems. 


Aus  der  Thereianos-Stiftung: 
1000  jH  an  Professor  Dr.  Leopold  Wenger  in  München 

zur  Herstellung  eines  Index  zu  den  Novellen  Justinians; 

800  JI  als  Preis  an  Konstantin  Kourouniötes  in  Athen 

für  seine  Forschungen  und  Veröffentlichungen  auf  dem  Gebiete 

der  griechischen  Archäologie. 

Aus  der  Hardy-Stiftung: 
1000  JC  an  Professor  Dr.  Max  Walleser  in  Heidelberg- 
Rohrbach  in  Anerkennung  seiner  Verdienste   um  das  Studium 
der  buddhistischen  Philosophie    und   zur  Unterstützung  seiner 
weiteren  Arbeiten  auf  diesem  Gebiete. 


Aus  dem  Etatsposten  für  naturwissenschaftliche 
Erforschung  des  Königreichs: 

500  JI  an  den  K.  Reallehrer  Adolf  Reissinger  in  Kempten 
zu  Schlammessungen  in  AUgäuer  Seen  zwecks  Feststellung  des 
seit  der  Eiszeit  verstrichenen  Zeitraums; 

400  JC  an  die  Ornithologische  Gesellschaft  in  Bayern  zur 
Fortsetzung  ihrer  Forschungen  über  die  Biologie  der  Vögel 
in  Bayern; 

100  J^  an  den  Benefiziaten  Alois  Weber  in  München 
zur  Erforschung  der  bayerischen  Molluskenfauna; 


6  öffentliche  Sitzung  am  14.  März 

1000  Ji  an  die  Bayer.  Botanische  Gesellschaft  in  München 
zur  planmäßigen  Erforschung  der  Kryptogaraenflora  Bayerns, 
II.  Rate; 

600  Ji  an  den  Konservator  des  K.  Botanischen  Museums 
Dr.  Hermann  Roß  zur  Veröffentlichung  seiner  Arbeit  über 
die  Gallen. 

Aus  der  Münchner  Bürger-  und  Cramer-Klett- 
Stiftung: 

2000  M  an  Professor  Dr.  Reinhard  Dohrn  in  Zöncf 
zur  Fortführung  und  Veröffentlichung  der  Untersuchungen  des 
Dr.  A.  Naef  über  Cephalopoden ; 

800  Jt  an  Dr.  Rudolf  Seeliger  (z.  Z.  in  Hannover)  zur 
Untersuchung  der  durchdringenden  Strahlung; 

230  Ji  zur  Einrichtung  eines  Episkops  und  einer  Ver- 
dunklungseinrichtung im  Klassenzimmer  der  II.  Klasse; 

500  JI  an  die  Geographische  Gesellschaft  in  München  zur 
Bestreitung  der  Kosten  einer  Routenkarte  der  Forschungsreise^^. 
Koch-Grünbergs  im  Quellgebiet  des  Orinoco;  <IQ| 

500  Ji  für  die  Forschungen  des  neuerrichteten  Kaiserl. 
ottomanischen  „Instituts  für  Meteorologie  und  Klimato- 
logie"  unter  Leitung  des  Professors  Obst  in  Konstantinopel; 

700  Ji  an  Gymnasial -Professor  Dr.  Karl  Reiser  zur 
Herausgabe  einer  geologischen  Karte  der  Hindelanger  und 
Pfrontener  Berge; 

250  ,/^  an  Professor  Dr.  Ferdinand  Henrich  in  Erlangen 
zu  Untersuchungen  der  Quellen  und  Gesteine  Bayerns  auf  ihre 
Radioaktivität ; 

1500  Ji  an  die  Kgl.  Sternwarte  München  als  nachträg- 
liche Bewilligung  zu  den  Kosten  der  Teilnahme  des  Dr.  August 
Kühl  an  der  Expedition  zur  Beobachtung  der  totalen  Sonnen- 
finsternis im  August  1914; 

1000  M  an  Dr.  Karl  Mieleitner  zur  Bearbeitung  der 
bayer.  Mineralvorkommen  und  Lagerstätten; 

1000  M  als  Rechenhilfe  für  die  Arbeiten  zur  Beobachtung 
veränderlicher  Sterne  durch  die  Remeis-Sternwarte  in  Bamberg. 


I 


Ansprache  des  Präsidenten  7 

Aus  der  Wilhelm  Koenigs-Stiftung  zum  Adolf 
von  Baeyer- Jubiläum: 

600  Ji  an  Geh.  Hofrat  Professor  Dr.  Heinrich  Kiliani  in 
Freiburg  i.  Br.  zur  Förderung  seiner  Digitalisstudien; 

1000  Ji  an  Professor  Dr.  Wilhelm  Prandtl  in  München 
zur  Fortführung  seiner  Untersuchungen  über  seltene  Erden; 

1000  JC  an  Professor  Dr.  Heinrich  Wieland  in  München 
zur  Beschaffung  von  Apparaten  und  Materialien  für  seine  Ar- 
beiten auf  dem  Gebiete  der  Fermentforschung. 

Aus  der  Wilhelm  Koenigs-Stiftung  zur  Förderung 
botanischer  und  zoologischer  Forschungen: 

2000  jH  als  erste  Rate  an  den  Kustos  der  zoologischen 
Staatssammlung  in  München,  Professor ' Lorenz  Müller,  für 
eine  Forschungs-  und  Sammelreise  in  Mazedonien. 

Aus  der  Heinrich  von  Brunck-Stiftung: 

500  M  an  Professor  Dr.  Heinrich  Wieland  in  München 
zur  Beschaffung  von  Apparaten  und  Materialien  für  seine  Ar- 
beiten auf  dem  Gebiete  der  Fermentforschung; 

200  M  an  L.  Friedrich  Boas,  K.  Akademielehrer  in 
W^eihenstephan,  zur  Fortführung  seiner  Arbeiten  über  Stärke- 
bildung bei  Schimmelpilzen. 

Aus  der  Karl  von  Dapper-Saalfels-Stiftung: 

500  Jt  an  Professor  Dr.  Thomas  Pokorny  in  München 
zur  Fortsetzung  der  Erforschung  der  Enzyme. 

Aus  der  Krönerschen  Stiftung: 

5000  M  an  Professor  Dr.  Ernst  Rüdin  in  München  zur 
Fortsetzung  seiner  Forschungen  über  Vererbung  beim  Menschen. 


8 


Öflfentliche  Sitzung  am  14.  März 


Die  große  Medaille  der  Akademie  der  Wissenschaften 

„Bene  merenti" 

wurde    für    besondere    Verdienste    um    die    wissenschaftlichen 

Sammlungen  des  Staates  im  Jahre  1916/17  verliehen: 

in  Silber: 
Herrn  P.  Hieronymus  Wenzel  in  Pleystein, 
,       Dr.  med.  Hans  Krauss  in  Ansbach, 
,      Heinrich  Ritter  v.  Frauendorf  er,  K.  Staatsminister 
a.  D.,  Exzellenz,  in  München; 

in  Bronze: 
Herrn  Alfred  Dultz,  Buchhändler  in  Pasing, 
,       Sigmund  Hetz,  Kaufmann  in  Würzburg. 


nister 

4 


Preisaufgaben: 

Die  von  der  Kommission  für  denZographos-Fonds  seiner- 
zeit gestellten  beiden  Preisaufgaben  setzen  eine  Benützung  der 
europäischen  Bibliotheken  und  Museen  voraus.  Mit  Rücksicht 
auf  die  Zeitverhältnisse  werden  die  Einlieferungstermine  hinaus- 
geschoben. 


Der  aus  Mitgliedern  aller  drei  Klassen  zusammengesetzte 
Vorstand  der  Samson-Stiftung  hat  aus  den  für  das  Jahr 
1917  weiterhin  zur  Verfügung  stehenden  Mitteln  auch  zwei 
Preisaufgaben  gestellt  und  zwar: 

Die  moralische   und  gesellschaftliche  Auffassung  der 

Ehe  und  außerehelicher  Beziehungen  im  Mittelalter, 

in   der  Zeit  der  Renaissance  wie   der  Reformation  in 

Deutschland,  Italien  und  Frankreich. 

Für  die  Lösung  der  gestellten  Aufgabe  sind  die  Poesie  wie 
die  erzählende  Literatur  der  drei  Länder,  die  zeitgenössischen 
Geschichtsschreiber,  die  Predigten,  die  Schriften  der  Moralisten, 
päpstliche  Schreiben  über  Eheverhältnisse,  Urkunden  sowie  die 
epistolare  Literatur  (nebst  den  Briefmuster-Saramlungen),  ferner 


Ansprache  des  Präsidenten  9 

biographisches  Material,  darunter  auch  manche  Heiligenleben, 
heranzuziehen.  Die  ehelichen  Rechtsverhältnisse  sollen  nur  inso- 
ferne  in  Betracht  kommen,  als  sich  aus  ihnen  Schlüsse  auf  das 
gestellte  Thema  ergeben.  Die  Stellung  der  unehelichen  Kinder 
(für  Italien  auch  der  Sklavinnenkinder)  ist  nur  unter  dem  Ge- 
sichtspunkt in  die  Bearbeitung  einzubeziehen,  daß  durch  sie 
vielfach  Licht  auf  die  Beurteilung  außerehelicher  Geschlechts- 
beziehungen fällt. 

Übereinstimmung  oder  Abweichung  der  in  den  drei  Ländern 
herrschenden  Auffassungen  sollen  dargelegt  werden  und  es  ist 
der  Wandel  nachzuweisen,  den  die  herrschenden  Ansichten  etwa 
innerhalb  des  zu  behandelnden  Zeitabschnittes  erfahren  haben. 
Nach  Tunlichkeit  ist  den  Ursachen  solcher  Wandlungen  und 
ihrem  Zusammenhang  mit  der  allgemeinen  Veränderung  des 
geistigen,  wirtschaftlichen  und  gesellschaftlichen  Zustandes  nach- 
zuforschen. 

Die  Beschränkung  auf  Deutschland,  Italien,  Frankreich 
erfolgte  einerseits  um  den  ohnehin  sehr  umfangreichen  Stoff 
zu  begrenzen,  andererseits  weil  die  moralischen  und  gesell- 
schaftlichen Auffassungen  der  Ehe  in  diesen  Kulturgebieten 
ihre  für  das  Abendland  gültige  Ausgestaltung  erfahren  haben. 
Doch  soll  es  den  Bearbeitern  durchaus  unbenommen  sein,  zur 
Erläuterung  gelegentlich  auch  auf  die  Verhältnisse  anderer 
okzidentaler  Länder  Bezug  zu  nehmen. 

Der  Vorstand  der  Samsonstiftung  betont,  daß  ihm  nur 
eine  wissenschaftliche  und  gründliche  Bearbeitung  genügen 
wird.  Als  Preis  für  die  den  gestellten  Anforderungen  in  jeder 
Hinsicht  genügende  Lösung  der  Aufgabe  wird  die  Summe  von 
4000  Mark  sowie  die  Veröffentlichung  auf  Kosten  der  Stiftung 
ausgesetzt. 

Gegen  eine  Vereinigung  mehrerer  zur  Lösung  der  Aufgabe 
wird  kein  Einwand  erhoben. 

Einlieferungstermin  1.  Januar  1922. 


lO  öffentliche  Sitzung  am  14.  März 

»Die  Verwendung  des  romanischen  Futurums 
als  Ausdruck  eines  sittlichen  Sollens." 

Das  Futurum,  das  die  romanischen  Sprachen  aus  Infinitiv 
-f-  habeo  neu  gebildet  haben,  wird  unter  anderem  auch  zum 
Ausdruck  von  Befehlen,  Verordnungen  und  Geboten  verwendet 
und  kann,  besonders  in  der  Emphase,  ein  sittliches  Sollen  be- 
zeichnen, z.  B.  tu  ne  tueras  pas!  ,du  sollst  nicht  töten!",  wo- 
bei der  Gebietende  sich  als  ein  Mächtiger  fühlt  oder  aufspielt, 
der  das  ganze  Feld  des  Möglichen,  Erlaubten  und  Verbotenen 
beherrscht  oder  prophetisch  übersieht.  Die  eigentliche  Befehls- 
form bleibt  freilich  der  Imperativ  bzw.  Optativ.  Nur  unter 
gewissen  Bedingungen  kann  das  Futurum,  das  als  sprachliche 
Denkform  betrachtet  eher  deterministischen  als  voluntaristi- 
schen  Sinn  hat,  in  seiner  Verwendung  als  sprachliche  Um- 
gangsform die  Funktionen  des  Imperativs  bzw.  Optativs  über- 
nehmen. Eben  diese  Bedingungen  psychischer,  grammatischer 
und  sozialer  Art,  unter  denen  das  Futurum  zum  Ausdruck 
eines  sittlichen  oder  kategorischen  Sollens  geeignet  und  ver- 
wendet wird,  wären  systematisch  zu  untersuchen  und  historisch 
darzustellen. 

Im  systematischen  Teile  wäre  durch  vergleichendes  Ver- 
fahren die  Grenze  oder  Tragfähigkeit  des  Futurums  als  sitt- 
licher Befehlsform  zu  ermitteln,  im  historischen  das  Anwachsen 
und  Abnehmen  dieses  Gebrauchs  aus  dem  Wandel  der  Zeiten 
verständlich  zu  machen.  Die  historische  Untersuchung  könnte 
sich  auf  das  französische  oder  italienische  oder  spanische  Kultur- 
gebiet beschränken. 

Als  Preis  für  eine  allen  Anforderungen  genügende  Lösung 
der  Aufgabe  wird  die  Summe  von  2000  Mark  ausgesetzt. 

Einlieferungstermin  1.  Januar  1919. 

Sollten  nur  teilweise  genügende  Arbeiten  eingehen,  so  be- 
hält der  Vorstand  sich  vor,  auch  nur  einen  entsprechenden  Teil 
des  Preises  zuzuerkennen. 


Ansprache  des  Präsidenten  11 

Nur  druckfertige  Reinschriften  in  deutscher  Sprache  werden 
zur  Bewerbung  zugelassen.  Sie  sind  ohne  Nennung  der  Ver- 
fasser, aber  mit  Kennworten  bezeichnet,  bei  der  K.  Akademie 
der  Wissenschaften  (München,  Neuhauserstr.  51)  einzureichen. 


Angelegenheiten  des  Kartells  deutscher  Akademien. 

Die  Vorortgeschäfte  des  Kartells  besorgte  im  Jahre  1917 
die  K.  Gesellschaft  der  Wissenschaften  in  Göttingen.  Ein  Kartell- 
tag fand  1917  nicht  statt. 

Aus  Anlaß  gemeinsamer  Arbeiten  des  Kartells  wurden 
folgende  Beträge  bewilligt: 

2000  Jt  für  Herausgabe  der  mittelalterlichen  Bibliotheks- 
kataloge ; 

1500  Jl  zur  Herausgabe  der  Septuaginta; 

600  M  als  vierte  Rate  zur  Fortsetzung  von  PoggendorfFs 
Biographischem  Handwörterbuch; 

500  JH  für  die  Teneriffa-Expedition. 

Im  Jahre  1918  geht  die  Geschäftsleitung  an  die  K.  Bayer. 
Akademie  der  Wissenschaften  über. 

Wie  alljährlich,  so  sind  auch  vorher  wieder  die  griechischen 
Namen  Zographos  und  Thereianos  genannt  worden. 

Das  neue  Griechenland  hat  zu  keiner  deutschen  Stadt,  zu 
keinem  deutschen  Staat  regere  Beziehungen,  als  zu  München 
und  Bayern.  Das  ist  eine  Erbschaft  aus  der  Ära  Ludwigs 
des  Ersten.  Eine  Erbschaft,  deren  Bedeutung  man  nach  den  Er- 
fahrungen des  Weltkrieges  anders  einschätzen  wird,  als  vor  1914. 

Als  im  vorigen  Jahr  ein  griechisches  Armeekorps  deut- 
schen Schutz  und  deutsche  Gastfreundschaft  suchte  und  fand, 
tauchte  der  Gedanke  auf,  zunächst  in  der  deutsch-griechischen 
Gesellschaft,*)   diese  Gelegenheit  für  die  neugriechischen  For- 

*)  Ein  vortrefflicher  Kenner  des  neuen  Griechenland,  Professor  L. 
Bürchner,  gab  die  ersten  Anregungen. 


12  öffentliche  Sitzung  am  14.  Mäi-z 

schungen  auszunützen,  die  seit  Jahrzehnten  von  unserer  Aka- 
demie eine  besondere  Förderung  erfahren  haben. 

An  eine  Dienstreise  nach  Berlin  schloß  sich  ein  Besuch 
des  Griechenlagers  in  Görlitz,  wo  zur  Zeit  unser  Kollege 
Hauptmann  Heisenberg  im  Dienste  des  preußischen  Kriegs- 
ministeriums tätig  ist,  mit  dem  Auftrag,  den  Verkehr  zwischen 
dem  griechischen  Offizierskorps  und  den  deutschen  Kommando- 
stellen zu  fordern. 

Es  handelt  sich,  kurz  gesagt,  darum,  die  verschiedenen 
griechischen  Dialekte,  die  nun  in  Schlesiens  Bergen  erklingen, 
für  die  Forschung  festzuhalten:  festzuhalten  durch  ein  zuver- 
lässiges technisches  Mittel,  den  Phonographen. 

Die  K.  preuß.  phonographische  Kommission,  die  von  un- 
serm  verehrten  Mitgliede  Carl  Stumpf  geleitet  wird,  ist  er- 
bötig mit  uns  zusammenzuarbeiten.  Wir  hatten  Gelegenheit 
uns  in  Berlin  wie  in  dem  Lager  von  Puchheim  davon  zu  über- 
zeugen, wie  vortrefflich  die  neuen  Apparate  arbeiten.  Der 
Kustos  unseres  ethnographischen  Museums,  Dr.  Dirr,  leitet 
dort  die  Aufnahme  von  Sprach-  und  Gesangsproben  aus  dem 
Kaukasusgebiet. 

Dankbar  sei  anerkannt,  daß  der  Korpskommandant  und 
die  Offiziere  im  Griechenlager  zu  Görlitz  unsern  Plänen  mit 
vollem  Verständnis  entgegenkommen.  Sprachliche  Fragen 
finden  ja  in  Griechenland  eine  fast  leidenschaftliche  Teil- 
nahme; ein  aktiver  griechischer  Offizier,  Major  Hepites,  ist 
selbst  ein  verdienter  Sprachforscher  und  Lexikograph. 

Auf  Grund  dieser  Erfahrungen  und  Eindrücke  wurde 
dann  in  der  ersten  und  dritten  Klasse  vor  kurzem  der  Antrag 
gestellt  und  angenommen,  bei  unserer  Akademie  ein  phono- 
graphisches Archiv  zu  errichten,  wie  es  die  Wiener  Aka- 
demie schon  seit  langen  Jahren  besitzt;  zugleich  wurde  be- 
schlossen, die  zweite  Klasse  um  Teilnahme  und  Mitarbeit  zu 
ersuchen. 

Ein  solches  Organ  würde  vor  allem  auch  einem  vater- 
ländischen   Unternehmen    dienen    können,    das    innerhalb    der 


Ansprache  des  Präsidenteü  1" 

Aufgaben   der  bayerischen  Wörterbuchkommission   liegt:    der 
Darstellung  der  im  Königreich  Bayern  gesprochenen  Dialekte. 

Die  Wörterbuchkommission  hat  ihre  Forschungen 
über  die  bayerische  Soldatensprache  mit  bestem  Erfolge  fort- 
gesetzt, vor  allem  durch  Versendung  musterhaft  angelegter 
Fragebogen  an  die  stets  arbeitsfreudigen  feldgrauen  Helfer. 
Auch  das  Soldatenlied  hat  sie,  im  Einvernehmen  mit  andern 
Organisationen  (John  Meier),  in  den  Kreis  ihrer  Arbeit  ge- 
zogen ;  Volkslieder  und  Bergschreie  unserer  engern  Heimat  wer- 
den voraussichtlich  folgen.  Der  Phonograph  liefert  diesen 
Studien  ein  verläßliches,  der  Zeit  trotzendes  Beobachtungs- 
material. 

Ich  komme  zum  Schluß. 

Als  vor  bald  drei  Jahren  der  Krieg  begann,  gab  es  eine 
kurze  kritische  Zeit,  wo  unsere  friedliche  Arbeit  doch  bis  zu 
einem  gewissen  Grade  zu  erstarren  schien.  Aber  bald  setzten 
sich  die  Gletscher  in  Bewegung.  Wer  jetzt  zurückblickt,  ge- 
winnt den  Eindruck,  daß  sich  gerade  in  den  Kriegsjahren 
Kräfte  und  Krafttendenzen  geltend  machten,  die  früher  allzu- 
sehr zurücktraten. 

Die  eine  ist  das  Streben  nach  wissenschaftlicher  Erfassung 
des  Gegenwärtigen  und  Lebendigen,  auch  innerhalb  der 
philologisch -geschichtlichen  Sphäre.  Es  sei  nur  an  die  Auf- 
gabe über  die  ethischen  Gefühle  und  Vorstellungen  während 
des  Weltkrieges  erinnert. 

Die  andere  richtet  sich  auf  die  gemeinsame  Arbeit 
aller  Klassen,  nicht  nur  der  ersten  und  dritten.  Es  zeigen 
sich  immer  mehr  Fragen  an  unserm  Horizont,  an  denen  die 
Naturwissenschaften  und  die  Geisteswissenschaften  in  gleicher 
Weise  beteiligt  sind. 

Hier  vor  allem  werden  jene  Reorganisationsarbeiten  ein- 
greifen, von  denen  schon  in  der  Novembersitzung  gesprochen 
wurde.     Es  ist  der  Geist,   der  sich  den  Körper  schafft.    Möge 


14 


Öffentliche  Sitzung  am  14.  März 


bald  die  Friedenssonne  scheinen,    in    der  weiter   ausschauende 
Pläne  reifen  können! 


Nach  Verlesung  der  unten  abgedruckten  Nekrologe  durch 
die  Klassensekretäre  hielt  sodann  das  o.  Mitglied  der  historischen 
Klasse,  Ministerialrat  und  Universitätsprofessor  Dr.  Michael 
Doeberl,  die  besonders  erschienene  Festrede 

„Bayern  und  Deutschland  im  19.  Jahrhundert". 


I 


Die    öffentliche    Sitzung    im    November  1917    wurde    mit 
Allerhöchster  Genehmigung  nicht  abgehalten. 


15 


Nekrologe. 

Philosophisch  -  philologische  Klasse. 

Am  20.  September  1916  starb  zu  Leipzig  der  ordentliche 
Professor  der  slavischen  Philologie  an  der  Leipziger  Univer- 
sität August  Leskien,  der  sich  um  die  Begründung  der  heute 
herrschenden  sprachwissenschaftlichen  Methode  nicht  geringere 
Verdienste  erworben  hat,  als  um  die  Erforschung  des  Slavisch- 
Litauischen. 

Leskien  wurde  am  8.  Juli  1840  zu  Kiel  geboren.  Im 
Jahre  1856  trat  er,  nach  kaum  halbjähriger  Vorbereitung,  in 
die  Tertia  der  Gelehrtenschule  seiner  Vaterstadt  ein,  wurde 
jedoch  schon  im  Herbst  desselben  Jahres  nach  Sekunda  ver- 
setzt. Ostern  1860  bezog  er  die  Kieler,  später  die  Leipziger 
Universität,  um  klassische  Philologie  und  Sprachwissenschaft 
zu  studieren;  dem  Gebiete  der  griechischen  Grammatik  haben 
auch  seine  ersten  Veröffentlichungen  angehört.  Nach  seiner 
Promotion  zu  Leipzig  war  er  von  1864 — 1866  als  Lehrer  an 
der  altberühmten  Thomasschule  tätig,  siedelte  dann  aber  nach 
Jena  über,  um  unter  August  Schleichers  Leitung  seine  sprach- 
wissenschaftlichen Studien  fortzusetzen.  In  deren  Mittelpunkt 
traten  jetzt,  wie  bei  einem  Schüler  Schleichers  nicht  anders 
zu  erwarten  war,  die  baltisch-slavischen  Sprachen.  Das  Ver- 
hältnis des  Lehrers  zum  Schüler  nahm  bald  einen  freundschaft- 
lichen Charakter  an  und  Schleicher  war  um  den  Freund  und 
Schüler  mit  wahrhaft  väterlichem  Wohlwollen  besorgt. 

Zu  Ostern  1867  habilitierte  sich  Leskien  an  der  Univer- 
sität Göttingen  für  vergleichende  Sprachwissenschaft,  wurde 
aber  schon  im  Jahre  1869,  nach  Schleichers  frühzeitigem  Tod, 
als  außerordentlicher  Professor  nach  Jena  berufen.  Ein  Jahr 
darauf,  1870,  wurde  ihm  die  neubegründete  ao.  Professur  für 
slavische  Philologie  an  der  Universität  Leipzig  übertragen, 
1876  wurde  er  zum  ordentlichen  Professor  ernannt.    Der  Leip- 


16  Nekrologe 

ziger  Hochschule  ist  er  trotz  wiederholter  Berufungen   bis  zi 
seinem  Tode  treu  geblieben.     Es  war  ihm  noch  vergönnt,   ii 
voller   Rüstigkeit,    kurz    vor    dem   Ausbruch    des  Weltkriegs^ 
am    14.  Juli    1914,    das    goldene    Doktorjubiläum    zu    feiernj 
Damals  erschien,  unter  zahlreichen  andern  ölückwünschenden, 
auch  ein  Abgesandter   der  Universität  Moskau,   deren  Ehren^ 
mitglied  Leskien  seit  Jahren  war.    Wenige  Wochen  später 
und  jener   Abgesandte   war   der    blinden   Wut    des  Moskauer? 
Pöbels  zum  Opfer  gefallen. 

Im  Frühjahr  1915  erschütterte  ein  tückischer  Influenza- 
Anfall,  dem  eine  schwere  Lungenentzündung  folgte,  die  Ge- 
sundheit des  Fünfundsiebzigjährigen  in  ihren  Grundfesten.  Noch 
anderthalb  Jahre  rang  seine  widerstandsfähige  Natur  mit  der 
Krankheit,  bis  ihn  in  der  Frühe  des  20.  Septembers  ein  sanfter 
Tod  erlöste.  Noch  während  der  Krankheit  ist  der  Unermüd- 
liche wissenschaftlich  tätig  gewesen,  hat  die  Ausarbeitung  der 
schon  lang  geplanten  serbischen  Syntax  gefordert  und  die 
letzte  Hand  an  die  grammatische  Einleitung  seines  litauischen 
Lesebuchs  gelegt. 

Mit  August  Leskien  ist  ein  Mann  dahin  gegangen,  der 
nach  dem  Worte  von  Sievers  ein  wahrhaft  Großer  war  —  als 
Forscher  und  Lehrer  wie  als  Mensch.  An  äußern  Ehren  und 
Würden  hat  es  ihm  nicht  gefehlt,  aber  seine  schlichte  Größe 
bedurfte  ihrer  nicht. 

In  der  machtvollen  Persönlichkeit,  der  unumschränkten 
Herrschaft  über  den  Stoff,  der  kritischen  Schärfe,  der  es  nie  an 
ruhiger  Sachlichkeit  gebrach,  der  durchsichtigen  Klarheit  der 
Darstellung  liegt  die  unvergleichliche  Bedeutung  der  Wirk- 
samkeit Leskiens,  beruht  der  bestimmende  Einfluß,  den  er, 
vorab  in  der  ersten  Hälfte  der  siebziger  Jahre,  auf  die  Neu- 
gestaltung der  sprachwissenschaftlichen  Methode  ausgeübt  hat. 
Seine  methodischen  Grundsätze  waren  bereits  zum  lebendigen 
Besitztum  seiner  Schüler  und  Freunde  geworden,  bevor  er 
sie  1876  in  seiner  von  der  Fürstlich  Jablonowskischen  Geselle 
Schaft  gekrönten  Preisschrift  über  „Die  Deklination  im  Slavisch- 
Litauischen    und   Germanischen"    öffentlich    aussprach    und    in 


Leskien  17 

dieser  Untersuchung    zugleich    ein    glänzendes    Beispiel    ihrer 
strengen  Durchführung  gab. 

Lautgesetzliche  Umbildung  und  Analogie  erklären  ihm 
—  von  fremden  Einflüssen  abgesehn  —  jede  Art  sprachlicher 
Entwicklung.  Die  Lautgesetze  aber  sind  innerhalb  derselben 
Sprachgemeinschaft  und  desselben  Zeitraums  ausnahmslos,  d.  h. 
sie  erleiden  keine  andern  als  rein  gesetzmäßige  Störungen: 
„Läßt  man  beliebige,  zufallige,  unter  einander  in  keinen  Zu- 
sammenhang zu  bringende  Abweichungen  zu,  so  erklärt  man 
im  Grunde  damit,  daß  das  Objekt  der  Untersuchung,  die  Sprache, 
der  wissenschaftlichen  Erkenntnis  nicht  zugänglich  ist." 

Diese  methodischen  Anschauungen  waren  nicht  das  Er- 
gebnis rein  theoretischer  Erwägungen,  sie  waren  dem  sprachen- 
gewaltigen Forscher  aus  der  Vertrautheit  mit  zahlreichen  leben- 
den Sprachen  erwachsen.  Durch  Wort  und  Beispiel  hat  er 
stets  auf  die  Bedeutung  der  lebenden  Sprache  hingewiesen,  die 
allein  der  unmittelbaren  Beobachtung  zugänglich  ist  und  des- 
halb den  Maßstab  für  die  Beurteilung  der  schriftlichen  Über- 
lieferung abgeben  muß.  Mit  welcher  Vorsicht  diese  schrift- 
liche Überlieferung  zu  verwerten  sei,  hat  er  1879  durch  seine 
einschneidende  Kritik  der  altern  litauischen  Drucke  dargetan, 
und  1905  durch  die  tiefschürfenden  Untersuchungen  über  h 
und  T>  in  den  altbulgarischen  Denkmälern  aufs  neue  bestätigt. 

Von  gleicher  Wichtigkeit  für  die  indogermanische  Gram- 
matik wie  für  die  Erkenntnis  der  Einzelsprachen  sind  Leskiens 
Forschungen  über  die  Auslautsgesetze  des  Slavischen,  Germa- 
nischen und  Litauischen.  Über  seine  Erklärung  des  slavischen 
Auslauts  ist  man  auch  heute  kaum  hinausgekommen;  seine 
Fassung  der  germanischen  Auslautsgesetze  hat  20  Jahre  lang 
fast  ungeteilten  Beifall  gefunden ;  heute  ist  sie  zugunsten  einer 
andern  Erklärung  aufgegeben.  Diese  aber  wandelt  ebenfalls 
in  Bahnen,  die  Leskien  gewiesen  hat.  Man  überträgt  nämlich 
die  geniale  Erklärung,  die  Leskien  1881  für  die  Quantitäts- 
verhältnisse im  Auslaut  des  Litauischen  gegeben  hat,  aufs 
Germanische:  hier  wie  dort  ist  die  Behandlung  auslautender 
Längen  von  der  Art  des  Silbenakzents  abhängig. 

Jahrbuch  1917.  2 


18  Nekrologö 

Es  ist  kein  Zufall,  daß  Leskien  diese  Einwirkung 
Akzentart  auf  die  Quantität  der  auslautenden  Längen  des  Li- 
tauischen entdeckt  hat:  war  doch  die  Erforschung  der  litau- 
ischen  wie  der  slavischen  Betonung  sein  eigenstes  Gebiet. 
Hier  sind  vor  allem  die  beiden  meisterhaften  Untersuchungen 
über  Quantität  und  Betonung  in  den  slavischen  Sprachen  zu 
nennen,  die  1885  und  1893  erschienen  sind  und  ein  helles 
Licht  auf  die  serbischen  Betonungsverhältnisse  geworfen  haben. 
Eine  zusammenfassende  Darstellung  der  gesamten  serbischen 
Akzentuation  bildet  den  Glanzpunkt  der  1914  erschienenen 
serbokroatischen  Grammatik. 

Selbst  die  deutsche  Mundartenforschung  verdankt  Leskien 
eine  Beobachtung  von  nicht  geringer  Tragweite:  er  hat  er- 
kannt, daß  in  der  Sprache  seiner  Heimat  der  jüngere  Schwund 
einer  Silbe  zweigipflige  Betonung  der  vorausgehenden  Stamm- 
silbe hervorruft. 

Die  lange  Reihe  der  Einzeluntersuchungen  auf  slavischem, 
litauischem  und  lettischem  Sprachgebiet,  die  im  Archiv  für 
slavische  Philologie,  in  den  Berichten  der  Sächsischen  Gesell- 
schaft der  Wissenschaften  und  in  den  Indogermanischen  For- 
schungen erschienen  sind,  können  hier  nicht  aufgezählt  werden. 
Von  den  selbständigen  Veröffentlichungen  ist  vor  allem  das 
Handbuch  der  altbulgarischen  (altkirchenslavischen)  Sprache  zu 
nennen.  Die  erste  Auflage,  die  1871  erschienen  ist,  legte 
noch  die  Sprache  des  ostromirischen  Evangeliums,  also  eines 
russisch -kirchenslavischen  Textes,  zugrunde;  seine  endgültige 
Form  hat  das  Werk  erst  1886  in  der  zweiten  völlig  neu  be- 
arbeiteten Auflage  erhalten;  hierdurch  ist  das  Buch  zum  un- 
erreichten Muster  der  auf  sprachwissenschaftlicher  Grundlage 
aufgebauten  beschreibenden  Darstellung  einer  Einzelsprache 
geworden.  Eine  wertvolle  Ergänzung  zu  dem  Handbuch  bildet 
die  Grammatik  der  abg.  (aksl.)  Sprache,  die  1909  als  erster 
Band  der  von  Leskien  und  Berneker  herausgegebenen  Samm- 
lung slavischer  Lehr-  und  Handbücher  erschienen  ist.  Als 
Vorarbeit  zu  einer  geplanten  altbulgarischen  Syntax,  zu  der 
auch   der  Nachlaß  manchen  Beitrag  enthält,   sind    die  Unter- 


tiGskien  19 

suchung  der  Übersetzungskunst  des  Exarchen  Johannes  (Archiv 
f.  slav.  Philologie,  Bd.  25)  und  die  beiden  Abhandlungen  zur 
Kritik  des  altkirchenslavischen  Codex  Suprasliensis  (1909  und 
1910)  zu  betrachten.  Sie  bieten  eine  bis  ins  Einzelne  gehende 
Prüfung  der  Übertragung,  um  durch  den  Nachweis  der  Fehler 
und  Mißverständnisse  des  Übersetzers  eine  sichere  Benutzung 
der  Texte  für  die  Grammatik  zu  ermöglichen. 

Unter  den  lebenden  slavischen  Sprachen  galt  Leskiens 
Neigung  vor  allem  dem  Serbokroatischen.  Er  beherrschte  die 
Sprache  so  vollkommen,  daß  er,  wie  Bulic  berichtet,  auf  seinen 
Forschungsreisen  überall  für  einen  Eingeborenen  gehalten 
wurde.  Von  den  zahlreichen  Untersuchungen,  die  dieser 
Sprache  gewidmet  sind,  wurden  vorhin  in  anderm  Zusam- 
menhang schon  die  Forschungen  über  den  serbischen  Akzent 
genannt.  Manchen  Beitrag  zur  serbischen  Sprach-  und  Lite- 
raturgeschichte birgt  auch  der  Nachlaß.  Die  Summe  dessen, 
was  Leskien  über  das  Serbische  zu  sagen  hatte,  bietet  die 
umfassende  Grammatik  der  serbokroatischen  Sprache,  deren 
erster  Teil  auf  fast  600  Seiten  Laut-  und  Akzentlehre,  Stamm- 
bildung und  Formenlehre  behandelt.  Er  ist  1914  erschienen. 
Der  zweite  Teil  war  der  Syntax  vorbehalten.  Man  durfte 
ihm  mit  um  so  größerer  Spannung  entgegensehn,  als  sich 
Leskien  in  seinen  Vorlesungen  als  Sjntaktiker  ersten  Ranges 
erwiesen  hatte.  Schon  waren  die  Vorarbeiten  abgeschlossen, 
größere  Abschnitte  ausgearbeitet,  da  hemmte  die  steigende 
Körperschwäche  die  Fortsetzung  der  Arbeit.  Es  bleibt  zu 
wünschen,  daß  ein  jüngerer  Fachgenosse  die  fehlenden  Teile 
auf  grund  der  reichen  Sammlungen  ausarbeiten  möge. 

Unter  den  klein  ern  Arbeiten  der  letzten  Jahre  sei  der 
Aufsatz  „Über  Dialektmischung  in  der  serbischen  Volkspoesie " 
(1910)  hervorgehoben,  weil  er  berufen  sein  dürfte,  auch  das 
Problem  der  homerischen  Sprache  aufzuhellen. 

Mit  den  1915  erschienenen  Balkanmärchen  aus  Albanien, 
Bulgarien,  Serbien  und  Kroatien,  deren  Übersetzung  den 
Märchenton  ausgezeichnet  trifft,  hat  Leskien  von  diesem  Lieb- 
lingsgebiet seiner  Forschung  für  immer  Abschied   genommen. 

2* 


2Ö  Nekrologe 

Nicht  minder  umfassend  als  auf  dem  Gebiete  des  Slavi- 
schen  war  Leskiens  Tätigkeit  auf  dem  der  baltischen  Sprachen. 
Vorab  dem  Litauischen  war  seine  Forschung  gewidmet.  1882 
gab  er  in  Gemeinschaft  mit  Brugmann  Litauische  Volkslieder 
und  Märchen  heraus.  Er  selbst  hat  aus  der  Gegend  von  Wil- 
kischken  eine  Anzahl  Dainos  zu  dem  Bande  beigesteuert.  Hier 
sei  gleich  der  schöne  Beitrag  „Zur  Wanderung  von  Volks- 
liedern" angereiht,  obwohl  er  erst  aus  dem  Jahre  1911  stammt; 
er  gibt  einige  Beispiele  für  die  Umsetzung  weißrussischer  Volks- 
lieder in  die  Form  litauischer  Volksdichtung.  ^KH 

Ungemein  reiche,  kritisch  bearbeitete  Sammlungen  bieten 
die  beiden  Werke  über  den  Ablaut  der  Wurzelsilben  (1884) 
und  die  Bildung  der  Nomina  im  Litauischen  (1891).  Ein 
litauisches  Lesebuch  mit  ausführlicher  grammatischer  Einlei- 
tung wurde  noch  im  Frühjahr  1915  abgeschlossen;  das  Buch 
wird  nach  dem  Krieg  erscheinen.  Ebenso  steht  zu  hoffen, 
daß  Leskiens  große  Sammlungen  zu  einem  Wortschatz  der 
litauischen  Schriftsprache,  die  Frucht  jahrzehntelanger,  aus- 
gebreiteter Lektüre,  dereinst  von  Freundeshand  herausgegeben^, 
werden.  ^IH 

Was  sonst  von  dem  reichen  literarischen  Nachlaß  Leskiens 
veröffentlicht  werden  kann ,  läßt  sich  erst  später  bestimmen ; 
unsicher  ist  namentlich,  ob  die  umfangreichen  albanischen 
Sammlungen  so  weit  gediehen  sind,  daß  an  eine  Herausgabe 
gedacht  werden  kann.  Wilhelm  Streitberg. 

Wilhelm  Meyer  (geb.  1.  April  1845  zu  Speyer),  seit  1877 
zuerst  hiesiges,  dann  auswärtiges  Mitglied  unserer  Akademie, 
ist  am  9.  März  1917  zu  Göttingen  verstorben.  Sein  äußerer 
Lebensgang  ist  sehr  einförmig  gewesen:  von  seiner  Stelle  als 
Verwalter  der  Handschriften- Abteilung  unserer  Hof-  und  Staats- 
bibliothek wurde  er  als  Professor  zunächst  der  klassischen 
Philologie,  dann  der  lateinischen  Philologie  des  Mittelalters 
nach  Göttingen  berufen:  der  Georgia  Augusta  ist  er  bis  an 
sein  Ende  treu  geblieben. 


Meyer  2 1 

Meyer  ist  der  älteste  der  drei  hervorragenden  Müncliener 
Gelehrten,  die  das  Pomerium  der  klassischen  Philologie  ins 
Mittelalter  vorgeschoben  haben :  wie  für  Karl  Krumbacher  und 
Ludwig  Traube  sind  auch  für  ihn  die  Schätze  der  Münchener 
Staatsbibliothek  der  Ausgangspunkt  geworden  für  das  Streben, 
Kunst  und  Leben  einer  lange  mit  ungebührlicher  Verachtung 
betrachteten  Zeit  mit  nachschaffender  Liebe  zu  pflegen.  Mit 
dem  Jahre  1870  setzt  seine  ungemein  reiche,  nie  abgerissene 
wissenschaftliche  Produktion  ein :  die  Ausgaben  der  relationes 
des  Symmachus,  des  Horazscholiasten  Porphyrio,  der  Spruch- 
verse des  Publilius  Syrus  und  die  sie  vorbereitenden  und  be- 
gleitenden Aufsätze,  auch  die  Arbeit  über  den  Roman  des 
ApoUonius  von  Tyrus  (die  erste  in  unseren  Sitzungsberichten 
von  1872)  gehen  aus  von  Münchener  Handschriften  und  schließen 
sich  zum  Teil  an  Arbeiten  von  W.  Christ  und  E.  Wölfflin  an. 
Von  grundlegender  Bedeutung  sind  noch  heute  die  1884  in 
unseren  Abhandlungen  erschienenen  Untersuchungen  „Über  die 
Beobachtung  des  Wortakzentes  in  der  altlateinischen  Poesie", 
in  der  die  Entwicklung  der  Technik  des  altrömischen  Bühnen- 
verses aus  den  griechischen  Vorbildern  in  unübertroffener  Weise 
klargelegt  wird,  und  „Zur  Geschichte  des  griechischen  und 
lateinischen  Hexameters".  Ebenso  grundlegend  für  die  Erkennt- 
nis der  Technik  in  römischer  Prosa  ist  seine  Forschung  über  die 
Satzschlüsse  geworden  (Gott.  Nachr.  1893).  Inzwischen  aber 
hatte  Meyer  schon  längst  den  für  ihn  entscheidenden  Schritt 
getan:  die  Arbeit  über  ,Radewins  Gedicht  über  Theophilus 
nebst  Untersuchungen  über  die  Arten  der  gereimten  Hexa- 
meter" in  den  Sitzungsberichten  von  1873  zeigt  ihn  uns  mitten 
in  der  mittellateinischen  Forschung,  vor  allem  auf  dem  Gebiete 
der  Metrik  dieser  Zeit.  Seitdem  hat  ihn  dies  Interesse  nicht 
mehr  losgelassen:  die  „Untersuchungen  über  die  lateinischen 
Rythmen"  (Ludus  de  Antichristo,  Sitz.-Ber.  1882),  „Anfang 
und  Ursprung  der  lateinischen  und  griechischen  rythmischen 
Dichtung"  (Abh.  1885;  teilweise  nicht  ohne  starken  Widerspruch 
geblieben),  die  „Gesammelten  Abhandlungen  zur  mittellatei- 
nischen Rythmik",    Berlin  1905,  sind   die  Hauptzeugen   uner- 


22  Nekrologe 

müdlichen  Weitervordringens  auf  dem  bis  dahin  fast  ganz 
vernachlässigten  Gebiete.  Er  hat  wirklich  hier  die  Brücke 
geschlagen  vom  Altertum  zu  den  nationalen  Poesien:  das 
Verständnis  für  die  Kunst  alter  Dichtung  gerade  Deutsch- 
lands erschlossen  zu  haben,  war  immer  seine  besondere  Freude. 
Unzählig  sind  seine  Einzelbeiträge  zur  lateinischen  Poesie  des 
Mittelalters:  sie  geben  meist  Erst-  oder  Neuveröffentlichungen 
von  Gedichten  aus  Handschriften,  an  die  sich  metrische  und 
literarhistorische  Untersuchungen  anschließen;  mit  persönlicher 
Vorliebe  behandelte  er  stets  die  Vaganten-  und  Studentenpoesie: 
die  „Fragmenta  Burana"  (Festschrift  der  Gott.  gel.  Ges.  1901), 
die  „Ärundel-Sammlung  mittellateinischer  Lieder'  (Gott.  Abh. 
1908)  seien  als  wichtigste  Proben  genannt.  Daß  Meyer  ein 
ausgezeichneter  Handschriften-Kenner  war,  versteht  sich  fast 
von  selbst,  obwohl  seine  Veröffentlichungen  selten  rein  paläo- 
graphische  Dinge  behandelten:  die  Kataloge  der  lateinischen 
Handschriften  von  München  und  Göttingen,  die  er  zum  größten 
Teile  oder  ganz  verfaßt  hat,  sind  vorbildliche  Arbeiten  und 
haben  den  verschiedensten  Forschungsgebieten  aufs  glücklichste 
vorgearbeitet. 

Wer  die  mittellateinische  Philologie  begründet  habe,  ob 
W.  Meyer,  ob  L.  Traube,  ist  ein  müßiger  Streit:  beide  For- 
scher sind  ihre  eigenen  Wege  gekommen  und  gegangen,  und 
philosophische  Definitionen  für  durch  Arbeitsteilung  und  be- 
sondere Neigung  gepflegte  Forschungsgebiete  schieben  wir  heute 
als  überflüssig  und  lästig  beiseite.  Und  trotz  der  größten  Ver- 
schiedenheit der  Naturen,  Neigungen  und  Anschauungen  haben 
Meyer,  Traube  und  als  dritter  der  jüngere  P.  v.  Winterfeld,  so 
gut  es  eben  ging  (der  edle  und  reife  Charakter  Traubes  wußte 
immer  auszugleichen),  verträglich  mit-  und  füreinander  ge- 
arbeitet, einig  vor  allem  in  der  unerbittlichen  Akribie  bei  der 
Behandlung  der  Handschriften  und  ihrer  Geschichte  und  in 
der  Erkenntnis,  daß  ihr  Forschungsgebiet  ein  in  der  Geschichte 
der  menschlichen  Kultur  höchst  wichtiges  und  bis  dahin  zu 
unrecht  stark  vernachlässigtes  Kapitel  bilde. 

W.  Meyer   war   ein    ganz    eigenartiger,    manchmal    rech 


^m 


Meyer,  Ohlenschlager  23 

eigenwilliger,  ja  eigensinniger  Kopf:  er  hatte  das  Recht  dazu, 
aber  er  litt  auch  selbst  unter  den  Schattenseiten  seiner  Vor- 
züge, zu  denen  Bescheidenheit  und  Mangel  an  jeder  Art  von 
Eitelkeit  gehörten.  Vor  allem  empfand  er  bitter,  daß  es  ihm 
nicht  gegeben  Avar,  auf  weitere  Kreise  persönlich  anregend  zu 
wirken;  nur  wenigen  Schülern  hat  er  sein  Herz  völlig  zu  öffnen 
verstanden :  im  ganzen  lebte  er  in  der  Stille  seiner  Familie  der 
Freude  an  seinen  Handschriften,  Büchern,  Hunden  und  Rosen. 
Die  gelehrten  Gesellschaften  von  München  und  Göttingen 
haben  mit  ihm  viel  verloren:  sie  werden  nicht  so  bald  wieder 
einen  Forscher  ihr  eigen  nennen,  der  so  viele  Schätze  zu  finden 
und  zu  heben  verstand  wie  W.  Meyer.         Friedrich  Vollmer. 

Am  14.  Dezember  1916  starb  der  K.  Oberstudienrat  und 
Gymnasialrektor  a.  D.  Dr.  Friedrich  Ohlenschlager  in  München 
im  77.  Lebensjahre. 

Der  Name  Ohlenschlagers  ist  mit  dem  Aufschwünge  der 
prähistorischen  und  provinzialrömischen  Forschung  in  Bayern 
für  immer  verknüpft.  Als  nach  dem  siegreichen  deutsch- 
französischen Kriege,  ähnlich  wie  nach  den  Siegen  über  Na- 
poleon, das  Interesse  an  der  Vor-  und  Frühgeschichte  der 
deutschen  Lande  in  besonderem  Maße  wach  wurde,  war  es  für 
Bayern  ein  Glück,  daß  in  Ohlenschlager  ein  Mann  zur  Ver- 
fügung stand,  der  den  Blick  auf  das  Ganze  richtete.  Mit  seiner 
ersten  Anstellung  als  Studienlehrer  am  Gymnasium  in  Eichstätt 
1869  mitten  in  ein  denkmälerreiches  Gebiet  versetzt,  folgte 
Ohlenschlager  dem  inneren  Triebe,  die  örtlichen  Altertümer 
zu  erforschen.  Aber  schon  bald  strebte  er  über  die  Lokal- 
forschung hinaus  und  wandte  sich  zusammenfassenden  Arbeiten 
zu.  Das  befähigte  ihn,  in  der  vielfach  zersplitterten  Lokal- 
forschung die  Führung  zu  übernehmen.  Der  Grundgedanke 
Ohlenschlagers  war,  die  Forschung  vom  Zufall  und  vom  mehr 
oder  minder  engen  Gesichtskreis  der  Einzelnen  unabhängig  zu 
machen,  ihr  eine  systematische  Unterlage  für  das  ganze  Land 
zu  geben.    Er  erkannte,  daß  vor  allem  ein  Überblick  über  den 


24  Nekrologe 

bisherigen  Stand  des  Geleisteten  in  den  einzelnen  Gegenden 
und  Orten  not  tue.  Erst  dann  könne  man  weiter  bauen.  Mit 
außerordentlichem  Fleiße  sammelte  er  das  gedruckte  und  hand- 
schriftliche Material  über  die  vorgeschichtlichen  und  römischen 
Funde  und  Bodendenkmäler  in  Bayern.  Darin  zeigt  sich  so 
recht  die  Philologennatur.  Wir  staunen  heute  über  den  Mut, 
mit  dem  der  einzelne  Mann  an  ein  so  gewaltiges  Unternehmen 
ging.  Nur  die  Begeisterung  für  ein  großes  Ziel  konnte  ihm 
die  Kraft  geben.  Lediglich  auf  Mitarbeit  von  Geschichts- 
freunden angewiesen,  der  Förderung  aus  öffentlichen  Mitteln 
entbehrend,  brachte  der  Gelehrte  seiner  Wissenschaft  auch  be- 
deutende materielle  Opfer.  Der  äußere  Ausdruck  dieser  mühe- 
und  entsagungsvollen  Sammelarbeit  ist  die  von  der  Münchener 
Anthropologischen  Gesellschaft  in  den  Jahren  1879  — 1890 
herausgegebene  Prähistorische  Karte  Bayerns,  15  Blätter  im 
Maßstab  1  :  25000.  Da  Ohlenschlager  schon  1875  auch  ein 
Verzeichnis  der  Fundorte  von  Bayern  südlich  der  Donau  mit 
verhältnismäßig  detaillierten  Fundnotizen  und  mit  Quellenan- 
gaben veröffentlichte,  bot  er  der  weiteren  Forschung  wenigstens 
für  einen  Teil  des  Landes  ein  sicheres  Fundament.  Die  An- 
regung, die  von  diesem  Werke  ausging,  war  groß.  Nur  wer 
selbst  die  Freude  und  die  feierliche  Erregung  über  das  Er- 
scheinen eines  neuen  Blattes  der  Ohlenschlagerschen  Karte  mit 
erlebte,  kann  die  Tat  und  ihre  Bedeutung  für  die  damalige 
Zeit  richtig  einschätzen.  Wenn  wir  in  der  Karte  und  in  den 
erläuternden  Fundnachrichten  eine  tiefer  schürfende  Verarbei- 
tung des  Materials  in  der  Richtung  der  Periodenteilung  und 
eine  kritischere  Prüfung  der  älteren  Angaben  wünschen,  so 
findet  die  Nichterfüllung  dieses  Wunsches  ihre  Erklärung  schon 
darin,  daß  es  wohl  über  die  Kräfte  eines  nur  über  seine  berufs- 
freien Mußestunden  verfügenden  Privatmannes  geht,  all  die 
zahlreichen  Reisen  und  Studien  zu  machen,  die  zur  feineren 
zeitlichen  Bestimmung  der  in  allen  möglichen  Sammlungen  zer- 
streuten Funde  und  zur  selbständigen  Untersuchung  der  vielen 
Bodendenkmäler  nötig  wären.  Ganz  abgesehen  davon  war  aber 
auch   zur  Zeit,    als  Ohlenschlager  die  Sammlung   des   Karten- 


Ohlenschlager  25 

materials  zum  größten  Teil  erledigte,  die  archäologische  Chrono- 
logie noch  nicht  so  weit  entwickelt. 

Auch  sonst  hatte  Ohlenschlager  den  größten  Erfolg  da, 
wo  er  in  philologischer  Sammelarbeit  die  bisherigen  Leistungen 
der  Forschung  absteckte,  durch  Zusammenfassung  neue  Resultate 
erzielte  oder  klar  und  deutlich  den  Weg  für  künftige  Arbeit 
zeigte  und  wies.  So  ist  noch  heute  nach  mehr  als  30  Jahren 
seine  Veröffentlichung:  „Die  römischen  Truppen  im  rechts- 
rheinischen Baiern"  (1884)  ein  unentbehrliches  Hilfsmittel.  Und 
seine  in  den  Abhandlungen  unserer  Akademie  erschienene  Arbeit: 
„Die  römische  Grenzmark  in  Baiern "  (1887)  hat  wesentlich 
dazu  beigetragen,  die  Limesforschung  in  lebhafteren  Gang  zu 
bringen.  Es  war  selbstverständlich,  daß,  als  das  Reich  auf 
Andringen  der  Geschichtsfreunde  die  Limesforschung  mit  reichen 
Mitteln  in  die  Hand  nahm,  Ohlenschlager  in  die  Reichs-Limes- 
Kommission  berufen  wurde.  Welche  Freude  muß  ihn  damals 
beseelt  haben  !  Das  jetzt  dem  Abschluß  entgegengehende  große 
Monumental  werk  der  Reichs-Limes-Kommission  bewundern  wir. 
Die  vorausgehende  Einzelarbeit  Ohlenschlagers  am  Limes  aber 
lieben  wir,  denn  sie  kam  ausschließlich  aus  einem  begeisterten 
Herzen.  Ohlenschlagers  Abhandlung:  „Die  römische  Grenz- 
mark in  Baiern "  liest  sich  wie  ein  Stück  Romantik.  Seine 
Erforschung  des  Limes  war  eine  Tat  des  deutschen  Idealismus. 

Als  Ohlenschlager  als  Schulmann  1909  in  den  Ruhestand 
getreten  war,  hoffte  er,  noch  manchen  wissenschaftlichen  Plan 
ungestört  fördern  zu  können.  Mit  Eifer  arbeitete  er  an  seinem 
Werke:  „Römische  Überreste  in  Bayern",  das  mit  Unterstützung 
des  Kaiserlich  Deutschen  Archäologischen  Institutes  erschien. 
Aber  das  statistische  Werk  blieb  ein  Torso.  Mitten  in  der 
Behandlung  der  Stadt  Augsburg  bricht  der  Text  ab.  Die  Rö- 
misch-germanische Kommission  des  Archäologischen  Institutes 
beabsichtigt  wenigstens  die  Publikation  des  Abschnittes  über 
Augsburg  zu  Ende  zu  führen.  Die  Sammelarbeit  des  hoch- 
verdienten Mannes  wird  hoffentlich  in  Zukunft  noch  ihre  Früchte 
tragen.  Denn  der  literarische  Nachlaß  mit  all  den  zahllosen 
gesammelten    Notizen    und    Karten    ging    durch    hochherzige 


26  Nekrologe 

Schenkung  der  Familie  in  den  Besitz  des  Generalkonservatoriu 
der  Kunstdenkmale  und  Altertümer  Bayerns  über.    So  wird  di 
große   Mission   Ohlenschlagers    als    Pfadfinder   und  Wegweiser 
in   der  Lokalforschung  auch   über  das  Schicksal  seiner  Veröf 
fentlichungen  hinaus  fortdauern  und  welterleben. 

Georg  Hager. 


Mathematisch  -  physikalische  Klasse. 

Im  dritten  Sommer  des  furchtbaren  Krieges,  der  die  Völker 
Europas  zerfleischt  und  in  ihren  Grundfesten  erschüttert,  ist 
der  ausgezeichnete  französische  Mathematiker  Darboux,  der  un- 
serer Akademie  seit  1899  angehörte,  im  Alter  von  75  Jahren 
gestorben.  Seine  Arbeiten  sind  auf  das  engste  mit  der  Ent- 
wicklung hervorragender  Gebiete  der  Mathematik,  namentlich 
aber  mit  der  Lehre  von  den  Differentialgleichungen  und  den 
Untersuchungen  der  Differentialgeometrie  verknüpft.  Eine 
Darlegung  seiner  Bedeutung  würde  verlangen,  wenigstens 
seine  Hauptwerke  mit  fortwährender  Beziehung  9uf  die  Ar- 
beiten seiner  Zeitgenossen  in  Deutschland,  England  und  Ita- 
lien, die  er  stets  mit  der  größten  Aufmerksamkeit  verfolgte, 
zu  analysieren.  Aber  dafür  steht  hier  weder  der  erforderliche 
Raum  zu  Gebote,  noch  würde  eine  solche  Behandlung  dem 
Zweck  dieser  Mitteilungen  entsprechen,  die  zunächst  bestimmt 
sind,  auch  weiteren  Kreisen,  als  den  ganz  speziellen  Fach- 
genossen, eine  Übersicht  über  die  Leistungen  des  Verstorbenen 
zu  geben.  Demgemäß  beschränkt  sich  das  Folgende  darauf, 
das,  was  Darboux  einen  hervorragenden  Platz  in  der  Ge- 
schichte der  Mathematik  anweist,  mehr  in  allgemeinen  Um- 
rissen hervorzuheben  und  nur  gelegentlich  auch  Einzelheiten 
zu  berühren. 

Jean  Gaston  Darboux  ist  am  14.  August  1842  in  der 
durch  ihre  zahlreichen  römischen  Altertümer  bekannten  Stadt 
Nimes  im  Departement  Gard  geboren.  Er  trat  nach  seiner 
Erziehung    an    den   Lyzeen    zu   Nimes    und   Montpellier   1861 


Darboux  27 

nach  glänzend  bestandenem  Aufnahmeexamen  in  die  Ecole 
Normale  zu  Paris  ein,  aus  der  schon  so  viele  treffliche  Mathe- 
matiker hervorgegangen  sind.  Schon  1872  finden  wir  den 
ancien  ^leve  de  l'Ecole  Normale  dort  als  Professor  der  Mathe- 
matik am  Lyc^e  St.  Louis-le-Grand  und  von  1867 — 1873  als 
suppleant  seines  Lehrers,  des  bekannten  Mathematikers  Joseph 
Bertrand  am  College  de  France.  Nicht  lange  darauf  wird 
er  mattre  de  Conferences  ä  l'Ecole  Normale  und  professeur 
suppldant  de  möcanique  et  de  geometrie  ä  la  Faculte  des  Sci- 
ences. Im  Jahre  1880  folgte  er  dem  siebenundachtzigjährig 
verstorbenen  Michel  Chasles  als  Professor  der  geometrie 
superieure  an  der  Sorbonne,  deren  Doyen  er  seit  1889  war. 
1884  wurde  er  an  Stelle  von  V.  Puiseux  zum  Mitgliede  der 
Akademie  zu  Paris  erwählt,  deren  beständiger  Sekretär  er  seit 
1890  war,  und  nahm  so  auch  äußerlich  eine  hohe  Stellung 
ein  als  membre  du  bureau  des  longitudes,  in  welcher  Eigen- 
schaft er  seine  Wohnung  im  Palais  Mazarin  dieses  Institutes 
hatte.  Viele  Ehren  und  Amter  wurden  ihm  zuteil;  er  war 
Commandeur  de  la  Legion  d'honneur,  president  de  section  ä 
l'Ecole  pratique  des  hautes  etudes,  seit  1889  membre  du  Con- 
seil  superieur  de  l'Instruction  publique  etc. 

1870  gründete  er  mit  Houel  und  J.  Tannery  das  Bul- 
letin des  Sciences  math^matiques,  von  dem  bis  jetzt  über 
50  Bände  erschienen  sind,  unter  den  glänzenden  Auspizien 
des  aus  Puiseux,  Chasles,  Bertrand,  A.  Serret  bestehenden 
Comites,  mit  der  Absicht,  eine  mathematische  Zeitschrift  in 
Frankreich  zu  schaffen,  die  sowohl  Originalarbeiten  als  auch 
gediegene  Referate  über  die  Literatur  der  Gegenwart  enthalten 
sollte.  So  entstand  in  dem  Bulletin  des  zu  Nimes  geborenen 
Darboux  eine  Fortsetzung  der  ersten  eigentlich  mathematischen 
Zeitschrift  in  Frankreich,  der  Annalen  von  Gergonne,  welche 
von  1810  —  31  unter  der  Leitung  des  letzteren  in  Nimes  er- 
schienen. Gleich  der  erste  Band  enthielt  denn  auch  die  An- 
zeige so  hervorragender  Schriften,  wie  Bertrands  großer 
Calcul  differentiel ,  G.  Salmons  Lessons  on  modern  higher 
algebra,  J.  Plückers    neue  Geometrie   des  Raumes,    Band  I 


28  Nekrologe 

und  II  (herausgegeben  von  F.  Klein),  Imschenetzkys  Ai 
beiten  über  partielle  Differentialgleichungen,  H.  Hankell 
Untersuchung  über  die  unendlich  oft  oszillierenden  und  un^ 
stetigen  Funktionen,  G.  Zeuthens  Theorie  der  Singularitätei 
der  Raumkurven,  E.  B.  Christoffels  allgemeine  Theorie  der 
geodätischen  Dreiecke,  L.  Cremonas  Preliminari  di  una  teoria 
geometrica  delle  superficie. 

Darboux  war  Geometer  im  eigentlichen  Sinne  des 
Wortes.  Er  hat  zwar  sich  nicht  mit  Untersuchungen  über 
synthetische  Geometrie,  die  gerade  zurzeit  seiner  Jugend  in 
Deutschland  in  hoher  Blüte  stand,  beschäftigt  (vielleicht  ist 
hier  die  Arbeit  Sur  une  classe  particuliere  de  surfaces  reglees 
(Bull.  II,  S.  301,  1871)^)  auszunehmen,  obwohl  auch  diese  vor- 
zugsweise analytisch  gehalten  ist).  Selbst  da,  wo  er  sich  an 
der  durch  F.  Klein  hervorgerufenen  Diskussion  über  den 
Fundaraentalsatz  der  projektiven  Geometrie  beteiligt,  ist  der 
Kern  seiner  Überlegung,  der  freilich  auch  eine  geometrische 
Deutung  gegeben  wird,  analytisch  durch  den  Satz  bezeichnet: 
Die  Funktionalgleichung  Cauchys  <p{x) -\- <p(y)=  (p{x-\-y), 
die  für  jedes  rationale  x  unmittelbar  (p(x)  =  xq){l)  liefert,  ist 
für  jedes  x  gültig,  falls  nur  (p{x)  in  einem  beliebigen  Inter- 
valle nur  positive  und  negative  Werte  von  endlichem  Betrage 
besitzt. 

Prinzipiell  hat  er  immer  die  Richtung  der  Mon gesehen 
Schule  vertreten.  So  hoch  er  auch  die  Verdienste  Chr.  von 
Staudts  um  die  selbständige  Begründung  der  projektiven 
Geometrie  und  seine  Konstruktion  der  imaginären  Gebilde  in 
derselben  schätzte,  schien  ihm  doch  die  analytische  Richtung, 
die  durch  Poncelets  Entdeckung  der  Kreispunkte,  E.  La- 
guerres  projektive  Definition  der  Winkel  mit  Hilfe  der  Iso- 
tropen oder  Minimalgeraden  (1853,  Oeuvres  de  L.  I,  S.  1)  Vor- 
züge zu  besitzen,  die  ihm  die  rein  synthetische  Forschung  we- 
niger sympathisch  erscheinen  ließen.  Aber  überall  ist  seine  Ana- 
lyse getragen  von  einer  gewaltigen  geometrischen  Intuition,  die 


^)  Bull,  bedeutet  Bulletin  des  sciences  mathematiques. 


barboux  29 

es  liebt,  oft  gerade  an  entscheidender  Stelle  die  Rechnung  durch 
eine  geometrische  Bemerkung  zu  fördern,  während  er  an  an- 
deren Stellen  erst  nachher  zeigt,  wie  die  Grundgedanken 
seiner  Analysis  eigentlich  nur  eine  andere  Form  einer  geome- 
trischen Idee  bilden,  die  umgekehrt  zu  den  ersteren  hätte 
leiten  müssen.  Und  dies  unvergleichliche  Talent,  in  dem  er 
von  keinem  Mathematiker  übertroffen  ist,  steigerte  sich  im 
Laufe  der  Jahre  immer  mehr,  ohne  an  Fruchtbarkeit  einzu- 
büssen. 

In  seinen  ersten  Arbeiten  (von  1864  an)  tritt  noch  eine 
rein  geometrische  Richtung  auf,  so  in  der  frühesten  über  die 
Schnitte  der  Torusfläche,  in  der  Konstruktion  der  Fläche 
zweiter  Ordnung  durch  neun  gegebene  Punkte,  in  der  Ab- 
bildung einer  Fläche  fünfter  Ordnung  auf  die  Ebene  (1871), 
die  im  Anschluß  an  die  Abhandlungen  von  A.  Clebsch  über 
die  Abbildungen  algebraischer  Flächen  (Math.  Annalen  I,  1868) 
erschien. 

Aber  auch  schon  während  dieser  Zeit  steckt  er  sich  die 
höchsten  Ziele.  Seine  Arbeiten  erstrecken  sich  über  fast  alle 
Gebiete  der  Mathematik  (Zahlentheorie  und  Wahrscheinlich- 
keitsrechnung etwa  ausgenommen):  über  Funktionentheorie, 
Lehre  von  den  Differentialgleichungen,  Differentialgeometrie 
der  Kurven  und  Flächen,  Kinematik  und  Mechanik,  wenn 
auch  die  infinitesimalen  Eigenschaften  der  Flächen  dasjenige 
Gebiet  bildeten,  auf  dem  er  vielleicht  seine  größten  Erfolge 
erreicht  hat.  Die  Ideen,  welche  er  hier  überall  entwickelt, 
sind  schon  zum  großen  Teil  in  seiner  Jugend,  in  den  Jahren 
1866 — 75  entstanden,  während  die  völlige  Ausführung  ihn 
unausgesetzt  bis  zu  seinem  Tode  beschäftigte. 

Es  soll  nun  versucht  werden,  wenigstens  einige  der  haupt- 
sächlichsten Arbeiten,  die  aus  seiner  überaus  großen  Produk- 
tivität entsprungen  sind,  zu  besprechen. 

Wenden  wir  uns  zuerst  zu  denen  funktionentheoretischen 
Inhaltes.  In  dem  Memoire  sur  les  fonctions  discontinues  (Ann. 
de  l'Ecole  Norm.  (2),  IV,  S.  57,  1875)  begründet  Darboux 
in   Verfolgung    der    Rie  mann  sehen   Untersuchung    über    den 


30  i^ekrologö 

Begriff  des  bestimmten  Integrals  den  wichtigen  Satz,  daß  für 
jede  zwischen  den  Grenzen  a,  h  beschränkte  Funktion  f{x) 
der  Variabein  X  ein  oberes  und  ein  unteres  Integral 
existiert,  indem  er  zeigt,  daß  die  Summe 

bei  fortgesetzter  Verkleinerung  aller  Intervalle,  derart,  daß  sie 
sämtlich  gegen  Null  konvergieren,  falls  man  für  die  /*(li)  die 
zu  denselben  gehörigen  oberen  Schranken  der  Funktion  wählt, 
nicht  mehr  zunehmen  kann  und  wirklich  einen  völlig  bestimmten 
Grenzwert  ergeben  muß.  An  derselben  Stelle  wird  auch  die 
gleichmäßige  Konvergenz  unendlicher  Reihen  behandelt, 
die  durch  K.  Weierstraß'  Revision  der  Hauptsätze  der  Diffe- 
rential- und  Integralrechnung  so  wichtig  geworden  war;  man 
verdankt  da  Darboux  das  beinahe  klassisch  gewordene  Bei- 
spiel der  Reihe 

1 
welche  nicht  gleichmäßig  konvergiert  und  nun  auch  bei  glied- 
weiser Integration  ein  Resultat  liefert,  das  vom  Integral  der 
doch  von  o  bis  x  stetigen  Funktion  selbst  verschieden  ist.  Die 
Arbeit  enthält  im  Anschluß  an  Hankel's  Untersuchungen  auch 
die  Darstellung  von  Funktionen,  die  in  jedem  noch  so  kleinen 
Intervalle  keine  Derivierte  besitzen,  unter  anderem  auch  das 
Beispiel  der  stetigen  Funktion 

„  sin  w  -|- 1 !  X 


I 

i 


die  für  kein  x  eine  Ableitung  besitzt  und  viele  andere  wich- 
tige Bemerkungen. 

Auf  die  weiteren  hierher  gehörigen  Arbeiten^)  kann  hier 
nur  hingewiesen  werden,  so  auf  die  Ergänzungen  zu  Dirich- 
let's  großer  Abhandlung  über  die  Darstellung  willkürlicher 
Funktionen  der  Kugelfläche  durch  Reihen  nach  Integralen  von 

1)  So  z.  B.  die  geometrisclie  Studie  über  das  Poisson sehe  Integral, 
das  H.  A.  Schwarz  so  gründlich  untersucht  hätte,  im  Bulletin  (2)  IV, 
S.  126,  1880. 


t)arboux  oi 

Kugelfunktionen  (sur  les  series,  dont  le  terme  g^neral  dopend 
de  deux  angles,  J.  v.  Liouville  (2)  XIX,  S.  1,  1874).  Dagegen 
sei  noch  erwähnt  die  Ausdehnung  des  ersten  Mittelwert- 
satzes der  Integralrechnung  auf  die  komplexen  Funktionen 
eines  reellen  Arguments  und  die  Form  des  Restes  der  Tay- 
lor sehen  Reihe,  die  sich  von  der  allgemeinen  Cauchy-Schlö- 
milch sehen  Gestalt  nur  durch  einen  Faktor  \X\  <  1  unter- 
scheidet. Auch  hier  wird  das  Resultat,  das  Ch.  Hermite  mit 
Vorliebe  in  seinem  Cours  d'analyse  verwendet,  aus  dem  geo- 
metrischen Satze  gewonnen,  daß  die  gerade  Linie  der  kürzeste 
Weg  zwischen  zwei  Punkten  ist  und  zur  Reihenentwicklung 
vieler  Ausdrücke  verwandt  (sur  le  developpement  en  series 
des  fonetions  d'une  seule  variable,  J.  v.  Liouville  (2)  III, 
S.  291,  1876). 

In  der  Note  des  Bulletin  III,  S.  307,  1872  macht  Dar- 
boux  darauf  aufmerksam,  daß  der  Beweis  von  Cauchy  für  die 
Existenz  einer  Wurzel  der  Gleichung  n.  Grades  f{^)  =  X-{-  i  Y=o 
mit  Hilfe  des  Minimums  von  X^-j~  Y^  ßi^e  Lücke  habe,  die 
nur  durch  die  Berufung  auf  die  Stetigkeit  dieses  Ausdruckes 
gehoben  werden  kann,  die,  wie  Weierstraß  gezeigt  hatte, 
gesichert  sein  muß,  wenn  die  Funktion  ihre  untere  Schranke 
Null  für  einen  Wert  von  2  =  x-\-iy  erreichen  soll. 

Auch  algebraische  und  invariantentheoretische  Fragen 
beschäftigten  den  jungen  Darboux  vielfach.  Weierstraß 
und  L.  Kronecker  (Werke  I,  S.  163;  II,  S.  233)  hatten  1868 
in  den  Berliner  Monatsberichten  die  Äquivalenz  von  Schaaren 
quadratischer  Formen  und  ihre  kanonische  Darstellung  in 
grundlegenden  Arbeiten  behandelt.  Dieselben  Fragen  nimmt 
Darboux  1874  in  der  Theorie  algebrique  des  formes  quadra- 
tiques  (J.  v.  Liouville  (2)  XIX,  S.  347)  in  einer  durch  die  An- 
wendung geränderter  Determinanten  außerordentlich  übersicht- 
lich und  elegant  gewordenen  Darstellung  auf,  welche  zugleich 
eine  Vereinfachung  der  abstrakteren  Behandlung  durch  Weier- 
straß und  Kronecker  liefert. 

Aus  dem  Umstände,  daß  Darboux  mehrere  Jahre  hin- 
durch Mechanik  zu  lehren  hatte,   ist   eine  ganze  Reihe  von 


32  Nekrologe 

Arbeiten  hervorgegangen.     Sie   sind  mit  wenigen  Ausnahmen 
wie   z.  B.    die    an  Poisson's  Bestimmung    der    Elektrizität 
Verteilung  auf  zwei  leitenden  Kugeln  sich  anschließende,  kin 
matischer  Art  oder  beziehen  sich  auf  allgemeine  Begriff 
der   Mechanik.     Von    der    letzteren  Art   sind    die   Arbeiten 
Sur  le  choc  des  corps  et  sur  le  frottement  dans  le  choc   des 
Corps,  welche  sich  durch  große  Klarheit  in  den  dabei  zu  Grunde 
gelegten  Hypothesen  auszeichnen,  ferner  die  Etüde  g^ometri- 
que  sur  les  percussions   et   le  choc  du  corps  im  Bulletin  (2 
IV,  1880. 

In  der  Note  über  die  Zusammensetzung  der  Kraft 
in  der  Statik  untersucht  er  das  Minimum  der  zu  einem  rein 
mathematischen  Beweise  des  Parallelogramms  der  Kräfte  er- 
forderlichen Hypothesen.  Setzt  man  voraus,  daß  die  Resul- 
tante von  n  Vectoren  P^,  P^  .  .  Pn  a)  eindeutig  bestimmt 
ist,  b)  ungeändert  bleibt,  wenn  man  irgend  welche  Gruppen 
der  P  durch  ihre  Resultanten  ersetzt,  c)  von  der  Lage  gegen 
das  Koordinatensystem  unabhängig  ist,  so  ist  dieselbe  vermöge 
der  Parallelogrammregel  durch 

<p(P,),  cp{P,)  . . .  <piK) 

gegeben,  mit  (p(x)  als  einer  willkürlichen  Funktion.  Aus  der 
weiteren  Forderung,  daß  gleichgerichtete  Vectoren  sich  ad- 
dieren, (p{P-\-Q)  =  (p{P)-\-(p{Q),  folgt  nach  den  oben  erwähnten 
Voraussetzungen  über  die  Funktion  (p{x)^),  daß  (p{P)  =^  Ä-P 
sein  muß. 

Zwei  andere  Arbeiten,  so  schon  in  den  Comptes  Rendus 
von  1876  und  in  dem  Memoire  sur  l'equilibre  astatique,  be- 
treffen Fragen,  die  bereits  F.  Minding  und  A.  Möbius  be- 
handelt hatten,  doch  zeichnet  sich  auch  hier  die  Darstellung 
von  Darboux,  abgesehen  von  manchen  neuen  Einzelheiten, 
durch  Einheitlichkeit  und  Eleganz  aus. 

J.  Bertrand  hatte  die  Frage  aufgeworfen,  unter  welchen 
Umständen  sich  allein  aus  der  angenommenen  Tatsache,  daß 
die  Planeten  immer  Kegelschnitte  beschreiben,   auf  das  An- 

i)  Siehe  S.  28. 


I 


Darboux  33 

Ziehungsgesetz  schließen  lasse.  Unter  Annahme  einer  Kräfte- 
funktion bestimmt  Darboux  das  Kraftgesetz,  welches  im 
allgemeinen  von  der  Entfernung  r  und  dem  Polarwinkel  cp 
abhängig  sein  kann,  und  das  dazu  gehörige  System  der  Kegel- 
schnitte. Unabhängig  wird  die  Kraft  von  99  nur  für  den  Fall 
des  Newton  sehen  Gesetzes  und  dem  der  Proportionalität  mit 
der  Entfernung  (Comptes  Rendus,  Bd.  84,  1877). 

Einen  ausgesprochenen  kinematischen  Charakter  tragen 
die  übrigen  Arbeiten  von  Darboux.  Wir  erwähnen  zuerst 
die  geistreiche  Idee,  die  Theorie  des  ebenen  Vierecks  aus  vier 
gegebenen  Seiten  mit  der  einer  Kurve  dritter  Ordnung  und 
so  mit  der  Theorie  der  elliptischen  Funktionen  in  Verbindung 
zu  setzen  (1879)  und  die  aus  demselben  Jahre  stammenden 
Recherches  sur  un  Systeme  articulä,  die  eine  höchst  elegante 
Geradführung  enthalten,  sowie  die  schöne  Arbeit  Sur  le  dö- 
placement  d'une  figure  invariable  (Ecole  Norm.  (3)  VII,  1890), 
in  der  eine  Bewegung  des  starren  Körpers  ermittelt  wird,  bei 
der  alle  Punkte  desselben  Ellipsen  beschreiben  und  die  merk- 
würdigerweise die  einzige  durch  das  Gleiten  des  Körpers  auf 
einer  Ebene  herstellbare  ist,  bei  der  alle  Punkte  ebene  Kurven 
in  nicht  parallelen  Ebenen  beschreiben. 

Wir  schließen  diese  kinematischen  Untersuchungen  mit 
der  interessanten  Arbeit  Sur  la  sphöre  de  rayon  nul  et  sur 
la  th^orie  du  deplacement  d'une  figure  invariable  im  Bulletin 
(2),  XXIX,  1905.  Hier  wird  die  ganze  Untersuchung  auf  die 
Betrachtung  des  Minimalkegels  li? -\- Y* -{- Z^  =  0 ,  dessen 
Punkte  durch 

gegeben  sind,  zurückgeführt  und  abgesehen  von  manchen  an- 
deren interessanten  Bemerkungen,  wie  z.  B.  der  liniengeome- 
trischen Identität,  welche  die  algebraische  Summe  der  drei 
aus  den  Produkten  der  Gegenkanten  eines  in  die  Nullkugel 
eingeschriebenen  Tetraeders  darstellt,  soweit  durchgeführt,  daß 
schließlich  die  Formeln  für  die  orthogonalen  Substitutionen 
im  i?g  und  die  Zusammensetzung  zweier  Rotationen  durch  die 

Jahrbuch  1917.  3 


34  Nekrologe 

Quaternionenformel  von  A.  Cayley  entstehen;  wie  man  siehl 
gibt  diese  Arbeit  eine  etwas  andere  Darstellung,  als  die  von 
F.  Klein  in  seiner  Theorie  des  Kreisels  aus  dem  Jahre  1897, 
S.  23  ff. 

Die  Theorie  der  Differentialgleichungen  zu  der  wir 
jetzt  übergehen,  verdankt  Darboux  fast  in  allen  ihren  Teilen 
erhebliche  Fortschritte.  Wir  betrachten  zuerst  die  gewöhn- 
lichen Differentialgleichungen.  Eine  der  frühesten  Arbeitet 
ist  hier  die  Lösung  der  elliptischen  Differentialgleichung 

(Ecole  Norm.  IV,  S.  81,  1867).  Zur  Lösung  derselben  be- 
stimmt er  die  Beziehung  zwischen  irgend  zwei  Integralen  der 
Gleichung 

sie  ergibt  sich  sogleich  durch  Vergleichung  mit  der  aus  dieser 
durch  Differentiation  gewonnenen  weit  einfacher  als  durch 
Lagranges  berühmte  Integration. 

Betrachten  wir  jetzt  zunächst  die  gewöhnlichen  Diffe- 
rentialgleichungen: Ist  f{x,y,y')  =  Dn  eine  (algebraische)  Diffe- 
rentialgleichung erster  Ordnung  n.  Grades,  so  können  außer 
dem  allgemeinen  Integral  F{xyc)  =  o   noch  singulare  Lö- 

sungen    auftreten,    für    die    nach    Lagrange  ^  ^  =  o    ist. 

ay 

Daran  knüpften  sich  die  beiden  Fragen :  Wann  ist  eine  Lösung 
singulär  in  dem  Sinne,  daß  sie  durch  keinen  Wert  der  Kon- 
stanten c  aus  dem  allgemeinen  Integral  folgt,  und  warum 
existiert  die  singulare  Lösung  nicht  ,im  allgemeinen",  während 
doch  die  Enveloppe  eines  Ausdruckes  von  der  Form  F{xyc)  =  o 
gerade  „im  allgemeinen*  vorhanden  ist?  Die  erste  läßt  sich 
in  jedem  einzelnen  Falle  sicher  entscheiden  und  ist  von  ge- 
ringerer Bedeutung;  in  der  zweiten  glaubte  man  ein  Paradoxon 
zu  sehen,  weil  man  nicht  bedachte,  daß  die  Lösung  der  all- 
gemein  gedachten    D^  =  o   eine    Form   von   weit   speziellerem 


Darboux  35  , 

Charakter  ist,  wie  eine  allgemeine  Gleichung  F{xyc)  =  o,  welche 

die  Konstante  c  ebenfalls  im  n.  Grade  enthält.    Aber  Darboux 

hat  zuerst  —  so  schon  1870   in  Mitteilungen   an   die  Pariser 

Akademie  —  ausgesprochen ,   daß  die  allgemeine  D«  =  o  kein 

singuläres   Integral    haben    kann.     Er  zeigt  weiter   (Bull.  IV, 

df 
S.  158,    1873),    daß  das  durch  Lagranges  Regel  aus    -j—,  =  o 

und  f=o  gebildete  Eliminationsresultat,  der  sogenannte  Dis- 
criminantenort,  im  allgemeinen  Falle  keine  Lösung,  sondern 
den  Ort  von  Spitzen  der  Integralkurven  liefert.  Der 
Beweis  dafür  wird  nicht  durch  Reihenentwicklung,  sondern 
durch  die  dualistische  Auffassung  der  DjJ,  wie  sie  die  Theorie 
der  Konnexe  von  Clebsch  nahe  gelegt  hatte,  geführt.  Durch 
jeden  Punkt  gehen  n  Integralkurven  (System  S),  und  jede 
Gerade  g,  y  =  ax  -\-  C,  wird  von  m  Kurven  S  in  den  Schnitt- 
punkten von  g  mit  f(x,  y,a)  =  o  berührt.  Bei  der  Umformung 
von  S  durch  Polarität  entsteht  das  System  S',  in  dem  jede 
Gerade  n  Kurven  desselben  berührt  und  dem  wieder  eine  Dn 
in  Linienkoordinaten  entspricht.  Dem  Zusammenfallen  von 
zweien  dieser  Berührpunkte  entspricht,  wie  Darboux  zeigt, 
eine  einfache  Inflexion,  die  nun  für  die  Kurven  S  eine 
Spitze  bedingt.  Zugleich  werden  die  Bedingungen  angegeben, 
unter  denen  man  aus  Lagranges  Kriterium  für  die  singulare 
Lösung  (Calcul  des  fonctions,  Werke  X,  S.  203) 

'  dy'        '   dx^  ^  dy 

auf  ihre  Existenz  schließen  kann.*) 


^)  In  der  deutschen  Bearbeitung  des  Lehrbuches  von  A.  R.  Forsyth 
S.  4i  wird  bemerkt,  daß  Cayley  zuerst  die  singulären  Lösungen  be- 
handelt habe.  Nach  den  obigen  Angaben  trifft  das  nicht  zu.  An  der- 
selben Stelle  wird  angegeben,  daß  Darboux  das  sogenannte  Paradoxon 
der  singulären  Lösungen  noch  nicht  erkannt  habe.  Demgegenüber  ver- 
gleiche man  seine  bestimmten  Aussagen  im  Bulletin,  sowie  insbesondere 
in  den  Solutions  singulieres  S.  213  von  1883.  Hiernach  dürfte  ihm  die 
Priorität  zukommen.  Nach  P.  Painleve  (Enzyklopädie  d.  M.  II,  S.  213) 
hat  Cayley  bereits  im  Phil.  Magazine  XXXII,  S.  379,  1866,  sich  mit  den 

3* 


oC  Nekrologe 

Eine  weitere  Arbeit  (Bull.  2,  II,  1878)  knüpft  an  Jacl 
Integration  der  Differentialgleichung*) 

L      M      N 


X       y        z 
dx     dy       di 


=   0 


mit  i,  -M,  N  als  homogenen  linearen  ganzen  Funktionen  von 
iP,  y,  3  an  und  erweitert  sie  im  Sinne  der  Invariantentheorie 
für  den  Fall,  daß  Z,  M,  N  ganze  homogene  Funktionen 
gleichen  Grades  sind.  Hier  wird  namentlich  die  Frage  nach 
dem  Auftreten  von  algebraischen  Integralen  und  ihrer 
Form  beantwortet,  die  bei  Jacobi  unmittelbar  aus  der  Be- 
schaffenheit der  Wurzeln  einer  kubischen  Gleichung  folgt. 

Eine  umfangreiche  Abhandlung  (J.  v.  Liouville  4,  III, 
S.  305),  deren  Anfänge  schon  aus  dem  Jahre  1876  stammen, 
betrifft  die  Lösung  von  Differentialgleichungen  der  Form 

aingulären  Lösungen  beschäftigt;  diese  Note  enthält  aber  nichts  darüber; 
Cayley  hat  auch  nicht  bemerkt,  daß  das,  was  er  1873  in  der  populär 
geschriebenen  Note  im  Mess.  of  Math.  (Coli.  Papers  VIII,  S.  529)  den 
Discriminant-Locus  nennt,  im  allgemeinen  Spitzenort  ist.  Aber  seine 
gesperrt  gedruckten  Worte  am  Ende  der  Note  ,1  do  not  recognise  any 
Singular  Solution,  which  is  not  of  the  envelope  species*  haben  wohl  zum 
richtigen  Verständnis  dieser  Lösungen  beigetragen.  Eine  Reihenentwick- 
lung, welche  zeigt,  daß  die  singulare  Lösung  in  jedem  ihrer  Punkte  von 
einer  Integralkurve  berührt  wird,  hat  ^ß.  Picard  erst  1896  im  Traite 
d'analyse  III,  S.  44,  gegeben,  eine  erschöpfende  Theorie  der  Dn  =  v 
findet  sich  in  der  großen  Arbeit  von  M.  Hamburger  (J.  f.  Math. 
CXII,  S.  205). 

Es  mag  hier  indessen  noch  bemerkt  werden,  daß  M.  Cournot 
(Theorie  des  fonctions  II,  S.  324  ff.,  2.  Ausgabe  1857)  bereits  an  einem 
speziellen  Beispiele  zeigt,  wie  der  Discriminantenort  sowohl  zu  Spitzen 
der  Integralkurven  Veranlassung  geben  kann,  als  auch  zu  einer  singu- 
lären  Lösung,  während  es  sich  bei  Darboux  um  einen  allgemeinen  Satz 
handelt.  Das  Auftreten  von  Spitzen  ist  übrigens  —  wenn  man  reelle 
Verhältnisse  betrachtet,  bei  denen  zwei  Wurzeln  der  Gleichung  für  y' 
beim  Durchgang  durch  den  Discriminantenort  von  reellen  zu  imaginären 
»im  allgemeinen"  übergehen  —  nicht  so  wunderbar. 

1)  Von  Jacobi  (Werke  IV,  S.  257,  1892)  werden  homogene  Koor. 
dinaten  noch  nicht  benutzt. 


I 


Darboux  37 

f{dx^  dx^  .  .  dxn)  --="  0, 
d.  h.  einer  in  den  dx  homogenen  Form  f  mit  konstanten  Ko- 
effizienten, mit  denen  für  die  Fälle  n=2,  3  sich  schon  Euler 
und  A.  Serret  beschäftigt  hatten.  Hier  ermittelt  Darboux 
durch  geschickte  Verallgemeinerung  des  aus  geometrischen 
Gesichtspunkten  für  w  =  2,  3  gelösten  Problems  die  von  Qua- 
draturen freie  Lösung.  Damit  finden  zugleich  andere  Auf- 
gaben ihre  Beantwortung,  so  z.  B.  die  explizite  Konstruktion 
von  Kurven,  die  mit  gleichen  Bogenlängen  für  entsprechende 
Punkte  korrespondieren,  ferner  die  Bestimmung  aller  Bewe- 
gungen, die  auf  unendlich  kleinen  Rotationen  beruhen,  sowie 
auch  die  allgemeine  quadraturfreie  Darstellung  für  zwei  auf 
einander  abwickelbare  Regelflächen  etc.^) 

Aber  weit  bedeutender  sind  Darboux'  Arbeiten  über 
partielle  Differentialgleichungen. 

Cauchy  hatte  schon  seit  1831  in  den  Comptes  Rendus, 
namentlich  aber  daselbst  1842  mit  Hilfe  seines  calcul  des 
limites  die  Existenz  der  Lösungen  von  Systemen  gewöhnlicher 
und  partieller  Differentialgleichungen  in  der  allgemeinsten 
Weise  erwiesen.  Aber  zu  vollem  Verständnis  sind  diese  grund- 
legenden Untersuchungen  wohl  erst  seit  1856  gelangt,  wo 
Briot  und  Bouquet  dieselben  in  vereinfachter  Gestalt  für 
ein  System  gewöhnlicher  Differentialgleichungen  gaben.  Und 
nun  erkannte  Darboux,  daß  der  von  ihnen  betretene  Weg 
auch  für  partielle  Differentialgleichungen  mit  beliebig  vielen 
Variabein  sich  beibehalten  lasse  und  seine  Darstellung  (C.  R. 
LXXX,  1875)  ist  jedenfalls  wegen  ihrer  Einfachheit  sehr  be- 
merkenswert, wenn  sie  auch  von  S.  v.  Kowalewskis  zu  der- 
selben Zeit  (J.  f.  Math.  80,  S.  1)  erschienenen  Arbeit  an  All- 
gemeinheit übertroffen  wird. 

Doch  weit  wichtiger  als  diese  formale  Arbeit  ist  die  Note 
über  die  Auflösung  partieller  Differentialgleichungen,    die   er 

^)  Es  seien  liier  noch  die  Darboux  eigentümlichen  Algorithmen 
aus  den  Integralen  linearer  DiflFerentialgleichungen  n.  Ordnung  und  ihrer 
Lagrangeschen  Adjungierten,  Le9on3  aur  la  th^orie  generale  des 
surfaces  II,  S.  99  ff.  erwähnt. 


38  Nekrologe 

im  Band  VII  der  Ecole  Normale  bereits  1870  veröffentlichte. 
Der  Grundgedanke  dieser  „Darbouxschen  Methode"  ist  etwa 
folgender.  Nach  Ampere  und  Cauchy  läßt  sich  die  Lösung 
der  D^  =  0  =  f{x,y,e,p,q)  durch  Einführung  einer  Variabein 
y„,  derart,  daß  y  Funktion  von  a;,  i/^  wird,  auf  ein  System  ge- 
wöhnlicher Differentialgleichungen,  das  der  Charakteristiken  der 
D,  =  0  zurückführen.  Bei  der  Gleichung  D^  =  f{x,y,s,p,q,r,s,t) 
=  0  erhält  man  —  von  besonderen  Fällen  abgesehen  —  aber 
wie  Darboux  zeigt,  zur  Bestimmung  der  vier  UnbekannteMJI 
y,e,p,q  nur  drei  von  y^  unabhängige  Differentialgleichungen, 
und  dies  wiederholt  sich  auch  dann,  wenn  man  von  den  r,  s,  t 
zu  den  höheren  Derivisten  übergeht,  so  daß  ein  prinzipieller 
Unterschied  zwischen  den  J),  und  i)„  stattfindet.  Kann  man 
aber,  wie  bei  den  Mo n gescheu  Gleichungen  integrable  Kom- 
binationen dieses  unvollständigen  Systems  gewöhnlicher  Diffe- 
rentialgleichungen finden,  so  gelingt  die  vollständige  Inte- 
gration (insbesondere  dann,  wenn  zwei  solche  vorhanden  sind). 
Nun  faßt  Darboux  den  kühnen  Gedanken,  die  analogen 
Gleichungen,  welche  nur  Ableitungen  der  Unbekannten  nach  x 
enthalten,  aufzusuchen,  wenn  man  zu  den  höheren  Differential- 
quotienten von  0  übergeht,  d.  h.  im  Sinne  des  durch  S.  Lie 
eingeführten  Ausdruckes  die  höheren  Flächenelemente  ic,  y,  ^, 
JP»  9'5  '*i  s,  t  usw.  an  Stelle  der  bisher  verwandten  ic,  y,  m,  p,  q 
einzuführen.  Ergeben  sich  hier  integrable  Kombinationen, 
so  kann  die  Integration  gelingen.  Dabei  treten  aber  neue 
Differentialgleichungen  auf,  die  mit  der  gegebenen  Integrale 
von  besonderer  Natur  gemein  haben  müssen,  deren  weitere  Be- 
trachtung sich  hier  nicht  beschreiben  läßt.  Darboux  hat 
schon  1870  im  Prinzip  seine  Methode  auf  alle  D„  =  o  aus- 
gedehnt, aber  nichts  weiter  über  sie  veröffentlicht.  Von  S.  Lie 
und  M.  L6vj  und  vielen  anderen  ist  sie  aber  weiter  ent- 
wickelt, so  daß  z.  B.  E.  Goursat  einen  großen  Teil  des  Band  II 
seiner  Equations  ä  d^rivees  partielles  du  second  ordre  diesem 
Gegenstande  widmen  konnte. 

Wir  kommen  jetzt  zu  der  Arbeit  Sur  le  probleme  de  Pf  äff 
(Bull.  2,  VI,  S.  14  u.  49,  1882).    Sie  verfolgt  denselben  Zweck 


Darboux  39 

wie  die  von  G.  Frobenius  (J.  f.  Math.  LXXXII,  S.  280,  1877) 
erschienene,  welche  die  Transformation  der  Differentialaus- 
drücke von  der  Form 

auf  ihre  kanonischen  Formen  vollständig  erledigte.  Aber  die 
geistreiche  Art,  in  der  Darboux  mit  Hilfe  der  bilinearen 
Kovariante^) 

ded  —  dSi 

(die  auch  bei  Frobenius  auftritt)  und  des  aus  ihr  folgenden 
invarianten  Systems  von  Differentialgleichungen  fast  ohne 
jede  Rechnung  die  Frage  erledigt,  ist  von  großem  Interesse. 
In  dem  zweiten  Teile  des  Aufsatzes  verwendet  Darboux  die- 
selben Gesichtspunkte  unter  Zuziehung  der  oben  (S.  31)  er- 
wähnten Arbeit  über  quadratische  Formen,  um  die  Hauptsätze 
von  Lies  Theorie  der  Berührungstransformationen  auf  einem 
neuen  Wege  zu  entwickeln. 

Dies  war  offenbar  die  Vorarbeit  für  die  große  240  Seiten 
umfassende  Arbeit  Sur  les  Solutions  singuliöres  des  ^quations 
ä  derivees  partielles  du  premier  ordre,  die  1883  im  Band  XXVII 
der  Mem.  des  Savants  etrangers  erschien  und  für  den  er  den 
grand  prix  der  Akademie  erhielt.  Diese  Monographie,  welche 
im  Jahrbuch  für  die  Fortschritte  der  Mathematik  nicht  ein- 
mal erwähnt  ist,  enthält  eine  Fülle  wichtiger  und  neuer  Ge- 
danken neben  den  allgemeinen  seit  Lagrange,  Monge  und 
Cauchy  bekannten  Grundlagen.  Wir  rechnen  dahin  a)  rein 
geometrische  Resultate,  wie  z.  B.  die  Frage  nach  den  durch 
ein  System  von  Kurven  erzeugten  Flächen,   die  entweder  vom 


*)  Darboux'  Arbeit  ist  wohl  ganz  unabhängig  von  Frobenius  ent- 
standen. Denn  das  Variationsprinzip,  das  zur  bilinearen  Kovariante 
führt,  kannte  er  sicher  aus  E.  B.  Christoffels  Transformation  der 
homogenen  Differentialausdrüeke  zweiten  Grades  (J.  f.  Math.  LXX,  S.  46) 
(oder  auch  aus  R.  Lipschitz'  gleichzeitiger  Abhandlung  über  denselben 
Gegenstand) ,  welche  für  n  =  2  die  Frage  nach  der  Isometrie  von  zwei 
Flächen  enthält.  Dieser  Fall  ist  übrigens  von  Darboux  selbst  in  der 
elegantesten  Weise  in  den  Le9on3  sur  la  theorie  generale  III,  S.  223, 
behandelt. 


40  Nekrologe 

Typus  der  Regelflächen  oder  der  Developpabeln  sind  (S.  40), 
b)  die  Verallgemeinerung  der  konjugierten  Kurven  Dupins 
(S.  58),  c)  dann  die  elegante  Darstellung  der  Mayer -LieschenaBB 
Theorie  der  Berührungstransformationen  unter  Benutzung  des«" 
Variationsprinzipes  (S.  80),  d)  die  ganz  allgemeine  Darstellung 
der  Charakteristiken  und  der  Methode  Cauchys  vermöge  der 
doppelten  Symbole  d  und  d,  wobei  auch  die  Einwürfe  Bertrands 
gegen  die  Allgemeingültigkeit  des  Verfahrens  widerlegt  werden 
(S.  133),  was  A.  Serret  z.  B.  nur  umständlich  (Ecole  Norm.  1, 
III,  S.  145)  erreicht  hatte,  endlich  die  Bestimmung  des  Ver- 
haltens der  Charakteristiken  und  Integralflächen  in  Bezug  auf 
den  Discrirainantenort. 

Bezeichnet    man   mit   Z,  P,   Q,   U,   V  für  die   Gleichung 

S/       /if      3/       ^f  3f 

nx,y,^,p,q)  =  o   die   Ausdrücke    ^'    a^'   ^'   ^  +  i' g^  ' 

df  df 

—  4-  <7  — ,  so  ergibt  sich  (S.  146  if.)>  daß  die  Charakteristiken 

in  den  Punkten  des  Discriminantenortes  (wo  P  =  Q  =  o,  U 
und  V  nicht  Null  sind)  im  allgemeinen  Spitzen^)  haben, 
die  charakteristische  Developpable  dagegen  regulär  ist  (diesem 
Falle  steht  dualistisch  der  andere  U=V=o,  V  und  Q  nicht 
Null,  gegenüber).  Im  Zusammenhange  damit  werden  dann 
auch  die  Formen  der  Integralflächen  in  der  Umgebung  des 
Discriminantenortes  untersucht  und  zu  diesen  wichtigen  Er- 
gebnissen werden  von  S.  172  an  noch  die  über  das  Verhalten 
der  Integralflächen  in  der  Nähe  der  singulären  Lösung,  welche 
im  Z=o,  P=Q=U=V=o  sicher  existiert,  wo  dann  nach 
allen  Punkten  der  Tangentenebene  Charakteristiken 
ohne  Singularität  auslaufen  (S.  152),  untersucht  und  dies 
auch  für  n  unabhängige  Variable  durchgeführt. 

Endlich  sei  noch  hervorgehoben,  daß  der  jetzige  Begriff 
des    allgemeinen    Integrals    einer    partiellen    Differential- 


*)  Damit  gab  Darboux  also  die  Verallgemeinerung  seines  oben 
(S.  35)  erwähnten  Satzes  über  gewöhnliche  Differentialgleichungen  für 
den  Raum. 


a 


Darboux  41 

gleichung  ebenfalls  von  Darboux  zuerst  vertreten  ist.  Nach 
A.  Ampere  muß  dasselbe  nur  dieser  und  allen  aus  ihr  durch 
Differentiation  folgenden  Gleichungen  genügen.  Darboux  ver- 
langt aber  mit  Recht,  daß  dasselbe  den  aus  Cauchys  Exi- 
stenzbeweisen folgenden  Forderungen  genüge,  also  z.  B.  das 
allgemeine  Integral  einer  D^  =  o  mit  zwei  unabhängigen  Va- 
riabein X,  y  durch  einen  willkürlichen  Streifen  gelegt  werden 
könne.  Daß  darin  ein  Unterschied  liegt,  der  geradezu  irrtüm- 
liche Behauptungen  veranlassen  kann,  bemerkt  er  in  den 
Le9ons  sur  la  theorie  generale  II,  S.  98,  mit  besonderem  Nach- 
drucke aber  auf  dem  Mathematikerkongreß  zu  Rom  (Bull.  2, 
XXXII,  S.  118  und  124). 

Wir  wenden  uns  nun  endlich  zu  Darboux'  Arbeiten  in 
der  Flächentheorie,  dem  Gebiet,  auf  dem  er  wohl  seine 
größten  Erfolge  erreicht  hat,  müssen  uns  aber  bei  der  Fülle 
des  Stoffes  auf  einige  kurze  Angaben  beschränken. 

Schon  im  Jahre  1864  (Comptes  Rendus  LIX,  S.  240) 
zeigt  er,  daß  man  auf  jeder  Fläche  eine  (imaginäre)  Krüm- 
mungslinie vermöge  der  Gleichung  \ -\- p^ -\-  q^  =  o  finden  kann. 
Zugleich  erkennen  wir  aus  der  anschließenden  Bestimmung 
eines  aus  Cykliden  gebildeten  dreifachen  Orthogonalsystems, 
wie  angelegentlich  er  sich  schon  damals  mit  diesen  Systemen, 
welche  wir  der  Kürze  halber  als  Lame-Systeme  bezeichnen, 
beschäftigte.  Und  nun  folgt  im  Jahre  1866  (Ann.  de  l'Ecole 
Norm.  1,  in,  Sur  les  surfaces  orthogonales  in  der  these  de 
doctorat)  der  berühmte  Satz,  daß  die  Flächen  eines  Lamä- 
Systems  einer  partiellen  Differentialgleichung  dritter  Ordnung 
(notwendig  und  hinreichend)  genügen  müssen,  den  eine  frühere 
Bemerkung  von  0.  Bonnet  (1862)  doch  eigentlich  nur  wahr- 
scheinlich gemacht  hatte  (vgl.  Darboux'  eigene  Angaben  in 
den  Le9ons  sur  les  systemes  orthogonaux,  S.  13).  Er  gewinnt 
das  Resultat  auf  dem  einfachsten  Wege,  nämlich  aus  der  In- 
tegrabilitätsbedingung  des  Differentialausdruckes 

Pdx^Qdy-\-Bdz, 

aber   die  entscheidende  Wendung   führt   er   damals   auf  seine 


42  Nekrologe 

ümkehrung  des  Dupinschen  Theorems  zurück,  nach  der  zi 
zwei  Flächenscharen,  die  sich  rechtwinklig  in  Kurven  schneid 
den,  welche  für  die  eine  Schar  Krümmungslinien  sind,  immei 
eine  dritte  Schar  von  Orthogonalflächen  existiert.*) 

Und  schon  in  dem  C.  R.  LXIX,  1869,*)  in  der  Notiz 
Sur  une  nouvelle  särie  des  systemes  orthogonaux  algäbriques 
gibt  er  den  Satz,  daß  man  aus  jedem  w-fachen  Lame- System 
w-Ä- fache  solche  Systeme  herleiten  kann.  Auch  hier  beruht 
das  auf  der  Bemerkung,  daß  man  durch  Gauß'  sphärische 
Abbildung  der  Fläche  eines  dreifachen  Systems  auf  die  Kugel 
ein  Orthogonalnetz  auf  der  letzteren  erhält,  eine  geometrische 
Konstruktion,  die  er  dann  in  die  Sprache  der  Analysis  über- 
setzt. Und  die  Theorie  der  elliptischen  Koordinaten  von  Ja- 
cobi  (Werke,  Supplementband  S.  198,  1842/43)  setzt  ihn  nun 
in  den  Stand,  in  Verbindung  mit  seiner  Methode  der  penta- 
sphärischen  Koordinaten,  aus  Cykliden,  d.  h.  Flächen 
4.  Ordnung,  die  den  imaginären  Kreis  zur  Doppelkurve  haben, 
bestehende  Lam^- Systeme  aufzustellen.  Die  diesem  speziellen 
Gegenstande  angehörenden  Untersuchungen  finden  sich  dann 
vereinigt  in  dem  (schon  1869  der  Pariser  Akademie  vorgelegten) 
umfangreichen  Memoire  Sur  une  classe  de  courbes  et  sur- 
faces  algebriques,  das  auch  selbständig  erschienen  1896 
eine  zweite  Auflage  erhielt.  Aber  neben  den  schönen  Unter- 
suchungen auf  Grund  des  Imaginären,  das  durch  S.  Lies  Ent- 
deckung der  Transformation  der  Liniengeometrie  in  eine  Geo- 
metrie der  Kugeln  Darboux'  größtes  Interesse  erregt  hatte, 
findet  sich  hier  1872  auch  schon  die  Entwicklung  der  von 
Quadraturen  freien  Gleichungen  der  Minimalkurven,  sowie  die 
in  der  elegantesten  Weise  mit  Hilfe  der  Theorie  der  Diffe- 
rentialparameter, welche  E.  Beltrami  1869  veröffentlicht 
hatte,  aufgestellte  partielle  Differentialgleichung,  von  der  die 
Bestimmung   aller    Flächen   abhängt,    die    auf   eine    gegebene 


^)  In  den  Le90ns  orthogonaux,  S.  6,  wird  der  Satz  unter  alleiniger 
Benutzung  der  Integrabilitätsbedingung  erhalten. 

^)  G.  B.  bedeutet  Comptes  Rendus. 


Darboux  43 

, abwickelbar*  sind,  für  den  allgemeinsten  Fall  des  Längen- 
elementes (Sur  une  classe  remarquable,  S.  17  und  181).^) 

Durch  das  Problem  der  Lame-Systeme  und  der  iso- 
metrischen Deformation  der  Flächen  sind  nun  hauptsäch- 
lich die  Aufgaben  bezeichnet,  denen  Darboux  von  da  an 
seine  ganze  Kraft  widmete. 

Die  partielle  D^  =  o  der  Lame- Systeme  hatte  er  1866 
nicht  selbst  angegeben,  weil  sie  bei  direkter  Ausrechnung 
weitläufig  war;  wahrscheinlich  hat  er  sie  damals  nur  in  einer 
primitiven  Form  besessen.  Es  ist  das  Verdienst  von  A.  Cayley, 
dieselbe  durch  eine  Untersuchung,  in  der  sich  eine  infinitesi- 
mal-geometrische Betrachtung  mit  großer  algebraischer  Kunst 
verbindet,  in  Gestalt  einer  sechsreihigen  Determinante  L:?72 
(vgl.  den  Zusatz  1873  in  den  CoUected  Papers  of  Cayley  VIII, 
S.  292)  ermittelt  zu  haben.») 

Diese  Differentialgleichung  entwickelt  nun  Darboux  später 
auf  viel  einfachere  Weise,  so  z.  B.  im  C.  li.  76  und  Ann.  Ecole 
Norm.  2  VII,  in  Gestalt  einer  sechsreihigen  Funktionaldeter- 
minante, fortwährend  neue  Anwendungen  derselben  hinzu- 
fügend, so  z.  B.  in  der  Arbeit  Sur  les  systemes  orthogonaux, 
qui  comprennent  une  famille  des  systemes  du  2.  degrö,  C.  R. 
LXXXIV,  S.  336,  1877,  wo  eine  Lösung  dieser  Frage  gegeben 
wird,    bei   der  die  Flächen  zweiten  Grades  als  Parameter  eine 


^)  Auf  ganz  anderem  Wege  U.  Dini  im  Giornale  di  matematiche  II, 
S.  282,  1864. 

2)  Cayley  sagt  übrigens  C.  R  LXXV,  1872  (Coli.  Papers  VIII, 
S.  269):  On  sait,  que  q  satisfait  ä  une  equation  ä  diiFerences  du  3.  ordre, 
et  en  suivant  la  route  trac^e  par  Maurice  Levy  1870  je  suis  parvenu 
a  trouver  cette  equation.  In  der  Tat  hat  Lövy  sich  schon  seit  1867 
mit  dem  Probleme  der  Lameschen  Systeme  beschäftigt.  In  seiner  Arbeit 
(J.  de  rficole  Polyt.  cahier  43,  S.  148,  1870)  wird  durch  eine  infinitesi- 
male geometrische  Konstruktion  an  zwei  unendlich  benachbarten  Flächen 
einer  Schar  der  Satz  gewonnen:  ,Pour  qu'une  famille  de  surfaces  puisse 
faire  partie  d'un  systememe  orthogonal,  il  faut  et  il  suffit,  qu'elle 
remplisse  les  conditions  suivantes",  deren  sich  eben  Cayley  bediente. 
So  groß  aber  auch  die  sonstigen  Verdienste  Levys  sind,  der  sich  vielfach 
mit  denselben  Problemen  wie  Darboux  beschäftigte,  die  Priorität  bleibt 
auch  hier  dem  letzteren  gewahrt. 


44  Nekrologe 

willkürliche  Funktion  von  einer  Yariabeln  und  dem  Differential- 
quotienten derselben  enthalten,')  z.  B.  Paraboloide  von  der  Form 

1 =  2x  A-  a  log u 

a-\-u         a — u  ° 

sind.  Im  Zusammenhang  mit  diesen  Arbeiten  beschäftigt  ihn 
wiederholt  das  Problem  der  sphärischen  Abbildung,  alle 
Flächen  zu  finden,  für  die  das  sphärische  Bild  der  Krümm ungs- 
linien  ein  auf  der  Kugel  gegebenes  Orthogonalsystem  ist. 
In  den  C.  R.  96,  S.  366  wird  dasselbe  auf  die  Lösung  der 
Laplaceschen  Differentialgleichung 

dadß   ~   yx    dadß 

wo  X  bekannt  ist,  zurückgeführt,  und  es  zeigt  wie  sich  aus 
einer  Lösung  derselben  eine  unbegrenzte  Zahl  neuer  finden  läßt. 

Bald  nach  1880  nehmen  die  Untersuchungen  von  Darboux 
eine  etwas  andere  Richtung  an.  Die  schöne  Entdeckung  des 
italienischen  Mathematikers  L.  Bianchi  (Math.  Annalen  XVI, 
S.  577,  1879)  aus  jeder  Fläche  konstanter  negativer  Krümmung 
00  ^  neue  von  derselben  Krümmung  zu  gewinnen,  in  dem  man 
den  zweiten  Brennmantel  der  aus  den  Tangenten  eines  Systems 
paralleler,  d.  h.  von  einem  unendlich  fernen  Punkte  der  Fläche 
ausgehender  geodätischer  Linien  gebildeten  Kongruenz  bestimmt 
und  die  daran  anschließende  Bemerkung  von  S.  Lie,  daß  man 
auf  diesem  Wege  Flächen  konstanter  negativer  Krümmung 
mit  beliebig  vielen  Parametern  durch  Quadratur  finden  kann, 
veranlaßte  weitere  Bemühungen  um  das  bis  dahin  so  spröde 
Problem  der  Flächen  konstanter  Krümmung,  welches  durch 
F.  Klein's  und  E.  Beltrami's  Arbeiten  über  Nicht-Enklidische 
Geometrie  so  viel  Interesse  erregten. 

Andererseits  hatte  Darboux  von  1882  —  1885  eine  große 
Vorlesung  über  Flächentheorie  an  der  Sorbonne  gehalten,  mit 
dem    hauptsächlichen    Zwecke,    dabei   neue   Anwendungen    für 


I 
I 


M  Merkwürdigerweise   enthält   das  Resultat  gerade  das  confocale 
System  der  i\  nicht. 


Darboux  45 

die  Integration  partieller  Differentialgleichungen  zweiter  Ord- 
nung geben  zu  können.  Damit  beginnt  denn  nun  das  Stu- 
dium der  Deformation  der  Flächen;  dem  die  weiteren 
Arbeiten  von  Darboux  zum  großen  Teil  gewidmet  sind.  Eines 
der  hervorragendsten  Resultate  bringt  bereits  der  dritte  Band 
der  Le9ons  sur  la  th^orie  generale  des  surfaces,  S.  362,  näm- 
lich die  Bestimmung  aller  Flächen,  welche  zum  Rotations- 
paraboloid  isometrisch  sind.  So  elegant  auch  hier  schon 
die  Darstellung  geworden  ist,  hat  doch  Darboux  später 
(Bull.  2,  XXIX,  S.  109,  1905)  sie  noch  einmal  in  vereinfachter 
Gestalt  behandelt,  um  die  vollständige  Flächengruppe  zu  er- 
halten, welche  reell  auf  den  reellen  Teil  des  Paraboloides 

x^  -\-  y^  =  Akz 

, abwickelbar"  ist,  während  sich  zugleich  auch  die  zu  den  ima- 
ginären Teilen  dieser  Fläche  isometrischen  Flächen  ergeben. 
Insbesondere  findet  er  dabei  auch  zwei  unicursale  Flächen 
12.  Ordnung,  10.  Klasse  und  veranlagte  E.  Estanave,  dieselben 
zu  modellieren  und  ihre  Herstellung  eingehend  zu  erläutern 
(Bull.  a.  a.  0.  S.  246). 

Doch  wir  haben  damit  dem  Inhalt  des  vierbändigen  großen 
in  den  Jahren  1887 — 96  veröffentlichten  Hauptwerkes  von 
Darboux,  den  Le^ons  sur  la  theorie  generale  des  sur- 
faces bereits  vorgegriffen.  Diese  Le9ons  geben  eine  voll- 
ständige Einsicht  in  den  bis  zu  dieser  Zeit  erreichten  Zustand 
der  Differentialgeometrie  der  Kurven  und  Flächen.  Aber  auch 
da,  wo  Darboux  bereits  bekanntes  mitteilt,  weiß  er  immer 
überraschende  neue  Wege  zu  gehen,  so  die  Darstellung  aus 
einem  Gusse  gestaltend.  Man  weiß  in  der  Tat  nicht,  was 
man  mehr  bewundern  soll,  die  außerordentliche  Klarheit  und 
Schönheit  der  Exposition  oder  die  Vielseitigkeit  und  Tragweite 
der  Methoden,  durch  die  es  gelingt,  oft  schwierige  Fragen 
wie  spielend  zu  erledigen.  Das  Werk  scheint,  wie  Julius 
Weingarten,  der  um  die  Deformationslehre  der  Flächen  so 
hoch  verdiente  deutsche  Mathematiker  sagt,  „bestimmt,  auf 
lange  Zeit  hinaus  die  Schritte  der  Geometer  zu  leiten". 


46  Nekrologe 

Der  formalen  Darstellung  liegt  ein  kinematischer  Gesichts- 
punkt zu  Grunde,  der  sich  namentlich  bei  den  Untersuchungen 
des  dritten  und  vierten  Bandes  über  geodätische  Linien  und 
das  Rollen  einer  Fläche  auf  einer  anderen  als  fruchtbar  erwies, 
durch  den  Darboux  die  Mängel,  welche  der  Verwendung 
eines  willkürlichen  kartesischen  Koordinatensystems  wegen 
seines  fehlenden  Zusammenhangs  mit  dem  zu  betrachtenden 
Objekte  anhaften,  zu  beseitigen  beabsichtigte.  Doch  mag  hier 
hervorgehoben  werden,  daß  durch  die  Arbeiten  des  italieni- 
schen Mathematikers  E.  Cesäro  während  derselben  Zeit  und 
dessen  1896  erschienenen  Lezioni  di  geometria  intrinseca 
(deutsch  von  G.  Kowalewski,  1901)  diese  Frage  eine  viel- 
leicht noch  eingreifendere  Umbildung  erhalten  hat. 

Indessen  dürfen  wir  es  uns  nicht  versagen,  einiges  aus 
dem  reichen  Inhalt  der  Le9ons  hier  anzuführen.  Gleich  im 
ersten  Bande  befindet  sich  eine  ausgezeichnet  schöne  Dar- 
stellung der  homogenen  Punkt-  und  Ebenenkoordinaten  in 
der  Theorie  der  konjugierten  Kurven  (insbesondere  der  Krüm- 
mungslinien und  der  sich  selbst  konjugierten  Haupttangenten- 
oder asymptotischen  Kurven)  auf  der  Fläche  in  Verbindung 
mit  der  Laplac eschen  linearen  D^  =  o 


dudv     '         aw    '         3t;    '  ' 


deren  Betrachtung  dem  ganzen  Werke  ein  so  charakteristisches 
Gepräge  verleiht.  Daran  schließt  sich  das  System  der  penta- 
sphärischen  Koordinaten  und  seine  Verwendung  zur  Bestim- 
mung dreifacher  Orthogonalsysteme,  insbesondere  solcher,  die 
mit  Darboux'  Untersuchungen  über  Cykliden,  über  die  bereits 
S.  41  berichtet  wurde,  zusammenhängen,  sowie  die  Liesche 
Transformation  des  Linienraums  in  den  von  sämtlichen  Kugeln 
gebildeten,  bei  denen  die  Kurven  der  Haupttangenten  in  Krüm- 
mungslinien übergehen,  eine  Entdeckung  seines  Freundes,  der 
Darboux  einen  besonders  hohen  Wert  beilegte.  Der  übrige 
Teil  des  ersten  Buches  ist  hauptsächlich  der  Theorie  der 
Minimalflächen  gewidmet,  welche  durch  Lie's  überraschend 


4 


Darboux  47 

einfache  Konstruktion  derselben  durch  Translation  einer  Mi- 
nimalkurve längs  einer  andern  eine  so  großartige  synthetische 
und  analytische  Ausbildung  erhalten  hatte.  Auch  hier  wird 
man  überall  neues  finden;  so  wird  namentlich  das  Problem, 
alle  algebraischen  Minimalflächen  zu  bestimmen,  die  einer 
gegebenen  algebraischen  Developpabeln  eingeschrieben 
sind,  allgemein  gelöst,  während  Lie  selbst  dabei  noch  eine 
partikuläre  Lösung  als  bekannt  vorauszusetzen  sich  genötigt 
gesehen  hatte. 

Der  zweite  Band  ist  fast  ganz  der  Theorie  der  schon 
erwähnten  hyperbolischen  Dg  =  o  gewidmet.  Laplace  hatte 
bereits  1773  (Oeuvres,  IX,  S.  1)  mit  kühnem  Vorstoß  die  Form 
der  Lösungen  mit  Hilfe  der  von  ihm  eingeführten  Kaskaden- 
methode und  für  die  daran  sich  knüpfenden  Hauptfragen  nach 
der  Möglichkeit,  durch  endliche  Ausdrücke  die  Lösungen  zu 
erhalten,  die  Grundzüge  entwickelt.  Aber  Darboux  blieb  es 
vorbehalten,  diese  Methode  der  Kaskaden  durch  die  geometri- 
sche Theorie  der  Kurvenkongruenzen  völlig  durchsichtig  zu 
machen,  in  den  beiden  Invarianten  h  und  h  der  Gleichung, 
deren  Werte  er  mit  großem  Geschick  durch  alle  Transfor- 
mationen der  Gleichung  zu  verfolgen  versteht,  die  wesentlichen 
Funktionen  zu  erkennen  und  so  in  den  Fällen,  wo  überhaupt 
endliche  Lösungen  möglich  sind,  also  für  eine  der  transfor- 
mierten Gleichung  eine  Invariante  verschwindet,  in  expliziter 
Form  diese  Lösungen  zu  ermitteln.  Sie  geben  nun  zu  mannig- 
faltigen Anwendungen  auf  geometrische  Probleme  Veranlassung, 
insbesondere  für  den  Fall  gleicher  Invarianten.^) 

Der  dritte  Band  enthält  zunächst  in  großartiger  Voll- 
ständigkeit die  Theorie  der  geodätischen  Linien  und  der  Linien 
konstanter  geodätischer  Krümmung,  welche  Darboux  in  Ab- 
weichung von  einem  durch  Gauß  in  den  Disquisitiones  einge- 
führtem  Ausdruck    als    geodätische  Kreise   bezeichnet.     Es 


')  In  diesem  Buche  hat  Darboux  die  wichtigen  Arbeiten  seines 
Schwiegervaters  Th.  Moutard  über  die  Laplacesche  1)2  =  0,  welche 
1870  in  den  Wirren  der  Commune  vernichtet  und  nur  als  kurze  An- 
zeigen in  den  C.  R.  vorhanden  waren,  der  Vergessenheit  entrissen. 


48  Nekrologe 

sei  liier  noch  daran  erinnert,  daß  er  schon  im  Jahre  1870  in 
den  Annales  de  l'Ecole  Normale  VII,  S.  175  auf  weitere  Ver-r: 
allgemeinerungen  des  Begriffes  der  geodätischen  Linien  hin- 
gewiesen hatte. 

Dann  wendet  sich  Darboux  zu  der  Theorie  der  Flächen 
konstanter  negativer  Krümmung,  von  denen  schon  oben 
(S.  44)  die  Rede  war.  Hier  werden  die  Transformationen  von 
Bianchi,  Lie  und  die  ganz  unabhängig  davon  entstandene 
des  schwedischen  Mathematikers  A.  V.  Bäcklund  im  Zusam- 
menhang mit  A.  Ribaucours  Untersuchungen  über  cyklische 
Systeme  dargelegt,  welche  gestatten  aus  einer  Fläche  dieser 
Art  solche  mit  beliebig  vielen  Parametern  zu  erhalten.  Be- 
kanntlich handelt  es  sich  bei  der  Bestimmung  dieser  Flächen 
um  die  Integration  der  Gleichung 

^  =  sm  2  CO. 

dadß 

Aber  indem  Darboux  an  Stelle  von  Lies  Transformation 
die  Gleichungen  ansetzt 

d{e-\-co) 


I 


da 


=  a  sin  ((9—  co) 


3(0— a>)         1    .      „   ,       , 

o/?        =-sin(04-ft>\ 
dp  a 

deren  IntegratilitUtsbedingung  wegen  der  voranstehenden  er- 
füllt ist  und  für  S  wieder  dieselbe  Gleichung  wie  für  (o 
liefert,  wird  seine  Darstellung  ganz  besonders  einfach.  Er 
kann  sogar  zeigen,  daß  falls  man  zwei  Riccatische  Gleichungen 
vollständig  integriert  hat,  die  Fortsetzung  der  Bianchischen 
Transformation,  welche  bei  Lie  noch  beliebig  viele  Quadra- 
turen erforderte,  nur  auf  algebraische  Rechnungen  hinausläuft. 
Der  1895/96  erschienene  vierte  Band  betrifft  zunächst 
die  infinitesimale  Deformation  der  Flächen,  d.  h.  die 
Lösung  der  totalen  Differentialgleichung 

dx  dx^  -\-  dy  dy^  -f-  ^■^  <^f'^i  =  o 
in  der  x,  y,  z  gegebene  Funktionen  von  zwei  Parametern  sind» 
mit  der  Darboux  sich  ebenfalls  schon  1872  beschäftigt  hatte, 


Darboux  -iö 

und  die  inzwischen  (1886)  durch  J.  Weingarten  (J.  f.  Mathe- 
matik C,  S.  296)  auf  eine  partielle  D^=o  bei  Gelegenheit 
einer  anderen  Frage  reduziert  war.  Darboux  entwickelt  hier 
nun  seine  eigene  höchst  elegante  Lösung,  die  unter  Verwendung 
der  Haupttangentenparameter  sich  wieder  auf  die  der  Laplace- 
schen  Gleichung  mit  gleichen  Invarianten 

/CJS 


dadß 

reduziert.  Daran  schließt  sich  das  interessante  Kapitel  von 
der  merkwürdigen  Gruppe  der  12  Flächen  und  der  Beweis, 
daß  mit  der  Lösung  des  metrischen  Problems  der  infinitesi- 
malen Deformation  für  eine  gegebene  Fläche  zugleich  die  für 
jede  aus  ihr  durch  KoUineation  und  Reziprozität  erzeugte  (so 
auch  noch  für  die  von  Darboux  als  „inversion  composde"  be- 
zeichnete Transformation)  geliefert  ist.  Im  weiteren  Verlaufe 
wird  das  Gaußsche  Deformationsproblem  zu  dem  Abrollen 
einer  Fläche  auf  einer  anderen  in  Beziehung  gesetzt  und 
im  Zusammenhang  mit  den  Untersuchungen  von  A.  Ribaucour 
über  cyklische  Systeme  zu  einer  neuen  Bestimmung  der  auf 
eine  gegebene  Fläche  „abwickelbaren"  Flächen  verwendet. 
Auch  das  Problem  der  sphärischen  Abbildung  wird  wieder 
aufgenommen,  insbesondere  in  einem  Falle  explizit  vollständig 
gelöst.  Endlich  (S.  282)  werden  die  dreifach  konjugierten 
Systeme,  die  Darboux  schon  als  Verallgemeinerung  der 
Lame-Systeme  in  den  Ann.  Ecole  Norm.  1878  betrachtet 
hatte,  bei  denen  jede  Fläche  von  den  beiden  anderen  nach 
Kurven  mit  konjugierten  Tangenten  geschnitten  wird,  unter- 
sucht, nebst  vielen  anderen  Anwendungen,  auf  die  hier  nicht 
eingegangen  werden  kann. 

Nur  ganz  kurz  können  wir  ebenfalls  auf  ein  weiteres 
Werk  von  Darboux  eingehen,  das  schon  zwei  Jahre  nach 
der  Vollendung  der  Le9ons  erschien,  die  Le9ons  sur  les 
systemes  orthogonaux  et  les  coordonnees  curvilignes 
(1898).  Dasselbe  enthält  vorzugsweise  die  Verallgemeinerung 
der  Lame-Systeme  für  w- Variable   nebst  vielen  neuen  Unter- 

Jahrbuch  1917.  4 


50  i^ekrologe 


I 


suchungen  über  solche  Systeme,  die  zugleich  isotherm  sind, 
sowie  die  von  L.  Bianchi  zuerst  behandelten  dreifachen  Orth( 
gonalsysteme,  bei  denen  eine  Schar  aus  Flächen  konstantel 
Krümmung  besteht.  Der  zweite  Band  des  Werkes,  wahrscheinJ 
lieh  für  noch  allgemeinere  Untersuchungen  über  Lame-Systemi 
in  nicht -euklidischen  Räumen  bestimmt,  ist  nicht  mehr  ei 
schienen,  statt  dessen  aber  1910  eine  zweite  Auflage  des  ersten* 
für  deren  Inhalt  auf  das  ausführliche  Referat  im  Band  41  des 
Jahrbuches  über  die  Fortschritte  der  Mathematik  hier  ven 
wiesen  sein  möge. 

Während  die  Theorie  der  Flächen  von  konstanter  negativer 
Krümmung  so  große  Fortschritte  gemacht  hatte,  war  die  der 
Flächen  konstanter  positiver  Krümmung  zeitweilig  in  den  Hinter- 
grund getreten.  Da  zeigte  C.  Guichard  1899,  daß  die  „Bie- 
gungsdeformationen"  der  Rotationsflächen  zweiten  Grades, 
insbesondere  des  Rotationsellipsoides,  des  Rotationsparaboloides, 
sowie  auch  des  Paraboloides,  von  dem  eine  Erzeugende  den 
Imaginärkreis  berührt,  von  der  Ermittelung  von  Flächen  kon- 
stanter positiver  Krümmung  abhängig  gemacht  werden  können. 
Guichards  Untersuchungen  knüpfen  ebenfalls  an  das  Rollen 
einer  Rotations- jPg  auf  einer  ihrer  Biegungsflächen  JB  an.  Das 
Rollen  ist  auf  zwei  Arten  möglich,  je  nachdem  es  auf  der 
einen  oder  anderen  Seite  von  B  geschieht.  Bei  jeder  dieser 
Lagen  hat  die  F^  zwei  Brennpunkte,  bei  der  ersten  Lage  F^ 
und  jFg,  bei  der  zweiten,  die  zu  diesen  in  Bezug  auf  die  Be- 
rührungsebene symmetrischen  f^  und  f^.  Die  vier  Flächen  (Fj), 
(F^),  (/",),  {Q  haben  konstante  mittlere  Krümmung  und 
die  Flächen,  welche  von  den  Mitten  der  kreuzweisen  Verbin- 
dungslinien F^f^,  F^f^  beschrieben  werden,  konstante  positive 
Krümmung.  Und  der  Schnittpunkt  der  Berührungsebene  der 
Flächen  F^  und  B  mit  der  Axe  der  ersteren  beschreibt  dann 
eine  zweite  Biegungsdeformation  der  F^  (C.  R.  C.  XXVIII,  1899). 

Durch  diese  Sätze  richtete  sich  nun  das  Interesse  auf  die 
Deformation  der  Flächen  zweiten  Grades,  d.  h.  auf  die 
Möglichkeit,  aus  einer  bekannten  Biegungsdeformation  der- 
selben beliebig  viele  andere  herzuleiten.    Sie  veranlaßten  dann 


DarbouX  5l 

Bianclii,  in  ganz  selbständiger  Weise  mittels  seiner  Aus- 
bildung der  Bäcklundschen  Transformation  systematisch  die 
Biegungsdeformation  der  Rotations  - -Fg  ^^  Zusammenhang  mit 
den  Deformationen  der  Kugel  zu  behandeln.  Den  Guichard- 
schen  Untersuchungen  gegenüber  aber  konnte  Darboux  zeigen 
(Ann.  Ecole  Norm.  3,  XVI,  S.  465,  1899),  daß  seine  in  den 
Le9ons  entwickelte  Methode  der  rollenden  Bewegung  nicht 
allein  die  Ermittelung  beliebig  vieler  solcher  Deformationen 
für  die  Rotations-2^2  leistet,  sondern  auch  für  die  allgemeine 
F^,  die  nur  in  einem  Punkte  den  Imaginärkreis  berührt.  Und 
so  erstrecken  sich  seine  Untersuchungen  schließlich  auf  die 
allgemeinste  Fläche  zweiten  Grades,  bei  denen  das  Defor- 
mationsproblem sich  von  gewissen  isothermen  Flächen  als  ab- 
hängig erweist,  deren  Differentialgleichung  noch  schwieriger 
zu  behandeln  ist,   als  die  der  Flächen  konstanter  Krümmung. 


Als  Sekretär  der  Pariser  Akademie  hat  Darboux  eine 
ganze  Reihe  von  Reden  zum  Gedächtnis  der  aus  dem  Leben 
geschiedenen  französischen  Mathematiker  M.  Chasles,  J.  Ber- 
trand, A.  Serret,  P.  Serret,  A.  Mannheim,  etc.,  auch  über 
seinen  Freund  S.  Lie  gehalten.  Namentlich  aber  haben  wir 
noch  zweier  Vorträge  allgemeinen  Inhaltes  zu  gedenken, 
die  im  Bulletin  veröffentlicht  sind.  Der  erste,  Etüde  sur  le 
developpement  des  m^thodes  geometriques,  „gelesen"  am 
24.  September  1904  in  St.  Louis,  beginnt  mit  der  Schilderung 
der  Mongeschen  Schule  und  deren  Hauptträgern,  Hachette, 
Brianchon,  Dupin,  Malus,  Poncelet,  Chasles,  von  denen  Pon- 
celet  wegen  seiner  im  Zusammenhange  mit  Gergonne  ent- 
standenen Einführung  der  dualistischen  Transformation  und 
den  unbeschränkten  Verwendung  des  Imaginären,  das  in 
Monges  Arbeiten  doch  nur  gelegentlich  aufgetreten,  besonders 
hervorgehoben  wird.  Mit  hoher  Anerkennung  aber  verbreitet 
Darboux  sich  über  die  Verdienste  der  deutschen  Mathematiker 
J.  Steiner,  A.  F.  Möbius,  J.  Plücker,  H.  G.  Graßmann, 
Chr.  von  Staudt.     Plücker,    der  Erfinder   der  Methode    der 

4* 


ö2  Nekrologe 

abgekürzten  Bezeichnung  und  der  homogenen  Koordinaten, 
durch  welche  die  projektiven  und  reziproken  Verwandschaften, 
die  Poncelet  seinem  Tratte  des  proprietes  projectives  zu  Grunde 
gelegt  hatte,  auch  analytisch  zu  beherrschen  vermögen,  wäh- 
rend Chasles  und  Steiner  an  Stelle  der  Analyse  die  Synthese 
setzen  wollten,*)  die  allerdings  unter  den  Händen  von  Chasles 
sowohl  die  Potentialtheorie  als  die  der  geodätischen  Linien 
der  Flächen  zweiten  Grades  zu  beherrschen  vermag,  erscheint 
ihm  als  der  Begründer  derjenigen  Darstellungsform,  welche 
Darboux  selbst  zu  der  seinigen  gemacht  hatte.  Seinem  Ein- 
flüsse schreibt  er  die  großartige  Entwicklung  der  Geometrie 
zu,  welche  mit  0.  Hesse  beginnend,  unter  dem  Zusammen- 
wirken der  Invariantentheorie  Cayleys  und  Sylvesters  ihren 
Höhepunkt  unter  den  Arbeiten  von  G.  Salmon,  S.  Aron- 
hold,  A.  Clebsch,  P.  Gordan,  L.  Cremona  erreicht,  wäh- 
rend Plücker  noch  in  seinen  letzten  Lebensjahren  ein  neues 
Gebiet  der  mathematischen  Analyse  eröffnet,  die  Liniengeo- 
metrie, durch  welche  das  Dualitätsprinzip  im  Raum  und  über- 
haupt die  Verwendung  mehrfacher  Mannigfaltigkeiten  zum  wirk- 
samsten Ausdruck  gelangte.  Auch  von  Staudts  Bedeutung*) 
wird  gewürdigt  in  der  Rede,  von  deren  Inhalt  wir  einiges^) 
mitgeteilt  haben,  um  zu  zeigen,  mit  wie  weitem  vorurteils- 
freiem Blick  Darboux  (ganz  anders  wie  sein  Vorgänger 
Chasles)  auch  namentlich  die  deutsche  Mathematik  anerkannte. 
Die  zweite  Rede,  Les  origines  des  methodes  et  les  problemes 
de  la  geom^trie  infinitesimale,  welche  Darboux  am  7.  April 
1908  auf  dem  vierten  Mathematiker- Kongreß  zu  Rom  hielt 
(Bull.  2,  XXXII,  1908)  trägt  in  ihrem  zweiten  Teil  einen  weit 
persönlicheren  Charakter.  Es  ist  als  ob  der  66  jährige  Dar- 
boux sein  eigenes  ganzes  Leben  an  der  Hand  der  Differential- 


*)  Übrigens  tritt  auch  bei  Steiner  in  seinen  Extremum- Arbeiten 
die  Absicht  hervor,  die  Variationsprobleme  synthetisch  zu  behandeln 
und  damit  die  antiken  Methoden  wieder  aufzunehmen.  .^Hl 

2)  Vgl.  Seite  28.  ^| 

^)  Der  übrige  Teil  des  Vortrages  bezieht  sich  auf  die  Entwicklung 
der  Geometrie  mit  Hilfe  der  Analysis. 


^ma 


Darboux,  Helmert  53 

geometrie  vorüberziehen  sieht.  Am  Schlüsse  der  ersten  Rede 
zeichnet  er  aber  schon  das  Ideal  des  Geometers,  als  dessen 
glänzendes  Beispiel  er  selbst  zu  betrachten  ist,  mit  den  Worten : 
,Le  mathematicien  n'est  nullement  une  machine  ä  deduire  et 
calculer.  Ses  travaux  raettent  en  jeu  toutes  les  facultes  de 
son  esprit:  la  finesse,  Fesprit  d'invention,  l'imagination  lui 
sont  peut-etre  plus  näcessaires  que  Tordre  et  la  rectitude  de 
son  raisonnement".  Aurel  Voss, 

Am  15.  Juni  verstarb  zu  Potsdam  an  den  Folgen  eines 
Schlaganfalles  in  seinem  74.  Lebensjahr  der  Geheime  Ober- 
regierungsrat Dr.  phil.  Dr.  ing.  h.  c.  Friedrich  Robert  Helmert, 
o.  Professor  der  höheren  Geodäsie  an  der  Universität  Berlin, 
Direktor  des  K.  Preußischen  Geodätischen  Instituts  und  des 
Zentralbureaus  der  Internationalen  Erdmessung,  Mitglied  der 
K.  Akademie  der  Wissenschaften  in  Berlin  und  korrespondie- 
rendes Mitglied  der  mathematisch -physikalischen  Klasse  der 
K.  Bayerischen  Akademie  der  Wissenschaften  in  München. 

Er  ist  1843  zu  Freiberg  in  Sachsen  geboren,  besuchte 
zunächst  die  Bürgerschule  seiner  Vaterstadt  und  die  St.  Anna- 
realschule in  Dresden,  die  er  Ostern  1859  mit  Hauptnote  I 
absolvierte. 

Er  widmete  sich  sodann  dem  Studium  der  Bauingenieur- 
wissenschaften an  der  polytechnischen  Schule  in  Dresden  und 
stand  hier  als  Assistent  unter  dem  anregenden  Einfluß  des 
Professors  der  Geodäsie  A.  Nagel,  der  1862  zum  sächsischen 
Kommissär  für  die  von  General  Baeyer  begründete  mitteleuro* 
päische  Gradmessung  ernannt  worden  war  und  später  mit  be- 
wunderungswürdiger Genauigkeit  die  Triangulation  I.  Ordnung 
des  Königreichs  Sachsen  durchführte  und  bearbeitete. 

Von  1866  bis  1868  besuchte  Helmert  die  Universität 
Leipzig  und  erwarb  daselbst  den  akademischen  Doktorgrad  in 
der  philosophischen  Fakultät  auf  Grund  einer  Abhandlung 
„Studien  über  rationelle  Vermessungen  im  Gebiete  der  höheren 
Geodäsie",  in  welcher  er  insbesondere  die  günstigsten  Bedin- 
gungen dafür  ermittelte,  wie  man  die  Form  von  Dreiecksnetzen 


54  Nekrologe 

am  zweckmäßigsten  gestalten  müsse,  um  einen  bestimmten  Ge- 
nauigkeitsgrad einer  Triangulierung  mit  dem  geringsten  Arbeits- 
aufwand zu  erreichen.  Zur  Darstellung  des  mittleren  Fehlers 
einer  Punktbestimmung  benützte  hiebei  Helmert  die  Fehler- 
ellipse, deren  Theorie  er  aus  dem  Gaußschen  Fehlergesetz  ab- 
leitete. 

Vom  Februar  1869  bis  August  1870  war  Helmert  als 
Observator  an  der  Sternwarte  in  Hamburg  tätig,  wo  er  eine 
im  Jahre  1874  im  Druck  erschienene  Arbeit  über  den  Stern- 
haufen im  Sternbild  des  Sobieskischen  Schildes  ausführte. 

Im  Jahre  1870  wurde  er  als  ordentlicher  Lehrer  der 
Geodäsie  an  die  neue,  später  in  eine  Hochschule  umgewandelte, 
polytechnische  Schule  in  Aachen  berufen,  wo  er  seine  zahl- 
reichen aus  Studierenden  des  Bauingenieurfaches  bestehenden 
Zuhörer  in  die  Grundlehren  der  Vermessungskunde  einzuführen 
hatte.  Hier  machte  er  sich  besonders  durch  neue  Anwendungen 
der  Methode  der  kleinsten  Quadrate  auf  die  Lösung  von  Auf- 
gaben der  Meßkunde  verdient  und  behandelte  in  seinen  Vor- 
lesungen die  Hauptformen  der  Ausgleichungsrechnung  für  di- 
rekte, vermittelnde  und  bedingte  Beobachtungen,  die  er  durch 
Einführung  des  Begriffs  der  Äquivalenz  erweiterte  und  in  ihrer 
Anwendung  auf  die  Theorie  der  Triangulation  durchsichtiger 
gestaltete.  Für  die  Eigenschaften  der  Fehlerellipse  fand  er 
eine  neue,  die  Auffassung  erleichternde  Darstellung  und  über- 
gab bereits  1872  die  wertvollen  Ergebnisse  seiner  Unter- 
suchungen der  Öffentlichkeit  in  einem  dem  Bedürfnis  des  Un- 
terrichts an  den  Technischen  Hochschulen  angepaßten  und 
heute  noch  viel  benützten  Lehrbuch  „Die  Ausgleichungs- 
rechnung nach  der  Methode  der  kleinsten  Quadrate  mit  An- 
wendungen auf  die  Geodäsie  und  die  Theorie  der  Meßinstru- 
mente", das  im  Jahre  1907  eine  erweiterte  Neuauflage  erfuhr. 

Während  seiner  Lehrtätigkeit  in  Aachen  veröffentlichte 
Helmert  eine  große  Zahl  wissenschaftlicher  Arbeiten  und 
Bücherbesprechungen  aus  dem  Gebiete  der  Geodäsie,  die  in 
den  Zeitschriften  für  Vermessungswesen,  für  Mathematik  und 
Physik  und  in  den  Astronomischen  Nachrichten  erschienen. 


I 


Helmert  55 

Die  Jahre  1880  und  1884  brachten  sodann  die  beiden 
Teile  seines  Hauptwerkes  „Die  mathematischen  und  physika- 
lischen Theorien  der  höheren  Geodäsie",  in  welchen  die  mathe- 
matisch-physikalischen Grundlagen  der  Landesvermessungs-  und 
Erdmessungsarbeiten  dargestellt  sind.  Die  Anwendung  der 
Potentialtheorie  und  die  Bezugnahme  auf  die  Resultate  der 
theoretischen  Astronomie,  welche  in  gleich  fruchtbringender 
Weise  vorher  in  der  Geodäsie  nicht  üblich  war,  stempeln  dieses 
Werk  zu  einer  Leistung  ersten  Ranges,  das  in  der  neuen  Geo- 
däsie seinesgleichen  bisher  nicht  gefunden  hat. 

Nach  dem  Tode  General  Baeyers  1885  wurde  Helmert 
vom  1.  Januar  1886  an  zum  Leiter  des  K.  Preußischen  Geo- 
dätischen Instituts  in  Berlin  bestellt  und  am  Ende  dieses  Jahres 
durch  Beschluß  der  in  Berlin  abgehaltenen  VHL  Generalkon- 
ferenz der  zur  internationalen  Erdmessung  erweiterten  Euro- 
päischen Gradmessung  zum  Direktor  des  mit  dem  Geodätischen 
Institut  verbundenen  Zentralbureaus  dieses  Unternehmens  be- 
rufen. Im  gleichen  Jahre  war  an  der  Universität  Berlin  eine 
neue  Professur  für  höhere  Geodäsie  errichtet  worden,  welche 
Helmert  übertragen  wurde,  der  nunmehr  von  Aachen  an 
die  Stätte  seines  neuen  Wirkungskreises  in  Berlin  über- 
siedelte. 

Der  Berliner  Erdmessungskonferenz  im  Jahre  1886  unter- 
breitete Helmert  einen  allgemeinen  Arbeitsplan  für  die  Durch- 
führung der  künftigen  Arbeiten  des  Zentralbureaus  und  ein 
von  ihm  erdachtes  vereinfachtes  Verfahren  zur  numerischen 
Berechnung  der  Lotabweichungen,  welches  er  in  einem  der  Kon- 
ferenz gewidmeten  I.  Heft  dargelegt  hatte,  das  außer  den  all- 
gemeinen Grundlagen  auch  die  Ableitung  der  erforderlichen 
Berechnungsformeln  enthält. 

Eine  der  ersten  Sorgen  des  neuen  Institutsleiters  war  die 
Erbauung  eines  mit  allen  Erfordernissen  ausgestatteten  Dienst- 
gebäudes auf  dem  Gelände  des  astrophysikalischen  Observa- 
toriums auf  dem  Telegraphenberge  bei  Potsdam.  Dasselbe  war 
dazu  bestimmt,  der  Ausführung  aller  theoretischen,  rechnerischen 
und  experimentellen  Untersuchungen  zu  dienen,  welche  die  Er- 


56  Nekrologe 

forschung  der  Gestaltung  des  Erdkörpers  und  die  geodätische' 
Aufnahme  des  Landes  fördern  können.  Das  neue  Instituts- 
gebäude mit  seinen  den  verschiedensten  Beobachtungszwecken 
dienenden  inneren  Einrichtungen  war  im  Frühjahr  1892  so- 
weit fertig  gestellt,  daß  seine  Arbeitsräume  bezogen  werden 
konnten. 

Eine  Beschreibung  seiner  Entstehungsgeschichte  und  seiner 
Einrichtung  hat  Helmert  in  einer  1890  erschienenen  Sonder- 
schrift veröffentlicht.  Der  beigegebene  Atlas  enthält  auf 
16  Tafeln  Pläne,  Grundriß-  und  Durchschnittszeichnungen 
des  Hauptgebäudes  und  der  einzelnen  Observatorien,  die  für 
die  Ausführung  geodätisch-astronomischer  Beobachtungen,  für 
die  Vergleichung  von  Basisapparaten,  für  die  Prüfung  von 
Pendelapparaten  und  zur  Untersuchung  aller  für  Erdmessungs- 
zwecke  erforderlichen  Meßinstrumente  gebraucht  werden. 

Eine  Übersicht  der  im  Institut  von  ihm  selbst,  sowie 
durch  die  im  Institut  tätigen  wissenschaftlichen  Mitarbeiter 
und  Hilfskräfte  ausgeführten  Arbeiten  veröffentlichte  Helmert 
in  einer  fortlaufenden  Reihe  von  Jahresberichten,  welche  auch 
Angaben  über  die  alljährlich  erschienenen  Druckschriften  des 
Instituts  und  des  Zentralbureaus  nebst  dem  Arbeitsplan  füijS! 
die  Arbeiten  des  folgenden  Jahres  enthalten.  ■^' 

In  den  letzten  Jahren  umfaßten  diese  Arbeiten  besonders 
die  Berechnungen  für  das  europäische  Lotabweichungssystem, 
die  Zusammenstellung  und  Auswertung  der  Beobachtungen  des 
internationalen  Breitendienstes,  welcher  eine  fortgesetzte  Ver- 
folgung der  Veränderungen  in  der  Lage  des  Erdpoles  bezweckt, 
die  Sammlung  und  weitere  Bearbeitung  des  auf  den  Schwere- 
stationen aller  Erdteile  gewonnenen  Beobachtungsmaterials, 
deren  Anzahl  auf  dem  Festland  allein  gegenwärtig  bereits  3000 
überschreitet,  sowie  die  Beobachtungen  zur  Bestimmung  der 
Bewegung  des  Lotes  unter  dem  Einfluß  von  Mond  und  Sonne. 

Helmert  hat  das  Geodätische  Institut  nicht  nur  auf  seiner 
früheren  wissenschaftlichen  Höhe  erhalten,  sondern  es  zu  neuer 
Blüte  gebracht  und  auch  das  Zentralbureau  zum  wissenschaft- 
lichen Mittelpunkt  der  ganzen  internationalen  Erdmessung  er- 


Helmert  57 

hoben.  Unter  seiner  persönlichen  Leitung  sind  neue  Beob- 
achtungs-  und  Berechnungsmethoden  ausgearbeitet  worden,  die 
in  allen  an  der  internationalen  Erdmessung  beteiligten  Staaten 
Anwendung  und  Anerkennung  gefunden  haben.  In  der  An- 
wendung dieser  Methoden  ist  eine  große  Anzahl  fremdlän- 
discher Beobachter  im  Institut  ausgebildet  worden,  die  für 
kürzere  oder  längere  Zeit  nach  Potsdam  entsendet  worden 
waren,  um  sich  die  Arbeitsmethoden  des  Instituts  anzueignen 
und  dieselben  bei  den  geodätischen  Arbeiten  ihrer  Heimat- 
länder anzuwenden. 

Im  Jahre  1896  erfolgte  die  Wahl  Helmerts  zum  korre- 
spondierenden Mitglied  der  mathematisch-physikalischen  Klasse 
der  K.  Bayerischen  Akademie  der  Wissenschaften  in  München; 
im  Januar  1900  seine  Ernennung  zum  Mitglied  der  Berliner 
Akademie.  Seitdem  veröffentlichte  er  in  den  Sitzungsberichten 
dieser  Akademie  eine  ganze  Reihe  von  wissenschaftlichen  Ab- 
handlungen, die  sich  auf  das  Studium  der  Geoidfiäche  mit 
Rücksicht  auf  Lotabweichung  und  Lotkrümmung,  auf  die 
Größe  der  Schwerkraft  und  den  Verlauf  der  Schwerestörungen 
auf  Stationen  im  Innern  des  Festlandes,  an  den  Meeresküsten 
und  auf  den  Ozeanen  beziehen,  ferner  auf  die  Reduktion  der 
Schweremessungen  auf  ein  gemeinsames  Niveau,  auf  den  Gleich- 
gewichtszustand der  Erdkruste  und  auf  die  Massenverteilung 
im  Erdkörper.  Die  Ergebnisse  dieser  Untersuchungen  hat 
Helmert  zusammengefaßt  in  einer  im  Jahre  1910  in  Band  VI 
Heft  2  der  Enzyklopädie  der  Mathematischen  Wissenschaften 
veröffentlichten  Abhandlung  „Die  Schwerkraft  und  die  Massen- 
verteilung der  Erde". 

Im  Jahre  1902  wurde  ihm  der  Titel  Dr.  ing.  ehrenhalber 
von  der  Technischen  Hochschule  in  Aachen  verliehen ;  im  Jahre 
1912  erhielt  er  die  große  goldene  Medaille  für  Wissenschaft; 
auch  war  er  Mitglied  des  Zentraldirektoriums  des  Vermessungs- 
wesens im  preußischen  Staat  und  des  Kuratoriums  der  Physi- 
kalisch-Technischen Reichsanstalt. 

Durch  die  überaus  wichtigen  Ergebnisse  seiner  tiefgrün- 
digen   Forschungen    auf  dem   Gebiet    der   Geodäsie    und   Geo- 


58  Nekrologe 

physik  hat  Helmert  wie  kein  Anderer  vor  ihm  die  Wissen- 
schaft bereichert  und  sich  dadurch  unvergängliche  Verdienste 
erworben,  ja  man  kann  sagen,  daß  er  unter  den  Geodäten 
seiner  Zeit  unstreitig  die  erste  Stelle  einnimmt.  Sein  Andenken 
wird  insbesondere  bei  allen  jenen,  die  das  Glück  hatten,  ihm 
auch  persönlich  näher  zu  treten  und  seine  große  Selbstlosig' 
keit,  Bescheidenheit  und  aufopfernde  Gefälligkeit  aus  eigener 
Erfahrung  kennen  zu  lernen,  für  immer  in  der  besten  Er- 
innerung stehen.  Max  Schmidt. 


I 


Am  19.  Februar  1916  starb  Ernst  Mach  in  Haar  bei 
München,  wohin  er  1913  aus  Familienrücksichten  überge- 
siedelt war,  im  Hause  seines  Sohnes.  Im  Jahre  1898  hatte 
ihn  ein  Schlaganfall  getroffen  und  eine  rechtsseitige  Lähmung 
zurückgelassen.  Obwohl  seine  Geisteskraft  ungeschwächt  ge- 
blieben war  und  er  bis  zu  seinem  Tode  an  den  Neuauflagen 
seiner  Werke  arbeiten,  auch  die  Gedanken  anderer  verfolgen 
konnte,  sah  er  sich  schon  1901  veranlaßt,  auf  seine  Lehr- 
kanzel in  Wien  zu  verzichten.  Er  war  Mitglied  des  öster- 
reichischen Herrenhauses  und  übte  sein  Mandat  trotz  seines 
gelähmten  Zustandes  aus. 

Unserer  Akademie  gehört  Mach  seit  1890  als  korrespon- 
dierendes Mitglied  an.  Nach  dem  Rücktritt  von  Jolly  im  Jahre 
1884  bestand  sogar  die  Hoffnung,  ihn  München  noch  enger 
zu  verbinden.  Er  wurde  an  erster  Stelle  für  die  Münchener 
Physik-Professur  vorgeschlagen  und  hatte  den  Ruf  bereits  an- 
genommen. Mach  war  damals  Professor  an  der  Universität 
Prag  und  Vertrauensmann  seiner  deutschen  Volksgenossen, 
insbesondere  bei  den  Verhandlungen  über  die  Zweiteilung  der 
Universität  in  eine  deutsche  und  eine  tschechische  Anstalt. 
Dieser  Umstand  veranlaßte  den  Gewissenhaften,  seine  Zusage 
nach  München  schweren  Herzens  zurückzunehmen  und  auf 
dem  national-gefährdeten  Posten  auszuharren. 

Mach  ist  geboren  am  18.  Februar  1838  zu  Turns  in 
Mähren.  Sein  Vater,  ein  wissenschaftlicher  Kopf  von  akade- 
mischer Bildung,    kaufte,    nachdem   er   die  Gelehrtenlaufbahn 


Mach  59 

aufgegeben  hatte,  ein  Bauerngut  in  der  Nähe  von  Wien.  Hier 
und  in  Wien  verlebte  Mach  seine  Jugend  bis  zum  26.  Lebens- 
jahre, zunächst  von  seinem  Vater  unterrichtet,  dann  auf  einem 
Wiener  Gymnasium.  Gegen  die  alten  Sprachen  hatte  er  eine 
entschiedene  Abneigung.  „In  mathematischen  und  natur- 
wissenschaftlichen Fragen  war  ich,  obgleich  ich  nie  einen 
eigentlichen  Unterricht  genossen  hatte,  meinen  Mitschülern 
in  fast  unglaublicher  Weise  überlegen.  In  philosophischen 
Dingen  hingegen,  in  Beurteilung  sozialer  Verhältnisse  usw. 
erschien  ich  äußerst  unreif  und  kindisch.  Abgesehen  von 
meinen  geringen  Anlagen  in  dieser  Richtung  erklärt  sich  dies 
einigermaßen  durch  den  Umstand,  daß  ich  erst  im  15.  Lebens- 
jahr mit  Altersgenossen  und  Mitschülern  in  Verkehr  trat." 
(Aus  einem  in  den  Akten  der  Wiener  Akademie  aufbewahrten 
Lebensabriß.)  Die  Meinung,  daß  er  nicht  zum  Philosophen 
geboren  sei,  findet  sich  in  seinen  späteren  Werken  wieder. 
„Ich  bin  gar  kein  Philosoph",  sagt  er  in  der  Einleitung  zu 
„Erkenntnis  und  Irrtum",  „ich  bin  Naturforscher".  „Ich 
kann  durchaus  nicht  auf  den  Namen  eines  Physiologen,  noch 
weniger  auf  den  eines  Philosophen  Anspruch  machen."  „Einen 
über  die  konventionellen  Fachgrenzen  ausblickenden  Physiker" 
nennt  er  sich  in  der  „Analyse  der  Empfindungen".  Und  doch 
sind  seine  physiologischen  Arbeiten  nicht  weniger  geschätzt 
wie  seine  physikalischen;  und  seinen  Weltruhm  verdankt  er 
vor  allem  seinen  „lediglich  mit  dem  lebhaften  Wunsche  nach 
Selbstbelehrung  unternommenen"  philosophischen  Forschungen. 
Daß  übrigens  seine  Begabung  für  Philosophie  nicht  so  gering 
gewesen,  wie  er  uns  glauben  machen  möchte,  geht  am  Ende 
auch  aus  dem  tiefen  Eindruck  hervor,  den  ihm  nach  eigener 
Angabe  Kants  Prolegomena  hinterlassen  haben,  als  er  sie, 
noch  ein  15  jähriger  Knabe,  in  der  Bibliothek  seines  Vaters 
vorfand. 

In  seiner  Wiener  Studienzeit  förderten  ihn  besonders  die 
Vorlesungen  des  Optikers  Petzval  und  des  Physiologen  Brücke. 
Er  habilitierte  sich  1861  für  Physik  in  Wien,  wurde  1864  in 
Graz,   1867  in  Prag  Professor.    Im  Jahre  1895  folgte  er  einem 


60  Nekrologe 

Rufe  an  die  Wiener  Universität,   wo   für  ihn  eine  Lehrkanzel' 
für  Philosophie,   insbesondere  für  Geschichte  und  Theorie  der 
induktiven  Forschung  geschaffen  wurde. 

Die  frühesten  seiner  physikalischen  Arbeiten  betreffen  das 
Dopplersche  Prinzip  in  der  Akustik  und  der  allgemeinen  Wellen- 
lehre. Man  sagt  wohl  nicht  zu  viel,  wenn  man  die  allgemeine 
Anerkennung  dieses  fundamentalen  Prinzips  und  seine  strenge 
Formulierung  auf  Mach  zurückführt.  Seine  Auffassung  des 
Dopplerschen  Prinzipes  hatte  er  zu  verteidigen  gegen  seinen 
Lehrer  Petzval,  der  an  Stelle  der  Beeinflussung  der  Wellen- 
länge durch  Bewegung  ein  Prinzip  von  der  Konstanz  der 
Schwingungszahl  aufstellen  wollte.  Der  Gegenstand  lag  dem 
besonderen  Geiste  der  Machschen  Naturauffassung:  handelt  es 
sich  doch  dabei  um  eine  allgemeine  Anschauung,  die  sich  auf 
den  verschiedensten  Gebieten  des  Naturgeschehens  durchführen 
läßt,  unabhängig  von  den  speziellen  theoretischen  Bildern,  die 
man  sich  von  dem  Mechanismus  des  Wellenvorganges  machen 
mag.  Auch  die  Anwendung  des  Dopplerschen  Prinzips  auf 
die  Astrophysik  bespricht  er,  wenn  auch  etwas  skeptisch  be- 
züglich des  praktischen  Erfolges,  und  nimmt  gegenüber  Lamont, 
der  die  Frage  früher  untersucht  hatte,  die  deutlichere  Ein- 
sicht für  sich  in  Anspruch. 

Der  Wellenlehre  sind  auch  die  „optisch-akustischen  Ver- 
suche" (Prag  1873)  gewidmet  und  mehrere  seiner  bekannten 
Demonstrationsapparate.  In  den  optisch-akustischen  Versuchen 
wird  das  Prinzip  der  Stroboskopie  mannigfach  variiert,  durch 
Beleuchtung  mit  einem  intermittierenden  Funken  und  Benut- 
zung der  Helmholtzschen  Unterbrechungs- Stimmgabel.  Hier 
tritt  bereits  die  pädagogische  Richtung  Machs,  die  der  Ver- 
anschaulichung und  Verbreitung  der  physikalischen  Erkenntnis 
galt,  zu  Tage,  neben  seinem  Interesse  an  der  Experimentier- 
kunst und  an  der  Erforschung  neuer  Zusammenhänge.  Für 
sein  pädagogisches  Interesse  sprechen  auch  einige  vorzügliche 
Lehrbücher  für  den  physikalischen  Elementarunterricht  an 
Mittelschulen  und  seine  gesammelten  populär-wissenschaftlichen 
Vorlesungen:    „Über  die  Cortischen  Fasern   des  Ohres,  Erklä- 


I 


Mack  61 

tutig  der  Harmonie,  wozu  hat  der  Mensch  zwei  Augen?  Die 
Symmetrie,  Grundbegriffe  der  Elektrostatik,  Umbildung  und 
Anpassung  im  physikalischen  Denken,  relativer  Bildungswert 
der  philologischen  und  naturwissenschaftlichen  Unterrichts- 
facher etc." 

Den  größten  Erfolg  auf  physikalischem  Gebiete  aber  er- 
zielte der  Experimentator  und  der  Theoretiker  Mach  durch 
seine  photographischen  Aufnahmen  fliegender  Geschosse  (um 
1887).  Er  ging  dabei  aus  von  dem  Studium  der  Explosions- 
wellen bei  Sprengstoffen  und  der  Messung  der  aufserordent- 
lichen  Reaktionsgeschwindigkeit  derselben.  Eine  sinnreiche 
Anwendung  der  Schlierenmethode  und  der  intermittierenden 
Funkenbeleuchtung  führte  dann  zur  photographischen  Ent- 
hüllung der  Wellen  Vorgänge,  die  ein  mit  Überschallgeschwin- 
digkeit forteilendes  Geschoß  umgeben,  der  Bug-  und  Kiel- 
wellen und  der  Wirbel  auf  der  Rückseite  des  Geschosses. 
Mach  hat  hierbei  mit  verschiedenen  Fachgenossen  zusammen 
gearbeitet,  mit  Salcher,  Weltrubsky,  Tumrlicz  und  besonders 
mit  seinem  Sohne  L.  Mach.  Die  hervorragend  lehrreichen 
und  reizvollen  Bilder,  die  er  gewonnen,  bilden  auch  heute 
noch  die  Grundlage  für  das  Verständnis  der  Ballistik.  Jeder 
Artillerist  kennt  sie  (oder  sollte  sie  kennen).  Auf  den  Zu- 
sammenhang mit  den  Schiffswellen  weist  Mach  selbst  hin, 
ebenso  auf  das  Problem,  den  Geschoßwiderstand  aus  der  Energie 
der  von  dem  Geschoß  zerstreuten  Wellenbewegung  rationell 
zu  berechnen,  statt  ihn  empirisch  anzunähern.  Neben  dem 
glänzenden  Experimentator  kommt  bei  diesen  Untersuchungen 
der  eigenartige  Theoretiker  zu  Worte.  Wir  sprechen  heute 
von  dem  „Machschen  Phänomen",  dem  „Machschen  Winkel" 
bei  allen  Vorgängen,  in  denen  eine  Störung  den  von  ihr  er- 
zeugten Wirkungen  vorauseilt,  in  der  Aerodynamik,  in  der 
Hydrodynamik  bei  begrenzter  Tiefe  des  Wassers,  der  Technik 
der  Turbinendüsen,  auch  in  der  Elektrodynamik,  wenigstens 
solange  wir  an  das  starre  Elektron  und  die  Möglichkeit  seiner 
Bewegung  mit  Überlichtgeschwindigkeit  glaubten.  Die  Ein- 
fachheit und  Eindringlichkeit  der  Machschen  Überlegung  wird 


Nekrologe 

uns  bei  der  Behandlung  all  dieser  Probleme  immer  wieder 
lebendig;  sie  erinnert  an  die  Treffsicherheit,  mit  der  Fresnel 
seine  Vorstellungen  über  bie  Wellenausbreitung  bildete.  Auch 
hier,  wie  beim  Dopplerschen  Prinzip,  erkennen  wir  den  Mach- 
schen  Geist  der  Naturbetrachtung:  eine  fundamentale  An- 
schauung, auf  die  verschiedensten  Erscheinungsgebiete  zu  über- 
tragen, unabhängig  von  speziellen  theoretischen  Vorstellungen. 

Eine  ganz  hervorragende  Stellung  nimmt  neben  dem  Ex- 
perimentator, dem  Pädagogen  und  dem  Theoretiker  der  Histo- 
riker Mach  ein:  „Die  Mechanik  in  ihrer  Entwickelung"  ist 
vorbildlich  für  die  Geschichtschreibung  der  exakten  Wissen- 
schaften. Wer  liest  nicht  mit  Genuß  diese  zugleich  psycho- 
logisch liebevolle  und  wissenschaftlich  kritische  W^ürdigung 
der  mechanischen  Denker?  Wie  viel  lehrreicher  und  dem 
großen  Gegenstande  angemessener  ist  nicht  die  sachliche  Kritik, 
die  Mach  an  Newton,  seinen  Bewegungsgesetzen  und  seiner 
Raum-  und  Zeitanschauung  übt,  als  der  Versuch  William 
Thomsons  (in  seiner  Natural  Philosophy),  Newtons  Grund- 
legung der  Mechanik  als  logisch  einwandfrei  und  unübertreff- 
lich darzustellen! 

In  der  Mechanik  lesen  wir,  ebenso  wie  in  früheren 
Schriften  Machs  („Die  Geschichte  und  die  Wurzel  des  Satzes 
der  Erhaltung  der  Arbeit"  1871,  „Die  Gestalten  der  Flüssig- 
keit" 1872)  von  dem  ökonomischen  Werte  der  Wissenschaft. 
Als  allgemeiner,  wenn  auch  nicht  höchster  und  ausschließ- 
licher Gesichtspunkt  kann  Machs  These  auch  von  den  Geg- 
nern seines  erkenntnistheoretischen  Systems  angenommen  wer- 
den. Unbeschadet  dessen  wird  man  natürlich  mit  Mach 
verschiedener  Meinung  sein  in  der  Bewertung  der  einzelnen 
physikalischen  Theorien  nach  ihrer  größeren  oder  geringeren 
ökonomischen  Kraft.  Mach  sieht  die  Atomhypothese  als  ge- 
künstelt und  provisorisch  an;  sie  sei  zur  Darstellung  einer 
Reihe  von  Tatsachen  immerhin  geeignet,  aber  es  sei  ihr  Er- 
satz durch  eine  natürlichere  Anschauung  anzustreben.  Im 
Gegensatz  hierzu  erklären  wir  heutzutage,  im  Rückblick  auf 
die  Entwickelung  der  Radioaktivität,  der  Röntgenoskopie  und 


I 


Mack  ßä 

Spektroskopie,  die  Atomtheorie  für  die  ökonoraiscliste  Hypo- 
these der  Naturwissenschaft  und  sprechen  das  von  Mach  be- 
vorzugte Prinzip  der  Kontinuität  als  künstlich  und  provisorisch 
an,  dazu  bestimmt,  im  fortschreitenden  Atomismus  aufgelöst 
zu  werden.  Es  ist  eigenartig  zu  sehen,  wie  sich,  in  ihrer  Ab- 
neigung gegen  den  Atomismus  wie  in  ihrer  Vorliebe  für  eine 
rein  phänomenologische  Wiedergabe  der  Naturbeobachtungen, 
Mach  und  Göthe  über  ein  Jahrhundert  hinweg  die  Hand 
reichen.  Der  letzte  Grund  ist  bei  beiden  wohl  derselbe:  die 
Ehrfurcht  vor  der  Natur  und  die  Scheu,  ihr  durch  menschliche 
Zutaten  zu  nahe  zu  treten. 

Die  Mechanik  ist  in  sieben  Auflagen  erschienen.  Außer 
ihr  haben  wir  aus  seiner  Feder:  „Mitteilungen  zur  Geschichte 
der  Akustik"  1892  und  das  umfassende  Werk  „Die  Prinzipien 
der  Wärmelehre,  historisch -kritisch  entwickelt"  1896.  Auf 
die  Herausgabe  eines  nachgelassenen  Werkes  „Historische  Stu- 
dien der  Optik"   dürfen  wir  wohl  in  Bälde  hoffen. 

Von  dem  Historiker  gehen  wir  nun  zu  dem  Physiologen 
Mach  über,  trotz  seiner  Verwahrung  gegen  diesen  Namen. 
Der  Physiologe  Mach  ist  dabei  untrennbar  von  dem  Psycho- 
logen. Hier  sind  zuvörderst  seine  Versuche  über  Kontrast- 
empfindungen, Verschmelzung  von  Gesichtseindrücken,  über 
Melodik  und  Harmonik  hervorzuheben,  die  er  zur  Aufstellung 
einer  psychologischen  Theorie  der  Gesichts-  und  Tonempfin- 
dungen benutzt  hat.  Die  Betonung  der  psychischen  Seite  der 
Probleme  führt  ihn  auf  beiden  Gebieten  zu  einem  Gegensatz 
mit  Helmholtz.  Es  liegt  in  der  Natur  dieses  schwierigen 
Grenzgebietes,  daß  Mach  hier  mehr  die  Fragen  angeregt  als 
entschieden  hat,  zumal  da  er  sich  auf  Selbstbeobachtung  be- 
schränken und  auf  objektive  Messungen  verzichten  mußte. 

Von  besonderer  Bedeutung  für  die  Beurteilung  photo- 
graphischer  Halbschattenbilder  (Mondfinsternis  -  Aufnahmen 
Seeligers,  sog.  Beugungsstreifen  bei  Röntgenaufnahmen)  wur- 
den insbesondere  Machs  Feststellungen  über  subjektive  Hellig- 
keiten und  Farben  bei  örtlich  wechselnder  objektiver  Hellig- 
keit oder  Färbung.     Als  letztes  Ziel  dürfte  Mach  hierbei  vor- 


Nekrologe 

geschwebt  sein,    aus  derartigen    ,, optischen  Täuschungen*  die 
psychologischen  Gesetze  zu  erkennen,  denen  sie  unterliegen.      gH 

Die  wesentlichste  positive  Leistung  Machs  auf  dem  Ge-  ■ 
biete  der  Physiologie  besteht  wohl  in  der  Erweiterung  unserer 
Kenntnis  von  den  Bewegungsempfindungen.  Hier  hat  ihn  die 
Selbstbeobachtung  zu  wichtigen  physiologischen  Ergebnissen 
geführt.  ,Ein  Zufall  führte  mich,  so  erzählt  Mach,  auf  das 
Studium  der  Bewegungsempfindungen.  Ich  beobachtete  die 
Schiefstellung  der  Häuser  und  Bäume  beim  Durchfahren  einer 
Eisenbahnkurve.  Sie  ließ  sich  leicht  erklären,  wenn  man  eine 
direkte  Empfindung  der  resultierenden  Massenbeschleunigung 
annahm."  Damit  war  der  Anfang  gemacht  zu  unserer  jetzigen 
Anschauung  über  die  Funktion  der  Bogengänge  und  der  La- 
byrinthbläschen im  Zusammenhang  mit  der  Funktion  der 
Nerven-End- Apparate ,  die  wie  kaum  eine  andere  Auffassung 
auf  dem  Gebiet  der  Empfindungen  fest  begründet  ist.  Mach 
hat  an  dieser  Begründung  erfolgreich  mitgeschafi'en. 

Auch  die  Theorie  der  physiologischen  Registrier -Instru- 
mente hat  Mach  in  origineller  Weise  bearbeitet  und  gefördert. 

Wir  kommen  nun  zu  derjenigen  Seite  dieser  vielgestaltigen 
wissenschaftlichen  Persönlichkeit,  von  der  die  breiteste,  wenn 
auch  vielleicht  nicht  die  tiefste  Wirkung  ausgegangen  ist,  zu 
dem  Erkenntnistheoretiker  Mach.  Wir  hörten  bereits,  wie 
seltsam  gering  er  selbst  seine  philosophische  Begabung  ein- 
schätzte. Einem  Gegner  seines  Standpunktes  erwiderte  er  (in 
«Erkenntnis  und  Irrtum"),  daß  es  überhaupt  keine  Machsche 
Philosophie  gebe,  die  man  bekämpfen  könne.  Seine  Aufgabe 
sei  es  nur  gewesen,  abgestandene  Philosopheme  zu  beseitigen 
und  einer  vorurteilslosen  Fragestellung  die  Bahn  freizumachen. 
Nichtsdestoweniger  gibt  es  eine  ausgesprochene  zusammen- 
hängende Weltanschauung,  die  Machs  Stempel  trägt,  unter 
seinem  Namen  Schule  gemacht  hat  und  die  wir  wohl  die  Mach- 
sche Philosophie  nennen  dürfen.  Die  Hauptquellen  dieses  Sy- 
stems sind  die  beiden  öfters  genannten  Werke:  „Die  Analyse 
der    Empfindungen    und    das  Verhältnis    des    Physischen    und 


II 


I 


Mach  65 

Psychischen"  1885  und  „Erkenntnis  und  Irrtum,  Skizzen  zur 
Psychologie  der  Forschung*   1905, 

Am  Grunde  seines  Systems  liegen  biologische  Erwägungen. 
Es  ist  ihm  ausgemacht,  daß  das  Geistesleben  mit  Erinnerung 
und  Voraussicht,  daß  Erkenntnistrieb,  Wissenschaft  und  Moral 
Mittel  zur  Erleichterung  des  Kampfes  ums  Dasein  sind.  Durch 
diese  Auffassung  werden  ihm  aber  die  geistigen  Güter  nicht 
entwertet.  Ihm  sind  Menschenliebe  und  Toleranz  natürliche 
Folgen  seines  Standpunktes. 

Machs  Lehre  ist  außerordentlich  schlicht,  fast  nüchtern. 
In  ihrer  Darstellung  knüpft  er  oft  an  kleine  psychische  Erleb- 
nisse, an  Traumbilder,  an  Fehlschlüsse  an.  Die  Wissenschaft 
ist  ihm  eine  Verknüpfung  von  Sinnesempfindungen,  die  Theorie 
nur  eine  mehr  oder  minder  ökonomische  Anleitung  zu  solchen 
Verknüpfungen.  Die  Frage  nach  der  Realität  einer  Theorie 
weist  er  ab.  Real  vorhanden  sind  nur  die  Empfindungen. 
Auch  das  Ich  und  die  Umwelt  sind  Empfindungskomplexe,  von 
gleicher  aber  nicht  von  höherer  Realität  wie  diese.  „Theorien 
sind  wie  dürre  Blätter,  welche  abfallen,  wenn  sie  den  Orga- 
nismus der  Wissenschaft  eine  Zeitlang  in  Atem  gehalten  haben." 
Ist  diese  Lehre  gesund  und  fruchtbar?  Man  kann  es  bezweifeln 
und  hoffen,  daß  sie  überwunden  wird.  Dazu  aber  mußte  sie 
erst  ausgesprochen  werden  und  zwar  mit  solcher  intellektueller 
Reinheit  und  Eindringlichkeit,  wie  Mach  es  getan  hat. 

In  einem  Punkte  war  Mach  nahe  daran,  von  seinem  im 
wesentlichen  negierenden  Denken  aus  zu  einem  positiven  Ge- 
dankenfortschritt von  eminenter  Fruchtbarkeit  zu  gelangen, 
nämlich  in  seiner  Ansicht  von  Raum  und  Zeit.  Er  kämpft 
gegen  die  scholastische  Vorstellung  eines  absoluten  Raumes 
und  einer  absoluten  Zeit,  wie  sie  sich  in  naiver  Form  bei 
Newton  vorfindet.  „Zeit  und  Raum  sind  in  physikalischer 
Hinsicht  besondere  Abhängigkeiten  der  physikalischen  Ele- 
mente von  einander."  Solche  Worte  muten  uns  heute  wie 
ein  Programm  für  die  Relativität  von  Raum  und  Zeit  an  und 
zwar  für  die  allgemeine,  nicht  die  elementare  Relativität.  Um 
dieses  Programm  auszufüllen,  dazu  reichte  allerdings  das  etwas 

Jahrbuch  1917.  5 


66  Nekrologe 


blasse  Okonomieprinzip  nicht  aus,  sondern  dazu  gehörte  der 
kühnere,  über  das  unmittelbar  gegebene  Beobachtungs-  und 
Empfindungsmaterial  hinausfliegende  Geist  eines  Einstein.         il 

Der  Widerspruch  des  produktiven  und  konstruktiven  Natur- 
forschers wird  sich  besonders  gegen  Machs  Auffassung  der 
Naturgesetze  richten.  In  der  physikalischen  Literatur  hat 
dieser  Widerspruch  vor  nicht  langer  Zeit  zu  einer  ziemlich 
heftigen  Auseinandersetzung  zwischen  Planck  und  Mach  ge- 
führt, heftiger,  als  man  es  bei  der  persönlich  uninteressierten 
Wissenschaftlichkeit  beider  Forscher  hätte  erwarten  können. 
Die  Naturgesetze  sind  nach  Mach  „Einschränkungen,  die  wir 
unter  Anleitung  der  Erfahrung  unserer  Erwartung  vorschreiben". 
Das  klingt  verzweifelt  kritisch  und  kühl.  An  anderen  Stellen 
sind  ihm  die  Naturgesetze  die  fornielmäßige  Darstellung  der 
Erscheinungen,  in  sich  widerspruchsfrei  und  umfassend,  aber 
bloße  funktionale  Abhängigkeiten  und  als  solche  der  kausalen 
Färbung  beraubt. 

Der  tastende  Naturforscher,  der  auf  dunkeln  Wege 
nach  einem  geahnten  Ziele  strebt,  braucht  einen  helleren' 
Leitstern,  als  die  Machsche  Lehre.  Naturgesetze  von  so  un- 
bestimmter und  formalistischer  Art  wären  kaum  der  Mühsal 
und  Aufregung  des  Forschens  wert.  Es  ist  aber  dem  Philo- 
sophen Mach  Ernst  mit  dieser  Art  Naturgesetze  (der  Physiker 
Mach  hat  sich  in  jüngeren  Jahren  wohl  nicht  an  sie  gehalten). 
„Die  absolute  Exaktheit,  die  vollkommen  genaue  eindeutige 
Bestimmung  der  Folgen  einer  Voraussetzung  besteht  nicht  in  ■ 
der  sinnlichen  Wirklichkeit,  sondern  nur  in  der  Theorie".  laflj 
Übereinstimmung  mit  dieser  vorsichtig  negierenden  Auffassung 
der  Naturgesetze  steht  Machs  Hinneigung  zur  Energetik,  jener 
vorübergehenden  Abkehr  von  zuversichtlicher  Hypothesenbil- 
dung und  Beschränkung  auf  die  Energiebilanz  der  Ereignisse. 

unsere  Bedenken  gegen  die  Machsche  Lehre  gründen  sich 
aber  nicht  nur  auf  deren  Eignung  für  den  Fortschritt  der 
Wissenschaft,  sondern  auch  auf  das  Gesamtbild,  das  uns  die 
Betrachtung  der  Natur  und  ihrer  Gesetzmässigkeit  aufdrängt. 
Kann  diese  Gesetzmässigkeit  eine  Illusion  oder  eine  wirtschaft- 


n 

I 


Mach,  Ranke  67 

lieh  zweckdienliche  Schöpfung  des  Beobachters  sein?  Konnte 
Mach  aus  seinem  physikalischen  und  physiologischen  Lebens- 
werk diesen  Eindruck  in  sein  allgemeines  Denken  übernehmen? 
Wir  möchten  meinen,  daß  hier  der  Psychologe  den  Ausschlag 
gegeben  hat,  gegenüber  dem  Physiker  und  Physiologen.  Mach 
spricht  des  öfteren  von  dem  intellektuellen  Unbehagen,  das 
ihm  Begriffe  bereiteten,  die  sich  nur  für  einen  Teil  der  Wissen- 
schaft brauchbar  zeigten.  Indem  er  das  Physische  und  Psy- 
chische zu  umfassen  suchte,  mußte  er  die  physikalischen  Werte 
auf  ein  bescheidenes  Niveau  herabdrücken.  Vielleicht  wollte 
er  so  für  eine  zukünftige  Naturwissenschaft  des  Psychischen 
Raum  gewinnen.  Arnold  Sommerfeld. 

Am  20.  Juli  1916  starb,  wenige  Wochen  vor  Vollendung 
seines  80.  Lebensjahres,  das  ordentliche  Mitglied  der  mathe- 
matisch-physikalischen Klasse,  Dr.  med.  et  phil.  Johannes  Ranke, 
ord.  Professor  für  Anthropologie  und  allgemeine  Naturge- 
schichte an  der  Münchener  Universität. 

Johannes  Ranke,  geb.  am  23.  August  1836  zu  Thurnau 
bei  Bayreuth,  entstammt  einer  Gelehrtenfamilie.  Sein  Vater, 
dem  Beruf  nach  Theologe,  war  ein  tüchtiger  Sprachforscher, 
sein  Onkel  war  der  Historiker  Leopold  von  Ranke  und 
sein  Großvater  mütterlicherseits  der  bekannte  Naturphilosoph 
Schellingscher  Richtung,  Gotthilf  Heinrich  von  Schubert, 
Ordinarius  für  Naturgeschichte  und  Konservator  der  zoologi- 
schen Staatssammlung  in  München.  Dieser  geist-  und  phan- 
tasiereiche Gelehrte  hat  auf  den  Werdegang  des  jungen  Ranke 
bestimmenden  Einfluß  ausgeübt,  er  hat  die  Liebe  zur  Natur 
in  ihm  wachgerufen  und  das  Interesse  für  die  Naturkunde. 
So  wandte  sich  Ranke,  nachdem  er  das  Gymnasium  in  Ans- 
bach absolviert  hatte,  im  Herbst  1855  dem  Studium  der  Me- 
dizin und  der  Naturwissenschaften  zu.  Er  studierte  zunächst 
in  München,  dann  in  Tübingen  und  Berlin  und  erwarb,  nach 
'München  zurückgekehrt,  im  Jahre  1861  die  Approbation  als 
Arzt  und  den  medizinischen  Doktorgrad.  Durch  die  Inaugural- 
Dissertation     Ȇber   positive   Schwankung    des   Nerven- 

6* 


68  Nekrologe 

Stroms  beim  Tetanisieren"  (1862),  eine  Arbeit,  die  in 
Berlin  unter  duBois-Reymond  in  Angriii*  genommen  wurde, 
führte  er  sich  in  die  Physiologie  ein,  um  dieser  Disziplin 
l'/a  Dezennien  hindurch  treu  zu  bleiben. 

Seine  Ausbildung  als  Physiologe  genoß  er  bei  den  damals 
führenden  Männern  dieses  Faches.  Er  arbeitete  unter  Claude 
Bernard  in  Paris,  dann  nochmals  bei  du  Bois-Reymond  in 
Berlin  und  trat  schließlich,  als  Assistent  in  das  Münchener 
Physiologische  Institut  aufgenommen,  in  die  Schule  von  Bi- 
schoff und  Carl  Voit, 

Im  Jahre  1863  habilitierte  er  sich  an  der  Münchener 
medizinischen  Fakultät  als  Privatdozent  für  Physiologie  auf 
Grund  einer  Schrift  über  den  „Galvanischen  Leitungs- 
widerstand des  lebenden  Muskels". 

Aus  der  physiologischen  Periode  von  Rankes  Leben 
stammt  eine  größere  Anzahl  weiterer  Publikationen,  die  teils 
an  die  Arbeitsrichtung  du  Bois-Reymonds,  teils  au  diejenige 
der  Münchener  physiologischen  Schule  anknüpfen.  Unter  ihnen 
sind  mehrere  von  bleibendem  Wert,  so  vor  allem  die  „Unter- 
suchung über  die  chemischen  Bedingungen  der  Er- 
müdung" (1863),  in  welcher  die  wichtige  Tatsache  festge- 
stellt wurde,  daß  die  Ermüdung  des  Muskels  durch  die  An- 
wesenheit chemischer  Zersetzungsprodukte  in  demselben  bedingt 
ist.  Ferner  die  Arbeit  über  den  „Tetanus"  (Leipzig  1865) 
und  die  über  „Die  Blutverteilung  und  den  Thätigkeits- 
wechsel  der  Organe"  (Leipzig  1871).  Seine  Abhandlung 
über  die  „Ernährung  des  Menschen"  (München  1876)  ist 
zwar  durch  spätere  Forschungen  überholt  worden,  aber  zur 
Zeit  ihres  Erscheinens  war  sie  die  erste  Arbeit,  welche  die 
Resultate  der  Untersuchungen  von  Pettenkofer  und  Voit 
vom  Hunde  auf  den  Menschen  übertrug,  und  damit,  wie  Carl 
Voit  selbst  urteilte,  „erst  weiteren  Kreisen  ein  Verständnis«! 
für  den  Wert  dieser  Studien  eröffnete".  Im  Jahre  1868  gal^H 
Ranke  ein  Lehrbuch,  „Grundzüge  der  Physiologie",  heraus, 
das  in  geschickter  und  klarer  Form   den  Stand  des  damaligen 


J 


Ranke  69 

physiologisch en  Wissens  darstellt.    Es  hat  bis  1879  vier  Auf- 
lagen erlebt,  ein  Beweis  für  seine  Brauchbarkeit. 

Nach  dem  Ableben  von  Professor  Beraz,  Schuberts 
Nachfolger,  wurde  Ranke  18G9  unter  Ernennung  zum  Extra- 
ordinarius an  der  philosophischen  Fakultät  der  Unterricht  in 
der  allgemeinen  Naturgeschichte,  mit  dem  auch  eine 
Vorlesung  über  Anthropologie  verbunden  war,  übertragen. 
Damit  war  ihm  der  lang  gehegte  Wunsch  erfüllt  worden,  die 
Lehrtätigkeit  seines  Großvaters  auf  modern  naturwissenschaft- 
licher Grundlage  fortführen  zu  dürfen.  Die  neue  Aufgabe 
traf  ihn  nicht  unvorbereitet.  Hatte  er  doch  schon  als  Dozent 
der  Physiologie  nebenbei  Vorlesungen  über  Anthropologie  und 
über  Naturgeschichte  und  zwar  mit  Erfolg  abgehalten. 

Der  Wechsel  seiner  äußeren  Stellung  bedeutete  für  Ranke 
keinen  Abbruch  seiner  Beziehungen  zur  Physiologie.  Wie  er 
als  Dozent  seiner  Vorlesung  über  medizinische  Physik  bis  in 
sein  höheres  Alter  treu  blieb,  so  arbeitete  er  auch  wissen- 
schaftlich vorerst  auf  physiologischem  Gebiet  weiter.  Erst  das 
Jahr  1876  ward  ihm  zum  Wendepunkt  in  seiner  Forschungs- 
richtung, von  hier  ab  widmete  er  sich  ausschlieiälich  der  An- 
thropologie. Er  begann  seine  neue  Tätigkeit  sogleich  mit 
der  Leitung  mehrerer  Zeitschriften:  von  1876  an  gab  er  mit 
N.  Rüdinger  die  „Beiträge  zur  Anthropologie  und  Ur- 
geschichte Bayerns"  heraus,  1878  übernahm  er  die  Redak- 
tion des  von  Ecker  und  Lindenschmidt  begründeten  „Ar- 
chivs für  Anthropologie"  und  des  „Korrespondenzblattes 
der  Deutschen  Anthropologischen  Gesellschaft**. 

Es  folgt  nun  eine  lange  Reihe  wissenschaftlicher  Unter- 
suchungen, ganz  überwiegend  aus  dem  Bereich  der  soma- 
tischen Anthropologie,  von  denen  hier  nur  die  wichtigsten 
kurz  besprochen  werden  können.  Sein  Ansehen  als  Anthro- 
pologe begründete  Ranke  mit  seiner  umfangreichen  Arbeit 
„Beiträge  zur  physischen  Anthropologie  der  Bayern* 
(München  1883).  Es  lagen  nur  einige  wenige  Bearbeitungen 
des  Körper-,  insbesondere  des  Schädelbaues  deutscher  Volks- 
stämme vor,  nämlich  von  R.  Virchow  über  die  Friesen,  von 


70  Nekrologe 


J 


Ecker,  Rütimeyer  und  His  über  die  Alemannen  und  von 
Holder  Ober  die  Schwaben  in  Württemberg,  als  Ranke  seine 
Untersuchung  der  bayerischen  Stämme  unternahm.  Er  konnte 
sich  dabei,  namentlich  für  die  Altbayern,  auf  eine  viel  reich- 
haltigere Unterlage  stützen  als  seine  Vorgänger,  auf  ein 
Material,  das  zudem  den  Vorzug  großer  Reinheit  besaß.  Es 
entstammte  den  kirchlichen  Beinhäusern  bayerischer  Land- 
gemeinden, die  damals  noch  ungehobene  Schätze  für  den  An- 
thropologen bargen.  Die  Untersuchung  ergab,  daß  die  Alt- 
bayern sich  durch  eine  große  Schädelcapazität  auszeichnen, 
wie  sie  sonst  nur  noch  bei  der  nächstverwandten  niederöster- 
reichischen Bevölkerung  bekannt  war.  Als  weiteres  Merkmal 
fand  sich  eine  hochgradige  Brachycephalie ,  die  gegen  das 
bayerische  Hochgebirge  zunimmt.  Für  ganz  Bayern  ließen 
sich  drei  Ausstrahlungszenten  der  Brachycephalie  feststellen; 
außer  der  Bevölkerung  des  bayerisch -tirolischen  Hochgebirges 
eines  in  der  fränkisch-slawischen  Einwohnerschaft  Oberfrankens 
und  ein  drittes,  westliches,  das  von  Schwaben  ausgeht.  Mit 
diesen  konkurriert  ein  Ausstrahlungszentrum  für  dolicho-meso- 
cephale  Schädelformen  in  der  westlichen  Maingegend.  Unter 
Mitberücksichtigung  des  Gesichtsschädels  ergaben  sich  für 
Bayern  zwei  Haupttypen  der  Gesamtform  des  Kopfes,  schmal- 
gesichtige  Kurzköpfe  und  breitgesichtige  Langköpfe.  Eine 
Vergleichung  mit  den  übrigen  Erfahrungen  der  Kraniologie 
führt  Ranke  zu  dem  Schluß,  daß  die  arischen  Stämme  zur- 
zeit ihrer  Einwanderung  in  Europa  ein  gleichmäßigeres  körper- 
liches Gepräge  getragen  haben,  als  heute,  nachdem  sie  seit 
langer  Zeit  ihre  jetzigen  Wohnsitze  inne  haben.  Die  Ursache 
der  eingetretenen  Differenzierung  ist  nach  ihm  nicht  sowohl 
in  den  Völkermischungen,  die  selbstverständlich  nicht  ohne 
Einfluß  waren,  zu  suchen,  als  vielmehr  in  der  geographischen 
Lage  der  Wohnsitze,  d.  h.  dem  Klima  und  sonstigen  Einflüssen 
der  Umgebung.  Man  sieht  wie  Ranke  an  die  physische  An- 
thropologie nicht  vom  einseitigen  Standpunkte  des  messenden 
Kraniologen  herantritt,  sondern  dank  seiner  physiologischen 
Schulung  mit  dem  weiten  Blick  des  Biologen.     Er  führte  die 


i 


Ranke  7 1 

menschliche  Rassenbildung  schon  damals  auf  ein  Erklärungs- 
prinzip zurück,  welches  heute  von  einem  Teil  der  modernen 
Vererbungstheoretiker  für  die  Ableitung  der  Lokalvarietäten 
(Elementarrassen)  der  Tiere  angewandt  wird. 

Eine  wertvolle  Ergänzung  fand  diese  Bearbeitung  der 
Schädel  der  heutigen  Bevölkerung  Bayerns  durch  eine  Unter- 
suchung (1897)  „Frühmittelalterliche  Schädel  und  Ge- 
beine aus  Lindau"  und  „Schädel  von  Regensburg  aus 
der  Zeit  der  Römerherrschaft".  Es  ergab  sich  hierbei  die 
Tatsache,  daß  in  Südbayern  die  kraniologischen  Verhältnisse 
trotz  aller  Völkerverschiebungen  heute  noch  die  gleichen  sind, 
wie  vor  der  Völkerwanderungsperiode.  „Die  Kopfform  haftet 
an  der  geographischen  Provinz,  sie  ist  bodenständig",  offenbar 
infolge  der  Einflüsse  der  Umgebung. 

Den  gleichen  Standpunkt  vertrat  Ranke  später  1908  in 
einem  Aufsatz  „Zur  Rassenfrage**:  Dolicho-  und  Brachy- 
cephalie  werden  primär  durch  den  Wohnort  bedingt. 

Auch  seine  Messungen  „der  Körpergröße  der  baye- 
rischen Militärpflichtigen"  ließen  den  mächtigen  Einfluß 
der  äußeren  Umgebung  auf  das  Körper  Wachstum  erkennen. 
Rankes  Standpunkt,  daß  die  Rassenbildung  des  Menschen 
durch  äußere  Einwirkungen  bedingt  ist,  steht  in  innerem  Zu- 
sammenhang mit  seiner  Annahme  einer  einheitlichen  Abstam- 
mung des  Menschen,  die  er  unter  anderem  in  einer  Arbeit 
„Über  die  individuellen  Variationen  im  Schädelbau 
des  Menschen"  (1897)  vertritt.  Er  kommt  hier  zu  dem  Er- 
gebnis, daß  die  typischen  Formen  des  Menschengeschlechts, 
speziell  ihre  ethnisch  verschiedenen  Schädelformen,  durch  indi- 
viduelle Variabilität  einer  gemeinschaftlichen  Stammform  ent- 
standen seien. 

Als  IL  Teil  seiner  „Beiträge  zur  physischen  Anthro- 
pologie der  Bayern"  veröffentlichte  Ranke  (1892)  eine 
Studie  über  „Einige  gesetzmäßige  Beziehungen  zwischen 
Schädelgrund,  Gehirn  und  Gesichtsschädel".  Er  ver- 
suchte sich  hier  an  dem  alten,  ungemein  komplizierten  Problem 
der  formgestaltenden  Ursachen  des  Schädelbaues,  indem  er  an 


72  Nekrologe 


3 


Virchows  grundlegende  Untersuchungen  über  den  Einfluß 
der  Schädelbasis  und  der  Gehirnentwicklung  auf  den  Gesichts- 
schädel anknüpft.  Die  Nachfolger  Virchows  waren  in  ihren 
Bemühungen,  dessen  Resultate  zu  kontrollieren  und  weiter 
auszubauen,  wenig  erfolgreich  gewesen,  es  konnte  durch 
Messungen  kein  Paralellismus  zwischen  dem  Sattelwinkel  der 
Schädelbasis  und  dem  Gesichtsschädelbau  nachgewiesen  werden. 
Da  nahm  Ranke  die  Frage  mit  verbesserten  kraniometrischen 
Methoden  in  Angriff  und  dehnte  seine  Untersuchungen  auf 
Affenschädel,  auf  menschliche  Embryonen  verschiedener  Ent- 
wicklungsstadien und  auf  Neugeborene  aus.  Er  kam  zu  dem 
Schluß,  daß  das  Endziel  der  individuellen  normalen  Entwick- 
lung des  menschlichen  Schädels  ist:  Prognathie  verbunden 
mit  Steilstellung  des  Clivus  der  Schädelbasis.  Die  Prognathie 
ist  also  eine  typisch  menschliche  Bildung.  Die  Mehrzahl  der 
Einzelindividuen  bleibt  auf  einer  mehr  kindlichen  Formbildung 
stehen  mit  relativ  geringer  Neigung  des  Clivus  und  mit  Hyper- 
orthognathie  oder  Orthognathie.  Hierin  steht  die  weibliche 
Körperbildung  der  kindlichen  im  allgemeinen  näher  als  die 
männliche. 

In  einem  „Zur  Anthropologie  der  Halswirbelsäule" 
(1895)  betitelten  Aufsatz  dehnt  Ranke  seine  Untersuchungen 
auf  die  Verbindung  des  Kopfes  mit  der  Wirbelsäure  aus.  Die 
durch  die  mächtige  Entwicklung  des  Gehirns  bedingte  Knickung 
der  Schädelbasis  beim  Menschen  verlegt  die  zur  Verbindung 
mit  der  Wirbelsäule  dienenden  Gelenkfortsätze  des  Hinterhaupt- 
beins nach  unten,  wie  es  die  aufrechte  Körperhaltung  verlangt, 
während  diese  Gelenkverbindung  bei  den  Tieren  einschließlich 
der  anthropoiden  Affen  nach  hinten  gerichtet  ist.  So  erscheint 
der  aufrechte  Gang  des  Menschen  mechanisch  in  letzter  Instanz 
durch  die  starke  Entwicklung  des  Gehirns  bedingt.  Wenn 
dieser  Gedankengang  auch  schon  den  älteren  Anthropologen 
nicht  fremd  war,  so  wird  er  doch  bei  Ranke  durch  neues 
Beobachtungsmaterial  gestützt.  h 

Durch  das  Studium  der  fertigen  Formen  des  Schädels 
wurde    Ranke   zur   Untersuchung   der   Embryonalentwicklung 


II 


i 


Ranke  »3 

desselben  geführt.  In  seiner  wertvollen  Arbeit  „Die  über- 
zähligen Hautknochen  des  menschlichen  Schädel- 
daches" (1899)  werden  zunächst  bestimmte  Varietäten  an 
den  Deckknochen  des  Schädeldaches  wie  die  Sutura  parietalis, 
das  offenbleibende  Foramen  parietale  und  der  Incaknochen 
des  Hinterhauptbeins  in  seinen  verschiedenen  Abstufungen 
beim  erwachsenen  Menschen  und  bei  den  anthropoiden  Affen 
eingehend  dargestellt  und  sodann  entwicklungsgeschichtlich 
erklärt.  Für  das  Parietale  gelang  ihm  der  Nachweis  einer 
Entstehung  aus  zwei  elementaren  Bestandteilen,  eines  oberen 
und  unteren  Scheitelbeins,  die  im  Verlaufe  der  späteren  Ent- 
wicklung verschmelzen.  Ebenso  konnte  er  die  vielumstrittene 
komplizierte  Entwicklung  der  Hinterhauptsschuppe  klären.  In 
die  Bildung  derselben  gehen  abgesehen  von  der  knorpelig 
präformierten  Unterschuppe  die  Ossifikationszentren  von  4  Paar 
Hautknochen  ein.  Diese  nur  in  embryonaler  Zeit  auftretenden 
, Elementarknochen "  des  menschliche»!  Schädeldaches  homolo- 
gisiert  er  mit  Skelettstücken,  die  bei  niederen  Wirbeltieren 
besonders  bei  Knorpelganoiden  und  Stegocephalen  dauernd 
ihre  Selbständigkeit  bewahren. 

Diese  Untersuchungen  hat  er  14  Jahre  später  („Über 
das  Interparietale  und  die  Verknöcherung  des  Schädel- 
daches bei  Affen"  1913)  wieder  aufgenommen  und  durch 
Bearbeitung  der  Hautknochen  des  Schädeldaches  von  Affen 
und  Affenembryonen  ergänzt.  Seine  frühere  Publikation  über 
den  Gegenstand  hatte  zu  zahlreichen  Nachuntersuchungen  an- 
geregt, und  seine  Resultate  waren  von  vergleichend  anatomi- 
scher Seite  im  Sinne  der  Deszendenztheorie  verwertet  worden. 
Hiegegen  legt  er  nun  Verwahrung  ein,  indem  er  darauf  hin- 
weist, daß  die  Entwicklungslehre  ein  Fortschreiten  vom  Ein- 
fachen zum  Komplizierteren  postuliere,  während  seine  eigenen 
Ergebnisse  der  morphologischen  Umgestaltung  des  Schädel- 
daches doch  im  Gegenteil  eine  Vereinfachung  bei  den  höher 
stehenden  Wirbeltieren  ergeben  hätten.  Meines  Erachtens 
dürfte  dieser  Gedankengang  unseres  Autors  sich  kaum  allge- 
meiner   Zustimmung    erfreuen,     denn    die    Entwicklungslehre 


74  Nekrologe 

liefert  alltäglich  Beispiele  dafür,  daß  die  zunehmende  Diffe- 
renzierung im  Körperbau  der  systematisch  höher  stehenden 
Formen  auch  mit  Vereinfachungen  und  Rückbildungen  ein- 
zelner Organe  einhergehen  kann,  je  nach  den  Erfordernissen 
der  Funktion. 

Auf  dem  Grenzgebiet  der  somatischen  Anthropologie 
und  der  Ethnographie  bewegen  sich  zwei  Arbeiten  „Über 
altperuanische  Schädel  von  Ancon  und  Pachacamäc" 
(1900  und  1909).  Es  stand  Ranke  für  diese  Untersuchungen 
ein  wertvolles  Material  zur  Verfügung,  das  von  dem  Ehren- 
mitglied unserer  Akademie  Prinzessin  Therese  von  Bayern 
an  Ort  und  Stelle  nach  wissenschaftlichen  Gesichtspunkten  ge- 
sammelt worden  war.  Dazu  kam  später  noch  eine  beträcht- 
liche Anzahl  von  Schädeln  und  einige  Mumienköpfe  von  den 
gleichen  Fundplätzen,  welche  der  dem  ethnographischen  Museum 
des  bayerischen  Staates  einverleibten  reichen  Gaffron'schen 
Sammlung  peruanischer  Altertümer  entstammen.  An  diesen 
Schädeln,  welche  die  bekannten  künstlichen  Verunstaltungen 
in  allen  Abstufungen  aufwiesen,  ließ  sich  feststellen,  daß  die 
Deformation  nicht,  wie  man  bis  dahin  geglaubt  hatte,  eine 
beabsichtigte,  durch  Anwendung  einer  Kopfpresse  verursachte 
ist,  sondern  die  einfache  Wirkung  einer  an  der  „Wiege"  des 
Neugeborenen  angebrachten  harten  Kopfschutzvorrichtung  und 
damit  verbundenen  Schutzwicklung.  Es  handelt  sich  daher 
hier  um  die  gleiche  Erscheinung,  wie  in  manchen  Gegenden 
Europas,  in  denen  bekanntlich  dauernde  Verunstaltungen  des 
Schädels  durch  die  Lagerung  des  leicht  formbaren  Köpfchens 
des  Neugeborenen  auf  harte  Unterlagen  und  durch  den  Binden- 
druck der  Kinderhäubchen  hervorgerufen  werden. 

Aus  der  Fülle  der  kleineren  Publikationen  Rankes  ent- 
fallen noch  in  das  Gebiet  der  somatischen  Anthropologie  eine 
Untersuchung  über  das  Rückenmark  (1896),  in  welcher  dar- 
gelegt wird,  daß  das  Gewichtsverhältnis  dieses  Organs  zu  dem 
des  Gehirns  ein  wichtiges  Unterscheidungsmerkmal  zwischen 
Tier  und  Mensch  abgibt,  ferner  die  Aufsätze  „Zur  Kran iologie 
Tirols«  (1880),  „Über  den  Zwischenkiefer"  (1901),  „Über 


I 


Ranke  75 

Verbrechergehirne"  (1904),  ,Die  Anthropologie  des 
Schulterblattes"  (1904),  „Über  normale  Schwimmhaut- 
bildung und  über  besondere  Bildungen  am  harten 
Gaumen  beim  Menschen"  (1893),  „Über  das  Mongolen- 
auge bei  deutschen  Kindern",  Über  höhere  und  niedere 
Stellung  der  Ohren  am  Kopfe  des  Menschen"   u.  a. 

Auch  die  prähistorische  Forschung  hat  der  unermüd- 
lich tätige  Mann  in  sein  Arbeitsgebiet  einbezogen.  Durch  Zu- 
sammenstellung der  in  den  bayerischen  Museen  aufbewahrten 
Steinwaffen  und  Steininstrumente  hat  er  das  Vorkommen  des 
neolithischen  Menschen  in  Bayern  erwiesen.  Er  untersuchte 
die  Funde  aus  Höhlenwohnungen  der  jüngeren  Steinzeit  in 
der  fränkischen  Schweiz  und  der  Oberpfalz  (Steinbachhöhle) 
und  förderte  die  Höhlenforschung  in  Bayern  noch  in  seinen 
letzten  Lebensjahren  dadurch,  daß  er  eine  eigene  Kommission 
für  dieselbe  bei  unserer  Akademie  der  Wissenschaften  ins 
Leben  rief  und  deren  Vorsitz  übernahm. 

Fast  selbstverständlich  erscheint  es,  daß  ein  so  vielseitiger 
Forscher  wie  Ranke  das  Verlangen  trug,  die  Ergebnisse  seiner 
eigenen  Arbeit  mit  dem  anthropologischen  Wissen  seiner  Zeit 
in  lehrbuchmäßiger  Darstellung  zusammenzufassen.  Für  die 
damalige  Zeit  war  dies  kein  leichtes  Unternehmen.  Die  An- 
thropologie war  eine  junge  Wissenschaft,  deren  Ziele  noch 
nicht  abgesteckt  waren,  so  wenig  wie  ihre  Grenzen  gegen  Nach- 
bardisziplinen, Ethnologie,  Paläontologie,  prähistorische  Kultur- 
geschichte u.  a.  Noch  hatte  sich  niemand  an  die  Aufgabe  ge- 
wagt und  ein  Vorbild  geliefert.  Ranke  gelang  der  Wurf  in 
seinem  zweibändigen  Werke  „Der  Mensch"  (Leipzig  1886) 
überraschend  gut.  Er  hat  hier  gezeigt,  daß  man  eine  Wissen- 
schaft, ohne  ihrem  Inhalt  Abbruch  zu  tun,  gemeinfaßlich  und 
interessant  darstellen  kann.  In  dem  ersten  Band  wird  die 
Entwicklungsgeschichte,  die  Anatomie  und  die  Physiologie  des 
Menschen  behandelt.  Hier  spricht  der  ehemalige  Physiologe 
und  Mediziner  Ranke  zu  uns,  doch  eröffnet  er  immer,  wo  es 
am  Platze  ist,  schon  anthropologische  Perspektiven.  Der  zweite 
Band  ist  ausschließlich  der  Anthropologie  gewidmet,  dem  Körper- 


76  Nekrologe 

bau  der  beute  lebenden  Rassen  und  des  prähistorischen  Men- 
schen unter  Berücksichtigung  primitiver  Kulturformen.  Das 
Buch  wurde  von  der  Fachkritik  überaus  freundlich  aufgenommen, 
von  dem  sein  Urteil  streng  abwägenden  Virchow  ward  es  mit 
geradezu  enthusiastischen  Worten  begrülät.  In  Laienkreisen 
fand  es  weite  Verbreitung,  erlebte  bis  1912  drei  Auflagen  und 
mehrere  Übersetzungen  in  fremde  Sprachen  und  machte  den 
Namen  seines  Verfassers  weltbekannt. 

Auch  in  seinem  engeren  Vaterlande  Bayern  fand  Ranke 
die  verdiente  Anerkennung.  Im  Jahre  1886  wurde  in  der 
philosophischen  Fakultät  der  Münchener  Universität  für  ihn 
ein  Ordinariat  für  Anthropologie  geschaffen,  das  erste 
und  für  lange  Zeit  einzige  in  Deutschland.  1893  erfolgte  seine 
Aufnahme  in  die  Bayerische  Akademie  der  Wissen- 
schaften, deren  „Kommission  für  die  Erforschung  der 
Urgeschichte  Bayerns"  er  seit  1901  präsidierte. 

Wer  Rankes  Stellung  in  seiner  Wissenschaft  richtig  be- 
werten will,  muß  davon  ausgehen,  daß  er  jener  Richtung  von 
Naturforschern  angehörte,  die  um  die  Mitte  des  vorigen  Jahr- 
hunderts, noch  in  Kampfesstellung  gegen  die  kaum  überwundene 
Naturphilosophie  begriffen,  die  nüchterne  Beobachtung  und 
das  Sammeln  verbürgter  Tatsachen  auf  ihre  Fahne  schrieben. 
Einer  der  namhaftesten  Vertreter  derselben  war  RudolfVir- 
chow,  der  sich  in  späterer  Lebenszeit  mehr  und  mehr  der 
Anthropologie  zuwandte  und  deren  geistige  Führei'schaft  über- 
nahm. Ranke  stand  Virchow  nicht  nur  persönlich  sondern 
auch  in  seinem  wissenschaftlichen  Glaubensbekenntnis  nahe. 
Er  war  wie  dieser  von  vornherein  ein  Gegner  des  Darwi- 
nismus und  verhielt  sich  auch  der  Deszendenztheorie 
gegenüber  entschieden  ablehnend.  Diese  Stellungnahme  war 
von  der  streng  kirchlichen  Richtung,  welcher  er  angehörte, 
gewiß  nicht  unbeeinflußt,  aber  sie  entsprang  doch  ebenso  sehr 
seiner  Abneigung  gegen  die  Auswüchse  phylogenetischer  Spe- 
kulationen, welche  aus  der  Saat  der  jungen  Entwicklungslehre 
damals  nur  allzu  üppig  in  die  Halme  schössen.  In  ihnen  sah. 
er   einen  Rückfall   in    die    alte   Naturphilosophie.     Er    mochte 


I 


Ranke,  Wiesner  77 

darin  nicht  unrecht  haben,  aber  in  ihrem  Kern  war  die  neue 
Bewej^ung  gesund  und  daseinsberechtigt.  Hat  sie  doch  durch 
ihre  befruchtenden  Gedanken  den  Impuls  zu  einem  ungeahnten 
Aufschwung  der  morphologischen  Wissenschaften  gegeben.  Da 
konnte  auch  die  Anthropologie,  die  jüngste  von  diesen  Dis- 
ziplinen, die  sich  zur  selbständigen  Wissenschaft  durchgerungen 
hatte,  ihre  Pforten  der  stammesgeschichtlichen  Forschung  auf 
die  Dauer  nicht  verschließen.  An  der  Spitze  der  Jung- Anthro- 
pologen stand  der  gemäläigte  und  streng  kritische  Schwalbe 
und  der  ungestümere,  phantasievolle  Klaatsch.  Dem  letzteren 
trat  Ranke  auf  der  denkwürdigen  Anthropologenversammlung 
in  Lindau  1899  mit  Schärfe  und  Geschick  entgegen,  indem  er 
dessen  Ausführungen  in  das  Gebiet  luftiger  Spekulationen  ver- 
wies. Der  Gegensatz  blieb  unausgeglichen  und  mußte  es  seiner 
Natur  nach  bleiben. 

Richtungen  und  Theorien  sind  das  Wechselnde  in  der  Ge- 
schichte einer  Wissenschaft,  das  Bleibende  ist  das  stetig  wach- 
sende Gebäude  der  Tatsachen.  Zu  diesem  aber  hat  Johannes 
Ranke  als  echter  Forscher  manch  wertvollen  Baustein  beige- 
tragen. Der  Name  Ranke  wird  in  der  Anthropologie,  als 
der  eines  Mitbegründers  dieser  Wissenschaft,  fortleben  wie  das 
Bild  des  gütigen  und  liebenswerten  Menschen  in  der  Erinne- 
rung seiner  Freunde  und  Schüler.  Johannes  Rückert. 


Am  12.  Oktober  1916  starb  in  Wien  das  korrespondierende 
Mitglied  der  mathematisch -naturwissenschaftlichen  Klasse  Julius 
Ritter  von  Wiesner. 

Wiesner  wurde  am  20.  Januar  1838  zu  Tschechen  in  Mähren 
geboren.  Er  studierte  in  Wien  Naturwissenschaften,  habilitierte 
sich  1861  am  „polytechnischen  Institute"  (der  späteren  tech- 
nischen Hochschule)  in  Wien  für  Pflanzenphysiologie,  wurde 
an  dieser  Anstalt  1868  außerordentlicher  Professor,  1870  ordent- 
licher Professor  an  der  forstlichen  Lehranstalt  in  Mariabrunn 
und  1873  ordentlicher  Professor  der  Anatomie  und  Physiologie 
der  Pflanzen  an  der  Universität  in  Wien.     Von  dieser  Stellung 


78  ^Bfflr         Nekrologe 

trat  er  entsprechend  den  österreichischen  Bestimmungen  über 
die  Altersgrenze  1909  zurück. 

Es  sei  im  Anschluß  an  diese  kurze  Skizze  seines  äußeren 
Lebens  zunächst  hervorgehoben,  daß  Wiesner  zu  den  erfolg- 
reichsten Hochschullehrern  auf  dem  Gebiete  der  Botanik  ge- 
hörte. Der  glänzende  Aufschwung,  welchen  die  allgemeine 
Botanik  in  Osterreich  genommen  hat,  ist  in  erster  Linie  ihm 
zu  verdanken.  Er  verstand  es,  eine  große  Anzahl  begabter 
Studierender  für  die  Botanik  zu  gewinnen  und  an  fast  allen 
österreichischen  Hochschulen  wirken  jetzt  seine  Schüler. 

Zu  diesem  Erfolge  trugen  wesentlich  bei  die  Errichtung 
eines  vortrefflichen  pflanzenphysiologischen  Instituts  und  Wies- 
ners liebenswürdige,  vielseitig  gebildete  Persönlichkeit. 

Seine  Lehrbegabung  spricht  sich  auch  aus  in  der  Ab- 
fassung eines  weit  verbreiteten  Lehrbuchs,  seiner  „Elemente 
der  wissenschaftlichen  Botanik",  das  in  mehreren  Auflagen 
erschien. 

Eine  ganz  außergewöhnliche,  nie  rastende  Arbeitskraft  be- 
fähigte ihn  zu  einer  wissenschaftlichen  Tätigkeit  von  fast  bei- 
spiellosem Umfang  und  von  größter  Mannigfaltigkeit  der  be- 
handelten Fragen.  In  dem  Nekrolog  seines  Schülers  und  Nach- 
folgers H.  Molisch*)  sind  nicht  weniger  als  231  Veröffent- 
lichungen aufgeführt  —  einige  darunter  stellen  umfangreiche 
Werke  dar  und  in  den  Jahren  zwischen  1854  und  1916  ist 
nur  1856  ohne  eine  Arbeit  Wiesners,  während  z.  B.  in  das 
Jahr  1892  11  Veröffentlichungen  fallen! 

Seine  wissenschaftliche  Tätigkeit  bewegte  sich  auf  zwei 
Hauptgebieten,  dem  der  Pflanzenphysiologie  und  dem  der  tech- 
nischen Botanik,  ohne  sich  etwa  auf  diese  zu  beschränken. 

Seine  pflanzenphysiologischen  Untersuchungen  umfassen 
namentlich  die  Frage  nach  der  Wirkung  des  Lichtes  auf  die 
Pflanzen,  Transpiration  und  Zusammenhang  zwischen  Lage  und 
Ausbildung  des  Pflanzenkörpers. 


*)  H.  Molisch,  Julius  von  Wiesner,  Ber.  der  deutschen  botanischen 
Gesellschaft  Bd.  XXXIV-  (1916). 


Wiesner  •»' 

Am  meisten  beschäftigt  hat  ihn  wohl  das  Gebiet  der  Licht- 
wirkung. Wir  verdanken  ihm  wertvolle  Untersuchungen  über 
den  Heliotropismus  und  namentlich  über  den  „Lichtgenuß". 
Er  ermittelte  durch  exakte  Messungen  den  Gang  der  chemi- 
schen Lichtintensität,  das  Verhältnis  der  Stärke  des  direkten 
Sonnenlichtes  zum  diffusen  Lichte,  die  den  Pflanzen  an  ihren 
natürlichen  Standorten  zu  Gebote  stehende  Lichtmenge  und 
die  Einwirkung  des  Lichtes  auf  die  gesamte  Pflanzengestal- 
tung. Diese  Fragen  verfolgte  er  namentlich  auch  auf  wissen- 
schaftlichen Forschungsreisen  in  Java,  in  Nordamerika  und  im 
arktischen  Gebiete. 

Aber  er  fand  Zeit  auch  zahlreiche  andere  pflanzenphysio- 
logische Fragen  in  Angriff  zu  nehmen  und  zu  fördern,  die  im 
Einzelnen  hier  aufzuzählen  nicht  möglich  ist. 

Die  technische  Botanik  verdankt  ihm  ein  viel  benutztes 
und  hochgeschätztes  in  drei  Auflagen  erschienenes  Werk  „Die 
Rohstoffe  des  Pflanzenreiches".  Namentlich  war  er  auch  eine 
Autorität  auf  dem  Gebiete  der  mikroskopischen  Untersuchung 
des  Papiers,  die  ihn  zu  kulturhistorisch  interessanten  Ergeb- 
nissen führte. 

Daß  ein  Forscher  von  so  vielseitiger  Begabung  sich  auch 
allgemein  biologischen  und  philosophischen  Problemen  zuwandte, 
ist  nicht  überraschend. 

In  dieses  Gebiet  gehören  sein  Werk  „Über  die  Elementar- 
struktur und  das  Wachstum  der  lebenden  Substanz"  —  das 
auf  mancherlei  Widerspruch  gestoßen  ist  —  und  namentlich 
sein  letztes,  kurz  vor  seinem  Tode  erschienenes  Buch  „Er- 
schaffung, Entstehung,  Entwicklung  und  über  die  Grenzen  der 
Berechtigung  des  Entwicklungsgedankens".  Er  nimmt  darin 
Stellung  zu  dem  Entwicklungsproblem  überhaupt  und  läßt  seine 
Weltauffassung  erkennen.  Trägt  dieses  Buch  auch  —  wie 
das  fast  selbstverständlich  ist  —  die  Züge  eines  Altersw^erkes 
an  sich,  so  ist  es  doch  ein  schöner  Abschluß  der  unermüd- 
lichen, reichen  und  nach  den  höchsten  Zielen  strebenden  Lebens- 
arbeit Wiesners.  Karl  v.  Goebel. 


80  Nekrologe 

Historische  Klasse. 

Im  Dezember  1916  starb  Anatole  Leroy-Beaulieu  (geb.  1842), 
korrespondierendes  Mitglied  der  historischen  Klasse,  Membre 
de  rinstitut,  Jahrzehnte  hindurch  Professor  für  neuere  Ge- 
schichte und  Orient  an  der  Ecole  libre  des  sciences  politiques 
in  Paris,  deren  Direktor  er  1906  geworden  ist:  der  Verfasser 
einer  stattlichen  Anzahl  historisch -publizistischer  Werke,  vor 
allem  aber  des  berühmten  Buches  über  Rußland,  l'Empire  des 
Tsars  et  les  Russes  (3  Bände  1881).  Auf  Grund  dieser  aus 
den  literarischen  Quellen  und  persönlichster  Kenntnis  ge- 
schöpften Darstellung,  die  mit  Umsicht,  Gewissenhaftigkeit 
und  Unbefangenheit  die  Gegenwart  im  Zusammenhange  der 
Vergangenlieit  begreife,  hat  C.  A.  Cornelius  1891  die  Wahl 
dieses  , Universalhistorikers"  zum  Mitgliede  unserer  Akademie 
beantragt.  Erich  Marcks. 

Am  4.  Januar  gegenwärtigen  Jahres  starb  zu  Heidelberg 
der  Groläh.  Badische  Geheime  Rat  und  Professor  des  deutschen 
Rechts  Richard  Schröder.  Er  gehörte  unserer  Körperschaft  seit 
1892  als  korrespondierendes  Mitglied  an.  Aber  in  mittelbare 
Beziehungen  zu  ihr  war  er  schon  um  drei  Jahrzehnte  früher 
getreten,  damals  als  das  Unternehmen  der  Weistümersammlung 
Jakob  Grimms  an  die  Historische  Kommission  übergegangen 
war.  In  der  Vorrede  zum  IV.  Teil,  den  1862  noch  Jakob 
Grimm  selbst  abschloß,  gedenkt  dieser  der  Beihilfe  des  Dr.  Ri- 
chard Schröder,  der  ihm  neben  Rudolf  Hildebrand  „in  Aus- 
wahl und  Korrektur"  an  die  Hand  gegangen  sei.  Nach  dem 
1863  eingetretenen  Tode  des  Gründers  jenes  bedeutenden 
Quellenwerks  wurde  Richard  Schröder  mit  dessen  Weiter- 
und Ausbau  betraut.  So  war  aus  der  Abendröte  der  germa- 
nistischen Heroenzeit  noch  ein  letzter  Strahl  auf  seine  wissen- 
schaftliche Entwicklung  gefallen.  Er  wußte  diesen  Glücksfall 
zu  würdigen  und  sich  selbst  seiner  würdig  zu  betätigen.  Er 
ist  der  übernommenen  Aufgabe  treu  geblieben  und  hat  sie 
mit  ungewöhnlicher  Umsicht  und  Gewissenhaftigkeit  und  unter 


Schröder  öl 

Aufwand  entsagungsvollen  Fleißes  gelöst.  Zeugnis  davon  geben 
insbesondere  die  vielen  Nachträge  und  Berichtigungen  und 
der  1878  erschienene  Schlußband  mit  seinen  umfangreichen, 
tief  ins  einzelne  gehenden  Registern,  die  jedem  Benutzer  der 
abgedruckten  Texte  die  schwerste  Arbeit  abnehmen. 

Schon  in  der  Art,  wie  er  sich  dieser  Saramelarbeit  wid- 
mete, äußerten  sich  die  Charakterzüge,  die  in  Schröders  Ge- 
lehrtenleben immer  wiederkehren:  die  naive  Zuversicht,  womit 
er  an  weitschichtige  literarische  Unternehmungen  herantritt, 
und  die  ernste  Beharrlichkeit,  womit  er  die  einmal  gefaßten 
Vorsätze  bis  ans  Ende  verfolgt;  aber  auch  die  Arbeitskraft, 
die  ihn  schier  unverwüstlich  bis  ins  hohe  Alter  hinein  be- 
gleitet hat. 

Denn  während  des  ersten  Jahrzehnts  seiner  Beschäftigung 
mit  den  Weistümern  galten  seine  vornehmsten  Leistungen  dem 
großen  Werk,  dem  er  fortan  sein  hohes  Ansehen  in  der  wissen- 
schaftlichen Welt  verdankte,  seiner  „Geschichte  des  ehelichen 
Güteriechts  in  Deutschland".  Kühn  genug  war  der  Plan  dazu 
gewesen,  dem  der  junge  Doktor  seit  seiner  Berliner  Preis- 
schrift und  Dissertation  „De  dote  secundum  leges  gentium 
Germanicarum"  (1861)  nachgegangen  war.  Bis  in  die  letzten 
Winkel  hinein  partikularrechtlich  und  buntscheckig  fanden 
sich  die  Vermögensverhältnisse  der  Ehegatten  geordnet,  im 
Mittelalter  einem  Labyrinth,  wie  Schröder  treffend  sagt,  ver- 
gleichbar, zu  dem  aber  der  Ariadnefaden  erst  noch  entdeckt 
werden  mußte.  Wohl  gab  es  einige  gute  Vorarbeiten.  Doch 
Ordnung  und  Übersicht  in  den  ganzen  ungeheueren  Stoff  zu 
bringen,  schien  ein  verzweifeltes  Unterfangen.  Hatte  doch 
eben  damals  ein  sachkundiger  Gelehrter  eine  Geschichte  des 
ehelichen  Güterrechts  von  ganz  Deutschland  für  unmöglich 
erklärt.  Schröder  aber  hat  mit  den  vier  Bänden,  die  er 
1863 — 1874  erscheinen  ließ,  in  der  Hauptsache  sein  Ziel  er- 
reicht. Man  kann  bedauern,  daß  der  Verfasser  die  ohnehin 
trockenen  Phänomene  allzu  statistisch  behandelt,  zu  wenig  als 
Historiker  auf  das  Ursächliche  eingeht,  und  man  mag  viel- 
leicht  wünschen,    er   hätte   seinen   Gesichtskreis,    nachdem   er 

Jahrbuch  1917.  6 


82  Nekrologe 

doch  das  angelsächsische  Recht  hereingezogen,  auch  den  ger- 
manischen Norden  wenigstens  streifen  lassen;  manches  Problem 
wäre  ihm  dann  wohl  deutlicher,  manche  Erkenntnis  zugänff- 
licher  geworden.  Aber  dasjenige,  worauf  es  vor  allem  ankam, 
„in  die  wie  keine  andern  verworrenen  und  verwickelten  Güter- 
rechtsverhältnisse der  Ehegatten  in  Deutschland  Licht  und 
Klarheit  zu  bringen",  d.  h.  die  gegensätzlichen  sie  beherr- 
schenden Gedankensysteme,  wie  sie  in  den  verschiedenen  Zeit- 
altern auftraten,  auseinander  zu  legen,  ihre  räumliche  Ver- 
breitung zu  bestimmen  und  ihre  Spielarten  aufzuzeigen,  das 
ist  ihm  gelungen.  Alles  dies  auf  der  Grundlage  einer  unge- 
mein ausgebreiteten  und  durchweg  selbständigen  Quellenfor- 
schung, von  der  aus  er  erst  zur  Literatur  Stellung  genommen 
hat.  In  dieser  Methode  war  er  ja  einst  in  Göttingen  von 
Georg  Waitz  geschult  worden. 

Doch  war  er  kein  gewöhnlicher  Waitz-Schüler.  Die  Eigen- 
art in  ihm  ist  vielmehr  erst  durch  die  beiden  lang  neben 
einander  hergehenden  Arbeiten  an  den  Weistümern  und  an 
der  Geschichte  des  ehelichen  Güterrechts  großgezogen  worden. 
Von  den  Weistümern  stammte  seine  Neigung  und  sein  Ver- 
ständnis für  alles  Anschauliche,  Sinnige,  Bodenständige  und 
Altertümliche  im  Rechtsleben,  für  das  Terminologische,  das 
Poetische,  das  Charakteristische  und  Humoristische  in  seiner 
Ausdrucksweise.  Manches  dazu  mag  er  freilich  von  der  Berliner 
Universität  mitgebracht  haben,  wo  er  —  mit  „musterhaftem 
Fleiß  und  schönstem  Erfolg"  —  über  Gotisch  und  mittelhoch- 
deutsche Dichter  bei  Hans  Ferdinand  Massmann  und  Moritz 
Haupt  Vorlesungen  gehört  hatte.  Die  Geschichte  des  ehe- 
lichen Güterrechts  aber  verlangte  —  dringender  beinahe  als 
irgend  ein  anderes  Stück  deutscher  Rechtsgeschichte  —  nach 
dem  nüchternen  Juristen.  Hier  reichte  kein  bloßes  Beschreiben 
aus,  kein  bloßes  Verzeichnen  einzelner  Rechtsvorschriften  oder 
rechtlicher  Vorkommnisse,  sondern  nur  begrifflicher  Aufbau 
der  Institute  auf  Grund  deutlich  formulierter  Prinzipien,  die 
auf  induktivem  Weg  gefunden  werden  mußten.  Wenn  Schröder 
diese    Aufgabe    in    wahrhaft    vorbildlicher   Weise    erfüllte,    so 


Schröder  83 

kam  das  nicht  bloß  daher,  daß  er  in  juristischen  Traditionen 
aufgewachsen  und  eifriger  Hörer  eines  Friedrich  Ludwig 
V.  Keller,  eines  Gustav  Homeyer,  eines  Rudolf  Gneist,  eines 
August  Wilhelm  Heffter  gewesen  war  und  noch  weniger  von 
seiner  Anhänglichkeit  an  Georg  Beseler,  für  den  der  an- 
gehende Germanist  sich  doch  wohl  hauptsächlich  wegen  seiner 
vaterländischen  Denkweise  begeistert  hatte.  Man  sieht  viel- 
mehr mit  jedem  Band,  zu  dem  sein  Geschichtswerk  fortschritt, 
ebenso  wie  in  kleineren  Nebenarbeiten,  zu  denen  er  in  den- 
selben Jahren  immer  noch  Zeit  fand,  wie  der  Jurist  in  ihm 
die  Oberhand  über  den  Altertumsfreund  gewinnt.  Und  wenn 
er  vor  jener  rechtsgeschichtlichen  Romantik  bewahrt  blieb,  in 
die  man  damals  leicht  verfallen  konnte,  so  mochte  er  es  dem 
zwingend  juristischen  Gegenstand  danken,  der  ihn  festhielt. 
Der  Schöpfung  Schröders  aber  verdanken  es  seine  Fachgenossen 
vornehmlich,  wenn  rechtsgeschichtliche  Forschungen  auch  in 
den  Kreisen  derjenigen  schätzenswert  blieben,  welche  Rechts- 
geschichte weniger  zu  lesen  als  zu  machen  lieben.  Darum 
auch  war  er  der  gegebene  Mann,  um  den  deutschen  Juristen- 
tag und  die  Kommission,  die  den  ersten  Entwurf  zum  Bürger- 
lichen Gesetzbuch  aufstellte,  mit  Gutachten  und  einem  Ent- 
wurf über  eheliches  Güterrecht  zu  unterstützen. 

Auch  sonst  hat  die  praktische  Jurisprudenz  noch  mehr- 
fach die  Mitarbeit  von  Richard  Schröder  beansprucht.  Aber 
sein  Herz  gehörte  nun  einmal  der  Rechtsgeschichte,  Die  Ab- 
handlungen, die  er  in  Zeitschriften  veröffentlichte,  sind  fast 
sämtlich  historisch.  Und  seit  den  achtziger  Jahren  standen 
beinahe  alle  seine  Arbeiten  nur  noch  im  Dienste  seines  zweiten 
großen  Geschichtswerks,  worin  die  Eigenschaften  des  Juristen 
und  des  Historikers  mehr  als  früher  mit  einander  verbunden 
und  gegen  einander  ausgeglichen  erscheinen,  des  , Lehrbuchs 
der  deutschen  Rechtsgeschichte".  Gewiß  hat  er  dieses  Buch 
nach  einem  ganz  andern  Verfahren  zustand  gebracht  und  zu- 
stand bringen  müssen  als  seinerzeit  die  Güterrechtsgeschichte. 
Hier  galt  es  ja  nicht  jedes  einzelne  Kapitel  vollständig  neu 
und  unmittelbar  aus  den  Quellen   herauszuholen,    sondern   die 

6* 


84  Nekrologe 

Ergebnisse  einer  ungeheueren  Literatur  zu  sichten  und  zu 
einem  Gesamtbild  zu  ordnen.  Die  darin  liegenden  Schwierig- 
keiten hat  seine  Ausdauer,  seine  Urteils-  und  Gestaltungskraft 
scheinbar  spielend  überwunden.  Mit  allen  einschlägigen  frem- 
den Leistungen,  die  er  mit  beinahe  bibliographischer  Voll- 
ständigkeit verzeichnet,  hat  ihn  eine  beneidenswerte  Aufnahms- 
fähigkeit vertraut  gemacht.  Überall  aber,  wo  er  von  den 
Forschungen  Anderer  ausgehen  muß,  wahrt  er  sich  das  Recht 
der  Kritik,  die  ihm  seine  genaue  Kenntnis  des  Materials  er- 
möglicht. Reichen  dazu  die  Fußnoten  nicht  aus,  so  geht  er 
einzelnen  Fragen  in  Spezialstudien  nach.  Und  wie  oft  ver- 
mag er  doch  auch  das  von  Vorgängern  Gebotene  zu  ergänzen! 
Die  aber  vor  und  neben  ihm  das  Gleiche  unternommen,  sie 
alle  übertrifft  er  an  Fülle  der  dargestellten  Gegenstände  wie 
an  Klarheit  der  Darstellung  selbst.  Von  der  Mitte  der  acht- 
ziger Jahre  an  bis  zu  seinem  Lebensende  stand  dieses  Buch 
im  Mittelpunkt  seiner  literarischen  Fürsorge.  Fünf  Auflagen 
sind  fertig  geworden;  die  sechste  hatte  er  unter  den  Händen, 
als  der  Tod  dem  Achtundsiebzigjährigen  die  Feder  entwand. 
Mit  jeder  Auflage  nimmt  die  Einläßlichkeit  und  Reichhaltig- 
keit zu.  Aus  dem  Lehrbuch  wird  mehr  und  mehr  ein  Hand- 
buch. Und  mit  jeder  Auflage  wird  es  auch  besser.  Jede 
neue  Errungenschaft  der  Forschung  findet  ihren  Platz.  Er 
verwertet  die  Versuche  einer  neuen  Rechtsarchäologie,  der  er 
selbst  in  ein  Paar  kleineren  Schriften  näher  tritt.  Frei  von 
jeder  Rechthaberei  zeigt  er  sich  stets  bereit,  liebgewonnene 
Meinungen  aufzugeben,  sobald  ihm  die  Gründe  dafür  nicht 
mehr  auszureichen  scheinen.  Das  gehört  zu  den  Grundzügen 
seines  wissenschaftlichen  Charakters.  Ist  doch  schon  gleich 
die  Gesamtanlage  des  Buches  ein  Zeugnis  seiner  Selbstüber- 
windung! Noch  1876  hatte  er  in  scharfem  Gegensatz  zur 
synchronistischen  Methode  die  systematische  für  „die  allein 
durchführbare"  erklärt,  und  wenn  er  in  dieser  Prinzipienfrage 
hätte  unbelehrbar  sein  wollen,  so  hätte  er  sich  auf  Vorgänger 
und  Mitstrebende  berufen  können.  Wie  sah  man  sich  aber 
überrascht,  als  schon  bei  seinem  ersten  Erscheinen  dem  Lehr- 


Schröder  85 

buch  die  synchronistische  Darstellungsform  zugrunde  lag!  Der 
Verfasser  hatte  eben  umgelernt.  Er  hatte  sich  darein  ge- 
funden, daß  Rechtsgeschichte  nicht  bloß  Jurisprudenz,  sondern 
auch  Geschichte  sein  muß. 

Unermüdlich  wie  immer  hielt  er  auch  neben  dem  Lehr- 
buch noch  andere  Eisen  im  Feuer.  Er  übernahm  als  Mitglied 
der  badischen  historischen  Kommission  die  Leitung  der  Her- 
ausgabe der  oberrheinischen  Stadtrechte  und  die  von  1895  bis 
1898  erschienenen  sind  noch  von  ihm  selbst  überaus  umsichtig 
bearbeitet.  Seinen  alten  terminologischen  Neigungen  getreu 
beteiligte  er  sich  als  Mitglied  der  von  der  Berliner  Akademie 
eingesetzten  Kommission  zur  Herausgabe  eines  deutschen  Rechts- 
wörterbuches von  1896  an  mit  hingebendem  Eifer  an  den  Vor- 
arbeiten für  dieses  nationale  Unternehmen.  Seiner  vorgerückten 
Jahre  ungeachtet  nahm  er  sogar  die  Mühen  des  Schri-ftleiters 
auf  sich,  gründete  das  Wörterbucharchiv  zu  Heidelberg,  und 
unter  seiner  Obhut  konnten  noch  das  riesige  Verzeichnis  der 
ausgezogenen  Quellen  und  das  erste  Heft  des  Textes  erscheinen. 

Nicht  Vielgeschäftigkeit  war  es,  was  ihn  antrieb,  sich 
nach  so  verschiedenen  Richtungen  zu  betätigen.  Nichts  lag 
seiner  bescheidenen  Natur  ferner,  als  sich  jemals  wichtig  zu 
machen.  Es  war  die  aufrichtige  Freude  an  den  Sachen,  für 
die  ihn  seine  vielseitige  Bildung  eignete,  die  Begeisterungs- 
fähigkeit, die  ihm  seine  frohgemute  Sinnesart  bis  ins  hohe 
Alter  frisch  erhielt,  dieselbe  unerschütterliche  Sinnesart,  die 
ihm  auch  über  so  manche  Widerwärtigkeiten,  wie  sie  das 
Leben  bringt,  hinweggeholfen  hat.  So  hat  er  selbst  in  seinen 
letzten  Jahren  noch  etwas  Jugendliches  behalten,  trotzdem 
schon  längst  Unfälle  und  Krankheiten  seinen  Körper  ge- 
schwächt hatten  und  seine  Augen  mehr  und  mehr  den  Dienst 
versagten.  Kein  Wunder,  daß  er  alle  Eigenschaften  besaß, 
die  einen  zum  akademischen  Lehrer  machen  können.  Als 
solcher  war  er  beliebt  und  gesucht.  Vor  Heidelberg  waren 
Bonn,  Würzburg,  Straßburg,  Göttingen  Stätten  seines  Wirkens 
gewesen.  Wie  ernst  er  seinen  Lehrberuf  nahm,  beweist  die 
vielgebrauchte  Urkundensammlung   zur   Geschichte    des    deut- 


86  Nekrologe 

sehen  Privatrechts,  die  er  in  usum  scholarum  veranstaltet  hat. 
Dem  Lehrstuhl  zu  entsagen  wäre  für  ihn  kein  leichterer  Ent- 
schluß gewesen,  als  sich  von  seinen  Manuskripten  zu  trennen. 
Er  schien  nicht  daran  zu  glauben,  daß  auch  für  ihn  der 
Feierabend  kommen  könnte.  Unter  den  gewaltigen  Ein- 
drücken des  Weltkrieges  schien  er  vielmehr  innerlich  neu 
belebt.  Er  pries  sein  Alter,  da  es  ihm  beschieden  war,  zum 
zweitenmal  einen  Aufschwung  des  deutschen  Volkes  mit  an- 
zusehen. Karl  V.  Amira. 


Wahlen  87 


In  der  allgemeinen  Sitzung  am  18.  Juli  1917  wurden 
folgende  Wahlen  vollzogen  und  von  Seiner  Majestät  dem  König 
bestätigt : 

Philosophisch  -  philologische  Klasse : 

a)   als  außerordentliche  Mitglieder: 

1.  Dr.  Karl  Borinski,   a.  o.  Professor  für  neuere  Literatur- 

geschichte an  der  Universität  München, 

2.  Dr.  Paul  Lehmann,   Privatdozent  nun  a.o.  Professor  für 

lateinische  Philologie  des  Mittelalters  an  der  Universität 
München, 

b)  als  korrespondierendes  nun  außerordentliches 
Mitglied : 

Dr.  Carl  von  Kraus,  Geh.  Hofrat,  ord.  Professor  der 
älteren  deutschen  Sprache  und  Literatur  an  der  Uni- 
versität Wien,  nun  ord.  Professor  der  deutschen  Philo- 
logie an  der  Universität  München, 

c)  als  korrespondierende  Mitglieder: 

1.  Dr.  Georg  Wissowa,  Geh.  Regierungsrat,   ord.  Professor 

der  klassischen  Philologie  an  der  Universität  Halle, 

2.  Dr.  Benno  Erdmann,  Geh.  Regierungsrat,  ord.  Professor 

der  Philosophie  an  der  Universität  Berlin, 

3.  Dr.   Heinrich   Rickert,    Geh.   Hof  rat,    ord.  Professor    der 

Philosophie  an^der  Universität  Heildelberg. 

Mathematisch  -  physikalische  Klasse: 

a)  als  ordentliches  Mitglied? 
Dr.   Emanuel  Kayser,    ord.   Professor    der    Geologie    und 
Paläontologie  an  der  Universität  Marburg,  nun  im  Ruhe- 
stand in  München,   bisher  korrespondierendes  MitglietJ, 


88  Wahlen 

b)  als  außerordentliche  Mitglieder: 

1.  Dr.  Heinrich  Lieb  mann,    ord.  Professor   der   Mathematik 

an  der  Technischen  Hochschule  München, 

2.  Dr.  Jonathan  Zenneck,  ord.  Professor  der  Experimental- 

physik an  der  Technischen  Hochschule  München, 

c)  als  korrespondierendes  Mitglied: 

Dr.  Fritz  Haber,  Geh.  Regierungsrat,  Direktor  des  Kaiser  ■ 
Wilhelm  -  Instituts    für   physikalische   Chemie    und    ord. 
Honorarprofessor  an  der  Universität  Berlin. 

Historische  Klasse: 

a)  als  außerordentliches  Mitglied: 
Dr.  Walther  Lotz,  Geh.  Hofrat,  ord.  Professor  der  Finanz- 
wissenschaft,   Statistik    und    Nationalökonomie    an    der 
Universität  München, 

b)  als  korrespondierende  Mitglieder: 

1.  Dr.    Moriz  Wlassak,    K.  K.  Hofrat,    ord.    Professor    des 

römischen  Rechts  an  der  Universität  Wien, 

2.  Dr.  Ulrich  Stutz,  Geh.  Justizrat,  ord.  Professor  des  deut- 

schen und  Kirchenrechts  an  der  Universität  Berlin. 


89 


Personalstand. 

(Ende  1917.) 


Protektor: 
SEINE  MAJESTÄT  DER  KONIG. 


Verwaltung. 

Präsident: 

Dr.  Otto  Cru8iu8,  K.  Geh.  Rat,  o.  Univ.-Professor  für  klassische  Philo- 
logie, geb.  20.  Dez.  1857  zu  Hannover  (o.  1905,  a.  o.  1903),  Widen- 
mayerstraße  lO/III. 

Sekretär  der  philosophisch-philologischen  Klasse: 

Dr.  Ernst  Kuhn,  K.  Geh.  Rat,  o.  Univ.-Professor  für  arische  Philologie, 
geb.  7.  Febr.  1846  zu  Berlin  (o.  1883,  a.  o.  1878),  Heßstr.  2/II. 

Sekretär  der  mathematisch-physikalischen  Klasse: 

Dr.  Karl  Ritter  v.  Goebel,  K.  Geh.  Rat,  o.  Univ.-Professor  für  Botanik, 
Direktor  des  K.  Botanischen  Gartens  und  des  Pflanzenphysiologischen 
Instituts,  geb.  8.  März  1855  zu  Billigheim,  Baden  (o.  1892),  Menzinger- 
straße  15  (Botan.  Garten). 

Sekretär  der  historischen  Klasse: 

Dr.  Erich  Marcks,  K.  Geh.  Rat,  o.  Univ.-Professor  für  Geschichte,  geb. 
17.  Nov.  1861  zu  Magdeburg  (o.  1913,  korr.  1898),  Mauerkircherstr.  41. 

Syndikus : 
Dr.  Karl  Alexander  v.  Müller,  Honorarprofessor  für  Geschichte  an  der 
Universität,  geb.  20.  Dez.  1882  zu  München,  Glückstr.  12/III. 


90  PersonaLstand 

Bibliothek: 

Bibliothekar:  Dr.  Adolf  Hilsenbeck,  Bibliothekar  der  K.  Hof-  und  Staats- 
bibliothek. 

Kanzlei: 
Kanzleisekretär:  Adolf  Reichel. 
Diener:       —    — 

Kassen  Verwaltung: 

Kassier:   Hans  Dehn  er. 
Kassesekretär:    Leonhard  Meier. 
'  Hilfsarbeiterin :  Emilie  E  n  n  i  c  h  1. 

Haus: 

Hausverwalter:   Joseph  Ennichl. 
Hausdiener  und  Heizer:   Peter  Hufnagl. 
Pförtner  und  Hilfsheizer:  Anton  Schwald. 

Buchhändler  der  Akademie: 

G.  Franzscher  Verlag  (Kgl.  u.  Herzogl.  Bayer.  Hofbuchhändler  J.  Roth), 
Ottostr.  3  a. 


91 


Ehrenmitglieder. 

1892  Ihre  Königliche  Hoheit  Prinzessin  The  res  e  von  Bayern. 
1911  Seine  Königliche  Hoheit  Kronprinz  Rupprecht  von  Bayern. 


Ordentliche  und  ausserordentliche  Mitglieder. 

Philosophisch -philologische  Klasse. 

Ordentliche  Mitglieder 
(nach  dem  Jahre  der  Wahl  und  nach  dem  Stande  Ende  1917). 

Dr.  Ernst  Kuhn  (o.  1883,  a.  o.  1878),  s.  Klassensekretär  S.  89. 

Dr.  Nikolaus  Wecklein,  K.  Geh.  Hofrat,   Gymnasialrektor  a.  D.,   geb. 

19.  Februar  1843  zu  Gänheim  (o.  1887,  a.  o.  1872),   Possartstr.  12/0. 
Dr.  Hermann  Paul,   K.  Geh.  Rat,   o.  Professor  für  deutsche  Philologie, 

geb.  7.  Aug.  1846  zu  Salbke  bei  Magdeburg  (o.  1893,>U8W.  1892), 

Kaulbachstr.  62a/ll. 
Dr.  Karl  v.  Amira,    o.  Univ. -Professor    für   deutsche    Rechtsgeschichte, 

deutsches  bürgerliches    Recht,   Handelsrecht  und  Staatsrecht',    geb. 

8.  Februar  1848  zu  Aschaffenburg  (o.  1901),  Möhlstr.  37. 
Dr.  Otto  Crusius  (o.  1905,  a.  o.  1903),  s.  Präsident   S.  89. 
Dr.  Franz  Muncker,  K.  Geh.  Hofrat,  o.  Univ.-Professor  für  neuere  insbe- 
sondere deutsche  Literaturgeschichte,  geb.  4.  Dez.  1855  zu  Bayreuth 

(o.  1906,  a.  0.  1901),  Liebigstr.  28/IV. 
Dr.  Paul  Wolters,  o.  Univ.-Professor  für  Archäologie,  geb.  1.  Sept.  1858 

zu  Bonn  (o.  1908,  korr.  1903),  Viktor  Scheffelstr.  16/11. 
Dr.  Friedrich  Vollmer,  o.  Univ.-Professor  für  klassische  Philologie,  geb. 

14.  Nov.  1867   zu  Fingscheidt   (o.  1908,   a.  o.    1906),   Mauerkircher- 

straße  26/ni. 
Dr.  Wilhelm  Streitberg,  o.  Univ.-Professor  für  indogermanische  Sprach- 
wissenschaft, geb.  23.  Februar  1864  zu  Rüdesheim  a.  Rh.   (o.   1911. 

a.  o.  1909),  Isabellastr.  31/11. 
Dr.  Clemens  Baeumker,K.  Geh.  Hofrat,  o. Univ.-Professor  für  Philosophie, 

geb.  16.  Sept.  1853  zu  Paderborn  (o.  1913,  a.  o.  1912,  korr.  1909),  Franz 

Josephstr.  30/1. 


92  Personalstand 

Dr.  August  Heisenberg,  o.  Univ.-Professor  für  mittel-  und  neugriechischej 
Philologie,  geb.  13.  Novbr.  1869  zu  Osnabrück  (o.  1913,  a.  o.  1911),f 
Hohenzollernstr.  1  lO/III. 

Dr.  Erich  Berneker,  o.  Univ.-Professor  für  slavische  Philologie,  geb. 
3.  Febr.  1874  zu  Königsberg  in  Preußen  (o.  1913,  a.  o.  1911),  Mauer- 
kircherstraße  16/11. 

Dr.  Friedrich  "Wilhelm  Frhr.  v.  Bissing,  o.  Univ.-Professor  für  Ägyp- 
tologie und  orientalische  Altertumskunde,  geb.  22.  April  1873  zu 
Potsdam  (o.  1916,  a.  o.  1909),  Georgenstr.  10. 

Dr.  Erich  Petzet,  Bibliothekar  an  der  K.  Hof-  und  Staatsbibliothek, 
geb.  3.  Mai  1870  zu  Breslau  (o.  1916,  a.  o.  1910),   Clemensstr.  38/III. 

Dr.  Karl  Vossler,  o.  Univ.-Professor  für  romanische  Philologie,  geb. 
6.  Sept.  1872  zu  Hohenheim  bei  Stuttgart  (o.  1916,  a.  o.  1912),  Leo- 
poldstr.  87/11. 

Ausserordentliche  Mitglieder: 

Dr.  Lucian  Scher  man,  o.  Univ.-Professor  für  Völkerkunde  Asiens  mit 
besonderer  Berücksichtigung  des  indischen  Kulturkreises,  Direktor 
des  K.  Museums  für  Völkerkunde,  geb.  10.  Okt.  1864  zu  Posen 
(1912),  Herzogstr.  8/11. 

Dr.  Joseph  Schick,  K.  Geh.  Hofrat,  o.  Univ.-Professor  für  englische 
Philologie,  geb.  21.  Dez.  1859  zu  Rißtissen  (1913),  Ainmillerstr.  4/II. 

Dr.  Albert  Rehm,  o.  Univ.-Professor  für  klassische  Philologie  und  Päda- 
gogik, geb.  15.  August  1871  zu  Augsburg  (1914),  Montsalvatstr.  12. 

Dr.  Erich  Becher,  o.  Univ.-Professor  für  Philosophie,  geb.  1.  Sept.  1882 
zu  Remscheid  (1916),  Schackstr.  4/0  r. 

Dr.  Carl  v.  Kraus,  K.  Geh.  Hofrat,  o.  Univ.-Professor  für  deutsche  Philo- 
logie, geb.  20.  April  1868  zu  Wien  (1917),  Liebigstr.  28/11. 

Dr.  Karl  Borinski,  a. o.  Univ.-Professor  für  neuere  Literaturgeschichte, 
geb.  11.  Juni  1861  zu  Kattowitz,  Oberschlesien  (1917),  Römerstr.  26/1 1. 

Dr.  Paul  Lehmann,  a.  o.  Univ.-Professor  für  lateinische  Philologie  des 
Mittelalters,  geb.  13.  Juli  1884  zu  Braunschweig  (1917),  Trautenwolf- 
straße  6/IV. 

Mathematisch-physikalische  Klasse. 

Ordentliche  Mitglieder: 
Dr.  Ludwig  Radlkofer,  K.  Geh.  Hofrat,  o.  Univ.-Professor  für  Botanik, 

Direktor  des  Botanischen  Museums,  geb.  19.  Dez.  1829  zu  München 

(o.  1882,  a.  0.  1875),  Sonnenstr.  7/1. 
Dr.  Paul  Heinrich  Ritter  v.  Groth,  K.  Geh.  Rat,  o.  Univ.-Professor  für 

Mineralogie,   Direktor  der  Mineralogischen  Sammlung  des   Staates, 

geb.  23.  Juni  1843  zu  Magdeburg  (o.  1885,   a.  o.  1883,   korr.  1881), 

Kaulbachstr.  62/0. 


Personalstand  93 

Dr.  Hugo  Ritter  v.  Seeliger,  K.  Geh.  Rat,  o.  Univ.-Professor  für  Astro- 
nomie, Direktor  der  K.  Sternwarte,  geb.  23.  Sept.  1849  zu  Biala, 
Österreich  (o.  1887,  a.  o.  1883),  Sternwartstr.  16. 

Dr.  Richard  Ritter  v.  Hertwig,  K.  Geh.  Rat,  o.  Univ.-Professor  für 
Zoologie  und  vergleichende  Anatomie,  Direktor  der  Zoologischen 
Sammlung,  geb.  23.  Sept.  1850  zu  Friedberg  (o.  1889,  a.  o.  1885), 
Schackstr.  2/III. 

Dr.  Aurel  Voss,  K.  Geh.  Hofrat,  o.  Univ.-Professor  für  Mathematik, 
geb.  7.  Dez.  1845  zu  Altona  (o.  1889,  a.  o.  188fi),  Habsburgerstr.  l/II. 

Dr.  Walther  Ritter  v.  Dyck,  K.  Geh.  Rat,  o.  Professor  für  Mathematik 
an  der  Techn.  Hochschule,  geb.  6.  Dez.  1856  zu  München  (o.  1892, 
a.  0.  1890),  Hildegardstr.  5/III. 

Dr.  Karl  Ritter  v.  Goebel  (o.  1892),  s.  Klassen sekretär  S.  89. 

Dr.  Ferdinand  Lindemann,  K.  Geh.  Rat,  o.  Univ.-Professor  für  Mathe- 
matik, geb.  12.  April  1852  in  Hannover  (o.  1895,  a.  o.  1894),  Kol- 
bergerstr.  Il/Hr. 

Dr.  Alfred  Pringsheim,  K.  Geh.  Hofrat,  o.  Univ.-Professor  für  Mathe- 
matik, geb.  2.  Sept.  1850  zu  Ohlau,  Schlesien  (o.  1898,  a.  o.  1894), 
Arcisstr.  12. 

Dr.  Wilhelm  Konrad  Röntgen,  Exz.,  K.  Geh.  Rat,  o.  Univ.-Professor 
für  Experimentalphysik,  Direktor  der  Physikalisch  -  metronomischen 
Sammlung,  geb.  27.  Mcärz  1845  zu  Lennep  (o.  1900,  korr.  1896),  Äußere 
Prinzregentenstr.  l/I. 

Dr.  Johannes  Rückert,  K.  Geh.  Hofrat,  o.  Univ.-Professor  für  Anatomie, 
insbesondere  deskriptive  und  topographische  Anatomie,  Direktor  der 
Anatomischen  Sammlung,  geb.  28.  Dez.  1854  zu  Koburg  (o.  1901, 
a.  0.  1893),  Nußbaumstr.  12/1. 

Dr.  Karl  Ritter  v.  Linde,  K.  Geh.  Rat,  Honorarprofessor  für  angewandte 
Thermodynamik  an  der  Techn.  Hochschule,  geb.  11.  Juni  1842  zu 
Berndorf  (o.  1901,  a.  o.  1896),  Heilmannstr.  17. 

Dr.  Sebastian  Finsterwalder,  K.  Geh.  Hofrat,  o.  Professor  für  Mathe- 
matik an  der  Techn.  Hochschule,  geb.  4.  Okt.  1862  zu  Rosenheim 
(o.  1903,  a.  0.  1899),  Flüggenstr.  4. 

Dr.  August  Rothpletz,  o.  Univ.-Professor  für  Geologie  und  Paläonto- 
logie, Direktor  der  Geologischen  und  Paläontologischen  Sammlung, 
geb.  25.  April  1853  zu  Neustadt  a.  H.  (o.  1904,  a.  o.  1899),  Giselastr.  6/1. 

Dr.  Siegmund  Günther,  K.  Geh.  Hofrat,  o.  Professor  für  Erdkunde  an 
der  Techn.  Hochschule,  geb.  6.  Februar  1848  zu  Nürnberg  (o.  1905, 
a.  0.  1900),  Nikolaistr.  l/II. 

Dr.  August  Föppl,  K.  Geh.  Hofrat,  o.  Professor  für  Mechanik  an  der 
Techn.  Hochschule,  geb.  25.  Januar  1854  zu  Großumstadt,  Hessen 
(o.  1909,    a.  0.   1903),   Lachnerstr.  22. 


94  Personalstand 

Dr.  Erwin  Voit,  K.  Geh.  Hofrat,  o.  Univ. -Professor  für  Physiologie 

Diätetik,  geb.  16.  Dez.  1852  zu  München  (o.  1909,  a.  o.  1903),  Bauer- 
straße 28  HI. 

Dr.  u.  Dr.  Ing.  h.  c.  Ludwig  Burmester,  K.  Geh.  Hofrat,  o.  Professor 
für  darstellende  Geometrie  und  Kinematik  an  der  Techn.  Hoch- 
schule, geb.  5.  Mai  1840  zu  Othmarschen  (o.  1909,  a.  o.  1905),  Kaul- 
bachstr.  83/11. 

Dr.  Arnold  Sommerfeld,  K.  Geh.  Hofrat,  o.  Univ.-Professor  für  theore- 
tische Physik,  Direktor  des  Instituts  für  theoretische  Physik,  geb. 
5.  Dez.  1868  zu  Königsberg  i.  Pr.  (o.  1910,  a.  o.  1908),  Leopold- 
straße 87/111. 

Dr.  Max  Ritter  v.  Gruber,  K.  Geh  Rat  und  Obermedizinalrat,  o.  Univ.- 
Professor  für  Hygiene  und  Bakteriologie,  geb.  6.  Juli  1853  zu  Wien 
(o.  1910,  a.  0.  1909),  Prinzenstr.  10. 

Dr.  Siegfried  Mollier,  o.  Univ.-Professor  für  Anatomie,  insbesondere 
für  Histologie  und  Entwicklungsgeschichte,  Konservator  der  Anato- 
mischen Sammlung,  geb.  19.  Juli  18G6  zu  Triest  (o.  1911,  a.  o.  1908), 
Vilshofenerstr.  10. 

Dr.  Erich  v.  Drygalski,  o.  Univ.-Professor  für  Geographie,  geb.  9.  Febi* 
1865  zu  Königsberg  i.  Pr.  (o.  1912,  a.  o.  1909),  Gaußstr.  6. 

Dr.  Otto  Frank,  K.  Geh.  Hofrat,  o.  Univ.-Professor  für  Physiologie, 
Direktor  des  Physiologischen  Instituts,  geb.  21.  Juni  1865  zu  Groß- 
urastadt,   Hessen  (o.  1912,  a.  o.   19*9),  Haydnstr.  5/II. 

Dr.  u.  Dipl.-Ing.  h.  c.  Max  Schmidt,  K.  Geh.  Hofrat,  o.  Professor  für  Geo- 
däsie und  Topographie  an  der  Techn.  Hochschule,  geb.  17.  März 
1850  zu  Tambach  (o.  1913,  a.  o.  1911),  Franz  Josephstr.  13/111. 

Dr.  Richard  Willstätte r,  K.  Geh.  Hofrat,  o.  Professor  für  Chemie, 
Direktor  des  Chemischen  Laboratoriums  des  Staates,  geb.  13.  Aug. 
1872  zu  Karlsruhe  (o.  1915,  korr.  1914),  Arcisstr.  1. 

Dr.  Emanuel  Kayser,  K.  Preuß.  Geh.  Reg.-Rat,  emerit.  Univ.-Professor  für 
Geologie  und  Paläontologie,  geb.  26.  März  1845  zu  Königsberg  i.  Pr. 
(o.  1917,  korr.  1916),  Giselastr.  29/1. 

Ausserordentliche  Mitglieder: 

Dr.  Robert  Emden,  a.  o.  Professor  für  Physik  und  Meteorologie  an  der 
Techn.  Hochschule,  geb.  4.  März  1862  zu  St.  Gallen  (1916),  Habs- 
burgerstr.  4/0. 

Dr.  Ernst  Frhr.  Stromer  v.  Reichenbach,  a.  o.  Univ.-Professor  für 
Paläontologie  und  Geologie,  geb.  12.  Juni  1871  zu  Nürnberg  (1916), 
Schönfeldstr.  26/111. 

Dr.  Heinrich  Wieland,  o.  Professor  für  Clieraie  an  der  Technischen  Hoch- 
schule, geb.  4.  Juni  1877  zu  Pforzheim  (1916),  Romanstr.  18/1. 


i 


Personalstand  95 

Dr.  Heinrich  Liebmann,  o.  Professor  für  Mathematik  an  der  Technischen 
Hochschule,  geb.  22.  Oktober  1874  zu  Straßburg  i.  E.  (1917),  Krum- 
bacherstraöe  6/o. 

Dr.  Jonathan  Zenneck,  o.  Professor  für  Experimentalphysik  an  der  Tech- 
nischen Hochschule,  geb.  15.  April  1871  zu  Ruppertshofen  (Württem- 
berg) (1917),  Gedonstr.  6/III. 


Historische  Klasse. 

Ordentliche  Mitglieder: 

Dr.  Sigmund  Ritter  v.  Riezler,  K.  Geh.  Rat,  emerit.  Univ. -Professor 
für  bayer.  Landesgeschichte,  geb.  2.  Mai  1843  zu  München  (o.  1888, 
a.  0.  1877),  K.  Maximilianeum. 

Dr.  Franz  Ritter  v.  Reber,  K.  Geh.  Rat,  emerit.  Professor  für  Kunst- 
geschichte an  der  Technischen  Hochschule,  K.  Zentralgemäldegalerie- 
direktor a.  D.,  Honorarprofessor  an  der  Universität,  geb.  10.  Nov. 
1834  zu  Cham,  Opf.  (o.  1890,  a.  o.  1887),  Kaulbachstr.  31/0  1. 

Dr.  Hermann  Ritter  v.  Grauert,  K.  Geh.  Rat,  o.  Univ.- Professor  für 
Geschichte,  geb.  7.  Sept.  1850  zu  Pritzwalk  i.  d.  Ostpriegnitz  (o.  1899, 
a.  o.  1898),  Tengstr.  35/11. 

Dr.  Lujo  Brentano,  K.  Geh.  Rat,  o.  Univ.-Professor  für  Nationalökonomie, 
-  Finanz  Wissenschaft  und  Wirtschaftsgeschichte,  geb.  18.  Dez.  1844  zu 
Aschaffenburg  (1901),  Mandlstr.  5/0. 

Dr.  Hans  Prutz,  K.  Preuß.  Geh.  Reg.- Rat,  emerit.  Univ.-Professor  für 
Geschichte,  geb.  20.  Mai  1843  zu  Jena  (1902),  Reitmorstr.  52/111. 

Dr.  Heinrich  Wölfflin,  K.  Preuß.  Geh.  Reg.-Rat,  o.  Univ.-Professor  für 
Kunstgeschichte,  geb.  21,  Juni  1864  zu  Winterthur  (1912),  Widen- 
mayerstraße  26/III. 

Dr.  Adolf  Sandberger,  o.  Univ.-Professor  für  Musikwissenschaft,  geb. 
19.  Dez.  1864  zu  Würzburg  (o.  1912,  a.  o.  1902),  Prinzregentenstr.  48/1. 

Dr.  Erich  Marcks  (o.  1913,  korr.  1898),  s.  Klassensekretär  S.  89. 

Dr.  Leopold  Wenger,  o.  Univ.-Professor  für  römisches  und  deutsches 
bürgerliches  Recht,  geb.  4.  September  1874  zu  Obervellach  in  Kärnten 
(o.  1914,  a.  0.  1912),  Kaulbachstr.  12  G.G. 

Dr.  Michael  Doeberl,  K.  Geh.  Hofrat,  o.  Univ.-Professor  für  bayer.  Landes- 
geschichte, geb.  15.  Januar  1861  zu  Waldsassen  (o.  1915,  a.  o.  1903), 
Schönfeldstr.  6/111. 

Dr.  Robert  Davidsohn,  geb.  26.  April  1853  zu  Danzig,  K.  Preuß. 
Professor  (o.  1915,  korr.  1909),  Prinz  Ludwigstr.  9  (Pension  Zierhut). 


96 


Personalstand 


Dr.  Georg  Leidinger,  Oberbibliothekar  an  der  K.  Hof-  und  Staats- 
bibliothek, geb.  30.  Dez.  1870  zu  Ansbach  (o.  1916,  a.  o.  1909),  Lotz- 
beckstr.  6/1. 


Ausserordentliche  Mitglieder: 

Dr.  Ludwig  Quidde,  K.  Preuß.  Professor,  geb.  23.  März  1858  zu  Bremen 
(1892),  Gedonstr.  4/1.  || 

Dr.  Georg  Habich,    Direktor  des  K.  Münzkabinetts,    Honorarprofessor  ■" 
an  der  Universität,  geb.  24.  Juni  1868  zu  Darmstadt  (1910),  Schön- 
feldstr.  20/11. 

Dr.  Georg  Hager,  K.  Generalkonservator  der  Kunstdenkmale  und  Alter- 
tümer Bayerns,  geb.  20.  Okt.  1863  zu  Nürnberg  (1911),  Kochstr.  18/11. 

Dr.  Theodor  Bitterauf,  Professor  für  Geschichte  an  der  K.  Kriegs- 
akademie, Honorarprofessor  an  der  Universität,  geb.  7.  Okt.  1877  zu 
Nürnberg  (1914),  Viktoriastr.  9/111. 

Dr.  Walther  Lotz,  K.  Geh.  Hofrat,  o.  Univ.-Professor  für  Finanzwissen- 
schaft, Statistik  und  Nationalökonomie,  geb.  21.  März  1865  zu  Gera 
(1917),  Mandlstr.  5/11. 


t^ersonalstand 


97 


Auswärtige  und  korrespondierende  Mitglieder 

nach  den   drei  Klassen   (bzw.  Sektionen   derselben),  in  alpha- 
betischer Ordnung. 

Die  Zahl  vor  dem  Namen  bezeichnet  das  Jahr  der  Wahl  in  die  Akademie. 
Die  auswärtigen  Mitglieder  sind  mit  *  bezeichnet. 

Abgeschlossen  am  25.  Januar  1918. 


I.  Philosophisch -philologische  Klasse. 


1912  Behaghel  Otto,  Gießen 
1908  Bezold  Carl,  Heidelberg 

1916  Blümner  Hugo,  Zürich 
1907  BoU  Franz,  Heidelberg 
1904  Braune    Wilhelm,    Heidel- 
berg 

1895  Brugmann  Karl,  Leipzig 
1911  Bulle  Heinrich,  Würzburg 

1879  Comparetti  Domenico, 
Florenz 

1910  Cumont  Franz,    Rom 
*1890  Delbrück  Berthold,  Jena 
1898  Diels  Hermann,  Berlin 

1917  Erdmann  Benno,  Berlin 

1896  Er  man  Adolf,  Berlin 
1901  Evans  Arthur  J.,  Oxford 

1913  Fischer   Hermann  v.,    Tü- 
bingen 

1880  Foucart  Paul,  Paris 

1888  Geiger  Wilhelm,  Erlangen 
1900  Götz  Georg,  Jena 
1916  Goldziher  Ignaz,  Budapest 
1906  Grenfell    Bernard   P.,   Ox- 
ford 
Jahrbuch  1917. 


1899  Grünwedel  Albert,    Berlin 
1913  Heiberg    Ludwig,    Kopen- 
hagen 
*1899  Hertling    Georg,    Graf  v., 
Berlin 
1910  Hillebrand  Alfred,  Breslau 
*1897  Hirth  Friedrich,  New- York 
1912  HülsenChristian,Heidelberg 
1909  Hunt  Arthur,  Oxford 
1905  H  u  s  s  e  r  1  Edmyud,  Göttingen 
*1884  Imhoof-Blumer  Friedrich, 
Winterthur 
1907  Jacob  Georg,  Kiel 

1909  Jacobi  Hermann,  Bonn 
*1891  Jagic  Yatroslav  v.,  Wien 

1886  Jolly  Julius,  Würzburg 
1915  Karabacek  Josef,  Ritter  v., 
Wien 

1910  Kenyon   Frederick  George, 
London 

1909  Kluge   Friedrich,   Freiburg 

im  Breisgau 
1907Lampros    Spyridion    P., 

Athen 

7 


9Ö 


Person  alstand 


1903 
1908 
1892 
1903 
^879 

1905 
1904 
1917 

1915 
1914 
1906 

1897 
1916 

1889 
1895 


Lenel  Otto,  Freiburg  i.  Br.         1913 

Liebermann  Felix,  Berlin         1886 

Luchs  August,  Erlangen 

Mitteis  Ludwig,  Leipzig  *  1890 

Nöldeke    Theodor,    Straß-        1895 

bürg  i.  E.  1904 

Noreen  Adolf,  Upsala 

Omont  Henri,  Paris  1893 

Rick  er t   Heinrich,    Heidel-         1904 

berg 

Robert  Carl,  Halle  *1888 

Sauer  August,  Prag 

Schlumberger  Gustave,  1905 

Paris  1917 

Schuchardt  Hugo,  Graz  1900 

Seemüller  Joseph,  Wien  1908 

Sievers  Eduard,  Leipzig 

Söderwall    Knut    Fredrik, 

Lund 


Stähl  in  Otto,  Erlangen 
Steinmeyer   Elias  v..    Er- 
langen 

Stumpf  Carl,  Berlin 
Sweet  Henry,  Oxford 
Thomsen  Vilhelra,  Kopen- 
hagen 

Vitelli  Girolamo,  Florenz 
Wilamowitz-Moellen- 
dorff  Ulrich  v.,  Berlin 
W immer    Ludvig,    Kopen- 
hagen 

Windisch  Ernst,  Leipzig 
Wissowa  Georg,  Halle  a.  S. 
Wundt  Wilhelm,  Leipzig 
Zielinski  Thaddäus,  St.  Pe- 
tersburg. 


II.  Mathematisch -physikalische  Klasse. 
Astronomie  und  Geodäsie. 


1911  Bauschinger  Julius,  Straß- 
burg i.  E. 
1897  Bruns  Ernst  Heinr.,  Leipzig 


1892  Förster  Wilhelm,  Berlin 
1912  Struve  Hermann,  Berlin 


1882  Brill  Alexander,  Tübingen 
1903  Hilbert  David,  Göttingen 

1879  Klein  Felix,  Göttingen 

1880  Königsberger  Leo,  Heidel 
berg 

1912  Mittag -Leffler    Gustav, 
Stockholm 


Mathematik. 

1895  Neu  mann  Karl,  Leipzig 
1887  Noether  Max,  Erlangen 
1912  Schwarz  Hermann    Aman- 

dus,  Berlin 
1910  Zeuthen  Hieronymus,  Ko- 
penhagen. 


Physik. 


1910  Hann  Julius,  Wien 

1895  Lorentz    Hendrik   Antoon, 

Haarlem 
1912  N ernst  Walter,  Berlin 

1911  Planck  Max,  Berlin 


1873  Quincke  Georg  Hermann, 
Heidelberg 

1890  Rayleigh,  Lord  John  Wil- 
liam Strutt,  London 

1888  Reck  nag  el  Georg,  Augsburg 


Personalstand 


dd 


1911  Rutherford  Ernest,  Man- 
chester 

1907  Thomson,  Sir  Joseph  John, 
Cambridge  (England) 


1 909  Voigt  Woldemar,  Göttingen 
1905  War  bürg  Emil,  Charlotten- 
burg 
1907  Wien  Wilhelm,   Würzburg. 


Chemie. 
1910  Ciamician    Giacomo,    Bo-         1909  Haller  Albin,  Paris 


logna 
1888  Claisen  Rainer  Ludwig, 

Godesberg  a.  Rh. 
1907  Curtius    Theodor,    Heidel- 
berg 
1880  Fischer  Emil,  Berlin 
1884  Fischer  Otto,  Erlangen 
1878  GraebeKarl,  Frankfurta.M. 
1917  Haber  Fritz,  Berlin 


*1910  Hofmann  Karl,  Charlotten- 
burg 

1910  Paternö    di    Sessa   Ema- 
nuele,  Rom 

1911  Perkin  William  Henry,  Ox- 
ford 

1901  Thiele     Johannes,     Straß- 
burg i.  E. 


Physiologie. 


1912  Einer  Siegmund,  Wien 
1916  Frey  Max  v.,  Würzburg 
1885  Hensen  Viktor,  Kiel 
1901  Hering    Ewald,     Leipzig 


1911  Kri es  Johannes,  v.  Freiburg 
i.  Br. 

1913  Langley  John   Newport, 
Cambridge  (England) 

1914  Rubner  Max,  Berlin. 


Zoologie  und  Anatomie. 

1900  Bütschli  Otto,   Heidelberg  1896  Schulze   Franz   Eilhard, 
1903  Fürbringer    Max,    Heidel-  Berlin 

berg  1896  Waldeyer- Hartz    Wil- 
*1870  Häckel  Ernst,  Jena  heim  v,,  Berlin 

1897  Hertwig  Oskar,  Berlin  1910  Wilson    Edmond    Beecher, 
1899  Retzius  Gustav,  Stockholm  New- York. 

1911  Roux  Wilhelm,  Halle 


Botanik. 


1909  Bower  Frederick  Orpen, 
Glasgow 

1902  Eng  1er  Adolf  Gustav  Hein- 
rich, Berlin 

1913  HaberlandtGottlieb.Berlin 

1916  Klebs     Georg,     Heidelberg 

1908  Nawaschin  Sergius,   Kiew 
1880  Pfeffer    Wilhelm,    Leipzig 

1909  Prain  David,  Kew 


1880  Schwendener    Simon, 
Berlin 

1906  Stahl  Ernst,  Jena 
1900  Vries    Hugo    de,    Lunteren 
(Holland) 

1893  Warming    Eugen,    Kopen- 
hagen 

1914  Wettstein  Richard,  Ritter 

von  Westersheim,  Wien 

7* 


löö 


Personalstand 


Mineralogie,  Geologie  und  Paläontologie. 
1899 


1898  Barrois  Charles,  Lille 

1913  Becke  Friedrich  J.  K.,  Wien 

1902  Br0gger   Waldemar   Chri-        1910 

stofer,  Christiania 
1891  Capellini     Giovanni,     Bo-         1912 

logna 
1896  Fedorow  Eugraf  v.,  St.  Fe-         1910 

tersburg 
1910  Fletcher  Lazarus,    London        1910 
1895  Geikie,    Sir   Archibald, 

London  1870 

1907  Gilbert  Karl  Grove,  Wash-        1912 

ington 

Erdkunde. 

1909  Part  seh  Joseph,  Leipzig  1882 

1909  Penck  Albrecht,  Berlin  1911 


Karpinskij  Alexander,  St. 

Petersburg 

Miers   Henry   Alexander, 

London 

Nathorst    Alfred    Gabriel, 

Stockholm 

Osborn   Henry  Fairfield, 

New- York 

Scott   Dukinfield   Henry, 

London 

T  seh ermak  Gustav  v.,Wien 

Willis  Bailey,  Chicago. 


I 


Schweinfurth  Gg.,  Berlin 
Wieehert  Emil,  Göttingen. 


III.  Historische  Klasse. 


1904  Below   Georg   v.,    Freiburg 

i.  Br. 
1910  Bernheim  Ernst,  Greifswald 

1881  Bezold   Friedrich  v.,   Bonn 

1891  Bode  Wilhelm  v.,  Berlin 
1887  Br  esslau  Harry,  Straßburg 

i.  E. 
1895  Bücher  Karl,  Leipzig 
1898  Chuquet  Arthur,  Paris 

1892  Cipolla  Carlo,  Graf,  Turin 
1904  D'A venel Georges,  Vi eomte, 

Paris 

1882  Dehio    Georg    Gottfried, 
Straßburg  i.  E. 

1890  Duchesne  Louis,  Rom 
1903  Fester  Richard,  Halle  a.  S. 
1909  FinkeHeinr.,  Freiburg  i.Br. 
1901  Fournier  Paul,  Grenoble 
1916  Friedjung  Heinrich,  Wien 

1903  Gierke  Otto  v.,  Berlin 

1904  Goetz  Walter,  Leipzig 
1916  Gothein  Eberhard,  Heidel- 
berg 


1897  Harnack    C.    G.    Adolf  v., 
Berlin 

1902  Hauck  Albert,  Leipzig 
1914  Hintze  Otto,  Berlin 
1916  Hirschfeld  Otto,  Berlin 
1888  Kaufmann  Georg,  Breslau 
1902  Knapp   Georg   Friedrich, 

Straßburg  i.  E. 
1890  Lenz  Max,  Hamburg 
1906  Luschin  Arnold,  Ritter  von 

Ebengreuth,  Graz 
1912  Mahaffy   John   P.,    Dublin 
1911  Mein  ecke  Friedrich,  Berlin 
1895  Meyer  Eduard,  Berlin 
1890  Meyer  v.  Knonau  Gerold, 

Zürich 
1904  Monaei  Ernesto,  Rom 
1888  Müller  Karl  Ferd.  Friedr.v., 

Tübingen 

1898  Oberhummer  Eugen,  Wien 
1908  Ottenthai  Emil  v.,  Wien 
1902  Pais  Ettore,  Ron^ 


1 


Personalstand 


101 


1912  Pirenne  Henri,  Gent 

1884 

1909  Redlich  Oswald,  Wien 

1870  Ritter  Moriz,  Bonn 

1911 

1908  Schäfer  Dietrich,  Berlin 

1908 

1913  Schanz  Georg  v.,  Würzburg 

1903 

1912  Schulte  Alois,  Bonn 

1908 

1906  Strzygowski  Joseph,  Graz 

1917  Stutz  Ulrich,  Berlin 

*1915 

1913  Tangl  Michael,  Berlin 

1891 

1914  Troelt seh  Ernst,  Berlin 

1917 

U 1  m  a  n  n    Heinrich ,    Darm- 
stadt 

Valois  Noel,  Paris 
Venturi  Adolfo,  Rom 
Vi 8 eher  Robert,  Wien 
Vogüe   Charles    Jean    Mel- 
chior, Marquis  de,  Paris 
Wilcken  Ulrich,  Berlin 
Winter  Gustav,  Wien 
Wlassak  Moriz,  Wien. 


Besondere  Kommissionen 

bei  der  K.  Akademie  der  Wissenschaften. 


I.  Kommission  für  die  Herausgabe  der  Monumenta  Boica. 

Mitglieder 

auf  unbestimmte  Zeit  gewählt: 
Marcks,  Vorsitzender  Riezler  v.  Grauert  v. 

Doeberl  Leidinger 

Petz  Dr.  Johann,  K.  Geh.  Reichsarchivrat,  Redakteur  und  Schriftführer. 

Hilfsarbeiter:   Dr.  Steinberger  Ludwig,  Privatdozent 
Dr.  Bastian  Franz. 

2.  Historische  Kommission. 


I.  Ordentliche 

Ritter  Moriz,   Bonn,  Vorsitzender 

1898  (a.  0.  1883) 
Marcks  Erich,  München,  Sekretär 

1914 
Bezold    Friedrich  v.,    Bonn    1892 

(a.  0.  1883) 

Meyer  v.  Knonau  Gerold,  Zürich 
1894 

Lenz  Max,  Hamburg   1894 

Grauert  Hermann  v.,  München  1901 

Winter  Gustav,  Wien    1901 

Hauck  Albert,  Leipzig   1903 

Below  Georg  v.,  Freiburg  i.  Br.  1903 


Mitglieder: 

Quidde   Ludwig,     München    1907 

(a.  0.  1887) 
Redlich  Oswald,  Wien   1908 
Goetz   Walter,  Leipzig 

1913  (a.  0.  1911) 
Brandenburg  Erich,  Leipzig  1913 

(a.  o.  1911) 
Beckmann  Gustav,  Erlangen  1914 

(a.  0.  1903) 
Meinecke  Friedrich,  Berlin  1916 
Schulte  Alois,  Bonn  1916. 
Kehr  Paul,  Berlin  1917 
Hansen  Josef,  Bonn  1917 


1 02  Personalstand 

II.  Ausserordentliche  Mitglieder: 

Herre  Hermann,  München  1903  Müller  Karl  Alexander  v.   1916. 

Leidinger  Georg,  München  1916 

Wissenschaftlicher  Mitarbeiter  in  München :  . 
Bauckner  Dr.  Arthur. 

3.  Kommission  für  die  Savigny-Stiftung 

(auf  unbestimmte  Zeit  gewählt). 
Amira  v.,  Vorsitzender  Brentano 

Grauert  v.  Wenger. 

4.  Kuratorium  für  die  Liebig-Stiftung. 

Crusius,  Vorsitzender  S oxhl et  Dr.  Franz  v.,  Schriftführer 

Goebel    v.,    Vertreter    des    Vor-      Radlkofer  Ludwig 

sitzenden  Brentano  Lujo 

Liebig  Hans  Frhr.  v.,  Privatdozent  für  Chemie  in  Gießen,  als  Vertreter 
der  Familie. 

Femer  die  gegenwärtigen  Inhaber  der  goldenen  Liebig-Medaille: 
Settegast  Dr.  H.,  Geh.  Regierungsrat,  Professor,  Berlin 
Kellner  Dr.  0.,  Geh.  Hofrat,  Professor,  Möckern  bei  Leipzig 
Frank  Dr.  Adolf,   Geh.  Hofrat,  Professor,  Charlottenburg 
Rubner  Dr.  Max,  Geh.  Medizinalrat,  Professor,  Berlin 
Kraus  Dr.  Karl,  Geh. Hofrat,  Professor  an  der  Techn. Hochschule,  München 
König  Dr.  Joseph,   Geh.  Regierungsrat,  Professor,  Münster  in  Westf. 

5.  Kommission  für  den  Zographos-Fonds 

(auf  je  drei  Jahre  gewählt). 
Wecklein  Wolters 

Crusius  Heisenberg. 

6.  Kommission  für  die  Münchener  Bürger-  und  Cramer-Klett-Stiftung. 

Crusius  Seeliger  v. 

Goebel  v.  Hertwig  v. 

Groth  V. 

7.  Kommission  für  die  Thereianos-Stiftung 

(auf  je  drei  Jahre  gewählt). 
Kuhn,  Vorsitzender  Wolters 
Crusius  Heisenberg 

Wecklein  Wenger. 


Personalstand  103 

8.  Kommission  für  die  Hardy-Stiftung. 

Crusius  Scherman 

Kuhn  Streitberg 

9.  Kommission  für  die  Koenigsstiftung  zum  Adolf  von  Baeyer- 

Jubiläum. 

Crusius  Wieland 

Goebel  v.  Willstätter. 

10.  Kommission  für  die  Wilhelm  Koenigs-Stiftung 

für  botanische  und  zoologische  Forschungen  und  Forschungsreisen. 
Crusius  Hertwig  v. 

Goebel  v. 

II.  Kommission  für  den  Hitl'schen  Fonds  zur  Förderung 
der  Medaillenkunst. 

Crusius  Otto  Diez  Julius,  Professor 

Hitl  Georg,  Hof  rat  Hab  ich  Georg 

Frauendorfer  Heinrich  v.,  Mayr-Graz  Karl,  Kunstmaler 

Staatsminister  a.  D.  Hahn  Hermann,  Professor. 

12.  Kommission  für  die  Heinr.  v.  Brunck-Stiftung. 

Crusius  Wieland 

Goebel  v.  Willstätter. 

13.  K.  B.  Kommission  für  die  internationale  Erdmessung. 

Mitglieder: 

Crusius,  Vorsitzender  Finsterwalder 

Seeliger  v.,  Sekretär  und  Stell-        Schmidt 

Vertreter  des  Vorsitzenden  Großmann  Ernst,  K.Konservator. 

Kustos:     —     — 
Technischer  Offiziant:     —     — 

14.  Mitglieder  der  Zentraldirektion  der  Monumenta  Germaniae 

historioa 

von  der  K.  B.  Akademie  gewählt  am  5.  März  1876  und  9.  Februar  1895 

ohne  Begrenzung  der  Funktionsdauer. 
Riezler  v. 
Steinmeyer  v.,  korr.  Mitglied  der  philosophisch-philologischen  Klasse. 


104  Personalstand 

15.  Kommission  für  die  Herausgabe  des  Thesaurus  linguae  Latinae. 

Vollmer,  Vertreter  der  K.  Akademie  der  Wissenschaften  in  München, 
z.  Z.  Vorsitzender. 

Thesaurus-Büro: 
Dittmann  Dr.  Georg,  K.  Preuß.  Gymnasialprofessor  in  Urlaub,  General- 
redaktor 
Hey  Dr.  Oskar,  K.  Gymnasial professor  in  Urlaub,  Sekretär. 
Assistenten:         Dr.  Bannier,  Dr.  Bacherler, 

Dr.  Hofmann,  Brandt, 

Dr.  Wulff,  Müller, 

Dr.  Eubenbauer,  Dr.  Leo. 

Assistentinnen:   Frl.  Dr.  Eapp,  Frl.  Dr.  Robb  er  t. 

Offizial:  Frey. 

16.  Kommission  für  die  Herausgabe  einer  Enzyklopädie 
der  mathematischen  Wissenschaften. 

Dyck  Dr.  Walter  v.,  Vertreter  der  K.  Bayer.  Akademie  der  Wissen- 
schaften, z.  Z.  Vorsitzender 

Seeliger  Dr.  Hugo  v.,  Vertreter  der  K.  Bayer.  Akademie  der  Wissen- 
schaften. 

17.  Kommission  für  die  Herausgabe  der  BibiiotheksIcataJoge 

des  Mittelalters. 

Grauert  v.  Vollmer  Leidinger 

Wissenschaftlicher  Hilfsarbeiter:    Lehmann. 

18.  Kommission  für  das  Corpus  griechischer  Urkunden. 

Crusius  Grauert  v.  Heisenberg 

Wissenschaftlicher  Hilfsarbeiter:  Dr.  Marc  Paul. 

19.  Kommission  für  die  Herausgabe  von  Wörterbüchern 

der  bayerischen  Mundarten. 

Kuhn,  I.Vorsitzender  Streitberg,  2.  Vorsitzender 

Riezler  v.  Berneker 

Amira  v.  Muncker. 

Paul 
Wissenschaftlicher  Hilfsarbeiter:  Dr.  Mausser  Otto,  Privatdozent. 


1 

.1 


1 


Personalstand  105 

20.  Kommission  für  die  Samsonstiftung. 

Gruber  v.,  Vorsitzender  Bücker t 

G  0  e  b  e  1  V. ,  stell  vertr.  Vorsitzen  der  Mollier 

Crusius  Voit 

Kuhn  Araira  v. 

Marcks  Riezler  v. 

Hertwig  v.  .  •  Frank. 

21.  Kommission  für  die  von  Dapper-Saalfels-Stiftung. 

Crusius  Frank 

Goebel  v.  Rückert 

Hertwig  v.  Gruber  v. 

22.  Kommission  für  Höhlenforschung  in  Bayern. 

Crusius  Schlosser,  K,  Professor  und 

Hager  Konservator 

Birkner,  K.  Professor  und 
Konservator. 

23.  Vertreter  der  Al<ademie  für  das  Ägyptische  Wörterbuch. 

Bissing  Frhr.  v. 


106 


Bericlite  und  Protokolle 

akademischer   Kommissionen. 


Bericht  der  Eommission  für  den  Thesaurus  linguae  latinae 
in  der  Zeit  vom  1.  April  1916  bis  31.  März  1917. 

1.  Die  Kommission  hat,  da  keine  dringende  Veranlassung 
vorlag,  auch  im  Jahre  1916  keine  Zusammenkunft  abgehalten 
und  die  Frühjahrsitzung  1917  einstweilen  vertagt. 

2.  Die  Kriegsumstände  haben  die  Zahl  der  Mitarbeiter 
noch  immer  bei  niedrigem  Bestände  belassen:  zwei  Assistenten 
standen  im  Felde,  einer  und  der  2.  Redaktor  im  Garnison- 
dienste. Der  letztere,  Dr.  Jachmann,  tritt  zum  1.  April  1917 
von  seinem  Amte  zurück,  da  er  als  Extraordinarius  nach 
Göttingen  berufen  worden  ist.  Seine  Stelle  bleibt  nach  Be- 
schluß der  Kommission  einstweilen  unbesetzt. 

Die  Drucklegung  litt  unter  großen  Störungen,  da  die 
Teubnersche  Offizin  durch  Mangel  an  Arbeitskräften  stark 
bedrängt  wurde:  so  häuft  sich  langsam  im  Bureau  eine  Menge 
ungedruckten  Manuskriptes  an.  Es  besteht  die  Hoffnung,  daß 
im  Mai  1917  der  Druck  wieder  aufgenommen  wird. 

3.  Die  Beiträge  der  Regierungen  und  Akademien  sind 
wie  bisher  eingelaufen:  die  Kommission  sagt  dafür  an  dieser 
Stelle  ganz  besonders  Dank. 

4.  Laut  den  Halbjahrberichten  des  Herrn  Generalredaktors 
sind  im  Arbeitsjahre  1916 — 1917  fertiggestellt  worden  10  Bogen, 
Band  V  bis  diversus,  Band  VI  bis  findo,  das  Onomasticon  bis 
Diocles,  in  Fahnen  stehen  noch  etwa  5  Bogen.  Im  Manuskript 
fertig  sind  die  Artikel  bis  zum  Schlüsse  von  D,  im  Bande  V 
bis  foedus,  das  Onomasticon  bis  Vomlssus. 


Kommissionsberichte  107 

5.  Im  Jahre  1916  betrugen 

die  Einnahmen  (inkl.  Sparfonds  von  5500  M.)     .  M.  49036.99 

die  Ausgaben  (inkl.  Sparfonds  von  8500  M.)  .     .  M.  48730.38 

Überschuß  M.       306.61 

Die  als  Reserve  für  den  Abschluß  des  Druckes  vom 
Buchstaben  P  an  bestimmte  Wölfflin- Stiftung  betrug  am 
I.Januar  1917  M.  72700.—. 

6.  Übersicht  über  den  Finanzplan  für  1917. 

Einnahmen: 

Beiträge  der   Akademien  und  gelehrten   Gesellschaften 
(einschließlich    der    Sonderbeiträge    von    Berlin 

und  Wien) M.  31000.— 

Beitrag  der  Wissenschaftlichen  Gesellschaft  zu  Straßburg  ,        600.— 

Giesecke-Stiftung  1917 ,      5000.— 

Zinsen,  rund ,         150. — 

Honorar  von  Teubner  für  40  Bogen  (4  Onomastiken)     .  ,      6064. — 

Stipendien  und  Beiträge  anderer  Staaten        .        .        .  „     4700.— 

Summe  M,  47  514.— 

Ausgaben: 

Gehälter M.  31000.— 

Laufende  Ausgaben ,      3600.— 

Honorar  (40  Bogen) ,      3200. — 

Verwaltung  (inkl.  Angestellten- Versicherung)          .        .  .,      5000.— 

Exzerpte  und  Nachträge ,      1000.— 

Unvorhergesehenes ,        500.— 

Sparfonds ,      3000  — 

Summe  M.  47200.— 

Voraussichtlicher  Überschuß  M.       314. — 

Berlin,  ööttingen,  Leipzig,  München,  Wien, 
1.  April  1917. 

Diels.     Hauler.     Heinze.     Lommatzsch. 
Norden.     Reitzenstein.     Vollmer. 


108  Kommissionsberichte 


Bericht  über  den  Fortgang  der  Arbeiten  bei  der  Eom* 
mission  für  die  Herausgabe  der  mittelalterlichen  Biblio- 
thekskataloge Deutschlands  und  der  Schweiz 
in  der  Zeit  vom  Mai  1916  bis  Mai  1917. 

Der  Unterzeichnete  widmete  seine  Hauptarbeitskraft  der 
Drucklegung  des  1.  Bandes.  Mannigfaltige  Schwierigkeiten, 
die  durch  die  Kriegsverhältnisse  hervorgerufen  wurden,  ver- 
zögerten den  Abschluß.  Nunmehr  ist  das  Erscheinen  noch 
im  Laufe  dieses  Jahres  so  gut  wie  sicher. 

Im  übrigen  wurde  unsere  Katalogsammlung  bereichert 
durch  Forschungen,  die  unser  Mitarbeiter  Dr.  F.  Schillmann 
neben  seiner  militärischen  Wirksamkeit  in  den  Archiven  und 
Bibliotheken  von  Braunsberg,  Guttstadt,  Frauenburg, 
Königsberg  mit  gutem  Erfolge  anstellte.  Dr.  L.  Bertalot 
(Pasing)  lieferte  die  Abschrift  eines  von  ihm  in  der  Univer- 
sitätsbibliothek zu  Jena  gefundenen,  bisher  nicht  bekannten 
Verzeichnisses.  Der  unterzeichnete  Redaktor  selbst  arbeitete 
gelegentlich  im  K.  Reichsarchiv  zu  München  und  an  nach 
München  übersandten  bibliotheksgeschichtlich  wichtigen  Hand- 
schriften der  K.  Bibliothek  zu  Hannover,  der  K.  Univer- 
sitätsbibliothek zu  Leipzig  und  des  Herzogl.  Landeshaupt- 
archivs  zu  Wolfenbüttel.  Die  Herren  Dr.Dr.  F.  Behrend 
(Berlin,  Deutsche  Kommission),  Rest  (Freiburg  i.  B.),  L. 
Steinberger  (München),  W.  Stammler  (Hannover)  ver- 
pflichteten uns  durch  Einzelhinweise  zu  Dank.  Über  die 
Finanzen  unterrichtet  kurz  die  folgende  Abrechnung. 

München,  31.  Mai  1917.  Der  Redaktor: 

Dr.  Paul  Lehmann. 


Slommissiousbericlite 


109 


Abrechnung  für  1916. 


Einnahmen. 

Ausgaben, 

Überschuß  vom  Jahre  1915 
Beitrag  Berlin     .... 

„        Göttingen   .     .     . 

„        Leipzig 

,        München     .     .     . 

5132 

800 

600 

1000 

2000 

e5 
36 

Gehalt  des  Redaktors    . 

Honorare 

Reisen . 

Portoauslagen   .... 
Kleine  Auslagen    .     .     . 

2550 

413 

42 

10 

23 

60 

04 
02 

Summe 

9432 

36 

Summe 

3038 

66 

Abgleichang. 

Einnahmen 9432.36  ►* 

Ausgaben 3038.66   , 

Rest  und  Übergang  auf  das  Jahr  1917  .  6393.70  e^ 


110  Kommiasionsbericlite 


Bericht  des  Sekretärs  Geh.  Eates  E.  Marcks  über  die 
57.  Vollversammlung  der  Historischen  Kommission. 

Die  Kommission  hat  ihre  Tagung  diesesmal  vom  30.  Mai 
bis  zum  1.  Juni  abgehalten.  Der  unterzeichnete  Sekretär  führte 
an  der  Stelle  des  durch  Gesundheits-  und  Kriegsrücksichten 
ferngehaltenen  Vorstandes,  Herrn  M.  Ritter  in  Bonn,  den  Vor- 
sitz. Gleich  dem  Vorstande  hatten  die  Herren  von  Below 
in  Freiburg,  von  Bezold  in  Bonn,  Friedrich  in  München, 
Goetz  in  Leipzig  (zur  Zeit  im  Felde),  Herre  in  München, 
Meyer  von  Knonau  in  Zürich,  Redlich  und  Winter  in 
Wien  sich  entschuldigen  müssen.  Anwesend  waren  von  ordent- 
lichen Mitgliedern  die  Herren  Beckmann  aus  Erlangen, 
Brandenburg  aus  Leipzig,  von  Grauert  aus  München, 
Hauck  aus  Leipzig,  Lenz  aus  Hamburg,  Marcks  aus  Mün- 
chen, Meinecke  aus  Berlin,  Quidde  und  von  Riezler  aus 
München,  Schulte  aus  Bonn;  von  außerordentlichen  die 
Herren  Leidinger,  Mayr  und  von  Müller  aus  München. 

Auch  in  den  Jahren  1916 — 17  hat  die  Last  des  Krieges 
schwer  auf  den  Arbeiten  der  Kommission  gelegen.  Der  größere 
Teil  der  Mitarbeiter  stand  noch  immer  im  Heeresdienste  oder 
in  verwandter  Kriegsverwendung  sei  es  publizistischer  sei  es 
administrativer  Art:  die  Namenliste  im  Bericht  des  Vorjahres 
wäre  auch  diesesmal  beinahe  ganz  zu  wiederholen.  Der  Zu- 
gang zu  manchen  Handschriften  war  abgeschnitten,  die  Tätig- 
keit der  Druckereien  verlangsamt.  So  liegt  von  fertigen  Werken 
nur  die  zweite  Hälfte  des  13.  Bandes  der  Reichstagsakten 
älterer  Reihe  vor.  Im  Druck  befinden  sich  die  Augsburger 
Chroniken  von  Paul  Hektor  Mair,  bearbeitet  von  Fr.  Roth, 
und  die  Briefe  und  Akten  zur  Geschichte  des  30jährigen 
Krieges,  bearbeitet  von  W.  Goetz  (1625).  Die  im  Laufe  be- 
findlichen Unternehmungen  sind  fortgeführt  worden,  so  gut  es 
jetzt  eben  ging,  mehrere  mit  erheblicher  Förderung,  ganz  ge- 
ruht hat  erfreulicherweise  nicht  eine. 


Kommissionsbericlite  111 

Für  die  Allgemeine  Deutsche  Biographie,  deren  Ge- 
schichte A.  Bettelheims  Liliencronbiographie  soeben  erzählt 
hat,  wurde  die  Anfertigung  eines  Autorenregisters  beschlossen, 
das  einem  oft  geäußerten  Bedürfnisse  der  Gelehrtengeschichte 
abhelfen  wird. 

Für  die  Geschichte  der  Wissenschaften  hat  Professor 
Würschmidt,  trotz  seiner  Berufung  von  Erlangen  nach  Kon- 
stantinopel, die  Bearbeitung  des  2.  Hauptteiles  seiner  Geschichte 
der  Physik  (1842 — 1900)  fortgesetzt  und  eine  Anzahl  von 
Kapiteln  geschrieben. 

Für  die  Humanistenbriefe  hat  nur  Privatdozent  Dr.  E. 
König  tätig  sein  können.  Er  hat  die  Stoffsammlung  für  den 
Sachkommentar  zu  den  Peutingerbriefen  im  Wesentlichen  ab- 
geschlossen. 

In  der  Abteilung  Chroniken  der  Quellen  und  Erörte- 
rungen zur  bayerischen  und  deutschen  Geschichte 
hofft  Oberbibliothekar  Leidinger  der  nächsten  Tagung  be- 
stimmte Vorschläge  für  eine  Ausgabe  der  Quellen  des  Landshuter 
Erbfolgekrieges  vorlegen  zu  können.  In  der  Abteilung  Ur- 
kunden stockte  der  Fortschritt,  da  Professor  Bitterauf  durch 
Kriegsverwendung  beim  Auswärtigen  Amte  verhindert  war,  den 
ältesten  Kodex  der  Traditionen  des  Hochstifts  Passau  zu  Ende 
zu  bearbeiten.  Die  Drucklegung  der  Arbeiten  des  Domvikars 
Heuwieser  (Traditionsbuch  des  Passauer  Domkapitels)  und 
des  Dr.  J.  Widemann  (Regensburger  Traditionen)  muß  auf 
die  Vollendung  des  Bitteraufschen  Abschnittes  warten. 

Aus  den  Chroniken  der  deutschen  Städte  wird  der 
1.  Halbband  der  Augsburger  Chroniken  von  P.  H.  Mair  in 
kurzem  ausgegeben,  der  Druck  des  2.  Halbbandes  dann  so- 
gleich begonnen  werden.  Währenddessen  wird  der  Herausgeber 
Professor  Fr.  Roth  das  Sachregister  für  sämtliche  Augsburger 
Bände  herstellen. 

Für  die  Jahrbücher  des  deutschen  Reichs  hat  Dr.  Ma- 
thilde ühlirz  Otto  III.,  Professor  Fedor  Schneider  Friedrich  I. 
weiter  bearbeitet,  beide  indessen  mit  vielerlei  Beschränkungen 
und  Behinderungen  durch  den  Krieg.     Geheimrat  K.  Hampe 


112  Kommissionsberichte 

mußte  Friedrich  IL  hinter  historisch -politische  Gegenwarts- 
aufgaben zurücktreten  lassen.  Professor  P.  Schweizer  hat 
von  der  Geschichte  König  Adolfs  von  Nassau  beträchtliche 
Teile  erledigt;  er  wird  diese  Regierung  in  einem  Sonderbande 
zusammenfassen.  Professor  Fr.  Vigener  hat,  infolge  militä- 
rischer Behinderung,  für  Karl  IV.  nicht  arbeiten  können. 

Für  die  ältere  Reihe  der  Reichstagsakten  hat  Pro- 
fessor G.  Beckmann,  von  Dr.  Andernacht  unterstützt,  ab- 
gesehen von  der  Herausgabe  des  13.  Bandes,  2.  Hälfte,  auch 
Register  und  Vorwort  zu  diesem  Bande  bis  an  die  Schwelle 
der  Drucklegung  herangebracht.  Professor  H.  Herre  hat  die 
2.  Hälfte  des  16.  Bandes  im  Manuskripte  abgeschlossen  und 
damit  die  ihm  bisher  gestellte  Aufgabe  ( — 1442)  beendet.  Er 
übernimmt  die  Weiterführung  bis  zum  Jahre  1452.  Die  Sup- 
plemente hat  Professor  L.  Quidde,  infolge  militärischer  Be- 
schäftigung Dr.  Bauckners,  nur  ganz  wenig  fördern  können. 

Für  die  jüngere  Reihe  der  Reichstagsakten  konnte 
nur  Dr.  Volk  weiter  tätig  sein. 

Für  die  Briefe  und  Akten  zur  Geschichte  des 
30  jährigen  Krieges  hat  Geheimrat  W.  Goetz  Ausarbei- 
tung und  Druck  für  das  Jahr  1625  weit  gefördert,  die  Ar- 
beiten für  1626  sollen  gleich  nach  Kriegsende  abgeschlossen 
werden.  Der  Herausgeber  ebenso  wie  sein  neu  eingetretener 
Mitarbeiter  Dr.  Ph.  Funk  stehen  gegenwärtig  im  Heere. 
Dr.  K.  A.  von  Müller  ist  durch  Verwendung  beim  Roten 
Kreuz  an  der  Weiterführung  seines  Bandes  (1630)  verhindert 
gewesen;  Professor  K.  Mayrs  Band  (1618 — 19)  wird  nach 
Fertigstellung  des  Goetzischen  Bandes  gedruckt  werden. 

An  den  publizistischen  Schriften  zur  Reichsgeschichte 
in  der  ersten  Hälfte  des  15.  Jahrhunderts  haben  insbesondere 
Professor  Beer  (Reformation  Kaiser  Siegmunds)  und  Professor 
Dürrwächter  gearbeitet,  der  für  1918  das  Druckmanuskript 
seines  Traktates  in  Aussicht  stellt. 

Die  Abteilung  Zolltarife  hat,  unter  der  Einwirkung  des 
des  Kriegs,  völlig  ruhen  müssen,  für  die  Handelsakten  des 
ausgehenden  Mittelalters  und   der   beginnenden  Neu- 


Kommissionsberichte  113 

zeit  hat  dagegen  Professor  J.  Strieder  seine  Archivforschungen 
vielseitig  und  wirksam  weiterführen  können.  Unter  den  zahl- 
reichen, von  ihm  besuchten  süddeutschen  Archiven  fand  er 
das  Münchener  Reichsarchiv,  das  Augsburger  Stadtarchiv,  das 
Fuggerarchiv,  das  Frhr.  von  Rehlingersche  Archiv  besonders 
ergiebig;  im  Augsburger  Stadtarchive  hat  sich,  im  Auftrage 
der  Kommission,  der  Archivar  Dr.  Hans  Wiedenmann  der 
Bearbeitung  des  umfang-  und  aufschlußreichen  Sprengschen 
Notariatsarchives  (2.  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts)  gewidmet. 
Professor  Strieder  hat  sich  nunmehr  den  belgischen  Archiven 
zugewendet:  denen  in  Brüssel  und  Antwerpen  und  dem  be- 
sonders wichtigen  und  von  Rechts  wegen  nach  Belgien  gehö- 
rigen der  Ancienne  Chambre  des  Comptes  de  Flandre  in  Lille, 
dem  eigentlichen  Fundorte  für  die  niederländische  Finanz- 
geschichte. 

Im  Vordergrunde  der  diesjährigen  Tagung  stand  das  Unter- 
nehmen zur  deutschen  Geschichte  des  19.  Jahrhunderts,  das  auf 
der  vorjährigen  zuerst  erörtert  worden  war.  Der  damals  einge- 
setzte Ausschuß  hat  in  einer  Konferenz  zu  Leipzig  im  Oktober 
1916  Umfang  und  Inhalt  dieses  Unternehmens  näher  beraten 
und  sich  alsdann  durch  eines  seiner  Mitglieder  mit  den  ent- 
scheidenden Berliner  Instituten  in  Verbindung  gesetzt.  Die  Voll- 
versammlung trat  den  ihr  gemachten  Vorschlägen  in  allem 
wesentlichen  bei  und  ergänzte  sie  durch  Vorschläge  für  die  Or- 
ganisation. Der  Plan  dieser  weit  ausgreifenden  und  breit  zu 
fundierenden  Veröffentlichung  der  „Deutschen  Geschichts- 
quellen des  19.  Jahrhunderts"  soll  mit  jenen  Berliner  In- 
stituten und  mit  den  führenden  historischen  Kommissionen  und 
Gesellschaften  Deutschlands  und  Österreichs  weiter  verhandelt 
werden.  Ein  engerer  Ausschuß,  bestehend  aus  den  Herren 
Brandenburg,  Marcks  und  Meiuecke,  wurde  zu  diesem 
Zwecke  bestellt;  er  soll  zugleich  daran  gehen,  noch  vor  der 
nächsten  Vollversammlung,  der  er  über  den  Gesamtplan  zu 
berichten  haben  wird,  erste  Veröffentlichungen  in  die  Wege  zu 
leiten. 


Jahrbuch  1917. 


114  ^ommissionsberickte 


Fünfter  Bericht  der  Kommission  für  die  Herausgabe 
von  Wörterbüchern  bayerischer  Mundarten. 

Der  andauernde  Krieg  und  die  damit  steigende  Inanspruch- 
nahme der  Bevölkerung  für  militärische  und  Notstandsarbeiten 
aller  Art  verringerten  im  Berichtsjahr  die  Zahl  der  tätigen 
Sammler  mehr  als  früher.  Die  durch  diesen  Umstand  beein- 
trächtigte Erhebung  des  mundartlichen  Materials  ist  um  so 
bedauerlicher,  da  gerade  der  gegenwärtige  Krieg  in  der  Zu- 
sammensetzung des  kämpfenden  Heeres  eine  mundartzerstörende 
Kraft  darstellt,  die  namentlich  die  Reinheit  des  dialektischen 
Formen-  und  Wortbestandes  beeinflußt.  Nach  dem  Krieg  muß 
mit  doppelter  Kraft  an  die  Ausfüllung  der  Lücken  gegangen 
werden.  Aber  die  Wörterbuchkommission  kennt  die  Heimat- 
liebe, das  Interesse  und  den  Arbeitseifer  ihrer  Sammler  aus 
nun  fünfjähriger  Tätigkeit  zu  gut,  um  nicht  zu  den  besten 
Hoffnungen  für  die  Arbeit  beim  Eintritt  friedlicher  Verhält- 
nisse berechtigt  zu  sein.  Wie  stark  die  Teilnahme  der  Öffent- 
lichkeit an  den  von  der  Akademie  in  Aussicht  genommenen 
Wörterbüchern  ist,  mag  durch  zwei  Tatsachen  bewiesen  werden: 
auch  das  Jahr  1917,  in  dem  sich  der  Krieg  für  unser  Unter- 
nehmen am  meisten  fühlbar  gemacht  hat,  brachte  freiwillige 
Neumeldungen  von  Sammlern,  während  anderseits  die  Frage- 
bogen ins  Feld  verlangt  wurden  oder  aus  der  Kriegszone,  z.  B. 
aus  Mazedonien,  Mitarbeit  für  die  Friedenszeit  in  Aussicht  ge- 
stellt ward. 

Waren  also  die  Verhältnisse  im  Jahre  1917  den  Samm- 
lungsarbeiten noch  weniger  günstig  als  in  den  Vorjahren,  so 
müssen  wir  denen,  die  auch  heuer  Fragebogen  beantworteten 
oder  sonst  Material  beibrachten,  zu  um  so  größerem  Dank  ver- 
pflichtet sein.     Die  Neuausgabe  von  Fragebogen  war  freilich 


^ommissionsberichte  115 

im  Berichtsjahr  schon  mit  Rücksicht  auf  die  ungünstigen 
Papier-  und  Druckverhältnisse  nicht  möglich.  Doch  wurde 
mancher  neue  Fragebogen  vorbereitet.  In  einem  Falle  mußte 
eine  Ausnahme  gemacht  werden.  Die  Beschlagnahme  der 
Glocken  veranlaßte  die  Wörterbuchkommission  nach  Rück- 
sprache mit  Hofrat  Seemüller,  dem  Leiter  der  Wörterbuch- 
kanzlei in  Wien,  einen  Sonderfragebogen  zur  Sammlung  des 
einschlägigen  volkskundlichen  und  lexikalischen  Stoffes  zu  ver- 
senden. Der  von  Hofrat  Seemüller  und  Dr.  Mausser  verfaßte 
Fragebogen,  der  über  die  Grenzen  Bayerns  hinaus  von  großer 
Wirkung  war,  wurde  in  sämtlichen  Mundartgebieten  Bayerns, 
auch  in  Schwaben,  verschickt.  Die  Beantwortung  war  und 
ist  außerordentlich  rege.  Nicht  selten  gewinnen  die  Einsen- 
dungen die  Gestalt  kleiner,  auch  mit  Abbildungen  versehener 
Abhandlungen. 

Von  den  vielen  Beantwortern  des  Fragebogens,  denen  schon  brief- 
lich unser  Dank  ausgesprochen  wurde,  müssen  folgende  mit  besonderer  An- 
erkennung hervorgehoben  werden:  Kooperator  Peter  Bergmaier,  Ebers- 
berg (zwei  sehr  dankenswerte  Broschüren  über  die  Glocken  der  Pfarreien 
Ebersberg  und  Ruhpolding);  Archivar  Herrn.  Bertele,  Lauingen  t;  Lehrer 
H.  Blendinger,  Edelsfeld;  Pfarrer  Brand,  Erlach;  Ökonom  Johann 
Brandl,  Maximilian;  Bauer  Jos.  Brandmair,  Derching;  Lehrer  Ad. 
Büttner,  Schwarzenbach  a.  S. ;  Hauptlehrer  K.  Duraler,  Großwallstadt; 
Seminardirektor  Job.  Durmayer,  Bamberg;  Hauptlehrer  Ad.  Duschl, 
Langquaid;  Hausverwalter  Jos.  Ennichl,  München;  Zollinspektor  A. 
Fasold,  München;  Landwirt  C.  Fuchs,  Oberfladungen;  Propst  Hage- 
mann,  Niedermarsberg;  Lehrerin  Linda  Heigl,  München;  Kaplan  Hö- 
ninger,  Hagen  (Westf.);  Hauptlehrer  Ph.  Kaiser,  Frankenthal;  Ober- 
briefträger a.  D.  Wilh.  Kaiser,  Ludwigshafen;  Konrektor  Dr.  Ph.  Keiper, 
Regensburg;  Kommerzienrat  Wilh.  Ludowici,  Jockgrim  (Pf.);  Lehrer 
Ad.  Müller,  Spesbach;  Lehrer  Chr.  Neu,  Breitfurt;  Steuer  Verwalter 
Gg.  Ollinger,  Riedenburg;  Gust.  Pappen  berger,  Schwab  münchen; 
Volksschullehrer  Ltn.  d.  R.  A.  Reichold,  im  Felde;  Bäcker-Obermeister 
Reitmayer,  Günzburg;  Pfarrer  K.  Ried,  Cronheim;  Hauptlehrer  Fr. 
Roth,  Frankenthal;  Frau  Rentiere  M.  Scheicher,  Traunstein;  Gym- 
nasialassistent Dr.  M.  Schmid,  Ettal;  Fräulein  M.  Schnepf,  Traun- 
stein; Postadjunkt  Gg.  Schoßer,  Hengersberg;  Hauptlehrer  K.  Schulte s, 
Münnerstadt;  Redakteur  A.  Schuster,  Bamberg;  Anwe-sensbesitzer  Jos. 
Sefehlner,    Obernzeil;     Bernh.    Stark,    Münclien;     Hauptlehrer   Frz. 


116  Kommissionsberichte 

Staub,  Geldersheim;  Hauptlehrer  Jul.  Ulbricli,  Mußbach;  Hausbesitzer 
Gg.  Weiß,  Altfalter;  Lehrer  K.  Wenz,  Elmstein;  Privatier  Ad.  Wolfs- 
heimer,  Planegg;  Oberlehrer  a.  B.  Fried.  Wüst,  Landau;  Pfarrer  A. 
Zahn,  Mainroth;    Hauptlehrer  K.  Ziegler,  Ippesheim. 

Die  wissenschaftlichen  Arbeiten  der  Kanzlei,  deren  Be- 
setzung die  nämliche  blieb  wie  im  Vorjahr,  konnten  im  vollen 
Umfange  weitergeführt  werden.  Sie  betrafen  wie  immer,  außer 
der  Herstellung  neuer  Fragebogen,  die  Bearbeitung  des  ein- 
gelaufenen Stoffes  nach  verschiedenen  lexikalischen  Gesichts- 
punkten, die  Mundartgrammatik  und  die  Mundartgeographie 
sämtlicher  Dialektgebiete  des  Königreichs.  Ein  ausführlicher 
Bericht,  der  allein  zweckdienlich  ist,  kann  erst  später  ge- 
geben werden. 

1.  Bayerisch-österreichisches  Wörterbuch. 

Hofrat  Seemüller  in  Wien  arbeitete,  unterstützt  von  Pro- 
fessor Lessiak  in  Prag,  Dr.  Pfalz  in  Wien  und  Dr.  Maussee, 
eine  Reihe  von  Fragebogen  aus,  die  das  unter  den  Begriff 
Bewegung  gehörige  Wortgut  der  Mundart  erfassen  sollen. 

Wir  müssen  auch  heuer  wie  in  den  Jahren  1915  und 
1916  von  einem  vollständigen  Verzeichnis  der  Sammler  ab- 
sehen. Einigen  aber,  die  sich  durch  besonders  gründliche  Be- 
antwortung von  Fragebogen  oder  durch  sonstige  Sammelarbeit 
ausgezeichnet  haben,  muß  die  Anerkennung,  die  wir  allen 
Einzelnen  schulden,  auch  an  dieser  Stelle  ausgesprochen  werden. 

Dies  gilt  namentlich  von  jenen ,  die  alle  bis  jetzt  ausgegebenen 
Fragebogen  —  41  an  der  Zahl  —  in  vortrefflicher  Weise  beantwortet 
haben.  Es  sind  das  die  Herren:  Bauer  Jos.  Brand mair,  Derching; 
Zollinspektor  Ant.  Fasold,  München  (schickte  außerdem  eine  große 
Menge  von  Zeitungsausschnitten);  Bergmann  Mich.  Hauptmann,  Hohen- 
peissenberg.  Nahezu  41  Fragebogen  haben  beantv^ortet:  Präparanden- 
hauptlehrer  Joh.  Brunner,  Cham  und  Thomas  Wild,  München, 

Ertragreiche  Beantwortungen  zu  einzelnen  Fragebogen  und  frei- 
gesammeltes Material  lief  außerdem  ein  von  folgenden  Sammlern :  Grenz- 
aufseher Franz  Bauer,  Steinlohe;  Ökonom  Joh.  Brandl,  Maximilian; 
Frau  Maria  Ertl,  Hengersberg;  Frau  Dr.  Em,  Escherich-Welzhofer, 
Wiesbaden;    Hauptmann    Jos.  Heindl,    München;    Schriftsteller  Georg 


I 


Kommissionaberichte  117 

Hoerner,  München;  Förster  Jos.  Kulzer,  Beratshausen ;  Seminarlehrer 
Joh.  Lang,  Eichstätt  (7  Frgb.);  Kooperator  Gotth.  Oswald,  Iggensbach; 
Gymnasiallehrer  Hans  Schlappinger,  Kusel  (Material  zu  41  Frage- 
bogen); Oberrealschulprofessor  Dr.  Schmöger,  München;  Reallehrer 
Schwarz,  München;  Lehrer  Karl  Schwarzer,  im  Felde;  Anwesens- 
besitzer Jos.  Sefehlner,  Obernzell;  Registrator  0.  Silier,  Augsburg; 
Bernhard  Stark,  München;  Rudolf  Stark,  beim  Heere;  Fräulein  Therese 
Vogt,  Beilngries;  Kirchenmaler  Hans  Vogt,  Beilngries;  Hausbesitzer 
Georg  Weiß,  Altfalter;  Oberregierungsrat  Karl  Wiesinger,  Altona. 

Durch  den  Tod  verloren  wir  Freiin  Rosa  von  Seh  renk,  München 
und  Archivar  Herm.  Bertele,  Lauingen,  der  dem  Wörterbuch  viele 
Tausend  Zettel  geliefert  hat.  In  Gefangenschaft  befinden  sich  Real- 
lehrer Fr.  Kreiner,  Würzburg  und  Lehrer  Fr.  Luthner,  Passau,  zwei 
Sammler,  die  bei  der  Wörterbuchkanzlei  in  bester  Erinnerung  stehen. 

Die  Handbibliothek  der  Kommission  wurde  auch  heuer 
durch  dankenswerte  Zuwendungen  bedacht  von  Pfarrer  Chri- 
stian Best,  Betwar;  Landgerichtsrat  Franz  Ebner,  als  Vor- 
stand des  Historischen  Vereins  Straubing;  Architekt  Ignaz 
Joh.  Hibler,  im  Felde;  Schriftsteller  Gg.  Hoerner,  München 
und  Landsturmmann  J.  M.  K.  Koeberlein,  im  Felde. 

2.  Rheinpfälzisches  Wörterbuch. 

Das  wichtigste,  was  der  Bericht  zu  melden  hat,  ist  eine 
neuerliche  Schenkung  aus  dem  germanistischen  Nachlasse  Georg 
Heegers:  umfängliche  Materialien,  z.  T.  Studien  zu  Gram- 
matik, Wortschatz,  Geographie  der  Mundarten  der  Pfalz.  Dem 
Sohne  des  Verstorbenen,  Herrn  cand.  med.  Fritz  Heeger  (beim 
Heere)  gebührt  für  die  Überweisung  der  Manuskripte  der  be- 
sondere Dank  der  Kommission.  Die  im  Vorjahre  genannten 
Arbeiten  des  Konrektors  Dr.  Keiper  in  Regensburg  wurden 
fortgesetzt.  Die  Sammlerschaft,  die  elf  Persönlichkeiten  als 
gestorben,  gefallen  oder  in  Gefangenschaft  befindlich  aufweist, 
war  auch  heuer  an  der  Arbeit  in  erheblichem  Maße  behindert. 
In  der  kommenden  Friedenszeit  wird  es  hier  vielen  Nachholens 
bedürfen.  Material  lief  ein  von  Lehrer  Christian  Neu,  Breit- 
furt (zu  Frgb.  1),  Ludwig  Jost,  Heckendalheim  (Freigesam- 
meltes)  und  von  Taubstummenlehrer  Ed.  Schmitt,   Franken- 


118  Kommissionsberichte 

thal  (Beantwortung  des  Frgb.  1,  ausgezeichnet  durch  Gründ- 
lichkeit und  gute  Beobachtung  wie  durch  genaue  Wiedergabe 
der  Laute). 

Von  mehreren  Seiten,  so  von  Landtagsabgeordneten  Biblio- 
thekar Dr.  Max.  Pfeiffer,  München,  ist  der  Wörterbuchkom- 
mission nahegelegt  worden,  das  zu  schaffende  Mundartwörter- 
buch nicht  „Rheinpfälzisches",  sondern  „Pfälzisches  Wörter- 
buch" zu  nennen.  Wir  glauben  im  Sinne  der  an  die  Kom- 
mission ergangenen  Anregungen  zu  handeln,  wenn  wir  diesen 
Vorschlag  hiemit  allen  Mitarbeitern,  auch  denen  im  Felde, 
unterbreiten  und  um  Äußerung  an  die  Kanzlei  der  Wörter- 
buchkommission ersuchen. 

3.  Ostfränkisches  Wörterbuch. 

Die  Drucklegung  der  im  letzten  Jahresbericht  genannten 
Fragebogen  und  Behelfe  für  die  Sammelarbeit  mußte  auch 
heuer  unterbleiben.  Hauptlehrer  Friedrich  Treu,  Kirnberg  und 
Forstmeister  Karl  Dihm,  Pegnitz,  sandten  dankenswertes  frei- 
gesammeltes Material,  desgleichen  cand.  phil.  Heinr.  Dereser, 
München  (Segen  aus  Unterfranken,  Volksgebräuche  aus  Ober- 
franken). Die  Sammlung  an  der  Hand  von  Fragebogen  kann 
leider  erst  in  der  Friedenszeit  begonnen  werden. 

4.  Sondersammlungen  der  Wörterbuchkommission 
aus  Anlaß  des  Krieges. 

a)  Soldatenlied. 

Im  Berichtsjahr  liefen  mancherlei  Neubeantwortungen  und 
Ergänzungen  zu  früheren  Beantwortungen  des  Sonderfrage- 
bogens ein,  nach  dem  vor  allem  im  Vorjahr  gesammelt  wurde. 
Wir  erhielten  solche  von  folgenden  Sammlern:  cand.  phil.  Heinr. 
Dereser,  München;  Frau  Dr.  E.  Escherich-Welzhofer, 
Wiesbaden;  Archivrat  Dr.  phil.  Rud.  Frey  tag,  beim  Heere; 
K.  K.  Leutnant  Otto  Gerstl,  Linz;  Lehrer  Joh.  Graber,  Weil- 
bach; Leutnant  Dr.  Heinr.  Marzell;  Bibliothekar  Dr.  E. 
Petzet,  München.    Die  reichen  Einlaufe  des  Jahres  1916  sind 


Kommissionsberichte  119 

zum  Teil  in  einer  längeren  Untersuchung  „Der  Liederbestand 
bairischer  Truppen  im  Weltkrieg  (1916)"  von  Dr.  Maußer 
verwertet  (erschienen  in  den  Bayerischen  Heften  für  Volks- 
kunde 1917,  57—136). 

b)  Soldatensprache. 

Im  Herbst  1916  vereinigten  sich  die  Wörterbuchkom- 
mission und  der  Verband  deutscher  Vereine  für  Volkskunde, 
nachdem  jene  mit  einer  Sammlung  innerhalb  der  bayerischen, 
gelegentlich  auch  innerhalb  der  übrigen  deutschen  Truppen 
vorausgegangen  war,  zur  Erhebung  der  Soldatensprache  des 
gesamten  deutschen  Heeres.  Es  wurde  beim  Verband  deut- 
scher Vereine  für  Volkskunde  eine  besondere  „Kommission 
zur  Sammlung  der  Soldatensprache"  niedergesetzt  und  deren 
Vorsitz  Dr.  Maußer  übertragen.  Alle  einschlägigen  Arbeiten 
werden  von  der  Kanzlei  der  Wörterbuchkommission  besorgt. 
Mußte  im  Vorjahr  die  Sammlung  nur  auf  Grund  einiger  all- 
gemeiner Anhaltspunkte  erfolgen,  so  kann  sie  seit  Herbst 
1917  an  der  Hand  eines  systematischen  Fragebogens  vorge- 
nommen werden.  Der  Fragebogen  erscheint  in  zwei  Ausgaben, 
einer  kleineren  und  einer  größeren.  Er  steht  allen  Freunden 
einer  Erhebung  der  Soldatensprache  zur  Verfügung.  Die 
Sammlung  wird  nun  auch  von  den  Akademien  in  Berlin, 
Heidelberg,  Leipzig,  sowie  von  den  Wissenschaftlichen  Gesell- 
schaften in  Freiburg  i.  Br.  und  Straßburg  unterstützt.  Sie 
wird  ferner  gefördert  von  hohen  militärischen  Stellen.  Der 
erst  vor  kurzem  ausgegebene  kleine  Fragebogen  findet  bereits 
außerordentlich  rege  Beantwortung.  Wir  schulden  es  den 
Sammlern,  ihnen  auch  an  dieser  Stelle  zu  danken  und  die 
Namen  hier  aufzuführen^): 

Gefr.  Otto  Äntesberger;  Grenzaufseher  Franz  Bauer,  Steinlohe; 
Ltn.  Dr.  Heinr.  Blendinger;  Dr.  phil.  .Tul.  Cahn,  Frankfurt  a.  M.;  Ltn. 
Deindl;  cand.  phil.  Heinr.  Dereser,  Mönchen;  Ltn.  K.  Englert;  Obltn. 


*)  Bei  Mannschaften  ist  nur  der  Name  gesetzt;  Gefr.  =  Gefreiter, 
Uoffz.  =  Unteroffizier,  Vzfw.  =  Vizefeldwebel,  Ltn.  =  Leutnant,  Obltn. 
==  Oberleutnant. 


120  Kommissionsbericlite 

Karl  Eyth;  Ltn.  Karl  Franck;  Vzfw.  Dr.  Rud.  Freytag;  Stabsarzt 
Dr.  Gengier;  Ltn.  Guthmann;  Gefr.  Otto  Heindl;  Feldoberpost- 
eekretär  A.  Hempel;  Gefr.  Alfr.  Hiller;  Gefr.  Karl  Hintze;  Prof. 
Anton  Hoff  mann,  München;  Hauptlehrer  Hutterer,  Rosenheim;  Ltn. 
Kapfer;  M.  Kester;  K.  J.  M.  Koeberlein;  Ltn.,  Bataillonsadjutant 
Fritz  Kuhn;  Hauptmann  Freiherr  v.  Loeffelholz;  Militärdolmetscher 
Erich  Loewenthal;  Gefr.  Mart.  Märten;  Gefr.  Adolf  Marx;  Ltn. 
Dr.  Heinr.  Marzell;  Major,  Bataillonskommandeur  Aug.  Miller;  Tele- 
phonist Neustifter;  Vzfw.  Ant.  Prell;  Ltn.  Ludw.  Richter;  Reg.-Rat 
und  Bezirksamtmann  Riederer,  Marktheidenfeld;  Rentner  L.  Sachsen- 
hauser,  München;  Vzfw.,  Offiz.- Aspirant  Rud.  Schlamp;  Vzfw.  Karl 
Solger;  Vzfw.  Dr.  Frid.  Solleder;  Gefr.  Theod.  Trog;  Ltn.,  Kom- 
pagnieführer Dr.  Uebe;  UoiFz.  Jos.  Waldhier;  Schütze  Weber;  Ltn. 
Friedr.  Weidner;  Uoffz.  Hans  Weiß;  Hans  Beatus  Wieland,  München; 
Sergeant  E.  Wittich;  Offiz. -Stellvertreter  Wustmann;  Ltn.  W.  Zent- 
ner; Infanterist  Zöbl.  Außerdem  verdanken  wir  wertvolles  marine- 
sprachliches Material  den  Herren:  U.-Bootsmatrose  Wilh.  Schlichting 
aus  München;    Obermatrose  Jos.  Eydner  aus  München. 

Die  im  Jahre  1916  entstandene  Sammlung  wurde  benützt 
für  das  Buch  Dr.  Maußers  Deutsche  Soldatensprache,  ihr 
Aufbau  und  ihre  Probleme  (=  Trübners  Bibliothek  Nr.  9, 
Straßburg  1917).  An  der  Abfassung  der  erwähnten  beiden 
Fragebogen  war  u.  a.  in  hervorragendem  Maße  der  K.  bayer. 
Major  Aug.  Miller  beteiligt,  einer  der  besten  Kenner  der 
deutschen  Soldatensprache  und  ein  tätiger  Förderer  der  Wörter- 
buchkommission seit  ihrem  Bestehen. 

Vom  nächsten  Jahre  ab  werden  ausführliche  Berichte 
über  die  Sammlung  der  Soldatensprache  in  den  Mitteilungen 
des  Verbandes    deutscher   Vereine   für  Volkskunde    erscheinen. 

Aus  den  Sammlungen  der  Wörterbuchkommission  zum 
Kriegsaberglauben  konnte  Dr.  Hans  Bächtold  mancherlei 
für  sein  Buch  Deutscher  Soldatenbrauch  und  Soldatenglaube 
(=  Trübners  Bibliothek  Nr.  7,  Straßburg  1917)  zur  Verfügung 
gestellt  werden. 

Dezember  1917. 

Die  Wörterbuchkommission 
der  K.  B.  Akademie  der  Wissenschaften : 

Dr.  Ernst  Kuhn, 
Vorsitzender. 

Dr.  Otto  Maußer, 
wissenschaftlicher  Hilfsarbeiter. 


Kommissionsberichte  121 


Bericht  über  die  Höhlenforschung  in  Bayern 
im  Jahre  1917. 

Der  Mangel  an  geeigneten  Arbeitskräften  machte  es  im 
Jahre  1917  unmöglich,  größere  Untersuchungen  auszuführen. 
Es  wurden  deshalb  durch  Professor  Birkner  der  Hauptsache 
nach  nur  Höhlen  aufgesucht  und  in  die  Topographischen 
Atlasblätter  1:50000  eingetragen. 

Bei  Neuessing,  etwas  altmühlaufwärts  mündet  das  Galgen- 
tal. Etwa  800  m  vom  Beginn  des  Tales  entfernt ,  wird  dieses 
Trockental  durch  frei  aufragende  Felsen  bis  auf  Straßenbreite 
eingeengt.  In  diesen  Felsen  liegt  auf  dem  östlichen  Hang 
das  längst  bekannte  „Silberloch",  in  dessen  Inneren  Scherben 
aus  der  älteren  Bronzezeit  festgestellt  worden  sind;  außerdem 
finden  sich  in  der  nächsten  Umgebung  noch  mehrere  Nischen, 
von  denen  vor  allem  eine  auf  dem  westlichen  Hange  von 
prähistorischen  Menschen  bewohnt  gewesen  sein  könnte. 

Von  Riedenburg  altmühlaufwärts  zwischen  Altmühlmünster 
und  Mühlbach  wurden  durch  M.  Regnet  in  Mühlbach  eine 
Anzahl  von  Höhlen  gemeldet.  In  den  Felsenpartien  auf  dem 
Westhange  zwischen  Altmühlmünster  und  dem  Altmühltale 
befinden  sich  einige  kleine  Nischen.  Die  geräumigste  mit 
3:4m  liegt  direkt  unter  der  durch  einen  Abschnittswall  be- 
festigten Bergnase;  aber  auch  in  dieser  Nische  scheinen  Boden- 
schichten nur  in  geringer  Mächtigkeit  vorhanden  zu  sein. 

Weitere  zum  Teil  stark  verfallene  Nischen  liegen  süd- 
westlich von  Deising,  teils  auf  dem  Südhang  des  Bruckholzes, 
teils  in  der  Bruckleiten.  Ob  Wohnschichten  vorhanden  sind, 
kann  erst  durch  Probegrabungen  entschieden  werden;  das  gilt 
auch  von  der  über  dem  Einsiedlerhof  stark  verstürzten  Nische. 
Die  Nische   in   Flügelberg    bei  Meihern   hat   nur  Felsenboden. 


122  Kommissionsberichte 

Die  „Räuberhöhle"  zwischen  Langsteig-  und  Mühlbachschlucnt 
ist  eine  Spaltenhöhle,  welche  durch  eine  Doline  zugänglich  ist. 

Die  Möglichkeit,  daß  die  mehr  oder  minder  geräumigen 
Höhlen  zwischen  Riedenburg  und  Mühlbach  von  paläolithischen 
Menschen  bewohnt  gewesen  sind,  wird  dadurch  erhöht,  daß 
in  einer  östlich  von  Mühlbach  gelegenen  Grotte  tatsächlich 
paläolithische  Wohnschichten  festgestellt  werden  konnten.  Eine 
Probegrabung,  die  Professor  Biikner  vornahm,  ergab  in  kurzer 
Zeit,  abgesehen  von  Kulturresten  aus  jüngeren  prähistorischen 
Stufen,  Jaspis-  und  Hornsteinwerkzeuge  der  Moustierstufe ;  auch 
ein  als  Ambos  benutzter  Knochen  aus  dieser  Zeit  kam  zum 
Vorschein.  Die  gefundenen  Tierreste  stammen  vom  Mammuth 
und  Rhinoceros  antiquitatis,  von  der  Höhlenhyäne,  vom  Höhlen- 
bär, Wolf  und  Fuchs,  vom  Pferd  und  Ren.  Es  handelt  sich 
somit  um  Tier-  und  Kulturreste  der  Moustierstufe,  wie  sie  in 
ähnlicher  Weise  bei  der  Grabung  im  Schulerloch  zwischen  Kel- 
heim  und  Neuessing  zahlreich  zutage  traten.  In  Friedenszeit 
dürfte  es  die  erste  Aufgabe  der  Höhlenforschung  sein,  diese 
Höhle  systematisch  zu  untersuchen. 

Die  in  den  Höhlen  zwischen  Kelheim  und  Riedenburg  ge- 
fundenen paläolithischen  Steinwerkzeuge  bestehen  aus  Jaspis, 
Hornstein  und  anderen  Quarzgesteinen.  Da  das  Material  hie- 
für vermutlich  aus  der  Gegend  selbst  stammt,  besuchte  Pro- 
fessor Birkner  mit  Realienlehrer  Rieger  von  Kelheim,  um  die 
Herkunft  festzustellen,  die  Steinbrüche  in  der  Umgebung  von 
Kelheim  und  Neuessing.  Es  fanden  sich  im  jurasischen  Platten- 
kalk der  graue  Jaspis  (Hornstein)  sowohl  in  plattiger  wie  knol- 
liger Ausbildung.  Der  gelbe  und  rötliche  Hornstein  liegt  heute 
noch  massenhaft  in  knolliger  und  plattiger  Form  oberflächlich 
auf  den  zwischen  den  Flußläufen  gelegenen  Plateaus.  Er  stammt 
wohl  aus  geologischen  Epochen  nach  der  Jurazeit,  aus  der 
Kreidezeit  und  dem  Tertiär.  Wahrscheinlich  ist  er  den  paläo- 
lithischen Menschen  noch  leichter  zugänglich  gewesen,  als 
dies  heute  der  Fall  ist. 

Aus  der  Gegend  von  Kallmünz  (B.-A.  Burglengenfeld)  ist 
durch  Mitteilungen  in   der  Literatur  eine  Anzahl  von  Höhlen 


Kommissionsberichte  12ö 

und  Nischen  bekannt  geworden,  welche  durch  Professor  Birkner 
mit  dem  Mitarbeiter  der  Kommission  Rentamtmann  J.  Fraun- 
holz  von  Kastl  bei  Amberg  besichtigt  und  kartographisch  auf- 
genommen worden  sind. 

Das  ,,Osterloch  bei  Rohrbach "  macht  den  Eindruck  einer 
reinen  Spaltenhöhle;  ob  der  niedrige  Eingang  früher  höher 
war  und  so  für  die  Bewohnung  Raum  geboten  hat,  kann  nur 
durch  eine  Grabung  festgestellt  werden.  In  den  Felsenpartien 
auf  dem  Bruckberg  befindet  sich  heute  eine  Anzahl  kleiner 
Nischen,  welche  meist  den  Eingang  zu  Fuchsbauten  bilden. 
Da  in  diesem  Gebiete  größere  Felsstürze  stattgefunden  haben, 
erscheint  es  nicht  ausgeschlossen,  daß  früher  mehr  und  größere 
Nischen  vorhanden  waren.  Ob  sie  aber  in  prähistorischer  Zeit 
bewohnt  waren,  ist  deshalb  fraglich,  weil  in  nächster  Nähe 
kein  Wasser  ist.  Bei  der  Karolinenhütte  soll  ebenfalls  eine 
Höhle  sein.  Sie  konnte  in  Rohrbach  nicht  erfragt  werden, 
nach  Hauptlehrer  Laßleben  in  Kallmünz  soll  sie  aber  im  Mühl- 
tal gegen  Ammenhof  zu  liegen. 

Im  Steinerberg  rechts  der  Vils  befindet  sich  eine  Anzahl 
von  Nischen,  die  zum  Teil  eingestürzt  sind,  die  bedeutendste 
ist  das  „Osterloch  von  Kallmünz",  eine  längere  Spalte  mit 
stark  verfallener  Terrasse.  In  halber  Höhe  des  Weitzenberges 
am  Einfluß  der  Vils  in  die  Naab  liegt  eine  tiefe  Nische.  Da 
bei  Etterzhausen  an  der  unteren  Naab  die  Anwesenheit  des 
paläolithischen  Menschen  festgestellt  ist,  darf  vermutet  werden, 
daß,  falls  der  damalige  Mensch  naabaufwärts  kam,  diese  Nische 
im  Weitzenberg  ihm  als  Wohnung  gedient  hat.  Es  dürfte 
sich  deshalb  empfehlen,  sobald  es  die  Umstände  gestatten,  die 
Nische  im  Weitzenberg  genauer  zu  untersuchen. 

Im  Schloßberg  zu  Kallmünz  befindet  sich  eine  zu  einer 
Wohnung  umgebaute  Nische,  das  sogenannte  „Haus  ohne  Dach". 
Eine  Probegrabung  in  den  scheinbar  noch  unberührten  Erd- 
schichten hat  keine  prähistorischen  Reste  ergeben.  Entweder 
sind  dieselben  den  Einbauten  zum  Opfer  gefallen  oder  die 
Nische  war  in  vorgeschichtlicher  Zeit  nicht  bewohnt. 


124 


Glückwunschschreiben. 


Telegramm.  München,  15.  November  1917. 

An 

Ihre  Königliche  Hoheit 

Prinzessin  Therese  von  Bayern 

Lindau  i.  B. 

Die  K.  Akademie  der  Wissenschaften  bringt  zum  heutigen 
Gedenktage  mit  dem  Ausdrucke  tiefsten  Dankes  ihre  unter- 
tänigsten Glückwünsche  dar. 

Möge    der   Akademie    auch   im    neuen   Vierteljahrhundert 

die  Huld   und  Teilnahme  Eurer  Königlichen  Hoheit   erhalten 

bleiben. 

Crusius. 


Darauf  lief  von  Seite  Ihrer  Königlichen  Hoheit  folgende 
Drahtantwort  ein: 

Reutin  bei  Lindau,  Bodensee,  15.  November  1917. 

Für  die  liebenswürdigen  Worte  an  dem  mich  so  ehrenden 
Gedenktag  der  fünfundzwanzigjährigen  Zugehörigkeit  zur  Baye- 
rischen Akademie  der  Wissenschaften  spreche  ich  meinen 
wärmsten  Dank  aus,  zugleich  mit  dem  regen  Interesse,  wel- 
ches mich  auch  künftig  wie  bisher  an  alle  Bestrebungen  und 
Erfolge  der  gelehrten  Körperschaft  unlöslich  bindet. 

Therese 
Prinzessin  von  Bayern. 


Glückwunschschreiben  125 


Der  K.  K.  Franzens-Universität  in  Lemberg  sandte 
unsere  Akademie  zu  ihrer  Jahrhundertfeier  am  4.  November 
1917  ein  Glückwunsch-Telegramm  folgenden  Inhalts: 

Der  Universität  Lemberg  sendet  die  Bayerische 
Akademie  der  Wissenschaften  die  aufrichtigsten  Glückwünsche 
zu  ihrer  unter  bedeutsamen  Verhältnissen  zu  veranstaltenden 
Jahrhundertfeier.  Möge  die  Universität  ihre  Aufgabe,  als  eine 
Bannerträgerin  abendländischer  Kultur  im  Osten  zu  wirken, 
nach  gesichertem  Frieden  bald  wieder  mit  altem  Erfolge  er- 
füllen können. 


Die  eingegangene  Antwort  lautet: 

Rector  Senatusque  academicus  Universitatis  Leopolitanae 
optata  faustissima  Universitatis  centesimo  abhinc  anno  ab  Im- 
peratore  ac  Rege  Francisco  I  restitutae  oblata  sibi  gratissimis 
exceperunt  animis. 

Leopoli  die  30  Novembris  1917. 

Dr.  Wais 
h.  t.  Rector  Magnificus. 


126  Ölückwunsclischreibeü 


Zur  Jahrhundertfeier  der  Senckenbergischen  Natur- 
forschenden Gesellschaft  in  Frankfurt  a.  M.  sandte  die 
Bayerische  Akademie  der  Wissenschaften  nachstehendes  Glück- 
wunschschreiben : 

Die  Senckenbergische  Naturforschende  Gesellschaft  hat  die 
große  Freundlichkeit  gehabt,  die  Königlich  Bayerische  Akademie 
der  Wissenschaften  zur  Teilnahme  an  ihrer  Hundertjahrfeier 
einzuladen. 

In  Friedenszeiten  würden  wir  mit  Freude  dieser  Einladung 
Folge  geleistet  haben. 

Wenn  wir  jetzt  aber  von  der  Entsendung  eines  Vertreters 
zu  Ihrer  Feier  Abstand  nehmen  müssen,  so  ist  dies  nicht  nur 
in  den  äußeren  Schwierigkeiten  des  Reiseverkehrs,  sondern 
auch  in  dem  Umstände  begründet,  daß  unsere  Mitglieder  zur- 
zeit der  Feier  durch  ihre  amtliche  Tätigkeit  stark  in  Anspruch 
genommen  sind. 

Aus  diesem  Grunde  müssen  wir  uns  darauf  beschränken, 
der  Senckenbergischen  Naturforschenden  Gesellschaft  unsere 
herzlichsten  Wünsche  zur  Hundertjahrfeier  schriftlich  zum 
Ausdruck  zu  bringen.  Möge  ihre  fernere  Tätigkeit  dazu  bei- 
tragen, in  einem  nach  siegreichem  Abschluß  des  Krieges  neu 
erstarkten  Deutschland  naturwissenschaftliche  Forschung  und 
naturwissenschaftliche  Lehrtätigkeit  in  neuem  Glänze  erstrahlen 
zu  lassen!  Möge  sie  namentlich  auch,  wie  schon  bisher,  dazu 
mitwirken,  daß  das  Interesse  für  Naturwissenschaft  in  immer 
weitere  Kreise  getragen  und  so  unser  Volk  immer  besser  für 
den  Kampf  mit  der  harten  Wirklichkeit  geschult  wird. 

Crusius. 


Grliickwunschaclireiben  127 

Darauf  traf  folgende  Antwort  ein: 

Frankfurt  a.  M.,  im  Januar  1918. 

Für  die  außerordentlich  zahlreichen  freundlichen  Wünsche, 
die  uns  von  nah  und  fern  anläßlich  der  Jahrhundertfeier  der 
Senckenbergischen  Naturforschenden  Gesellschaft  am  22.  No- 
vember 1917  zugegangen  sind,  beehren  wir  uns,  unseren  tief- 
gefühlten Dank  auszusprechen. 

Mit  ausgezeichneter  Hochachtung 

Die  Direktion  der 
Senckenbergischen  Naturforschenden  Gesellschaft: 

Prof.  Dr.  A.  Knoblauch  Dr.  A.  Lotichius 

I.  Direktor  II.  Direktor 

Dr.  0.  Low  Beer  Dr.  E.  Goldschmid 

I.  Schriftführer  II.  Schriftführer. 


128  Georg  Hitl'scher  Fonds 


Nachtrag. 


Aus  dem  Georg  Hitl'schen  Fonds  zur  Förderung  der 
Medaillenkunst  wurden  im  Wettbewerb  nachstehende  Preise 
zuerkannt: 

300  Ji  dem  Bildhauer  Ludwig  öries, 
200  JC  dem  Maler  und  Graphiker  Hans  Volkert, 
je  100  J(  der  Bildhauerin   Lissy  Eckart    und    den  Bild- 
hauern  Ottmar   Obermeier,    Max   Olofs    und 
Berthold  Run  gas, 
50  JC  dem  Bildhauer  Franz  Wetzstein 
(sämtliche  in  München). 

Lobende  Erwähnungen  wurden  zuteil: 

Gottfried  Neukam,  z.  Z.  Unteroffizier  und  Offiz.-Asp. 

in  Bayreuth, 
den  Bildhauern  Adolf  Daumiller    und    Karl   May    in 

München. 


AS  Akademie  der  Wissenschaften, 

182  Munich 

M85         Jahrbuch 

1915-17 


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